Kindermusiktheater in Deutschland. Kulturpolitische Rahmenbedingungen und künstlerische Produktion

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Joscha Schaback Kindermusiktheater in Deutschland Kulturpolitische Rahmenbedingungen und kĂźnstlerische Produktion



Joscha Schaback – Kindermusiktheater in Deutschland


Gefördert durch die Strecker-Stiftung

Joscha Schaback Kindermusiktheater in Deutschland Kulturpolitische Rahmenbedingungen und künstlerische Produktion Recherchen 158 © 2020 by Theater der Zeit Texte und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich im Urheberrechts-Gesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmung und die Einspeisung und Verarbeitung in elektronischen Medien. Verlag Theater der Zeit Verlagsleiter Harald Müller Winsstraße 72 | 10405 Berlin | Germany www.theaterderzeit.de Layout: Tabea Feuerstein Konzeption der Reihengestaltung: Agnes Wartner Umschlagabbildung: Der unsichtbare Vater. Staatsoper Stuttgart, 2009. Foto: Martin Sigmund Printed in Germany ISBN 978-3-95749-307-1 (Taschenbuch) ISBN 978-3-95749-349-1 (ePDF)


Recherchen 158

Joscha Schaback Kindermusiktheater in Deutschland Kulturpolitische Rahmenbedingungen und kĂźnstlerische Produktion



Inhalt

Vorwort und Dank

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I.

Einleitung, Fragestellung, Forschungsstand

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II. Kulturpolitische Rahmenbedingungen im Stadt- und ­Staatstheater

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III. Kindermusiktheater in der eigenständigen Abteilung: Die Junge Oper Stuttgart

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IV. Kindermusiktheater im integrierten System am Staatstheater Karlsruhe

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V. Rahmenbedingungen in der Freien Szene und in der sozialen Einrichtung

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VI. Kindermusiktheater im freien Kindertheater: Die jungeMET

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VII. Kindermusiktheater in der sozialen Institution: Das Kinderopernhaus Lichtenberg

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VIII. Herausforderungen und Perspektiven

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IX. Quellenhinweise zum Kindermusiktheater

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Der Autor

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Vorwort und Dank Dieses Buch ist aus meiner Biografie hervorgegangen. Ich habe zuerst als Theaterpädagoge und dann als Dramaturg in der deutschen Theater­landschaft gearbeitet. Als Operndirektor in Heidelberg und Karlsruhe gehörte das Kindermusiktheater zu meinen Arbeitsschwerpunkten. Ich halte es für eine der aufregendsten und innovativsten Kunstformen der letzten 25 Jahre. In der Praxis habe ich erfahren, wie schwierig es ist, diese Kunstform zu ermöglichen. Eigentlich ist das Kindermusiktheater beliebt – bei Kindern, Erwachsenen, Intendanten, Politikern und oft auch bei Lehrern. Warum ist es trotzdem so kompliziert, Musiktheater für Kinder regelmäßig und verlässlich zu produzieren? Meine Vermutung war, dass dies mit den Verhältnissen zu tun hat, in denen Kindermusiktheater entsteht. Welche Rahmenbedingungen bräuchte das Kindermusiktheater, um sich besser entfalten zu können? Die Nähe des Autors zum Gegenstand kann seine kritische Distanz auf die Probe stellen. Zugleich ist die Erfahrung ein Vorteil, denn es soll in dieser Arbeit um einen praxisnahen Zugang zum Forschungsfeld gehen. Einblicke in die komplizierte Ressourcenverwaltung, Erkenntnisse über den Einfluss von Spielorten und Verständnis für die Einstellung zum Kindermusiktheater habe ich nur durch die konkrete Theaterarbeit gewinnen können. Das Buch ist die Publikation meiner Dissertation Kindermusiktheater in Deutschland. Eine Untersuchung zu den kulturpolitischen Rahmenbedingungen, die ich im Dezember 2019 an der Universität Hildesheim verteidigte. Ich danke meinem Doktorvater Wolfgang Schneider für sein Vertrauen und für die beratenden Gespräche. Ich danke meinem Freund Ole Hruschka für seine Ermutigungen und für seine hilfreichen Hinweise. Harald Müller möchte ich für sein verlegerisches Engagement danken. Ich danke meiner Frau Esther Dreesen, die mir über Jahre den Rücken freigehalten hat. Ohne sie wäre der Text nicht entstanden. Joscha Schaback im Juni 2020

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I. Einleitung, Fragestellung, Forschungsstand 1. Einleitung: Zur Entwicklung des neuen Musiktheaters für K ­ inder

Im Jahr 2002 entdeckte die Zeitschrift Theater der Zeit ein »kleines Wunder«. In einem Themenschwerpunkt versammelte das Magazin Rezensionen, Hintergrundartikel und Interviews zu einer neu aufgekommenen Bewegung: dem Musiktheater für Kinder. Manfred Jahnke sprach vom »Boom der Kinderoper«.1 Was war passiert? Binnen weniger Jahre gründeten die Intendanten der großen Opernhäuser in Köln, Wien und Stuttgart eigene Abteilungen, in denen sie ihre Arbeit für Kinder und Jugendliche professionalisierten. In Köln erfand Günter Krämer 1996 die Junge Oper in der Yakulthalle, ein ins Foyer gebautes Minibarocktheater. Wenige Jahre danach ließ Ioan Holender in Wien die Kinderoper auf dem Dach der Staatsoper installieren. Schon früh setzte sich der Intendant für Uraufführungen im kleinen Format ein. In der neuen Institution wurden aber auch die partizipativen Angebote der Staatsoper, vor allem die Kinder- und Jugendchöre, gebündelt. Die Gründung hatte immense Strahlkraft in die Öffentlichkeit: ein Ort für Kinder, für Pädagogik und Experimente mitten auf einem der ehrwürdigsten Operngebäude der Welt! Klaus Zehelein begann in Stuttgart 1995 zunächst mit einem Vermittlungsprogramm für den Abendspielplan. In der 1997 gegründeten Jungen Oper wurde das Mitwirken auf der Bühne und hinter den Kulissen institutionalisiert. Die drei Säulen der Arbeit für junges Publikum – Vermittlung des Abendspielplans, Partizipation und zielgruppengerechte Produktion – haben seither buchstäblich Schule gemacht. »Das kleine Wunder« ist zu einem großen geworden. Die Kinderopernproduktion hat sich bundesweit gesteigert. Wurden in der Spielzeit 1992/93 lediglich sieben Musiktheaterwerke für Kinder und Jugendliche gespielt, sind es in der Spielzeit 2012/13 genau einhundert (Deutscher Bühnenverein 1993 bis 2013). Jede der etwa achtzig deutschen Opernbühnen bringt damit mindestens eine Produktion für junges Publikum pro Spielzeit heraus. Dabei kommen auch unterhaltende Werke und Musicals zur Aufführung.2 Mit der gesteigerten Produktion ist das Kindermusiktheater auch zu einer neuen Konstante bei den Aufführungszahlen geworden.3 Knapp ein Sechstel aller Vorstellungen im Stadttheater entfallen auf das Musiktheater für Kinder.4 Zur Entwicklung des neuen Kindermusiktheaters gehört, dass es eine Angelegenheit der gesamten deutschen Theaterlandschaft ge-

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I.  Einleitung, Fragestellung, Forschungsstand

worden ist. Ein Großteil der Produktionen des Kindermusiktheaters kommt in der Freien Szene5 vor. Auch Gastspielhäuser tragen wesentlich zur Verbreitung bei. Das Freie Kindertheater stellt sich in seinen Arbeitsstrukturen darauf ein. Auch soziopädagogische Institutionen arbeiten mit musiktheaterpädagogischen Formaten. Die gesamte deutsche Theaterlandschaft hat das Kindermusiktheater als Partizipationsform entdeckt. Mittlerweile ist ein Diskurs über das Musiktheater für Kinder entstanden. Die Kindertheaterverbände Assitej und Reseo bieten Arbeitsgruppen und Konferenzen an. »Welches Musiktheater brauchen Kinder?« lautete 2009 das Motto der ersten Tagung der AG-Musiktheater der Assitej in Mannheim, aus dem das Mannheimer Manifest zum Musiktheater für Kinder mit acht Thesen hervorging (Gronemeyer/Kehr/ Schneider 2010, 26). Der Dialog von Musiktheaterpädagogen6, Dramaturgen, Regisseuren, Bühnenbildnern, Operndirektoren, Intendanten und Verlagsmitarbeitern ist weitergegangen: Die Tagung Happy New Ears versammelte 2017 Theatermacher aus Opernhäusern, freien Gruppen und sozialen Projekten zur gemeinsamen Reflexion über experimentelles Musiktheater für Kinder. Im Sommer 2014 gewann Andrea Gronemeyers Tanz Trommel den renommierten Theaterpreis Der Faust in der Kategorie »Beste ­Regie Kinder- und Jugendtheater«. Die Arbeit ist eine Stückentwicklung und spielt weniger mit Worten als mit Bewegung (Tanz) und Klängen (Trommel). Die Protagonisten sind keine Opernsänger oder klassischen Musiker, sondern eine Tänzerin und ein Percussionist. Die Inszenierung macht deutlich, dass Kindermusiktheater nicht Oper bedeuten muss, sondern aus der Formsprache des Schauspiels, des Tanzes oder der szenischen Musik schöpfen kann. Gronemeyer, ­Leiterin des Mannheimer Schnawwl bis 2017, war gleichzeitig Ko-Leiterin der Jungen Oper Mannheim. Die Auszeichnung belegt, dass musiktheatrale Produktionen für Kinder und Jugendliche überregional wahrgenommen werden.

2. Fragestellung: Kindermusiktheater in der deutschen ­Theaterlandschaft 2.1 Forschungsfragen: Personal, Organisation, Begriff und Kunst

Ziel der Untersuchung ist es, das Musiktheater für Kinder und Jugendliche und seine künstlerische Produktion in den kulturpolitischen

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Rahmenbedingungen zu verorten. Anhand von zwei repräsentativen Beispielen aus dem Stadt- und Staatstheater, einem aus der Freien Szene und einem aus der soziopädagogischen Arbeit soll die Position des Kindermusiktheaters in der bundesdeutschen Theaterlandschaft greifbar werden. Für das Stadt- und Staatstheater werden die Junge Oper Stuttgart sowie das Kindermusiktheater im Staatstheater Karlsruhe betrachtet. Für die Freie Szene geht es um das Kindermusiktheater jungeMET des Freien Kindertheaters Pfütze in Nürnberg und des Stadttheaters Fürth. Das Kinderopernhaus Lichtenberg repräsentiert die soziopädagogische Institution. Es kooperiert mit der Staatsoper Unter den Linden. In der vorliegenden Arbeit soll es aber nicht nur darum gehen, wie die Verhältnisse sind, sondern auch, wie sie sein könnten. Die Untersuchung hat den Anspruch, Mechanismen und Muster kenntlich zu machen, die veränderbar sind. Wie kann Kulturpolitik positive Entwicklungen unterstützen und Fehlentwicklungen ­vermeiden? Die vorliegende Arbeit versucht zu belegen, dass die kulturpolitischen Rahmenbedingungen das Kindermusiktheater bestimmen. Die Forschungsfragen setzen an den konkreten Bedingungen der portraitierten Abteilungen an. Sie betreffen das Personal, die Ressourcen, die Organisation, die innere Vorstellung von Kindermusiktheater (Begriff) sowie die künstlerische Produktion. Hinter den Fragen steht die Absicht, detaillierte Informationen über die Betriebsformen und künstlerischen Prozesse zu gewinnen. Die Arbeit geht aber auch davon aus, dass Arbeitsprozess, Begriff von Kindermusiktheater und die Kunstform einander bedingen. Dies gilt insbesondere für die künstlerischen Produktionen, die sich als Ausdruck ihrer Organisationsformen, aber auch als Spiegel eines besonderen Begriffs von Kindermusiktheater lesen lassen können. Deswegen wird den Inszenierungsanalysen am Ende jedes der vier Beispielkapitel umfänglich Raum gegeben. Sie ­orientieren sich weniger an phänomenologischen (Roselt 2008), s­ emiotisch-hermeneutischen (Grossmann 2013) oder soziologischen ­Methoden der Theater- und Musikwissenschaft als an der Frage nach dem Zusammenhang von Betriebs- und Kunstform. Die gewählten Produktionen reichen vom kleinformatigen Projekt mit Zuschauerpartizipation (Stuttgart) über die große partizipative Choroper (­Karlsruhe), die vollständig musikalisierte Inszenierung mit Schauspielern (Pfütze) bis hin zum Response-Projekt mit Schülern (Kinderopernhaus). Z ­ ugleich sollen die Beispiele die große Bandbreite aktueller A ­ usdrucksformen des Kindermusiktheaters in Deutschland zeigen.

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Im Einzelnen lauten die Forschungsfragen wie folgt: 1. Personal: Rahmenbedingungen am Theater bedeuten Personalpolitik. Unter welchen Bedingungen arbeitet das Personal des Musiktheaters für Kinder und Jugendliche? Kindermusiktheater erschließt für die Oper einen noch relativ neuen Arbeitsbereich zwischen Kindern, Lehrern und Künstlern – welche (neuen) Aufgaben ergeben sich daraus? 2. Ressourcen und Organisation: Wie organisiert sich Kindermusiktheater in seinen Institutionen – als Gruppe von Spezialisten oder als Aufgabe aller Mitarbeiter? Welche Auswirkungen hat Kindermusiktheater auf ein Haus, das eigentlich einen anderen Arbeitsschwerpunkt hat? Wie werden finanzielle und räumliche Ressourcen verteilt? Welche Bedeutung haben Partner in der Stadt? Wie vernetzt sich das Kindermusiktheater mit überregionalen Theaterinstitutionen? Wie sorgt es für sein Publikum? 3. Begriff von Kindermusiktheater: Welche Beweggründe geben die Theaterleiter für die Gründung neuer Kindermusiktheaterabteilungen an und welche Funktionen werden dem ­Musiktheater für Kinder in der Öffentlichkeit zugesprochen? Auf welche Diskurse beziehen sich die Praktiker in ihrer künstlerischen und pädagogischen Arbeit? Auf welche Weise prägt ein Verständnis von Kindermusiktheater die Produktionsweisen und Organisationsformen? Hängen die Begriffe von Kindermusiktheater mit gesellschaftlichen Trends zusammen? 4. Künstlerische Produktion: Wie prägen die Produktionsverhältnisse das künstlerische Resultat? Wie ist das Kunstwerk in die Verhältnisse der Spielstätte eingebettet? Welche künstlerischen Alleinstellungsmerkmale entwickelt das Kindermusiktheater? Ließen sich Phänomene beschreiben, die zu einer Ästhetik des Kindermusiktheaters führen? Der Untersuchungszeitraum der vorliegenden Arbeit sind die Jahre 2012 bis 2016. Alle vier analysierten Institutionen sind zum Zeitpunkt der Publikation dieser Arbeit noch aktiv, die gewählten Musiktheaterstücke hatten in den letzten Jahren Premiere und laufen teilweise noch. Die Gründer der zu besprechenden Institutionen ließen sich in ihren Positionen interviewen, bekleiden aber heute teilweise neue Funktionen. All diese neuen Entwicklungen kann die vorliegende

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2.  Fragestellung: Kindermusiktheater in der deutschen Theaterlandschaft

­ ntersuchung nicht abbilden, obschon sie deutlich machen wird, welU che Kriterien das Kindermusiktheater stabilisieren. Gegenstand der Arbeit sind die Formen des professionellen Theaters für ein kindliches Publikum. Ausgeschlossen wird der große Bereich des pädagogischen Musiktheaters für Kinder und Jugendliche, der weder von Musiktheaterpädagogen noch anderen Mitarbeitern eines professionellen Theaters geführt oder begleitet wird und auch seinen Aufführungsort nicht an einem Theater, sondern ausschließlich innerhalb eines sozialen Milieus hat (z. B. einer Schule). Gemeint sind in dieser Arbeit also ausdrücklich nicht die vielfältigen Formen der Schuloper, der szenischen Kantate oder des christlichen Singspiels in der Kirche. Auch projektorientierte, grundsätzlich unregelmäßige Theaterformen und Festivalstrukturen stehen nicht im Zentrum der Studie.

2.2 Sprachliche Definition: Kindermusiktheater und kulturpolitische Rahmenbedingungen

Kindermusiktheater: Die vorliegende Arbeit bedient sich des Terminus Kindermusiktheater.7 Der Begriff wird hier synonym mit Musiktheater für Kinder und mit Musiktheater für junges Publikum verwendet.8 Grundsätzlich ist mit Kindermusiktheater auch das Musiktheater für Jugendliche gemeint.9 Wichtiger als die Alterszuweisung ist die Zielgruppenorientierung: Es geht um ein Musiktheater, das sich direkt an seine junge Zielgruppe richtet und für sie entwickelt wurde. In dieser Form des Theaters ist die Musik das zentrale theatralische Mittel und die wichtigste Form des Ausdrucks ihrer Darsteller. Kindermusiktheater zeichnet sich dadurch aus, dass Musik darin live gespielt, gesungen und performt wird und sich dadurch Impuls und Gegenimpuls zwischen Musik und Szene ergeben. Diese Definition nimmt Formen der (durchkomponierten) Kinderoper oder des Musicals (mit Tanzeinlagen) in sich auf. Gänzlich musikalisierte Inszenierungen mit Schauspielern gehören nach dieser Definition auch zum Kindermusiktheater (vgl. die Inszenierungsanalyse von Das Kind der Seehundfrau, S. 158). Schauspielproduktionen, in denen Musik lediglich Unterbrechung der Handlung oder Begleitung ist, sind aber davon ausgeschlossen. Die Oper – beispielsweise Ludger Vollmers Border in Karlsruhe – ist nur eine mögliche Form des gemeinten Kindermusiktheaters. Insgesamt wird Kindermusiktheater als institutioneller und ästhetischer Begriff gebraucht. Im ästhetischen Sinn wird das Kindermusiktheater als eine Kunstform verstanden, die kein »Genre« der

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I.  Einleitung, Fragestellung, Forschungsstand

Oper oder des Schauspiels ist (so wie beispielsweise das Singspiel). Das besondere Verständnis von Kindermusiktheater in dieser Arbeit liegt vielmehr darin, die ästhetische Eigenständigkeit der Kunstform herauszuarbeiten. Kindermusiktheater – dies soll sich in den verschiedenen Inszenierungsanalysen zeigen – etabliert sich als Gattung mit eigenen Gesetzen. Zeitgenössisches Kindermusiktheater: Als eine besondere Spielart des Kindermusiktheaters wird hier das zeitgenössische Kindermusiktheater verstanden. Seine Produzenten verwenden grundsätzlich Musik zeitgenössischer Komponisten, orientieren ihre Arbeitsformen an der künstlerischen Aufgabe (Stückentwicklung), experimentieren mit den künstlerischen Formaten und erproben das Hören.10 Musik im zeitgenössischen Kindermusiktheater hat einen szenischen Gestus und setzt die Stimme nicht nur für Gesang, sondern auch als Instrument für Klänge und Geräusche ein. Neues Kindermusiktheater: Mit dem Begriff des neuen Kindermusiktheaters wird keine ästhetische Kategorie eröffnet, sondern lediglich ein historischer Zusammenhang beschrieben. Gemeint ist das Kindermusiktheater, das sich ab Mitte der 1990er-Jahre herausbildete und bis heute mit einem sprunghaften Anstieg von Produktionen, mit Institutionalisierung der Abteilungen und neuen Vermittlungsformen einhergeht und im historischen Exkurs »Neues Kindermusiktheater und gesellschaftlicher Wandel« (S. 43) beschrieben wird. Auch die Forschung – das soll im nächsten Kapitel deutlich werden – erweitert für das neue Kindermusiktheater ihre Perspektiven. Partizipation: Eine entscheidende ästhetische wie soziale Kategorie des neuen Kindermusiktheaters ist die Partizipation. Sie wird hier als Mitwirkung von Schülern (und Erwachsenen) im musikalisch-szenischen Kontext verstanden. Sie ist eine besondere Form der Teilhabe an Kultur, die über den Theaterbesuch als Zuschauer hinausgeht. Partizipation findet in langfristigen Proben statt, kann sich aber auch in relativ kurzfristigen Vorbereitungen ereignen. In fast allen Praxisbeispielen der vorliegenden Arbeit gehört Partizipation zum künstlerischen Resultat. Es wird die Aufgabe sein, ihre spezifischen Erscheinungsformen herauszuarbeiten und die These zu belegen, dass sie zur Unverwechselbarkeit des Kindermusiktheaters beiträgt. Es wird aber auch darum gehen, die Verheißungen des Begriffs zu hinterfragen. Partizipation suggeriert Selbstbestimmung und freie künstlerische

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Entfaltung.11 Wenn aber Musiktheater – Singen und (szenisches) Musizieren – erlernt werden soll, sind auch Handwerk und Lernen durch Nachahmung von Bedeutung. Partizipation im Kindermusiktheater, dies soll besonders im Kapitel zum Kinderopernhaus deutlich werden, hat damit eine ganz eigene Dynamik. Kindertheater: Im Verlauf der Arbeit, besonders bei der Beschreibung des Theaters Pfütze, wird das Kindertheater eine Rolle spielen. ­Gemeint ist jenes Theater, das durch Protagonisten wie Volker L ­ udwig und das Grips Theater oder durch Holger Franke und das Theater Rote ­ Grütze berühmt geworden ist. War das Kindertheater ursprünglich eine ­Bewegung des Freien Theaters, hat es schnell auch das ­Stadttheater geprägt. Als Vorreiter einer auf die Lebenswelt von ­Kindern eingehenden Kunstform ist es einer der wichtigsten Bezugspunkte des ­Kindermusiktheaters. Weil es seinen Ursprung im Sprechtheater hat und sein Name leicht mit dem Kindermusiktheater zu verwechseln ist, wird es in Ausnahmefällen als Schauspielkindertheater bezeichnet. Kulturpolitische Rahmenbedingungen: Der Begriff der kulturpolitischen Rahmenbedingungen wird hier weit gesteckt. Er umfasst nicht nur die unmittelbaren Berührungspunkte des Theaters mit der Politik, sondern auch die strukturellen Folgen von Kulturpolitik in der Organisationsstruktur von Theatern. Es geht um die auf handfeste Erscheinungen heruntergebrochenen kulturpolitischen Rahmenbedingungen für das Kindermusiktheater im Stadt- und Staatstheater, in der Freien Szene und in sozialen Kultureinrichtungen und ihre Wechselwirkungen mit der künstlerischen Produktion. Hinter diesem Ansatz steht das Verständnis von Kulturpolitik als einer »gesellschaftliche[n] Auseinandersetzung mit der Kulturlandschaft« (Schneider 2012, 370). Es geht darum, diese »Landschaft« anhand prägnanter Beispiele detailliert zu beschreiben, um anschließend Rückschlüsse für das Kindermusiktheater im Allgemeinen ziehen zu können. Um im topografischen Bild zu bleiben, ließen sich die kulturpolitische Rahmenbedingungen auch als »Umgebung« des Kindermusiktheaters beschreiben. Die Arbeit wechselt dabei zwischen »Einblick« (die vier Kapitel zu den Abteilungen in Stuttgart, Karlsruhe, Nürnberg und Berlin) und »Überblick« (die einleitenden Kapitel zum Stadttheater und zur Freien Szene) hin und her. Grundsätzlich geht sie induktiv von den Befunden an den Theatern aus und versucht diese im Schlusskapitel deduktiv zu verallgemeinern.

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2.3 Methodischer Ansatz: Qualitativer Blick auf die Strukturen

Die Studie verfolgt einen qualitativen Ansatz. Sie stützt sich in ihren Hauptquellen auf Experteninterviews. Zitiert werden die Interviews genau wie die Fachliteratur nach Jahr und Seite. Wenn mehrere Interviews mit demselben Partner im selben Jahr gehalten wurden, spezifiziert der Monat die Quelle: »Zels 2015/3, 2« meint beispielsweise das Gespräch mit Martin Zels vom März 2015 auf Seite 2.12 Programmhefte, Presseberichte und Internetpublikationen komplettieren das Bild. Die Anordnung der Beispiele erfolgt nach Maßgabe des Kontrasts. Eine ausführliche Begründung der Auswahl findet sich am Ende der Einleitungsartikel zum Stadttheater (»Kulturpolitische Rahmenbedingungen im Stadt- und Staatstheater«, S. 33) bzw. zur Freien Szene (»Rahmenbedingungen in der Freien Szene und in der sozialen Einrichtung« S. 129). Dort soll herausgearbeitet werden, warum sich die Institutionen in besonderer Weise für eine wissenschaftliche Betrachtung eignen. Warum ein qualitativer Ansatz? Der qualitative Ansatz ergibt sich aus dem Wunsch, ein Feld abzustecken, in dem verschiedene Theatermodelle gleichzeitig existieren. Eine quantitative Untersuchung – beispielsweise hinsichtlich Aufführungszahlen oder Zuschauermengen – würde den unterschiedlichen Sphären nicht unbedingt gerecht und könnte das interne Wissen des Autors nicht produktiv machen. Anders ausgedrückt, gibt es starke qualitative Unterscheidungsmomente, die sich nicht in Zahlen messen lassen. Dies zeigt sich besonders deutlich bei den künstlerischen Produktionen und beim Begriff von Kindermusiktheater. Auch Arbeitsprozesse sind stark von qualitativen Kriterien bestimmt, wie z. B. die Anerkennung des Kindermusiktheaters innerhalb eines Mehrspartenbetriebs. Die Fragestellung der Arbeit wurde aus der Beobachtung und Reflexion ihrer Gegenstände gewonnen. Maßgeblich war ein »Prozessverständnis der gegenstandsbegründeten Theoriebildung« (Flick 2002, 69), wonach einzelne Interviews bereits ausgewertet werden, bevor alle abgehalten sind. Die gewonnenen Erkenntnisse spezifizierten wiederum den Fragenkatalog und führten dazu, weitere Interviewpartner aufzusuchen. Trotzdem wurden fast alle Interviews im Zeitraum von 2013 bis 2014, also am Anfang der Studie, abgehalten. Insgesamt wurden 15 Interviews geführt. Neun davon mit Tonband, vier mit ausführlicher Mitschrift. Die Interviews entstanden an den Arbeitsorten der Befragten oder in Cafés unweit ihrer Theater. Das Hauptaugenmerk lag auf den Leitern der Institutionen, nicht nur weil es sich in drei der vier Fälle

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um die Gründer handelt, sondern auch, weil der Frage nachgegangen werden sollte, ob sich der Kindermusiktheaterbegriff der Initiatoren auf die Arbeitsstrukturen auswirkt. Dutzende Gespräche mit Leitern und Mitarbeitern aus vielen Abteilungen lieferten Hintergrundwissen. Unterschiede zwischen der »Oberfläche des Erlebens und Handelns« und den »Tiefenstrukturen des Handelns« (Flick 2002, 43), also den unbewussten Vorgängen, spielten in den Antworten und in der Auswertung keine entscheidende Rolle. Dies hing auch mit der grundsätzlichen Ehrlichkeit zusammen, mit der die Interviewten Konflikte verbalisierten. Im Allgemeinen zielten die Interviews weniger auf das Wie – welche Ängste stehen im Raum, wie ist das Vertrauensverhältnis zum Interviewer, welche Fragen umgeht der Interviewte usw. – als vielmehr auf das Was. Also darauf, klar abgefragte Informationen zu erhalten, die sich nirgendwo nachlesen lassen. Die Rolle des Interviewers, selbst in der Position des Experten, brachte Vertrauen und offene Worte, aber auch manchmal das Auslassen von Informationen mit sich, die der Interviewte als bekannt voraussetzte. Die Befürchtung, wegen Befangenheit nur dürftige Antworten zu bekommen, bestätigte sich nicht. Dies gilt insbesondere für das Karlsruher Kapitel (»Kindermusiktheater im Integrierten System«, S. 88). Durch die dreijährige Tätigkeit des Autors am Staatstheater Karlsruhe standen ihm mehrere Informationsquellen offen. Um die Vergleichbarkeit mit den anderen Institutionen zu gewähren, bleibt in dieser Arbeit aber das ausführliche Interview mit dem Gründer des institutionalisierten Kindermusiktheaters und Intendanten Peter Spuhler die Hauptquelle. Das Kapitel zum Staatstheater ist kein Exkurs in die klassische Feldforschung, wonach der Wissenschaftler mit einem systematisierten Forschungsinteresse aktiver Teil des Felds wird und währenddessen in Form von Tagebucheinträgen, Protokollen und Interviews im Arbeitskontext recherchiert (vgl. Bachmann 2009). Wenn auch die Reflexion über das Kindermusiktheater bereits innerhalb des Engagements am Staatstheater begann, erfolgte die systematische Erforschung erst nach der aktiven Theaterzeit. Die innere Zielsetzung war hier, die Karlsruher Abteilung trotz Vorwissen genau wie die anderen Abteilungen auf die Forschungsfragen hin zu untersuchen. Die Kodierung der Interviews erfolgte nach der differenzierten Kategorisierung von Sinneinheiten, mit der man die Fülle des Materials nicht nur strukturiert und verdichtet (Reduktionsvorgänge), sondern auch die einzelnen Antworten tiefer durchdringt und in Bezug zu anderen Antworten setzt (vgl. hier und im Folgenden: Flick/Kardorff/ Keupp/Rosenstiel/Wolff 1995). Aus diesem Verfahren entstanden die

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I.  Einleitung, Fragestellung, Forschungsstand

zentralen Begriffe der Forschungsfragen – Personal, Ressourcen und Organisation, Begriff und künstlerische Produktion –, die jedes Kapitel strukturieren. Auf Kodierungsverfahren, die die Antworten weniger zusammenfassend übertragen, als vielmehr im Gegenteil in viele kleine Sinnzusammenhänge zerlegen (theoretisches Kodieren), um dadurch z. B. auf verborgene, unausgesprochene, sich nur in Wortfetzen äußernde Aussagen zu stoßen, wurde verzichtet. Die Gefahr einer subjektiven Kodierung, in der sich eine vorgefasste Meinung lediglich bestätigt (selektive Plausibilisierung), wurde bis in den Schreibprozess hinein reflektiert. Ihr wurde mit der Anstrengung begegnet, ­widersprüchliche und für den Autor unerwartete Positionen innerhalb der Kodierungsvorgänge zu stärken. Alle Interviewpartner bekamen den Text ihres Gesprächs zu einer abschließenden Korrektur vorgelegt. Diejenigen Leiter, die darauf reagierten, verbesserten vor allem unklare Formulierungen. Die Genauigkeit nahm dabei zu. Lediglich in Hinblick auf sensible finanzielle Posten kam es zu Streichungen. In der vorliegenden Arbeit geht es nicht um das Analysieren einer großen Menge von Fällen, unter denen sich dann einige wenige idealtypische ermitteln lassen, sondern um die beispielhafte Darstellung von vier Modellen. Es wird herauszuarbeiten sein, inwiefern die Einzelfälle Repräsentanten ihrer Systeme sind und was sie über die Rolle des Kindermusiktheaters in der deutschen Theaterlandschaft aussagen. Zur Gliederung: Nach dem Abschreiten des kleinen Forschungsfelds zum neuen Kindermusiktheater werden die kulturpolitischen Rahmenbedingungen des Stadt- und Staatstheater dargestellt. Die Frage ist, welche Rolle das Kindermusiktheater in der historisch gewachsenen Institution der Oper spielt (Kapitel II). Erst auf dieser Grundlage folgt der Blick in die Abteilungen. Portraitiert wird mit der Jungen Oper Stuttgart zuerst eine der ältesten deutschsprachigen Institutionen, die als eigenständige Abteilung eine besondere Form der Autonomie besitzt (Kapitel III). Der Abschnitt zum Staatstheater Karlsruhe zeigt, wie Kindermusiktheater im sogenannten integrierten System, also von mehreren Sparten zusammen, bewerkstelligt werden kann (Kapitel IV). Anschließend wechselt der Fokus auf die Freie Szene. Zunächst wird die Position des Kindermusiktheaters im Freien (Kinder-)Theater und im soziopädagogischen Bereich erörtert (Kapitel V). Anschließend soll deutlich werden, wie das Freie Kindertheater Pfütze – in der Sparte jungeMET – Kindermusiktheater produziert (Kapitel VI). Das Kinderopernhaus Lichtenberg aus Berlin arbeitet rein partizipativ. In diesem Abschnitt wird es darum gehen, wie sich Musiktheater als Teilhabe in sozialpädagogischen Strukturen realisieren lässt (Kapitel VII). Das

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3.  Forschungsstand: Vom Werk zur offenen Form

Schlusskapitel wertet die Ergebnisse über die verschiedenen Theaterund Betriebsformen hinweg aus, stellt einen Katalog von Maßnahmen zur Förderung des Kindermusiktheaters auf und wagt einen Blick in die Zukunft (Kapitel VIII).

3. Forschungsstand: Vom Werk zur offenen Form

Die Forschungslage im Bereich des Musiktheaters für Kinder und Jugendliche gleicht einem unvollständigen Mosaik. In manchen Bereichen lassen sich Konturen erkennen, an vielen Stellen sind lediglich erste Steine gesetzt, Verbindungsteile fehlen fast überall. Allerdings beginnt der Forschungsbereich ab der Jahrtausendwende merklich zu wachsen. In der Forschung zum neuen Kindermusiktheater werden die Stücke stärker über ihre Wirkung, über Vermittlung und die mit ihnen verbundenen Arbeitsformen betrachtet – der Werkbegriff tritt in den Hintergrund. Im Folgenden werden – ausgehend von einer kurzen Darstellung älterer Forschung zu Gattungsbegriff, Wirkungsästhetik, Partizipation und Kindermusiktheater in der DDR – einschlägige Forschungsergebnisse zum neuen Kindermusiktheater portraitiert. Dabei wird es auch darum gehen, an welche Ergebnisse die vorliegende Arbeit anknüpfen kann und wo Forschungsdesiderate bestehen. Ein das Kapitel abschließender Exkurs zu Engelbert Humperdincks Hänsel und Gretel zeigt exemplarisch den Zusammenhang von kulturellen Rahmenbedingungen und künstlerischer Produktion und stimmt als kleiner Auftakt auf die Zielsetzung der Arbeit ein.

3.1 Gattungsformen und Schultheater

Wichtige Wegbereiter des neuen Kindermusiktheaters sind ­Brigitte Regler-Bellinger, Gunter Reiß, Mechthild von Schoenebeck und Heinz-Jürgen Bräuer. In Regler-Bellingers Musikführer und Dokumentation zu 900 Opern, Operetten, Singspielen und Musicals sowie vielen anderen Formen liegt zum ersten Mal in der Geschichte des Musiktheaters für Kinder und Jugendliche ein umfängliches Stückverzeichnis vor (Regler-Bellinger 1990).13 Ihr Artikel in Die Musik in Geschichte und Gegenwart unter dem Stichwort »Kinderoper/Musiktheater für Kinder und Jugendliche« von 1996 belegt die zunehmende Wertschätzung der Gattung seit den 1990er-Jahren; die frühere Ausgabe der MGG, entstan-

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I.  Einleitung, Fragestellung, Forschungsstand

den zwischen 1947 bis 1987, führte die Kinderoper nicht an. Für die gattungsgeschichtliche Erstorientierung ist der Artikel bis heute die wichtigste Quelle (Regler-Bellinger 1996, Sp. 43 – 59). Mit Gunter Reiß und seiner 1987 gegründeten Forschungsstelle Theater und Musik der Universität Münster erhielt das Fachgebiet einen engen Bezug zur Schulpraxis. Reiß, von Hause Germanist und angebunden an die Abteilung Didaktik der deutschen Sprache und L ­ iteratur, publizierte über die praxisorientierte Anwendung des ­Kinder- und Jugendmusiktheaters in der Schule und der Musikschule. Zusammen mit Mechthild von Schoenebeck entstanden Verzeichnisse von Musiktheaterwerken, ausgerichtet für den potenziellen Leistungsstand an Schulen und Musikschulen.14 Reiß’ Archivarbeit mündete 2006 in die Publikation einer CD-ROM. Das Kompendium, das zusätzlich die Forschungsliteratur von 1945 bis 2004 dokumentiert, ist ein wichtiger Referenzpunkt der Forschung zum Kinder- und Jugendmusiktheater.15 Gunter Reiß publizierte aber auch zum historischen Kindermusiktheater professioneller Bühnen. In Aufsätzen wies er nach, wie die Autoren romantischer Kinderopern nach 1870 mit idealisierten Kindheitsbildern arbeiteten und welche überzeichneten, manchmal rassistischen Verzerrungen diese annehmen konnten (Reiß 1997). In diesem Zusammenhang führte Reiß den Begriff der »Doppeltadressiertheit« für das Musiktheater für Kinder und Jugendliche ein (Reiß 2004). Er meint damit die Ausrichtung des Stücks sowohl für ein kindliches als auch für ein erwachsenes Publikum. Für die vorliegende Untersuchung ist die »Doppeltadressiertheit« des Kindermusiktheaters entscheidend. Es wird darum gehen, wie eine kindliche Anmutung der Stücke auch Erwachsene erreichen soll, aber auch darum, wie Kinder mit großen Sälen umgehen, die für ein erwachsenes Publikum entworfen wurden (vgl. »Künstlerische Probleme bei großen Raumdimensionen«, S. 102). Neben Regler-Bellingers werk- und gattungsgeschichtlichen Grundlagen und Gunter Reiß’ wirkungsästhetischen Analysen liegt ab 1990 auch eine erste Monografie zum partizipativen zeitgenössischen Musiktheater vor. Heinz-Jürgen Bräuer widmete sich in seiner Dissertation Neues Musiktheater für Kinder am Beispiel des Pollicino von Hans Werner Henze (Bräuer 1990) dem vielleicht wichtigsten deutschen Kindermusiktheaterstück der 1980er-Jahre, das später ein Repertoirewerk des neuen Kindermusiktheaters werden sollte. Zum einen fordere Pollicino seine kindlichen Mitarbeiter als Solisten und Instrumentalisten zu einem anspruchsvollen Gang durch 400 Jahre Musikgeschichte

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3.  Forschungsstand: Vom Werk zur offenen Form

heraus. Zum anderen gebe es Kindern aus armen (Arbeiter-)Familien eine Chance auf gesellschaftliche Teilhabe und werte die »geistig und wirtschaftlich ausgetrocknete Gegend« um Montepulciano16 auf, für die das Stück geschrieben wurde (Bräuer 1990, 17).17 Die Studie ist mit ausführlicher hermeneutischer Analyse stark werkorientiert, öffnet aber zugleich den Diskurs zur Kulturellen Bildung. Der Zusammenhang von Musiktheater und sozialer Integration am Wohnort ist für die vorliegende Arbeit relevant und wird in »Das soziale Kunstwerk im Stadtteil« (S. 182) wieder aufgenommen.18

3.2 Forschung zum neuen Kindermusiktheater

Die neuere Forschung zum Kindermusiktheater hat einen starken Praxis­bezug. Man kann an ihr ablesen, wie sich die Entwicklungen bei den Bühnen und in der Schule gegenseitig fördern und Kindermusiktheater an gesellschaftlicher Bedeutung gewinnt. Die vorliegende Untersuchung knüpft an den Diskurs zu den Transfereffekten, zur Operndidaktik, aber auch zu dramaturgischen Fragen an.

Transfereffekte

Im Jahr 2013 erschien Andrea Grandjean-Gremmingers Oper für Kinder. Zur Gattung und ihrer Geschichte. Mit einer Fallstudie zu Wilfried Hiller. Es ist die erste Monografie zum neuen Kindermusiktheater, die sich auf die Kunstform mit professionellen Solisten und Instrumentalisten bezieht. Die Autorin versucht dem Titel entsprechend einen schwierigen Spagat, nämlich sowohl Grundsätzliches zum Musiktheater für Kinder und Jugendliche zu sagen als auch einen seiner produktivsten Komponisten und seine wichtigsten Werke vorzustellen. Im ersten Teil beschreibt Grandjean-Gremminger die Geschichte des Kindermusiktheaters von der lateinischen Schuloper bis zum heutigen Kinder­musical, stützt sich aber hinsichtlich der Bedeutung für die Praxis auf nur eine – knapp zwanzig Jahre alte – Quelle. Es handelt sich um Ulrike Wendts 1992 erschienenen Aufsatz »Die Kinderoper – Lust und Last im Deutschen Musiktheaterbetrieb« (Wendt 1992), in dem die Autorin gängige Praxisprobleme aufzählt (Sängerbesetzung, ­Finanzierung, Verkauf usw.), die zwar nach wie vor bestehen, aber – wie die vorliegende Studie zeigen soll – auch schon besondere Lösungen erfahren ­haben.

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I.  Einleitung, Fragestellung, Forschungsstand

Grandjean-Gremminger thematisiert aber auch pädagogische Strömungen und ihre Auswirkungen auf das Kindermusiktheater. Die Prägung der Kunstform durch wechselnde pädagogische Konzepte wird damit zum ersten Mal erhellend thematisiert. An die Historie anschließend versucht die Autorin theoretische Begründungen für den »anthropologischen Nutzen« von Kindermusiktheater der Gegenwart zu finden. Dieser Mehrwert reicht von der ästhetischen Erziehung über neurologische Vorteile des Musikhörens bis hin zu »Gewaltprävention durch Hörschulung«. Grandjean-Gremminger begibt sich dabei unfreiwillig in die Gefahr, ein Kunstwerk allein durch seine kognitiven Lernvorgänge zu rechtfertigen. Die Studie zeigt damit auch, wie stark die Diskussion zum Kindermusiktheater von ihrer Zweckrelevanz geprägt ist. Hinter der Diskussion um den Zweck des Kindermusiktheaters steht auch immer die Frage, was überhaupt und auf welche Weise Kinder wahrnehmen. Die Praxis ist dabei nicht frei von Zuschreibungen, z. B. dass Kinder besonders offen sind für neue Musik, weil sich in ihnen noch kein kanonisches Wissen gebildet hat. Die Forschung zum Kindermusiktheater kann dabei von der allgemeinen Musikforschung profitieren. Wilfried Gruhn betont, dass »körperliche Bewegung als Anlass und Auslöser musikalischen Verhaltens« eine »ganz zentrale Kategorie in der Musikvermittlung« darstelle (Gruhn 2017, 7). Wie ist aber der Wirkungszusammenhang von Musik-Theater? Einen ersten Schritt ist Silke Schmid mit Dimensionen des Musikerlebens von Kindern. Theoretische und empirische Studie im Rahmen eines Opernvermittlungsprojektes gegangen (Schmid 2013). Die Autorin untersucht die musikalische Wirkung von Mike Svobodas Der unglaubliche Spotz und arbeitet dabei empirisch vier der Musik zugeschriebene Eigenschaften als musikalische »Erinnerungsspuren« heraus.

Operndidaktik und Musiktheaterpädagogik

Alexia Benthaus analysiert in Oper im Unterricht aus dem Jahre 2001 die Opernpädagogik von der Nachkriegszeit bis in die 1990er-Jahre und stellt eine Öffnung in Hinblick auf die Oper fest. Ab Mitte der 1980er-Jahre nehme das Interesse am Musiktheater im Unterricht zu:19 Musikalische Partizipation komme dem Bedürfnis nach einem fächerübergreifenden, projekt- und schülerorientierten Unterricht entgegen und bietet die Gelegenheit, sich von einem veralteten Modell des konfrontativen, rein kognitiven Unterrichts zu entfernen (Bent-

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3.  Forschungsstand: Vom Werk zur offenen Form

haus 2000). Offenbar wird der »Boom« des Musiktheaters für Kinder in der deutschen Theaterlandschaft durch einen sich verändernden kulturpädagogischen Diskurs begünstigt. Dabei spielt auch die allgemeine Musicalbegeisterung in den 1980er-Jahren eine Rolle (Reiß/ von Schoenebeck 1996, 5).20 Karin Koch bringt in Kindermusiktheater in Deutschland die These ein, dass der Aufschwung des jungen Musiktheaters auch in der neuen Erlebnis- und Eventkultur begründet liege – dabei rekurriert sie nicht nur auf die Jungen Opernsparten, sondern beispielsweise auch auf die Familienmusicals der Cocomico Theatergesellschaft aus Köln, die von 1996 bis 2004 ca. sechs Millionen Zuschauer erreicht (Koch 2004). Ein gutes Beispiel für die positiven Interaktionen zwischen ­Schule und Oper ist die Szenische Interpretation von Musiktheater. Im Handbuch zu den Grundlagen (Brinkmann/Kosuch/Stroh 2013) wird die Herkunft der Vermittlungsmethode aus Wolfgang Martin Strohs Tätigkeitstheorie und dem handlungs- und erfahrungsorientierten Unterrichtskonzept erklärt.21 Schüler bekommen die Möglichkeit, sich ein Stück durch persönliche Rollenerfahrung anzueignen. Das besondere Verdienst der Szenischen Interpretation liegt darin, dass vor allem in ihrer dritten Phase22 die Musik in vielfältiger Weise als Impulsgeber für Spiel und als Bedeutungsträger für Handlungs- und Rolleninterpretation eingesetzt wird. Das Grundlagenbuch der Szenischen Interpretation ist mittlerweile um über dreißig Teilbände erweitert worden, die nicht nur im Theater, sondern auch in der Schule zum Einsatz kommen.23 Rainer O. Brinkmann übertrug die Methode ab 2001 in die Staatsoper Unter den Linden. Anne-Kathrin Ostrop, die wie Brinkmann Ko-Autorin mehrerer Teilbände ist, setzte die Methode seit 2004 an der Komischen Oper ein. Nach Pia Clodi ist die Szenische Interpretation das am weitesten verbreitete Arbeitsmittel deutschsprachiger Musiktheaterpädagogen (Clodi 2009, 71). Markus Kosuch reflektiert in seiner Dissertation Szenische Interpretation von Musiktheater – von einem Konzept des handlungsorientierten Unterrichts zu einem Konzept der allgemeinen Opernpädagogik seine Erfahrungen als Leiter der Jungen Oper Stuttgart von 1995 bis 2001. Darin ist die Szenische Interpretation von Musiktheater das zentrale Gestaltungselement (Kosuch 2004). Die methodische Aufbereitung von sieben Produktionen in exakter Dokumentation und klarer theaterpraktischer, pädagogischer wie bildungspolitischer Analyse liefert wichtige Hinweise für die vorliegende Arbeit. Kosuchs Wirken in Stuttgart liegt zwar deutlich vor dem Untersuchungszeitraum, doch wird der Blick auch auf die Gründungsphase zurückgehen. Dabei soll deut-

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I.  Einleitung, Fragestellung, Forschungsstand

lich werden, wie sich im Kindermusiktheater ein ganz neues Verständnis von Vermittlung und Teilhabe durchsetzt. In der Musiktheaterpädagogik zeigen sich gerade im Vergleich mit der Theaterpädagogik im Schauspiel aber auch deutliche Forschungsdesiderate.24 Jenseits der Publikationen zur Szenischen Interpretation fehlt es an Forschung zum Spezifikum szenisch-musikalischer T ­ heatererfahrung. Die für die Theaterpraxis wichtige Monografie über den persönlichkeitsbildenden Aspekt von Musiktheater ist noch nicht geschrieben. Wie bilden sich Kreativität, Sprach- und Singkompetenz, Fremd- und Differenzerfahrung im Prozess musikalischen Theaters?

Erzählformen

Christiane Plank-Baldaufs Handlungsbegriff und Erzählstrukturen im zeitgenössischen Musiktheater für junges Publikum aus dem Jahr 2017 gelingt die Durchleuchtung des neuen Kindermusiktheaters aus dramaturgischer Perspektive. Ein Charakteristikum sei, dass die erzählende Funktion der Musik zurücktrete oder auf den Text übergehe. Stücke wie Elisabeth Naskes Die Omama im Apfelbaum verhielten sich dabei anders als die Oper klassisch-romantischen Zuschnitts, bei der die Musik als Figurencharakterisierung und als Abbild innerer Seelenprozesse eine eigene, unsichtbar-narrative Bedeutungsfunktion behalte. Auch eine symphonische Entwicklungs- oder Leitmotivkomposition, mit der das klassische Opernorchester die Bühnenhandlung auslöse, vorantreibe oder kommentiere, würde im zeitgenössischen Kindermusiktheater zugunsten einer Musik entfallen, die an die unmittelbare Bühnensituation gebunden bleibe. Die Musik emanzipiert sich nach Plank-Baldauf erst wieder in solchen Stücken, bei denen die Klangerzeugung als szenischer Vorgang ausgestellt (»Musikalisches Theater«) und der isolierte Klang zu einem für sich selbst stehenden, sinnlichen Ereignis wird, das weniger auf Deutung als auf Sensibilisierung zielt (»Theater des Hörens«). Damit veranschaulicht Plank-Baldauf, wie sich Kompositionstechniken des neueren Musiktheaters im Kindermusiktheater wiederfinden. Vor allem postdramatische Formen, bei denen mit der Entkoppelung von Figur und Darsteller, Fabel und Inszenierung, Musiker und Klangerzeugung experimentiert wird, spielen dabei eine wichtige Rolle. Die vorliegende Arbeit schließt bei den Formen szenischen Musizierens – wie in den Inszenierungsanalysen von Der unsichtbare Vater

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3.  Forschungsstand: Vom Werk zur offenen Form

oder Das Kind der Seehundfrau – an Plank-Baldaufs Beobachtungen an. Auszuloten bleibt aber die Frage, wo die Inszenierung eines Stücks die musikalische Form bestimmt. In den jeweiligen Kapiteln der vorliegenden Arbeit wird es auch darum gehen, auf welche Weise das Werk nur Vorlage ist und sich auf den Proben vollendet.

Das Material aus der Praxis

Innerhalb der Literatur, die sich ausdrücklich mit dem Musiktheater für Kinder und Jugendliche beschäftigt, liefern die Material-, Protokoll- und Aufsatzsammlungen der Praktiker wichtige Hinweise. Eine umfangreiche Sammlung aus dem deutschsprachigen Raum gibt Isolde Schmid-Reiter 2004 heraus. Kinderoper. Ästhetische Herausforderung und pädagogische Verpflichtung versammelt Beiträge aus der gleichnamigen Tagung vom 19. bis 21. Oktober 2000, die die Europäische Musiktheater-Akademie an der Wiener Staatsoper veranstaltete. Die Beiträge stammen überwiegend von Theaterpraktikern, die über den Stand ihrer Arbeit berichten. Das Buch zeigt eine erhellende Übersicht der Praxis des neuen Kindermusiktheaters ab den 1990er-Jahren. Wichtig ist in dieser Sammlung auch der Blick ins Ausland. Die Berichte aus England und den USA (Metropolitan Opera) weisen darauf hin, dass im Jahr 2000 sowohl das Ansehen von Kinderoper besser war wie auch die Organisation im angloamerikanischen Raum wesentlich professioneller vonstattenging. Berichte aus Osteuropa weisen auf die lange Tradition von Kinderoper hin, dokumentieren aber auch, dass viele Ansätze in Zeiten des Kalten Krieges nicht zur Entfaltung kamen. Das große Moskauer Kinderopernhaus, das Natalia Saz 1964 gründete und bis zu ihrem Tod 1993 leitete, steht für eine Ausnahme. Nicht zuletzt berichten Komponisten, Librettisten, Intendanten und Pädagogen über ihre Produktionen, gegründeten Institutionen oder Vermittlungsmodelle, die allesamt davon zeugen, dass es durchgängig auch auf politischer Ebene positive Rückmeldung gibt, die einzelnen Akteure sich aber noch stärker vernetzen möchten. Der Tenor in den Praxisbeiträgen, vor allem der Spartengründer, ist inspiriert von der Neugründungsidee.25 Weitere wertvolle Materialien entstehen außerdem aus den Symposien der Komischen Oper Berlin. Beim zweiten Kongress »Leben, Kunst und das dazwischen« wird über den spezifischen Nutzen von Musikpädagogik reflektiert.26 Ein 2014 veranstaltetes Symposion fragte nach der Bedeutung interkultureller Arbeit. Der Diskurs zur Öffnung

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I.  Einleitung, Fragestellung, Forschungsstand

der Oper – nicht nur gegenüber Kindern, sondern auch gegenüber neuen erwachsenen Zielgruppen – ist für die vorliegende Arbeit entscheidend. Welche Rolle das Kindermusiktheater darin spielt, wird im Kapitel »Von den Kindern in die Stadt: Interkulturelle Öffnung« (S. 49) erörtert. Eine weitere Sammlung aus dem Bereich der Praxis liefert die Internationale Vereinigung für Kindertheater Assitej. Innerhalb des Kindertheaterverbands hat sich 2009 die AG für Musiktheater gegründet.27 Die Arbeit der Gruppe ist im Sinne des Austauschs und der Begriffsbestimmung eines zeitgenössischen Kindermusiktheaters von bundesweiter Bedeutung. Fast sämtliche Interviewpartner haben sich darin ausgetauscht. Der Musikalische Leiter des Theaters Pfütze Martin Zels beruft sich bei der Einrichtung der jungenMET explizit auf die AG (vgl. »Begriff: Musikalisches Erzähltheater«, S. 152).

Kindermusiktheater als europäisches Phänomen

Theresa Schmitz’ Arbeit aus dem Jahr 2015 ist die erste umfassende­­Studie zum Kindermusiktheater, die sich den Institutionen und ­seinem Publikum widmet. Sie trägt den Titel: L’opéra pour enfants. Une étude interdisciplinaire de la création musicale à destination de l’enfant-spectateur (Schmitz 2011). Die Autorin portraitiert eingangs drei europäische Partizipationsprojekte und ihre Institutionen an der Komischen Oper Berlin, beim Glyndebourne Festival in England und beim Niederländischen Yo! Opera Festival in Utrecht. Sie thematisiert den europäischen Aufschwung der Kunstform, die in den 1970er- und 1980er-Jahren aus England kam und sich nach und nach auf dem ­europäischen Festland etablierte. Anhand von sieben ­Stücken aus der Zeit von 2001 bis 2010 stellt sie den Umgang der Theater mit der jungen Gattung dar, dokumentiert die Verankerung in den Spielplänen und die zunehmende Vernetzung der Akteure. Erhellend sind viele ­Zitate von Organisatoren und Künstlern zu spezifischen ­Problemen des Kindermusiktheaters, in denen es u. a. um ästhetische ­Schwierigkeiten, aber auch um das negative Image von Kinderoper in der Theaterszene geht. Schmitz konstatiert, dass die Kinderoper immer noch Legitimationsprobleme bei Theaterleitern hat. Das Verdienst der Arbeit ist die Beschreibung des Kindermusiktheaters als europäisches Phänomen, das dem deutschen »Boom« vorausgegangen ist.28 Theresa Schmitz analysiert Stücke aus Deutschland, England, Frankreich, Italien und Österreich hinsichtlich

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3.  Forschungsstand: Vom Werk zur offenen Form

­ extbearbeitung, musikalischem Stil, Humor, InteraktionsmöglichT keiten, aber nur in Ansätzen hinsichtlich ihrer Inszenierung. Dabei wird auch die »Eignung« für Kinder, z. B. hinsichtlich des unmittelbaren Verständnisses seines Textes (»compréhension immediate«) oder die Doppeltadressiertheit seiner Vorlagen, thematisiert. Ein weiteres Verdienst der Arbeit ist der empirische Teil zur Wirkung von Kindermusiktheater. Schmitz schließt dabei an die oben eingeführte Frage an, wie Kinder Musiktheater wahrnehmen. In dem die Autorin 200 Antwortschreiben kindlicher Besucher auswertet, kommt sie zu dem Schluss, dass Kindern die Geschichte einer Oper am w ­ ichtigsten sei. Erst danach komme die Inszenierung und zum Schluss die ­Musik.29 Schmitz Studie zeigt, wie ertragreich es ist, das grundsätzlich wenig bearbeitete Feld von mehreren Seiten anzugehen. Deutlich wird der europäische Einfluss auf das Kindermusiktheater in Deutschland, zeigt aber auch, wie stark sich die französische, belgische, englische oder italienische Theaterlandschaft von der deutschen unterscheidet.

3.3 Fazit: Kulturpolitische Rahmenbedingungen als Forschungsdesiderat

Es ist deutlich zu erkennen, dass die deutsche Theaterlandschaft im Spannungsfeld von Stadttheater, Freier Szene und soziopädagogischem Umfeld noch nicht in den Blick genommen wurde. Auch die Frage nach den Wechselwirkungen von kulturpolitischen Rahmenbedingungen und künstlerischer Produktion bedarf der Erörterung. Das Forschungsgebiet des deutschen Theatersystems eröffnet dem Forscher ein weites Feld. Die wachsende Attraktivität der Kunstform in der Praxis und das steigende Interesse am Kindermusiktheater begünstigen die Studie. Ein unbearbeitetes Forschungsfeld mit vielen Primärquellen bedarf aber auch der vorsichtigen Untersuchung. Erst­ erhebungen entbehren der Informationsfülle, aber auch des breiten wissenschaftlichen Diskurses, die späteren Forschern zugutekommen werden. Das Kindermusiktheater als zeitgenössische Kunstform mit all ihren ästhetischen, gesellschaftlichen und organisatorischen Implikationen verlangt nach präziser wissenschaftlicher Begleitung. Das erste Betreten des Forschungsfelds bedarf der Nachfolger, die die ­Ergebnisse der Vorgänger kritisch in Augenschein nehmen und das Wissensgebiet erweitern.

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I.  Einleitung, Fragestellung, Forschungsstand

3.4 Exkurs: Kinderoper im 19. Jahrhundert und der Erfolg von Hänsel und Gretel

Engelbert Humperdincks 1893 uraufgeführte Oper Hänsel und Gretel wurde zum stilprägenden Erfolgsmodell der romantischen Märchenoper und hat sich bis heute in den Spielplänen gehalten. Über keine andere »Kindermärchenoper«30 ist so viel geschrieben worden.31 Die Entwicklung vom Kinderstubenweihfestspiel – wie Humperdinck seine Liedfassung mit ironischem Seitenblick auf Wagners Parsifal zunächst nannte – zur Märchenoper, wurde genau dokumentiert.32 Humperdinck verfasste die Lieder zu einem frühen Singspiel-Libretto seiner Schwester Adelheid Wette für den privaten Gebrauch und hatte dabei die Kinder der Familie im Blick. Wette schrieb die Fassung nicht alleine, sondern ließ sich zu einem Gutteil von ihrem Mann Hermann helfen, der bereits mehrere Libretti verfasst hatte. Beide zogen nicht nur die Hänsel und Gretel-Version der Brüder Grimm, sondern auch die Ludwig Bechsteins heran. Wahrscheinlich geht auf Adelheid der Umstand zurück, dass manche Scharfkantigkeit der Vorlage abgerundet wurde. So werden die Kinder nicht im Wald ausgesetzt, sondern von ihrer Mutter aus einer Überforderungssituation heraus in den Wald geschickt, wo sie sich am Abend verlaufen, ohne wie bei Grimm durch Legen einer Spur aus Brotkrumen oder Kieseln zunächst nach Hause zurückzufinden. Adelheid verzichtete auf den krassen, bei Grimm geschilderten Verrat der Eltern aus »mütterlichem Empfinden«33. Auch die Genese von Hänsel und Gretel ist ein Beispiel dafür, wie das Werteempfinden und der Theaterbegriff ihrer Schöpfer die künstlerische Produktion bestimmen. Die Entstehung der Gattung der »Kindermärchenoper«, die Humperdinck in den 1890er-Jahren erlebt hat, entsteht unter ungewöhnlichen kulturpolitischen Rahmenbedingungen. Man kann daran ablesen, wie stark die Gattung an ihre strukturelle Umgebung gebunden ist und wie eng Kunst und Politik in der Kinderoper miteinander verknüpft sind. Die drei Faktoren, die die Struktur der romantischen »Kindermärchenoper« prägten, seien hier kurz vorgestellt: Das weihnachtliche Kindermärchenspiel mit Musik: Ausschlaggebend für die Entstehung von »Kindermärchenopern« ist weniger ein ästhetisches oder pädagogisches Desiderat, sondern eine neue Bewegung des Marktes, welche durch eine politische Entscheidung bedingt war: 1869 wurde die Gewerbefreiheit auch für den Theaterbetrieb erlassen.

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3.  Forschungsstand: Vom Werk zur offenen Form

»Die Einführung der Gewerbefreiheit im Bereich des Norddeutschen Bunds […] stellt Theater allen Gewerbebetrieben gleich«, was zu zahlreichen, »häufig kurzlebigen« Neugründungen führte (Brauneck 2007, 112).34 Der plötzliche Konkurrenzdruck hatte zur Folge, dass Kinder als potenzielle Zielgruppe Bedeutung erhielten. »Aus pädagogischen Gründen fanden besonders Märchenstoffe Anklang, die bevorzugt als weihnachtliche Ausstattungsstücke aufgeführt wurden« (Meier 1999, 107). Für die ausgewiesenen Kindervorstellungen entstanden zahlreiche Märchenbearbeitungen, die in der Regel als »Märchenspiele mit Liedeinlagen« (Meier 1999, 107) auf die Bühne kamen. In seinem Buch Von der Komödie für Kinder zum Weihnachtsmärchen weist Manfred Jahnke genau diesen Zusammenhang nach. Sein Buch ist in der Umfänglichkeit seiner Fragestellung ein Unikum, denn es untersucht die zielgruppenorientierte Spielplanpolitik der Häuser (Jahnke 1977). Allerdings fokussiert Jahnke dabei vor allem das Schauspiel. Den Übergang von den weihnachtlichen »Kindermärchensingspielen« zur durchkomponierten »Kindermärchenoper«, auch in Bezug auf die Auftragslage der Opernhäuser, bleibt eine lohnende theaterhistorische Forschungsaufgabe. Es könnte sich dabei herausstellen, dass das heutige Weihnachtsmärchen, das in der Regel von der Schauspielsparte aufgeführt wird, stärker in der Singspieltradition verhaftet ist.35 Die Märchenoper für Erwachsene: Ästhetisch ist die romantische »­Kindermärchenoper« ein Teil der Märchenoperbewegung, die genauso ein erwachsenes Publikum im Blick hatte. Zum Märchen auf der Opernbühne ist oft eher literatur- als musikwissenschaftlich publiziert worden.36 Susanne Meiers Buch Liebe, Traum und Tod: die Rezeption der Grimmschen ›Kinder- und Hausmärchen‹ auf der Opernbühne sticht aus allen Studien hervor, weil sie sowohl die Tradition der Zauberoper als auch die Neuerungen der romantischen Märchenoper beschreibt, zu der auch die »Kindermärchenoper« gehört37: Die Zauberoper passte wegen ihrer fantastischen Vorgänge (»Feenhandlung«), ihre fremde Welten und ferne Länder einbeziehenden Schauplätze und wegen ihrer bunten, oft exotischen Figuren gut in das barocke Operntheater mit seinen pompösen Verwandlungsmöglichkeiten. Ganz anderes hätten die Komponisten des späten 19. Jahrhunderts im Sinn gehabt, die auf die Hausmärchen der Brüder Grimm zurückgriffen. Diese Märchen dienten als begehrte Librettovorlagen, weil sich in ihren übersinnlichen Vorgängen ein für die romantische Oper konstitutives Element wirkungsmächtig ausdrücken ließ: Es ging im Vergleich zum Barock-

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I.  Einleitung, Fragestellung, Forschungsstand

theater nun um »verinnerlicht« dargestellte Sehnsucht, um das Wunderbare, um Träume, um Transzendenz und um ein volkstümliches Kolorit. Zwischen der Märchenoper für Erwachsene und der »Kindermärchenoper« bestehen starke ästhetische Gemeinsamkeiten. In beiden Gattungen suchten die Autoren nach Einfachheit, nach klaren Parabeln, nach Verständlichkeit und nach einem »Volkston«, der sich, so wie die Grimm’schen Hausmärchen, an Junge wie Alte richten sollte.38 Die Ästhetik der doppelt adressierten »Kindermärchenoper« liefert hinsichtlich des Spannungsfelds von Zugänglichkeit und Komplexität (Dramaturgie, Musik), Realismus und Idealisierung (soziale und religiöse Interaktion) sowie zur Debatte über vermeintlich kindliche und erwachsene Wertvorstellungen bereits wesentliche Kriterien zur Betrachtung des neuen Kindermusiktheaters. Die Gemeinsamkeiten betreffen aber nicht die hermeneutischen Aspekte, sondern auch den Rezeptionsvorgang. Die Kompositionsweise von Kindermärchenopern ist in der Regel noch von der Überwältigungsdramaturgie des späten 19. Jahrhunderts geprägt. Doch die Komponisten der »Kindermärchenoper« versuchen mit ihr eine Rezeptionshaltung zu stimulieren, die man als kindlich bezeichnen möchte, weil sie unbedingte Einfühlung in die Figuren, Empfänglichkeit für übersinnliche Vorgänge und ehrliches Staunen über die Magie des Musiktheaters voraussetzt. Dies gilt nicht nur für Kinder, sondern auch für Erwachsene, bei denen sozusagen das innere Kind angesprochen werden soll. Kindermärchenoper ist damit auch ein Experiment eines »kindlichen Erfahrens« beim gesamten Publikum. Kinder und Erwachsene sollen nicht nur dieselbe äußere, sondern dieselbe innere Erfahrung teilen. Das rettende Etikett in der Wagner-Nachfolge: Als 1885 Alexander ­Ritters Der faule Hans die Produktion vieler weiterer Märchenkompositionen auslöste, spielte aber noch ein anderer Aspekt in die Erfolgsgeschichte der Märchenoper hinein. Eine nicht unwichtige Motivation für »Kindermärchenopern«-Komponisten lag ironischerweise darin, dass sie die Kompositionsweise Richard Wagners weiterführten, sich aber gleichzeitig durch die neue, »kindliche« Gattung auf einem Feld bewegen konnten, das wenigstens äußerlich einen schützenden Abstand zum Großmeister bot. Damit wurde die »Kindermärchenoper« zu einem Spielfeld für Komponisten, die sich sowohl ihre Gefolgschaft zu Wagner vorwerfen lassen mussten und gleichzeitig wegen ihres kindlich geprägten Sujets belächelt wurden. Besonders Richard

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3.  Forschungsstand: Vom Werk zur offenen Form

­ agners Sohn Siegfried stand mit seinen zahlreichen Märchenopern W in diesem Konflikt. Es bedurfte einer kulturpolitischen Weichenstellung (Gewerbefreiheit) und einer stofflichen und musikalischen Tradition als ästhetischer Grundlage (Märchenoper). Aber erst durch den durchschlagenden Erfolg von Hänsel und Gretel acht Jahre nach Der faule Hans erfuhr die »stoffliche Mode« endgültig internationale Anerkennung und etablierte »das Kindermärchen endgültig auf der Opernbühne« (Meier 1999, 9). Bis heute gibt Hänsel und Gretel Anlass, über die Wirkungsmacht inszenierter Kindheitsbilder zu reflektieren. Es ist offensichtlich, dass die »Kindermärchenoper« gesellschaftliche Wertvorstellungen der ­Eltern im Blick hatte (Reiß 1997). Man muss aber zugleich zugestehen, dass es Humperdinck/Wette als einem der ersten Autorenteams gelang, eine große Oper aus kindlicher Perspektive erzählen. Alle Sorgen (Hunger), Freuden (Kinderlieder) und Abenteuer (Verlaufen im Wald) werden aus der Sicht der Geschwister erlebbar. Ein junges Publikum hat die Möglichkeit, sich vom ersten Auftritt an mit den Protagonisten zu identifizieren und zu genießen, dass sich die Helden aus eigener Kraft aus den Fängen der Hexe befreien ­können. Durch das große romantische Orchester bietet die Oper gerade an den Stellen, in denen die Musik zum Handlungsträger wird (wie z. B. in den Kinderliedern oder beim Abendsegen), Momente von unbeschwerter, behüteter Atmosphäre, eine sehnsuchtsvolle Ahnung davon, dass es keinen Riss zwischen Eltern und Kindern, Erwachsenen und Gott, Mensch und Natur gibt. Durch die Verwendung »alterhergebrachter« Kinderlieder und dem barock anmutenden, leitmotivisch zentralen Choral »Wenn die Not aufs Höchste steigt, Gott der Herr die Hand uns reicht« rückt Humperdinck dieses Bild in eine vergangene märchenhafte, »alte« Zeit. Was dem heutigen Betrachter als Idealisierung ins Auge springt, muss sich aber auch aus der historischen Perspektive betrachten lassen. Hänsel und Gretel ist vielleicht deswegen so erfolgreich, weil darin Realitäten wie Armut, Hunger und häusliche Gewalt angesprochen werden, die für Kinder wie für Erwachsene gleich relevant waren (und sind). Umgekehrt ist die Überwindung der sozialen Lage und die Lösung des Familienkonflikts eine Utopie für Kinder wie für Erwachsene gleichermaßen. Hänsel und Gretel ist also nicht nur ein Kinderstück im Gewand der großen Oper, sondern auch eine der ersten Familienopern mit einer erweiterten Zielgruppe, deren gemeinsames Harmoniebedürfnis sich an Weihnachten besonders gut stimulieren lässt.

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I.  Einleitung, Fragestellung, Forschungsstand

Die allermeisten »Kindermärchenopern« sind von den Spielplänen verschwunden. Auch Humperdinck selbst gelang es nicht, mit anderen Kindermärchenopern an seinen ersten großen Erfolg anzuknüpfen. Es ist womöglich das richtige Maß an Realismus und Idealismus, das die Oper bis heute so erfolgreich macht. Hinzu kommt eine Partitur, die opernhaft genug ist, um ein kulturerfahrenes Erwachsenenpublikum zu befriedigen und dabei so genau in der Zeichnung der Figuren ist, dass Kinder sie wie selbstverständlich akzeptieren. Was es bedeutet, dass bis jetzt keine vergleichbar erfolgreiche »Weihnachtsoper« geschrieben wurde, was der Erfolg der Oper über das Rezeptionsverhalten seiner Zuschauer sagt und was Hänsel und Gretel wiederum über tradierte Vorstellungen eines gelungenen Weihnachtens preisgibt – all das bedarf der weiteren Forschung.

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II. Kulturpolitische Rahmenbedingungen im Stadt- und Staatstheater 1. Die Dominanz der Institution

Oper im Stadt- und Staatstheater ist eine über Jahrhunderte gewachsene Organisationsform, in denen die Zielgruppe Kinder lange Zeit ­keine und selbst in der Hochphase der Kindermärchenoper nur kurz eine Rolle spielte. Wie positioniert sich die Kinderoper mit ihrem Zielpublikum, ihren besonderen ästhetischen und partizipativen Formaten in einer Umgebung, deren Besucher seit jeher Erwachsene waren? ­Welche Konsequenzen hat es, dass ein Opernhaus, das sich grundsätzlich nach dem Abendspielplan richten muss, nun ein Kindermusiktheater hervorbringt? Das kommende Kapitel spannt einen Bogen von den vergangenen Bestimmungen der Oper bis zur Gegenwart und ordnet das Kindermusiktheater darin ein. Zentrale Konflikte, denen das Kindermusiktheater noch heute ausgesetzt ist, haben Ursachen in der historischen Entwicklung des Musiktheaters im Stadt- und Staatstheater. Vor diesem Hintergrund sollen sowohl der Aspekt der Führung (»Die Intendanz«), der Arbeitsorganisation (»Arbeitsteiligkeit und Hierarchie«) als auch die Spielplanstruktur (»Kanon der Meisterwerke«) beleuchtet werden. Im zweiten Teil des Kapitels geht es darum, wie die festen Strukturen der Oper ab den 1990er-Jahren problematisiert und gelockert werden (»Kindermusiktheater und gesellschaftlicher Wandel«) und welche kulturpolitischen Funktionen das neue Kindermusiktheater ­ übernimmt (gegen »Publikumsschwund« und für »­Kulturelle Bildung« und »Interkultur«). Erst vor diesem Hintergrund kann man ermessen, was die Neugründungen Mitte der 1990er-Jahre bedeutet haben. Die Junge Oper Stuttgart war eine von ihnen. Am Schluss des Kapitels wird der Blick in deren Gegenwart und in die Gegenwart des Badischen Staatstheaters Karlsruhe gelenkt. Diskutiert werden ihre gegensätzlichen Modelle, Kindermusiktheater zu integrieren (»eigenständige ­Abteilung« und »integriertes System«) und wie die Politik dies unterstützen könnte (»Möglichkeit eines neuen ­Modells Baden-Württemberg?«).

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II.  Kulturpolitische Rahmenbedingungen im Stadt- und Staatstheater

1.1 Intendanz: Hauptverantwortung im Gründungsprozess

Das deutsche Stadt- und Staatstheater verdankt seine Vielfalt den Fürstentümern des 18. Jahrhunderts, in denen die Theater dem Landesherrn unterstellt waren und dieser im Aufführungsprozess leibhaftig auf der Bühne oder im Zuschauerraum präsent war. Da die dem höfischen Fest eng verbundene Oper einen Ort darstellt, um Öffentlichkeit herzustellen und zu kontrollieren, war der Landesherr geradezu darauf angewiesen, dieses entscheidende Kommunikationsmedium persönlich oder zumindest durch Stellvertreter zu lenken. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts zerfiel die Personalunion von politischem und künstlerischem Oberhaupt des Theaters; Städte wie Frankfurt stellten ihre eigenen Theaterleiter auf, um die Bühnen in städtischer Trägerschaft zu verantworten. Trotzdem bleibt die Position des Intendanten bis ins 21. Jahrhundert vor allem in Bezug auf das künstlerische Programm, die Finanzierung und die P ­ ersonalpolitik eine Stellung, in der sich entscheidende Verfügungsgewalt bündelt. Die großen Befugnisse erlauben dem Intendanten, gerade in der Anfangsphase einer neuen Leitung, das Team neu zusammenzustellen, das zur Verfügung stehende Geld nach neuen künstlerischen Ideen einzusetzen, einen eigenen Spielplan zu kreieren, Sparten zu gründen oder abzuschaffen, kurz: die Organisationsform so zu ändern, dass sie für sein Verständnis von Theater entsprechend eingerichtet ist. Der Titel Intendant zeugt noch von der weit über das Künstlerische hinausgehenden Gesamtverantwortung eines Bühnenleiters. In den Niederlanden oder Frankreich wird meist vom Künstlerischen Leiter gesprochen (Gerhard 2016, 71). Weil der Intendant persönlicher Vertragspartner seiner künstlerischen Mitarbeiter ist und sich auf Basis des Normalvertrags Bühne im Regelfall binnen eines Jahres von ihnen trennen kann, wird die Position des Bühnenleiters immer wieder mit seiner feudalistischen Herkunft des »Oberaufsehers« (ebd.) in Verbindung gebracht.39 Dieser Umstand ist nicht nur hinsichtlich des Kindermusiktheaters genau zu hinterfragen. In der Tat liegt in der Konzentration seiner Verantwortlichkeiten die Möglichkeit, dass persönliche Entscheidungskriterien künstlerische, organisatorische oder finanzielle Notwendigkeiten überwiegen. Zum Problem kann es auch werden, dass es kaum Regulative aus den Trägerschaften gibt, die ein Haus im Prozess schwerer Konflikte begleiten.40 Ihr Einschreiten erfolgt meist erst durch die Nichtverlängerung des Intendantenvertrags, was nichts an der Art des Intendanten ändern muss, seine Verantwortlichkeiten wahrzunehmen, und was auch das Führungssystem von

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1.  Die Dominanz der Institution

Theater nicht verändert. Besonders problematisch ist die Position des Intendanten, wenn sie mit einem Führungsstil zusammengeht, der als respektlos und autoritär empfunden wird.41 Dagegen stehen jedoch die Zwänge, die aus der Beschaffenheit des Theaters selbst erwachsen. Anders als es im öffentlichen Diskurs den Anschein erwecken mag, resultiert ein starkes Führungsverhalten nicht nur aus persönlichen Motiven des nach langem Durchschreiten der Theaterhierarchien an die Spitze einer Kulturinstitution ­gekommenen Leiters, sondern grundsätzlich auch aus dem Apparat. An der Produktion einer Oper sind die unterschiedlichsten Berufsgruppen beteiligt, die in unterschiedlichen Vertragsverhältnissen ­organisiert sind. Es wird mit unterschiedlichen künstlerischen, organisatorischen und finanziellen Interessen an einem Produkt gearbeitet, das sich hinsichtlich Partitur, Produktionsteam und Ressourcen immer neu zusammensetzt und permanent nach Entscheidungen ­verlangt. Vor dem Hintergrund der Dynamik der Organisationsform des Theaters nach innen, aber auch als öffentliche und permanent unter medialer Beobachtung stehende Institution nach außen, steht die Position des Intendanten darüber hinaus in hoher gesellschaftlicher Verantwortung. Von außen auf die Institution geblickt, ist es in aller Regel weniger das Spartenleiterteam, sind es weniger die Mitarbeiter und Gäste eines Hauses, die für Erfolg oder Misserfolg verantwortlich gemacht werden, als alleine der Intendant, dessen Vertragsverlängerung an den künstlerischen und finanziellen Erfolg gebunden ist. Aus diesem Blickwinkel scheint es nachvollziehbar, dass der Intendant in der Lage sein muss, Personal und Ressourcen zu kontrollieren, wie es seiner Gesamtverantwortung entspricht. Zu befragen wären also nicht so sehr die strukturellen Schwierigkeiten der Position des Bühnenleiters, die sich durch öffentliche Interpretation von Persönlichkeitsstrukturen herleitet, sondern vielmehr die gesamten kulturpolitischen Rahmenbedingungen, die für den Intendanten ein derart disparates Arbeitsfeld darstellen und die dafür sorgen, dass eine kollektive Kunst in einer Arbeitsform organisiert ist, bei der sich die Entscheidungsbefugnisse in einer Person konzentrieren.42 Ausnahmen an Mehrspartenhäusern wie dem Nationaltheater Mannheim, wo mehrere Spartenintendanten die Position des Generalintendanten abgelöst und Verantwortung unter sich aufgeteilt haben, mögen ein Beispiel dafür sein, dass die Bündelung von Befugnissen auch funktionierende Alternativen kennt.43

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II.  Kulturpolitische Rahmenbedingungen im Stadt- und Staatstheater

Die permanente Wiederholung von sogenannten Repertoirestücken hat auch einen Grund darin, dass die Vertragslaufzeiten für Intendanten noch immer stärker von Publikumszahlen als von künstlerischen Ergebnissen abhängig sind. In der öffentlichen Wertung wird vom Intendanten also immer noch eine Aufgabe verlangt, die einen inneren Widerspruch birgt und deswegen nur in den seltensten Fällen für alle Seiten befriedigend gelingt: einen Spielplan zu produzieren, der künstlerisch innovativ und zeitgenössisch ist (Uraufführungen, Wiederentdeckungen, musiktheatrale Experimente usw.) und zugleich eine Menge an Stammzuschauern zu halten, die durch das Spielen von Repertoirestücken erreicht werden. Oft sorgt der Zeitpunkt einer möglichen Vertragsverlängerung bereits zwei Jahre nach Amtsantritt für zusätzlichen Druck. In dieses höchst komplexe Aufgabengebiet kommt seit den 1990er-Jahren das im Stadt- und Staatstheater institutionalisierte Kindermusiktheater hinzu. Für den Leiter einer traditionell auf den Abendspielplan ausgerichteten Institution, in der das Kindermusiktheater noch nicht verankert ist, liegt hier eine große Verantwortung. Die meisten Intendanten, die ein Kindermusiktheater gründen, sind weniger von der Tätigkeit in einer Kindertheatersparte, sondern von ihrer Arbeit als künstlerische Leiter der großen Bühne und des überwiegend erwachsenen Publikums geprägt. Da der Intendant in der Gewichtung der Ausrichtung und ihrer ressourcenmäßigen wie organisatorischen Konkretisierung entscheidungsbefugt ist, muss vor allem im Gründungsprozess die Motivation des gestaltenden Intendanten für das Kindermusiktheater befragt werden. Welchen ästhetischen, gesellschaftlichen oder pädagogischen Zweck soll das Kindermusiktheater für das Haus erfüllen? Welche Organisationsform wählt ein Intendant dafür? 44

1.2 Arbeitsteilung und Hierarchie: Einschränkung und Chance

Das Stadt- und Staatstheater wird nicht nur durch die Position ihres Leiters und seines Führungsverhaltens, sondern genauso durch die Mitarbeit vieler Menschen in der Vorbereitung (Bühnen- und Kostümbildner, Handwerker in den Werkstätten, Studienleiter und Repetitoren usw.) und im Aufführungsprozess (Orchester, Chor, Solisten, Tänzer, Statisten usw.) bestimmt. Diese Organisationsstruktur erfordert arbeitsteilige Prozesse, die in ihrer Anfälligkeit für Interessens- und Ressourcenkonflikte wiederum starker Steuerung bedürfen. Auch hier

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1.  Die Dominanz der Institution

will bedacht werden, dass die vorindustrielle, in ihren zentralen Punkten von Menschenhand hervorgebrachte Kunstform im absolutistischen Umfeld entwickelt wurde und im 19. Jahrhundert, als in vielen Städten die Oper das Zentrum einer bürgerlich geprägten Kunst- und Gesellschaftsform bildete, weitgehend unverändert fortexistierte. Bis ins 21. Jahrhundert hält sich die überkommene Prozessgliederung. Nach wie vor muss die Oper die unterschiedlichsten Berufsgruppen koordinieren. Die Trennlinien laufen dabei nicht nur horizontal zwischen den Aufgaben, sondern auch vertikal zwischen den Positionen. Klar hierarchisierende Titel spiegeln die Idee einer exakten Einteilung von Rang und Weisungsbefugnis.45 Dieses Gebilde birgt die Möglichkeit, einen immer von Interessenskonflikten bestimmten Bereich steuerbar zu machen. Dabei besteht die Gefahr, dass ästhetische, administrative oder kommunikative Grundlinien nicht zwingend im Team entwickelt, sondern vom Intendanten vorgegeben und von den Mitarbeitern lediglich umgesetzt werden müssen. Welche Konsequenzen hat diese Arbeitskultur für das Kindermusiktheater?

1.3 Kanon der Meisterwerke: Blockierende Reproduktions­mechanik?

Die Oper hat sich ab Mitte des 19. Jahrhunderts von einem Uraufführungs- zu einem Repertoirebetrieb entwickelt. Heute liegt die Zahl der Uraufführungen unter zehn Prozent (Deutscher Bühnenverein 1990 bis 2016). Der Kanon der meistgespielten Stücke enthält dabei hauptsächlich Opern des 19. Jahrhunderts (Giuseppe Verdi, Richard Wagner, Giacomo Puccini) sowie Opern Wolfgang Amadeus Mozarts nach Libretti von Lorenzo Da Ponte sowie Mozarts Die Zauberflöte.46 Für das frühe 20. Jahrhundert stehen die Werke Richard Strauss’ sowie diejenigen der Zweiten Wiener Schule (Alban Berg, Arnold Schönberg) und osteuropäischer Komponisten (Leoš Janáček) auf dem Programm. Kein nach 1945 geschriebenes Opernwerk erreicht die gleichen Aufführungszahlen wie die beliebtesten Werke des 19. Jahrhunderts.47 In der Herausbildung des Repertoires hat es aber seit jeher auch Gegenbewegungen gegeben. Zu nennen ist hier beispielhaft die Zeit des musiktheatralischen Experiments zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Zeitgenössische Werke richteten sich gegen die klassisch-historische Ausstattungsidee großer Opern, ihre finalkausale Dramaturgie und ihren Hang zur (wagnerianischen) Mystik, zu Verklärung und zum ­ indemith, ­Nationalismus.48 Alltagsgeschichten der Zeitoper (Paul H Arnold Schönberg), politisches Musiktheater (Kurt Weill, Ernst ­

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II.  Kulturpolitische Rahmenbedingungen im Stadt- und Staatstheater

­ renek), parodierende und dadaistische Stücke (Bohuslav Martinů) K oder Bühnenwerke, die sich nicht nur Themen und Geschichten aus entfernten Kulturen anverwandelten, sondern auch deren Musik und Dramaturgie übernahmen49, verliehen der Gattung neue Impulse. Trotzdem sind diese Werke nicht zu neuen Repertoirestücken geworden. Die großen zeitgenössischen Opern vor dem Krieg haben grundsätzlich nicht zu einer Veränderung ihrer Produktionsbedingungen geführt, wie es ihre ästhetischen Innovationen vermuten lassen würden. Die viel gespielten Komponisten des 20. Jahrhunderts, wie Schönberg, Berg oder Janáček, irritieren zwar die Hörgewohnheiten eines am klassisch-romantischen Repertoire orientierten Publikums, doch sind ihre Werke grundsätzlich für den »Apparat« geschrieben, der die Opern des 19. Jahrhunderts reproduzieren kann. Sie müssen in die Architektur der Häuser und ihrer Bühnen »passen« und mit den zur Verfügung stehenden Mitteln (Sänger, Orchester, Chor) umzusetzen sein. Die Dimensionen der Produktion sind durch die Länge der Stücke und der zu »bedienenden« Kollektive groß, dürfen aber nicht zu groß sein. Diese äußeren Bedingungen bestimmen auch die künstlerische Entwicklung. Beispielsweise wurden Anfang des 20. Jahrhunderts erste Konventionen zur Erwartung an ein realistisches Bühnenbild im Musiktheater gebrochen (Adolphe Appia, E ­ dward Gordon Craig), doch änderte dies grundsätzlich nichts an dem immer noch starken personellen und ausstattungsmäßigen Aufwand. Bis heute bleiben Werke, die so aufwendig sind, dass sie den sechs- bis achtwöchigen Probenbetrieb und die durchschnittlich zu erbringenden Ressourcen eines deutschen Stadt- und Staatstheaters sprengen, die Ausnahme.50 Selbst Wagners Der Ring des Nibelungen fügt sich – in seine vier Teile getrennt und als vier einzelne Opernwerke aufgeführt – in das Schema ein. Die Frage, ob das Musiktheater nach dem Krieg in gleicher Weise zu einem Selbstverständnis zurückgefunden hat, das den neuen Formen Raum gibt, ist für die Zeit nach dem Wiederaufbau nicht leicht zu beantworten. Einerseits war die Phase des Neubeginns von schwierigen Produktionsbedingungen und einer Tendenz zu einem klassisch-romantisch ausgerichteten Spielplan geprägt, andererseits wurden aber bereits ab den 1950er-Jahren auch Uraufführungen zeitgenössischer Komponisten gespielt. Erinnert sei in diesem Zusammenhang auch an die Verankerung des Kunstfreiheitsparagrafen im 1949 verabschiedeten Grundgesetz51 und dem Bekenntnis zur Kulturförderung in bundesrepublikanischen Landesverfassungen, der Theatern in Hinblick auf zeitgenössische Musik eine neue rechtliche, gesellschaftliche und finanzielle Basis gab. Auch wenn das Musiktheater

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nach dem Krieg ein repertoiredominierter Produktionszusammenhang blieb, spielten darin zeitgenössische Kompositionen wie die ­eines Dmitri ­Schostakowitsch oder eines Hans Werner Henze eine maßgebliche Rolle (Deutscher Bühnenverein 1970).52 Auch die Aufführungstradition im unterhaltenden Bereich des Musiktheaters veränderte sich. Hatte die Opernbühne, vor allem bis zum Zweiten Weltkrieg, einen Spielplanschwerpunkt in der Operette und hatten viele Häuser oft ein zweites für die Aufführungen von Operetten zuständiges Ensemble, ging deren Produktion in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts zurück und machte vielerorts den Aufführungen von Musicals Platz.53 Bei diesem Genre waren neue technische Einrichtungen (Mikroportierung, finale Abmischung) und neue Instrumente (E-Gitarre, E-Bass) für das klassische Sinfonieorchester vonnöten. Der Publikumserfolg von Musicalproduktionen auf Opernbühnen kann nicht über die Unterschiede der Gattungen hinwegsehen lassen und über die Schwierigkeit – vor allem für klassisch ausgebildete Sänger –, mit einem Genre umzugehen, das die Anpassung der Stimme auf ein Mikrofon sowie Show-Tanz erfordert. Auch stellt sich bei Musicalproduktionen auf der Opernbühne immer wieder die Frage nach dem vermeintlichen Gegensatz zwischen Kunst und Unterhaltung sowie deren Berechtigung zur öffentlichen Förderung. Das Problem der Gattungstauglichkeit von Musicals im Opernhaus und ihrer kulturpolitischen Problematik außer Acht gelassen, experimentiert das Musiktheater in diesem Bereich aber bis heute mit neuen Formaten. Mit Musicals erprobt die Oper neue Ausdrucks- und Arbeitsbereiche. Die Frage nach der Veränderbarkeit von Arbeit und Organisation im Stadt- und Staatstheater zu Gunsten neuer Formate des Kindermusiktheaters muss sich auch vor dem Hintergrund solcher Lernerfahrungen betrachten lassen. Das Repertoiresystem ist ein sich selbst konsolidierender Kreislauf: Auch neue Werke, die später womöglich ins Repertoire eingehen, müssen für ihre Uraufführung zunächst für den bestehenden Betrieb geschrieben werden und seine Bedingungen erfüllen. Wie soll ein Kindermusiktheater auf der großen Bühne entstehen, das sein Publikum in seiner Lebenswelt, in seinem Erfahrungshorizont, in seinen höchst eigenen Mitteln ein Kunstwerk zu verstehen, »abholen«, wenn es gezwungen ist, die Mittel des Apparats zu benutzen, der darauf spezialisiert ist, Repertoirestücke für Erwachsene zu spielen? In Bezug auf die Repertoireorientierung des Abendspielplans scheint das Kindermusiktheater also vor einer doppelten Schwierigkeit zu stehen, nämlich zum einen in der Kategorie des »Nicht-Repertoire-Werks«,

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II.  Kulturpolitische Rahmenbedingungen im Stadt- und Staatstheater

ähnlich den gattungssprengenden und experimentellen Werken der Vergangenheit, in einer Art Opposition zum Repertoire zu stehen. Zum anderen läuft es Gefahr, wenn es denn einmal seinen Platz auf der großen Bühne erobert hat, in seiner ästhetischen Form und in Bezug auf die Publikumsansprache eine ganz ähnliche Anmutung zu haben wie eine Produktion des Abendspielplans, weil es unter den gleichen Bedingungen hergestellt wurde.

1.4 Abonnentensystem und Sängerausbildung als Stützen des ­Repertoiresystems

Das Repertoire wird auch durch die Publikumsstruktur und durch die Ausbildungssituation von Sängern und Musikern bestimmt. Die Verkaufspolitik der »Saalmiete« erwies sich bereits im 19. Jahrhundert als Regulativ von Produktionsprozessen. Solange die Absprache zwischen Theater und Abonnement eine Anzahl von etwa sieben Premieren und drei Wiederaufnahmen pro Spielzeit mit etwa sechswöchigen Abständen zueinander vorsieht, erlaubt der Premierenrhythmus bis heute keine großen Veränderungen mehr. Längere Probenzeiten für arbeitsaufwendige Uraufführungen sind bereits problematisch. Die oft dichte Folge von Neuproduktionen begünstigt umgekehrt die Entscheidung für Repertoirestücke, weil diese – wenn nicht gar schon einmal vor Jahren einstudiert und deswegen noch bei den fest angestellten Kollektiven Chor und Orchester präsent – in ihren Anforderungen viel überschaubarer sind. Gleichzeitig ist die im Voraus für die gesamte Spielzeit geplante und vom Zuschauer bezahlte Vormiete eine wichtige Basis, um Schwankungen im freien Verkauf auszugleichen. Das Abonnement unterstützt damit auch ein Alleinstellungsmerkmal des Stadt- und Staatstheaters, nämlich nicht nur das Interesse an einer einzelnen Inszenierung und an einem einzelnen Gaststar zu befriedigen, sondern auch dem Bedürfnis entgegenzukommen, am Leben eines Hauses, an seinen Ensembles und an seiner öffentlichen Kommunikation teilzuhaben. Durch das Abonnementsystem werden aber auch Geschmack und Vorlieben gebildet. Immer noch setzen die »Meisterwerke« von Komponisten des 19. und 18. Jahrhunderts Maßstäbe. Jede Uraufführung und jede experimentelle Produktion muss sich des unmittelbaren Vergleichs aussetzen. Die Werke des Repertoires sind dabei hinsichtlich ihrer musikalischen Differenzierung, der Charakterisierung ihrer Rollen, der Wirkungsdramaturgie ihrer Nummern usw. in der

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Regel von besonderer Reife und oft eines der wenigen (späten) Werke eines Komponisten.54 In der Summe kann das für einen praktisch unerreichbaren Publikumsanspruch sorgen. Neuere Werke können dabei für Abwechslung sorgen, ohne den Maßstab anzutasten. Die Idee vom Meisterwerk wird durch das Hören von CD-Aufnahmen verstärkt, bei denen die szenische Umsetzung der Fantasie überlassen ist. Anders als in Rezeptionsprozessen, bei der das Novum stärker im Mittelpunkt steht, wie beispielsweise beim Film, hat sich in der Oper mit der Etablierung des Kanons eine Rezeptionshaltung verfestigt, bei der die ästhetische Erfahrung eher in der Vertiefung liegt. Man hört Bekanntes neu, der ästhetische Gewinn liegt im Wiederhören. Diese Rezeptionsgewohnheit ist nicht per se abzuwerten, weil auch in ihr ein Spannungsmoment liegt. Man kann alte Rezeptionserfahrungen mit neuen abgleichen, das Kunstwerk ist Spiegel des eigenen Lebens. Allerdings steht damit das neue Kindermusiktheater vor einer besonderen Herausforderung. Als experimentelle Gattung, die oft mit zeitgenössischer Musik umgeht, kann es den Anspruch an ein »Meisterwerk« kaum erfüllen. Es verlangt vielmehr einen stärker am theatralen Ereignis interessierten Zuschauer. Die über zwei Jahrhunderte eingeübte Bereitschaft des Wiederhörens steht der Notwendigkeit des »Neuhörens« entgegen. Kindermusiktheater steht vor einer Schwierigkeit, weil seine Aktualität, seine offenen Formen und die Einbeziehung von Laien dem (Meister-)Werkbegriff der Oper zuwiderlaufen. Zugleich liegt darin aber auch die Chance, die Rezeptionsgewohnheit des Opernpublikums zu erweitern. Die Frage wird sein, wie beides gelingt – mit zeitgenössischer Musik, experimentellen, offenen Formaten und Partizipation neue Meisterinszenierungen zu kreieren, deren ästhetischer Wert aber auf einem ganz anderen Gebiet liegt. Auch die Sängerausbildung konsolidiert das Repertoiresystem. Arien und Nummern aus den beispielhaften Opern des 18. und 19. Jahrhunderts gehören nicht nur deswegen zum Curriculum, weil sich an ihnen auf exemplarische Weise Stil, Ausdruck und Technik lernen lässt, sondern auch, weil ihre Einstudierung unmittelbar auf das Berufsleben im Stadt- und Staatstheater vorbereitet. Auch wenn zeitgenössische Musik mittlerweile einen Ausbildungsschwerpunkt ausmacht, bleibt das Repertoire die Basis klassischer Gesangstechnik. Durch das klassisch-romantische Repertoire ergeben sich die Stimmfächer (z. B. lyrischer Sopran, Spieltenor, schwarzer Bass usw.) als ­Kategorisierungen der Stimme nach Höhe, Klangfarbe und ­Ausdruck (»Charakter«), nach ­denen im Stadt- und Staatstheater Partien besetzt werden und die o ­ ftmals bis in die Verträge hinein Verbindlich-

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II.  Kulturpolitische Rahmenbedingungen im Stadt- und Staatstheater

keit haben (»Kunstfach«55). Bei einem Neuengagement sind standardmäßig Repertoirepartien als Vorsingarien gefragt. Dass Sänger ihre Repertoirepartien beherrschen, macht es möglich, zu gastieren oder kurzfristig in die immer durch Krankheit bedrohte Abendbesetzung einzuspringen. Da anders als früher fast durchgängig alle Partien in Originalsprache gesungen werden, müssen international gastierende Sänger auch nicht umlernen. Auch die Orchestermusiker durchlaufen ein Studium, das seine tragenden Säulen im klassisch-romantischen Solorepertoire hat. Auch hier haben die zeitgenössische Musik und Improvisationstechniken Einzug gehalten, doch sind allein die Instrumente Violine, ­Klarinette, Trompete usw. so tief in der Musikhistorie verwurzelt, dass Werke ­alter Meister in natürlicher Weise den Standard bilden. Oft werden einschlägige Repertoirestücke – Konzerte, Sonaten, Kammermusikwerke – ­bereits im Unterricht an Musikschulen oder im privaten ­Bereich weit vor der Musikhochschule eingeübt, sind Pflichtstücke in ­Wettbewerben56 und in Aufnahmeprüfungen an Hochschulen.57 Auffällig ist, dass die Ausbildung auf einem Instrument für das sogenannte Konzertexamen zunächst durchaus solistisch angelegt ist und die B ­ esonderheiten des Orchesterspielens nicht im Zentrum der Ausbildung stehen, obwohl doch fast alle Stellen für Musiker mit Konzertexamen durch Orchester vergeben werden.58 Zeitgenössische Musik oder andere Musikgenres (Jazz, Rock, Folk usw.) sind dabei nicht zwangsläufig Teil des Curriculums. Auch auf pädagogische oder gar szenische ­Herausforderungen, denen Orchestermusiker im Kindermusiktheater begegnen können, beginnt die Ausbildung erst nach und nach zu r­ eagieren.59 Es wird zu erörtern sein, wie Orchestermusiker, die zu S ­ pezialisten des k ­ lassisch-romantischen Repertoires ausgebildet ­werden, mit den neuen Aufgaben des Kindermusiktheaters umgehen. Das neue Kindermusiktheater muss sich gegen Arbeitsformen behaupten, die in der langen Tradition der Oper begründet liegen. Im folgenden Exkurs soll deutlich werden, wie es ab Mitte der 1990er-Jahre dazu kommt, dass Kinderoper ein derart starkes Gewicht im Stadtund Staatstheater erhielt. Auch hier wird sich zeigen, dass die Entwicklung des Kindermusiktheaters stark durch seine kulturpolitischen Rahmenbedingungen geprägt ist.

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2.  Neues Kindermusiktheater und gesellschaftlicher Wandel in der Oper

2. Historischer Exkurs: Neues Kindermusiktheater und ­gesellschaftlicher Wandel in der Oper 2.1 Gegen Publikumsschwund und »Überalterung« in der Oper

Als Theaterleute Mitte der 1990er-Jahre beginnen, Musiktheater für junges Publikum zu initiieren, ist die Besucherstruktur eine zentrale Motivation. Der Gründer des Freundeskreises der Kölner Kinderoper ­Hansmanfred Boden fasste die Sorge um den Nachwuchs so zusammen: ei einem Gespräch mit […] Herrn Generalintendant Günter B ­Krämer – ich glaube, das war 1994 – waren wir uns einig, dass das Interesse großer Bevölkerungsschichten für die Oper immer mehr schwindet und es auf Dauer absehbar wird, dass die Oper – nicht zuletzt aufgrund der Überalterung des Publikums – tatsächlich keine Unterstützung mehr findet. Also […] muss der Zuschauernachwuchs gefördert werden. Das könnte erreicht werden, wenn man schon Kinder und Jugendliche an die Oper heranführt (Oper Köln 2016, 43). Studien haben ergeben, dass Operngänger im Vergleich zu Sprechtheater- oder Tanzenthusiasten grundsätzlich älter sind. Das Opernpublikum setzt sich aus vergleichsweise wenig Schülern und Studenten, dafür aber aus überdurchschnittlich vielen Rentnern zusammen und ist immer älter geworden. Lag das Durchschnittsalter bei einer Fidelio-Aufführung 1980 bei 38,3 Jahren, ist es 2004 auf 55,3 Jahre gestiegen (zusammenfassend Föhl/Lutz 2011). Selbst wenn man der Annahme folgt, dass sich die Oper aufgrund ihrer musikalischen Struktur, ihren komplexen Werken und ihrer eigenwilligen Darbietungsform erst mit einiger Übung genießen lässt, scheint hier eine Gefahr aufzukommen. Warum sollte man nach der Jahrtausendwende 17 Jahre länger ­brauchen, um sich in der Oper wohlzufühlen, als 1980? Die Antwort der Statistik ist eindeutig. Mittlere und jüngere Generationen bleiben der Oper zunehmend fern, während treue Stammbesucher ä­ lter und weniger werden. Überalterung ist nur eine statistische Folge grundsätzlicher Umwälzungen. Ein zentraler Grund für die Veränderung des Kulturpublikums war ein Wandel, der allerdings in den 1990er-Jahren spürbar wurde: Klassische Musik verlor ihre zentrale Position im Bildungsund Rezeptionskanon. War die aufkommende Rock- und Popmusik und ihre mediale Verbreitung in den 1960er-Jahren ein wichtiger,

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aber überschaubarer Bestandteil der Jugendkultur, hatte sie Ende des Jahrhunderts die Klassik in Hinblick auf die Verbreitung zu einem Nischenprodukt gemacht. Der allgemeine Musikgeschmack hat sich gewandelt. Die mit Rock und Pop in den 1960er- und 1970er-Jahren sozialisierte Generation identifizierte sich auch noch zwanzig Jahre später – im besten »Opernalter« – mit dem Musikstil ihrer Jugend. Hinzu kommen bis heute die vielen neuen kulturellen und medialen Alternativen und der Wunsch des Publikums nach Flexibilität (Föhl/Nübel 2016, 212). Demografischer Wandel beschreibt also nur einen Teil des Problems. Nicht Überalterung der Stammbesucher, sondern Abwanderung war die Herausforderung der Opernhäuser ab 1980. Dass die Menschen in Deutschland insgesamt älter werden, ist dagegen ein Vorteil für die Kultur, denn die Generation der über Fünfzigjährigen gilt als besonders aktiv und bleibt dem kulturellen Leben länger erhalten. Aber auch um dieses Publikum musste die Oper kämpfen. Wenn Theatermacher in den 1990er-Jahren Kindermusiktheater als Mittel zur Verjüngung des Publikums einforderten, ist dies nach Jahrzehnten die erste Anstrengung, sich systematisch mit dem eigenen Publikum zu beschäftigen. Die Publikumsforschung gab zwar bereits seit den 1970er-Jahren Hinweise, wurde aber erst später von den deutschen Hochkulturinstitutionen als Hilfe angenommen bzw. beauftragt. Erst ab 1990 »nehmen Publikumsstudien erkennbar zu« (Föhl/ Nübel 2016, 209). Die Diskussion über den demografischen Wandel entsprang auch einem gesellschaftlichen Problem der 1990er-Jahre. Die ins Erwerbsleben eingetretene Generation der »Babyboomer« musste um die Höhe ihrer Altersversorgung fürchten, weil es immer weniger Kinder gab, die später einmal ihre Renten zahlen sollten. Die Auseinandersetzung verschärfte sich nach der Wende, als in den neuen Bundesländern die Geburtenzahlen kurzfristig zurückgingen. Doch die eigentliche Brisanz des Prozesses liegt in der Oper selbst. Die Forderung nach Kindermusiktheater in den 1990er-Jahren ist eine Reaktion auf den größten Publikumsschwund nach dem Krieg, der in den 1970er- und 1980er-Jahren seine höchste Beschleunigung erreichte. In den 1960er-Jahren, als die im Krieg zerstörten Opernhäuser wieder funktionstüchtig wurden, sah die Lage noch gut aus. Die Oper hatte 1966 – im ersten Jahr der spartenspezifischen Besuchererfassung des Deutschen Bühnenvereins – noch bundesweit sechs Millionen Zuschauer. Doch die Zahlen gingen nach kurzem Aufschwung Ende der 1970er-Jahre bereits auf 5,1 Millionen zurück. In den 1980er-Jahren verlor die Oper in Deutschland nochmals eine ganze Million Besucher. Das Publikum orientierte sich auch an anderen Genres. Das Musical

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konnte bereits in den 1980er-Jahren etwa 400 000 Zuschauer jährlich mehr auf sich ziehen. Die Oper hatte 1990 ein ganzes Drittel ihres Publikums verloren (Deutscher Bühnenverein 1965/66, 1979/80, 1989/90). Bereits Mitte der 1980er-Jahre begann die heute selbst in großen Städten zu beobachtende Schwierigkeit, selbst bei bekannten Opern keine hundertprozentige Auslastung mehr zu erreichen.

2.2 Klassikeradaptionen als Heranführung an das Repertoire

Was unternahmen die Theaterproduzenten Anfang der 1990er-Jahre, um dem Besucherschwund zu begegnen? Ein erster Impuls der Neugründer war es, Kinder mit dem klassischen Repertoire vertraut zu machen. Es ging also zunächst weniger darum, ein eigenständiges Musiktheater zu produzieren oder an die ästhetischen und inhaltlichen Errungenschaften des Schauspielkindertheaters anzuknüpfen. Der eingangs zitierte Initiator der Kölner Kinderoper Boden sprach vielmehr davon, »Kinder und Jugendliche an die Oper heranzuführen«. Um sein Ziel zu erreichen, wählte der Leiter der Kölner Kinderoper Christian Schuller Stücke des Abendspielplans aus und bearbeitete sie. Das Team kürzte Igor Strawinskys Der Kaiser und die Nachtigall oder Maurice Ravels L’enfant et les sortilèges auf eine Stunde ein – eine Zeiteinheit, die den Autoren für die kindliche Konzentrationsfähigkeit als geeignet erschien. Die Musikalische Leitung reduzierte die Orchesterstimmen für ein Kammerensemble. Die Literaturkritikerin und Autorin Elke Heidenreich schrieb erklärende Zwischentexte, die ein Erzähler zwischen den Musiknummern sprach. Mit Malcolm Fox’ Sid, die Schlange, die singen wollte oder Ernst Tochs Die Prinzessin auf der Erbse kamen auch originäre Werke für Kinder ins Programm. Trotzdem blieb der Bezug zum Großen Haus spürbar. Die Kinderoper war auch räumlich ein Teil des Betriebs, denn sie wurde im Foyer des Opernhauses installiert. Mit ihren Klassikeradaptionen nahm die Kölner Kinderoper eine wichtige Tradition im deutschen Stadttheater auf. Autoren wie Eberhard Streul hatten mit extrem reduzierten Kinderfassungen großer Repertoirewerke viel Publikum erreicht. Papageno spielt auf der Zauberflöte zählt mit rund 400 Vorstellungen zu den meistgespielten Bearbeitungen. Allein am Nationaltheater in Mannheim wurde das Werk über viele Jahre auf der Vorbühne gespielt. Bis heute sind Kinderfassungen verbreitet, die in der Regel das volle Orchester und eine reduzierte Solistenbesetzung brauchen. Für das Musiktheater im Revier in

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Gelsenkirchen schreiben Wiebke Hetmanek und Johann Casimir Eule in der Reihe »Große Oper für kleine Leute« beispielsweise Der kleine Barbier (Gioachino Rossinis Il barbiere di Siviglia) oder für das Staatstheater Nürnberg Armide oder Zickenkrieg im Zauberreich (Christoph Willibald Glucks Oper Armide). Kinderfassungen haben auch pragmatische Vorteile, weil sie sich ohne Umbau in der Abenddekoration spielen lassen. Sänger und Orchester kennen ihre Parts und müssen lediglich mit Strichen umgehen. Mit kindgerecht aufbereiteten klassischen Opern lässt sich Publikum gewinnen und Kinder an die Institution der Oper heranführen. Aber es besteht auch die Gefahr, große Kunstwerke buchstäblich kleinzuschneiden, sodass sie ihr ursprüngliches Faszinosum verlieren.

2.3 Kulturelle Bildung für die Oper

Der Versuch, kulturelle Teilhabe gesellschaftlich tiefer zu verankern, lässt sich als Maßnahme verstehen, einem Desiderat der Kulturpolitik der 1970er-Jahre zu mehr Verbindlichkeit zu verhelfen. Die Maxime »Kultur für alle« des Frankfurter Kulturdezernenten Hilmar Hoffmann wurde im Umfeld der Oper allerdings eher auf das erwachsene Publikum bezogen. Die allgemeine Senkung der Eintrittspreise sollte auch einkommensschwächeren Bevölkerungsschichten den Zugang erleichtern. Mit noch vergleichsweise guten Besucherzahlen in den 1970er-Jahren fiel die Entfremdung vom Kanon klassischer Musik nicht so stark ins Gewicht. Eine systematische Förderung von Kindermusiktheater war noch nicht zwingend notwendig. Auch Regional- und Soziokultur aufzuwerten, gehörte zu den zentralen Anliegen Hoffmanns. Gründungen von Freien Kindertheatern in den 1980er-Jahren profitierten von der neuen Stadtteilpolitik. Während dem Schauspielkindertheater damit ein erheblicher Verbreitungs- und Demokratisierungsprozess gelang, gab es in der Oper der 1970er-Jahre die Tendenz, ihre Position als eine exklusive Institution für Erwachsene zu bekräftigen. Erneuerungsrufe der jungen Generation Ende der 1960er-Jahre verschärften die Trennlinie zwischen den Schlagworten des Pop (alternativer Lebensstil, Aufbruch und Erreichbarkeit) gegenüber der sogenannten Hochkultur (konservativer Lebensstil, Traditionspflege und Exklusivität). Umgekehrt haben Teile des Opernpublikums ihre Exklusivität gerne verteidigt. Diese Tendenz bestätigen Musiktheaterpädagogen, die Diskriminierung von Jugendlichen nicht nur an der Kasse, sondern auch beim Publikum selbst er-

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lebten. Dies geschah vor allem dann, wenn Kinder und Jugendliche nicht in Begleitung von Eltern oder Lehrkörper, sondern als selbstständige Opernbesucher auftraten (Pinkert 2014, 333). Zugespitzt lässt sich sagen, dass junge Zuschauer zwar in Kinderopern und bei unverfänglichen Repertoireinszenierungen als Gäste gerne geduldet wurden, sich aber niemand aktiv um sie als eine gleichberechtigte Zielgruppe mit eigenen ästhetischen und gesellschaftlichen Interessen kümmern wollte. Dieser Umstand begann sich mit dem neuen Kindermusiktheater zu ändern. Die Kulturelle Bildung hat sich ab der Jahrtausendwende als Förderziel fest etabliert. Der Bund engagiert sich etwa durch die Kulturstiftung des Bundes oder durch den Preis für Kulturelle Bildung. Heute haben viele Länder und Kommunen Sonderinitiativen für Kulturelle Bildung aufgenommen. Nordrhein-Westfalen stärkt sie als umfassendes Querschnittsthema durch ein eigenständiges Kulturförderungsgesetz. Von Kommunen und Ländern getragene Institutionen verstehen sich als Anbieter Kultureller Bildung. In einer 2009 bundesweit an 771 Kultureinrichtungen durchgeführten Studie kam heraus, dass lediglich 13 Prozent keine kulturelle Bildungsarbeit leisten oder sich nicht als Anbieter Kultureller Bildung verstehen (Keuchel/Weil 2010). In der zentralen kulturpolitischen Publikation der letzten Jahre, dem Schlussbericht der Enquete-Kommission ›Kultur in Deutschland‹ (Deutscher Bundestag 2008), ist die Kulturelle Bildung ein zentraler Begriff (vgl. auch Schneider 2012). Öffentlich geförderte Theater haben ein genuines Interesse daran, Kulturelle Bildung zu ermöglichen. 2004 organisierte der Deutsche Bühnenverein ein Symposion mit dem programmatischen Thema »Zukunft durch ästhetische Bildung«. Mitte der 1990er-Jahre wuchs das Vermittlungsangebot an den Häusern. 2005 begann die Bühnenstatistik theaternahe Rahmenprogramme und sonstige Veranstaltungen zu zählen. Darunter fallen auch die kulturell bildenden Aktivitäten. Beide Kategorien zusammengefasst, steigt die Zahl von Beginn der Erhebung bis heute von rund 12 000 auf 18 000 Veranstaltungen an. Dass in diesem Bereich viel für junges Publikum geleistet wird, belegen die Zuwächse beim Personal im Kinder- und Jugendtheater.

2.4 Kinderkonzerte und Educationprogramme als Wegbereiter

Als Vermittler Kultureller Bildung hat die Jugendarbeit der Orchester Einfluss auf die Oper. Vorbild seit 1958 waren Leonard Bernsteins

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legendäre Young People’s Concerts mit dem New York Philharmonic ­Orchestra, die auch im Fernsehen gesendet wurden. Gerd Albrecht hatte bereits 1966 Erklärkonzerte in Kassel veranstaltet. Als er 1988 Generalmusikdirektor der Hamburgischen Staatsoper wurde, führte er musikalische Komponistenportraits für junges Publikum ein sowie die interaktive Veranstaltung Musikinstrumente zum Anfassen. Die kindgerechte Strategie übertrug die Hamburgische Staatsoper auch auf das Musiktheater. In den Klassikeradaptionen von Die ­Zauberflöte und Il barbiere di Siviglia ließ die Regisseurin Nicola Panzer bereits Ende der 1980er-Jahre Kinder mitwirken und bereitete die Tradition der Opera Piccola vor, die ab 2002 regelmäßig partizipative Opern produzierte. Einen entscheidenden Impuls für die inklusive Arbeit einer Hochkulturinstitution gab Sir Simon Rattle als Chefdirigent des Berliner Philharmonischen Orchesters. Seine 2002 eingeführte EducationAbteilung setzte auf die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen, die nicht zwingend durch ihr Elternhaus mit klassischer Musik in Kontakt gekommen waren. Aufmerksamkeit erregte, dass ein Spitzenorchester von Weltruhm, das in der Berliner Philharmonie, im Wiener Konzerthaus oder in der Japanischen Suntory Hall spielt, zugleich in Berlin-Neukölln oder -Marzahn in die Schulen kam. Zum Auftakt spielten die Philharmoniker in der Arena in Treptow Le sacre du printemps von Igor Strawinsky im Rahmen eines partizipativen Tanzprojekts. Die Film-Dokumentation Rhythm is It! über die Arbeit des britischen Choreografen Royston Maldoom und seine 250 jungen Tänzer verhalf dem neuen Programm zu überregionaler Aufmerksamkeit. Simon Rattle konnte an seine Erfahrungen als Chefdirigent des City of Birmingham Symphony Orchestra anknüpfen. Er machte dabei mit großer Medienwirksamkeit die Kulturpolitik aus dem Vereinigten Königreich bekannt. Viel früher als in Deutschland zählte dort Jugendarbeit zu den Aufgaben der Kunstakteure, die wiederum aus der langen Geschichte musikalischer Laienbeteiligung schöpfen konnten. Auch für die Entwicklung der Kinderoper war Zukunft@BPhil eine Inspiration. Sie zeigte, wie Hochkulturinstitutionen im Lichte kulturell-sozialen Engagements ihre Legitimität als öffentlich geförderte Institution unter Beweis stellen können. Außerdem wurde deutlich, dass Komponieren für Kinder im englischsprachigen Raum einen hohen Stellenwert hat. Während Benjamin Britten, Peter Maxwell Davies oder Oliver Knussen mit großer gesellschaftlicher Anerkennung Opern und Konzerte für Kinder schrieben, mussten Kinderopernkomponisten in Deutschland in den 1960er-, 1970er- und 1980er-Jahren um diese

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Wertschätzung kämpfen. Wilfried Hiller, einer der erfolgreichsten deutschen Kinderopernkomponisten (Der Goggolori, Das Traumfresserchen), sagte noch 1995: »Die meisten Kollegen nehmen mich längst nicht mehr ernst. Einer sagte mir neulich ganz unverblümt: ›Ich finde dich ganz hinterhältig, weil du dich deinem zukünftigen Publikum schon jetzt anbiederst‹« (Hiller 1995, 6).

2.5 Von den Kindern in die Stadt: Interkulturelle Öffnung

Auch um die Impulse für eine interkulturelle Öffnung der Opernhäuser zu verstehen, muss der Blick zurück in die 1990er-Jahre gehen. Nach der Wende wurde besonders deutlich, dass die Probleme der Oper nicht nur mit einem Rückgang des Stammpublikums zu tun hatten, sondern auch die finanzielle Lage der Kommunen widerspiegelte. In den neuen Bundesländern war die Not am größten. Mit der Umstellung auf die freie Marktwirtschaft und auf die westliche Theaterrechts- und Tarifordnung fehlten die Mittel, Spielstätten und Personal adäquat zu fördern. Die Theater Altenburg/Gera, Greifswald/ Stralsund/Putbus, Freiberg/Döbeln, Plauen/Zwickau fusionierten, die Mitteldeutsche Landesbühne in Wittenberg und das Kleisttheater in Frankfurt (Oder) mussten schließen. Haustarife mit Gehaltsverzicht gehörten zu den verzweifelten Rettungsmaßnahmen. Zwanzig Jahre nach der Wende war die Zahl der festen Arbeitsplätze bei Theatern und Orchestern in ganz Deutschland von 45 000 auf 39 000 gesunken (Bolwin 2016). Auch in den alten Bundesländern kamen Kommunen in Schwierigkeiten. Steigende Material- und Unterhaltskosten sowie Tarifsteigerungen standen sinkenden Einnahmen entgegen. Die wirtschaftlichen Folgen des demografischen Wandels, der Globalisierung und der Wiedervereinigung verschärften die Situation (Föhl/Lutz 2011, 56). Vor diesem Hintergrund erscheint eine andere Tendenz umso wichtiger: In den 1990er-Jahren erwachte in Anbetracht seiner existenziellen Gefährdung ein lokales Interesse am Theater und nahm in Bürgerbewegungen, Freundeskreisgründungen und Interessensvertretungen Gestalt an. Umgekehrt besannen sich viele Häuser auf die Themen ihrer Stadt. Auch die Beschäftigung mit Kindern, Schulen und städtischen Partnern zählte hinzu. Bühnen von überregionaler Bedeutung konzentrierten sich bewusst auf ihr örtliches Publikum. Die Bürgerbühnenbewegung, die sich erst 15 Jahre später voll entfaltete, kommt aus diesem Impuls zu regionaler Verankerung.

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II.  Kulturpolitische Rahmenbedingungen im Stadt- und Staatstheater

Die neue Welle des Kindermusiktheaters fiel in eine Zeit, in der sich die Theater mit der Frage zu beschäftigen begannen, wer in ihrer Stadt wohnt. Entspricht sein Angebot noch den Bedürfnissen und Lebensumständen neuer Generationen? Die Zuschauerschar wird nicht nur älter und schrumpft, sie setzt sich auch neu zusammen und versammelt Menschen divergierender sozialer Herkunft, kultureller Prägung und geografischer Abstammung. Älter – bunter – weniger wurde nach der Jahrtausendwende zur gängigen Begriffsformel für das sich verändernde Kulturpublikum (Stiftung Niedersachsen 2006). Das Schauspiel, das häufig mit Sonderveranstaltungen in die Stadt hinein arbeitete, sich mit sozialen Institutionen oder Festivals verbündete und zu Rechercheprojekten aufbrach, hatte dabei mehr Anknüpfungspunkte in den gesellschaftlichen Alltag. Interessanterweise waren es in den Opernhäusern oft die Jugendabteilungen, die hier eine Vorreiterrolle einnahmen und den Öffnungs- und Integrationsgedanken auf erwachsene Zuschauer übertrugen. Besonders eindrücklich zeigte sich der Zusammenhang von Jugendarbeit und kultureller Öffnung bei der Komischen Oper Berlin. Die deutsche Hauptstadt versammelt die meisten Menschen mit türkischer Herkunft jenseits der Türkei. Dies lässt sich weniger in den abendlichen Vorstellungen im historischen Saal als in Schüleraufführungen und Workshops feststellen. Aus den Erfahrungen mit verschiedenen Gruppen der Stadtbevölkerung entstand die Idee, türkische Übertitel im Haupthaus anzubieten (Ostrop 2014, 38). Die Maßnahme wurde international wahrgenommen und von aus der Türkei stammenden Bürgern als Zeichen der Anerkennung gefeiert. Kindermusiktheater muss sich in einem System behaupten, das vom Repertoire, von großen Bühnendimensionen und vom erwachsenen Publikum bestimmt wird. Ab den 1990er-Jahren begann ein Öffnungsprozess, bei dem sich das kulturelle Selbstverständnis der Oper grundlegend ändert. Seit den 1990er-Jahren bis zum Untersuchungszeitraum vergingen rund zwanzig Jahre. Die Junge Oper Stuttgart gehört nun zu einer »alten«, d. h. gewachsenen Abteilung, die – wie in den folgenden Kapiteln deutlich werden soll – schon Transformationen hinter sich hat. Das Kindermusiktheater in Karlsruhe dagegen muss seine Arbeitsstrukturen neu erfinden. Die folgenden Abschnitte fokussieren zunächst die eigenständige Abteilung und das integrierte System als gängige Betriebsformen des Stadttheaters und widmen sich danach den Häusern in den beiden Städten.

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3.  Kindermusiktheater in Stuttgart und Karlsruhe

3. Kindermusiktheater in Stuttgart und Karlsruhe 3.1 Begriffsbestimmung: Eigenständige Abteilung und integriertes System

Mit der eigenständigen Abteilung und dem integrierten System werden nach der Jahrtausendwende zwei Begriffe des Schauspielkindertheaters auf das Kindermusiktheater übertragen (Taube 2012), obwohl sich in der Oper die eigenständige Abteilung ressourcenbedingt – vor allem durch das Orchester – noch stärker integrativ am Mutterhaus orientieren muss. Die Begriffe beginnen in dem Maße zu Bezeichnungen zweier aufeinander bezogener und sich voneinander abgrenzender Ordnungen zu werden, indem sich das integrierte System zu einer profilierten Form des Kindermusiktheaters entwickelt. Ein wichtiger Impuls zur Verfestigung des Gegensatzpaars in Deutschland ist dazu die Etablierung des integrierten Systems im Theater Oldenburg und das dortige Kindermusiktheatersymposium sowie die dazugehörige Publikation (Karr 2010). Zahlenmäßig halten sich eigenständige Abteilung und integriertes System in etwa die Waage. Beide Organisationsformen kommen in Deutschland etwa ein Dutzend Mal vor.60 Die Begriffspaare umreißen, indem sie ein Verhältnis zum Mutterhaus ausdrücken, bereits eine der wichtigsten Fragestellungen beider Systeme, nämlich nach der Dynamik von Bindung und Unabhängigkeit zu der Institution, unter deren Dach sie agieren. Damit verweist das Kindermusiktheater des Stadt- und Staatstheaters bereits auf die vielen institutionellen Bezüge, die seine Arbeitsweisen bestimmen und auf die Notwendigkeit, ihr Wechselspiel möglichst genau zu beschreiben. Gleichzeitig muss die Frage lauten, in welcher Weise die Protagonisten des Diskurses die Möglichkeiten, aber auch die Beschränkungen der großen Institution Stadt- und Staatstheater bereits in die Begrifflichkeiten einbeziehen: Prägt das System Stadt- und Staatstheater das Denken? Gerade ausländischen Beobachtern fällt auf, wie stark sich die Mitarbeiter deutscher Stadt- und Staatstheater mit ihrem »System« auseinandersetzen61, wie daraus produktive Ideen, aber auch Blockaden entstehen können. Wofür stehen die Begriffe der eigenständigen Abteilung und des integrierten Systems? Mit dem Wort »eigenständig« verbindet sich Unabhängigkeit vom Mutterhaus und mit dem Wort »Abteilung« auch eine gewisse Größe und organisatorische Geschlossenheit, wohingegen »integriertes System« sowohl für eine enge Verflechtung mit dem Mutterhaus als auch für organisatorische Offenheit und Variabilität

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II.  Kulturpolitische Rahmenbedingungen im Stadt- und Staatstheater

steht. Dem Namen nach ist die eigenständige Abteilung eine Organisationsform, deren Arbeitsmechanismen sich innerhalb eines selbstbestimmten personellen wie räumlichen und finanziellen Gefüges bewegt, wohingegen das integrierte System ununterscheidbar in den Strukturen seines Theaters verwurzelt ist. Kriterien für sogenannte Eigenständigkeit lassen sich am einfachsten an Quantitäten von Arbeitsressourcen, wie Personal, Finanzen und räumlicher Ausstattung, festmachen. So sind den vielgestaltigen deutschen eigenständigen Abteilungen der eigene Leiter und die eigene feste, für Kindertheater geeignete Spielstätte gemeinsam. Im integrierten System hat in der Regel ein Leitungsmitglied des Hauses die Führung oder es gibt keinen eigenen Leiter. Auch andere Aufgaben, wie die des künstlerischen Produzenten und der Dramaturgie, sind grundsätzlich auf Mitarbeiter verteilt, die schwerpunktmäßig für den Abendspielplan arbeiten. (Vgl. das Kapitel zum Staatstheater Karlsruhe: »Personal: Forderung oder Überforderung?«, S. 89.) Allerdings bezeichnen beide Modelle ein Produktionsumfeld für Kindermusiktheater mit zielgruppenspezifischem Anspruch an Libretto, Musik, Inszenierung, Aufführungssituation und pädagogischer Begleitung – und all dies in regelmäßiger und verlässlicher Form. Beide Produktionsformen gehen also in ihren Ansprüchen über diejenigen Theater hinaus, die nur dann und wann eine Kinderoper herausbringen, ohne sich um die Zeitgenossenschaft seines Inhalts wie seiner Darstellungsform kümmern zu können, und auch keine Vermittlungsarbeit leisten. Die Abgrenzung beider Begriffe ist nicht unproblematisch und kann, nicht zuletzt weil die sogenannte eigenständige Abteilung oft eng an das Mutterhaus gebunden bleibt oder integrierte Systeme zu autarken Arbeitsformen und unabhängigen künstlerischen Profilen finden, je nach Perspektive anders gewichtet werden. In der Praxis der deutschen Theaterlandschaft beginnen die Begriffe zu verschwimmen. Letztendlich führt die Unterscheidung zu der Frage, die beide Institutionen gleichermaßen betreffen, nämlich auf welche Weise Eigenständigkeit in der Qualität der künstlerischen Prozesse und Produktionen zustande kommen kann.

3.2 Besonderheiten zweier Organisationsformen

Die Junge Oper Stuttgart vereinigt klassische Kriterien der eigenständigen Abteilung in sich, nämlich den eigenen Leiter, das eigene Bud-

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3.  Kindermusiktheater in Stuttgart und Karlsruhe

get und die von der Hauptbühne abgetrennte, variabel einsetzbare Bühne. Zugleich ist die Abteilung immer noch eng an die Staatsoper gebunden. Am Stuttgarter Modell lässt sich die Verbindung von Vermittlungsarbeit und künstlerischer Produktion mit allen Möglichkeiten, aber auch inneren Grenzen beispielhaft interpretieren. Anders als die eigenständigen Abteilungen in Köln oder Wien hat die Junge Oper in Stuttgart auch mehrfach Produktionen im Großen Haus herausbringen können. Die unterschiedlichen Konsequenzen dieser Doppelnutzung geben auf besondere Weise Aufschluss über die Möglichkeiten des Kindermusiktheaters im Stadt- und Staatstheater. Die Geschichte der Jungen Oper Stuttgart ist außerdem vergleichsweise gut dokumentiert (Kosuch 2004, Müller-Grimmel 2006, Hartmann 2017). Viele Musikpädagogen, Dramaturgen oder Regisseure wurden durch ihre Arbeit an der Jungen Oper geprägt und konnten Impulse auf spätere Arbeitszusammenhänge übertragen.62 Gegenüber Stuttgart vereinigen sich im Kindermusiktheater des Staatstheaters in Karlsruhe die klassischen äußeren Faktoren des integrierten Systems: Es gibt keinen eigenen Leiter und keinen eigenen Spielort. Das Staatstheater Karlsruhe steht für den Versuch, alle Kräfte des Hauses, vor allem die Sparten Oper, Kindertheater und Orchester, zugunsten einer neuen Gattung und einer neuen Zielgruppe zusammenzubringen. Die Umsetzbarkeit des integrierten Systems in einem komplexen Rahmen unterschiedlicher Interessen lässt sich in Karlsruhe beispielhaft befragen. Ein weiterer Aspekt macht das integrierte System in Karlsruhe zusätzlich interessant für die Betrachtung. Das Kindermusiktheater ist seit seiner Gründung integraler Bestandteil einer eigenen auf das Schauspielkindertheater spezialisierten Sparte, die gleichzeitig alle für eine junge Zielgruppe gedachten Produktionen des Hauses in sich vereint: das Junge Staatstheater. Das integrierte System ist in Karlsruhe damit die bestimmende Struktur nicht nur für das Kindermusiktheater, sondern auch für alle anderen Aktivitäten für junges Publikum – des Balletts, des Orchesters und der partizipativen Sparte Volkstheater. Dadurch, dass Kindermusiktheater nominell Teil des Jungen Staatstheaters ist, kann in Karlsruhe die besondere strukturelle Nähe zwischen Kinder- und Kindermusiktheater beobachtet werden. Man kann hier beispielsweise gut vergleichen, was es ausmacht, einen eigenen Spielort zu haben oder nicht. Unterschiede in den Bedürfnissen der beiden Kunstformen, aber auch Gemeinsamkeiten hinsichtlich Organisation und künstlerischem Ausdruck liegen in Karlsruhe buchstäblich nah beieinander.

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II.  Kulturpolitische Rahmenbedingungen im Stadt- und Staatstheater

Zwei Häuser mit wenig Kontrast?

Die Häuser in Stuttgart und Karlsruhe sind beides Staatstheater, befinden sich im Bundesland Baden-Württemberg und stehen für Institutionen mit einer vergleichsweise hohen öffentlichen Förderung. Wenn es noch einigermaßen selbsterklärend ist, die Junge Oper Stuttgart als eine der ältesten und einflussreichsten eigenständigen Abteilungen des Landes zu analysieren, ist die Gegenüberstellung mit dem integrierten System im Staatstheater Karlsruhe umso genauer zu hinterfragen. Wäre die Junge Oper Stuttgart nicht besser mit einem Theater in städtischer Trägerschaft zu vergleichen? Bei dieser Gegenüberstellung ließen sich Erkenntnisse aus den unterschiedlichen Förderverhältnissen von Staats- und Stadttheater gewinnen. Die Staatsoper Stuttgart erhält genau wie das Badische Staatstheater etwa sechzig Prozent ihres Unterhalts aus Landesmitteln, vierzig Prozent kommen aus der Stadt. In den meisten Stadttheatern ist es umgekehrt. Die Frage wäre, welchen Unterschied es für das Kindermusiktheater macht, in städtischer oder landesmäßiger Trägerschaft zu stehen. Gibt es spezifische Fördermodelle des Landes, die einzelne Städte nicht bieten? Ohne mit Sicherheit ausschließen zu können, dass es irgendwo in Deutschland eine Verknüpfung von Trägerschaft und Kindermusiktheater gäbe, gibt es hierfür kein spezifisches Beispiel an einem Haus. Anders als im Schauspielkindertheater gibt es selbst für die seit über 25 Jahren bestehende Junge Oper Stuttgart keinen kulturpolitischen Auftrag aus Stadt oder Land. Doch jenseits der Trägerschaftsfrage gäbe es noch andere kontrastive Elemente, wie etwa die Gegensätze Ein- und Mehrspartenhaus. Zählt die Staatsoper Stuttgart – unter dem Dach des Stuttgarter Staatstheaters – zu den wenigen musikalischen Einspartenhäusern, würde beispielsweise das Theater Freiburg mit seiner Mehrspartenstruktur (Oper, Schauspiel, Tanz, Jugendtheater) einen klaren Gegensatz bilden. Als Mehrspartenhäuser ähneln sich jedoch die Häuser in Freiburg und Karlsruhe: Beide Häuser sind mit ihren vier großen Sparten strukturell nahezu identisch aufgebaut. Auch das integrierte Kindermusiktheater als Teil des allgemeinen Jungen Theaters hat in Karlsruhe wie in Freiburg ähnliche Strukturen. Vor diesem Hintergrund ließe sich das Staatstheater Karlsruhe in seiner Mehrspartenorganisation gegenüber Stuttgart, ähnlich wie das städtische Nationaltheater in Mannheim als großes und stark gefördertes Stadttheater bezeichnen. Nicht zuletzt, weil bundesweit die Höhe von Fördersummen eben nicht zwingend mit den »Titeln« eines Theaters korreliert,63 erscheint es in

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3.  Kindermusiktheater in Stuttgart und Karlsruhe

Bezug auf das Kindermusiktheater sinnvoller, zwischen einem reinen Opernhaus (als Repräsentanten der meisten eigenständigen Abteilungen) und einem Mehrspartenhaus (als Repräsentanten der meisten integrierten Systeme) zu unterscheiden. Wenn sich Stuttgart und Karlsruhe also als durchaus gegensätzlich erweisen, liegen sie immer noch im selben Bundesland. Wäre es nicht erhellender, Stuttgart mit einem Haus in den neuen Bundesländern zu vergleichen? Hier würde der Fokus von den Organisationsformen des Kindertheaters eher auf die politische Umgebung und auf die wechselvolle kulturelle Geschichte gelenkt. Viele Rahmenbedingungen wären dabei aber möglicherweise so unterschiedlich, dass Aspekte, die im gleichen Bundesland ähnlich gehandhabt werden, zunächst auf belastbare Vergleichbarkeit überprüft werden müssten. Trotzdem wäre die unterschiedliche Förderhöhe ein gewinnbringender Bezugspunkt kontrastiver Betrachtung. Baden-Württemberg zeichnet sich durch eine relativ hohe Aufwendung für Kunst und Kultur aus. Die Frage ist, ob nicht die Junge Oper Stuttgart mit einer Institution in einem wesentlich weniger stark öffentlich geförderten Haus zu vergleichen wäre. Gerade kleine Mehrspartenhäuser können nur selten ein Kinderstück auf die Bühne bringen und sind wegen mangelnder Nachhaltigkeit in der Produktionsweise schon nicht mehr klar als integriertes System erkennbar. In vielen Theatern hilft man sich ansonsten mit Kooperationen oder lädt freie Gruppen zur Produktion von Kindermusiktheater ein.64 Diese kreativen Mischformen bilden zwar ein Charakteristikum des integrierten Systems, führen aber auch zu Zuständen, in denen das Theater überwiegend als Spielstätte der Freien Szene fungiert, weil die Ressourcen für Eigenproduktionen zu gering sind. Auch das Badische Staatstheater geht Kooperationen mit Institutionen in der Stadt ein, hat dabei aber immer noch genug Ressourcen, um seinem integrierten System durch nachhaltige Eigenproduktionen Profil zu geben.65 Karlsruhe wird für die Betrachtung deswegen interessant, weil es immer noch über so viele Mittel verfügt, dass die Arbeit für das Kindermusiktheater keine Investition ist, die das Theater an den Rand einer wirtschaftlichen Krise führen würde. Das Ansiedeln der Beispiele auf einem hohen Niveau öffentlicher Förderung sowohl in Stuttgart wie auch in Karlsruhe trägt also dem einfachen Umstand Rechnung, dass nachhaltiges Kindermusiktheater durch seinen vergleichsweise hohen Ressourcenaufwand erst ab einer gewissen finanziellen und strukturellen Hausgröße regelmäßig zu beobachten ist.

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II.  Kulturpolitische Rahmenbedingungen im Stadt- und Staatstheater

Möglichkeit eines neuen Modells Baden-Württemberg?

Noch ein weiterer Aspekt macht die Betrachtung der beiden Kindermusiktheaterabteilungen im kulturpolitischen Kontext interessant: das Modell Baden-Württemberg (Fröse 2006). Mit der Maßnahme verbindet sich eine Förderung für Schauspielkindertheater in den frühen 1980er-Jahren und die Institutionalisierung eigenständiger Abteilungen und integrierter Systeme (Jahnke 2006). Ende der 1970er-Jahre versprach der Ministerialdirigent im Ministerium für Wissenschaft und Kunst des Landes Baden-Württemberg, Hannes Rettich, jedem Stadttheater einen Landeszuschuss von vierzig Prozent für die Gründung eines Schauspielkindertheaters und unterstützte damit beispielsweise die Gründung des Mannheimer Schnawwl. Die Intendanten der drei Landestheater Baden-Württembergs – für die der Zuschuss-Schlüssel nicht galt – handelten mit dem Ministerium daraufhin eine jährliche Förderung von dreimal 330 000 DM aus. Aus der Maßnahme entwickelte sich eine beispielhafte Dichte von Kinderund Jugendtheaterinstitutionen, die zusammen mit weiteren Fördermaßnahmen (­ Autorenpreis, Theatertage des Kindertheaters) eine vielseitige Landschaft von Kinder- und Jugendtheater in Baden-Württemberg schufen. Die Wechselwirkungen aus Eigeninitiative der Theater, konkreter, auf das Kindertheater bezogener öffentlicher Förderung und gemeinsamer Verantwortung brachten Abteilungen hervor, die unabhängig von ihren Leitern bestand hatten, weil es einen offiziellen kulturpolitischen Auftrag und dadurch eine institutionelle Selbstverpflichtung der Häuser gab. Diese kulturpolitische Zusammenarbeit für das Schauspielkindertheater blieb auf eine Phase beschränkt, in der ein wirtschaftlich breit aufgestellter Kulturetat zur Verfügung stand, aber auch starke Initiatoren aus Politik und Theatern zusammenkamen. Das Modell B ­ aden-Württemberg wurde in den 1990er-Jahren, zur Zeit der Gründung der Jungen Oper Stuttgart, nicht nochmals angewandt. Die kurze Dauer der günstigen Phase deutet darauf hin, wie stark sich der beschriebene Wandel der kulturpolitischen Rahmenbedingungen ab den 1990er-Jahren auswirkte. In Baden-Württemberg wurde ab 1989 kein eigenständiges Schauspielkindertheaterensemble mehr gegründet (Jahnke 2006, 38). Erst 2004 bekam die Landeshauptstadt mit dem Jungen Ensemble Stuttgart ein eigenständiges Kinder- und ­Jugendtheater. Klaus Zehelein gründete die Junge Oper ohne finanzielle oder strukturelle Hilfen von Land oder Stadt. Genauso erging es P ­ eter ­Spuhler bei der Gründung des Jungen Staatstheaters in ­Karlsruhe.

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3.  Kindermusiktheater in Stuttgart und Karlsruhe

Die Theater in Stuttgart und Karlsruhe sind Teil eines Bundeslands, das bewiesen hat, wie eine Kunstform durch kulturpolitische Intervention dauerhaft zur Blüte gelangen kann. Alle Schwierigkeiten von eigenständiger Abteilung und integriertem System in ihren Mutterhäusern müssen auch vor der Folie betrachtet werden, dass es Zeiten und Umstände gab, in denen bereitgestellt wurde, was die Häuser ab den 1990er-Jahren aus sich selbst hervorbringen. Wie dies geschieht, darum soll es in den folgenden Kapiteln gehen.

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III. Kindermusiktheater in der eigenständigen Abteilung: Die Junge Oper Stuttgart Nach der Eröffnung des Kinderopernhauses auf dem Dach der Wiener Staatsoper und der 1996 gegründeten Kölner Kinderoper in der Yakulthalle ist die Junge Oper Stuttgart die dritte eigenständige, an ein Opernhaus angeschlossene Abteilung mit eigener Spielstätte im deutschsprachigen Raum.66 Die Gründung der Jungen Oper in Stuttgart 1997 fällt in eine Zeit, in der die große Bühne der Stuttgarter Staatsoper durch eigenwillige Stückansetzungen und ungewöhnliche Regiehandschriften viel Öffentlichkeit erfuhr und mehrfach in der Kritikerumfrage der Zeitschrift Opernwelt zur Oper des Jahres gekürt wurde.67 Die Gründung der Jungen Oper profitierte von dieser Ausstrahlung. In Deutschland begannen immer mehr Theater, ihre eigenen Abteilungen für Junges Musiktheater zu realisieren. 2001 nahmen mit der ­Opera piccola die Staatsoper Hamburg und 2002 die Komische Oper mit Komische Oper Jung ihre Arbeit als Produktionsstätten für Kindermusiktheater auf. Ab 2004 gab es an der Staatsoper Unter den Linden eine Education-Abteilung. 2006 entstand die Junge Oper Mannheim und 2008 gründete das Theater Dortmund sein Kinderopernhaus (­Israel 2013). Das erste Jahrzehnt des neuen Jahrtausends war eine Zeit der Neugründungen, insbesondere der eigenständigen Abteilungen. Gegründet wurde die Junge Oper 1997 durch den Intendanten der Stuttgarter Staatsoper, Klaus Zehelein, der Markus Kosuch zum künstlerischen Leiter berief. Kosuch war seit 1995 für den Erlebnisraum Oper, dem Vermittlungsprogramm für Schüler und Lehrer an der Staatsoper, zuständig (Kosuch 2004, 3). Noch 25 Jahre nach der Gründung bildet die partizipative Musiktheaterinszenierung mit professionellem Orchester, Solisten und einem Projektchor aus Schülern, die zweimal jährlich produziert wird, das zentrale Format der Jungen Oper.68 Im Untersuchungszeitraum der vorliegenden Arbeit steht Barbara Tacchini der Jungen Oper vor.69 Sie ist neben den Gründungsverantwortlichen Klaus Zehelein und Markus Kosuch die wichtigste Interviewpartnerin für diese Arbeit. Im folgenden Kapitel wird zunächst von außen auf die Junge Oper geblickt. Es geht um die personellen Ressourcen, die Finanzierung, aber auch darum, wie sich die Junge Oper innerhalb der Staatsoper organisiert – ist die eigenständige Abteilung wirklich eigenständig? Auf Zeheleins Verständnis von Kindermusiktheater in der Gründungs-

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phase wird im Abschnitt »Begriff von Kindermusiktheater« zurückgekommen – aber auch darauf, wie sich der Begriff unter ­Barbara ­Tacchini ­verändert. Die abschließende Analyse von Juliane Kleins Der ­unsichtbare Vater soll zeigen, zu welchen künstlerischen Formen die eigenständige Abteilung in der Lage ist.

1. Personal: Chronischer Personalmangel

Die Junge Oper Stuttgart beschäftig vier Mitarbeiter in vollen Stellen: Die künstlerische Leiterin, die Leiterin des Projektbüros, einen Dramaturgieassistenten und einen Musiktheaterpädagogen. Künstlerische Mitarbeiter, wie Regisseure und Musiker, werden als Gäste engagiert (Tacchini 2015, 9). Obwohl es sich nur um vier Stellen handelt, kann die Junge Oper Stuttgart weitgehend autark handeln: Die Leiterin des Projektbüros setzt alle Verträge auf, organisiert die Castings und versieht das Musiktheaterpädagogen-Sekretariat. Der Dramaturgieassistent erledigt organisatorische Aufgaben für die Produktionen, erstellt Materialmappen für die Schulen und arbeitet der Leiterin zu (­Tacchini 2015, 2). Mit Ausnahme der Leiterin müssen die Mitarbeiter keine weiteren größeren Aufgaben im Mutterhaus übernehmen und können sich auf ihre Tätigkeiten für die Junge Oper konzentrieren.70 Die Unabhängigkeit im Personal hat aber Grenzen. Obwohl die Junge Oper wesentliche administrative Aufgaben selber erledigen kann, fehlt ihr der eigene, für die spezifischen Anforderungen des Kindermusiktheaters zuständige Dirigent. Hier ist die Abteilung auf Gäste oder auf Kapellmeister des Hauses angewiesen. Außerdem mangelt es an Pädagogen: Ein regelmäßig stattfindender Jugendclub für Schüler kann an der Jungen Oper aus Personalmangel nicht stattfinden. »Dazu fehlt es an Kapazitäten« (Tacchini 2015, 3). Außerdem sind der Dramaturgieassistent und der Musiktheaterpädagoge innerhalb ihrer Sparte in alle Bereiche, nämlich in künstlerische, pädagogische und organisatorische Aufgaben involviert. Dies ist ein deutlicher Unterschied zum arbeitsteilig arbeitenden Mutterhaus71. Deutlich wird das multiple Anforderungsprofil in der Jungen Oper bei der Leiterin: Sie ist Dramaturgin und Regisseurin, musiktheaterpädagogische Vermittlerin, wichtigste Ansprechpartnerin für das Große Haus sowie zuständig für die Mitarbeiterführung. Die Leiterin der Jungen Oper muss gerade jüngere Kollegen in dem komplexen Arbeitsfeld der Musik­theaterpädagogik intensiv begleiten. Dies betrifft nicht nur die Kommunikation mit dem Großen Haus, sondern oft auch die Interak-

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III.  Kindermusiktheater in der eigenständigen Abteilung: Junge Oper Stuttgart

tionen mit den künstlerischen Teams. Dort, wo lückenhafte Theatererfahrung oder fehlendes Ausbildungswissen auf das komplexe Anforderungsprofil des Musiktheaterpädagogen treffen, muss die Leiterin ausgleichen und anleiten. (Tacchini 2015, 2 – 3) Außerdem hat sie die Leitung der Sitzkissenkonzerte inne und arbeitet unter dem allgemeinen Programm des Kinder- und Jugendtheaters der Staatsoper auch als Konzertpädagogin. Obwohl Markus Kosuch den Beruf des Musiktheaterpädagogen aufgewertet hat, ist gerade dieses Berufsfeld von besonderen Schwierigkeiten betroffen. Das große pädagogische Angebot für Schüler und Lehrer an der Jungen Oper Stuttgart ist zeitintensiv und mit langen Anfahrtswegen ins Umland verbunden. Grundsätzlich muss der Musiktheaterpädagoge sowohl die Organisations- und Kommunikationsformen der Schule sowie des Theaters beherrschen, ist aber oft nur in einem der Bereiche (als Lehrer, Musikerzieher oder als Dramaturg, Regisseur etc.) ausgebildet. Gerade die unbekannten Arbeitsmilieus können zur Herausforderung werden: »Kann er der Disponentin nicht erklären, dass sie die Verschiebung der Probe nicht zulassen darf, weil eine Schulklasse zum Zuschauen kommt, gibt es ein Problem« (Kosuch 2015, 4). Es kommt hinzu, dass die Arbeit des Musikpädagogen im Hintergrund verläuft, schwer zu messen ist und häufig nicht die Wertschätzung erfährt, die ihr gebührt. In Stuttgart wie auch in anderen Häusern ist auf der Position des Musiktheaterdramaturgen ein häufiger Wechsel zu beobachten. Barbara Tacchini teilt die Stelle des Musiktheaterpädagogen auf freie Mitarbeiter auf. Auf diese Weise erweitert sie die Kontaktflächen in die Schulen, kann aber junge Kollegen ohne eine feste Anstellung auch nicht näher ans Haus binden.72

2. Ressourcen und Organisation: Eigenständigkeit trotz Abhängigkeit 2.1 Finanzen: Unabhängigkeit durch hausinterne Mittel

Die Junge Oper Stuttgart ist auf die Infrastruktur des Haupthauses angewiesen, wird aber auf eine Weise unterstützt, die ihr vor allem in künstlerischen Belangen Freiraum schafft. Im Spannungsfeld von Ressourcennutzung und künstlerischer Eigenständigkeit liegen Widersprüche und Konflikte. Die wesentliche organisatorische Rahmung für die Junge Oper schuf Klaus Zehelein, indem er der Institution in jeder Spielzeit

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2.  Ressourcen und Organisation: Eigenständigkeit trotz Abhängigkeit

etwa 400 000 Euro zur Verfügung stellt. Seine Nachfolger Albrecht ­Puhlmann und Jossi Wieler tragen diese Entscheidung weiter mit (Tacchini 2015, 5). Die Junge Oper muss aus ihrem Etat sowohl ihre fixen Personalkosten wie auch die künstlerischen Produktionskosten decken, worunter die Gage für die künstlerischen Teams wie auch die Ausstattungskosten fallen. Die Junge Oper bezahlt in der Regel zwei der großen partizipativen Inszenierungen im Kammertheater, eine zusätzliche experimentelle Inszenierung, bei Uraufführungen auch die Kosten für die Neukompositionen, sowie die Gagen für bis zu drei Instrumentalensembles für bis zu vierzig Vorstellungen. Die Gagen sind seit Beginn der Jungen Oper klein. »Ich habe vor acht Jahren die Musikergagen erhöht, damit es für die jungen Musiker noch attraktiv bleibt, bei uns zu spielen« (Tacchini 2015, 5). Auch die Honorare für Sänger fallen nicht groß aus. Grob überschlagen sind sie etwa zehnmal niedriger als auf der großen Bühne. Schon Kosuch musste die finanziellen Erwartungen von Sängern dämpfen: »Den Gastsängern sagte ich, dass es an der Jungen Oper eine dreifache ›Bezahlung‹ gibt – in Gage, Erfahrung und Pressearbeit. Also bekamen alle nur sehr wenig Geld pro Vorstellung. Die meisten haben eingewilligt und es nicht bereut, weil die Produktionen Werbung für sie waren.« (Kosuch 2015, 4). Bis heute gibt es keine Anhebung des Gesamtetats, um etwa die regulären Tariferhöhungen der festangestellten Mitarbeiter auszugleichen. »Es ist finanziell ein schwebender Prozess« (Tacchini 2015, 7). Zum finanziellen Kontext: Die Staatstheater Stuttgart mit Oper, Schauspiel und Ballett werden mit rund 85 Millionen Euro im Jahr öffentlich gefördert und gehören zusammen mit den Bayerischen Staatstheatern und den Hamburger Staatstheatern zu den Bühnen mit der höchsten Fördersumme (Deutscher Bühnenverein 2014, 151, 155, 147). Allein 52 Millionen entfallen in Stuttgart – für die gesamten Staatstheater – auf die fixen Personalkosten. 16,5 Millionen stehen der Oper für die künstlerischen Produktionen und für die Gastsänger zur Verfügung.73 Der Betrag von 400 000 Euro für die Junge Oper mag in diesen Dimensionen eher klein erscheinen, ist aber im Gesamtgefüge des verfügbaren künstlerischen Etats ein wichtiger Posten. Doch selbst wenn die jährliche Unterstützung hoch ist, reichen die Mittel nicht aus. Seither versucht die Öffentlichkeitsarbeit des Haupthauses wechselnde Sponsorengelder zu bekommen, die in jedem Jahr neu beantragt werden müssen. In der Spielzeit 2015/16 fließen ca. 60 000 Euro aus Geldern des Fördervereins der Staatstheater Stuttgart e. V., der Drees & Sommer AG und aus der Bertold ­Leibinger Stiftung.

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III.  Kindermusiktheater in der eigenständigen Abteilung: Junge Oper Stuttgart

Gleichwohl hängen die großen Produktionen und die Gagen der Mitarbeiter nicht an externen Geldgebern. Die Junge Oper hat durch die interne Finanzierung zumindest Planungssicherheit bei ihren Hauptproduktionen.

2.2 Räume: Die eigene Spielstätte als Basis für Eigenständigkeit

Die Junge Oper ist Teil der Staatsoper Stuttgart, indem sie ihre Gelder und Infrastruktur nutzt. Sie profitiert von der Arbeit des Künstlerischen Betriebsbüros (Disposition), von den Werkstätten (Bühnenbildner) und der Verwaltung (Controlling, Verlagsverträge). Das Büro der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Haupthauses versieht Werbung und Marketing. Auch auf die Tätigkeiten von Hausmeister, Raumpflegedienst, Pförtnern, Kassen- und Abenddienstpersonal kann die Junge Oper zurückgreifen. Entscheidend für das Profil der Jungen Oper Stuttgart ist der eigenständige Aufführungsort im Baukomplex der Stuttgarter Staatsgalerie. Das Kammertheater bietet maximal 200 Besuchern Platz. Obwohl im Kammertheater auch Produktionen des Stuttgarter Balletts und des Stuttgarter Schauspiels stattfinden,74 ist die Bühne mit dem Namen der Jungen Oper verbunden. Die Junge Oper kann die personale Ausstattung des Kammertheaters nutzen, das von einer eigenen Bühnentechnikmannschaft betreut wird und dadurch grundsätzlich von den technischen Arbeiten im Haupthaus unabhängig ist. Für ihre Inszenierungen nutzt sie das Probenzentrum der Stuttgarter Staatstheater am Löwentor, wo auch die anderen Sparten probieren. Die Endprobenphase ist mit ca. drei Wochen auf der Bühne des Kammertheaters komfortabel. Auch manche Wiederaufnahmen können lange im Originalbühnenbild im Kammertheater aufgefrischt werden. Die Probenzeit für eine Neuinszenierung beträgt grundsätzlich sechs Wochen, so wie für den Erwachsenenspielplan auch. Bei Stückentwicklungen kann der Probenprozess verlängert werden. Dass die Junge Oper mit dem Kammertheater verknüpft ist und hier regelmäßig Produktionen zu sehen sind, gibt der Sparte nach außen ein Gesicht und verleiht nach innen organisatorische Sicherheit. Die intime Spielstätte bietet ein direktes Musiktheatererlebnis ohne die Distanz eines Orchestergrabens. Gleichzeitig ermöglicht sie dank ihrer Variabilität und technischen Ausstattung fast alle Möglichkeiten einer individuellen und experimentellen Behandlung des Raums.

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2.  Ressourcen und Organisation: Eigenständigkeit trotz Abhängigkeit

2.3 Kollektive: Unabhängigkeit von Solistenensemble und ­Staatsorchester

Die Junge Oper arbeitet grundsätzlich mit Sängergästen, nur in Ausnahmen, wenn es das Große Haus dispositionell zulässt, werden Ensemblemitglieder der Staatsoper in die Projekte integriert (Tacchini 2015, 1). Die Leiterin kann vielmehr von einem inhaltlichen Interesse ausgehen und zunächst ein Stück, einen Stoff oder einen interessanten Künstler in den Blick nehmen und nach diesen Entscheidungen mit dem Casting für die Neuproduktion beginnen. I ch kann Gäste engagieren und dabei auch Typecasting machen. Das heißt, ich wähle die Solisten natürlich nach ihren gesanglichen Fähigkeiten, aber zusätzlich auch nach der Frage aus: Was will ich erzählen, was sind es für Charaktere, die verkörpert werden sollen? […] Die Kinder möchten sich identifizieren können (Tacchini 2015, 2). Der umgekehrte Weg – festzustellen, welche Sänger nach der Jahresplanung übriggeblieben sind, um daraufhin das geeignete Stück für sie auszusuchen – wird in Stuttgart nicht begangen. Genauso wichtig ist die Unabhängigkeit vom Württembergischen Staatsorchester. Die Instrumentalensembles der Jungen Oper setzen sich aus freien Musikern zusammen, die nicht Teil des Hausorchesters sind. Mit welcher Begründung – wenn doch die 135 Musiker das fest angestellte Instrumentalensemble der Stuttgarter Staatstheater darstellen? Das Staatsorchester hat zwar viele Mitglieder, allerdings gilt es zu bedenken, dass nicht alle jederzeit zu Verfügung stehen. Der Klangkörper spielt ca. 150 Opern- und Ballettvorstellungen pro Spielzeit und probt für etwa sieben Opern- bzw. Ballettpremieren. Hinzu kommen durchschnittlich zehn Wiederaufnahmen im Großen Haus sowie Konzerte mit dreißig Auftritten und den dazugehörigen Proben.75 Wenn die Junge Oper durchschnittlich dreißig Mal im Kammertheater spielt und dafür lediglich eine Besetzung von 16 Musikern braucht, würde das den Personalstand im Orchester bereits wesentlich beeinträchtigen. Zusätzlich fällt ins Gewicht, dass die Junge Oper ihre Instrumentalisten oft länger braucht, als es der Dienstplan für eine Repertoireproduktion vorsieht. Natürlich wäre es denkbar, parallel zu den Produktionen der Jungen Oper ein Stück mit einer entsprechend kleineren Orchesterbesetzung im Großen Haus zu spielen. Werke mit kleinen Orchesterbesetzungen (italienische opera buffa, deutsche

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III.  Kindermusiktheater in der eigenständigen Abteilung: Junge Oper Stuttgart

­ pieloper, Offenbachiaden usw.) sind im Spielplan der Staatsoper S Stuttgart aber eher selten und selbst solche Stücke, die klein besetzt werden könnten, wie alle Mozart-Werke, erklingen meistens in größerer (Streicher-)Besetzung, um den Klang im Großen Haus zu intensivieren. Eine funktionierende kleine Orchesterbesetzung ohne zusätzliche Kosten in der Jungen Oper aus dem Staatsorchester zu realisieren, bliebe dabei theoretisch immer noch möglich. Die Folge wäre aber auch hier, dass der Spielplan im Großen Haus bis auf jede Abendvorstellung und möglichst inklusive Dienstverteilung im Orchester durchgeplant werden müsste, um überhaupt erst ermessen zu können, welche regelmäßig zusammen spielende Orchesterbesetzung sich aus dem Klangkörper herauslösen lassen könnte, die dann spielplanbestimmend für die Junge Oper wäre. Außerdem verlangt zeitgenössisches Musiktheater für Kinder oft besondere Instrumente, wie etwa das Saxofon und das Akkordeon in Der unsichtbare Vater, die nur einmal oder gar nicht im Orchester vertreten sind. Der eigene Etat der Jungen Oper, der auch für die Instrumentalisten vorgesehen ist, erspart der Abteilung diese Verschränkung mit dem Betrieb und den programmierten Streit in den Spielplansitzungen, wo es darum ginge, welchem Stück Vorzug einzuräumen wäre, an welcher Stelle das Große Haus der Jungen Oper entgegenkommen müsste oder umgekehrt. Mit Musikergästen kann Tacchini »auf Besetzungswünsche der Komponisten reagieren und unkonventionell besetzte Stücke spielen: Wenn ich fünf Kontrabässe brauche, engagiere ich fünf Kontrabässe. Ich bin nicht an Dienste gebunden« (Tacchini 2014, 2). Von freien Musikern darf die Leiterin außerdem Ausdrucksformen verlangen, die der Tarifvertrag von 2009 für die Musiker in Kulturorchestern (TVK) nicht abdeckt. Der Tarifvertrag regelt die Struktur im Repertoirebetrieb und geht grundsätzlich davon aus, dass Musiker von Opernorchestern im Graben sitzen. Besondere Mitwirkungspflicht besteht »auf der Szene« lediglich bei »Bühnenmusik«, also bei auskomponierter Spielanweisung beispielsweise für Fanfarenbläser, die im Bühnenbild stehen sollen (§ 7, 4a). Dabei muss auch Kostüm und Maske getragen werden. Die szenische Beteiligung im Sinne eines performativen Vorgangs, der nicht an das Spielen einer Bühnenmusikpartie gebunden ist, wird gar nicht erwähnt. Auch die Improvisation ist im TVK nicht abgedeckt. Der Vertrag ist an das Spielen nach Noten gebunden. Auch das Spielen auf unterschiedlichen Instrumenten ist klar reglementiert. Der TVK spezifiziert die Abweichungen vom Normalfall, in dem beispielweise ein Klarinettist nicht nur auf seinem Hauptinstrument, sondern auch auf dem der Klarinette verwandten Bassett-

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2.  Ressourcen und Organisation: Eigenständigkeit trotz Abhängigkeit

horn spielen soll. Zum Spielen eines »ungewöhnlichen Instruments«, das »nicht im Arbeitsvertrag erwähnt wird«, ist der Musiker zwar verpflichtet (§ 6 Arbeitspflicht 3d) – hierzu können z. B. einfache Schlaginstrumente gehören. Er ist aber durch den Passus »im Rahmen seines Leistungsvermögens« abgesichert, kann also komplexere Aufgaben ablehnen. Mit ihrer finanziellen Unabhängigkeit kann die Junge Oper diese Probleme umgehen. So erfreulich dieses Privileg ist, desto bedenklicher erscheint die Frage, ob nicht Mittel gefunden werden müssten, das Staatsorchester regelmäßig in die Produktionen der Jungen Oper einzubeziehen. Dies hätte weitreichende dispositionelle Konsequenzen und würde zugleich die Anforderungen an einen Orchestermusiker verändern. Denkbar ist, dass es eine Gruppe von Musikern gäbe, die von den Diensten des Staatsorchesters entbunden sind, sich aber auch gegenseitig bei Diensten für die große Bühne vertreten. Bislang ist noch kein Intendant so weit gegangen, eine solche Umstrukturierung vorzunehmen – nicht zuletzt aus der Notwendigkeit heraus, dass grundsätzlich alle Musiker im Repertoire- und Orchesterbetrieb gebraucht und zusätzlich sogar externe Orchesteraushilfen engagiert werden müssen. Das Kindermusiktheater hat hier noch nicht den Status wie etwa die Sparte Ballett, für die in jeder Spielzeit Abende mit Orchester obligatorisch sind. Ein Hinderungsgrund ist aber auch der Tarifvertrag. Die Entwicklung des Kindermusiktheaters in Verbindung mit den Orchestern wird davon abhängig sein, ob der TVK den neuen Erfordernissen des ­Musiktheaters entgegenkommt. Dafür gibt es durchaus Bereitschaft bei den ausführenden Musikern, denn das Orchester ist seit jeher im Öffnungsprozess der Kulturinstitutionen engagiert (vgl. »Kinderkonzerte und Educationprogramme als Wegbereiter«, S. 47). Im ersten Schritt ginge es nicht darum, die Beteiligung im Kindermusiktheater als verpflichtende Maßnahme festzulegen, sondern es denjenigen Musikern leichter zu machen, die sich dafür bereiterklären. Dabei müsste szenische Aktion und Improvisation als professionelle Tätigkeit festgeschrieben, vielleicht sogar privilegiert werden. In einer solchen Novelle könnte sich die alte Arbeitsteiligkeit zwischen Orchestergraben und Bühne sowie zwischen Autoren und Darstellern behutsam überwinden lassen. Auf der anderen Seite muss man festhalten, dass der TVK seine Mitglieder schützt, die eine spezialisierte Ausbildung genossen haben und sich mit Improvisation und szenischem Spiel auf unbekanntes Terrain begeben. Die Ausbildung zum klassischen Musiker sieht keine Improvisation vor und noch weniger die Anleitung zum

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III.  Kindermusiktheater in der eigenständigen Abteilung: Junge Oper Stuttgart

szenischen Spiel oder zur Performance. Wenn sich die Bestimmungen des TVK lockern sollten, braucht es parallel dazu auch die Vorbereitung in den Hochschulen.

2.4 Stellung im Haus: Wertschätzung des Intendanten als S ­ chlüssel

»Grundsätzlich hängt alles an der Haltung des Intendanten. Wenn er nicht dahinter steht, kann man es lassen« (Kosuch 2015, 3). Wichtig ist, dass der Intendant dem Abendspielplan in Zweifelsfragen nicht a priori den Vortritt lässt. Über Klaus Zehelein wird berichtet, er hätte als Gründungsvater ein besonderes Interesse daran gehabt, dass die Belange der Jungen Oper ernstgenommen und umgesetzt würden, wann immer eine Schnittstellenproblematik mit dem Großen Haus auftrat. Dazu ein Beispiel: I ch hatte bei einer Generalprobe 300 Schüler und Lehrer eingeladen. Aber der Hauptdarsteller war indisponiert. Anders als andere Intendanten hat Zehelein die Schüler nicht herausgeschmissen. Er hat vertrauensbildende Maßnahmen ergriffen und den Sängern erklärt, was die Schüler für uns bedeuten. […] Der kranke Sänger spielte, ein Proben-Einspringer sang von der Seite. Die jugendlichen Zuschauer waren gebannt, sie fühlten sich ernst genommen, weil sie einen echten Einblick ins Theater bekommen hatten (Kosuch 2015, 4). Die Wertschätzung durch den Intendanten drückt sich auch darin aus, dass die Junge Oper Teil der allgemeinen Leitungsrunden ist. Damals wie heute nimmt die Direktion der Jungen Oper an der wöchentlichen Planungsrunde teil, in der Intendanz, Chefdramaturgie und -disposition, Operndirektion und Vertreter der musikalischen Abteilung das Tagesgeschäft und wichtige strategische Entscheidungen besprechen. Dadurch ist die Junge Oper über die Vorkommnisse des Großen Hauses informiert und gibt umgekehrt Informationen aus der eigenen Abteilung weiter. Schnittstellenprobleme zwischen Staatsoper und Junge Oper treten dennoch auf. Zu nennen sind Konflikte hinsichtlich Personal und Arbeitszeitressourcen bzw. Priorisierung von Aufgaben im Haupthaus. Einige Mitarbeiter der Stuttgarter Staatsoper arbeiten überwiegend für die große Bühne, haben aber auch in der Jungen Oper Dienst. Das Personal der musikalischen Abteilung beispielsweise steht – wie etwa bei

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2.  Ressourcen und Organisation: Eigenständigkeit trotz Abhängigkeit

Vorsingen für die Junge Oper – nicht selbstverständlich, sondern nur nach Sonderanmeldung zur Verfügung. I ch muss das immer ganz früh anmelden, immer alles überkorrekt machen, denn im Zweifelsfall wird für das Große Haus entschieden. […] Außergewöhnliches, wenn auch Kleines, ist im Großen Haus, dessen Infrastruktur wir nutzen, immer mal lästig, verlangt unkonventionelle Lösungen und unterbricht die gewohnten Arbeitsabläufe (Tacchini 2015, 2). Auch Arbeitszeitressourcen sind umkämpft. Konflikte treten vor allem dort auf, wo enge Betriebsabläufe des Großen Hauses mit denen der Jungen Oper koordiniert werden müssen. Dies betrifft vor allem die Werkstättenzeiten (Tacchini 2015, 2). Der Bühnenbildbau der Jungen Oper ist abhängig von der Werkstättenauslastung des Großen Hauses. »Der Rosenkavalier geht vor. Wir sind da schon noch eine Randexistenz« (Tacchini 2015, 1).

2.5 Partnerschaft: Schule, Stadt und Politik

Die Junge Oper verfügt über einen Adresskatalog von ca. 250 Schulen in Stuttgart und Umgebung. Anders als andere Theater muss die Abteilung ihren Aktionsradius nicht mehr ausbauen. Die Nachfrage aus den Schulen nach Workshops übersteigt das Angebot, ohne dass die Junge Oper dafür offensiv Werbung macht.76 Dass die Weitergabe von Information vor allem über ausgesuchte Fachlehrer funktioniert, ist ein Hinweis darauf, wie tief die Verbindungen zwischen Junger Oper und den Bildungsinstitutionen sind. »Wichtig sind einzelne Lehrer. Von denen haben wir auch die privaten Adressen und schicken die Werbung dorthin, wenn sie das wünschen. In Schulsekretariaten geht vieles unter« (Tacchini 2015, 5). Für die Stuttgarter Junge Oper ist der wichtigste städtische Partner außer den Schulen die Hochschule für Musik und Darstellende Kunst, die in unmittelbarer Nachbarschaft beheimatet ist. Von hier kommen seit der Gründung junge Sänger, Instrumentalisten und Pädagogen als Künstlergäste sowie Schulmusiker als Workshopleiter zur Jungen Oper (Tacchini 2015, 5). Die Mitwirkung der Studenten bewirkt auch eine rege Anteilnahme des Lehrkörpers an den Produktionen, denn die Auftritte sind für die Studenten ein wichtiger Schritt in die Öffentlichkeit. Weil die Hochschule ein Interesse hat, ihren Studenten

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III.  Kindermusiktheater in der eigenständigen Abteilung: Junge Oper Stuttgart

auch unterhalb der üblichen Gagenhöhe professionelle Theatererfahrungen zu vermitteln und umgekehrt die Junge Oper die Studenten wegen ihres jungen Alters gut für jugendliche Partien einsetzen kann, entstehen wesentliche Synergieeffekte. Eine Sonderstellung im Netzwerk nimmt die Politik ein. Die Berührungspunkte sind punktuell und wechselhaft. In seiner Zeit als Intendant wird Klaus Zehelein in Publikumszuschriften darum gebeten, in seinem Spielplan stärker die Stücke zu berücksichtigen, die in den Curricula der Schulbehörden stehen (Kosuch 2015, 3). Solche sogenannten Sternchenthemen sind in den 1990er-Jahren beispielsweise George Bizets Carmen und Carl Maria von Webers Der Freischütz (Benthaus 31, 68). Zehelein setzt sich dafür ein, dass das Ministerium eine Empfehlung für Lehrer ausspricht, sich umgekehrt am ungewöhnlichen Spielplan der Oper zu orientieren. »Manche Lehrer waren sehr glücklich darüber« (Kosuch 2015, 3). Eine solche Umkehrung der Verhältnisse gibt einen Eindruck vom Bekenntnis der Leitung zu ungewöhnlichen Stückansetzungen und zu dem Willen, neues Repertoire zum Gegenstand der Vermittlung zu machen. Eine Änderung des Lehrplans erwirkt Zehelein dadurch allerdings nicht.77 Der Austausch zwischen Junger Oper und Politik wird immer noch gepflegt. Die Junge Oper ist aktives Mitglied in der Fachgruppe »Oper und Schule« des Ministeriums für Wissenschaft und Kunst. Aber die im Zuge der Neugründung auf größerem Interesse beruhende Beziehung zum Ministerium für Kunst ist abgekühlt. Stuttgart hat mittlerweile viele Kulturinstitutionen hinzugewonnen, die mit pädagogischen Programmen junges Publikum anziehen. »Es gibt derzeit ein großes Gerangel unter den kulturellen Institutionen um das kindliche Publikum. Wer greift wie viel ab?« (Tacchini 2015, 3) In der Wahrnehmung der Jungen Oper versteht sich das Ministerium in diesem Prozess zunehmend als übergeordnete Instanz und wird weniger als unterstützender Partner empfunden (Tacchini 2015, 3). Auffällig ist, wie wenig ein eigentlich brisantes kulturpolitisches Projekt gemeinsam vorangebracht wurde. Daran sind auch die Strukturen schuld. Klaus Zehelein hat keine Erhöhung der Landes- und Kommunalförderung für die Junge Oper erreicht, die Stadt hat im Gegenzug aber auch nicht die Gelegenheit ergriffen, aus der Jungen Oper eine städtisch getragene Institution zu machen. Wahrscheinlich wäre dies im Komplex der Staatstheater auch nicht einfach gewesen, weil ja die Junge Oper auf die Ressourcen des Staatstheaters zurückgreift. Indem nun die Junge Oper Teil der Stuttgarter Staatsoper ist, fällt sie in den alleinigen künstlerischen Wirkungsbereich des Intendanten.

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2.  Ressourcen und Organisation: Eigenständigkeit trotz Abhängigkeit

Einerseits ist die Distanz zwischen Theater und Politik im Sinne der ästhetischen Unabhängigkeit nicht notwendigerweise schlecht, anderseits verspielen sich damit beide Partner die Möglichkeit, stärker in die Stadt hineinzuwirken. Für eine engere Vernetzung sprechen die Zusammenarbeit mit den Schulen, anderen Kulturinstitutionen und städtischen Ämtern (Jugendamt, Jugendhäuser, Schulamt usw.) sowie der gemeinsame Auftrag zu Kultureller Bildung.

2.6 Publikum: Möglichkeiten der Zuschauerbindung Großes Haus als Risiko und Chance

Da die Junge Oper ihr Angebot sowohl bei den Formaten und Spielorten wie auch bei der Häufigkeit der Vorstellungen variiert, sind Zuschauerzahlen nur bedingt vergleichbar. »Die Publikums-Auslastung ist gut. Wir sind knapp voll. Ich glaube, man spürt die Intensität, den Impetus der Sparte. Aber die Massen bewegen wir nicht« (Tacchini 2015, 6). Zu den Konstanten zählen die zwei großen Produktionen im Kammertheater, die jeweils etwa 15 Mal gespielt werden, sodass grundsätzlich etwa dreißig Vorstellungen von professionellen Sängern und Bewegungschor stattfinden. Ergänzt werden die Vorstellungen von den partizipativen Projekten, die aber nur mit wenigen Aufführungen gezeigt werden. Die Junge Oper erreicht 2015 im Kammertheater jährlich rund 6000 Besucher.78 Alle von der Staatsoper mit »Kinder- und Jugendtheater« etikettierten Veranstaltungen zusammen ergeben aber eine weit höhere Besucherzahl. Entscheidend dafür sind vor allem die Sitzkissenkonzerte, die in der Regel im Foyer des Opernhauses abgehalten werden. Hier lassen sich jährlich bis zu 2000 weitere Besucher gewinnen (Deutscher Bühnenverein 2013/14, 110). Wenn aber ein Stück auf der großen Bühne herauskommt, gewinnt die Junge Oper auf einen Schlag bis zu 16 000 Zuschauer dazu (Peter Pan 2013/14 im Opernhaus, Deutscher Bühnenverein 2013/14, 110).79 Die Werke laufen als Familienopern neben vormittäglichen Schulvorstellungen auch abends. Während alle Vorstellungen im Kammertheater frei, also ohne Abonnement, verkauft werden, setzen sie die Intendanten Albrecht Puhlmann (Pinocchios Abenteuer) sowie später Jossi Wieler (Peter Pan) als solche für die Opernabonnementen an (Tacchini 2015, 1). Die Taktik sichert einen Grundstock an Besuchern, doch wird dabei auch eine volle Position des Erwachsenenspielplans ersetzt, die sich in der Regel teurer verkaufen ließe als eine Familien-

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III.  Kindermusiktheater in der eigenständigen Abteilung: Junge Oper Stuttgart

vorstellung mit ihren vielen Ticketermäßigungen. Eine Repertoirevorstellung wie z. B. Puccinis La Bohème ließe sich außerdem häufiger spielen. Die Verkaufszahlen im Großen Haus bleiben aber in der Familienoper-Spielzeit 2013/14 konstant. Die Gesamtbesucherzahl »am Standort« ist für das Opernhaus mit fast 300 000 Zuschauern sogar besser als in den Jahren zuvor (Deutscher Bühnenverein 2011/12, 110; Deutscher Bühnenverein 2012/13, 110; Deutscher Bühnenverein 2013/14, 110). Auch für die statistische Zuordnung der Zuschauerzahlen finden die Intendanten eine Lösung. Die Besucher werden der Opernsparte unter »Kinder- und Jugendtheater« zugeschlagen, weisen damit klar ihre Abteilung nach, gehen aber dem Stammhaus nicht »verloren«. Warum war nicht bereits Klaus Zehelein auf den Gedanken gekommen, die große Bühne für die Junge Oper zur Verfügung zu stellen und dabei mehr Publikum für die Jugendabteilung zu gewinnen? Mit der Produktion auf der großen Bühne bewegt sich die Junge Oper – ohne Partizipation und jenseits der intimen Spielstätte des Kammertheaters – am Rande ihres ursprünglichen Aufgabengebiets. Zehelein hatte die große Bühne ursprünglich streng von der Jungen Oper getrennt. »Wichtig war für unser Selbstverständnis: Die Junge Oper ist nicht die Staatsoper. Sie ist selbständig« (Zehelein 2015, 3). Nun sind die Inszenierungen der Jungen Oper auf der großen Bühne in den Arbeitsabläufen und im künstlerischen Anspruch nicht viel anders als Inszenierungen des Abendspielplans. Eine Schieflage entsteht nicht etwa dadurch, dass das künstlerische Niveau der Abendspielplaninszenierungen unterwandert würde – im Gegenteil haben alle Inszenierungen die Signatur professioneller Umsetzung auf Staatsopernniveau. Aber genau in der Ähnlichkeit des Formats liegt auch ein Problem: Die Flexibilität des Kammertheaters, die intime Spielsituation, die individuelle Ansprache – all diese Alleinstellungsmerkmale können in einer Produktion auf der großen Bühne nicht vollständig übernommen und müssen teilweise auch dem Funktionieren des Betriebs untergeordnet werden. Die Abläufe sind »eingetaktet«, die jungen Zuschauer müssen mit großen Dimensionen zurechtkommen. Wie viel der Identität einer eigenständigen Jungen Opernabteilung bleibt bei der Produktion auf der großen Bühne erhalten? Fühlen sich hier womöglich auch die Erwachsenen nicht ge­meint? Vielleicht liegt hier das eigentliche Risiko: dass nämlich erwachsene Operngänger, die ihre Festmiete für den Abendspielplan gebucht haben, mit einem Stück für Kinder und Jugendliche konfrontiert werden. Die Komische Oper, die vor mehr als zehn Jahren begann,

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2.  Ressourcen und Organisation: Eigenständigkeit trotz Abhängigkeit

jährlich ein Kinderstück auf der großen Bühne zu spielen, hatte mit weniger potenziellem Widerstand zu tun, weil es weniger Abonnenten gab.80 Weil in Stuttgart – anders als in Berlin – die Familienoper kein jährlicher Standard geworden ist, können sich ein verstetigter Besuch großer Kinderopern und ein regelmäßiger freier Verkauf auch nicht etablieren. Das ist umso bedauerlicher, als sich die Rezeption einer Familienoper in Stuttgart als ein positives Erlebnis erwies. Viele Besucher von Peter Pan kamen mit Kindern oder Enkeln in die Vorstellung und nutzten den frühen Abend für einen familiären Opernbesuch.81 Auch bei diesem Beispiel zeigt sich, wie stark Kinderoper von seinen Rahmenbedingungen abhängt. Die Intendanten federn das R ­ isiko des Zuschauerverlustes durch Abonnenten ab, möchten ihnen aber auch nicht jedes Jahr ein Familienstück präsentieren. Die Junge Oper kann um ein Vielfaches mehr Publikum erreichen, entfernt sich aber von ihren spezifischen Formaten. Dass die junge Oper erst dreimal82 eine Produktion auf der großen Bühne herausbringt, zeigt, wie schwer die Durchmischung von Kinderoper und großer Bühne bleibt.

Stammpublikum mit eigenem Interesse

Wenn zur Wiedererkennbarkeit der Abteilung ihre eigene Spielstätte, das zielgruppengerechte Programm und das eigene künstlerische Personal gehören – zieht dieses Profil auch ein eigenes Publikum an? Die Buchung für Schulklassen läuft über die Theaterkasse, nicht über das Projektbüro der Jungen Oper, womit sich eine engere Kundenbindung herstellen lässt. Die Mitarbeiter der Kasse sind über Altersempfehlungen und Stückinhalte informiert und haben die Inszenierungen in der Generalprobe gesehen. Diese enge und lang erprobte Anbindung des Vorderhauspersonals an die Bedürfnisse der Jungen Oper gehört zu den glücklichen Bedingungen der Abteilung und wirkt sich auch auf die Begegnung bei den Vorstellungen aus. Zugleich lassen sich tatsächlich Stammbesucher ausmachen, die der Abteilung die Treue halten. Sie setzen sich aus drei Gruppen zusammen: Zum einen bestehen sie aus Lehrern, die bereits seit den Anfängen der Jungen Oper den Kontakt halten (Tacchini 2015, 4). Zum anderen bildet sich durch die partizipativen Projekte ein wachsendes Publikum von ehemaligen Chorkindern. Drittens gehören auch Hochschulstudenten, die an Produktionen beteiligt waren, zum Stamm des Hauses (ebd.). Für die Publikumsbildung sind auch die Sitzkissenkonzerte im Großen Haus wichtig. Hier wird ein breites Publikum bereits zielgruppengerecht an-

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III.  Kindermusiktheater in der eigenständigen Abteilung: Junge Oper Stuttgart

gesprochen und hinsichtlich der Vorstellungen der Jungen Oper informiert.83 Bei Musiktheaterproduktionen verkaufen sich zugkräftige Titel wie beispielsweise Peter Pan (auf der großen Bühne) oder Momo (im Kammertheater) besser als unbekannte Titel, wie beispielsweise Into the Little Hill. Die Junge Oper hat also kein Publikum, das nur aus alter Verbundenheit oder deswegen kommt, weil es einem Verwandten oder Freund zusehen will, sondern weil es sich tatsächlich für das Programm interessiert. In diesem Zusammenhang sind die Multiplikatoren (Lehrer, Eltern, Pädagogen) von Bedeutung, denn die meisten Kinder kommen im Klassenverband.84 Gerade Multiplikatoren scheinen von Titeln stärker oder schwächer angezogen zu sein und reagieren damit ähnlich schwankend wie das Publikum auf den Abendspielplan. Die Junge Oper als Institution – abhängig und trotzdem frei vom Mutterhaus – verhält sich damit durchaus wie ein kleines Theater im Theater.

3. Begriff: Von der Teilhabe zur Ausbildung 3.1 Inklusion als Grundsatz einer neuen Pädagogik (Gründungsphase)

Wurde die Junge Oper bisher hinsichtlich ihrer Ressourcen, Organisation und Publikumszahlen untersucht, soll es im Folgenden um die Beweggründe gehen, die zur Organisationsform geführt haben. Dafür ist zunächst Klaus Zeheleins allgemeines Theaterverständnis von Bedeutung. Er orientierte sich am kritischen, um gesellschaftliche Relevanz kämpfenden Schauspielregietheater der 1960er- und 1970er-Jahre. Sein Ausgangspunkt war die »Notwendigkeit und Seriosität von Theater« (Zehelein 2015, 1), wie sie etwa an der Schaubühne am Halleschen Ufer unter der künstlerischen Leitung Peter Steins praktiziert wurde (Zehelein 2015, 1). Hinsichtlich eines Theaters für Kinder und Jugendliche zielte Zehelein auf ein eigenständiges Kindertheater mit politischem Anspruch, wie das Berliner Grips Theater oder die Münchener Schauburg. »Im Kinder- und Jugendtheater der 60er-Jahre gab es das berühmte Buch ›Schlachtet die blauen Elefanten‹ von Melchior ­Schedler, das bedeutete: Macht ein Ende mit den kindertümelnden Märchenstoffen, macht endlich ein zeitgenössisches Theater für Kinder« (Zehelein 2015, 1). Ihm gelang es, in der DDR Inszenierungen von W ­ alter Felsenstein, Joachim Herz und Ruth Berghaus zu sehen. Er erlebte

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3.  Begriff: Von der Teilhabe zur Ausbildung

demgegenüber die westdeutsche Opernlandschaft als eine Institution, der jede kritische, die Stücke aus zeitgenössischer Sicht befragende Dimension fehlte. »Die Oper war kein Ort des politischen Theaters, keine Institution der Befragung der Stücke vom Hier und Heute aus« (Zehelein 2015, 1). Wenn er in seiner Arbeit als Dramaturg und später als Intendant an der Stuttgarter Oper versuchte, dieses T ­ heaterverständnis im Abendspielplan umzusetzen, so wollte er ­genau das Gleiche auch im Bereich der Kinderoper, denn beide Gattungen sind nach seinem Verständnis nicht voneinander zu trennen: »Sie ­sehen, dass ich das Theater für Kinder […] immer eingebunden sehe in die allgemeine […] Entwicklung politisch relevanten Theaters – auch für Erwachsene. Für mich gehören die Bereiche zusammen« (Zehelein 2015, 1). Für Zeheleins Theaterverständnis war ein Vorgang besonders prägend, den er Mitte der 1970er-Jahre als Dramaturg am Oldenburgischen Staatstheater vorantrieb:85 Er überzeugte seinen Intendanten davon, die sogenannten Jugendkonzerte von Lehrlingen durchführen zu lassen (Ritzel/Zehelein 1975). Zehelein war aufgefallen, wie stark sich die Gruppe der Musiker von der Gruppe der Zuschauer unterschied. Neben der inhaltlichen Erneuerung der Konzerte ging es ihm darum, Jugendliche mitbestimmen zu lassen. Er schrieb bereits 1976, dass »kulturelle Arbeit für Jugendliche als notwendige Komponente der Legitimation öffentlich subventionierter Musikpflege ausgewiesen werden musste« (Ritzel/Zehelein 1976, 917 – 918). Die jungen Männer und Frauen in der Ausbildung zum Fernmeldeamtstechniker wählten selbst die Programmpunkte aus und moderierten die Konzerte. Die Lehrlinge besprachen mit der Dramaturgie, welche Musik sie mochten und für zeitgemäß hielten. Auch Titel aus der Populärmusik kamen ins Programm. Bei der Realisierung gab es Konflikte mit dem Orchester und Rückschläge in der Gruppe, aber ein deutliches Ansteigen des Publikumsinteresses. Das Wichtigste war, dass fast alle Teilnehmer das Projekt bis zum Ende durchführten – getragen von einem besonderen Verantwortungsgefühl. »Es ging darum, […] die Jugendlichen ernst zu nehmen.« Diese Begegnungserfahrung stand für Zehelein in einem durchaus politischen Zusammenhang: »Es ging darum, zu ermuntern, sich selbständig in der Gesellschaft zu verhalten« (Zehelein 2015, 2). Entscheidend für die ersten Jahre des Erlebnisraums Oper, aber auch für die spätere Junge Oper ist, dass sie aus dem Geist dieser Beteiligungsidee entsteht – weniger aus einer ästhetischen Suchbewegung oder weil man daraus das Publikum von morgen gewinnen wollte. Für seinen gesellschaftlich orientierten Schwerpunkt stellt Zehelein die personellen Weichen: Er engagiert mit Markus Kosuch

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III.  Kindermusiktheater in der eigenständigen Abteilung: Junge Oper Stuttgart

keinen Regisseur oder Manager, sondern einen Pädagogen.86 Mit Kosuchs Handwerkszeug, der Szenischen Interpretation von Musiktheater (vgl. »Operndidaktik und Musiktheaterpädagogik«, S. 22), ließ sich Zeheleins Teilhabeidee umsetzen. Die aus dem Unterricht entwickelte Methode ermöglicht dem Schüler über das Rollenspiel eine persönliche Erfahrung mit einem fremden Stoff und macht ihn zum selbstbewussten Experten gegenüber dem komplexen Kunstwerk Oper.87 »Die Teilnehmer der Workshops zur Szenischen Interpretation […] begeben sich spielerisch in Form und Inhalt des Stückes hinein, um eine eigene Haltung dazu zu gewinnen. […] Das macht sie zu mündigen Besuchern der Oper, nicht zu Dechiffrierungskünstlern eines vorher erläuterten Inszenierungskonzepts« (Kosuch 2015, 1).88 Der zweijährige Erlebnisraum Oper entfaltete seine Resonanz zunächst im pädagogischen Bereich und erweckte nicht nur bei Schülern, sondern auch bei Lehrern großes Interesse. Es bildeten sich vier Lehrerarbeitskreise. Wichtig für die Szenische Interpretation von Oper war, dass die Fremdheit von Institution (Gebäude, Zuschauerraum, angebliche Kleiderordnung usw.) wie auch der Kunstform (klassische Gesangstechnik, Kluft zwischen Werk und Inszenierung, ungewohnte Kompositionstechniken usw.) nicht hingenommen, sondern in ihrer Eigenartigkeit herausgestellt wurden. »Fremdheit soll also nicht aufgelöst, sondern zur Erprobung unterschiedlicher Perspektiven und der Möglichkeit, Nähe und Distanz zum Stoff selbst zu bestimmen, genutzt werden« (Kosuch 2004, 63). Der Erlebnisraum Oper entstand aus dem Gedanken kultureller Teilhabe und demokratischer Vermittlung, weniger aus dem betriebsinternen Bedürfnis, (zukünftiges) Publikum zu gewinnen. Die Gründer verfolgten mit ihrer Arbeit inhaltliche Interessen und keine Marketingziele: »Wir wollten keine Musiktheaterpädagogik machen, um leere Opernsessel zu füllen« (Kosuch 2015, 1). Kosuch gab die ersten Workshops zu gut verkauften Inszenierungen, bei denen keinerlei Notwendigkeit bestand, zusätzliches Publikum zu gewinnen und den leeren Zuschauersaal zu »stopfen« (ebd.). Auch das Konzept der späteren Jungen Oper trägt noch die Signatur der Beteiligung des Erlebnisraums Oper. Keine zwei Jahre nach Kosuchs Amtsantritt musste Zehelein für das Kammertheater eine Verwendung finden. Zehelein bat Kosuch, ein Konzept für eine Junge Opernabteilung vorzulegen (Kosuch 2015, 1). Nun wurden auch Eigenproduktionen mit künstlerisch-darstellender Beteiligung von Schülern realisiert. Auch die Möglichkeit des Hospitierens in unterschiedlichen Theaterbereichen war Teil des Programms. Auf diese Weise sollten auch diejenigen Schüler die Chance zum Mitmachen be-

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3.  Begriff: Von der Teilhabe zur Ausbildung

kommen, die sich als Darsteller nicht auf die Bühne wagen oder deren Talente auf anderen Gebieten liegen. Oper sollte nicht mit einem »hochschwelligen« Kunstbegriff verbunden werden, der sich nur vom Bühneneindruck leiten ließ, sondern mit der Tatsache umgehen, dass der Produktionsprozess ein Handwerk ist, das zu einem großen Teil hinter den Kulissen stattfindet.

3.2 Entwicklung des ästhetischen Spielraums

Das Selbstverständnis der Jungen Oper mit Schwerpunkt auf dem Beteiligungsaspekt hat sich im Laufe der Jahre und im Untersuchungszeitraum gewandelt. »Ich habe den künstlerischen Anspruch höher gesetzt […]« (Tacchini 2015, 3). Strukturell drückt sich diese Tendenz dadurch aus, dass die experimentelle Spielplanposition hinzugekommen ist. Hier werden neue Formen ausprobiert, die jeweils mit dem Komponisten und seiner Arbeitsweise zusammenhängen (Tacchini 2015, 1). »Wir geben ihnen [den Komponisten] die Strukturen, Arbeitsweisen und Künstlerpersönlichkeiten, die sie sich für ihre kreativen Prozesse wünschen, und begleiten sie mit unserem Knowhow dabei« (Tacchini 2015, 2). Über die experimentelle Spielplanposition entstehen neue Musiktheaterformate. Bei der »Tischoper« westsidestory beispielsweise agieren alle Sänger um eine Modelleisenbahn-Westernlandschaft. Die Produktion geht auch als mobile Produktion in Stuttgarter Klassenzimmer. Als klar partizipatives Gegengewicht gibt es aber auch die sogenannten Spielclubs, in denen sich Laien ausprobieren können. »Das ist dieses Jahr das inklusive Projekt mit Sehbehinderten und Sehenden, es war auch schon der Kinderclub oder das Projekt 50 plus«. In diesem Format geht es weniger um das Ergebnis als um den Prozess. »Das ­Risiko des Scheiterns« kann bei diesen Projekten eingegangen werden. »Man soll sehen dürfen, dass es Laien sind […]. Hier verlangen wir statt 18 Euro (bzw. ermäßigte 7 Euro) nur 4 Euro Eintritt oder gar keinen« (Tacchini 2015, 2). Aber nicht nur beim ästhetischen Experiment bzw. beim Spielclub, sondern auch bei der großen Produktion im Kammertheater haben sich die Gewichte verschoben. Der Projektchor ist nicht mehr ­obligatorisch. »Früher gab es ausschließlich Stücke mit Chor, ich wähle auch andere Formate, wenn die Stücke gut sind« (Tacchini 2015, 4). Bei den Solisten legt Tacchini Wert auf eine typgerechte Besetzung. Außerdem sollen sich junge Sänger mit erfahrenen »mischen« (ebd.).

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III.  Kindermusiktheater in der eigenständigen Abteilung: Junge Oper Stuttgart

Beim Projektchor haben sich die Aufnahmebedingungen verschärft. Die Leitung der Jungen Oper schaut heute stärker auf künstlerische Eignung und Motivation. »Der Anspruch ist hoch« (Tacchini 2015, 1). Es geht darum, dass am Ende ein künstlerisch erstklassiges Ergebnis entsteht, das sich mit Recht 15 Mal verkaufen lässt. »Ich will, dass die Zuschauer zu dem Stück kommen und nicht deswegen, weil Bekannte darin mitwirken […]. Das Ziel ist, dass das Publikum Figuren erlebt, nicht dass es denkt: Aha, Partizipation« (Tacchini 2015, 1). Der ursprüngliche Teilhabegedanke, der in der Gründungszeit vorherrschend war, hat sich in einen Ausbildungsgedanken verwandelt: artizipation bedeutet in diesem Modell, dass Laien mit Profis P auf hohem Niveau arbeiten. […] Die mitwirkenden Kinder und Jugendlichen haben auch passende Rollen, sie spielen keine Erwachsenen. Mein Auftrag ist ja, bewegendes Musiktheater zu machen, dazu braucht es eine bestimmte Qualität […]. Es gibt in der Schweiz teure Schulen, wo du für so eine Arbeit mit Profis zahlst. Das machen wir nicht, die Ausbildung wird durch die Auftritte vergolten (Tacchini 2015, 1). Der Schwerpunkt in der Zielvorstellung hat sich von den Stichworten emanzipatorisches Theater und Beteiligung in Richtung einer »ästhetischen Erziehung« (Tacchini 2015, 3) verschoben. Es geht bei zuschauenden wie mitspielenden Kindern um die Fähigkeit, die Perspektive auf einen Gegenstand verändern zu können, Kontextänderungen wahrzunehmen, in ungewöhnlichen Verknüpfungen zu denken: »Es geht darum zu vermitteln, was Kunst ist, dass sie die Dinge verfremdet, in andere Zusammenhänge stellt« (ebd.). Die starke Bindung an die Szenische Interpretation hat sich 25 Jahre nach der Gründung der Jungen Oper aufgelöst. Tacchini bedient sich noch ihrer Elemente (wie z. B. dem Standbild), setzt sie aber nicht durchgängig ein. Durch die Neuausrichtung geht ein Stück des auf Teilhabe ausgerichteten Konzepts verloren. Trotzdem spricht vieles für den neuen Weg. Er ist allein schon eine Konsequenz aus einer anderen professionellen Biografie. Kosuch kam mit einem abgeschlossenen Musiklehrerstudium an die Staatsoper; Tacchini hat zum Amtsantritt einen künstlerisch-theaterpraktischen Hintergrund. Ihre ästhetischen Erfahrungen aus dem Stadt- und Staatstheater, aber auch aus der freien Musik- und Kunstszene,89 prägen ihre Arbeit für die Junge Oper. Außerdem muss die Junge Oper auch auf Veränderungen der Kulturlandschaft reagieren. Die »Musicalbegeisterung« (vgl. »Opern-

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4.  Innovation durch Eigenständigkeit in Der ­unsichtbare Vater

didaktik und Musiktheaterpädagogik«, S. 22) hat sich auch an Stuttgarter Schulen verbreitet.90 Bildungsinstitutionen können Musicalaufführungen leichter realisieren, weil die technische Ausrüstung immer erschwinglicher wird. Durch die strenge Auswahl von Schülern, harte Probenarbeit und hohe Qualitätsansprüche formuliert die Junge Oper ein eigenes Profil. Damit wandert die Abteilung auf dem schmalen Grat zwischen sozialem und künstlerischem Anspruch. Die Ausrichtung verschiebt sich zum Künstlerischen, erhält aber durch die Einführung der Spielclubs auch einen neuen partizipativen Akzent. Die Konstruktion der Jungen Oper lässt auch nach 25 Jahren beide Ausrichtungen zu: Das günstige Verhältnis von Eigenständigkeit und Abhängigkeit macht es möglich, inhaltliche Zielsetzungen zu ändern, ohne die Abteilung zu destabilisieren. Die Inszenierung von Der unsichtbare Vater, um die es im Folgenden gehen soll, lässt sich dabei als Brückenschlag zwischen ästhetischer und pädagogischer Arbeit verstehen.

4. Künstlerische Produktion: Innovation durch Eigenständigkeit in Der unsichtbare Vater

Im folgenden Praxisteil wird eine Produktion vorgestellt, die zu den künstlerischen Experimenten zählt. Um die Inszenierung aus den Rahmenbedingungen heraus zu erklären, wird bereits auf den Entstehungs- und Probenprozess eingegangen. Die Untersuchung soll zeigen, wie Publikumspartizipation ein neues ästhetisches Element kreiert, aber vor allem eine ganz besondere Haltung zum Stück und seinen Figuren einnehmen lässt und welche Rolle der Bühnenraum dabei spielt. Deutlich werden soll, wie mit szenisch-musikalischen Mitteln (Ansprache des Publikums, Inszenierung von Geräuschen, szenisches Musizieren usw.) eine eigene Theaterform entsteht.

4.1 Probenprozess: Stückentwicklung in Unabhängigkeit vom ­Mutterhaus

In der Vorbereitung auf das Projekt muss sich Barbara Tacchini nicht von der Verfügbarkeit von Sängern oder Orchestermusikern leiten lassen. Es gibt am Anfang nur den Wunsch, noch einmal mit der Komponistin Juliane Klein zusammenzuarbeiten, die mit westsidestory bereits für die Junge Oper tätig war (Tacchini 2015, 4). Die Entscheidung ist eine rein künstlerische, erst später wird das Projekt konkret: Gemein-

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III.  Kindermusiktheater in der eigenständigen Abteilung: Junge Oper Stuttgart

sam beschließen Tacchini und Klein, das Kinderbuch Der ­unsichtbare ­Vater von Amelie Fried (Text) und Jacky Gleich (Illustrationen) zu einem Stück Musiktheater umzuarbeiten (ebd.). Regie wird Johannes Rieder führen, die musikalische Leitung liegt bei Kristina Šibenik. Das Buch erzählt die Geschichte des sechsjährigen Paul. Sein Vater ist ausgezogen, aber Paul hat sich in den Kopf gesetzt, dass sein Vater nicht verschwunden, sondern lediglich unsichtbar geworden ist. Als der neue Freund der Mutter, Ludwig, in die Wohnung einzieht, wehrt sich Paul mit aller Kraft gegen den Neuling. Pauls Mutter versucht ihren Expartner von Paul fernzuhalten, aber auf einem Jahrmarkt trifft Paul durch Zufall seinen Vater wieder. An Pauls nahe bevorstehendem siebten Geburtstag gibt es eine besondere Überraschung: Sein Vater und Ludwig bringen Paul ein gemeinsames Ständchen. Paul hat mit einem Mal zwei Väter und kann aus seinen Tagträumen über den unsichtbaren Vater erwachen. Früh steht für Tacchini und Klein fest, dass die Geschichte nicht nur über Gesang, sondern auch über Instrumente erzählt werden soll, die den Figuren bereits im Buch zugeordnet sind. Der Darsteller von Pauls Vater soll ein Saxofonist, der Darsteller des Ludwig ein Schlagzeuger sein. Pauls Mutter wird – abweichend von der Vorlage – das Akkordeon zugeordnet. Paul ist die einzige Figur, die ein Opernsänger verkörpert. Barbara Tacchini kann dank der finanziellen Ausstattung der Jungen Oper auf freie Musiker zurückgreifen, die während der gesamten Probenzeit zur Verfügung stehen und nicht durch Orchesterdienste verplant sind. Beim Casting der Instrumentalisten ist außer der Beherrschung des Instruments auch die Fähigkeit, musikalisch zu improvisieren sowie auf der Bühne Dialog zu sprechen, wichtig. Für das Engagement sind außerdem Alter und typgerechtes Aussehen ausschlaggebend. Die erste Arbeitsphase versammelt das ganze Produktionsteam. »Dann haben wir uns an einem Wochenende mit allen getroffen: Juliane und ich, der Regisseur, der Ausstatter, alle Musiker und Sänger.« Noch ohne Musik wird das Stück gemeinsam »durchimprovisiert« (ebd.). Nicht nur die Texte werden gesprochen, es wird auch zu vielen Dialogen ein instrumentaler Schlagabtausch ausprobiert und über ein musikalisches Klingenlassen von Requisiten der Verlauf einer Szene durchgespielt. »Wir hatten alles dabei: Instrumente, Geschirr und andere Requisiten. Wir haben den ganzen Tag improvisiert« (ebd.). Die Komponistin schreibt die Improvisationen der Musiker mit, verarbeitet sie in der Komposition, lässt aber in der Notation auch Freiräume, damit sich Improvisationen aus dem Augenblick heraus neu ergeben

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4.  Innovation durch Eigenständigkeit in Der ­unsichtbare Vater

können. »Noch zu Beginn der fünfwöchigen Probenphase enthielt ihre Partitur sehr viel Spielraum für Improvisationen.« Fixiert sind nur die reinen Gesangsmelodien von Paul sowie alle Lieder, die die Zuschauer zusammen mit den Figuren singen werden. Während der Proben verschwimmt die im Opernbetrieb übliche Trennung von szenischer Probe auf der Probebühne und musikalischer Probe im Orchesterprobensaal. Szenische und musikalische Improvisationen und Absprachen finden gleichzeitig statt und bedingen sich gegenseitig. Auch die im Repertoiretheater übliche Trennung von Autoren und Darstellern hat sich aufgelöst. Die Darsteller sind Musiker und Kraft ihrer musikalischen Improvisationen auch Komponisten. Juliane Klein kommt einige Male auf die Probe und ist mit den meisten Improvisationen einverstanden, setzt aber Grenzen dort, wo eindeutig ihr Notenmaterial gespielt werden soll (ebd.). Vorbereitungsphase und Probenprozess zeigen in besonderer Weise die freien Produktionsmöglichkeiten der Jungen Oper. Finanzielle Eigenständigkeit, fachliches Wissen, genügend Probezeit und die geeigneten Räumlichkeiten bieten einen Rahmen, der von der funktionierenden Infrastruktur des Staatstheaters zwar immer noch abhängt, aber so viel Freiraum lässt, dass wesentliche Zwänge im Arbeitsprozess am Großen Haus (Dienste, Tarifvertrag, Probenzeiten) nicht reproduziert werden müssen.

4.2 Bühne: Verwandlung als Prinzip

Der Bühnenraum im Kammertheater ist bis auf die Grundmauern leergeräumt. Das eigentliche Bühnenbild von Thomas Unthan besteht aus vier nebeneinander gestellten Kleiderstangen, in die nicht nur Kleidung, sondern auch Requisiten und ganze Einrichtungsgegenstände eingehängt und -gebaut sind. Jedem Ständer lässt sich ein Zimmer in der Wohnung von Paul und seiner Mutter zuordnen: Links die »Küche«, rechts daneben deutet der Kleiderständer mit seinen vielen an Bügeln hängenden Kleidern die »Garderobe« an. Hier hängt der größte Teil des Schlagwerks. Dieser Ort wird sich im Laufe des Stücks zu »Ludwigs Zimmer« entwickeln. Rechts neben diesem Kleiderständer befindet sich das »Schlafzimmer«: Ein Laken mit zwei Kopfkissen sowie eine an Schnüren gehaltene Bettdecke hängen von der Stange herab. Die Sänger können sich in dieses »Bett« hineinstellen und der Zuschauer erhält den Eindruck, er sähe sie von oben im Bett »liegen«. Ganz rechts befindet sich das »Kinderzimmer«; dort hat Paul seinen Rückzugsort. Interessanterweise erweckt diese so einfache Dekoration

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auf der Bühne nicht den Eindruck von Kargheit, sondern im Gegenteil eher von Überfülle, weil sich so viele unterschiedliche Requisiten, Einrichtungsgegenstände und Musikinstrumente auf begrenztem Raum zusammendrängen. Insgesamt sehen alle Dekorationsteile und Requisiten gebraucht aus. So ungewöhnlich die Anordnung erscheinen mag, ergibt sie im Ganzen den Eindruck einer ganz normalen, gemütlichen, ein wenig unordentlichen und beengten Wohnung. Das Bühnenbild ist bequem von den Darstellern zu bewegen. Leicht können während der Vorstellung neue Räume geschaffen werden. Leicht gelingen auch Umfunktionierungen: Der »Kinderzimmer«-Kleiderständer wird z. B. zu Pauls fahrbarem »Streitross« im Angriff auf Ludwig. Die Bühne bietet – ähnlich wie die Komposition Juliane Kleins – ein Gerüst an, das die Darsteller im Probenprozess improvisierend verändern. Die Flexibilität der Bühne gibt der gesamten Inszenierung Leichtigkeit und das Fluidum des Spielerischen. Darüber hinaus haben die realen Dekorationsteile – ein echtes Spülbecken, ein echter Wasserkocher in Betrieb, eine echte laufende Popcornmaschine usw. – ein ästhetisches Eigengewicht. Sie fallen nicht in die Kategorie des Illustrativen. Es gibt keinen kulissenhaften Als-ob-Charakter, sondern die Dinge bezeichnen nichts als sich selbst. Damit schließt die Ästhetik des Raums und seine nicht als geheimnisvolle Verwandlung herbeigeführte, sondern auf offener Bühne gezeigte Veränderung bewusst eine illustrativ-theaterhafte Atmosphäre aus und bekräftigt den Anspruch, Kinder mit realistischen Details und reellen sozialen Spannungssituationen zu konfrontieren. Die »Wohnung« ist zwar durch ihre realistische Ausstattung erkennbar, in der Gliederung und perspektivischen Verrückung (»Bett«) aber gleichzeitig abstrakt dargestellt. Auf den ersten Blick stellt das Bildnerische die erste ästhetische Spielregel vor, bei der der Gegenstand A (Kleiderständer) zum Gegenstand B (Zimmer) umgedeutet wird.

4.3 Partizipation: Begegnung auf Augenhöhe

Die Junge Oper hat Sitzkissen auf die Zuschauertribüne gelegt. Ein Stuhl würde die Möglichkeit bieten, sich im doppelten Wortsinn zurückzulehnen. Das Zuschauen auf einem Sitzkissen soll dagegen dazu auffordern, aktiv zu beobachten, teilzunehmen und mitzumachen. Das Kammertheater mit seiner flexiblen Bestuhlungsmöglichkeit und dem fehlenden Orchestergraben ist die Voraussetzung für diese Eingangssituation. Die Kinder sind nah am Geschehen, haben Bewegungsfreiheit, können sich austauschen und am Ende der Vorstellung

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4.  Innovation durch Eigenständigkeit in Der ­unsichtbare Vater

zügig auf die Bühne kommen. Es handelt sich also fast um einen Gegenentwurf zum Samtsessel des Großen Hauses, den fixierten Reihen und dem großen Orchestergraben, der Zuschauer von Sängern trennt. Das Publikum wird bereits beim Einlass auf die besondere Spielsituation eingestimmt. Alle Darsteller und ein Theaterpädagoge sind auf der Szene und begrüßen die Zuschauer, als wenn diese ebenfalls Darsteller wären. Jede Form von Distanz einer offiziellen Ansprache wird dabei vermieden. Das Gespräch mit den Kindern macht mit der Bühnensituation vertraut, baut Schwellenängste ab und lädt dazu ein, sich im Theater wie auch im Bühnenbild zu Hause zu fühlen. Es gibt keinen Vorhang und keinen Moment einer feierlichen Enthüllung der Dekoration. Die Sicht ist frei und das Theater macht seinen Produktionsprozess transparent. Die Akteure diskutieren die Rollenzugehörigkeit offen mit dem Publikum: Wer von den anwesenden Darstellern wird welche Rolle spielen? »Die Darsteller waren noch nicht in der Maske, sie haben sich […] als Privatleute vorgestellt, die später in eine der Rollen schlüpfen werden. Wir sprachen über die Ausgangssituation im Stück. Die Zuschauer durften raten, wer wohl welche Rolle spielt« (Tacchini 2015, 4). Auch auf der Ebene der Darstellung wird das Spielprinzip deutlich gemacht: Person A verwandelt sich in Person B, könnte sich aber auch in Person C verwandeln – und wieder zurück. Nach diesem einstimmenden Kontakt studieren die Darsteller mit dem gesamten Publikum Pauls Geburtstagslied ein. Der Jubilar soll es zu seinem Ehrentag geschenkt bekommen. Anschließend wird das Publikum gedrittelt und jede Gruppe mit je einem Darsteller im Haus verteilt. Die Darstellerin der Mutter, die des Vaters von Paul und die des Ludwig üben mit ihrer Zuschauergruppe ihren Beitrag zum Bühnengeschehen ein. Alle drei Figuren verwenden dafür eine Textzeile, die ihre eigenen Intentionen zum Ausdruck bringt und erklärend, anstachelnd oder aufmunternd an Paul gerichtet ist: Die Gruppe der Mutter singt ein in seinem Gestus ebenso verzweifeltes wie bestimmendes Lied über die Zeile »Was vorbei ist, ist vorbei!« (eine Antwort auf Pauls bohrende Fragen nach dem Verbleib seines Vaters). Die Gruppe des Vaters studiert einen angriffslustigen, rhythmisch gegliederten Sprechkanon über den Text »Du sollst ihn verjagen!« ein (eine Aufforderung an Paul, sich des neuen Freunds seiner Mutter zu entledigen). Die Gruppe um Ludwig macht Bodypercussion und spricht dabei den Satz: »Das hab ich auch immer gemacht, als ich so alt war wie du« (ein Versuch, mit Paul in Kontakt zu kommen). Die drei Zuschauergruppen werden sich im Jahrmarktbild in Mitspieler verwandeln und das Bühnenbild betreten. In der Vorbereitungsphase besprechen sie, was sie

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auf dem »Jahrmarkt« unternehmen: Die Gruppe der Mutter teilt sich in Eltern-Kind-Paare auf, die über den Jahrmarkt schlendern. Die Gruppe um Ludwig wird als Blaskapelle über den Platz ziehen und dabei die Musik der großen Trommel, der Trompeten und Schellenbäume singend imitieren. Die Gruppe des Vaters erhält Jetons für Vergnügungen und übt Jahrmarktsounds ein. Erst nach fünfzig Minuten Einstudierung in den Gruppen beginnt das eigentliche Stück. Durch die intensive musikalische Vorarbeit ist das Publikum bereits in einem besonderen Modus des Mitmachens. Es erfährt nicht nur direkte Ansprache durch die Darsteller, sondern hat sich auch persönlich kennengelernt. Wenn nun das Stück beginnt, baut sich nicht nur über die Handlung Spannung auf – was passiert den Figuren? –, sondern auch in besonderem Maß über die Partizipation – was passiert mir bzw. uns? Jede Gruppe wartet darauf, dass ihr Stichwort kommt, um – gemeinsam mit der zugeordneten Figur – zusammen zu singen und zu sprechen. Diese Spannung erhöht sich, wenn zu manchen Beiträgen im Moment des Vortrags neue, vorher zwar angekündigte, aber nicht geprobte musikalische Elemente hinzukommen. Auf eine Strophe des Lieds der Mutter singt Paul beispielsweise eine ablehnende Phrase; zugleich begleitet Ludwig diesen Chor auf der Steeldrum – beide Zusätze sind für die singenden Publikumsgruppen eine kleine Premiere und fordern zusätzliche Konzentration ab. Man ist nicht nur aufgeregt, wann der eigene Einsatz kommt, sondern erwartet gespannt, was die anderen kleinen Chöre einstudiert haben. Dabei wird durch die kontrastiven Einwürfe deutlich, wie unterschiedlich die Rollenperspektiven sein können. Die Beteiligungsform regt dazu an, nicht nur die Sicht der Figur zu verstehen, der man zugeordnet ist, sondern zu begreifen, dass andere Haltungen in dem Beziehungsgeflecht genauso ihre Berechtigung haben. Über die Gruppendynamik beim Einstudieren, das Erlebnis des »öffentlichen« Singens und die Multiperspektivität tauschen sich junge Zuschauer im Nachgang lebhaft aus. Was mit dem gemeinsamen Einstudieren von Liedern begonnen hat, wird in der Jahrmarktszene fortgeführt. Auf das Stichwort: »Jahrmarkt« verlassen alle Zuschauer ihre Plätze und werden – nach den vorbesprochenen Tätigkeiten – Teil der Handlung auf der Bühne. Auch die Bühnentechnik spielt mit: »[S]ie hat das Karussell bedient und mit beweglichen Scheinwerfern für Jahrmarkt-Stimmung gesorgt. Auch die Praktikanten waren eingespannt. Auch ich und die Pädagogen haben mitgemacht – wir spielten Polizei und haben Rundgänge gemacht. Alle Mitarbeiter vom Haus waren verkleidet« (Tacchini 2015, 5). Dabei

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4.  Innovation durch Eigenständigkeit in Der ­unsichtbare Vater

gerät Paul, der seine Mutter und Ludwig im Gewimmel von Zuschauern und Darstellern verliert, völlig aus dem Fokus. Auch das Erscheinen von Pauls Vater, der an der Stirnseite des Saals Saxofon spielt (vgl. Foto auf dem Umschlag des Buchs), geht in der Fülle der partizipativen Aktivitäten unter. Erst als Paul lautstark zu singen beginnt – »Er ist mein Vater« –, wird das Publikum auf die Szene aufmerksam. »Die Zuschauer waren so beschäftigt, dass sie zwischendurch vergessen haben, dass sie im Theater sind. Das ist die Philosophie, es gibt keine ›Glotze‹ mehr« (ebd.). Die Zuschauer setzen sich auf Hinweis der Darsteller zu Boden. In diesem wieder konzentrierten Arrangement spielt sich der Rest der Wiedersehensszene ab. Nun gibt es keine Trennung zwischen Theaterbesuchern und Darstellern mehr: Alle sind Gäste, feiern Pauls Geburtstag und singen ihm sein Lied. Paul bedankt sich bei jedem mit Handschlag.

4.4 Inszenierung: Jenseits des illusionistischen Darstellers

Nimmt man das Auftreten der drei Instrumentalisten von der Begrüßung bis zum Jahrmarktbild in den Blick, fällt eine erstaunlich stufenlose, unangestrengte Spielweise auf. Die Darsteller, die kaum geschminkt sind, keine Perücken und alltägliche, privat anmutende Kostüme tragen, bewegen sich in ihrem Spiel jenseits von darstellerischem Illusionismus. Selbst dem Darsteller des Paul, einem erwachsenen Sänger, der einen Neunjährigen spielen muss, gelingt es, eher ­kleine darstellerische Mittel zu wählen und seine Figur vor allem über ihre Haltungen zu etablieren. Auch hier hat die Regie den größtmöglichen Abstand zu dem zum »Kinde« geschminkten Sänger und zum Klischee des übertriebenen Kinderopernspektakels gesucht. Der auf der Bühne klein wirkende Abstand zwischen Privatperson und Bühnenfigur wirkt sich dabei nicht zuungunsten der Rolle aus, sondern befördert im Gegenteil die Glaubwürdigkeit der Figuren. Die scheinbare Privatheit hat den Vorteil, dass die Charaktere ohne darstellerische ­Anstrengung zwischen ihren Funktionen als Begrüßungspersonal, Chorleitern und Figuren wechseln können. Weil die Darsteller nicht nur eine Rolle spielen, sondern auch ihr Instrument bedienen und im nächsten Moment als »Chorleiter« ihrer Gesangsgruppe einen Einsatz geben müssen, wird die Handlungsebene immer wieder unmerklich unterbrochen. Dass es hier nicht zu »Löchern« kommt, ist den Akteuren zu verdanken, die es verstehen, bruchlos zwischen ihren Funktionen zu wechseln, aber auch Unre-

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III.  Kindermusiktheater in der eigenständigen Abteilung: Junge Oper Stuttgart

gelmäßigkeiten im Ablauf (eine Gruppe bekommt den Einsatz nicht, Kinder geben lauthals Spielanweisungen usw.) improvisierend zu begegnen. Die Kreation der Vorstellung korrespondiert mit dem Stückentwicklungsprozess: Ähnlich wie die Musiker die Partitur durch Improvisationen in Gemeinschaft erfunden haben, müssen sie am Abend auch den Vorstellungsprozess erschaffen. Dabei kommt ihnen zugute, dass der Abstand zwischen Privatperson (Einlass), Musikerpersönlichkeit (Instrument) und Rolle eher klein ist. Weil keiner der Darsteller seine Rolle übertrieben ausagiert, gibt es auch keinen Bruch, wenn er oder sie sich um den Chor kümmert. Das Halten einer Rollenspannung, das für darstellerisch nicht ausgebildete Musiker durchaus zu einem Problem werden könnte, ist in der Inszenierung kein Kriterium, weil die Charaktere immer wieder buchstäblich hinter ihre Instrumente zurücktreten können. Die Figur der Mutter bringt ihren »Text« nicht nur gesanglich, sondern vor allem mit dem Akkordeon vor und muss dabei nicht nur szenisch agieren. Ihr Exmann bringt sich mit seinem Saxofon ins Geschehen ein und Ludwig, ihr neuer Freund, drückt sich durch sein Schlagzeug aus. Nur bei der Figur des Paul, dem einzigen Sänger, fallen Körper und Ins­ trument in eins. Beglaubigt ist diese Ausnahme dadurch, dass er das einzige Kind ist. Während die Erwachsenen mittels eines Mediums kommunizieren, ist Pauls Kommunikationsorgan sozusagen noch unentfremdeter Teil seines Körpers. Dem Sänger des Paul gelingt das Kunststück, das Singen als etwas Organisches, kindlich Eruptives erscheinen zu lassen und alle Anstrengungen der klassischen Gesangstechnik zu kaschieren. Da Paul der einzige ist, der singt, gehört diese Tätigkeit zu seiner Figur und wird nicht als Konvention der Oper wahrgenommen. Als Sänger ist er die Ausnahme unter den Musikern. Die Inszenierung unterläuft dadurch die Gattung der Oper, so wie sie sie gleichzeitig bedient. Besonders bei den Instrumentalisten wird deutlich, dass die Doppelanforderung, nämlich gleichzeitig eine Rolle und ein Instrument zu spielen, in Wahrheit in eins fällt. Musik und Darstellung dienen derselben Sache. Gefordert ist ein multifunktionaler Darsteller, bei dem Musikmachen szenischer Ausdruck ist.

4.5 Das künstlerische Experiment mit instrumentalem Theater

Juliane Kleins Musik vermittelt vor allem durch ihre klaren, melodiösen Formen ein direktes und verständliches Hörerlebnis, ist aber

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4.  Innovation durch Eigenständigkeit in Der ­unsichtbare Vater

durch ihre rhythmischen Überlagerungen, quasi unterhalb der Melodien, umso komplexer. Ungewöhnliche Intervallsprünge (Quinte), ungewöhnlich häufiger Gebrauch von Tonalität (Moll im Geburtstagslied), ungewöhnlicher Gebrauch der Instrumente (Klackern, Klappern, Luftlassen) und die musikalische Betonung normalerweise unbetonter Worte (»Paut hat Geburtstag!«) machen die Partitur zu einem Feld der Überraschungen. Die Musik von Der unsichtbare Vater hat immer eine klare Funktion im szenischen Geschehen: als Chor, als Stimme von Paul (Gesang), aber auch als »Stimme« von den drei anderen Figuren auf ihren Instrumenten. Die Partitur enthält keine Zwischenspiele, in denen die Musik wie ein aus der Handlung herausgelöstes Intermedium für sich zu genießen wäre. Auch in dieser Hinsicht gibt es keinerlei Ähnlichkeit mit den Konventionen überkommener Opernrepertoirestücke. Das Libretto von Juliane Klein und Barbara Tacchini zu Der unsichtbare Vater ist kurz und lässt der Musik viel Raum. Die Autorinnen halten sich an den Handlungsablauf aus dem Buch und übernehmen weitgehend auch die Dialoge. In den ersten zehn Minuten der Inszenierung stehen die Darsteller des Ludwig und des Vaters hinter den Kleiderständern. Ersterer hat noch nicht seine Trainingsjacke angezogen, die ihn später zur Figur werden lässt, sondern trägt ein neutrales schwarzes T-Shirt. Beide Männer beginnen die Szene also als Musiker, die im Hintergrund eine Klangfläche erzeugen. In dieser Situation betritt Paul die Wohnung und der Zuschauer sieht ihm dabei zu, wie er eine Glühbirne auswechselt, den Wasserkocher aufsetzt, Fischstäbchen brät und Kartoffelpüree anrührt. Pauls Alltagstrott ist auf den ersten Blick zufällig. Aber alle Geräusche, die dabei entstehen – das kleine Implosionsgeräusch der verlöschenden Glühbirne, das Sprudeln des Wasserkochers, das Klappern des Mülleimerdeckels –, sind komponiert und bewusst platziert. Bevor Paul seinen ersten Satz singt, gibt Klein wie in einer kleinen Ouvertüre vor, worauf es ankommen wird: auf Klänge, die nicht nur aus einem Instrument oder einem Mund kommen, sondern eine Anbindung an ihre Umwelt haben. Pauls Welt klingt. Wenn Ludwig bei Paul und seiner Mutter einzieht, macht er sich nicht nur szenisch durch das Aufstellen seiner vielen Instrumente, sondern auch buchstäblich musikalisch breit, denn sein Spielen dominiert nun akustisch die alte Zweisamkeit von Mutter und Sohn. Immer wieder werden so szenische Vorgänge in Instrumentales Theater aufgelöst. Spülen, Aufräumen oder Streiten: Alles lässt sich über die Instrumente erzählen. Bewusst knüpft die Regie mit der Musikalisierung

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III.  Kindermusiktheater in der eigenständigen Abteilung: Junge Oper Stuttgart

szenischer Vorgänge und Konflikte an Mauricio Kagels Instrumentales Theater an, bei dem Musik nicht nur als akustisches Ausdrucksmittel seine Wirkung zeitigt, sondern die Performanz des Musizierens Teil der musikalisch-szenischen Komposition wird. »Alles, was ich musikalisch mache, ist eine Geste.« Und umgekehrt: Alle spielerischen Vorgänge können »zu Musik« werden (Tacchini 2015, 2).

5. Fazit: Institutionelle Unabhängigkeit als Basis für Teilhabe und Innovation

Der Jungen Oper gelingt es, sowohl systematisch Partizipation anzubieten sowie gleichzeitig die Gattung künstlerisch zu entwickeln. Entscheidend dafür ist die Finanzierung aus dem Haus, die nicht nur die Personalkosten, sondern auch die künstlerischen Ausgaben umfasst. Die Junge Oper kann damit weitgehend unabhängig von den Notwendigkeiten des Solistenensembles und des Staatsorchesters disponieren. Zugleich zeigen sich Ressourcenkonflikte und die Probleme der Mitwirkung von Orchestermusikern bei szenischen Produktionen und Stückentwicklungen. Zentrale Aufgaben im Kindermusiktheater – szenisches Spiel, musikalische Improvisation und improvisierende Komposition – kann die Junge Oper nur verlässlich realisieren, indem sie Gäste engagiert. Stuttgart als eine der ältesten Abteilungen des Landes mit einer ausgeprägten pädagogischen Ausrichtung zeigt die positive Langzeitwirkung des Kindermusiktheaters in einer Stadt, bei der Beziehungen zu Lehrern wachsen und von wechselnden Teams übergeben werden können. Der permanente Kontakt zum Publikum nicht nur während der Vorstellungen, sondern auch bei Nachgesprächen oder Workshops ermöglicht ein grundsätzlich intensiveres Kennenlernen als im Abendspielplan. Die Junge Oper profitiert davon, direkt von Kindern etwas über ihre kulturellen Vorlieben und Bedürfnisse, aber auch über Trends und wichtige Themen zu erfahren. Zugleich kann das Personal auch von den Lehrern lernen, die über das Curriculum informieren, pädagogische Erfahrungen weitergeben oder wichtige Hintergrundinformationen zu den kindlichen Zuschauern geben. Die Junge Oper hat ein kleines Stammpublikum herausgebildet, das sich aus der pädagogischen Arbeit (Lehrer, ehemalige Beteiligte), aus der nahen Hochschule (Studenten, Professoren), aber auch aus Besuchern zusammensetzt, deren erstes Interesse den künstlerischen Produktionen gilt. Das Teilhabe ermöglichende Profil macht

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5.  Fazit: Institutionelle Unabhängigkeit als Basis für Teilhabe und Innovation

die Junge Oper zu einem attraktiven Partner für die Politik. Doch die Synergieeffekte einer engeren Zusammenarbeit werden dabei nicht ausgeschöpft. Dies betrifft nicht nur eine praktische Arbeitsteilung hinsichtlich P ­ ersonal, Räumen und Finanzen, sondern auch eine engere Kooperation etwa im musikpädagogischen Bereich. Klaus Zehelein macht mit der Jungen Oper den Anfang einer Gründung, die an die Staatsoper gebunden bleibt. Stadt und Land springen nicht mit einer Extraförderung ein. Dass die Träger ein selbstständiges Kindermusiktheaterhaus finanziert hätten, erscheint vor diesem Hintergrund fast unmöglich. Man darf aber nicht vergessen, dass eine eigenständige Kindermusiktheaterabteilung 1997 ein Novum war. Von einem selbstständigen Kinderopernhaus war man weit entfernt. Erst jetzt, nach 25 Jahren der Verbreitung, der Akkumulation von Wissen und Erfahrung, erscheint so eine Gründung denkbar. 2004 gründet die Stadt Stuttgart das eigenständige Kinder- und Jugendtheater Junges Ensemble Stuttgart. Das JES hat ein eigenes Ensemble, einen eigenen Stab an pädagogischen und organisatorischen Mitarbeitern und eine eigene Spielstätte. Mit einer Förderung von etwa zwei Millionen Euro91 und etwa 25 Mitarbeitern gehört es zu den starken städtischen Kindertheatern der Republik. Nichts spräche dagegen, nach dem ­Modell des JES Sänger anstatt Schauspieler, Musiktheaterpädagogen statt Theaterpädagogen sowie eine musikalische Leitung und einzelne Instrumentalisten zu engagieren. Damit hätte Stuttgart ein eigenes Kinderopernhaus. Als städtisches Haus wäre auch eine gemischte Lösung denkbar, bei der die Ressourcen Kultureller Bildung beim städtischen Träger angesiedelt blieben. Das beträfe Musikpädagogen, Organisatoren, Sozialarbeiter sowie Proben- und Betreuungsräume, Verpflegung und Transport – wohingegen die künstlerische Infrastruktur (Sänger, Repetitoren, Werkstätten usw.) vom Theater kämen. Gerade bei partizipativen Projekten stünden alle Möglichkeiten offen, die Interessen von Teilhabe und Kulturelle Bildung gemeinsam zu realisieren.

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IV. Kindermusiktheater im integrierten System am Staatstheater Karlsruhe 16 Jahre später als in Stuttgart, mit Beginn seiner Generalintendanz am Staatstheater Karlsruhe im Jahr 2011, gründet Peter Spuhler ein weiteres institutionalisiertes Kindermusiktheater. Nachdem mit ­ der Jungen Oper Stuttgart eine der ältesten Abteilungen des Landes portraitiert wurde, soll es im Folgenden um ein »junges« Modell von Kindermusiktheater gehen. Hat die Junge Oper Stuttgart eine kleine Spezialistenabteilung und eine eigene externe Spielstätte, entspringt das Kindermusiktheater in Karlsruhe dem gesamten Theater und spielt auf den hauseigenen großen Bühnen. Wie im vorangegangenen Kapitel nähert sich die Arbeit zunächst den äußeren Bedingungen wie Personalstruktur und Finanzierung an. Welche Möglichkeiten bietet die offene Arbeitsverabredung gegenüber der eigenständigen Abteilung? Anschließend soll das Verständnis von Kindermusiktheater des Intendanten untersucht werden. In der abschließenden Inszenierungsanalyse von Ludger Vollmers Border geht es um eine Oper mit Solisten, Orchester und einem großen Chor aus Schülern. Das Projekt soll exemplifizieren, wie sich die Möglichkeiten des großen Mehrspartenhauses (Bühne, Solisten, Orchester usw.) fürs Kindermusiktheater nutzen lassen. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf den künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten der Partizipation. Zur Gründungszeit in Karlsruhe gibt es kaum Orientierung für ein integriertes System bei einem Theater gleicher Größe. Das Oldenburgische Staatstheater gründet seine integrierte Abteilung 2006/07, ist aber nicht nur etwas kleiner als das Karlsruher Staatstheater, sondern hat sich keinen derart festen Produktionsrhythmus zur Aufgabe gemacht (Karr 2010, 64ff.). Dass es zwischen Oldenburg und Karlsruhe nicht zu einem systematischen Austausch über die Einführung des integrierten Systems kommt,92 ist auch ein Zeichen dafür, wie unterschiedlich sich dieses je nach Rahmenbedingungen der Häuser und Motiven der Leitung ausprägen kann und wie neu der Begriff des integrierten Systems für das Musiktheater ist. Auch wenn es im Sprechtheater eine etablierte Arbeitsform darstellt, hat es im Musiktheater 2011 noch längst nicht den Status einer Betriebsform erreicht, auf die man sich innerhalb der Theaterpraxis schnell verständigt. Die interne Verständigung in Karlsruhe kommt nach der Gründung auch fast gänzlich ohne den Begriff »integriertes System« aus.93 Es geht weniger um das System als zunächst um die Entscheidung, Kindermusiktheaterstü-

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cke zu produzieren. Das Kindermusiktheater in Karlsruhe ist Teil des neu gegründeten Jungen Staatstheaters, in dem auch die Angebote der Sparten Tanz und Orchester subsumiert werden. Zentrum des Jungen Staatstheaters ist das eigenständige Schauspielkindertheater, das mit Ulrike Stöck eine eigene Leiterin bekommt und seinen Spielort »Insel« etwas außerhalb des Haupthauses auf dem Schulgelände der Karlsruher Gartenschule hat. Die Produktivität des Kindermusiktheaters ist vergleichsweise hoch. In der ersten Spielzeit 2011/12 kommen mit den Produktionen Dino und die Arche von Thomas Leininger im Kleinen Haus (der Hauptbühne des Schauspiels) und Robin Hood von Frank Schwemmer im Großen Haus (der Hauptbühne für Oper, Ballett und Konzert) gleich zwei Produktionen heraus. Nachdem die Idee fallen gelassen wird, Kinderoper auf der großen Bühne zu produzieren, will das Staatstheater im Kleinen Haus im jährlichen Wechsel Kinder- und Jugendoper herausbringen. In der Spielzeit 2012/13 findet die partizipative Jugendoper Border ebenfalls im Kleinen Haus statt. 2013/14 geht wieder ein Kinderstück im Kleinen Haus über die Bühne: die zeitgenössische Kinderoper Wo die wilden Kerle wohnen. Danach gerät der Produktionsrhythmus zunächst ins Stocken. Obwohl für 2015 ein partizipatives Jugendstück und für 2016 eine Kinderoper geplant sind, kommt in diesen Jahren keine neue Produktion zustande. Nach dreijähriger Pause wird erst 2018 mit Gold eine Produktion auf der »Insel«-Bühne des Jungen Staatstheaters herausgebracht.94

1. Personal: Forderung oder Überforderung? 1.1 Gründungsphase: Selbstausbeutung als Preis der Integration?

Genau wie Klaus Zehelein wird Peter Spuhler bei der Gründung des Jungen Staatstheaters nicht mit zusätzlichen Fördermitteln aus der Politik unterstützt. Während aber Zehelein ein wesentlich höherer künstlerischer Hausetat zur Verfügung steht, muss Spuhler Stellen aus den großen Sparten umwidmen. Am stärksten wird dabei auf die personellen Ressourcen des Schauspiels zugegriffen (Spuhler 2015, 1). Die Stellen für die Leiterin des Jungen Staatstheaters, eine Mitarbeiterin für Verkauf, eine Dramaturgin, eine Theaterpädagogin und zwei Schauspieler werden aus dem Sprechtheater überführt. Aber auch die Oper stellt eine ihrer Planstellen zur Verfügung, aus der die Stelle des Musikpädagogen gewonnen wird (ebd.). Auf diese Weise gelingt es, ein

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IV.  Kindermusiktheater im integrierten System am Staatstheater Karlsruhe

regelmäßig spielfähiges Schauspielkindertheater in der »Insel« zu ermöglichen und die Voraussetzungen für die Integration aller anderen Sparten zu gewährleisten. Die Gründung des Jungen Staatstheaters als zusätzliche Sparte aus den Kräften des Hauses gehört zu den wichtigen Neuerungen der Intendanz von Peter Spuhler und erfährt viel öffentliche Aufmerksamkeit und Zustimmung. Rechnerisch gesehen, müsste der Abzug von Personal zu einer Verringerung des Produktionsaufwands bei den großen Sparten führen. Anstatt aber die großen Sparten zu entlasten, erhöht Spuhler die Anzahl der Premieren im gesamten Haus in der ersten Spielzeit auf 42 (Badisches Staatstheater 2011, 2 – 3).95 Vor allem das Schauspielkindertheater in der »Insel« trägt zur Produktionssteigerung mit fünf zusätzlichen Premieren bei. Die Oper produziert drei Premieren mehr als in den Vorjahren, zwei davon sind Inszenierungen des Kindermusiktheaters. Das Schauspiel als am meisten von den Umwidmungen betroffene Abteilung bringt statt vorher zehn, nun rund 15 Produktionen heraus. Dadurch steigt der Publikumszuspruch im Abendspielplan beim Schauspiel und ermöglicht insgesamt einen aufsehenerregenden Start. Das Haus bringt mehr Produktionen mit weniger Mitarbeitern auf die Bühne als je zuvor. Welchen Preis hat die Doppelstrategie des Karlsruher Hauses? Die besondere Motivation des Neuanfangs bei vielen neu angestellten Kräften, die Arbeitsumverteilung und die Vereinfachung von Betriebsabläufen bilden einen Verstärker für die erhöhte Produktion. Viele der Mitarbeiter aus dem Team der Vorgänger nehmen die Produktionssteigerung aber auch im Sinne von Mehrbelastung wahr. Dies betrifft auch solche, die in den Bereichen Technik, Werkstätten oder Pressearbeit spartenübergreifend arbeiten. Anders als kleinere Produktionen mit zwei Schauspielern aus der »Insel« tragen gerade die zwei zusätzlichen Produktionen des integrierten Musiktheaters wesentlich zum Mehraufwand bei. Der Komplex Junges Staatstheater und sein integriertes Musiktheater wird damit zu einem Belastungsumfeld, das in alle Bereiche des Mehrspartenhauses abstrahlt. Zu unterscheiden sind die Belastungsgrade noch einmal je nach Vertrag der Mitarbeiter. Hat eine Kostümschneiderin mehr Arbeit in ihrer festgeschriebenen Dienstzeit zu erledigen, können Mitarbeiter, die nach dem Normalvertrag Bühne (NV-Bühne) angestellt sind und deren Arbeitszeitenregelung nicht nach Dienstplan bestimmt ist, theoretisch weit über das gesetzliche Maß hinaus arbeiten. Während Orchestermusiker durch ihre Dienstzeitenregelung grundsätzlich geschützt sind, droht bei Mitarbeitern, die nach NV-Bühne engagiert

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1.  Personal: Forderung oder Überforderung?

sind, noch stärker die Gefahr der Überlastung. Dies betrifft nicht nur die ausführenden Künstler, sondern oft auch die Dramaturgen und Pädagogen, die mehrere Produktionen zugleich betreuen müssen. 16-Stunden-Arbeitstage96 und regelmäßige Arbeit an Wochenenden sind in Karlsruhe die Folgen eines ambitionierten Neustarts. Peter Spuhler versucht alles zu tun, um die Belastung abzufedern, indem er beispielsweise Sponsorengelder einwirbt und Kooperationspartner findet.97 Der Intendant steht vor dem Zwiespalt, eine wichtige künstlerische, ästhetische und gesellschaftliche Profilierung des Hauses durchführen zu wollen, ohne auf mehr Personal zugreifen zu können und dabei Aufgabenfelder zu kreieren, bei denen Mitarbeiter an ihre Belastungsgrenzen stoßen. Auch wenn die Karlsruher Neustrukturierungen besonders umfänglich erscheinen mögen, bilden sie doch eine deutschlandweite Tendenz ab. Der Blick auf die Eröffnungsspielzeiten zeigt, wie in Mainz, Weimar oder Münster wesentlich mehr Premieren herauskommen als in regulären Spielzeiten. Doch auch über die Eröffnungsspielzeiten hinaus haben sich die Premieren im deutschen Stadt- und Staatstheater seit Mitte der 1990er-Jahre deutlich vermehrt. Dabei sind vor allem zusätzliche Produktionen in kleineren Sälen und Nebenspielstätten hinzugekommen (Schmidt 2015). Auch das Kindermusiktheater – mit Produktionen jenseits des Hauptspielplans – ist mit dem allgemeinen Anstieg der Produktivität seit Mitte der 1990er-Jahre verbunden. Die Entwicklung zeigt den erstaunlichen Widerspruch zwischen dem Rückzug der Politik aus der aktiven Förderung seit dem Modell Baden-Württemberg und der Bereitschaft der Theater, vor allem jenseits der großen Bühnen, mehr zielgruppenspezifische Angebote zu machen. Damit reproduziert sich auch in Karlsruhe ein Muster, das zu einer Grundspannung des Stadt- und Staatstheaters der letzten 25 Jahre geführt hat: das Abonnenten-gestützte Repertoire auf der großen Bühne zu erhalten, experimentelle und zielgruppenspezifische Produktionen bzw. zeitgenössische Werke aber zusätzlich spielen zu wollen. Man könnte dabei regelrecht von zwei Produktionsschienen sprechen, gibt es doch scharfe Trennlinien, die sich mit dem Raum (z. B. Großes Haus vs. Studiobühne), mit der Produktionsform (z. B. Inszenierung vs. Stückentwicklung), mit der Verkaufsart (Abonnement vs. freier Verkauf) und oft auch mit den Stücken (z. B. Repertoirewerk vs. Uraufführung) verbinden. Wie schwer es ist, beide Bereiche im Kindermusiktheater miteinander zu verbinden, soll im Kapitel zur Problematik des Bühnenraums anhand der großen Produktion Robin Hood deutlich werden.

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IV.  Kindermusiktheater im integrierten System am Staatstheater Karlsruhe

1.2 Von Musikpädagogik bis Verkauf: Mehrfachbelastung und ­Synergieeffekt

Anders als in Stuttgart gibt es in Karlsruhe niemanden, der ausschließlich für das Kindermusiktheater zuständig ist. Intendant, Operndirektor, Leiterin des Jungen Staatstheaters und Chefdramaturg der Oper sind vor allem in ihren Funktionen des Abendspielplans aktiv. Stark beteiligt auf der Arbeitsebene sind außerdem die Musikpädagogin, die Mitarbeiterin für Schulen und Verkauf sowie projektweise auch die Musikdramaturgin. Auch diese Mitarbeiter arbeiten nicht ausschließlich für das Kindermusiktheater. Alle anderen Aufgaben (Disposition, Studienleitung, Dirigat, technischer Support, Werkstättenarbeit usw.) sind ohnehin auf das gesamte Haus verteilt. Niemand kann sich dem Kindermusiktheater in Gänze widmen. Noch stärker als in Stuttgart steht die Musikpädagogik im Zuständigkeitskonflikt und unter Bewältigungsdruck. Die Musiktheaterpädagogin ist Teil des Teams des Jungen Staatstheaters und wird dort mit etlichen Aufgaben betraut. Gleichzeitig ist sie zuständig für die Opernund Ballettsparte sowie für das Orchester. Damit liegen allein die Arbeitsorte weit voneinander entfernt – das Junge Staatstheater ist in der »Insel«, die Abteilungen Oper, Ballett und Konzert aber im Hauptgebäude untergebracht – und die Wege werden durch die Schulbesuche noch einmal verlängert. Sicherlich sind die Aufgaben der Musikpädagogin in Karlsruhe extrem disparat, doch scheint sich in der quantitativen wie qualitativen Mehrfachbelastung die Herausforderung vieler Musiktheaterpädagogen zu spiegeln. Das integrierte System ist dabei mit seiner offenen Grundstruktur besonders belastend. Die Vielfältigkeit der Aufgaben der Musikpädagogin in Karlsruhe korrespondiert mit der Menge ihrer Vorgesetzten. Sie hat fünf Chefs: die Leiterin des Jungen Staatstheaters, den Operndirektor, den Orchesterdirektor, die Ballettdirektorin und – nochmals übergeordnet – den Intendanten. Jeder dieser Vorgesetzten fordert ein hohes Maß an Einsatzbereitschaft, ohne dabei zwangsläufig die Belastung aus den anderen Sparten im Blick haben zu können oder auch zu wollen, schließlich muss ja per Arbeitsplatzbeschreibung ein Mindestmaß der Arbeitszeit in jeder einzelnen Sparte erbracht werden. Um die divergierenden Aufgaben lösen zu können, braucht die Musikpädagogin genau wie in Stuttgart die Kenntnis der unterschiedlichen Sparten, aber auch das Verständnis von Bildungsinstitutionen sowie die Umgangspraxis mit Schülern und Lehrern. Die offene Form des Arbeitsvertrags nach NV-Bühne macht es nicht leicht, sich auf Arbeitszeiten berufen

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1.  Personal: Forderung oder Überforderung?

zu können. Laut Vertrag ergibt sich die Arbeitszeit »aus der Dauer der Proben und der Aufführungen oder der Ausübung der arbeitsvertraglich vereinbarten Tätigkeit« (§5 Arbeitszeit). Natürlich muss sich auch der NV-Bühne im Grundsatz an das deutsche Arbeitsrecht halten, überlässt aber den Rhythmus der Arbeit den jeweiligen Anforderungen der Theater und der Verabredung zwischen den Vertragspartnern. Dabei ist für die Bühnenangehörigen eine umfassende »Mitwirkungspflicht« (§7) gültig, die es schwer macht, Arbeitsaufträge abzulehnen. Indem der Arbeitgeber auch bei den Inhalten (Aufgaben) große Freiräume hat, kann der Mitarbeiter theoretisch fast jederzeit und für fast alle Aufgaben herangezogen werden. Die Standardformulierung (für darstellendes Personal entworfen) lautet: »Die Mitwirkungspflicht erstreckt sich im Rahmen der vertraglich übernommenen Tätigkeit (Kunstfach) auf alle Veranstaltungen (Aufführungen und Proben) der Bühne(n) in allen Kunstgattungen« (§7,1). Es ist vor diesem Hintergrund nicht verwunderlich, dass auch in Karlsruhe auf der Position des Musiktheaterpädagogen eine hohe Fluktuation herrscht.98 Anders stellt sich die Position für Beratung und Verkauf im Jungen Staatstheater dar. Die Mitarbeiterin muss zwar auch für alle anderen Sparten arbeiten, hat aber mit den zu beratenden Schulen sowie durch die klare Eingrenzung ihrer Haupttätigkeiten weniger divergierende Arbeitspartner, ein konstantes Arbeitsgebiet und einen örtlich gebundenen Arbeitsplatz. Gleichzeitig kann sie sich in eine bereits existierende Infrastruktur des Kundenservice und Kartenverkaufs begeben. Das Junge Musiktheater in Karlsruhe profitiert von der neuen Stelle, weil gezielt Kontakte zu Musiklehrern hergestellt, aber auch bereits bestehende Kontakte zu Schulleitern oder Deutschlehrern für das Musiktheater genutzt werden können. Hier ist das integrierte System und sind all jene Betriebe im Vorteil, die ihre Produktionen für Kinderund Jugendtheater unter einem Dach zusammenfassen.

1.3 Zwischen Kompetenzerweiterung und Zuständigkeits­problemen

Anders als in Stuttgart gibt es in Karlsruhe keinen alleinigen Leiter des Kindermusiktheaters. Die Führung des Bereichs ist auf mehrere Mitarbeiter verteilt: Operndirektor und Leiterin des Kinder- und Jugendtheaters sind durch ihre Spartenverantwortung beim Thema Oper bzw. Kinder deutlich in der Pflicht. Hinsichtlich Stück- und Personalauswahl wird das Kindermusiktheater aber auch von der Chefdramaturgie und vom Intendanten gelenkt. Das integrierte Leitungs-

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IV.  Kindermusiktheater im integrierten System am Staatstheater Karlsruhe

modell ohne offiziellen Leiter, aber mit vier Führungsfiguren aus unterschiedlichen Bereichen bringt zunächst eine enorme Kompetenzerweiterung mit sich: Der Operndirektor bringt sein Wissen über Sänger und musikalische Struktur ein, die Leiterin des Schauspielkindertheaters ihre Zielgruppenkompetenz, der Chefdramaturg sein dramaturgisches Wissen, der Generalintendant seinen Überblick über die Gesamtressourcen des Hauses. Gleichzeitig sind alle vier Parteien in der Besetzung von Regieteams und in der Begleitung eines Regiekonzepts geübt. Gleichwohl zeigen sich auch Kehrseiten der Systems. Bei vier Führungsfiguren mit unterschiedlichen künstlerischen Präferenzen drängen sich widerstreitende Lösungen auf, die den Prozess der Entscheidung aufhalten können. Außerdem ergeben die unterschiedlichen Berufe noch keine Aufgabenfelder. Sind viele künstlerischen Entscheidungen wie z. B. Sängerbesetzung eine klare Angelegenheit des Operndirektors, stellt sich schon bei der Produktionsdramaturgie die Zuständigkeitsfrage: Ist der Chefdramaturg, die Abteilung Junges Staatstheater oder gar der Operndirektor in der Verantwortung?99 Das Fehlen eines alleinigen Gesamtverantwortlichen birgt außerdem die Gefahr, dass Aufgaben in niemandes Arbeitsbereich fallen oder sich mehrere Leiter unausgesprochen aufeinander verlassen.100 Wie bei der Betrachtung der Position des Musiktheaterpädagogen deutlich wurde, finden sich im integrierten Leitungsmodell zwar viele kompetente Entscheider zusammen. Ihnen gegenüber ist die Anzahl der Mitarbeiter, die die Entscheidungen auf der Arbeitsebene umsetzen, aber eher gering. In Abteilungen anderer Häuser sind oft die Operndirektoren bzw. leitendenden Dramaturgen die Leiter des Kindermusiktheaters. Die Personalunion ist von Vorteil, weil das Wort eines Abteilungsleiters Gewicht hat. Umgekehrt besteht die Gefahr, dass im Ernstfall für die Interessen des Abendspielplans entschieden wird, weil die Verantwortung für die Hauptsparte überwiegt.

1.4 Das integrierte Modell als lernendes System

Sänger müssen an einem Tag zwischen zwei stimmlich weit auseinanderliegenden Partien hin und her wechseln,101 Probenzeiten müssen verkürzt und Budgets beschnitten werden: Gerade in der ersten Spielzeit mit drei zusätzlichen Produktionen und acht Wiederaufnahmen stehen Opernsparte und Kindermusiktheater unter erhöhtem Druck.

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2.  Ressourcen und Organisation: Im Kampf mit dem ­Mehrspartenhaus

Für Sorgfalt in der musikalischen Einstudierung und der szenischen Produktion herrschen nicht die besten Rahmenbedingungen. Im Meistern der Schwierigkeiten durchläuft das Karlsruher Staatstheater trotzdem einen Lernprozess.102 Zunächst sind praktische Probleme insbesondere des Kindertheaters in der »Insel« zu lösen. Alle Schwierigkeiten hinsichtlich Anlieferungen, Proben und Vorstellungen müssen aus dem Haupthaus heraus bewerkstelligt werden; Kassen, Garderobenpersonal, Maskenbildner, Ankleider stehen vor neuen Herausforderungen. Da aber nicht nur die »Insel«, sondern auch das Haupthaus bespielt wird, bekommt das gesamte Personal die Möglichkeit, als lernendes System engeren Kontakt zum eigenen Publikum und zu seiner Lebenswelt zu gewinnen. Die Rahmenbedingungen kindlicher Bedürfnisse im Umfeld einer Produktion (Sitzgelegenheiten, Toiletten, Sammelplätze usw.) müssen genauso eingerichtet werden wie auch die Kommunikation durchdacht werden muss (Ansprache von Schulen, Lehrern, Eltern, neue Formen der Werbung usw.). Vor allem in einem auf den Abendspielplan ausgerichteten Haupthaus mag die Beschäftigung mit einer jungen Zielgruppe nicht hoch genug eingeschätzt werden. Nicht zuletzt fordert die junge Zielgruppe ein spezifisches künstlerisches und vermittelndes Arbeiten. Im Haus entstehen Diskussionen über »kindgerechte« Musik, den Umgang mit lauten Meinungsäußerungen im Publikum oder Nachgespräche mit Sängern. Die Chance, auf Augen und Ohren von jungen Menschen zu treffen, steht sozusagen mit jeder Vorstellung zur Verfügung. Auch wenn die beschriebenen Prozesse von Schwierigkeiten und Überlastung begleitet sind und sich im Bühnenalltag an vielen Kontaktflächen zum neuen Publikum auch Reibung einstellt, liegt in ihnen doch das große Potenzial des integrierten Systems.

2. Ressourcen und Organisation: Im Kampf mit dem ­Mehrspartenhaus 2.1 Dominanz des Abendspielplans

Entscheidend in der Adaption des Kindermusiktheaters für das Haus sind die limitierten und über Dienste regulierten Orchesterdienste, in deren Raster sich das Kindermusiktheater einfügen muss. Nach dem Beschluss, Kindermusiktheater in Karlsruhe nur noch im Kleinen Haus zu spielen, ohne dabei auf eine der großen Produktionen verzichten zu wollen, können Produktionen nur noch in Freiphasen des

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IV.  Kindermusiktheater im integrierten System am Staatstheater Karlsruhe

Orchesters (Händelfestspiele) oder parallel zu einer kleiner besetzten Oper gespielt werden.Die Badische Staatskapelle hat in der Regel alle zwei Jahre eine Phase, in der sie keine Opernpremiere vorbereitet, weil die Deutschen Händelsolisten die Premiere bei den Händelfestspielen übernehmen. Die freie Zeit nutzt das Orchester für die Einstudierung der ersten großen Kinderopernproduktion Dino und die Arche. Die Spielplandisposition im zweiten Jahr des Karlsruher Kindermusiktheaters sieht vor, dass jeweils ein Stück für das Große (Abendspielplan) wie für das Kleine Haus (Kindermusiktheater) gesucht wird, die parallel aufführbar sind. Zunächst bedeutet dies, zwei Stücke zu finden, deren Orchesterbesetzungen zeitgleich aus der Staatskapelle herauszulösen sind. Die Parallelität der Stückansetzung geht wiederum nur, wenn die Schauspielsparte bereit ist, das Kleine Haus für eine Produktion »herzugeben«, und es der laufende Spielbetrieb zulässt, dort zu proben. Zu den Orchester- und Raumverfügbarkeiten kommt schließlich die komplizierte Sängerdisposition hinzu. So ist das integrierte System in höherem Maße als die eigenständige Abteilung in Ressourcenprobleme, aber auch in Grundsatzgespräche und Verhandlungsmanöver mit dem gesamten Haus verwickelt. Die Offenheit der Struktur in Leitung, künstlerischer und organisatorischer Produktion ist darüber hinaus anfällig für sogenannte übergeordnete Interessen und für Spartenkonflikte. In Karlsruhe betrifft dies z. B. die Frage, wie oft welche Sparte die große Bühne bespielen darf, was am Ende der Saison für die Besucherstatistik wichtig ist. Das Kindermusiktheater muss sich dafür mit den Interessen der Oper, des Balletts, des Orchesters und des Schauspiels auseinandersetzen.

2.2 Finanzen: Fluch und Segen von Drittmittelfinanzierung

Das Junge Staatstheater versucht die Kosten seiner Kinderopernproduktionen gering zu halten.103 Auch die Gagen der Regieteams sind niedriger als bei Künstlern des Abendspielplans. Für Dino und die Arche werden viele zusätzliche Rollen benötigt, welche von Studierenden der Karlsruher Musikhochschule (Opernschule) übernommen werden. Als Koproduktion zwischen Hochschule und Theater erhalten die jungen Sänger zwar eine Gage, verdienen mit ihr aber deutlich weniger, als wenn sie auf dem freien Markt engagiert würden. Obwohl die Produktionsbudgets des Kindermusiktheaters kleiner als im Abendspielplan sind, haben ihre Kosten Gewicht. Sie werden anteilig auf die restlichen Produktionen der Opernsparte umgelegt. Anders als in Stuttgart,

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2.  Ressourcen und Organisation: Im Kampf mit dem ­Mehrspartenhaus

wo das Jahresbudget feststeht, kann der Operndirektor in Karlsruhe je nach Anforderungen des Kindermusiktheaters, einmal mehr und einmal weniger finanzielle Mittel bereitstellen und den Aufwand unmittelbar mit dem Gesamtbudget verrechnen. Anders als in der Komischen Oper, wo eine Kinderoper auf der großen Bühne eine reguläre Abendspielplanposition darstellt, wird das anfänglich umfangreiche Kindermusiktheater in Karlsruhe als Zusatz und aus der Opernsparte heraus finanziert. Für Karlsruhe bedeutet das im Abendspielplan durchaus Einschränkungen.

2.3 Räume: Raummangel als Not und Tugend integrierter ­Produktionsformen

Keinen eigenen Raum als regelmäßige Produktionsstätte zur Verfügung zu haben, gibt dem integrierten System sein eigenes Gepräge. In Karlsruhe führt dies zunächst zu dem Ergebnis, dass beide großen Bühnen des Hauses für Kindermusiktheater genutzt werden und dadurch die Gattung buchstäblich im Zentrum der Aufmerksamkeit sowohl des Publikums als auch des Hauses steht. Doch paradoxerweise hat der Aufführungsort auch Teil daran, dass das Kindermusiktheater in Karlsruhe Schwierigkeiten hat, sich zu profilieren. Es ist erstens schwierig, regelmäßig über das Jahr verteilt zu spielen oder zumindest nur eine oder zwei Produktionen in einem festen Zeitraum anzubieten, weil die gastgebende Sparte Vorrang hat. Die Spielstätte lässt sich zweitens nicht ohne weiteres kindgerecht einrichten. Das betrifft vor allem die Verhältnisse im Saal (Bestuhlung, Gestaltung der Dekoration, Flexibilität in der Aufteilung von Bühne und Zuschauerbereich usw.), die zwar teilweise für eine Produktion104, aber eben nicht dauerhaft eingerichtet werden können. Kinder erleben sowohl im Großen wie im Kleinen Haus des Staatstheaters in der brutalistischen Architektur der 1970er-Jahre eine kühle und weitläufige Atmosphäre. Große Flächen aus unbehandeltem Waschbeton dominieren die Optik in den Sälen und Foyers nach dem Entwurf von Helmut Bätzner. Noch an den Normgrößen von Stühlen, Garderobenhaken, Türklinken und Geländern wird deutlich, dass der Ort für Erwachsene angelegt ist. Anders als die eigenständige Abteilung in Stuttgart hat Karlsruhe auch keine Möglichkeit, den Kontext des Spielorts als Erlebnisraum umzuinszenieren.105 Weder können Kinder nach der Vorstellung frei spielen noch ist die Umgestaltung des Bühnenraums z. B. für Sitzkissen möglich. Anders als in Stuttgart, wo sich ein kleiner Kreis eines Stammpu-

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blikums gebildet hat, kann man in Karlsruhe selbst im Hochbetrieb der ersten Jahre noch keines ausmachen: »[F]ür Karlsruhe ist es viel zu früh, von einem eigenen Publikum zu sprechen. Vielleicht sind wir gerade mit den Sprechtheaterstücken im Jungen Staatstheater soweit, dass sich ein eigenes Publikum bildet. Aber im Jungen Musiktheater ist es noch nicht stabil« (Stöck 2015, 2). Damit hadert das integrierte System mit einem sonst so vorzüglichen Moment von Stadt- und Staatstheater, nämlich einen Ort zu kreieren, den man nicht nur wegen eines bestimmten Stücktitels aufsucht. Dazu zählt die Einbettung des künstlerischen Vorgangs auf der Bühne in vermittelnde, spielerische oder manchmal auch entspannende und gänzlich theaterferne Elemente. Es geht um einen Ort, der sowohl Geborgenheit bietet als auch Erlebnis verspricht und in dem man nach der Vorstellung noch länger bleiben mag. Auch wenn beispielsweise die Junge Oper Mannheim in den öffentlichen Vorräumen des Schnawwl keinen Spielplatz macht, geben sie doch in ihrer intimen Größe ein Gefühl von geborgener Überschaubarkeit und lassen etwa an den Wandbildern oder aufgestellten Figuren erkennen, dass hier ein besonderes Interesse für Kinder vorherrscht. Dem integrierten Kindermusiktheater Karlsruhe fehlt dieser Ort.

Drohender »Verlust« von Publikum im Großen Haus

Das Große Haus des Staatstheaters Karlsruhe spielt am Anfang seiner Bemühungen für das Kindermusiktheater im integrierten System eine besondere Rolle. Alle zwei Jahre soll hier – so der anfängliche Vorsatz – eine Kinderoper herauskommen. Im Jahr dazwischen will das Karlsruher Staatstheater im Kleinen Haus eine Jugendoper spielen. Nur wenige Häuser im deutschsprachigen Raum können eine derart regelmäßige Produktionsweise großer Kinderopern realisieren. Finden zwar mancherorts die Weihnachtsmärchenproduktionen des Schauspiels in den Opernhäusern statt,106 spielt der Großteil der deutschsprachigen Opernhäuser doch nur selten oder gar keine Kinderoper auf der großen Bühne (Frankfurt, München, Essen). Der Zusammenschluss der Opern in Düsseldorf, Duisburg und Bonn, die Junge Oper Rhein-Ruhr, strebt eine jährliche Kinderopernuraufführung auf der großen Bühne an.107 Bei dieser Kooperation wechseln sich allerdings die produzierenden Häuser ab und geben nach der Premierenserie die Produktion an ihre Partner weiter. Jedes Haus ist also theoretisch nur alle drei Jahre mit einer Neuproduktion an der Reihe.

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2.  Ressourcen und Organisation: Im Kampf mit dem ­Mehrspartenhaus

Die Seltenheit, mit der Kinderoper regelmäßig auf den großen Bühnen in Deutschland herauskommt, zeigt an, wie schwierig die Mission ist, auf die sich das Kindermusiktheater in Karlsruhe einlässt. Nicht nur die Regelmäßigkeit des Angebots, sondern vor allem die Kapazität des Hauses stellt eine Herausforderung dar. Die Karlsruher Oper spielt in der ersten Saison des integrierten Systems neunmal Robin Hood im freien Verkauf. Die Vorstellungen sind im Durchschnitt nur zu 45 Prozent besucht, was in etwa 450 Zuschauern pro Aufführung entspricht.108 Dieser Prozentsatz liegt weit unter dem Durchschnitt einer normalen Abonnementvorstellung im Abendspielplan. Trotz umfangreicher Werbemaßnahmen können die tausend Plätze des Großen Hauses nicht bis zum üblichen Schnitt von ca. 85 Prozent (Abendspielplan) gefüllt werden. Nun bewirken aber nicht nur die Vorstellungen selbst einen Rückgang der Auslastungszahlen, sondern auch die Tatsache, dass durch die Schließtage in der Endprobenphase nochmals Spielabende wegfallen, in denen gut ausgelastete Repertoireopern möglich gewesen wären. Die zusätzliche Produktion der ersten Spielzeit Robin Hood bewirkt im eng getakteten dispositionellen Korsett einen Verlust an Repertoirevorstellungen und dadurch ein Minus an Zuschauern. Die Beschaffenheit des Stadt- und Staatstheaters bedeutet, dass mehr Produktionen nicht mehr Zuschauer bedeuten, sondern im Gegenteil mehr Zuschauer gewonnen werden können, wenn möglichst viele Abende für gut verkaufte Repertoirevorstellungen frei bleiben. Die heimliche Idee der Theaterleitung, Kindermusiktheater im Großen Haus als Zusatzprogramm anzubieten, welches quasi unabhängig vom Repertoire gespielt wird (und bei dem es nicht entscheidend ist, wie gut es sich verkaufen lässt), verfängt nicht, wenn die Oper nicht auch mehr Vorstellungen spielen kann. Doch das ist an einem Mehrspartenhaus, in dem die Sparten Ballett, Orchester und Schauspiel (Abend mit Live-Band) Vorstellungen und Bühnenprobenzeiten beanspruchen, nicht einfach durchführbar. Die Kinderopernproduktion auf der großen Bühne wird damit zu einem Teil der Gesamtleistung des Hauses und der Opernsparte. Eine Konsequenz daraus ist, dass die Zahlen des Kindermusiktheaters in die Besucherstatistik des Opernabendspielplans zugerechnet werden. So wird das Kindermusiktheater Teil der Vergleichsmasse mit den Zahlen der Vorgänger, obwohl diese gar kein Kindermusiktheaterstück auf der großen Bühne produzierten. Wenn im letzten Jahr der älteren Leitung mit einem Spielplan etwa 100 000 Zuschauer erreicht wurden, sind es im ersten Karlsruher Jahr nur etwa 90 000.109 So kommt es, dass die Kinderoper

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in Karlsruhe in der ersten Spielzeit für einen Zuschauerschwund von 10 000 Besuchern mitverantwortlich ist. Dabei ist eine Gesamtbesucherzahl von 4500 Kindern nur im Vergleich ein schlechtes Ergebnis. Erst die Abgrenzung von einer virtuellen Repertoirevorstellung, die man sonst hätte spielen können, macht den »Verlust« von Publikum deutlich. Das Dilemma muss sich kritisch befragen lassen: Warum wird in Karlsruhe nicht klargemacht, dass die erreichten Kinder eigentlich doppelt zählen, weil mit ihnen wirklich neues Publikum gewonnen wird? Immerhin werden ja 4500 Kinder erreicht, eine Summe für die das junge Staatstheater ein halbes Jahr lang jeden Tag in der »Insel« spielen müsste. Und gehen denn wirklich dem Abendspielplan Besucher verloren? Streng genommen zählt die Statistik Besuche und keine Besucher. Es ist davon auszugehen, dass viele Operngänger mehrfach ins Theater gehen – sie sind nicht verloren, wenn anstelle der neunten Traviata der Spielzeit eine Kinderoper auf dem Spielplan steht. Bei aller Sympathie für die Kinderoper auf der großen Bühne stellt sich aber auch die Frage, ob es nicht zu viel erwartet war, das ­Große Haus im freien Verkauf zehnmal mit je tausend Kindern zu ­füllen. Anders als im Abendspielplan muss sich der Verkauf ja über Vermittler organisieren. Dadurch ist eine gewisse Trägheit im Verkauf vorgezeichnet. Allerdings scheint gerade die Filterfunktion auch eine größere Berechenbarkeit mit sich zu bringen. Die Zahlen des Kinder- und Jugendtheaters legen nahe, dass die künstlerische Qualität weniger starke Schwankungen auslöst als im Abendspielplan. Offenbar führen in den Schulen das Thema einer Aufführung, seine Relevanz für den Lehrplan und die zeitliche Realisierbarkeit eher zu einer Entscheidung für den Theaterbesuch als die künstlerische Qualität. Umgekehrt scheinen Produktionen, die von der Presse nicht gut besprochen ­werden, nicht zu den Besucherausfällen zu führen, welche im Abendspielplan zu befürchten sind. In dieses Szenario spielt auch hinein, dass Schulen ihre Karten oft weit im Vorfeld buchen; persönliche Empfehlungsmechanismen (»Mund-zu-Mund-Propaganda«), die den Verkauf im Abendspielplan empfindlich beeinflussen können, ­scheinen weniger ins Gewicht zu fallen. Kurz: Wenn es zwar Engpässe bei der Vermittlung gibt, künstlerische Kriterien aber weniger ins Gewicht ­fallen – wie kommt dann die relative Zuschauerzahl überhaupt zustande? Oder umgekehrt: Lässt sich eine durchschnittliche Verkaufsaussicht für das Kindermusiktheater berechnen? Um beim Karlsruher Beispiel zu bleiben: Robin Hood ist eine Produktion mit einem bekannten Titel, einer positiven Presse (Gehringer

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2012) und mit viel Werbung im öffentlichen Raum und bei fast sämtlichen Karlsruher Schulen (Stöck 2015, 1). Der Verkauf dürfte also keinen wesentlichen Beschränkungen – wie z. B. mangelnder Information – unterlegen gewesen sein. Karlsruhe hat ca. 60 000 Schüler (Schmidt/ Wolf 2010, 5). Davon sind 4500 gekommen, das heißt also ca. sieben Prozent. Zum Vergleich: Der Abendspielplan der Karlsruher Oper erreicht mit durchschnittlich 100 000 Besuchern (Mehrfachbesuche der Einfachheit halber ignoriert) mehr als ein Drittel der erwachsenen Bevölkerung der Stadt pro Jahr, also ca. 35 Prozent. Welche Schlussfolgerungen lassen sich aus diesen Besucherzahlen ziehen? Die Zahl von 60 000 Schülern ist nicht differenziert. Es sind nur etwa ein ­Drittel der Schüler im Alter zwischen acht und zwölf Jahren. Also nur ca. 25 000 Schüler haben das ideale Alter für die Vorstellung. Um 10 000 Schüler zu erreichen, müsste also fast jeder Zweite von diesen in eine Vorstellung gehen. Dies wären ganze fünfzig Prozent – ein Anteil, der die Verhältnisse des Abendspielplans weit übersteigen würde. De facto sind aber nur 4500 Schüler von ca. 25 000 möglichen gekommen. Dies bedeutet trotzdem, dass immerhin fast jeder Fünfte erreicht wurde. In den strengen Blick auf die absoluten Zahlen muss also unbedingt der zielgruppengerechte Aspekt einbezogen werden. Der undifferenzierte Vergleich mit dem Abendspielplan berücksichtigt nicht, dass insgesamt viel weniger potenzielles Publikum zur Verfügung steht. Umgekehrt bedeuten sieben Prozent Schüler womöglich einen realistischen Wert bei einer ersten Kinderproduktion. Damit rücken die Größe der Stadt und die in ihr lebende Menge von Schülern in den Blick. Sieben Prozent Schüler in Karlsruhe ergeben »nur« 4500 Zuschauer; sieben Prozent Schüler in Berlin würden dagegen mehr als 60 000 bedeuten. Der Erfolg der Komischen Oper mit ca. 45 000 jährlichen Besuchern im Jugendbereich muss also auch vor dem Hintergrund gesehen werden, dass schlicht mehr Kinder in Berlin leben als in irgendeiner anderen Stadt in Deutschland. Mit der Entscheidung, das Kindermusiktheater in Karlsruhe nicht mehr auf der großen Bühne anzubieten, entschärft das Theater das Zuschauerproblem. Das Kleine Haus gibt genau den 450 Zuschauern Platz, die ins Große Haus kamen. Gleichzeitig wird aber die Möglichkeit aufgegeben, über die Jahre eine wirklich breite Masse von jungem Publikum zu gewinnen, die Relevanz von Kindermusiktheater durch große Zuschauermengen zu unterstreichen und das künstlerische Experiment des Kindermusiktheaters auf die große Bühne zu übertragen.

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Künstlerische Probleme bei großen Raumdimensionen

Zur Entscheidung, das Kindermusiktheater nur noch im Kleinen Haus aufzuführen, kommen aber auch künstlerische Erwägungen hinzu. Durch den Orchestergraben ist im Großen Haus nicht nur die Entfernung zur Bühne groß, auch das Orchester ist unsichtbar. Damit ist die Quelle der Musik verborgen, Tonwahrnehmung und -erzeugung sind entkoppelt. In einer optisch orientierten Welt voller medialer Seherfahrungen, bei denen Musik lediglich unterlegt ist, scheint dies besonders schwerwiegend zu sein. Das Herzstück des Musiktheaters – Impuls und Gegenimpuls zwischen Orchester und Bühne, Musik und Inszenierung, das Wechselspiel von Ton und Bild – ist buchstäblich verschwunden und es mag sich der Eindruck einstellen, dass das Bühnengeschehen auch von Band begleitet sein könnte. Natürlich sind auch in Karlsruhe der Dirigent als Vermittler zwischen Graben und Bühne und einzelne Musikerköpfe (Kontrabass, Blechbläser) zu erkennen, aber die Frage bleibt, ob hier nicht einer Wahrnehmung Vorschub geleistet wird, die mit dem Eigentlichen des Musiktheaters kaum mehr etwas zu tun hat. Die starke Wirkung visueller Reize, die den Höreindruck überlagern können, kommt noch hinzu. Gerade die Inszenierung von Robin Hood verstärkt die optische Wahrnehmung. Die Inszenierung zeigt die Bilder der Handlung – Wohnung, Schloss, Marktplatz, Verlies usw. – auf Basis gemalter Kulissen. Der Wald von Nottingham besteht aus auf die Drehbühne gebauten großen Baumscherenschnitten, die durchleuchtet werden können. Die Kostüme betonen auf humorvoll-groteske Weise die mittelalterliche Folie der Handlung, die Perücken sind aus grellem Material gefertigt. Die Inszenierung der Abenteueroper zeichnet sich also auch durch spektakelhaftes Bildertheater aus, das das junge Publikum lauthals akklamiert. Die Produktion rührt an der Frage künstlerischer Bestimmung von Kinderopern auf der großen Bühne und macht die Ähnlichkeit zur Repertoireoper des Erwachsenenspielplans deutlich. Dies hat nicht nur etwas mit ihrer aufwendigen Ausstattung zu tun. Durch ihre klare Narrativität, den aktweisen Aufbau, die Gliederung in musikalische Nummern, ihr großes Orchester, das umfängliche Sängerensemble usw. reproduziert sie die Form einer Repertoireoper, die nur durch seinen jugendlichen Helden (der per Computerspiel in die Welt Robin Hoods gerät) zur Kinderoper wird. Ganz unabhängig vom Stück verstärkt sich durch die Aufführungssituation der Eindruck, eigentlich in einer Abendvorstellung zu sitzen. Denn durch den Abstand zwischen Zuschauern und Bühne sind die Sänger gezwungen wie in jeder ande-

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ren Vorstellung auch mit »tragender« Stimme und vergrößerter Mimik und Gestik zu agieren, ohne dabei (vom Bühnenlicht zusätzlich geblendet) ihre Zielgruppe richtig wahrnehmen zu können. Mit der Entscheidung, dem Kindermusiktheater in kleineren Räumen den Vorzug zu geben, gewinnt das Staatstheater Karlsruhe also auch Vorteile: Ohne die räumliche Distanz kann direkter kommuniziert werden, Hörquellen lassen sich leichter sichtbar machen, das Publikum lässt sich besser einbeziehen, ist gleichsam näher am Geschehen und mag sich im kleineren Raum eventuell auch geborgener fühlen als im Großen Haus. Zugleich lässt sich auf der kleineren Schauspielbühne die opernhafte Form überwinden und zu Ausdrucksformen kommen, die nicht mehr durch die Architektur des Saals dominiert werden.

2.4 Stellung im Haus: Orchester zwischen Widerstand und ­Partnerschaft

Als Teil des Jungen Staatstheaters gehört das Karlsruher Kindermusiktheater zur Gründungsinitiative des Intendanten und genießt den Status einer den Spielplan bestimmenden Sparte. Der Rückhalt des Intendanten erleichtert Spielplanentscheidungen und Abstimmungsvorgänge auf der Arbeitsebene. An dieser Stelle zahlt sich aus, dass das integrierte Modell aus allen Sparten, Gewerken und Werkstätten hervorgeht. Obwohl die Beteiligung mehrerer Sparten komplizierter sein kann als in der eigenständigen Abteilung, erweist sich das Kindermusiktheater im integrierten System auch als Katalysator dafür, divergierende Sparteninteressen zurückzustellen und zu kreativen Lösungen zu kommen.110 In Karlsruhe kommt es kaum zu Konflikten oder Widerständen. Weder verweigert das Haus seine Kapazitäten (Werkstätten, Gewerke) noch wäre seitens der Darsteller ein erkennbarer Widerstand gegen die Produktionen des Kindertheaters zu erkennen. Der immer wieder vorgebrachte Vorbehalt gegen Kindermusiktheater als unterkomplexe Kunstgattung ist bei Sängern – auch über Karlsruhe hinaus – nicht zu beobachten. Die auch in der Forschung noch immer häufig erwähnte Abwertung von Kindermusiktheaterkompositionen (Schmitz 2012, 101) bzw. die Angst von Komponisten, auf ihre Kompositionen für Kinder beschränkt zu werden, findet in Karlsruhe keine signifikante Resonanz bei den ausführenden Künstlern. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass die meisten Diskussionen über das Kindermusiktheater in Karlsruhe mit Mitglie-

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dern des Orchestervorstands geführt werden. Die Vorbehalte richten sich dabei nicht gegen das Kindermusiktheater an sich; im Gegenteil herrscht über die Notwendigkeit von Kindermusiktheater Einigkeit. Sorgen bereiten die hohe Schlagzahl an Produktionen, die allgemeine Belastung des Personals, aber auch die musikalische Qualität der Kindermusiktheaterpartituren. Die Einwände sind einerseits aus der spezifischen Karlsruher Situation zu verstehen, in der ein neues Leitungsteam innerhalb kürzester Zeit wesentliche Strukturveränderungen vornimmt und das Orchester als personell konstante Abteilung um Qualitätssicherung bemüht ist. Bei der Beurteilung der Stücke verweisen die Bedenken des Orchestervorstands andererseits aber auch auf allgemeine Probleme bei der Verankerung des Kindermusiktheaters im Stadt- und Staatstheater. Es zeigt sich in ihnen die noch immer dominierende Orientierung an einer Musiksprache der klassisch-romantischen Musiktradition genauso wie die Bewertung eines Musiktheaterstücks auf Basis seiner musikalischen Substanz und weniger anhand seines szenischen Potenzials. Die Diskussionen zwischen Theaterleitung und Orchester sind nur ein Beispiel für die vielen Widerstände, die auch intern bei der Programmplanung zu bewältigen sind und zeigen an, wie leicht der Leitung umgekehrt ein Repertoirestück erscheinen mag, das musikalisch überzeugt und sich durch viele Aufführungen seinen Status als Meisterwerk schon errungen hat. Allerdings zeigt sich an der Diskussion auch, wie wenig Repertoire von Kindermusiktheater im Umlauf ist, auf das sich eine gemeinsame erfahrungsorientierte Auseinandersetzung stützen könnte. Die Diskussionen mit dem Orchester verlieren nach den ersten Kindermusiktheaterproduktionen ihren grundsätzlichen Charakter. Das Kindermusiktheater wird in den ersten drei Jahren seiner Gründung – nicht zuletzt durch die Rückmeldungen des Publikums – zu einem selbstverständlichen Teil des Programms und folgt dabei einer Entwicklung, die auch andernorts zu beobachten ist. Bei allen offenen Konflikten des Tarifvertrags ist ein Gewinn vor allem der integrierten Abteilungen im deutschsprachigen Raum, dass die künstlerischen Auseinandersetzungen mit den Mitgliedern des Orchesters an vielen Stellen stabilen Arbeitsbeziehungen gewichen sind, in denen das künstlerische Experiment wie auch die pädagogische Tätigkeit nicht gescheut wird. Auch in dieser Beziehung zeitigt das integrierte System einen nicht immer einfachen, aber produktiven Prozess, der darauf zuläuft, innerhalb des Hauses nicht nur nebeneinander seine Arbeit zu verrichten, sondern zusammen organisatorische wie künstlerisch

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neue Umgangsformen zu finden. Dieser Trend steht der strukturbedingten Arbeitsteilung des Stadt- und Staatstheaters in fruchtbarer Weise entgegen. Das Kindermusiktheater im integrierten System, das zeitgenössische Stücke und experimentelle Inszenierungen herausbringt, zwingt die künstlerischen und organisatorischen Akteure in einem Maße zur Auseinandersetzung, die kaum mit den Absprachen bei einem Repertoirestück zu vergleichen sind. Bei einer Opernproduktion des Abendspielplans kommt das Orchester zumeist erst in der Schlussphase bei den Bühnenorchesterproben mit der szenischen Produktion zusammen. Dabei ist in der Regel der Dirigent allein das Bindeglied zwischen Graben und Bühne. Die Erfahrungen im integrierten System machen darüber hinaus deutlich, wie groß das Bedürfnis vieler Orchestermitglieder ist, in planerisch-künstlerische Entscheidungsprozesse einbezogen zu werden und nicht wie eine »Schweineherde« in den Graben »hineingetrieben« zu werden, um das zu »fressen«, was von der Leitung angeordnet wird.111 Gerade bei kleinen Produktionen ohne Dirigenten wird das Kindermusiktheater zu einem Feld der Zusammenarbeit, die zwar die über Jahrhunderte gewachsene Arbeitsteilung spürbar werden lässt, in den gelungenen Momenten aber umgekehrt nicht nur planerische Kompetenzen, sondern auch szenische Fantasie, darstellerisches Vermögen und pädagogisches Einfühlungsvermögen von Orchestermusikern hervorbringt, die im Graben kaum entdeckt worden wären. Auch hier ergänzt das Kindermusiktheater den Repertoirespielbetrieb und bildet einen Ort, an dem sich neue Arbeitszusammenhänge erproben lassen.

2.5 Partnerschaft: Das Fehlen des »Gesichts« der Sparte

Das Kindermusiktheater in Karlsruhe geht in seinen Außenkontakten keine eigenen Wege, sondern profitiert in erster Linie von der Infrastruktur des Hauses. Dies betrifft vor allem die Schulkontakte aus der Kartei des Jungen Staatstheaters und die Weiterführung der Zusammenarbeit mit dem Kinderchor, den bereits die Vorgänger an sich banden.112 Erst im zweiten Jahr arbeitet das junge Musiktheater für die Produktion Border mit einem neuen Partner zusammen: Die Singgemeinschaft Lutherana versieht die musikalische Einstudierung des Chors. Die Zusammenarbeit mit den Lutheranern bleibt die einzige Partnerschaft mit einer städtischen Institution. Das Kindermusiktheater müsste zwar als Brennpunkt aller musikalischen Sparten in

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der Lage sein, viele Partnerschaften in der Stadt zu pflegen, hat aber gerade im Vergleich zu Stuttgart auch in den Folgejahren weniger direkte Außenkontakte. Dies muss bei einer im Entstehen begriffenen Abteilung gegenüber einer 25 Jahre gewachsenen Institution nicht überraschen. Trotzdem verweist der Umstand darauf, dass dem integrierten System ohne alleinigen Leiter ein »Gesicht« fehlt, mit dem sich die Sparte in der Stadt verknüpfen lässt. Das offene Leitungsmodell, das theaterintern große Wirkungsmacht besitzt, mag in der Öffentlichkeit ohne eine identifizierbare Leitungsfigur umso diffuser wirken. Auch hier erschwert die starke Einbindung in die Angelegenheiten des Abendspielplans ein nachhaltiges Netzwerkengagement in der Stadt. Dies gilt auch für Kooperationen mit anderen Theatern sowie für den grundsätzlichen Austausch zwischen den Theaterschaffenden des Kindermusiktheaters.113 Weit über den Vernetzungsgedanken hinaus scheint es von großer Bedeutung zu sein, eine Einzelperson als Garant klarer organisatorischer Absprachen wahrnehmen zu können, die sich aus dem Feld aller mehrfach involvierten Leitungsmitglieder als vollverantwortlich heraushebt und auch öffentlich einen zielgruppenaffinen, ästhetisch anspruchsvollen Leitungswillen ausstrahlt.

2.6 Publikum: Stückansetzung und Vermittlung als Bindungs­kriterien Repertoire- oder Stagionesystem?

Dem Kindermusiktheater in Karlsruhe fehlt es an Regelmäßigkeit bei den Vorstellungen. Während das Kindermusiktheater im ersten Jahr noch mit zwei Stücken und 22 Vorstellungen114 als ein deutlich sichtbarer Schwerpunkt des Programms vertreten ist, dünnt das Angebot im zweiten Jahr mit 16, im dritten mit neun Vorstellungen aus.115 Das Schauspielkindertheater in der »Insel« spielt dagegen ca. 230 Vorstellungen im Jahr, die meisten vormittags. Natürlich erreicht das Kindermusiktheater in den großen Häusern pro Vorstellung mehr Zuschauer als in der »Insel«, aber die Wahlmöglichkeiten für einen Termin, sei es im schulischen oder im privat-familiären Kontext, sind in der »Insel« zehnmal höher. Eine Abteilung, die fast jeden Tag ihre Tore öffnet, wirkt zwangsläufig auch nach außen präsent; das Junge Staatstheater in der »Insel« ist für sein Publikum durchgängig erreichbar. Das Kindermusiktheater im integrierten System kann dagegen nur Vorstellungen an ausgewählten Tagen spielen und zwischendurch kaum Ansprache bieten.116 Kann durch diese Art des Angebots überhaupt

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kommuniziert werden, dass man hier zielgerichtet und systematisch ein neues Publikum sucht? Die Frage berührt auch den Vorstellungsrhythmus. Bei seinen Schauspielkinderstücken versucht das Junge Staatstheater, über eine ganze Spielzeit hinweg regelmäßig zu spielen. Mit der regelmäßigen Produktionsweise, bei der alle Stücke die ganze Spielzeit lang auf dem Programm stehen und idealerweise jeden Monat im Programmleporello erscheinen, wird das Publikum an die Abteilung gebunden. Trotz der Vorteile des Repertoiresystems ist in Deutschland der Ruf nach dem Stagionesystem immer wieder laut geworden. Es sieht vor, nach der Premiere in kurzen Abständen alle Vorstellungen zu spielen und sie nicht jeden Monat wiederaufzunehmen. Gerade im Musiktheater lässt sich innerhalb eines begrenzten Ansetzungszeitraums die musikalische Qualität besser halten, als wenn eine Inszenierung in langen Abständen und zwischen vielen anderen Vorstellungen immer wieder gespielt wird.117 Bei der Jungen Oper in Stuttgart hat der Stagionebetrieb funktioniert. Hier haben sich nicht nur das Haus, sondern auch die Partner bei partizipativen Projekten auf den Rhythmus einer zweimal im Jahr stattfindenden Produktionszeit eingestellt. Das ­Stuttgarter Beispiel zeigt, dass das Stagionesystem gerade bei lang­ fristig planenden Schulen ein verlässlicher Taktgeber ist. Entscheidend dabei ist aber auch, dass die Premieren immer zur selben Zeit des Jahres herauskommen. Diese Struktur musste sich in Stuttgart ­allerdings auch über Jahre hinweg etablieren. In Karlsruhe ist man von einer Regelmäßigkeit des Produzierens, ob im Repertoire- oder im Stagionebetrieb, noch weit entfernt. Weder lassen die wenigen Repertoirevorstellungen nach der ersten Spielzeit ein verlässliches Angebot erkennen, noch kann das Theater dauerhaft den einen jährlichen Produktionsrhythmus halten. Fraglich ist darüber hinaus, ob der geplante jährliche Wechsel zwischen Kinder- und Jugendoper hätte erkennbar kommuniziert werden können. Vor diesem Hintergrund scheint das Repertoiresystem für die Verfestigung der neuen Sparte im öffentlichen Bewusstsein umso entscheidender. Gerade das Kindermusiktheater im integrierten System, das seinen Zulauf in der Regel nicht durch ein eigenes Haus und diverse Jugendclubs am Leben halten kann, ist auf Kontinuität angewiesen. Auch der Wechsel zwischen Kinder- und Jugendoper würde sich durch das Repertoiresystem ausgleichen lassen. Indem jedes Stück wiederaufgenommen wird, gäbe es ein dauerhaftes Angebot für beide Altersgruppen.

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IV.  Kindermusiktheater im integrierten System am Staatstheater Karlsruhe

Innere Barrieren bei Lehrern und Pädagogen

Anders als das Schauspielkindertheater, das seine Vertrauenswürdigkeit täglich unter Beweis stellen kann, hat es das Kindermusiktheater schwer, in den Köpfen der Multiplikatoren zu einer ­Institution zu werden, deren Gebäude vertraut sind, deren Mitarbeiter man kennt und von deren Arbeit man sich nach und nach überzeugen kann. ­Dabei verbinden sich mit dem Kindermusiktheater nicht nur allgemeine Theaterschwellenängste, sondern auch speziell auf das Kindermusiktheater bezogene Vorbehalte. Eine ganze Summe von Missverständnissen hängt mit diesen Ängsten zusammen. Zunächst scheint die Besorgnis über das musikalische Rezeptionsverhalten von Kindern bedenklich, häufen sich doch die Belege dafür, dass Kinder in ­Anbetracht geringer kanonischer Hörerfahrung von Musik viel ­stärker auf die Geschichte und ihre Figuren fokussieren.118 Aus ­diesem Verständnis einer kindlichen Rezeption heraus müsste Musik ­ auch nicht im Sinne einer Erklärung vermittelt werden. Überhaupt scheint der Vermittlungsgedanke, der dicht an den Begriffen Lernen und Verstehen liegt, einer reinen Erfahrung von Kunst im Wege zu stehen, die keine Erklärung, sondern bestenfalls Verständigung und Kommunikation erfordert. Problematisch scheint also vor allem die Haltung zu sein, ein erwachsenes Rezeptionsverhalten und einen ­unflexiblen Kunstbegriff auf das Kindermusiktheater zu übertragen. Zu fragen ist, ob sich der Kunstbegriff vieler Multiplikatoren dabei nur aus persönlichen Kunsterfahrungen zusammensetzt oder aber auch von dem bestimmt wird, was über Oper und Theater gesagt wird. Häufig scheint weniger das Problem zu sein, zu oft von Theater oder Oper enttäuscht worden zu sein, als im Gegenteil kaum etwas gesehen zu haben und auf fremde Eindrücke angewiesen zu bleiben. Vor allem der Begriff von Theater als Musentempel mit »Samtvorhängen« und das Bild von zeitgenössischer Musik als »schräg« oder »unhörbar« stehen dabei dem unbefangenen Blick auf zeitgenössisches Musiktheater im Wege: I ch glaube, es braucht eine kultuspolitische Veränderung: Lehrer, Erzieher, Pädagogen haben gar keine Berührung mit Kunst und Kultur. Wie sollen sie das später vermitteln? Deutschlehrer haben meistens die Idee, dass Theater etwas mit roten Samtvorhängen zu tun hat. Nach einer Umfrage der PH in Karlsruhe besuchten 5 von 60 Pädagogik-Studenten einmal im Jahr eine kulturelle

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2.  Ressourcen und Organisation: Im Kampf mit dem ­Mehrspartenhaus

Veranstaltung. Kulturangebote werden nicht wahrgenommen, sondern eher als belastende Verpflichtung verstanden. Die innere Barrierefreiheit hat sich noch nicht durchgesetzt. Theater wird nicht als Ort wahrgenommen, der für die Lehrer da ist (Stöck 2015, 5).

Nachbarsparten und Räume als wichtiges Milieu für Publikum

Lassen sich unregelmäßige Produktion und Vorurteile gegenüber zeitgenössischem Kindermusiktheater ausmachen, bleibt umgekehrt zu fragen, welche Rahmenbedingungen den Besuch begünstigen. Wie die Betrachtung der Publikumsbindung an der Jungen Oper Stuttgart gezeigt hat, wird das Publikum des Kindermusiktheaters durch die Angebote des Abendspielplans mitbestimmt. Für das Kindermusiktheater ist ein Milieu förderlich, in dem ein Besuch in der Kinderoper nicht etwas komplett Ungewohntes darstellt, weil zumindest die theateraffinen Multiplikatoren durch die Schwestersparten (Oper, Schauspiel, Schauspielkindertheater) bereits mit dem Haus und den Grundmodellen seiner Kunstformen vertraut sind. Karlsruhes integriertes System mit seiner Nähe zur Oper und zum Jungen Staatstheater wird hier von zwei Sparten begünstigt. Damit ist es nicht weit entfernt von den Verhältnissen anderer Bühnen, bei denen Sprech- und Musiktheater für Kinder unter einem Dach angeboten werden und Genregrenzen fließend verlaufen. Die Beobachtung der bundesweiten Entwicklung des Kindermusiktheaters zeigt, dass sein Angebot inmitten anderer Kunstformen womöglich auch hilft, Vorurteile abzubauen. Gemeint ist das Abarbeiten von Klischeebildern von Oper und deren Übertragung auf das Kindermusiktheater. Ein Aspekt des Erfolgs der Jungen Oper in Mannheim könnte sein, dass viele Multiplikatoren den positiv besetzten Begriff des Schauspielkindertheaters Schnawwl ungefragt auf Vorstellungen der Jungen Oper übertragen, vor allem deswegen, weil beide Institutionen ihren Hauptspielort in der Alten Feuerwache haben. »Mein Publikum, das ganz begeistert auch Musiktheater schaut, unterscheidet gar nicht zwischen Junger Oper oder Kindertheater. Es kommt nach wie vor einfach in den Schnawwl. Da kann ich hundertmal Junge Oper drüber schreiben« (Gronemeyer 2015, 11). Karlsruhe kann die positiven Transfereffekte in Hinblick auf ein Publikum nicht umfänglich nutzen, weil es sein Kindermusiktheater nicht in der »Insel« produziert. Obwohl die Produktion an den gro-

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ßen Bühnen des Hauses zu den positiven Eigenschaften des Karlsruher integrierten Modells zählt, wird auch die Chance deutlich, das Kindermusiktheater in der »Insel« mit dem Programm des Schauspielkindertheaters in wechselseitige Produktivität zu bringen. Hier wäre automatisch das »Insel«-Publikum in die Produktionen des Musiktheaters involviert worden. Es gilt festzuhalten, dass im Kindermusiktheater die Bedeutung von Räumen für sein Publikum nicht nur im Sinne ihrer ästhetischen, sondern auch in Hinblick auf ihre kontextuelle Ausstrahlung und klar konnotierte Umgebung zuweilen wichtiger ist als das zu erwartende Genre. In diesem Sinne sind die Begriffe selbstständige Abteilung und integriertes System auch zu hinterfragen. Die Zusätze »auf den Bühnen des Abendspielplans« oder »auf einer dem Theater für junges Publikum vorbehaltenen Bühne« würden wichtige Unterscheidungskriterien bieten, mit denen sich die Produktionsformen von Kindermusiktheater spezifizieren ließen.

3. Begriff: Was geschieht, wenn er zerfällt? 3.1 Imageprägung und Publikumserweiterung (Gründungsphase)

Der Gründungsimpuls des Kindermusiktheaters im integrierten System lässt sich nur in Verbindung mit der Gesamtkonzeption des Staatstheaters unter der Intendanz von Peter Spuhler verstehen. Grundsätzlich geht es darum, eine gesellschaftliche Öffnung des Hauses zu vollziehen. Die Öffnung bezieht sich vor allem auf das Publikum, das in spezifischen Alterserscheinungen (Kinder und Jugendliche, Rentner) wie auch in Hinblick auf verschiedene Interessensgemeinschaften (Laienspieler) oder andere gesellschaftliche Gruppierungen (Studenten, Migranten) gezielt angesprochen werden soll. Damit möchte sich der Intendant von einem exklusiven Theaterbegriff (closed shop) absetzen.119 Auch wenn die vorhergehende Leitung Theater und Oper für Kinder angeboten und sich mit Karlsruher Institutionen verbunden hat,120 macht es sich die neue Leitung zur Aufgabe, Karlsruher Bürger näher an das Theater heranzuführen, indem das Haus Teil des öffentlichen Raums wird,121 Partizipation gefördert und Partnerschaften mit anderen Institutionen der Stadt geschlossen werden.122 Das Schauspielkindertheater im Jungen Staatstheater und die Produktionen für junge Zuschauer aus den anderen Sparten setzen einen Schwerpunkt bei diesem Vorhaben. Im integrierten System als spartenübergreifen-

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de Institution soll sich das Zugehen auf ein junges Publikum institutionalisieren. Für das Kindermusiktheater korrespondiert dieser kommunikativ-zielgruppenorientierte Ansatz zunächst wenig mit den Inhalten. Hatte der gesellschaftlich-partizipative Ansatz von Klaus Zehelein in Stuttgart eine Folgerichtigkeit in den partizipativen Strukturen der Jungen Oper, ist der Zusammenhang zwischen dem Begriff von Kindermusiktheater und seiner Realisierung in Karlsruhe lediglich dadurch gegeben, dass die erwähnte Fachkraft für Vertrieb auch für das Kindermusiktheater berät, verkauft und Kontakte herstellt. Außerdem werden Werbung (Plakate, Flyer) und öffentliche Kommunikation (Social Media und Pressearbeit im Printbereich) für Kindermusiktheater in besonders wahrnehmbarer Form vorangetrieben. Das integrierte System als Nutzerin großer Ressourcen des Hauses und als Ausweis von spartenübergreifender Gemeinschaftlichkeit mit vielen Partnern erweist sich dabei als dankbare Kontaktfläche öffentlicher Wahrnehmung. Gerade in den Anfangsmonaten dominiert das Junge Staatstheater mit seinen zuarbeitenden Sparten den öffentlichen Diskurs. Das Junge Staatstheater bekommt ein eigenes Spielzeitheft und darf als einzige Sparte das Corporate Design verändern. Die durch gebrochene Schriftzüge eher harte Anmutung des allgemeinen Layouts wird auf dem Spielzeitheft und anderen Publikationen von Kinderhand übermalt. Dadurch bekommen die Produkte eine einladende und spielerische Note.123 Das ganze Haus und das ganze Programm des Theaters, so lässt sich die Botschaft lesen, sollen zugänglich werden. Theater für Kinder ist nicht nur Selbstzweck und bewirbt sich selbst, sondern unterstreicht das Gesamtbild des Hauses. Sein Image von Offenheit, Zielgruppensensibilität und regionaler Vernetzung soll auf das gesamte Theater ausstrahlen und gerade bei den großen Sparten eine innovative Optik stärken.124 Oft wird die große Oper als Synonym für hochwertige Qualität und Exklusivität bezuschusst. Firmen mit einem Image für Exklusivität wie Audi oder die Deutsche Bank versprechen sich eine Verstärkung der eigenen Produktbotschaften.125 Hersteller von teuren Uhren oder Schmuck setzen Anzeigen in Printpublikationen und möchten dabei vom gediegenen Ambiente eines Opernhauses und seines Zielpublikums profitieren. Das Kindermusiktheater in Karlsruhe scheint nun ein ganz neues Bild öffentlicher Wahrnehmung zu kreieren: Es tritt aus dem Klischeebild heraus, eine teure, exklusive Ware für ein ausgewähltes (erwachsenes) Publikum zu sein, das diese Kunst dank

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Geldbörse und Bildungsgrad konsumieren kann. Im Gegenteil zeigt das Theater nun, dass es sich mit dem Kindermusiktheater um eine besonders schützenswerte und förderungswürdige Zielgruppe kümmert, neue Orte im öffentlichen Raum erschließt und einen Beitrag zu Kultureller Bildung leistet. Nicht für Exklusivität und Hochkultur, sondern für Inklusion und Breitenwirkung soll das Kindermusiktheater stehen und dieses Image auf die großen Sparten übertragen.

3.2 Zielgruppenrelevanz oder ästhetische Profilierung?

Die zentrale Frage in der Betrachtung des Kindermusiktheaters in Karlsruhe ist, wie es dazu kommen konnte, dass nach den produktiven ersten Jahren die Aktivität für drei Spielzeiten zum Erliegen kommt. Dabei scheint der Begriff von Kindermusiktheater zunächst weniger wichtig zu sein als die strukturellen Veränderungen, die sich in der Leitungsebene vollziehen. Mit dem Weggang des Operndirektors und des Chefdramaturgen verliert die Abteilung zwei ihrer Fürsprecher. Auch der spätere Weggang der Leiterin des Jungen Staatstheaters führt zu einer Destabilisierung der Leitungsstruktur. Schon vorher jedoch zeichnen sich Meinungsverschiedenheiten und Auflösungstendenzen ab. Dabei wird eine Kinderopernuraufführung zu einem Streitfall zwischen Schauspielkindertheaterabteilung und Musiktheaterdramaturgie. Erst nach dem Weggang des Operndirektors löst der Intendant die Pattsituation, indem er das Projekt absagt. Das Problematische an diesem Prozess ist dabei nicht die inhaltliche Diskussion. Im Gegenteil scheint diese in der gemeinsamen Erprobung der Gattung mit unterschiedlichen kulturellen und differierenden professionellen Theaterhintergründen notwendig und muss auch gemeinsames Scheitern verkraften. Dass aber kein Ersatz gefunden wurde, zeigt, dass Kindermusiktheater als Zusatz, nicht als strukturell integrierter Spielplanbeitrag betrieben wird. Ausfälle in den selbstständigen Sparten des Theaters werden dagegen umgehend ersetzt.126 Mit dem Weggang seines Operndirektors und Chefdramaturgen versucht Peter Spuhler nun dem Kindermusiktheater eine neue ­inhaltliche Prägung zu geben. Nach dem Erfolg der Jugendoper Border soll eine Reihe von Uraufführungen von Jugendopern alle zwei Jahre herauskommen und damit in der deutschsprachigen Szene ein Alleinstellungsmerkmal bilden. »Ich fände es schön, wenn sich Karlsruhe an der Jugendoper in der kleinen Form profilieren könnte. […] Wir sind in Kontakt mit der Kompositionsklasse von Wolfgang Rihm

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und ­haben mit ihm auch einen Mentor. Da könnte man in einer ganz kleinen und bescheidenen Art Theatergeschichte schreiben« (­Spuhler 2015, 4). Doch keins der Stücke wird realisiert. Auch eine deutsche Erstaufführung eines in England uraufgeführten Jugendstücks steht unter schlechten Produktionsbedingungen, sodass sich der Komponist ­ gezwungen sieht, sein Werk nach langen Verhandlungen ­zurückzuziehen. Bezeichnend für den Zustand des Kindermusiktheaters in Karlsruhe ist, dass die Motive, sich für Kindertheater einzusetzen, weit voneinander entfernt sind. Schon allein die Vorstellungen einer ästhetischen Zeitgenossenschaft der Kolleginnen des Kindertheaters müssen mit den Interessen des Intendanten nach Verankerung in der Stadt und diese mit den hohen Ansprüchen der musikalischen Abteilung zusammengebracht werden. »[E]s ist wahnsinnig schwer, strukturell zu klären, wer mit welcher Entscheidungskraft den Hut aufhat und welche Stoffe man wählt. Es prallen auch lauter Ideologien aufeinander« (Spuhler 2015, 4). Vor diesem Hintergrund muss die Frage erlaubt sein, ob es nicht schon vor den Umbrüchen an einem klaren inhaltlich orientierten Begriff des Kindermusiktheaters gemangelt hat, der stark genug gewesen wäre, personelle Wechsel zu überdauern. Das Abklingen des Kindermusiktheaters hängt auch damit zusammen, dass sich nach den ersten drei Jahren sein Gründungsimpuls der Imageprägung erfüllt hat: Das Karlsruher Theater hat ein stabiles Schauspielkindertheater etabliert, durch etliche Inszenierungen und Vermittlungsaktionen seine Bedeutung als Ort Kultureller Bildung unterstrichen und bedient mit dem Schauspielkindertheater das neue Zielpublikum. Für die öffentliche Profilierung des Staatstheaters ist das Kindermusiktheater nicht mehr entscheidend. Umgekehrt muss man einem Theater auch zugestehen, das Verständnis einer jungen Gattung in der Praxis ändern zu können und sich im Wechselspiel von Produktion und Reflexion ein neues Ziel und eine andere inhaltliche Prägung geben zu können. Gerade in der Offenheit des integrierten Systems gegenüber künstlerischen Einflüssen liegt ja die Chance eines lebendigen, beweglichen, auf Experimenten basierenden Konzepts von Kindermusiktheater. Die Erfahrung aus Karlsruhe zeigt, dass es zwar einen klaren Auftrag zur Imageprägung und Publikumserweiterung gab, ein ästhetisches oder soziales Bedürfnis für Kindermusiktheater aber nicht stark genug war, um zu einer regelmäßigen Produktionsweise zu kommen.

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4. Künstlerische Produktion: Partizipation als Publikums­erweiterung in Border

Bereits in der Analyse der Ressourcen und Organisationsform hat sich gezeigt, dass das integrierte Modell in Karlsruhe großformatiger arbeitet und dabei grundsätzlich näher an der Oper ist als die Junge Oper in Stuttgart. Die Schwierigkeiten mit der Auslastung, aber auch mit der Rezeption bei großen Bühnenwerken wurden am Beispiel von Robin Hood bereits beleuchtet. Auch bei Border handelt es sich rein äußerlich um eine Oper. Sie steht aber auf besondere Weise im Spannungsfeld zwischen traditioneller Form und aktuellem Zeitbezug. Der vorliegende Abschnitt wird zunächst auf diesen Aspekt von Border eingehen und es im Genre der Jugendoper verorten. Danach geht es darum, wie sich ein derart umfangreiches Projekt unter den Rahmenbedingungen des integrierten Systems realisieren lässt. In der folgenden Inszenierungsanalyse wird der Gegensatz zwischen traditionellen Gattungsmerkmalen und zeitgenössischer Interpretation nochmals thematisiert. Besonders der Chor der Jugendlichen steht im Mittelpunkt. Hier geht es um die Frage, wie sich die künstlerischen Mittel des Musiktheaters durch Partizipation erweitern.

4.1 Zum Stück: Jugendoper als Erweiterung des Abendspielplans

Für Ludger Vollmers Jugendoper Border. Jugendoper nach einem Fluchtplan des Euripides überträgt die Librettistin Stephanie Schiller die Grundsituation des Euripides-Stücks Die Kinder des Herakles in die Gegenwart. Der Schauplatz ist: »Ägypten oder anderswo« (Vollmer 2012, 33). In der Vorlage des Euripides müssen die Kinder des Herakles, die nach dem Tod ihres Vaters zu potenziellen Staatsfeinden geworden sind, vor den Nachstellungen des Herrschers Eurystheus flüchten. Auch bei Vollmer müssen die Geschwister – Farid, Makaria und Abiah – fliehen, nachdem ihr Vater Opfer eines politischen Mordes geworden ist. Ihr Ziel ist Menelaos, ein Freund ihres verstorbenen Vaters, der sie ins rettende Ausland bringen soll. Menelaos’ jugendlicher Sohn Manol kümmert sich nicht um Politik, schirmt sich durch Computerspiele von der Außenwelt ab und rebelliert gegen seinen Vater. Als die Älteste der Geschwister, Makaria, als erste das Haus des Menelaos erreicht, verliebt sie sich in Manol. Aber der junge Mann hält es nicht aus, sie als Flüchtende schon bald wieder gehen lassen zu müssen. Ein Spitzel der Geheimpolizei bietet Manol an, dafür zu sorgen, dass Makaria im

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Land bleiben kann. Verzweifelt verrät er seine Geliebte und richtet sich dafür selbst hin. Die Jugendoper wird während der politischen Umbrüche des sogenannten Arabischen Frühlings entwickelt (Badisches Staatstheater 2013, 8). Regie führt die Leiterin des Jungen Staatstheaters, Ulrike Stöck, die Musikalische Leitung hat Steven ­Moore. Ludger Vollmers Musik, die sich an melodischen Strukturen des griechischen wie orientalischen Kulturraums orientiert und oft charakteristische Halbtonmelismen verwendet, verstärkt den Eindruck eines arabischen Hintergrunds. Die Orchesterbesetzung entspricht aber dem westlichen sinfonischen Format.127 Lediglich die Schlagzeug­gruppe ist überdurchschnittlich groß und sieht neben dem Pauker drei Spieler vor. Die Betonung des Rhythmus mit vom Drum-Set und weiteren Percussion-Instrumenten angetriebenen Beat, inklusive einem wilden Solo der Schlagzeuggruppe, charakterisieren Vollmers Musik. Dass zwei Schlagzeuger nicht im Graben, sondern mit Xylofon, Woodblocks und Eisenblock praktisch direkt vor den Zuschauern spielen, lässt das Publikum buchstäblich in den Klang eintauchen. Vollmers Zielgruppe ist ausdrücklich zwischen Kindes- und Erwachsenenalter angesiedelt. Bereits Schillers Räuber, Gegen die Wand oder Lola rennt sind an ein jugendliches Publikum adressiert. In der Regelmäßigkeit seiner Produktionsweise gilt der Komponist im deutschsprachigen Raum als Spezialist für Jugendopern und befriedigt damit ein Desiderat im zeitgenössischen Repertoire, denn noch auffälliger als im Bereich des zeitgenössischen Kindermusiktheaters ist das Fehlen eines Grundstocks von expliziten Jugendopern.128 Was aber macht Vollmers Jugendopern aus? Formal gesehen verwendet er die Mittel einer großen Oper mit vollem Orchester, Solisten und Chor. Oft allerdings schreibt er ausdrücklich für einen jugendlichen Chor oder lässt die Möglichkeit offen, einen professionellen Klangkörper mit Schülern zu mischen. Anders als in vielen Repertoirestücken mit obligatem Kinderchor – Carmen, Hänsel und Gretel, Tosca usw. – haben Vollmers Chöre ein stärkeres dramaturgisches Gewicht. Der Chor als eine die Handlung voranbringende oder sie kommentierende Einheit wird auch musikalisch aufwendig in Szene gesetzt. Er eröffnet damit wie nebenbei einem Kollektiv von jungen Laienprotagonisten einen Handlungsraum, der kein schmückendes Beiwerk, sondern zentrales Element von Handlung und musikalischer Struktur ist. In der Möglichkeit von der Lebenserfahrung, Fantasie und musikalischen Fertigkeiten von Jugendlichen zu profitieren, liegt nicht zuletzt das Potenzial von Border. Die Chorpartie ist mit Auftritten in fast jeder Szene besonders groß.

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Auch innerhalb der Rollen bezieht sich Vollmer auf ein jugendliches Milieu, obwohl die Solopartien für professionelle Stimmen geschrieben sind. Die Protagonisten seiner Opern sind überwiegend ­Jugendliche. Sie stehen in Konflikten mit der Elterngeneration (Border), deren (religiöse) Normen (Gegen die Wand) und suchen nach Identität und Selbstbestimmung (Tschick). Trotz des klaren Bezugs auf eine jugendliche Lebenswelt – Rebellion, erste Liebe, Selbstbehauptung – bleiben Vollmers Werke für den Abendspielplan kompatibel. Dies hängt zum einen mit der erwähnten Orchester-, Chor- und Solistenbesetzung zusammen, mit der Vollmers Stücke wie Repertoirewerke auf einer großen Bühne aufgeführt werden können. Zum anderen scheinen sich auch ältere Zuschauer gerne mit den Konflikten eines jugendlichen Personals auseinanderzusetzen. Weiterhin entspringen Vollmers Themen allgemeinen gesellschaftlichen Fragen, die sich nicht auf eine Altersgruppe beschränken lassen: Wie entsteht religiöse Gewalt (Crusades), was bewirkt digitale Überwachung (The Circle), was verursacht Flucht und Vertreibung (Border)? Es nimmt nicht Wunder, dass beispielsweise Crusades am Theater Freiburg und Tschick am Theater Hagen im Abendspielplan über die Bühne gingen. Die »Doppeltadressiertheit« (Gunter Reiß) von Vollmers Opern und ihre Resonanz bei einem gemischten Publikum sagt damit auch etwas Grundsätzliches über die Oper im deutschen Stadt- und Staatstheater aus. Für Jugendliche liegt in seinen Opern eine Projektionsfläche für eigene Erfahrungen, gleichzeitig aber auch der Zauber einer fremden, traditionellen Gattung. Für ältere Opernbesucher eröffnen die Stücke eine vertraute ästhetische Umgebung mit aktuellen gesellschaftlichen Themen und Geschichten. Vor allem die Hörgewohnheiten müssen dabei nicht verändert werden, weil Vollmer – in der Behandlung der Stimme in Abwandlung des Belcanto – fasslich und emotional schreibt und die Musik direkt mit der Bühnenhandlung verknüpft. Kritiker mögen darin einen Neokonservatismus sehen, der es seinem Publikum mit längst ausgedeutetem Material allzu leicht macht.129 In der Tat führt Vollmer seine jugendlichen Zuhörer mehr an die Oper heran, als dass er einen ohrenöffnenden Neuklang sucht, der für experimentelle Formen des Musiktheaters sensibilisieren könnte. Nichtsdestoweniger bieten seine Werke für die problematische große Bühne ein Format, das die Determinierungen des Repertoirestücks zwar bedient, aber doch an entscheidenden Stellen erweitert. Neben den partizipativen Möglichkeiten seien hier auch die Verwendung traditioneller türkischer Instrumente in Gegen die Wand (Vollmer 2005 – 2008) oder der Rap in Schillers Räuber erwähnt (Vollmer 2008).

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Das Etikett Jugendoper wirkt dabei nicht abträglich, sondern gerade für nicht opernaffine Besucher sogar entlastend. Anders als eine Uraufführung im Abendspielplan muss sich eine Inszenierung unter dem Etikett der Jugendoper nicht mit den zwanzig Meisterwerken des Abendspielplans messen lassen. Das macht es dem Rezipienten leichter, eine Neuschöpfung in ihrer Eigenart wertzuschätzen, anstatt sie durch Vergleiche zu relativieren. Jugendoper assoziiert eine andere kulturelle Ansprache als etwa Uraufführung. Eine Schwellenangst – man befürchtet, nicht ausreichend (kanonisch) gebildet zu sein, um eine Vorstellung genießen zu können (Inferiority-Komplex)130 – schwächt sich unter dem Etikett Jugendoper ab. Die Vorstellung verliert den Druck und Anspruch erzeugenden Ausdruck von sogenannter Hochkultur.131 Border wird in Karlsruhe zwar überwiegend von Jugendlichen besucht, findet aber auch bei allen anderen Opernbesuchern Anklang.

4.2 Probenprozess: In den Zwängen des Abendspielplans

Um keine Produktion auf der Opernbühne zu verlieren, wird mit einer geteilten Staatskapelle geplant, die sowohl Gaetano Donizettis La fille du régiment im Großen Haus als auch Border im Kleinen Haus spielen kann. Ludger Vollmer stellt zu diesem Zweck eine reduzierte Orchesterbesetzung her. Außerdem muss der enge Zeitplan des achtzig Schüler umfassenden Jugendchors, vor allem der Abiturtermin, berücksichtigt werden. Die terminlichen Schwierigkeiten bringen das Projekt, das zuerst mit dem hauseigenen Jugendchor durchgeführt werden soll, ins Wanken; erst das Einspringen der externen Singvereinigung ­Lutherana sichert den musikalischen Teil der Partizipation. Auch bei den Ensemblesolisten hat der Abendspielplan erste Priorität. Lediglich zwei Sänger des Ensembles sind besetzt, die restlichen Rollen setzen sich aus Mitgliedern des Opernstudios wie aus Gästen der Hochschule für Musik zusammen. Dass das Stück vor allem jugendliche Rollen verlangt, kommt den Gegebenheiten entgegen. Im Probenprozess sieht sich das Karlsruher Haus außerdem mit den ungewohnten Details partizipativen Theaters (Schulbefreiungen, Atteste, Sicherheitsbestimmungen, Betreuungspflichten usw.) konfrontiert und muss die unterschiedlichen Erwartungen und Bedürfnisse nicht nur zwischen Orchester, Sängern und Chor, sondern auch zwischen den Schülern moderieren. Obwohl der Betrieb Schwierigkeiten hat, die zusätzliche Produktion jenseits des Abendspielplans zu bewerkstelligen und der Opern-

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bereich noch keine vergleichbare Erfahrung mit partizipativen Formaten hat, erweist sich das Staatstheater in diesem Prozess auch als lernfähiger Organismus. Dies betrifft sowohl die eigene Organisation als auch das Eingehen auf Bedürfnisse von nicht am Theater angestellten Gruppen. Ganz besonders profitiert das Staatstheater von der externen Chorleitung, denn die Einstudierung, vor allem aber die Rekrutierung der Stimmen, sind nicht alleine aus dem Haus heraus zu leisten. Border steckt zwar in den Zwängen des Abendspielplans, bringt aber bereits auf organisatorischer Ebene Kompetenzen ein, die im Repertoirebetrieb unentdeckt geblieben wären. Über das politische Zeichen der künstlerischen Arbeitsbeziehung hinaus schafft das Staatstheater die konkrete Bindung dutzender Jugendlicher und ihrer Familien an die Institution.

4.3 Inszenierung: Der Bühnenraum als Projektionsfläche für ­ästhetische und soziale Erfahrung

Der Bühnenraum von Fred Pommerehn verzichtet auf jeden Naturalismus. Die Bühne ist bis auf die Grundmauern leergeräumt. Die Sicht auf die nackten Betonwände gibt dem Raum eine raue und urbane Anmutung. Das einzige räumliche Element sind zwölf transportable Objekte aus Aluminium, die die stark verkleinerten Proportionen von Containern haben und auch für mannshohe Käfige stehen könnten. Zur Pyramide gestapelt können sie ein Haus, zur Wand aufgestellt eine Landesgrenze darstellen. Als weiteres gestalterisches Element geraten mit fortschreitender Dauer des Stücks Mülltüten in den Farben orange, blau und gelb auf die Bühne und lassen an verkommene Landschaften, Flüchtlingslager oder Transiträume denken. Außerdem bekommt das Bühnenlicht im sonst leeren Raum eine starke Bedeutung. Die eigentlichen »Objekte« der Bühne sind die rund achtzig Schüler. Sie tragen zeitgenössische Kleidung; Grau- und Brauntöne dominieren. Nur die Solisten tragen individualisierte Kostüme. Die Bühne des Kleinen Hauses bekommt durch seine starke Materialität (Beton, Aluminium, Plastik) eine große Eigenwirkung. Die ursprüngliche Bestimmung des Kleinen Hauses als große Probebühne kommt dem Raumkonzept entgegen. Die Zuschauerreihen steigen stark an und sind dabei nicht wie in einem gewöhnlichen Theatersaal spiegelsymmetrisch angeordnet. Die weitläufige Architektur des Kleinen Hauses wirkt wie ein Ort im öffentlichen Raum. Die Breite der Bühne begünstigt die Bewegung des Chors und platzaufwendige Um-

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bauten der »Container«. Die kühle Materialität und urbane Architektur des Raumes lässt die darin agierenden Figuren klein und unbehaust erscheinen und spiegelt das Thema Flucht. Auf der anderen Seite erzeugt die schroffe Anmutung in Zusammenklang mit der gediegenen Optik eines klassischen Streicherapparats und den golden schimmernden Blechblasinstrumenten einen spannungsreichen Kontrast. Musiktheater ist hier weder eine Kunstform, die sich mit einem äußerlichen Verständnis von Regietheater einen auf Effekt ausgerichteten Alltagsrealismus erkauft, noch stellt es seine Tradition und seine Zeichen traditioneller Produktionsweisen in den Fokus. Mag der scheinbare Gegensatz von »modern« und »traditionell« im Musiktheater ein verkürztes Gegensatzpaar einer überkommenen Opernrezeption sein – in Border wird er auf optischer Ebene zum tragenden Spannungsmoment. Die ästhetische Wirkung des Raums könnte gerade beim jugendlichen Publikum zu einem wesentlichen Erfolgsmoment der Inszenierung von Border beitragen. Zum einen korrespondieren seine Ausstrahlung und seine Materialität mit dem Stück. Zum anderen gehören Urbanität und öffentlicher Raum auch zur Lebenswirklichkeit der in der Großstadt aufwachsenden Jugendlichen.132 Die positive Wirkung auf Jugendliche liegt dabei aber nicht nur in seiner ästhetischen, sondern womöglich auch in seiner sozialen Bedeutung. Dabei kommt dem Spielort die Nähe zum Abendspielplan zugute. Denn gerade die Abwesenheit eines Zeichens von Kinderfreundlichkeit mag ein jugendliches Publikum als Distinktionsmerkmal willkommen sein. Mit dem Kleinen Haus betritt man sozusagen eine Welt, die mit der Sphäre des Kindlichen nichts zu tun hat.

Die Erweiterung künstlerischer Mittel durch Partizipation

Die Inszenierung von Border wird durch den großen Chor der Jugendlichen bestimmt. Er setzt sich aus den etwa dreißig Karlsruher Schülern der evangelischen Singvereinigung Lutherana und einigen Mitgliedern des Chors des Helmholtz-Gymnasiums zusammen. Den größeren Teil der partizipierenden Schüler macht aber der sogenannte Bewegungschor aus, der aus über fünfzig Jugendlichen aus Karlsruher Schulen besteht. Wird der singende Chor über seine Leiter zusammengestellt, versucht das Junge Staatstheater für den Bewegungschor möglichst viele Jugendliche ohne den Umweg eines Kommunikators oder einer milieubestimmten Institution zu erreichen. Das Team um Ulrike Stöck besucht dafür Karlsruher Schüler direkt in ihren Klassen

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und berichtet von dem Projekt. Dadurch entsteht eine Werbung, die sich später positiv auf die Auslastung der Inszenierung auswirken wird. Für die Teilnahme am Bewegungschor gibt es ein Casting. Neben szenischer Präsenz ist die migrantische Herkunft eines der Kriterien für die Aufnahme (Stöck 2015, 1). Stöck arbeitet mit dem Bewegungschor, lange bevor die szenischen Proben im Theater beginnen. Erst spät wird der singende Chor mit dem Bewegungschor zusammengeführt. Sie achtet darauf, dass der Bewegungschor einen Informationsvorsprung hat und den Sängern bei der Orientierung im Arrangement auf der Bühne helfen kann. Grundsätzlich versucht sie, die Proben auf Augenhöhe stattfinden zu lassen. Sie möchte als Leiterin wahrgenommen werden, die Spielangebote macht, und nicht als Regisseurin, die Anweisungen gibt (Stöck 2015, 2). Die Inszenierung darf sich aus den Erfahrungen der Schüler und aus ihren Geschichten entwickeln und das jugendliche Publikum soll sich über die Akteure mit dem Stück, seinem Thema und seiner Musik identifizieren können. Im Zentrum der Vorproben steht die Frage: »Welche Grenze hast du oder hat deine Familie zuletzt überschritten?« (Stöck 2015, 3) Jede Schülerin und jeder Schüler stellt seine Antwort vor der Gruppe vor. Es sind fast alles Geschichten von Flucht und Neuanfang aus der eigenen Familie. Die Berichte werden später in der Inszenierung auf offener Bühne an festgelegten Stellen erzählt. In jeder Vorstellung wechseln sich die Schüler ab oder verändern die Reihenfolge ihrer Beiträge. Viele der Schüler sind Kinder geflohener Eltern aus dem Iran, aus Bosnien oder Vietnam. Aber auch Schüler deutscher Herkunft berichten von Fluchtschicksalen ihrer Großeltern im »Dritten Reich« und als Vertriebene ehemals deutscher Gebiete. Die Fluchtursachen – Krieg, politische Verfolgung, Armut – sind zahlreich. »Die Nachricht ist: Border ist überall. Wir, unsere Eltern, unsere Großeltern, alle Familien in Deutschland, haben Grenzen überschritten« (ebd.). Die Texte der Jugendlichen in der Inszenierung klingen nicht auswendig gelernt und sind mal länger, mal kürzer, mal traurig, mal humorvoll. Zu Beginn stimmen sie auf das Thema der Inszenierung ein, während des Stücks unterbrechen sie die Handlung und die Musik. Die Texte bilden innerhalb der fest gefügten musikalischen Nummern – Arien, Ensembles, Chöre, Orchesterzwischenspiele usw. – Inseln eines individuellen Bekenntnisses mit einem leichten, wie improvisiert wirkenden Ausdruck. Dadurch zieht der Chor der Jugendlichen nicht nur das Thema des Stücks an sich heran, sondern auch seine Form. Der Gegensatz zwischen der vom Orchester gespielten Musik und den Sprechtexten der Jugendlichen, die unverstärkt und sehr persönlich

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erzählen, erzeugt eine Spannung, in der das Thema des Stücks deutlich wird. Gleichzeitig kommt auch eine leichte und zarte Hörqualität ins Spiel. Ist die Spielverabredung innerhalb der Oper das Darstellen von Rollen, das Nachspielen einer von Autoren erdachten Handlung und die Wiedergabe einer bereits komponierten Musik, sind die Beiträge der Jugendlichen Verkörperungen ihrer selbst, rekurrieren auf gelebte Geschichte und bilden mit der spontan, oft leise und wie tastend klingenden Sprechstimme einen Klang, der gerade deswegen berührt, weil er nichts darstellen muss. Ein ähnliches Phänomen wie im Szenisch-Klanglichen der Inszenierung spielt sich auf musikalischer Ebene bei den Chören ab. Insgesamt singt der Chor in fast allen Nummern. Nur an zwei Stellen singt auch der Bewegungschor mit. In der Szene elf singen beide Chöre über eine längere Strecke fast ohne Unterstützung des Orchesters (Vollmer 2008, 277). Die Stelle markiert den Wendepunkt des Stücks und offenbart stellvertretend die Gedanken und Gefühle des Manol, bevor er Makaria verrät: »An deiner Schönheit werd’ ich vergeh’n.« Der tänzerische Dreierrhythmus der Passage (6/4-Takt) wird dabei von der dorischen, traurig wirkenden Melodie konterkariert. Ein klagender Sekundschritt leitet den zentralen, sehnsuchtsvollen Quartsprung ein, der sich wie resignierend zur Terz auflöst (Vollmer 2008, 279). In der hohen Mittellage mit seinen anspruchsvollen musikalischen Wendungen stellt die Passage eine Herausforderung für einen Laienchor dar. Setzte die Kölner Oper zur Uraufführung Sänger des professionellen Kölner Gürzenich-Chors ein, gehört es in Karlsruhe zum musikalischen Konzept, dass die Chöre ausschließlich von Jugendlichen gesungen werden. Die Entscheidung ist auch eine ästhetische. Können professionell ausgebildete Stimmen in der Regel mit relativ wenig Probenarbeit Intonationssicherheit, Volumen und rhythmische Präzision bieten, müssen die genannten Eigenschaften bei einem Laienchor mit mehr Anstrengung erarbeitet werden. Doch die noch nicht durch eine klassische Stimmbildung »abgesicherten« Stimmen bringen auch eine eigene, natürliche Qualität mit sich. Der Klang wirkt kostbar, weil er zerbrechlich ist und genau die Situation trifft, in der sich das junge Liebespaar im Stück befindet. Es ist der Klang einer mehr erträumten als realen Welt, die jederzeit einstürzen kann. Das gelingende Ringen mit der Form, der musikalische Ausdruck, der leidenschaftlich und unschuldig zugleich ist, geben der Nummer eine unverwechselbare Gestalt, die von einem professionellen Chor nicht zu reproduzieren wäre. Die frappierende Wirkung des Chors resultiert aus einer künstlerischen Selbstständigkeit, die im professionellen Umfeld des

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Opernhauses umso verblüffender wirkt. Anders als bei Chornummern professioneller Klangkörper im Opernbetrieb, bei dem es oft darum geht, Charakteristika einzelner Stimmen zugunsten eines gemeinsamen Chorklangs aufzulösen und als Klangerzeuger hinter die Komposition zurückzutreten, ist bei Border der musikalische Effekt mit den Persönlichkeiten seiner Tonerzeuger aufs engste verknüpft. Wären alle Beteiligten noch im Kindesalter oder wenige Jahre ältere Erwachsene, würde sich nicht die gleiche Spannung zwischen ausübenden Künstlern, Thema des Stücks, Inszenierung und musikalischer Wirkung einstellen. Gerade im Opernbereich, wo musikalische Reproduzierbarkeit zu den täglichen Aufgaben des Hauses und ihre Wirkung zur allabendlichen Routine zählen, erscheint der Moment umso kostbarer, der vielleicht noch am nächsten Abend, nicht aber mehr in einem Jahr zu wiederholen ist.

5. Fazit: Das integrierte System als Basis für Verankerung in der Stadt

Das integrierte System in Karlsruhe zeugt davon, dass bundesweit erst relativ wenig Erfahrung mit dem Modell gemacht und geteilt wurde. Das integrierte System im Stadt- und Staatstheater, das weniger best-practice-Vorbilder hat als die eigenständige Abteilung, erprobt sich noch. Das Musiktheater für Kinder als Teil des jungen Staatstheaters und als zusätzliche Anstrengung der Opernsparte steht für das Dilemma des modernen Stadttheaterintendanten, nämlich nicht nur das gewöhnliche (Repertoire-)Theater zu bedienen, sondern das Haus mit vielen Sonderveranstaltungen zu öffnen. In der allgemeinen Tendenz der Doppelstrategie liegt die Gefahr, Anforderungen zu kreieren, die in der regulären Arbeitszeit nicht zu erfüllen sind. Überregional wird die hohe Belastung von Mitarbeitern in Zusammenschlüssen wie »ensemble-netzwerk«133 und Initiativen wie »Art but fair«134 kritisiert. In der Position der Musiktheaterpädagogin kulminiert die Idee eines »integriert« arbeitenden Mitarbeiters. Denn das Ideal eines sowohl im Kindertheater, im Musiktheater, im Ballett und im Konzertwesen erfahrenen Kollegen, der sich darüber hinaus auch noch alle Fachlehrer kennen soll, scheint sich in der Realität nicht einzulösen. Obwohl mit der Musikpädagogin in Karlsruhe sozusagen die »integrierteste« Mitarbeiterposition geschaffen wird, wirft sie am deutlichsten die Frage nach der Grenze des Spartenübergreifenden und einer umfassenden Theaterkompetenz auf. Wahres Expertentum bezieht sich selten

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5.  Fazit: Das integrierte System als Basis für Verankerung in der Stadt

auf mehrere Fachgebiete zugleich. Im Gegenteil verlangt gerade das Kindermusiktheater als sich entwickelnde Gattung eine spezifische Expertise. Dass sich Chefdramaturgen oder Operndirektoren um den Abendspielplan und das Kindermusiktheater zugleich kümmern müssen, ist ambivalent. Das Kindermusiktheater ist in seinen künstlerischen (Formate, Regisseure, Stilmittel), pädagogischen (Partizipation, Vermittlung, Partnerschaft) und kommunikativen Dimensionen (Schulen, Festivals, Kongresse) derart gewachsen, dass sich die Anforderungen kaum nebenbei erledigen lassen. Der Blick in die Praxis zeigt allerdings, dass Kindermusiktheater oft und erfolgreich von Theaterleuten betrieben wird, die aus unterschiedlichen Bereichen kommen und auch im Alltag mit dem Abendspielplan oder mit ganz anderen Genres beschäftigt sind. Zu nennen sind etwa die Leiterin des integrierten Kindermusiktheaters in Mainz, Ina Karr als Chefdramaturgin der Oper, wie auch Andrea Gronemeyer als Intendantin des Schauspielkindertheaters Schnawwl. Durch die Personalunion besteht einerseits immer die Gefahr, dass sich der Abendspielplan oder die Hauptsparte gegenüber dem Kindermusiktheater »durchsetzt«. Andererseits liegt in der Doppelaufgabe kreatives Potenzial. Die Theaterlandschaft zeichnet sich gerade dadurch aus, dass ganz unterschiedliche Berufsgruppen das Kindermusiktheater entdeckt haben und dabei Regisseure, Dramaturgen, Musiker wie auch Pädagogen in Leitungspositionen stehen. Gerade die unterschiedlichen Hintergründe – Schauspiel-Kindertheater, Puppenspiel, Objektkunst usw. – prägen die Vielfalt der Szene. Die Praxisbeispiele der vorliegenden Arbeit bezeugen, dass Kindermusiktheater sich aus szenischem Instrumentaltheater (Der unsichtbare Vater), aus Beteiligungsformen (Border) und aus den Mitteln des Schauspiels (Das Kind der Seehundfrau) zusammensetzt. Mehrfachbelastung gehört aus dieser Perspektive also auch zum Antrieb der Kunstform. Gerade durch den täglichen Umgang mit komplexen Dramaturgien und zeitkritisch deutenden Inszenierungen anderer Theaterformen kann sich ein Qualitätsbewusstsein entwickeln. Zu den Spannungsfeldern des Kindermusiktheaters im integrierten System gehört nicht nur das Personal, sondern auch die Spielstätte. Kindermusiktheater hat die Möglichkeit, auf der großen Karlsruher Bühne als Gattung ernstgenommen zu werden, hat dabei aber mit strukturellen und ästhetischen Schwierigkeiten zu kämpfen. Im Staatstheater wird die zehnmal frei verkaufte Aufführung der Kinderoper Robin Hood im Großen Haus zum Problem – nicht nur, weil sie vergleichsweise schlecht ausgelastet ist, sondern auch, weil sie zu-

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IV.  Kindermusiktheater im integrierten System am Staatstheater Karlsruhe

gleich Vorstellungen besser verkaufter Repertoireproduktionen blockiert. Der Umstand wirft Fragen auf: Ist die Idee der Gewinnung eines neuen Publikums vor diesem Hintergrund doch nicht so stark, weil es am Ende darum geht, das Stammpublikum zu halten? Hätte es nicht gerade das Kindermusiktheater auf der großen Bühne verdient – ähnlich wie eine Uraufführung –, durch Abonnentenbesuche »gestützt« zu werden? Sicherlich sind die Argumente treuer Operngänger nachvollziehbar, die für ihr Geld zielgruppengerechtes Musiktheater erleben wollen, doch lassen sich hier auch Zwischenlösungen denken. So wäre Kindermusiktheater leichter im Wahlabonnement oder jenseits des Opernpremierenabonnements als unter der Rubrik Musiktheater zu verkaufen. Aber auch in diesem Zusammenhang muss man fragen: Ist das vermeintlich traditionelle Opernpublikum wirklich so festgelegt oder bekommt es diese Haltung durch ängstliche Operndirektoren und Intendanten auch zugeschoben? Nicht nur Peter Pan aus dem Stuttgarter Opernhaus beweist, dass vermeintliche Kinderstoffe als Familienoper auch an Erwachsene vermittelbar sind. Würde sich ein aufgeschlossenes Opernpublikum, so wie es sich für eine Uraufführung interessiert, nicht auch für ein experimentelles Kindermusiktheater interessieren, in dem zeitgenössische Musik erklingt und aktuelle Themen und Konflikte verhandelt werden? Ludger Vollmers abends angesetzte Jugendopern bezeugen das. Gemessen an der Größe der Stadt und ihrer Schülerzahlen sind zehn Vorstellungen im freien Verkauf ein Wagnis. Die Zahlen als Beweis dafür zu nehmen, dass die Kinderoper ins Kleine Haus gehört, ist allerdings vorschnell. Denn hier wäre durch eine Kontinuität des Spielens über die Jahre auch mit Publikumszuwachs und steigender Nachfrage zu rechnen. Darüber hinaus müssten auch die Vorstellungen am Abend oder Nachmittag, die als Familienvorstellungen ein ganz anderes Publikum ansprechen als nur die Schulen, in die Rechnung einbezogen werden. Die zahlenmäßige Erfolgsproduktion von Hänsel und Gretel im Karlsruher Opernhaus beweist, dass es dieses gemischte Publikum gibt und es selbst im sechsten Jahr seiner Wiederaufnahme für mehrere ausverkaufte Vorstellungen sorgen kann. Die bundesweit steigenden Besucherzahlen des Kinder- und Jugendtheaters legen nahe, dass der Bedarf an Kindermusiktheater hoch ist. Eine gut ausgelastete Kinderopernproduktion wie Robin Hood mit etwas weniger Vorstellungen und einer Ansetzung sowohl für Schulen als auch für Familien wäre also durchaus im Bereich des Möglichen gewesen. Es mag überehrgeizig gewesen sein, zehn Vorstellungen im freien Verkauf zu planen. Die Angst vor einbrechenden Zahlen ist aber kein

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5.  Fazit: Das integrierte System als Basis für Verankerung in der Stadt

alleiniges Karlsruher Problem. Sie ist ein Ausdruck der beschriebenen Rahmenbedingungen des Stadt- und Staatstheater. Intendanten und Operndirektoren sind dabei nicht aus der Verantwortung zu nehmen. Nur der Intendant kann glaubhaft in die Öffentlichkeit und in die Administration seiner Stadt oder seines Landes vermitteln, dass die Verjüngung des Publikums nur über einen längeren Zeitraum zu gewährleisten ist und die »Verrechnung« mit dem Abendspielplanpublikum zumindest einer besonderen Kommunikation bedarf. Das Karlsruher Experiment zeigt auch, wie viel Erfahrung es noch bedarf, um sowohl nach außen (Schulverkauf, Werbung, Einführungen usw.) wie auch nach innen (Eingliederung ins Abonnement, Sitzsperrungen, Ansetzungszeiträume usw.) das Abweichen von der normalen Repertoirevorstellung zu organisieren. Das Gleiche gilt für die Ansetzungszeiten. Regelmäßigkeit und Verlässlichkeit der Aufführungen scheint in einer noch unbekannten Sparte wichtig für die Außenwirkung und die Publikumsbindung zu sein. Dies gilt in besonderem Maße für eine Abteilung, die keinen einzelnen Leiter und öffentlichen Fürsprecher hat. Insbesondere das wiederholende Spielen im Repertoire, bei dem sich Lehrer und Eltern auf einen längeren Produktionszyklus einstellen können und das theaterfreie Phasen im Schuljahr ausgleichen kann (Ferien, Abitur), sind dabei von Bedeutung. Die sporadischen, eher unregelmäßigen Vorstellungen des Staatstheaters reichen nicht, um ein eigenes Publikum dauerhaft zu binden. Erst über die regelmäßigen Produktions- und Vorstellungszyklen kann das Kindermusiktheater die Eigenschaften gewinnen, die das Stadt- und Staatstheater im deutschsprachigen Raum auszeichnet: ein nicht projektabhängiges, sondern dauerhaft und verlässliches Angebot von Kunst zu werden. Das Etablieren des Kindermusiktheaters in Karlsruhe – über Umschichtung von Ressourcen und über eine Umverteilung von Arbeit bei gleichzeitiger Steigerung der Produktivität – zeigt den immensen Willen des Theaters, sich zu verändern, gleichzeitig aber auch das Bedürfnis, in Hinblick auf die Zahlen nicht abzufallen. Entscheidend scheint in diesem Zusammenhang eine Diskussion über »Erfolg« eines Hauses oder einer Sparte zu sein, der sich nicht nur in Zuschauerzahlen bemessen ließe. Denn letztlich ist die Vermehrung der Produktionen das belastende Moment – nicht die Qualität neuer Formate. Das Festhalten an Zuschauermengen als oberstem Kriterium für Erfolg im Opernbereich muss außerdem immer dem Abendspielplan höchste Priorität einräumen, sodass Produktionen der Nebenspielstätten – und damit auch des Kindermusiktheaters – Gefahr laufen, dauerhaft

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IV.  Kindermusiktheater im integrierten System am Staatstheater Karlsruhe

Zusatzveranstaltungen zu bleiben. Dies wäre umso bedauerlicher, als sich in Karlsruhe wichtige Synergieeffekte ergeben. Ein ganzer Apparat, der über Jahrzehnte nur auf erwachsene Besucher fokussiert war, bekommt die Möglichkeit, sich mit einem ungewöhnlichen, aufmerksamen und eigenwilligen Publikum auseinanderzusetzen. Diesen Impuls gilt es weiter zu entwickeln, denn das Kindermusiktheater kann als lernendes System auch für den Abendspielplan Labor und Modell sein. Die exemplarische Untersuchung der Jugendoper Border macht deutlich, was im Zusammenspiel zwischen großem Orchester, Solisten und Jugendchor möglich ist. Die Inszenierung erfüllt auf den ersten Blick alle wiedererkennbaren Merkmale der Oper und ist zugleich eine Weiterentwicklung der Kunstform, bei der Flucht und Migration im Mittelpunkt stehen. Die persönlichen Geschichten und die Form, wie sie erzählt werden, die natürliche, aufrichtige Art des Singens, aber auch das wie selbstverständliche Agieren der achtzig Jugendlichen im Bühnenbild setzen sich zu einer eigenwilligen künstlerischen Sprache zusammen. Die immensen Erweiterungen des Ausdrucksspektrums von Musiktheater durch Bürgerbeteiligung sind dabei deutschlandweit noch nicht annähernd ausgeschöpft. Kaum ein Komponist wagt den Schritt vom Komponieren für Kinder- oder Jugendchor zu einem Geräuschechor für Experten des Alltags. Wichtige Erprobungen der Klangwelten von Berufsgruppen, Landschaften oder Bauten bleiben spektakuläre Stück- oder Projektentwicklungen auf lokaler Ebene, ohne andernorts wiederholt zu werden.135 In Karlsruhe wird Border trotz des Erfolgs bei Publikum und Presse136 nicht wieder aufgenommen. Nicht nur Schwierigkeiten im Betrieb, auch die Termine der Schüler und der Schulabgang durch Erreichen des Abiturs machen eine Wiederholung unmöglich. Bis hin zur nicht realisierbaren Wiederaufnahme zeigt das integrierte Modell in Karlsruhe, mit welchen Hindernissen partizipatives Kindermusiktheater am Stadt- und Staatstheater verbunden ist, allerdings auch, wie es glücken kann und wie sich über den persönlichkeits- und gemeinschaftsbezogenen Wert der partizipierenden Schüler hinaus künstlerische Impulse für das Musiktheater setzen lassen. Auf organisatorischer Ebene vermittelt die Produktion einen Eindruck davon, zu welchen Synergieeffekten ein integriertes System in der Lage ist. Border ist auch ein Beispiel dafür, wie Kernkompetenzen (Chorleitung und -organisation) nach außen abgegeben werden können, um dadurch für Haus und Partner einen Mehrwert zu schaffen. Unter der Annahme, dass ein Stadttheater der Zukunft noch viel stärker durchlässig wird für zivil-

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5.  Fazit: Das integrierte System als Basis für Verankerung in der Stadt

gesellschaftliche Beteiligungsformen, steht dem Kindermusiktheater eine ganze Bandbreite neuer Partnerschaften, organisatorischer Formate und künstlerischer Möglichkeiten offen. Seine vielfältigen Anknüpfungspunkte sowohl künstlerisch als auch in Bezug auf die partizipierende Gruppe und ihre Funktion machen das flexible integrierte System dafür besonders geeignet. Während in Stuttgart Konflikte um Ressourcen zwischen Mutterhaus und eigenständiger Abteilung auszumachen waren, lässt sich in Karlsruhe beobachten, dass unterschiedliche Begriffe von Kindermusiktheater innerhalb der Initiatoren ebenso problematisch sein können. Offenbar benötigt gerade das integrierte Kindermusiktheater ohne feste Strukturen einen zentralen, von mehreren Leitungsmitgliedern geteilten Begriff, um dauerhaft am Leben zu bleiben. Leiten sich die Probleme der eigenständigen Abteilung oft auf einen sozusagen externalisierten Kampf mit dem Mutterhaus ab, geht es im integrierten System stärker um persönliche Identifikation. Bleibt sie aus, kann dies in Summe jenen Drift bewirken, bei dem das Kindermusiktheater wie in Karlsruhe über Jahre hinweg aussetzt. Das Verschwinden des Kindermusiktheaters in Karlsruhe lässt sich aber nur aus der Summe aller Schwierigkeiten und ihrer komplexen Wechselwirkungen verstehen. Sicherlich wirkt der personelle Wechsel in der offenen Personalstruktur am stärksten. Zu nennen sind aber auch die Widerstände der ersten Jahre, die verhindert haben, dass das Kindermusiktheater zu einem Selbstläufer werden konnte. Hier spielen der immense Aufwand einer zusätzlichen Produktion auf der großen Bühne und der mittelmäßige Publikumszuspruch hinein. Alle genannten Gründe machen den Rückzug zwar nachvollziehbar, offenbaren aber gleichzeitig auch, dass ein Festhalten an der starken Kinderopernposition – eine Behauptung gegen interne Widerstände, ein Vertrauen auf die Langzeitwirkung des Kindermusiktheaters, eine Inkaufnahme schwächerer Publikumszahlen zugunsten des künstlerischen Experiments, ein kreativer Umgang mit den Herausforderungen der Saalstrukturen – durchaus eine Handlungsalternative dargestellt hätte. Das Kindermusiktheater kann sich offenbar im integrierten System mit einem großen Rückhalt in der Leitung und mit entsprechenden Ressourcen zu einer starken Kunstform entwickeln, ist aber durch die Rahmenbedingungen des Stadt- und Staatstheaters auch stark gefährdet. Die Schwierigkeit, ein Kindermusiktheater im integrierten System zu etablieren, zeigt, wie wenig Spielraum in den planerischen Abläufen und den Ressourcen besteht, wie hoch der Druck bei »Zuschauerschwund« empfunden wird, wie komplex sich die Mitarbeiter-

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IV.  Kindermusiktheater im integrierten System am Staatstheater Karlsruhe

motivation darstellt, aber auch, wie viel Ausdauer es braucht, alle Widrigkeiten auszuhalten und ein Kindermusiktheater auch um den Preis finanzieller und möglicher qualitativer Einbußen im Abendspielplan durchzusetzen. Einer der Gründe für die Labilität des Kindermusiktheaters in Karlsruhe ist neben den genannten Schwierigkeiten auch die fehlende strukturelle Festigkeit. Ein allein zuständiger Leiter, eine allein für Musik und Musiktheater zuständige Pädagogin, eine eigenständige Bühne und eigene Sänger wären ein zumindest äußerlicher Zusammenhalt, der dem Verschwinden des Kindermusiktheaters natürliche Widerstände entgegengesetzt hätte.

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V. Rahmenbedingungen in der Freien Szene und in der sozialen Einrichtung Ging es in den letzten drei Kapiteln um das Kindermusiktheater im Stadt- und Staatstheater, soll sich nun der Blick auf Kindermusiktheater in der Freien Szene und in der sozialen Einrichtung richten. Dieses einleitende Kapitel wird das Feld abstecken, in dem Kindermusiktheater jenseits des Stadttheaters produziert wird. Dabei wird sich zeigen, dass bei beiden portraitierten Institutionen Theater Pfütze/Theater Fürth sowie Berliner Caritas/Lindenoper die Verbindung zu einem großen Gastspielhaus bzw. Staatstheater einen entscheidenden Einfluss hat. Es geht also in diesem Kapitel auch um Vernetzung. Zunächst soll die Funktion des Kindermusiktheaters in der Freien Szene befragt und ein Einblick in gängige Betriebs- und künstlerische Ausdrucksformen gegeben werden. Danach fokussiert der Text das Freie Kindertheater als historisch gewachsene Sonderform und problematisiert den Begriff des Freien Theaters: »Ist das Theater Pfütze wirklich ›frei‹?« Anschließend wird das Kinderopernhaus Lichtenberg im Kontext der Soziokultur betrachtet. Die abschließende Frage ist, was beide Institutionen als Betrachtungsgegenstände des Kindermusiktheaters auszeichnet und verbindet.

1. Kindermusiktheater in der Freien Szene

Das Freie Theater gehört zu den wichtigen Säulen des Angebots Darstellender Kunst für junges Publikum. Thomas Renz befragte im Auftrag der Assitej im Jahr 2017 rund 240 Institutionen in Deutschland und fand heraus, dass über die Hälfte aller Produktionen im Bereich Tanz und Theater für Kinder in der Freien Szene stattfindet (Renz 2017). Jedes fünfte Freie Theater hat sich sogar auf Kindertheater spezialisiert. Im Freien Theater werden jährlich mehr als anderthalb Millionen junge Zuschauer erreicht. Dies entspricht etwa vierzig Prozent aller Theaterbesuche im Kinder- und Jugendtheater in Deutschland.137 Gerade das Freie Theater schafft durch seinen regionalen Bezug und durch seine hohe Mobilität eine breite Ansprache seines Zielpublikums. Wie viel Musiktheater bietet das Freie Theater an? Die Studie zeigt, dass Musiktheater grundsätzlich eine Angelegenheit größerer stehender Bühnen ist – unabhängig davon, ob es sich um ein Freies

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V.  Rahmenbedingungen in der Freien Szene und in der sozialen Einrichtung

Theater oder um eine Institution in öffentlicher Trägerschaft handelt.138 Die Hälfte der befragten Bühnen mit einem Jahresumsatz von über 500 000 Euro im Jahr – zu denen auch das Theater Pfütze zählt – spielt regelmäßig Kindermusiktheater (Renz 2017, 21). Damit wird deutlich, dass weniger die künstlerische Ausrichtung als grundsätzlich die Ressourcen für die Integration von Kindermusiktheater maßgeblich sind. Denn in kleineren Theatern »fallen die recht wenigen Aktivitäten im Musiktheater auf« (Renz 2017, 20). Jene Institutionen mit einem Jahresumsatz unter 500 000 Euro »sind in der Regel Freie Theater« (Renz 2017, 7). Trotzdem ist die absolute Prozentzahl des ­Angebots von Kindermusiktheater an kleinen, überwiegend freien Bühnen immer noch beachtlich: Etwa ein Drittel der Befragten gibt an, Musiktheaterproduktionen anzubieten. Wie lassen sich unabhängig von den Umsatzzahlen die Arbeitsformen des Kindermusiktheaters in der Freien Szene klassifizieren? Von außen nach innen, also zunächst von den Strukturen her betrachtet, lassen sich zwei Kategorien bilden: 1) die freie Kindertheaterinstitution, die überwiegend in festen Spielorten Schauspielstücke produziert und sich in Sonderfällen auf Musiktheater einlassen kann; 2) die freie Musiktheaterinstitution, die projektweise Opernproduktionen herausbringt und keine eigene Spielstätte hat. Diese Gruppen koproduzieren häufig. ) Fester Spielort: Unter die erste Kategorie fällt nicht nur das Freie 1 Kindertheater Pfütze, sondern beispielsweise auch das Helios Kindertheater aus Hamm. Es besitzt eine eigene Spielstätte in Bahnhofsnähe und bringt jedes Jahr ein bis zwei Inszenierungen heraus. Darunter sind auch immer wieder Musiktheaterproduktionen. Beim Theater für die Allerkleinsten hat die Regisseurin Barbara Kölling einen »Materialtheater-Ansatz«139 entwickelt, bei dem die Grenzen zwischen Schauspiel, Objekt-, Figuren- und Musiktheater verschwimmen.140 Zu nennen ist auch das Theater Pilkentafel, das seit 1989 eine feste Spielstätte in Flensburg unterhält. Es bietet einen Spielplan für Erwachsene und Kinder an, dabei sind die Grenzen zwischen Sprech- und Musiktheater fließend. Als Klassenzimmerstück ist in der Spielzeit 2014/15 Die Hörer – eine amtliche Intervention im Programm.141 ) Projektweise Produktion: In die Kategorie der projektorientierten 2 Musiktheatergruppen fällt die Wiener Taschenoper. Anders als die stehenden Kindertheater hat sie weder eine eigene Spielstätte noch ein eigenes Ensemble. Die Stadt Wien stellt eine Konzeptförderung bereit,

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1.  Kindermusiktheater in der Freien Szene

die zeitlich begrenzt ist. Ihr Leiter ­Gerhard Dienstbier engagiert Autoren, Künstler und Techniker für jedes Projekt neu (Dienstbier 2016, 1). Die Produktionen von K ­ arl-Heinz Stockhausens Der kleine Harlekin in der Regie von ­Carlus Pedrissa (La Fura dels Baus) wurde 2013 in Kooperation mit dem Opernhaus Graz, dem Moskauer Kinderopernhaus Natalia Saz und der Münchner Staatsoper realisiert. Die Wiener Taschenoper spielt an ihrem Heimatort regelmäßig im Theaterhaus für junges P ­ ublikum, dem Dschungel Wien. Sie hat außerdem mit dem Staatstheater Kassel, der Elbphilharmonie Hamburg, dem Festival Musica Strasbourg und dem Lincoln Center Festival New York kooperiert. Die Lübecker Taschenoper verfolgt ein ähnliches Produktionskonzept, bespielt aber nicht nur die Studiobühne des Lübecker Theaters, sondern auch Schulen und Turnhallen.142 Die Taschenoper hat sich auf adaptierte Repertoirewerke spezialisiert, die mit einem kleinen Sänger- und Instrumentalensemble gespielt werden. Für Odysseus frei nach Claudio Monteverdis Il ritorno d’Ulysse und Musik von Katia Tchemberdji arbeitete die Truppe 2016 mit der Lautten Compagney und einer Puppenspielerin zusammen und erhielt Förderung aus dem Hauptstadt Kulturfonds.143 Auch die Kleine Oper Bad Homburg arbeitet mobil. Sie setzt auf gekürzte, am Klavier begleitete Kinderversionen von Carl Maria von Webers Der Freischütz, Wolfgang Amadeus Mozarts Die Zauberflöte oder Humperdincks Hänsel und Gretel und geht damit auf Tournee. Der Frankfurter Raum bildet das Zentrum, doch hat die Truppe auch das deutschsprachige Ausland bereist. Gastierorte sind Stadthallen und Bürgerhäuser, in denen die Truppe in aufwendigen Dekorationen spielt.144 Die Betrachtung der Betriebsformen macht deutlich, wie stark die inhaltlichen Profile voneinander abweichen. Die Freie Szene zeichnet sich durch eine große ästhetische Vielfalt mit oft unkonventionellen Besetzungen aus. Das Stadttheater mit Orchester und klassisch ausgebildeten Sängern stellt demgegenüber eine vergleichsweise homogene ästhetische Ausrichtung dar. Eine wichtige Gemeinsamkeit des Kindermusiktheaters in der Freien Szene ist beispielsweise die Klassikeradaption, mit denen bereits viel Publikum erreicht wurde. Das Hamburger Theater für Kinder, gegründet 1967 von Uwe Deeken in A ­ ltona, spielt seit 1979 Opernadaptionen für Kinder. In den ersten 25 Jahren gab es 12 000 Vorstellungen mit mehr als 3,5 Millionen ­Zuschauern (Asche 1995).145 Auch das Frankfurter Papageno-Musiktheater mit fester Spielstätte am Palmengarten begann mit Adaptionen von Mozarts Zauberflöte, Humperdincks Hänsel und Gretel sowie Antonín Dvořáks

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V.  Rahmenbedingungen in der Freien Szene und in der sozialen Einrichtung

Rusalka.146 Doch gerade beim Klassikerformat werden auch die Unterschiede im künstlerischen Anspruch deutlich. Ein zeitgenössisches Kindermusiktheater, das live gespielt wird (Impuls und Gegenimpuls von Musik und Szene), bei dem die Musik einen szenischen Eigenwert besitzt (szenischer Gestus von Musik) und die menschliche Stimme zum Instrument wird (Klang als Sinnerzeugung) ist nicht immer Absicht der freien Truppen. Nicht selten wird hier die Musik in einzelnen Songs eingespielt oder dient als atmosphärische Untermalung.147 Mögen Papageno-Musiktheater und Altona-Theater als heutige Privattheater eine Sonderstellung einnehmen und mit dem Freien Theater, insbesondere dem Freien Kindertheater, wenig gemein haben, so zeigen sie doch, wie disparat die ästhetischen Verfahren in der Theaterlandschaft bei den Gruppen sind, die nicht mit einem Orchester zusammenarbeiten können. Das Musiktheater Atze in Berlin beispielsweise arbeitet mit einer festen Band, zu der auch ein Cellist gehört. Das Ensemble spielt anspruchsvolle Zwischenmusiken und begleitet die Songs der Schauspieler. Ihre Theaterform ist komplexer als ein Schauspiel mit Musik, doch liegt sie nah am Sprechtheater. Das Atze Musiktheater erreicht mit 90 000 Besuchern im Jahr über zehnmal so viele Kinder wie beispielsweise die Junge Oper Stuttgart.148 Nimmt man die Besucher als Basis für eine Hochrechnung, wird deutlich, dass bei großzügiger Auslegung des Begriffs von Musiktheater die Freie Szene mehr Publikum erreicht als das Stadttheater.149 Die große Bandbreite musikalischer Mittel in der Freien S ­ zene macht ebenso klar, wie wichtig eine wissenschaftlich fundierte ­Ästhetik des Kindermusiktheaters wäre. Sie müsste die Trennlinien zwischen Schauspiel und Musiktheater herausarbeiten und auf das ästhetische Spezifikum des Kindermusiktheaters eingehen. Mit welchen Begriffen kann man die Trennlinien zwischen Schauspiel, Oper, ­Musiktheater und szenischem Konzert ziehen?

2. Kindermusiktheater in Nürnberg und Berlin-Lichtenberg 2.1 Ist das Theater Pfütze wirklich »frei«?

Innerhalb der Freien Szene nimmt das Freie Kindertheater als gewachsene Kunstform und Institution eine Sonderstellung ein. Es begann seinen Weg in den 1960er- und -70er-Jahren als Gegenbewegungen zu den kommunal und staatlich gebundenen Theatern und als A ­ lternative zum Repertoirebetrieb und seinen hierarchischen

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2.  Kindermusiktheater in Nürnberg und Berlin-Lichtenberg

­ rbeitsformen. Das frühe Kindertheater der 1960er-Jahre vertrat dabei A auch eine emanzipatorische wie antiautoritäre Position. Beispielhaft in ihrer gesellschaftskritischen Haltung und in ihrem Drang zur Ermutigung von Kindern waren die Stücke von Volker Ludwig, der dabei anfangs mit seinem Bruder Rainer Hachfeld zusammenarbeitete. Mit dem klaren Blick auf gesellschaftliche Verhältnisse, mit Spottlust und Humor – »Erkenntnis durch Lachen« – übertrugen sie ihre Fähigkeiten als Mitglieder des Berliner Reichskabaretts auf das Kindertheater (Fangauf 2005, 5). Stücke des Berliner Grips Theaters wie Stokkerlok und ­Millipilli, Mannomann oder Ein Fest bei Papadakis, in denen altersgemäße Fragen und Probleme aufgeworfen und gesellschaftliche Konflikte aus kindlicher Perspektive dargestellt wurden, begründeten die erste Welle eines neuen westdeutschen Kindertheaters, die auch international wahrgenommen wurde. In den 1970er-Jahren wurde das Kindertheater spielerischer, künstlerisch offener und musikalischer, ohne dabei grundsätzlich von der Prämisse zu lassen, gesellschaftliche Verhältnisse durch »Zuspitzung«, »Verfremdung« und »Neukontextualisierung« als kritisierbar und veränderbar darzustellen (Schneider 1984). Das Freie Kindertheater blieb dabei nicht ohne Wirkung auf das Stadttheater. Auch dort wurden die Stücke des Grips Theaters oder der Roten Grütze (Was heißt hier Liebe?) nachgespielt. Der Rückgang der Zuschauerzahlen in den Schauspielabteilungen der 1970er-­Jahre – zwanzig Jahre vor dem Musiktheater – und die Erfolge des Freien Kindertheaters veranlasste den Deutschen Bühnenverein, zu G ­ ründungen von Kindertheaterabteilungen aufzurufen (Jahnke 2002, 10). Die Politik unterstützte den Kurs. In diesem Kontext entstanden die vielen Gründungen u. a. von Kindertheatersparten an baden-württembergischen Stadttheatern und Landesbühnen (vgl. »Möglichkeit eines neuen Modells Baden-Württemberg?«, S. 56). Begünstigt wurde der Trend durch die neue Kulturpolitik der 1960er- und -70er-Jahre. Die Stadt Nürnberg, in der 1986 vier Studenten das Theater Pfütze gründen, förderte freie Gruppen, um Kunst erreichbar zu machen und die Stadtteile jenseits des Zentrums aufzuwerten. Der von 1964 bis 1990 amtierende Schulund Kulturdezernent Hermann Glaser machte die fränkische Metropole zu einer Stadt mit herausragend viel Freier Kunst. Nürnberg gehört heute zu den Städten mit einer der höchsten Dichte Freier Theater. Darunter sind die Theater Mummpitz, R ­ ootslöffel und Salz+Pfeffer, zu deren Kerngeschäft das Theater für Kinder und Jugendliche gehört. In diesem Kosmos versuchten die Pfütze-Gründer ihre Vorstellung von Kindertheater in die Tat umzusetzen. Mit Absicht ließen sie sich da-

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V.  Rahmenbedingungen in der Freien Szene und in der sozialen Einrichtung

bei nicht vom Stadttheater engagieren, um dort eine Kindersparte zu gründen, sondern zogen es vor, selbstbestimmt zunächst in fliegenden Bauten Theater zu machen. Ihr kommender Weg war von Etablierung bestimmt: Die Förderung verstetigte sich, der Personalstamm wuchs, sie erhielten 1997 eine eigene Bühne im Stadtteil Gostenhof und zuletzt sogar das eigene, zentral gelegene Haus in den Sebalder Höfen. Mit zunehmender Größe, stärkerer Verantwortung und wachsenden verpflichtenden Beziehungen in die Stadt und Politik verwandelte sich die freie, mobile, demokratisch geführte Truppe in ein stehendes, regional verankertes Kindertheater, das sich selbst eine Leitung gab und alle administrativen Abläufe professionalisierte. Doch ist das Theater Pfütze damit noch »frei«? Nimmt man die Perspektive des Deutschen Bühnenvereins ein, zählen die Theater, die nicht in der Trägerschaft von Stadt oder Land stehen, zu den Freien Theatern, so auch die Pfütze. Nimmt man die Perspektive einer freien Gruppe ein, die für jedes Projekt Geld beantragen muss, keine eigene Spielstätte und keine durchgängig bezahlten Mitarbeiter hat, mutet das Theater Pfütze eher wie ein kleines Stadttheater an: Es hat einen festen Spielort, feste Mitarbeiter und einen festen Etat. Das Theater ist zwar selbstverwaltet, hängt aber wie ein Stadttheater von den jährlichen Zuwendungen der Stadt ab. Außerdem wacht ein städtisches Gremium über die Geschicke des Theaters. Die Pfütze ist weder in finanzieller Hinsicht frei noch künstlerisch völlig autonom. Der Begriff Freies Theater ist also grundsätzlich problematisch. Nicht nur im Theater für junges Publikum: Für die Entwicklung der Freien Szene in (West-)Deutschland bietet Henning Fülle die Begriffe »Freie Gruppen« (1970–1975), »Theater der Freien Szene« (1976–1986) und »System des Freien Theaters« (1986–2010) an und macht damit soziologische Akzentverschiebungen kenntlich (Fülle 2016). Annemarie Matzke problematisiert den Begriff für die künstlerische Praxis der Gegenwart. Für die stark diversifizierte Szene der freien Darstellenden Künste tauge er nicht mehr: »Das freie Theater gibt es nicht.«150 Matzke nennt aber dennoch zwei wichtige Kriterien, über die man sich als freier Theaterschaffender definieren kann. Dies ist zum einen die Doppelaufgabe ästhetisch-organisatorischer Arbeit, nämlich sowohl künstlerisch »an den Inszenierungen als auch zugleich an der eigenen Institutionalisierung« zu arbeiten. Zum anderen sei das »Projekt – als zeitlich und organisatorisch limitierter Arbeitskontext – die vorherrschende Arbeitsform« der freien Gruppen. Nach diesen Kriterien nimmt das Theater Pfütze eine Sonderstellung im Kosmos der Freien Szene ein, weil es sich als etabliertes, regelmäßig gefördertes Haus mit

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2.  Kindermusiktheater in Nürnberg und Berlin-Lichtenberg

eigener Spielstätte nicht (mehr) in existenzieller Weise um seine Institutionalisierung kümmern muss und auch grundsätzlich nicht projektweise arbeitet.151 Durch das Kindermusiktheater nähert sich die Pfütze jedoch wieder an Matzkes Kriterien der Freien Szene an. Zum einen ist die Etablierung der jungenMET eine aufreibende Arbeit an der Institutionalisierung. Zum anderen hat jedes Projekt der jungenMET projekthafte Züge, weil es aus dem Raster der normalen Schauspielproduktionen fällt. Wie das Theater Pfütze mit der projekthaften Ausnahmesituation ihrer Kindermusiktheaterstücke umgeht und wie es versucht langfristig an der Institutionalisierung der jungenMET zu arbeiten – davon wird später die Rede sein.

2.2 Wo steht das Kinderopernhaus: Soziale Einrichtung oder ­Soziokultur?

Soziokultur und Freie Theater haben in ihren Gründungsimpulsen Ähnlichkeiten. Beide verbindet die Distanz zur Hochkultur und der Wunsch nach Selbstverwaltung. Freie Theater und Soziokultur werden durch die neue Kulturpolitik begünstigt, die kulturelle Angebote erreichbar machen will. In beiden Bereichen stehen Kinder im Fokus, auch wenn sich die Soziokultur ebenso stark um Senioren oder um Menschen mit Behinderungen kümmert.152 Entscheidende Gemeinsamkeit ist die Kulturelle Bildung, die im Kindertheater mit einem größeren künstlerischen, in der Soziokultur mit einem stärker sozial-integrativen Akzent versehen ist und im Kindertheater eher städtisch, in der Soziokultur aber auch stark im ländlichen Raum betrieben wird.153 Die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags empfiehlt, »soziokulturelle Zentren als eigenständigen Förderbereich in der Kulturpolitik zu identifizieren, zu institutionalisieren und weiterzuentwickeln«. Sie macht damit auf eine kulturelle Position aufmerksam, die durch Ehrenamt, Stadtteilprojekte und die Pflege von Regionalkultur stark an die Lebenswelt der Menschen gebunden ist (Deutscher Bundestag 2008, 137). Kindermusiktheater ist in der Soziokultur keine Seltenheit, hat aber keine regelmäßigen Strukturen. Singen, Theaterspielen und Musizieren gehören zu den wichtigen angrenzenden Gebieten, sodass vor allem das partizipative Musiktheater ein Element des soziokulturellen Raums ist. Die Zuschauerschaft besteht oft aus dem näheren Umfeld der Mitwirkenden und Veranstalter. Im Brandenburgischen Klein L ­ eppin beispielsweise organisiert der Festland e. V. (Verein zur

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V.  Rahmenbedingungen in der Freien Szene und in der sozialen Einrichtung

Förderung des kulturellen Lebens) alljährlich eine Oper, die durch die gesamte Dorfgemeinschaft aufgeführt wird und in besonderem Maße auch Kinder einbezieht.154 Im bayerischen Scheidegg entsteht seit einigen Jahren regelmäßig eine Oper, die neben örtlichen Protagonisten auch professionelle Sänger und Instrumentalisten beschäftigt. Für 2018 ist dort mit Henzes Pollicino wieder eine partizipative Kinderoper angesetzt.155 Oft sind Kulturzentren aber auch Gastgeber für Kindermusiktheater von Landesbühnen156 oder freien Gruppen.157 Gemeinsam sind den Projekten ihr sozialer und integrativer Impuls und die Selbstverwaltung. Lässt sich das Kinderopernhaus aber wirklich als soziokulturelle Institution verstehen? Inhaltlich gibt es Gemeinsamkeiten: Das Kinderopernhaus bietet Kulturelle Bildung an, fördert soziale Integration, unterstützt den regionalen Lebensraum und arbeitet mit Ehrenamtlichen. Organisatorisch sind die Unterschiede aber groß: So ist das Kinderopernhaus nicht selbstverwaltet, sondern ein Teil des Berliner ­Caritas-Verbands mit seiner starken pädagogisch-sozialen, finanziellen und personellen Infrastruktur. Auch wenn die Leiterin des Kinderopernhauses praktisch alleine mit ihrer Initiative begonnen hat, konnte sie dabei beispielsweise auf das Jugendhaus im Kiez als zentralen Ort der Kinderoper zugreifen. Die Kinderoper Lichtenberg ist kein soziokulturelles Zentrum mit vielfältigem Kulturangebot für jedermann, sondern eine Institution Kultureller Bildung ausschließlich für Kinder aus Lichtenberg. Nicht zuletzt ist das Kinderopernhaus Kooperationspartner einer höchst repräsentativen Kulturinstitution, der Berliner Staatsoper Unter den Linden, die mit den Merkmalen und Motiven soziokultureller Zentren auf den ersten Blick nichts zu tun hat. Vom Kinderopernhaus als soziokultureller Einrichtung zu sprechen, wäre damit irreführend. Die soziopädagogische Idee des Kinderopernhauses als Vermittlung von Kultureller Bildung läuft vielmehr auf einen ganz anderen Aspekt hinaus. Er hängt mit dem Begriff des Soziums zusammen, der nach der Definition von Hermann Glaser eben nicht »sozial« oder gar mit soziokulturellem Zentrum gleichzusetzen wäre. Glaser schreibt: ultur ist keine Weihestunde, keine Walhalla, der sich der Geist K devot zu nähern hätte; Kultur ist etwas, das man wie soziale oder politische Probleme »ungeniert« anpacken kann und soll. Erst wenn diese »unbekümmerte« (und spielerische) Haltung den kulturellen Gegenständen gegenüber erreicht ist – eingeübt vom Kindergarten an –, kann die emanzipatorische Vision, dass die

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2.  Kindermusiktheater in Nürnberg und Berlin-Lichtenberg

Beschäftigung mit den kulturellen Werten nicht mehr an bestimmte gesellschaftliche Schichten geknüpft sein darf, verwirklicht werden. Kultur ist Soziokultur oder nicht (Glaser 2008, 52). Es geht Glaser nicht darum, dass es nur noch »soziale«, einfache, besonders niederschwellige oder bloß der Geselligkeit dienende Kunst geben soll. Es sind im Gegenteil alle Kunstformen gemeint, die sozusagen des Soziums bedürfen, darunter besonders komplexe klassische Musik, Theater und Oper. Gerade die sogenannte Hochkultur dürfe sich im Sinne eines politischen Begriffs von Kultur nicht isolieren. »Sozio-Kultur« ist ein Gegenbegriff zu den Schönen Künsten und einem Verständnis von Kultur, das sich aus den gesellschaftlichen Bezügen heraushält. Er richtet sich auch gegen eine Rezeptionshaltung, die von Kunst lediglich Erbauung und Zerstreuung erwartet. Insofern ist der Begriff nicht bloß ein Etikett für eine Institution in einem sozialen Milieu, sondern vielmehr eine allgemeine Haltung, Kunst zu machen und Vermittlung anzubieten. Sie zeigt sich sowohl in einem regionalen Freilichtprojekt mit Laien wie auch in einer Opernaufführung eines großstädtischen Theaters. Es zeigt sich in einem sozialen Kulturverständnis einer kirchlichen Wohlfahrtsinstitution wie im Partizipationsangebot eines Staatsopernhauses. Wenn es also im Kapitel zum Kinderopernhaus Lichtenberg um die Verbindung von soziopädagogischer Infrastruktur und Opernausbildung geht, wird das Sozium im Glaserschen Sinne die Perspektive bestimmen. Wie lässt sich die Oper »ungeniert anpacken«? Wo liegen innerhalb der Idee von kultureller Teilhabe aber auch Widersprüche und unerfüllte Wünsche?

2.3 Ähnlicher Anspruch, verschiedene Mittel

Kinderopernhaus und jungeMET verstehen sich beide als Institutionen ästhetischer Bildung mit hohem künstlerischen Anspruch. Beide steuern ihre Ressourcen so, dass auch wenn die Produktionsphase spielerisch, offen und prozessorientiert verläuft, das Ergebnis einen professionellen Bühnencharakter behält. Als Kooperationspartner verbinden sie jeweils zwei Betriebsformen miteinander, die nirgendwo sonst in dieser Form kombiniert werden. Beide Institutionen haben mit ersten Produktionen begonnen und es geschafft, ihre Arbeit zu verstetigen. Ihre Nachhaltigkeit hebt sie aus der Masse derjenigen Institutionen heraus, die nur ab und zu ein Kindermusiktheaterstück produzieren können. Vor dem Hintergrund, dass Nachhaltigkeit – definiert

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V.  Rahmenbedingungen in der Freien Szene und in der sozialen Einrichtung

als verlässliches, regelmäßig wiederkehrendes Angebot über mehr als drei Jahre hinweg – in der gesamten Theaterlandschaft eine Seltenheit ist, wird die Frage sein, wie es den Institutionen gelingt, Kindermusiktheater im Spielplan zu verankern. Als Kooperationspartner mit dem Stadttheater Fürth (Pfütze) bzw. mit der Staatsoper Unter den Linden (Kinderopernhaus) stehen beide Institutionen für das Verschwimmen von institutionellen Grenzen. Thomas Oberender beschreibt die neue Durchlässigkeit der deutschen Theaterszene mit »Interweaving«. Das Phänomen zeigt sich darin, »dass sich […] im letzten Jahrzehnt ein (System-)Wandel von einem hermetischen, starren Theatersystem hin zu einem konnektiven, fluiden System vollzogen hat, der von der Freien Szene und Festivals vorangetrieben auch die Stadttheater ergriffen hat« (Oberender 2018, 31). Kindermusiktheater spielt in diesem Prozess eine wichtige Rolle. Die Kombination einer sozialen Einrichtung mit einer Hochkulturinstitution im Fall von Kinderopernhaus und Staatsoper wäre noch in den 1980er-Jahren als ungewöhnlich eingestuft worden. Die Zusammenarbeit zeigt, wie sich traditionelle Zuschreibungen verschieben: Eine soziokulturelle Institution ist am Knowhow einer Hochkulturinstitution interessiert, die ihrerseits nach Erreichbarkeit und Integration strebt. Die Zusammenarbeit zeigt, wie sehr sich die Oper institutionell öffnet. Sie verdeutlicht aber auch das Bedürfnis der soziopädagogischen Einrichtung nach den festen Formen der Oper, ihrer Professionalität und ihrer Ausstrahlung auf das Publikum. Alte Klischees – Soziopädagogik lässt Kinder sich künstlerisch »frei« entfalten, Hochkultur arbeitet für ein »exklusives« erwachsenes Publikum – ­lösen sich auf. Zugleich sind den Wandlungsmöglichkeiten Grenzen gesetzt. Was bedeutet es, Felder zu bearbeiten, für die man ursprünglich nicht die Werkzeuge besitzt? Die Frage in den kommenden Kapiteln wird lauten, wie es die Kooperationspartner schaffen, neue Arbeitsformen und ästhetische Mittel zu finden, um ein Musiktheater für Kinder umzusetzen, das man alleine nicht realisieren könnte.

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VI. Kindermusiktheater im freien Kindertheater: Die jungeMET Am 3. März 2012 eröffnen die kooperierenden Theater Pfütze in Nürnberg und das Stadttheater Fürth die jungeMET, das »Zeitgenössische Musiktheater für junge Menschen in der Metropolregion«. Initiatoren der Kooperation sind der Musikalische Leiter der Pfütze Martin Zels sowie der Intendant des Fürther Theaters Werner Müller. Das Eröffnungsstück Der starke Wanja kommt auf der großen Bühne des ­Theaters Fürth heraus. Zuvor hatte das Theater Pfütze bereits ein ­Repertoire von drei Kindermusiktheaterstücken erarbeitet: Das Kind der Seehundfrau als Eigenproduktion (2010), Ente, Tod und Tulpe (2011) mit dem ensemble KONTRASTE sowie Der beste Koch der Welt (2011) mit den Nürnberger Symphonikern. Mit der Eröffnung der jungenMET verpflichten sich die Partner, jedes zweite Jahr eine Kindermusiktheaterproduktion herauszubringen, die im jeweiligen Jahr dann eine der zwei Schauspielinszenierungen der Pfütze ersetzt (Zels 2015/1, 2). 2014 hat Die große Wörterfabrik und 2016 Blues to Go Premiere. Das Theater Pfütze hat als Kindertheater mit der Dramatisierung bekannter Kinderbücher begonnen. In Antoine de Saint-Exupérys Der kleine Prinz, Michael Endes Der satanarchäolügenialkohöllische Wunschpunsch oder Paul Maars Lippels Traum wurde traditionell viel Musik eingesetzt.158 Trotzdem blieben die Produktionen eindeutig Sprechtheaterstücke. Die jungeMET ist in ein Haus eingebunden, das personell auf Schauspielstücke eingestellt ist und in diesem Bereich sein Stammpublikum aufgebaut hat (Zels 2015, 2). In diesem Kapitel wird es darum gehen, wie sich das Kindermusiktheater in einen Betrieb integrieren lässt, das sich auf Sprechtheater spezialisiert hat und in dem sich Ressourcen und Organisationsstruktur nochmals stark von den zuvor portraitierten Abteilungen unterscheiden. Außerdem geht es um die Betrachtung der Kooperation mit dem Theater Fürth, ihren Vorzügen für das Kindermusiktheater, aber auch ihren strukturellen Schwierigkeiten. Es soll dabei auch die Frage erörtert werden, welche kulturpolitische Form die Kooperation annehmen könnte, um nachhaltiger produzieren zu können. In der abschließenden Produktionsanalyse der Inszenierung von Das Kind der Seehundfrau werden die speziellen Arbeitsformen des Freien Kindertheaters nochmals aufgerufen. Es gilt die These zu belegen, dass Musiktheater im Kindertheater neue Wege einschlägt und sich damit zu einem entscheidenden Akteur in der deutschen Theaterlandschaft macht.

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VI.  Kindermusiktheater im freien Kindertheater: Die jungeMET

1. Personal: Interdisziplinarität als Chance 1.1 Kommunikation und flache Hierarchien

Das Theater Pfütze hat 17 feste Mitarbeiter, die in allen Abteilungen tätig sind: Leitung, Schauspiel, Musik, Technik und Verwaltung.159 Das Verhältnis ist »etwa ein Drittel Kunst, zwei Drittel Verwaltung und Technik« (Zels 2015/1, 2). Als regelmäßig für das Haus arbeitende Kräfte bindet die Pfütze weitere Schauspieler sowie in freiberuflicher Anstellung einen Grafiker, einen IT-Administrator und einen Kursleiter für Theaterworkshops ans Haus.160 Innerhalb der festangestellten Pfütze-Mitarbeiter kommt es zu interdisziplinären Mehrfachanforderungen. »[V]iele Leute [machen] ganz verschiedene Jobs gleichzeitig« (Zels 2015/1, 1). Sind in den Abteilungen für Kindermusiktheater am Stadt- und Staatstheater viele Kollegen für künstlerisch-pädagogische Aufgaben zuständig, überschneiden sich in der Pfütze Management, Verwaltung, künstlerische Praxis und Technik: Martin Zels ist Musikalischer Leiter, Schauspieler und Bühnenmusiker. Andreas Wagner arbeitet als Technischer Leiter, entwirft die Bühnenbilder für sämtliche Produktionen und ist einmal in der Spielzeit auch als Schauspieler involviert. Beatrix Cameron entwirft die Kostüme für alle Produktionen, versieht gelegentlich die Produktionsleitung und ist in zwei Stücken auch als Schauspielerin besetzt. Die Theaterpädagogin Eva Ockelmann tritt als Schauspielerin in vier Produktionen auf. Christine Janner gehört zu den Stammschauspielerinnen und organisiert das Lohnbüro (Zels 2015/3, 1). Divergierende Aufgabenbereiche in einer Person können zu Interessenskonflikten führen. Entscheidet Martin Zels als Musikalischer Leiter, dass sein Team noch eine Probe braucht oder lässt er den Theaterleiter in sich sprechen, der das Ensemble beisammen halten und schonen will? Wie findet Christine Janner in den künstlerischen Prozess, wenn sie kurz zuvor noch mit den Hürden der Finanzbuchhaltung kämpfen musste? »Manchmal sehr widerstreitend«, nennt sie ihre gegensätzlichen Aufgabenbereiche.161 Wie priorisiert Eva Ockelmann ihre Arbeit: Ist es wichtiger zu proben oder eine Schulklasse zu besuchen? Auf der anderen Seite hat das Theater Pfütze durch seine interdisziplinäre Aufgabenverteilung einen hohen Grad interner Kommunikation. Alle Mitarbeiter kommen über übergeordnete Gremien und über die Leitung miteinander in Kontakt. Der Musiker Martin Zels muss sich mit dem Schauspieler Jürgen Decke und dem Bühnenbildner Andreas Wagner besprechen, wenn ein neues Musiktheaterstück

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1.  Personal: Interdisziplinarität als Chance

über die Bühne gehen soll. Andreas Wagner muss den Preis für seine Bühnenbilder mit der Leitung, aber auch mit den Kollegen der Verwaltung abstimmen. Außerdem arbeiten Martin Zels, Jürgen Decke und Beatrix Cameron in denjenigen Produktionen als Dramaturgen mit, in denen sie nicht als Darsteller oder im künstlerischen Team involviert sind. Auch hier nehmen sie eine andere Perspektive ein und üben einen neuen Beruf aus. So ist jede Produktion durch etliche Verbindungen mit dem Haus verknüpft. Jürgen Decke und Christine Janner sind Gründungsmitglieder der Pfütze und seit 1986 im Team. Andere Mitglieder, wie Martin Zels, sind seit über zehn Jahren engagiert. Alle Arbeitsbeziehungen zu den Kollegen sind lange gewachsen. Da viele der Pfütze-Mitarbeiter nicht nur auf der Bühne, sondern auch als Techniker hinter den Kulissen oder als Service-Personal im Foyer tätig sind, gibt es nicht nur während der Proben und in der ­Organisationsund Verwaltungsarbeit, sondern auch rund um die Vorstellungen ­Austausch. Theaterübliche Hierarchien können sich nur schwer verfestigen. Andreas Wagner begegnet seinen Kollegen von der Veranstaltungstechnik als Künstler (Bühnenbild), als Vorgesetzter (Technische ­Leitung) und als Partner auf der Bühne, der als ausübender Darsteller noch einmal ganz anders auf die technische Einrichtung und das Licht angewiesen ist. Beatrix Cameron begegnet ihren Kollegen nicht nur als Kostümbildnerin, die Entwürfe von ihr tragen sollen, sondern auch als Schauspielkollegin, die genauso mit der Ausfertigung einer Bekleidung umgehen muss wie alle anderen auch. Da die beiden Männer der Theaterleitung, Martin Zels und Jürgen Decke, zugleich als Schauspieler, Musiker und Dramaturgen mitarbeiten und sich damit in einen immer wechselnden Produktionszusammenhang begeben, kann sich ein Gefälle zwischen Leitung und ausführenden Künstlern kaum herstellen. Genauso verhält es sich mit den anderen Mitarbeitern, die durch Doppelfunktionen in wechselnden Beziehungen und Befugnissen zueinander stehen. Nicht zuletzt spielt hier auch der historische Hintergrund eines selbstverwalteten Theaters hinein. »Wir sind ein Freies Theater mit allen Strukturen und Produktionsbedingungen eines Freien T ­ heaters …« (Zels 2015/1, 1). Ursprünglich war jedes Mitglied der Pfütze automatisch Leitungsmitglied. »Wir haben immer alles zusammen entschieden.« Erst bei einem wachsenden Personalstamm und dem Bedürfnis, »nicht mehr in allen Sitzungen zugleich [zu] sitzen«, w ­ urden zwei Künstlerische Leiter und ein Geschäftsführer installiert (Zels 2015/1, 2). Der Geist der Mitbestimmung und Gleichberechtigung ist

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VI.  Kindermusiktheater im freien Kindertheater: Die jungeMET

mit dem Selbstverständnis der Pfütze eng verbunden. Die Doppelfunktionen sind auch für die Außenkontakte wichtig. Zels kann bei Gesprächen mit Sponsoren nicht nur aus der strategischen Sicht des Theaterleiters, sondern auch aus der künstlerischen Perspektive des Musikers argumentieren. Die Theaterpädagogin Eva Ockelmann ist in der Lage, Schülern und Lehrern von ihrer Erfahrungen als Schauspielerin zu berichten – ihre Vermittlungsarbeit gewinnt an Authentizität.

1.2 Künstlerische Offenheit

Als sich die Pfütze 1986 gründete, waren ihre vier Mitglieder noch Studenten.162 Die Professionalisierung im Sinne einer Spezialausbildung war keine notwendige Voraussetzung, sich im neuen Kindertheater zu engagieren. Auch später haben sich Mitarbeiter ihre Berufe über die Praxis erobert: Mehrere Mitglieder, die regelmäßig als Schauspieler auftreten – darunter auch Martin Zels oder Andreas Wagner –, haben keine Schauspielausbildung an einer Hochschule genossen. Der Wille, sich Unbekanntes zu erarbeiten, betrifft nicht nur die künstlerischen, sondern auch die Aufgabenfelder des Managements und der Verwaltung.163 Wie kommen die Mitglieder des Theaters zum Musiktheater? Auf fünf fest engagierte Mitarbeiter, die als Schauspieler arbeiten, kommt mit Martin Zels ein Musikalischer Leiter bzw. professionell ausgebildeter Musiker. Niemand sonst hat ein Instrument studiert oder sich zum Sänger im Pop- oder Klassikbereich ausbilden lassen. Trotzdem nennt sich die Pfütze ein »Zwei-Sparten-Theater«, das eine »Musiktheatersparte« führt. Welche Art Musiktheater entsteht mit einem interdisziplinär aufgestellten Personalstamm? Die Pfütze engagiert für Ente, Tod und Tulpe die Instrumentalisten des ensemble ­KONTRASTE, für Der beste Koch der Welt die Nürnberger Symphoniker, für Der starke Wanja wiederum das ensemble KONTRASTE sowie einzelne Opernsänger und für Die große Wörterfabrik eine Cellistin sowie einen Countertenor. Bei den Stücken, in denen es keine spezialisierten Gäste gibt – Das Kind der Seehundfrau, Blues to Go –, muss das Theater ausschließlich auf eigene Mitarbeiter zurückgreifen. Der musikalische Aneignungsprozess bei allen jungeMET-Produktionen ist aufwendig. Allerdings stellt die mangelnde Spezialausbildung auch eine Verpflichtung dar und zwingt die Akteure zu einem offenen, lernbereiten Umgang mit Musik auf der Szene. Die Haltung gegenüber dem Unbekannten kann man durchaus mit der Entwicklung der Gründer-Studenten zu professionellen Kindertheaterschau-

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2.  Ressourcen und Organisation: Das Ringen um Nachhaltigkeit

spielern und Theatermanagern vergleichen. Unter struktureller Perspektive und auch aus künstlerischer Sicht erweisen sich die Produktionen aus »Bordmitteln« als besonders interessant, weil hier die Arbeitsweise der Pfütze und ihre über Jahre gepflegte künstlerischen Aneignungsprozesse sozusagen in Reinform zu beobachten sind. Dass die Darsteller nicht als Musikersolisten oder Sänger auftreten, sondern in einem theatralen Kontext musikalisch agieren, macht sie zu musikalischen Performern, die jede übliche Zuordnung als Musiker, Schauspieler oder Sänger verlieren.

2. Ressourcen und Organisation: Das Ringen um Nachhaltigkeit 2.1 Finanzen: Musiktheater als Kostenfaktor

Das Theater Pfütze hat jährliche Ausgaben von 850 000 bis 950 000 Euro. Etwa zehn Prozent davon entfallen auf die künstlerische Produktion. Etwa 75 Prozent verwendet die Pfütze für Personalkosten und die Miete ihrer Räumlichkeiten. Durch öffentliche Zuschüsse werden etwa vierzig Prozent der Ausgaben finanziert. Die verbleibenden sechzig Prozent erwirtschaftet das Theater durch Einnahmen an der Kasse, Gastspiele, Sponsoring, Spenden und durch die produktionsbezogenen Zuschüsse ihrer künstlerischen Partner.164 Die Pfütze ist nicht nur Partner des Stadttheaters Fürth, sondern auch des Staatstheaters Nürnberg, für das es Kindertheaterproduktionen herausbringt. Die jungeMET ist keine gänzlich neue Zusammenarbeit, sondern die Fortsetzung einer Kooperation zwischen Nürnberg und Fürth, die bereits 1995 begann. Seit dieser Zeit sorgt das Theater P ­ fütze ­regelmäßig für Schauspielkinderstücke in der Nachbarstadt (Müller 2015, 1). Die jungeMET muss mit dem ursprünglich für Schauspielproduktionen gedachten Etat auskommen. Für den Wechsel von ­Schauspiel- zu Musiktheaterproduktionen gibt es nicht mehr Mittel. Im Durchschnitt sind die Inszenierungen der jungenMET aber fünfzig Prozent teurer als eine Schauspielproduktion.165 Ins Gewicht fallen nicht nur die G ­ agen für Komposition, Libretto, Bühne und Kostüme (wenn sie nicht von Festangestellten übernommen werden), sondern vor allem die G ­ agen externer Musiker: »Wir haben ein dauerndes ­finanzielles Problem, seit zehn Jahren gab es keine Zuschusserhöhungen, trotz Inflation und steigenden Lebenshaltungskosten. Es gab auch keine Zuschusserhöhungen durch die Gründung der ­jungenMET« (Zels 2015/1, 4). Die teuerste Produktion der jungenMET

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VI.  Kindermusiktheater im freien Kindertheater: Die jungeMET

war mit rund 160 000 Euro Der starke Wanja. Sie kostete ein Vielfaches einer Schauspielproduktion. Die Pfütze finanziert ihren derzeitigen Betrieb mit Rücklagen, die sich nach der vierten jungeMET-Produktion erschöpfen. Blues to Go hätte aus finanziellen Gründen »eigentlich ausfallen« müssen (Zels 2015/1, 3). Sie kommt trotzdem zustande, weil es die Pfütze mit »Bordmitteln« (Zels 2015/1, 3) realisiert: Das Inszenierungsteam stammt aus dem Pfütze-Ensemble; Martin Zels als Musikalischer Leiter und Komponist ist zugleich Darsteller und Musiker; Florian Kenner, der hauptberuflich als Veranstaltungstechniker in der Pfütze arbeitet, spielt Schlagzeug und ist zugleich Schauspieler. Die Produktionen der jungenMET bringen nicht mehr Einnahmen. Weil die großen Produktionen der jungenMET im Spielbetrieb so teuer sind, werden sie seltener angesetzt als Schauspielproduktionen und halten sich nicht im Spielplan. Da es bei den Eintrittspreisen keinen Musiktheateraufpreis gibt, spielt die jungeMET auch pro ­Vorstellung nicht mehr Geld ein. Das Theater Pfütze versucht der Unterfinanzierung mit der Einwerbung von Sponsorenmitteln zu begegnen. In Nürnberg ist es die Emanuel Wöhrl Stiftung, die als Anschubfinanzierung einmalig 75 000 Euro gibt. Außerdem fördert sie die Erreichbarkeit von Kunst. Der sogenannte Emanuel-Taler ermöglicht Kindern aus sozial schwachen Familien und ihren Eltern den Musiktheaterbesuch.166

2.2 Stellung im Haus: Starke Integration des Kindermusiktheaters

Als Kinder- und Jugendtheater gibt es in der Pfütze keine Konkurrenz zwischen Jugendabteilung und Abendspielplan. Es wird chronologisch hintereinander und nicht an mehreren Stücken zugleich geprobt. Noch ein weiteres Moment begünstigt die Arbeit: Die Pfütze produziert Kindermusiktheater nicht als Zusatz, sondern als reguläre Produktion. Eine Inszenierung der jungenMET findet alle zwei Jahre statt. Weil die Produktion turnusmäßig festgelegt ist, sind alle Mitarbeiter darauf eingestellt. Was am großen Mehrspartenhaus möglich ist – die Erhöhung der Premierenzahlen bei gleichbleibendem Etat und gleichem Personalstamm –, ist in einer Institution mit kleinem finanziellen und personellen Spielraum kaum umzusetzen. Die auf zwei jährliche Neuproduktionen bemessene Größe des Darstellerensem­ bles schließt eine zusätzliche Inszenierung strukturell aus. Nicht zuletzt stellt wiederum die räumliche Disposition ihre Bedingung: Wenn

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2.  Ressourcen und Organisation: Das Ringen um Nachhaltigkeit

man nur ­einen Probenort besitzt und finanzieren kann – wo sollte eine weitere Produktion einstudiert werden? Dass in jedem Projekt der jungenMET überwiegend festangestellte Mitarbeiter im Produktionsteam versammelt sind oder als Darsteller auf der Bühne stehen, macht die Produktionen zu einem zentralen Gegenstand des Hauses. Dem produktionsmäßigen »Abstellgleis« (Tacchini) wird damit strukturell vorgebeugt. Dass Belastungen in der Pfütze klar zu erkennen und vorherzusagen sind, zeigt umgekehrt noch einmal die Gefahr der strukturellen Überbelastung im Stadttheater. Die unübersichtliche Fülle an Personal, Geld und Räumen, die trügerische rechnerische Spielräume eröffnet, sind in der Pfütze keine Schwierigkeit. Durch die feste Verankerung im Produktionszyklus und die Beteiligung aller Mitarbeiter der Pfütze ist die Musiktheaterproduktion in einem hohen Maß integriert.

2.3 Partnerschaft: Künstlerische Profilierung und regionale ­Verankerung Das Stadttheater Fürth, ein Gastspielhaus als Partner für ­Kinder­musiktheater

Das Stadttheater Fürth ist ein Gastspielhaus, das große Opern-, Tanzund Schauspielproduktionen anderer Theater zeigt. Es bringt zusätzlich kleinere Eigenproduktionen heraus und arbeitet in regelmäßiger Koproduktion mit anderen Theaterinstitutionen zusammen. Das »Drei-Säulen-Modell« aus Gastspielen, Eigenproduktionen und ­Koproduktionen entwickelte der amtierende Intendant Werner Müller (Müller 2015, 1). In die zentrale Sparte der Gastspiele fallen in der Spielzeit 2015/16 sechs »ernste« Schauspiele und sechs Komödien, drei Musical-/Operettenproduktionen, vier Tanzabende, drei Opern, zwölf Klassik- und vier populäre Konzerte, fünf Kabarettveranstaltungen und zwei Lesungen.167 Eigenproduktionen sind vor allem Premieren mit dem in der Spielzeit 2015/16 gegründeten KULT-Ensemble für Kinder- und Jugendtheater, das aus einem künstlerischen Leiter, einer Theaterpädagogin und vier Schauspielern besteht; zu den Eigenproduktionen gehören aber auch lokale partizipative Inszenierungen wie beispielweise im Tanztheater. Koproduktionen wie mit dem Theater Pfütze entstehen mit Institutionen, die sozusagen ständige Gäste sind und auf besondere Weise zum Profil des Hauses beitragen; anders als beim Gastspiel hat hier das Theater Fürth Einfluss auf die künst-

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lerische Produktion. Eine ähnliche Kooperationsvereinbarung wie mit der Pfütze unterhält Fürth zum Freien Nürnberger Kindertheater ­Mummpitz, das mit der Pfütze im jährlichen Wechsel spielt (ebd.).168 Vor diesem Hintergrund zeigt sich nochmals die Bedeutung der Bespielhäuser für das Kindermusiktheater. 79 Prozent der Gastspielhäuser geben an, Musiktheater für Kinder zu zeigen (Renz 2017, 21). Das Stadttheater Fürth macht deutlich, dass es sowohl freien Gruppen Auftrittsmöglichkeiten und Vergütung bietet wie auch zu regional verankerten Eigenproduktionen in der Lage ist. Für das Kindermusiktheater ist es ideal, weil es sowohl Ressourcen und Infrastruktur bereit hält, regional verankert und vernetzt ist und dabei genügend Freiräume lässt, neue Musiktheaterformen auszuprobieren. Vor dem Hintergrund der Wichtigkeit der Bespielhäuser ist es auffällig, wie wenig das Gastspielhaus im allgemeinen Diskurs über die »Antipoden« Stadttheater und Freie Szene wahrgenommen wird.169 Für das Kindermusiktheater nimmt es zwischen institutionalisierter und projektweise organisierter Kunst eine wesentliche Position ein. Das Theater Pfütze wie auch das Stadttheater Fürth profitieren von der jungenMET. Die Pfütze gewinnt mit dem Bespielhaus in der Nachbarstadt einen Partner mit großem (nicht an Gehälter von Orchester und Darstellerensembles gebundenen) künstlerischen Etat und kann neues Publikum erreichen. Das Theater Fürth ist als Haus ohne musikalische Abteilung in der Lage, Musiktheater für Kinder zu zeigen und dabei noch Themen und Formate mitzubestimmen. Nicht zuletzt schärfen sowohl Pfütze wie das Theater in Fürth mit der jungenMET ihr künstlerisches Profil. Regelmäßig produziertes Kindermusiktheater, aus dem Theaterverständnis und den Arbeitsweisen des Freien Theaters heraus, ist sowohl in Nürnberg als auch in Fürth ein Novum. Die Kooperation erhält überregionale Aufmerksamkeit. Zur Eröffnungspremiere von Der starke Wanja in Fürth kommen der Kulturstaatsminister Wolfgang Heubisch (FDP) sowie die Kulturreferenten von Nürnberg und Fürth. »Die Gründung hat schon für Aufsehen gesorgt«. Beide Theater können sich als Ermöglicher neuer Theaterformen hervortun. »Und natürlich schärft es das Profil. Es geht ja immer auch um Fragen. […] Was macht es [das Theater] sexy?« (Müller 2015, 2). Fürth und Nürnberg verständigen sich über Stücke und Leitungs­ teams und versuchen einen »gemeinsamen Geist zu entwickeln« (Müller 2015, 1), der die Bedürfnisse und Interessen beider Spielstätten miteinander in Einklang bringt. Die beiden Kooperationspartner müssen aber auch künstlerische Schwierigkeiten bewältigen. Dies betrifft bei-

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spielsweise den Spielort. Der Bühnenraum der Pfütze ist klein und intim, das Pfütze-Foyer mit Bar, Garderoben, Bücherschrank und Sitzgelegenheiten überschaubar und gemütlich. Der Saal des Theaters Fürth ist dagegen um viele Male größer und hat einen Orchestergraben, der – auch wenn er überbaut wird – für eine größere Distanz zwischen Publikum und Bühne sorgt und die klassische Guckkastenbühnensituation verstärkt. Der gründerzeitlich-herrschaftliche Bau, sein im Stil des Neobarock ausgestatteter Zuschauerraum mit bemalter Decke, Lüster und goldenen Stuckaturen sind für den Abendspielplan ausgelegt. Eine Zuschauersituation, die in der Pfütze buchstäblich auf Augenhöhe stattfindet, ist in Fürth nicht in gleicher Weise möglich. Viele musikalische und gestische Feinheiten gehen bei größerer Distanz verloren. Das Verhältnis von instrumentaler Lautstärke und Raumvolumen funktioniert beim symphonisch besetzten Der beste Koch der Welt am besten im Fürther Theater. Umgekehrt erscheint dieses Stück für die Dimensionen der Pfütze in seiner akustischen Wucht fast überdimensioniert groß. Nun ist die große symphonische Besetzung eines ­jungeMET-Stücks nicht die Regel. Das Kind der Seehundfrau oder Ente, Tod und Tulpe gehören zu den kleinen und zarten Musiktheaterstücken ohne klassisch ausgebildete Opernstimmen und ohne große Instrumentalbesetzung. Diese leiseren Stücke haben auf der großen Bühne in Fürth eine ganz andere Wirkung als im intimen Saal der Sebalder Höfe. Die Pfütze steht vor dem Dilemma, für zwei grundsätzlich verschiedene Bühnen produzieren zu müssen, letztlich aber gezwungen zu sein, die Produktionen eher dem Stammhaus in Nürnberg anzupassen, weil in aller Regel dort die Premieren stattfinden und die meisten Vorstellungen gespielt werden. Die Kooperation zwischen Pfütze und Fürther Stadttheater hat auch mit personeller Kontinuität zu tun. Werner Müller, der Intendant des Stadttheaters in Fürth, ist seit 1990 im Amt, Martin Zels seit 2001 einer der Leiter des Theater Pfütze. Müller hebt hervor, dass die kulturelle Herkunft des Theater Pfütze als Freies Theater »aus der 68er-Bewegung« nicht für das Musiktheater prädestiniert war und dass insbesondere Zels dafür gesorgt hat, »dass die Pfütze nun auch dem Musiktheater zugewandt ist« (ebd.). Das fränkische Kooperationsmodell zeigt, dass es für eine Stabilität im Kindermusiktheater Leiterpersönlichkeiten geben muss, die die neue Kunstform realisieren wollen und bereit sind, einen Preis dafür zu zahlen. Zwischen der Pfütze und dem Stadttheater Fürth gibt es nichts, was die Zusammenarbeit jenseits der mündlichen Verabredung stabilisieren würde. Dies galt schon für die Zusammenarbeit vor der jungenMET: »Es gibt […] keinen Ver-

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trag. Es gibt eine mündliche Verabredung, die seit 1995 hält« (Müller 2015, 3). Das Kindermusiktheater ist also auch in dieser scheinbar stabilen Kooperationsarbeit nicht als ein selbstverständlicher Teil thea­ tralen Angebots für die Region verankert. »Die große Herausforderung bleibt die Nachhaltigkeit. Und da sind wir noch lange nicht am Ziel« (Müller 2015, 4).

Kindermusiktheater verstetigen: Die jungeMET als Modell für die ­Zukunft?

Beide Partner hoffen, mit der jungenMET eine »Initialzündung auch außerhalb unserer Metropolregion [zu] werden« (Pfütze und Theater Fürth 2015, 15). Die Einbindung von Partnern aus der Politik, dem Bühnenverein, der Assitej und der Musiktheaterszene in die Imagebroschüre zur Gründungsveranstaltung zielt auf Akteure und Kommunikatoren, von denen sich die Initiatoren Unterstützung für den Ausbau des Modells erhoffen: »Eine langfristig größere Dichte von Uraufführungen in dieser neuen Sparte wäre nach Erweiterung der personellen und finanziellen Ausstattung der jungenMET denkbar und wünschenswert« heißt es in den gemeinsamen »Sechs Thesen zur Gründung der jungenMET«.170 Politisch haben die Partner nicht nur die Kommune, sondern vor allem das Land im Blick. »Seit etwa zehn Jahren schaut München mehr nach Norden. […] Das Nürnberger Theater wurde ja auch zum Staatstheater geadelt. Kurz: Die Wahrnehmung hat sich verbessert und daran hat jetzt auch die Gründung der jungenMET weiter gearbeitet« (Müller). Bei dieser Strategie klingt auch eine Hoffnung an. Die Pfütze ist eine Institution mit etwa zwanzig Prozent Förderung aus der Kommune. Diese Mittel sind aus haushalterischen Gründen nicht erhöht worden, aber auch aus politischen: Die Stadt kann nicht einem ihrer vielen Freien Theater eine Erhöhung der Förderung gewähren, ohne es bei den anderen Institutionen ebenso zu tun. Dieser Pattsituation könnte die Pfütze entkommen, wenn sie in eine Trägerschaft des Landes wechseln würde.171 Dass Fürth und Pfütze mit vier jungeMET-Produktionen in Vorleistung gegangen sind, soll also auch zeigen, dass die Institutionen in der Lage sind, kontinuierlich an einer neuen Sparte zu arbeiten, die sie aus der Perspektive des Landes attraktiv macht: Kein anderes Freies Kindertheater oder Gastspielhaus in Bayern kann eine regelmäßige Kindermusiktheaterproduktion anbieten und mit ihr gastieren. »Ein solches Modell gibt es in Bayern sonst nicht« (Müller

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2015, 2). Die hohen Investitionen haben damit auch Beispielcharakter. Die Erfahrung hat gezeigt, »dass sich die Landespolitik durchaus für die jungeMET interessiert, unsere Gespräche, die wir auch weiterhin führen, waren und sind positiv« (Müller 2015/1, 3).

2.4 Zuschauer: Die Bedeutung der Spielstätte

Die Schwierigkeiten der Übertragung einer in Nürnberg erarbeiteten Produktion nach Fürth spiegeln sich auch in den Aufführungs- und Besucherzahlen. Grundsätzlich spielt die Pfütze viel häufiger in Nürnberg als in Fürth. Bei den jungeMET-Produktionen ist das Verhältnis etwa 75 zu 25 Prozent.172 Die Asymmetrie hat nicht nur mit logistischen Herausforderungen in beiden Städten zu tun, sondern auch damit, dass ein Abstecher in aller Regel bedeutet, in Nürnberg parallel keine Vorstellung spielen zu können, weil der Großteil der Mitarbeiter bei der gastierenden Produktion mitwirkt. Das Stadttheater Fürth ist mit 250 bis 280 Vorstellungen im Jahr auch dispositionell eingeschränkt. Bühnenprobenzeiten und freie Abende für Vorstellungen müssen mit den ohnehin nicht leicht zu organisierenden Gastspielen anderer Bühnen in Einklang gebracht werden (Müller 2015, 3). Das Theater kann auch deswegen nur weniger Vorstellungen ansetzen, weil sein Saal viel größer ist als der Zuschauerraum in den Sebalder Höfen. Doch obwohl es mehr Plätze gibt, kommt das Stadttheater nicht auf die gleiche Zuschauerzahl wie in Nürnberg. Auf fünf Jahre gerechnet, erreicht ein Stück der jungenMET in der Pfütze durchschnittlich 26 000 Besucher, auf Gastspielen 6000, aber nur 5000 in Fürth.173 Dies mag mit den Schwierigkeiten der Übertragung auf eine größere Bühne und mit der weniger intimen Spielsituation zu tun haben. Hinzu kommt aber auch, dass sich das Einzugsgebiet der Pfütze bis nach Fürth erstreckt und viele Zuschauer die Produktion in Nürnberg schon gesehen haben, bevor sie in Fürth herauskommt. Warum warten Fürther Familien nicht, bis das Stück vor ihrer Haustür zu sehen ist? Kann es sein, dass die Pfütze als Bühne und Veranstaltungsort grundsätzlich eine stärkere Bindung für die Zielgruppe besitzt als ein für den Abendspielplan eingerichtetes Bespielhaus? Es verbindet sich mit der Pfütze offenbar auch über seine Geschichte und seine ästhetische Tradition ein Assoziationsfeld, das eher mit einem Theater für junges Publikum in Verbindung gebracht wird. Zu den spärlichen Besuchen in Fürth könnte auch die eher unregelmäßige Gastiertätigkeit in Blöcken verantwortlich sein. Grundsätzlich spielt

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das Fürther Theater im Stagionebetrieb. Diese Form des Aufführungsrhythmus hat mit dem Gastspielbetrieb zu tun. Die Mitwirkenden der Produktionen reisen nur einmal an und spielen ihre Vorstellungen kurz hintereinander (Müller 2015, 4). Auch die Pfütze muss sich an diesen Rhythmus halten. »Der Spielplan in jetziger Planung würde einen regelmäßigen Repertoireauftritt der Pfütze nicht erlauben« (Müller 2015, 4). Sie spielt daher nicht regelmäßig wie z. B. einmal im Monat in Fürth. Dieser Rhythmus mag für die Schulen, die von langer Hand planen, gut praktizierbar zu sein. Für ein repertoiregewöhntes Stammpublikum kann hier aber auch ein Bindungsproblem liegen. Gemeint ist ein Eingebettetsein in zielgruppenspezifische Bühnenverhältnisse an einem Ort, zu dem man einen Bezug aufbauen kann. Dazu braucht es persönliche Kontakte über die Mitwirkenden des Theaters, die ebenso wie die Besucher in der Stadt wohnen. Wie in Karlsruhe ist auch in Nürnberg die Spielstätte auf zweierlei Weise entscheidend: als künstlerischer und sozialer Ort. Dass der Intendant des Fürther Stadttheaters nach den langen Jahren der Kooperation mit zwei Freien Nürnberger Kindertheaterbühnen nun sein eigenes Kinder- und Jugendtheaterensemble KULT gründet, mag sicherlich mit genau diesem Umstand zu tun haben: dass ein Theater, welches einen engen Kontakt zur sozialen Wirklichkeit seines jungen Publikums sucht, gut beraten ist, einen lokalen, über Menschen und Austausch vermittelten Bezug zu dieser herzustellen und regelmäßig Veranstaltungen anbietet. Mit dem Gastieren in einer »fremden« Stadt widerspricht die Pfütze, ohne es zu wollen, einem zentralen Gedanken des Theaters für junges Publikum im Allgemeinen und einem Grundbedürfnis des Freien Theaters im Besonderen. Nämlich einen regionalen Bezug zu halten. Gewiss: Fürther Familien sind mit Pfütze-Produktionen und ihren Darstellern seit Jahren vertraut und die Pfütze-Theaterpädagogin arbeitet auch an Schulen in der Nachbarstadt. Die Idee einer regionalen, nicht im Zentrum der Großstadt (Opernhaus), sondern im Stadtteil verankerten Begegnung (Sebalder Höfe), löst die Pfütze beim Gastieren allerdings auf. Es ist dies umso problematischer, weil es die in ihrer Form ungewöhnlichen Musiktheaterstücke womöglich noch nötiger hätten, in vertrauter Umgebung vermittelt zu werden.

Erreichbarkeit für neue Zuschauergruppen

In Anbetracht der Probleme des Gastierens stellt sich die Frage, ob überhaupt die Richtigen miteinander kooperieren. Wäre es nicht auch

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2.  Ressourcen und Organisation: Das Ringen um Nachhaltigkeit

wegen der Ressourcenprobleme der jungenMET naheliegend, dass die Pfütze und das Staatstheater Nürnberg mit seinem großen Orchester und der gut ausgestatteten Opernabteilung zusammenarbeiten? In jedem Fall wären mehr Personal und Mittel vorhanden, die Kommunikationswege wären kürzer und die Regieteams müssten sich anstelle von zwei Städten mit unterschiedlichen Themen und unterschiedlichem Publikum nur noch auf eine Stadt einstellen. Mit der jungenMET entfernen sich Pfütze und Kinderopernhaus, die sonst kein eigenes Musiktheater anbieten können, auch weit von ihren Kernkompetenzen und zahlen – überzogenes Budget, geringe Stückansetzung und schlechte Auslastung in Fürth – einen hohen Preis für die Zusammenarbeit. Wären nicht – wenn die Pfütze mit dem Staatstheater Nürnberg kooperierte – auch mit einem Mal Pianisten, Musikdramaturgen und Musiktheaterpädagogen zur Verfügung, die den aus dem Schauspiel kommenden Kollegen unter die Arme greifen könnten? Außerdem ließe sich in Nürnberg an ein bestehendes Opernpublikum anknüpfen, das kein besonderes Verständnis für Kindermusiktheater mehr entwickeln muss. Auch wenn es organisatorische Vorteile hätte, ist die Autonomie des Theaters Pfütze ein entscheidender Gewinn. Gefahr bei einer Kooperation zwischen Pfütze und Staatstheater läge vielmehr darin, die Besonderheit des zeitgenössischen Kindermusiktheaters zu verlieren, die unter den Produktionsbedingungen des Freien Kindertheaters entstanden ist. Dass also keine spezialisierten Musiker und klassisch ausgebildeten Sänger sich des Kindermusiktheaters annehmen, ist kein Nachteil, sondern birgt im Gegenteil die Möglichkeit eines neuen Zugangs. Auch die Verlegung der jungenMET in die Publikums­ struktur des Staatstheaters wäre problematisch. Kindermusiktheater bliebe dann ähnlich wie in Stuttgart im Publikumsmilieu des Staatstheaters beheimatet. Dies wäre vielleicht für die Zahlen gut, aber nicht für die Erweiterung des Publikums. Auch in diesem Zusammenhang sei nochmals auf die Bedeutung des Raums verwiesen. Gerade im Spielort der Pfütze scheinen sich Erwartungshaltungen gegenüber Musiktheater zu nivellieren. Im Theater Pfütze mit seinen Wurzeln im freien (­Wander-)Theater, das damals wie heute für eine Alternative zu den großen Theaterinstitutionen steht, ist ein unbefangenes Eintauchen ins Musiktheater möglich. Hier liegt die Chance, einen Begriff von Musiktheater zu vermitteln, der sich gänzlich von den Klischees der Oper befreit und möglicherweise blockierende Genregrenzen aufhebt. Hier ist es möglich, ein grundsätzlich anderes Publikum zu gewinnen, als es im Staatstheater zu erwarten wäre, nämlich ein eher

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VI.  Kindermusiktheater im freien Kindertheater: Die jungeMET

schauspielaffines Publikum mit Gefallen an der alternativen institutionellen Anmutung der Pfütze und seiner lokalen Verbundenheit. In einer Umfrage von Pfütze-Besuchern und -Nichtbesuchern kommt heraus, dass das Haus viele Stammbesucher, aber wenig neuen Zulauf hat. Die allgemeine Bekanntheit der Pfütze in Nürnberg mit 21 Prozent (bei 300 befragten Personen) ist nicht allzu hoch, wohingegen die Kenner der Pfütze »zufrieden und treu« sind.174 Offenbar gibt es mehr als nur das künstlerische Produkt, das die Besucher interessiert. Als besonders positiv werden die Rahmenbedingungen genannt: »charmantes, kreatives Flair« und »kompetentes Personal«. Grund für einen Theaterbesuch ist also auch die Verbindung zum Haus. Das Kindermusiktheater profitiert davon. Das Publikum »kommt in die Pfütze und am Schluss sagen die Leute dann: Komisch, haben alle kaum gesprochen, es gab so viel Musik, aber das war doch auch mal interessant‹« (Zels 2015/1, 4).

3.

Begriff: Musikalisches Erzähltheater

Das Verständnis von Kindermusiktheater der Partner hat einerseits einen Aspekt, der mit der öffentlichen Wirkung zu tun hat. In diesen Bereich fällt die gemeinsame Anstrengung, ein Alleinstellungsmerkmal zu kreieren, sich von anderen Theatern abzugrenzen, ein Zeichen für die regionale Verankerung zu setzen und kulturpolitisch wahrgenommen zu werden. Andererseits gibt es einen inhaltlichen Begriff von Kindermusiktheater, der sich nicht auf partizipative Möglichkeiten oder auf eine Beteiligungsidee, sondern auf die Bühnendarstellung der professionellen Akteure bezieht. Sowohl Martin Zels als auch Werner Müller betonen dabei die Nähe zum zeitgenössischen Kindermusiktheater nach dem Vorbild des Stadt- und Staatstheaters. »Die Inspiration kam aus den Erfahrungen der Pfütze-Leute mit dem jungen Musiktheater, wie es beispielweise in Mannheim und Stuttgart praktiziert wird« (Müller 2015, 2). Zels formuliert es so: »Wir wollten Uraufführungen, wir wollen zeitgenössisches Musiktheater – immer aus den dringenden Fragen eines Kindes heraus« (Zels 2015/1, 1). Damit bezieht er sich auch auf das Mannheimer Manifest von 2006 (Grone­meyer/ Kehr/Schneider 2010), das die Zeitgenossenschaft von Musiktheater für Kinder und seine experimentellen Formen unterstreicht (ebd.). In der künstlerischen Produktion wird der Begriff stark vom Pfütze-Team geprägt – das Theater Fürth ist an der unmittelbaren Probenarbeit nicht beteiligt. Die Herangehensweise wird vom Selbstver-

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3.  Begriff: Musikalisches Erzähltheater

ständnis als Schauspielkindertheater bestimmt, in dem die Narration im Mittelpunkt steht. »Die Pfütze war und ist ein Erzähltheater« (Zels 2015/3, 1). In ihren Sprechtheaterstücken unterstützt Musik die Figuren und Szenen, strukturiert die Handlung und emotionalisiert die Texte, steht aber grundsätzlich nicht für sich selbst. In Produktionen der jungenMET dagegen soll die Musik einen höheren Stellenwert haben. Musik stellt hier eine »eigenständige theatrale Ebene« dar. »Themen, die eine starke emotionale Komponente haben, sind durch Musik besser zu vermitteln« (Zels 2015/1, 1). Die Musik soll als szenisches Mittel im Zentrum stehen und alle performativen Bereiche durchdringen. Sie soll »die Handlung anhalten und […] den Moment vergrößern, in eine Seele hineinschauen, in ein Gefühl« (ebd.). Musik fungiert im Verständnis der Pfütze als direkte Emotionalität in einem durch Entfremdung gekennzeichneten urbanen Raum. »In einer diversen Gesellschaft, in der die deutsche Sprache nicht mehr von allen gleich verstanden wird, wird die Musik zu einem allgemein verständlichen Medium« (ebd.). Bezugspunkt bleibt immer die erzählerische Funktion: Die Art des Einsatzes von Musik wird daraus abgeleitet, »was sie erzählen soll«. Welche Sorte Kindermusiktheater in der Pfütze nicht gemeint ist, verdeutlicht die Position von Zels gegenüber den Kindermusiktheater-Projekten des Nürnberger Staatstheaters. In diese Kategorie fallen z. B. Klassikeradaptionen. Die Idee, eine eigentlich für Erwachsene geschriebene Oper für Kinder umzuschreiben, steht dem Begriff eines eigenständigen und zeitgenössischen Kindermusiktheaters der Pfütze entgegen. »Wir wollen […] grundsätzlich diese Art von Musiktheater für Kinder nicht: Keine zurechtgestutzten Erwachsenen-Stücke« (Zels 2015/1, 2). Die zu verhandelnden Themen sollen aus dem Lebensbereich von Kindern stammen. Dies bedeute auch, Kinder mit Themen zu konfrontieren, die sie fordern und mit ihnen über szenische Mittel zu kommunizieren, die ihnen etwas abverlangen. Ausgeschlossen wird ein »kindertümelndes«, sich vereinheitlichten kindlichen Sehnsüchten »anbiederndes« Theater (Zels 2015/2, 1). Mit ihrem kleinen Personalstamm ist praktisch das gesamte Team der Pfütze an der Entwicklung des Begriffs von Kindermusiktheater beteiligt. Anders als am Staatstheater Karlsruhe werden Kontroversen weniger im Sinne der Organisation (Zusatzbelastung, Machbarkeit, Auslastung usw.) als über inhaltliche Fragen geführt, die dem künstlerischen Team auf den Proben begegnen. In diesem Zusammenhang sind beispielsweise die Vorbehalte gegenüber der Oper und dem Operngesang von Bedeutung. »Wir hatten in den Proben zum Musiktheater […], bei denen Sätze fielen wie: ›Operngesang interessiert

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VI.  Kindermusiktheater im freien Kindertheater: Die jungeMET

mich nicht‹.« Was im Stadt- und Staatstheater selbstverständliches Ausdrucksmittel ist, kann vor dem Hintergrund eines freien, schauspielgeprägten Kindermusiktheaters hinterfragt werden. Dabei kann die Pfütze trotzdem eine Kunstform produktiv machen, in der live musiziert und gesungen wird, bei der Musikmachen zur szenischen Aktion gehört und sie als Impulsgeber im Zentrum der Bühnenhandlung steht. Die jungeMET stellt dabei einen äußeren Rahmen her, der die Abgrenzung vom Sprechtheater verstärkt; die Spartengründung ist damit auch eine Art Selbstverpflichtung, zu einem ganz eigenen Begriff von Kindermusiktheater zu kommen. Man könnte nun einwenden, dass die Pfütze lediglich ihren Begriff des erzählenden Schauspielkindertheaters auf das Musiktheater überträgt und dabei lediglich mehr Musik einsetzt. In der Tat geht das Team auch bei Produktionen der jungenMET mit einer textbasierten Geschichte in die Probenarbeit; gesungen wird um eines szenischen Anlasses willen, nicht zum musikalischen Selbstzweck, obwohl der Bereich des szenischen Musizierens immer wieder überschritten wird. Aber genau in diesen Übergängen liegt das Besondere. Die Pfütze hat die Möglichkeit, einen Begriff von Kindermusiktheater zu entwickeln, der nicht Gefahr läuft, mit klassischer Oper verwechselt zu werden, aber auch kein Schauspielkindertheater mit Musik ist. Was man konkret unter diesem musikalischen Erzähltheater verstehen kann, soll die Analyse der Inszenierung von Das Kind der Seehundfrau im vorletzten Kapitel zeigen.

3.1 Exkurs: Das Problem der Repertoirebildung im Stadttheater und in der Freien Szene

Man kann in der Spielzeit 2017/18 bundesweit 16 Verdi-, zwölf­ Wagner- und zehn Mozart-Neuproduktionen sehen. Das Kinder­ musiktheater hingegen spielt zwar eine Fülle von Uraufführungen, es gibt aber kein einziges Stück mit mehr als zwei Darstellern, das an mehr als zwei Theatern zugleich produziert würde. Nur Gold von ­Leonard Evers kommt in der genannten Spielzeit auf sechs Produktionen. Das Stück ist nicht nur deswegen erfolgreich, weil es mit Intelligenz und Witz von der Gier erzählt, sondern auch, weil man dafür nur eine Sopranistin und einen Schlagzeuger benötigt. Die Beliebtheit hat mit den Rahmenbedingungen der Stadttheater zu tun: Eine einzelne Sängerin kann zuweilen in einem Stück der großen Bühne nicht besetzt sein, sodass sie dem Kindermusiktheater zur Verfügung steht;

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3.  Begriff: Musikalisches Erzähltheater

und ein einzelner Schlagzeuger kann leichter als beispielsweise ein Solobläser durch die Orchesterkollegen ersetzt werden, sodass sein Mitwirken im Kindermusiktheater nicht allzu große Probleme bereitet. Während das Stück im Stadttheater relativ oft gebracht wird, ist es im Freien Theater noch nicht gespielt worden. Hier sind die klassisch ausgebildete Sängerin und der Schlagzeuger ausgefallene Ressourcen. Selbst für ein Kindermusiktheaterstück mit Minimalaufwand gibt es in der Theaterlandschaft keine gleichen P ­ roduktionsverhältnisse. Selbst im Kindertheater ist die Lage günstiger. Eine Abteilung mit »nur« zwei festen Schauspielern kann bereits eine Fülle zeitgenössischer Werke spielen. Die Reproduzierbarkeit ist leichter, weil die Darsteller nicht auf Stimmfächer festgelegt sind und keine Orchestermusiker mitwirken. Man kann in Deutschland fünf Produktionen des Dramatikers Lutz Hübner oder 17-mal Wolfgang Herrndorfs Tschick als Theaterstück für Kinder und Jugendliche sehen und wird in jeder Vorstellung eine Grundkonstellation von Schauspielern vorfinden, die für die Realisierung notwendig ist. Kindermusiktheater inspiriert die Pfütze zu eigenen künstlerischen Lösungen und so bringt das Theater beispielsweise für Ente, Tod und Tulpe ein Stück für zwei Schauspieler und ein Musikerensemble aus Posaune, Cello, Percussion und Kon­ trabass auf die Bühne. Weil die Produktionsbedingungen an einem anderen Haus aber ganz anders sind – Instrumentalensembles in der Freien Szene sind teuer und im Stadttheater sind gerade die genannten Musiker schwer aus dem Kollektiv herauszulösen –, wird die Bühnenmusik von Leo Dick nicht nachgespielt. Im Stadttheater ist es nicht anders. Während die große Bühne für den Abendspielplan ein kompatibles Standardmaß darstellt, variiert das Kindermusiktheater – das vor allem jenseits der großen Bühne produziert wird – von der partizipativen Choroper bis hin zum winzigen Klassenzimmerstück seine Formate. Wenn nun das Kindermusiktheater als integrierte Abteilung auch noch auf die Ressourcen des Haupthauses achten muss (Verfügbarkeit von Sängern und Musikern, Platzverhältnisse, Probenzeiten), ist es fast unmöglich, ein wirklich passendes Stück zu finden. Hinzu kommt, dass Kindermusiktheater in viel größerem Maße als die traditionellen Sparten an seinen Ort gebunden ist. Koproduktionen großer Opern, die in mehreren Städten gezeigt werden, stoßen noch immer auf ein überregionales, ja internationales kulturelles Verständnis, bei dem auch wechselnde Sängerbesetzungen akzeptiert werden. Repertoireproduktionen, die für einen entfernten Ort und mit anderen Menschen entwickelt wurden, können in einem Theater mit anderen Bühnenverhältnissen, mit einem ganz anderen Sänger-

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VI.  Kindermusiktheater im freien Kindertheater: Die jungeMET

ensemble und Orchester und in einer Stadt mit anderer Kultur funktionieren. Kindermusiktheater dagegen hat eine stärkere Verankerung in der Gegenwart und im örtlichen Lebensraum. Damit drückt sich in ihm ein Spannungsverhältnis aus, das die ganze neuere deutsche Theaterszene prägt: Stückentwicklungen, Rechercheprojekte, parti­ ­ zipative Abende, Flashmobs oder Performances sind in der Regel eng an den Ort ihrer Realisierung gebunden und oft nicht von ihren Darstellern zu trennen. Das Theater gewinnt damit an Einzigartigkeit, an regionaler Verankerung und löst sich aus einem marktorientierten Mechanismus der Mehrfachverwertung von Text und Musik. Die Eigendynamik der Reproduzierbarkeit von Kunst im Stadttheater und namentlich in den Opernhäusern bekommt damit ein immer umfangreicher werdendes Gegengewicht. Die zunehmende Durchlässigkeit einer traditionell narrativen Form bedarf immer weniger einer Partitur, die die Produktionsbedingungen und Theatermittel festlegt. Zugleich wird das Kindermusiktheater damit auch zum Produzenten offener Formen, von M ­ aterial, weniger von Werken, die woanders nachgespielt werden könnten.

Werk oder Projekt? Das Problem der Fixierung offener Formen

Es gibt in jeder Produktion der Pfütze eine Spielfassung, einen Rollentext, eine Partitur oder zumindest auskomponierte Songs und musikalische Zwischenspiele. Alle Produktionen der jungenMET gehen von einer Geschichte aus, die sich in einem Text wiederfindet, und haben ein zentrales musikalisches Material, das in Noten aufgeschrieben wurde. Auch von den Stoffen her ist die jungeMET nah bei den »Werken«. Mit ihren Märchenstoffen (Der starke Wanja), Kinderbüchern (Ente, Tod und Tulpe) und den abstrakten Themen wie dem Umgang mit Scheidung (Das Kind der Seehundfrau) oder dem konflikthaften Bezug zur Elterngeneration (Blues to Go) arbeitet die Pfütze durchaus nach dem Muster eines Repertoirehauses. Die Themen der Stücke sind nicht auf regionale Verankerung in Nürnberg bezogen, es sind keine örtlichen Akteure aus der Stadt involviert, es gibt keine Recherche ins unmittelbare Umfeld. Kurz: Die Pfütze bleibt bei durchaus verallgemeinerbaren Themen, die repertoiretauglich sind. Allerdings behält die Pfütze bei jedem ihrer jungeMET-Projekte ihre offene Arbeitsweise bei. Partitur und Textgestalt komplettiert das Team der Darsteller auf der Bühne. Die szenische Aktion hat in der Regel mehr Verbindlichkeit als der Bühnentext oder die Partitur. Die

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3.  Begriff: Musikalisches Erzähltheater

fixierte Spielvorlage wird als Spielanlass benutzt. Die Partituren sind nicht so geschrieben, dass sie als absolute Musik alleine (wie beispielsweise als Suite im Konzert) funktionieren würden, sondern bereiten den Boden für die szenische Gestaltung. Es handelt sich grundsätzlich um eine Musik, die um des szenischen Anlasses Willen geschrieben wurde und sich auch erst zusammen mit dem szenischen Anlass zu voller Wirkung entfaltet. Betrachtet man sie lediglich im Notentext, kommt ihre Besonderheit nicht in Gänze zum Vorschein. Aber auch wenn sich die Partituren in ihrer musikalischen Gestalt erst auf den Proben vollenden und sie an die szenische Realisation gebunden bleiben, sind sie vollgültige Vorlagen für Neuproduktionen an weiteren Häusern. Die Pfütze, auch wenn sie bei den jungeMET-Produktionen projekthaft arbeitet, bringt werkhafte Fassungen hervor, die aber von anderen Kinder- oder Stadttheatern nicht nachgespielt werden. Dies hat mit der erläuterten Inkompatibilität der Stücke an anderen Bühnen und natürlich auch mit divergierenden ästhetischen Präferenzen zu tun. Jedoch gehört Kindermusiktheater zu einer kreativen Verfügungsmasse, bei der Spielfassungen gerne im Haus hergestellt werden. Dadurch lassen sich die Stücke auf unterschiedliche Produktionsbedingungen und Ressourcen zuschneiden. Die enge Bindung des Kindermusiktheaters an seine Inszenierung und der sich dadurch verstärkende allgemeine Wunsch, lieber neu zu kreieren als auf eine bereits erprobte Fassung zurückzugreifen, führt dazu, dass sich die Vorteile des »Werks« nicht mehr nutzen lassen. Man verzichtet auf die Vorarbeit der Autoren. Ist ein Werk durch praktische Theaterarbeit entstanden, beinhaltet es auch künstlerische Erfahrungen, die von denjenigen genutzt werden können, die es nachspielen. Auch für den Zuschauer muss die »Wiederholung« eines Werks, also die Neuproduktion, nicht als unoriginell wahrgenommen werden, weil sich beim Wiedersehen und Wiederhören Werkerfahrungen und Erkenntnisse vertiefen. Es gehört zu den Vorteilen wie zu den Schwierigkeiten des postdramatischen Theaters, dass es bei den Textfassungen bei null beginnen muss und nicht auf die Fantasie und das Handwerk früherer Akteure zurückgreifen kann. Wie könnte auch in der Pfütze glücken, was bei Juliane Kleins Der unsichtbare Vater noch gelang – die Partitur reproduzierbar vorzuhalten? Das Kinder- und Jugendtheaterzentrum in der Bundesrepublik Deutschland hält einen Onlinekatalog bereit. Neben Stücktexten und Aufsätzen lassen sich hier auch Inszenierungen ermitteln. Der Schwerpunkt liegt allerdings auf dem Schauspiel. Der Verband Deutscher

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VI.  Kindermusiktheater im freien Kindertheater: Die jungeMET

Bühnen- und Medienverlage versammelt in seiner Datenbank »Theatertexte« dagegen auch Musiktheaterwerke. Aber nicht alle Verlage stellen hier regelmäßig Stücke ein. Ohnehin schrecken auf große Orchesterpartituren spezialisierte Musikverlage beim Kindermusiktheater vor der Befürchtung zurück, dass die Stücke nach der Premiere verschwinden. Herstellung, Lagerung, Marketing und Auslieferung können oft auch dann nicht aufgewogen werden, wenn das Stück eine zweite Aufführung erlebt, weil die Einnahmen gering sind: Kleine Räume und ermäßigte Eintrittspreise verschaffen den Autoren keine hohen Tantieme, wovon wiederum nur ein Viertel bei den Verlagen bleibt. Außerdem kann ein Verlag nur schwerlich die einträgliche Materialentschädigung (zur Bereitstellung von Partitur, Klavierauszügen und Stimmen einer Orchesterbesetzung) verlangen, wenn die Besetzungen klein sind. Auch wenn ein Verlag das Material nicht wie üblich verleiht, sondern sich entschließt, eine kleine Kaufausgabe zu produzieren, wiegen die Erlöse die Herstellungskosten nicht auf.175 Außerdem tendieren Verlage dazu, Partituren zu veröffentlichen, keine Materialsammlungen. Sie stehen in der Tradition des nachspielbaren Stücks und gründen ihr Geschäft auf das Verwertungsrecht eines geschützten Werks, nicht auf ein offenes Material. Um eine möglichst vollständige Datenbank zu erhalten, müssten sich die Verlage darauf einigen, eine Seite wie »Theatertexte« ­regelmäßig mit Stücktiteln zu befüllen und Theatern die Möglichkeit geben, auch unveröffentlichte Stücktitel und Stückentwicklungen zu verschlagworten. Wie die Zugriffsmöglichkeiten und die Weiterverwertung rechtlich geregelt wäre, bliebe zu klären. Fest steht: Die unterschiedlichen Produktionsbedingungen, die mühselige Suche von Stückmaterial und das ohnehin kleine Repertoire des Kindermusiktheaters machen es schwer, auf Bestehendes aufzubauen. Weil Kindermusiktheaterstücke schwer zu finden und zu beschaffen sind und sich oft nicht gut besetzen lassen, schreiben die Häuser und Gruppen ­weiterhin ihre eigenen Fassungen, die meistens unveröffentlicht bleiben.

4. Künstlerische Produktion: Stilmittel musikalisierten Theaters in Das Kind der Seehundfrau

Musiktheater am Theater Pfütze wird in den Strukturen eines Freien Kindertheaters produziert. Wie funktioniert der Probenprozess und

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4.  Stilmittel musikalisierten Theaters in Das Kind der Seehundfrau

was verrät das Ergebnis über die Arbeitsformen? Die Inszenierungsanalyse dieses Kapitels widmet sich Sophie Kassies’ Das Kind der Seehundfrau.176 Die Arbeit von Regisseur Christopher Gottwald mit Musik von Martin Zels wurde 2011 für den Theaterpreis »Der Faust« nominiert und gewann den Bayerischen Kindertheaterpreis. Analysiert wird im Folgenden, wie die Art des musikalischen Teamworks vonstattengeht. Es gilt herauszuarbeiten, wie zunächst die Textfassung, später die Dialoge und endlich ganze Szenen musikalisiert werden.

4.1 Spielfassung: Der Text als musikalische Spielvorlage

Das Kind der Seehundfrau geht auf ein Volksmärchen der Innuit zurück und war ursprünglich ein Schauspiel von Sophie Kassies, das 2006 am niederländischen Theater Sonnevanck uraufgeführt wurde (Kassies 2008).177 Die Vorlage ist bereits ein Stück Musiktheater und sieht eine Sängerin sowie drei Livemusiker vor.178 Die drei Musiker sind Figuren der Handlung: Sie kommentieren und befragen das Geschehen. Für die deutsche Erstaufführung in der Inszenierung von Andrea Gronemeyer taten sich die Junge Oper Mannheim und das Oldenburgische Staatstheater zusammen. Robyn Schulkowsky schrieb für die Kooperation, die am 6. April 2008 in Mannheim Premiere hatte, eine neue Partitur für Opernsängerin, Harfe, Trompete und Schlagzeug. Das Pfütze-Team beschloss, auf der Basis der für Mannheim und Oldenburg179 übersetzten und geänderten Textfassung eine neue Musik zu schreiben und dabei nicht eine Opernsängerin, sondern das gesamte Ensemble von Schauspielern sprechen und singen zu lassen (Zels 2015/3, 1). Das Theaterstück ist in seiner ursprünglichen Form in eine Rahmenhandlung eingebettet. Es beginnt und schließt mit dem jugendlichen Oruk, der einem Mädchen begegnet. Aus der Unterhaltung der beiden Jugendlichen entwickelt sich Oruks Geschichte als Rückblende: Irgendwo in einer nördlichen, eisigen Landschaft beobachtet ein Fischfänger, wie Seekühe ihre Felle abstreifen, sich in Frauen verwandeln und nachts miteinander tanzen. Er stiehlt der Schönsten ihr Fell und versteckt es in einer Felsspalte. Obwohl die schöne Frau beraubt wurde, verliebt sie sich in den Fischer und ist bereit, ihn vom Fleck weg zu heiraten. Doch es gibt eine Bedingung: Ihre Zeit als Mensch ist begrenzt, in sieben Jahren braucht sie ihr Fell zurück. Es dauert nicht lange und die Mensch gewordene Seehundfrau bringt Oruk zur Welt. Als er sieben Jahre alt wird, erkrankt seine Mutter. Weil der Vater seine Frau nicht ans Meer zurückgeben will, ist es Oruk, der sie retten muss.

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VI.  Kindermusiktheater im freien Kindertheater: Die jungeMET

Als wiedergeborene Seekuh nimmt sie ihren Sohn mit zu ihren Verwandten unter Wasser. Aber der Junge will bei den Menschen bleiben. Er kehrt zurück zu seinem Vater und wird im Laufe der Jahre ein Musiker und Trommler. Anders als die Vorgänger greift das Nürnberger Team stark in die Vorlage ein. Zunächst streicht Christopher Gottwald über die Hälfte des Textes, darunter die gesamte Rahmenhandlung, also das Gespräch zwischen Oruk und dem Mädchen. Die Nürnberger Fassung beginnt in der Welt aus Schnee, in der Oruks Vater die Seehundfrauen beobachtet. Oruk entwickelt sich erst nach und nach zum Protagonisten. Die starken Striche verändern das Stück auch in seiner sprachlichen Anmutung. Ist es in der Fassung aus Mannheim und Oldenburg noch immer ein Schauspiel mit psychologischen Spielanlässen, verändert es sich in der Fassung der Pfütze zu einem kondensierten, fast lyrischen Text. Einzelne Worte wie Eis oder Wasser werden oft wiederholt. Begriffe wie »Flapperflosse« oder »schmatzschmatzschmatz« (für das Wasser in Oruks Stiefeln) wirken durch ihren Klang.

4.2 Probenprozess: Langes, konzentriertes und exklusives A ­ rbeiten

Die szenischen Proben zu Das Kind der Seehundfrau beginnen am 31. August 2010. Bereits vom 1. bis 9. Juli desselben Jahres gibt es eine szenische Vorprobenphase.180 Am 22. Oktober hat das Stück in den ­Sebalder Höfen Premiere. Das Stück hat somit insgesamt fast zehn Wochen Probenzeit, also durchschnittlich vier Wochen länger als in der Oper am Stadt- und Staatstheater, wo Regieteams ihre Sänger wegen Gastierurlauben oder aus dem Grund, dass sie für Vorstellungen geschont werden müssen, noch seltener zum Proben zu Gesicht bekommen. Der langfristige Probenplan verzeichnet lediglich an drei Tagen Fehlzeiten von jeweils einem Darsteller.181 Probiert wird in der Pfütze grundsätzlich nur einmal am Tag von zehn bis etwa 18 Uhr. Keine anderen Proben lenken das künstlerische Team von seiner Arbeit ab. Durch die enge Zusammenarbeit in den nicht künstlerischen Tätigkeiten bleibt das Team auch jenseits der Proben beieinander und kann das Stück weiterentwickeln. Dem gemeinsamen Probieren geht eine intensive musikalische Arbeit voraus. Martin Zels erarbeitet mit allen Darstellern an zwölf Tagen für meist zwei Stunden die in das Stück integrierten Lieder und einige festgelegte Patterns auf den Instrumenten (Tamtam, Trommeln, Vibra- und Marimbafon). Die lange Probendauer, die konzentrierten, nicht unterbrochenen Proben, das

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4.  Stilmittel musikalisierten Theaters in Das Kind der Seehundfrau

Beieinandersein in der Pfütze und die musikalische Vorbereitung sind Bedingungen für den szenisch-musikalischen Findungsprozess.

Flache Hierarchien und Teamwork

Eine egalisierte Aufteilung der künstlerischen Aufgaben, ein Komponist der zugleich Darsteller ist und eine gemeinsame Verantwortung, die Partitur im Probenprozess weiter zu entwickeln, zeichnet die Arbeitsweise bei Das Kind der Seehundfrau aus. Gibt es in der Partitur für Mannheim/Oldenburg eine klare Trennung zwischen Melodiestimme der Sängerin und ihrer Begleitung, hebt Martin Zels sie für Nürnberg auf: Die Schauspieler der Pfütze singen chorisch, keiner hat dabei eine Hauptstimmenfunktion. Zugleich spielen alle Darsteller die Instrumente. Die Verbindung der üblicherweise getrennten Aufgaben – Sänger, Musiker – und der herkömmlichen musikalischen Hierarchie – Hauptstimme, Begleitung – trägt zu der geschlossenen Wirkung der ganzen Inszenierung bei. Martin Zels arbeitet als Musikalischer Leiter auf den Proben, indem er beispielsweise die Tempi vorgibt. Das Probenziel ist aber nicht das Einschwören auf einen Dirigenten und das perfekte Abnehmen seiner technischen Anweisungen, sondern die Selbstorganisation des Teams. Es geht darum, eine Sensibilität herzustellen, aus der sich die Gruppe einen gemeinsamen Einsatz geben kann wie etwa durch gleichzeitiges Einatmen. Geschult wird auch, wie man Tempi voneinander abnimmt und sie gemeinsam hält oder einen gemeinsamen Schluss findet. Da Zels genauso Darsteller und ausübender Musiker ist, kann sich eine hierarchisch einseitige Kommunikationsstruktur nicht verfestigen. Es geht vielmehr um den »teamorientierte[n] Produktionsprozess« (Theater Pfütze/Stadttheater Fürth 2012, 14). Das heißt, dass alle Mitspieler in ihren Funktionen als Schauspieler, Musiker und Sänger den Prozess in seinen technischen Abläufen wie auch in Dingen der Interpretation mitbestimmen. »Die Künste in Form ihrer Interpreten (Musiker, Schauspieler-Sänger, Musikalische Leiter) sind […] direkt miteinander in Berührung« (Zels 2015/1, 2). Die üblicherweise getrennten Funktionen zwischen Komponieren, Dirigieren und Interpretieren lösen sich auf. Anders als im Stadttheater, wo die musikalische Einstudierung jenseits der szenischen Proben vorbereitet wird, zeigt sich die große Möglichkeit des Freien Kindertheaters. Sie liegt nicht nur in der günstigen personellen Situation der Pfütze begründet, son-

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dern auch allgemein darin, dass keine professionelle Spezialisierung die ­Tätigkeitsbereiche voneinander getrennt hat: Martin Zels kann ­Studienleiter und Repetitor (Einstudierung), Dirigent (Proben), ­Percussionist, Sänger und Schauspieler zugleich sein. Weil er als Komponist zugleich ­Darsteller ist, hat seine Musik schon beim Komponieren Bezug zur ­Szene. Weil er Studienleiter und Komponist ist, kann er bereits beim Einstudieren umkomponieren. Weil er seine Musik auf den szenischen Proben weiter vermittelt, kann er sie verändern, wenn sie zu schwer ist. Doch nicht nur die Multifunktionalität des Komponisten ist für den Probenprozess von Bedeutung, sondern auch die Möglichkeit der anderen Darsteller, auf die Musik Einfluss zu nehmen. Die Darsteller experimentieren beispielsweise mit dem musikalischen Gestus ihres Patterns. Spielen sie es schnell, wird die Szene hektisch, spielen sie es sehr langsam, kehrt Ruhe ein. Aus der Probenarbeit heraus entstehen auch neue Musikstücke, die zwar Material der Originalkomposition beinhalten, aber im szenischen Prozess weiterentwickelt werden. In der Begleitmusik zur Beschreibung des einsamen Lebens von Oruks Vater spielen die Akteure die Tonfolge f – des – es – c // b – b – as – c, die irgendwann aleatorisch zerfällt. Martin Zels improvisiert darüber eine Melodie. Auf den Proben entsteht dadurch ein Pattern, das das Team an einer ganz anderen Stelle gebrauchen kann. Es eignet sich – mit anderem Gestus gespielt – für die Begleitung der späteren Szene »Die Jagd«, in der Oruks Vater zum Fischen ausfährt und in einer verzweifelten Übersprungshandlung immer mehr Beute anhäuft, um seiner Frau nicht ihr Fell zurückgeben zu müssen (Zels 2015/1, 1). So ist der Kompositionsprozess nicht nur die Tätigkeit eines einzelnen Komponisten, der seine Ideen auf seine Mitarbeiter überträgt, sondern ein Prozess, an dem die ganze Gruppe beteiligt ist. Ist die Partitur im Stadttheater in der Regel bei Probenbeginn, spätestens aber zu Beginn der Orchesteralleinproben fertig, bleibt sie in der Pfütze Teil des künstlerischen Prozesses. »Es gibt keine Heiligung der Partitur« (Zels 2015/1, 2). Der Prozess »ist dann zu Ende, wenn Premiere ist, wenn zu Ende gerungen ist, nicht zur Bauprobe. Die Partitur ist Arbeitsgrundlage, die verändert werden darf und soll« (ebd.). Der Vorgang ist vielleicht mit Jazzmusikern zu vergleichen, die zwar über ein großes Reservoir ausnotierter Patterns verfügen, dieses aber im Zusammenspiel und in der Improvisation ausschmücken und entwickeln. Erst am Abend, im Prozess der Aufführung und in der Begegnung mit dem Publikum, ist die Musik »fertig«.

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4.  Stilmittel musikalisierten Theaters in Das Kind der Seehundfrau

4.3 Inszenierung: Musikalisierung von Bühne und Text Klingender Raum und chorisches Sprechen

Das Bühnenbild von Andreas Wagner ist ein großer, begehbarer Würfel aus eisernen Kanten. Die Darsteller bespielen ihn auf vielfältige Weise. Er ist der hohe Felsen, auf dem der Vater das Fell versteckt, und er ist die Hütte, die Geborgenheit gibt, aber auch klaustrophobisch eng sein kann. Im Rahmen des Würfels sind alle Instrumente eingebaut: Vibrafon und Marimbafon, ein Tamtam und drei Trommeln. Man kann die Instrumente auch als Inventar des Hauses ansehen: als Küchenwerkzeuge, als Oruks Spielzeug oder auch als das Besteck, mit dem Oruks Vater die Tiere ausnimmt. Wenn die Darsteller den Würfel auf seinen Rädern bewegen, drehen sich die Instrumente mit. Die Musik ist damit ein Teil der dinglichen Welt der Inszenierung: Oruks Existenz wächst aus den Klängen, den Geräuschen, dem Rhythmus. Mitunter wird der Würfel selbst zum Musikinstrument. Wenn die Darsteller mit ihren Sticks darauf trommeln, entsteht ein harter Klang, der zur Eislandschaft der Handlung passt. Immer wieder verflicht die Inszenierung Musik und Bühnenbild. Ein wildes Drehen des Würfels erzählt von den Liebesnächten der Eltern vor Oruks Geburt. Etwas später wird – sachte angestoßen – ein soeben noch bespieltes, an Drahtseilen hängendes Vibrafon zu Oruks »Wiege«. Die Verteilung der Texte in Christopher Gottwalds Fassung ist ein entscheidender Schritt in Richtung Musikalisierung. Die drei männlichen Darsteller teilen sich die Texte des Vaters und Oruks, die beiden weiblichen Darsteller die der Mutter. Vieles sprechen aber alle fünf chorisch zusammen. Damit verwischt jede dauerhafte Rollenzugehörigkeit. Einzelne Schauspieler sind nur für kurze Momente eine bestimmte Figur, werden durch andere abgelöst oder gliedern sich wieder in den Chor ein. Durch die abwechselnden Stimmlagen und der Dynamik von einzelnen und vielfachen Stimmen wird der Text musikalisiert. Der erste Satz des Stücks beginnt mit einem »Duett« der beiden Frauenstimmen, hat seine Echos in den Männerstimmen und endet unisono. Das Wort »mulmig« kommt wie ein Leitmotiv später noch an fünf weiteren Stellen vor und wird von allen Darstellern gemeinsam ­gesprochen:

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VI.  Kindermusiktheater im freien Kindertheater: Die jungeMET

Frau 1: Frau 2: Frau 1: Frau 2: Frau 1: Mann 2: (wie ein Echo) Mann 3: (wie ein Echo) Mann 1: (wie ein Echo) Frau 2: Alle:

Diese Augen. Dunkle, samtene Augen. Sogar, wenn er wütend ist. Die Augen von Oruk Oruk Oruk Oruk von denen wird einem ganz mulmig.

An anderer Stelle wird der Gegensatz von solistischem und chorischem Sprechen zu einer Art Wechselgesang: Mann 3 und Frau 2: Frau 1: Frau 2 und Mann 3: Frau 1: Frau 1 und 2, Mann 1 und 3: Mann 1: Frau 1 und 2, Mann 1 und 3: Frau 2: Mann 1: Frau 1 und 2, Mann 1 und 3:

Fisch!? Allmählich wächst Fisch die Hütte zu mit Fisch. Gesalzener Fisch. Geräucherter getrockneter Fisch.

Das chorisch-musikalisierte Sprechen kennt viele weitere Varianten. An manchen Stellen wechseln sich männliche und weibliche Stimmen ab. Die Figur des Oruk ist oft eine »Mischung« aus weiblichen und männlichen Sprechern. Vermieden wird ein Figurentext, der den Schauspielern im Sinne einer realistischen Figur »gehört«. Die Kommentare der aus der Rolle fallenden Darsteller – »Glaubt die Frau immer noch, dass ihr Leben einfach zufällig so gelaufen ist?« – verstärken diese Tendenz. Die Schauspieler unterlassen es, die Figuren auszuspielen. Niemand »mimt« einen Siebenjährigen, niemand einen Seehund. Die Darsteller leihen den Figuren ihre Stimmen. Die Spielhaltung lautet nicht: »Ich mache dir vor«, sondern: »Ich erzähle dir von«. Ohne die in einem realistischen Theaterkontext übliche Verknüpfung von Darsteller und Rolle ergibt sich trotzdem eine Identifikation mit den Figuren. Die formalisierte und musikalisierte Spielweise behält einen starken Erzählcharakter.

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4.  Stilmittel musikalisierten Theaters in Das Kind der Seehundfrau

Musik als szenisches Ausdrucksmittel

Die Textvorlage ist eine Partitur, Sprache und Sprechen werden rhythmisiert, der Raum gleicht einem Instrument, mehrstimmige Lieder gliedern die Inszenierung und alle Darsteller sind Instrumentalisten: Das Kind der Seehundfrau ist eine Stückentwicklung, in der das Team eine ganz neue musikalische Form erfindet. Dabei verwischen permanent die Grenzen zwischen klingendem Objekttheater, szenischem Konzert, vokalem Musiktheater und freiem, nicht mehr an eine Handlung gebundenem Musizieren. Das Spielen der Instrumente ist keine Begleitung, sondern zentrale Bühnenhandlung und hat eine szenische Funktion. Bereits der Anfang macht deutlich, wie Bild- und Tonwirkungen miteinander verbunden sind. Einer der Darsteller steht am zentral aufgehängten großen Tamtam und spielt einen crescendierenden Wirbel. Am Schluss wiederholt sich der Vorgang. Das Geräusch leitet das Stück ein und beschließt es. Dadurch gibt das Team der Geschichte einen musikalischen Rahmen. Das Spielen des Gongs ist aber auch eine szenische Handlung. Seine Betätigung gleicht dem Ritual eines Zeremonienmeisters, der Anfang und Ende bekannt gibt. Er begleitet die Zuschauer in die Geschichte hinein und auch aus ihr hinaus. Der musikalisch-szenische Vorgang hat auch eine bildhafte Dimension: Der aufblendende Scheinwerfer auf dem glänzenden Metall macht den Gong zu einer aufgehenden Sonne. Über das kalte Geräusch und die metallische Spiegelung lässt sich bereits die Eislandschaft assoziieren, in die Oruk hineingeboren wird. Der Gongspieler betätigt das Instrument sachlich und tritt als Person hinter seiner Aufgabe zurück. Er verkörpert in diesem ­Moment keine Rolle aus dem Stück, sondern die des neutralen, zwischen Publikum und Bühnenfiguren vermittelnden Zeremonienmeisters. ­ Kurze Zeit später, wenn die Geschichte losgeht, nehmen die Darsteller schauspielerische Haltung und Temperament in ihr Musikspiel auf. In der Szene des Honey Moons der Eheleute beispielsweise gibt es ein wildes Schlagen der Instrumente. Die Darsteller nehmen auch den Gestus ihrer Figuren in ihre instrumentale Performance auf. Der junge, verliebte Vater »klingt« anders als der ältere, die gesunde Mutter anders als die kranke, der glückliche Oruk anders als der unglückliche. Umgekehrt müssen manche Vorgänge und Haltungen auch nicht mehr explizit »erspielt« werden, wenn die Musik bereits davon erzählt. Auf den Proben fragen sich die Darsteller in der Honey-Moon-Szene, ob man nicht körperlicher miteinander umgehen solle. »Reicht es nur zu singen, oder muss ich mich auch anfassen?« Die Antwort

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VI.  Kindermusiktheater im freien Kindertheater: Die jungeMET

liegt in der Musik: »Lass doch das Getouche«, lautete die Regieanweisung (Zels 2015/3, 1). Das Ergebnis zeigt ausgelassen singende und ­musizierende Akteure – jede gestische Verdoppelung würde den ­Effekt abschwächen.

Musik als Ausdruck von Stimmungen

Der Musiker in szenischer Funktion und das Musizieren mit emotionalem Gestus bilden Grundelemente der Inszenierung. Dadurch entsteht ein beständig wechselndes Verhältnis zwischen Musik, Text und Szene. Entscheidend ist aber ebenso das Spannungsverhältnis zwischen Musik und Text, denn Musik wird fast durchgängig zum Text eingesetzt. Wie dieses Wechselspiel funktioniert, lässt sich an der Szene zeigen, in der Oruks Mutter ihren Sohn mit unter Wasser nimmt. Die Szene folgt auf den Wendepunkt des Stücks: Oruks Mutter hat sich im letzten Moment in eine Seekuh zurückverwandeln können und ist außer sich vor Freude über ihr neu gewonnenes Leben. Der Abschnitt beginnt mit dem »enormen Sprung« der Mutter ins Wasser. Das gleichnamige Lied hat harmonisch keine Richtung und unterstreicht die Auflösung allen festen Grundes von Oruks Reise ins Meer. In Gang gehalten wird es von einem kreisenden Sechsachtelrhythmus auf dem Vibrafon, bei dem die erste Zählzeit kaum zu erkennen ist. Synkopisch singen die drei Männer in zwei Stimmen ein sich überlappendes »Wasser, Wasser« darüber. Die Darstellerinnen als Seehundfrauen stimmen darüber einen solistischen Gesang an. Das Tänzerische dieser Walzermelodie gibt der Freude von Oruks Mutter Ausdruck, endlich im Meer zu sein. »Umfang mich, umspül mich und heb mich empor, komm leck mir die Nase und küss mir das Ohr. Umfang mich, du Welle, du salzige See, umspül meinen Körper vom Kopf bis zum Zeh.« Die Szene »Unter Wasser« ist nicht nur der Wendepunkt des Stücks, sondern konnotiert das Element Wasser neu. Am Anfang ging es vor allem um Eis oder um die weiten Flächen der kalten See, einer unwirtlichen Landschaft, in der sich Oruks Vater als einsamer Jäger durchschlägt. Jetzt ist das Wasser ein lebensrettendes, lebendiges, bewegtes Element. Die Musik macht aber zugleich auch Oruks Gefühle deutlich, der sich in ein aufregend neues, aber auch gefährliches, unsicheres, unberechenbares Element begibt: Wie soll man unter Wasser atmen?

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4.  Stilmittel musikalisierten Theaters in Das Kind der Seehundfrau

Mutter182: Ooh! Oruk! Völlig vergessen! Oruk, her mit deinem Schnäuzlein! Erzähler: Sie bläst Oruk Luft in die Nase! Er spürt Luftblasen durch seinen ganzen Körper prickeln / die Geräusche über Wasser machen den Geräuschen unter Wasser Platz. Das »Kreisen« der Musik ohne einen harmonischen Grund hört sich wie ein Sprudeln an und verdeutlicht das aufregende, aber auch beängstigende Gefühl von Schwerelosigkeit: Erzähler: Seine Mutter hält ihn kräftig fest, und während sie das Tempo verlangsamen, gleiten sie zwischen den Felsen hindurch, / vorbei an sonderbaren Büscheln / Seealgenschlieren / und Seeanemonen. Die Reise unter Wasser wird zunehmend aufregender. Oruk begegnet seltsam liebenswerten Wesen: Seine ganze Familie! / Alle purzeln über- und durcheinander, / unten ist oben und oben ist unten. / Mit ihren Schnauzen stupsen sie Oruk, / ihre Schnurrbärte kitzeln sein Gesicht. / Immer wieder muss Oruk von seinen Verwandten an den Beinen auf den Meeresgrund gezogen werden. In diesem Moment klappt der Würfel auseinander: Die vormals geordnete, feste und »trockene« Welt gerät aus den Fugen. Zwei Darsteller übertragen die Bewegung der Musik auf den Würfel und bewegen ihn in Wellenlinien hin und her. Auf dem Höhepunkt der Fröhlichkeit begeben sich alle Darsteller an ein Instrument und fallen in den Sechsachtelrhythmus ein. Vom eher elegischen Marimbafonklang bekommt die Musik jetzt einen perkussiven Charakter. Der Wechsel der musikalischen Qualität wirkt, als ob man nun in einer allgemeinen Partystimmung angekommen ist. Doch deutet sich in der plötzlich hart klingenden Musik auch etwas Bedrohliches an, das erst nach einem harten Schnitt und einer Generalpause zu erkennen ist: »Komm zurück! / Komm zurück! / Komm zurück! / Oruks Vater steht auf dem Kliff und brüllt übers Wasser. Niemand hört ihn.« Doch die Feiernden ignorieren die Rufe und machen weiter: »Ja, aber hier wird gefeiert! / Hier wird gefeiert!« Mit voller Wucht setzt die

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VI.  Kindermusiktheater im freien Kindertheater: Die jungeMET

Musik wieder ein, als würde es ewig so weitergehen und als müsste man umso lauter den Gewissenskonflikt überspielen. Einerseits untermalt die Musik die gelöste Stimmung unter Wasser, andererseits steht sie auch für einen sich aufstauenden Widerstand in Oruk, der zu seiner Mutter sagt: »Mama, wirklich, wir müssen gehen. […] Ich brauche Luft! Ich muss trocknen! Ich will nach Hause.« Die Szene geht hier in Instrumentalmusik über. Kein Text ist mehr unterlegt, keiner Figurenhaltung wird mehr Ausdruck verliehen. Es ist, wenn man so will, nur das Wasser, das auf und ab wirbelt. Doch auch diese Analogie löst sich auf, denn plötzlich stoppt die Musik mit einer Generalpause, nimmt neuen Atem und läuft wieder an. Für einen Moment lang ist Das Kind der Seehundfrau ein Konzert. Kein anderes Mal in der Inszenierung löst sich die Musik so weit vom Text. Auch dieser Vorgang markiert einen Wendepunkt. Nachdem ihr Leben gerettet ist, wird die Andersartigkeit der Seehundfreu schlagartig klar: Sie wird sich von den Menschen trennen müssen. Die Einheit zwischen Kind und Mutter ist zerbrochen. In Oruk reift der Entschluss heran, zu seinem Vater zurückzukehren. Ein letztes Mal versucht er seine Mutter zum Umkehren zu bewegen: »Komm mit nach Hause«, sie erwidert: »Das geht nicht. Zu Hause sterbe ich.« Oruk: »Und ich? Und Papa?« Musik ordnet, Musik untermalt, Musik ist Ausdruck einer Stimmung in einer Szene und einer Figur, Musik muss aber nicht stringent dasselbe erzählen wie die Szene, sondern kann einen Kontrast bilden. Musik gibt einer Szene einen Gestus, im beschriebenen Fall taucht sie die Szene buchstäblich in Wasser. Musik ist aber auch nie so eindeutig, dass ihre Zuordnung allzu einfach wäre. Man hätte die Szene auch mit künstlichen Unterwassersounds grundieren können. Damit wäre dem Hörbaren seine Mehrdeutigkeit genommen, nämlich sowohl einen realen Raum (Wasser) wie auch einen seelischen Raum (Oruks Unsicherheit, die Freude der Mutter) abzubilden. Aber auch dem Szenischen würde ein zentrales Element fehlen: Das Musikmachen der Partygäste, das Singen als Ausdruck von Freude. Mit einem unterlegten Sound wäre Musikmachen kein szenischer Vorgang, die Musik nicht direkter, körperlicher Ausdruck der Figuren.

4.4 Ein neuer Typus des interdisziplinären Darstellers

Die stark musikalisierte Form und das chorische Sprechen entheben die Darsteller von einer dauerhaften Rollenverkörperung und die ­Zuschauer von einer Identifikation mit dem einzelnen Darsteller in

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4.  Stilmittel musikalisierten Theaters in Das Kind der Seehundfrau

seiner Rolle. Die Geschichte steht stärker im Zentrum als die Figuren. Die Charaktere werden sozusagen nicht von einer Aura des Persönlichen verhüllt, der Fokus liegt nicht in einem Psychogramm. Mit der Formalisierung reagiert das Team der Pfütze auf die Vorlage. Die Trennung von Oruks Eltern hat keine psychologische Komponente langsamer Entfremdung, die immer auch die Schuldfrage aufkommen lässt, sondern liegt in der Natur der Dinge: Oruks Mutter muss sich trennen, um ihr nacktes Leben zu retten. Der Konflikt zwischen der noch immer vorhandenen Liebe der Eheleute füreinander und der Notwendigkeit auseinanderzugehen hat damit klare und verständliche Gründe. Er ist nicht in jenem unsicheren Beziehungsterrain angesiedelt, in dem selbst Erwachsene irgendwann nicht mehr verstehen, warum sie nicht mehr miteinander leben können. Man merkt der Produktion an, dass sie ohne die Verstärkung von Gästen auskommen kann. Das Kind der Seehundfrau erfordert einen interdisziplinären Bühnenkünstler, der seine Aktionen aus musikalischen Impulsen herleitet. Dass manche Schauspieler keine professionelle Ausbildung und keine Anfängerjahre am Stadttheater genossen haben, in der möglicherweise ein schnelles Abrufen von Figurenlösungen trainiert wurde, leistet diesem Prozess zusätzlich Vorschub. Hatte bei Border in Karlsruhe das professionelle Umfeld des Opernhauses den Jugendchor in seiner Natürlichkeit umso wertvoller erscheinen lassen, wirkt in Das Kind der Seehundfrau das musikalisch-szenische Agieren nicht so, als ob Schauspieler ohne musikalische Ausbildung am Werke wären. Warum, könnte man fragen, wirkt die Inszenierung so elaboriert und professionell? Sinn (der Handlung) und Sinnlichkeit (der Mittel) stehen in einem Verhältnis, das man als logisch, folgerichtig und stimmig zu bezeichnen gewillt ist. In Das Kind der Seehundfrau folgen Aufbau der Handlung und Gliederung des musikalischen Ausdrucks logisch aus dem Sinnzusammenhang der Szene. Die Darsteller halten den Rhythmus und die Tonhöhen. Die technischen Anforderungen sind nicht hoch, aber das macht es möglich, alle Kraft in den Ausdruck zu legen. Dabei gilt die Devise »weniger ist mehr«: Ein unkomplizierter Rhythmus präzise dargebracht ist besser als ein kompliziertes Schlagzeugsolo, das man nicht ganz beherrscht. Es gilt hier die alte Regel des Blues, nach dem es auf den ersten Blick trivial ist, E-Moll- und A-Moll-Akkorde hintereinander zu spielen – die Art und Weise aber, wie man es tut, macht die Musik aus. Eine Trommel mit zwei Sticks zu bearbeiten ist einfach, darin aber die Macht eines Meeres, die Verzweiflung eines kleinen Jungen und die Hektik eines riesigen Familienfestes auszudrücken, verleiht den bloßen Tönen Wirkung.

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VI.  Kindermusiktheater im freien Kindertheater: Die jungeMET

Stimmig wird der musikalische Ausdruck also nicht über Virtuosität, sondern über den szenischen Ausdruck. Musikmachen wird dadurch auf ihre ursprüngliche Form gebracht, die eng mit der Emotionalität des Spielers verknüpft ist. Die »Stimmigkeit« des szenischen Ausdrucks beim Musikmachen verändert wiederum das Hören. Das Differenzieren zwischen der Qualität einer Stimme (Material) und ihrem Ausdruck (Interpretation) verschwindet. Damit verschiebt sich die spezielle musikalische Wahrnehmung zugunsten einer allgemein szenischen. Musik aus einer inneren Notwendigkeit hervorgebracht und szenische Aktion als musikalischer Ausdruck bringen den Zuschauer auf eine Wahrnehmungsebene, bei der die Frage nach den technischen Fertigkeiten keine Rolle spielt. Die Zerlegung von Musik in ihre Grundimpulse öffnet sie für die Koppelung an szenische Vorgänge. Dabei ist man stärker bereit, dem Eigenwert eines einzelnen Klangs nachzuhören (Gongschlag), als wenn sich die Klänge zu einer Komposition verdichten. Indem die interdisziplinäre Herangehensweise den Fokus weniger auf den klassischen Gebrauch von Stimme und Instrumente legt, eröffnet sich ein Feld des musikalischen Ausdrucks von Klängen, Geräuschen und perkussiven Impulsen. Hierzu zählt auch die Sprache, das chorische, gedehnte Aussprechen einzelner Worte wie »mulmig« oder »Wasser«. Das Kind der Seehundfrau fordert dazu auf, Musik nicht als Beiwerk oder als Konvention, sondern als Notwendigkeit wahrzunehmen. Das Theater Pfütze macht vor, wie Musiktheater jenseits der professionellen Ausbildung entstehen kann. Von hier aus ist auch der Begriff von »Professionalität« zu überdenken. Der Begriff zieht sich durch den Diskurs zur Freien Szene und partizipativen Theaterformen. Wo liegt die Grenze zwischen »wahrhaftiger« Schauspielkunst und der vermeintlichen Authentizität sogenannter Experten des Alltags? Jens Roselt benutzt den Begriff des »nicht perfekten« Darstellers gegenüber dem perfekten Schauspieler. Der nicht perfekte Darsteller im partizipativen Theater würde zu einer neuen Kategorie, die nicht mit Zeichenhaftigkeit (Abbild) und Verwandlung (Schauspielkunst) zu tun hat, sondern mit dem Sosein der Körper und Persönlichkeiten. »Kontrolle, Beherrschbarkeit und Wiederhohlbarkeit« des Spielens seien hier mit Absicht außer Kraft gesetzt (Roselt 2008, 291). Anders in Das Kind der Seehundfrau: Die krasse Konfrontation zwischen bewusst ausgestelltem Dilettantismus und einem professionellen Theaterrahmen (oder auch nur die Konfrontation mit inneren Vorstellungen von Professionalität) ist im Theater Pfütze nicht intendiert. Es geht im Gegenteil um das Erlangen einer neuen Professionali-

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4.  Stilmittel musikalisierten Theaters in Das Kind der Seehundfrau

tät, die »Kontrolle, Beherrschbarkeit und Wiederholbarkeit« auf einem Gebiet erlangt, das einem ursprünglich fremd war. Martin Zels sagt es so: »Ich hatte musikalische Laien. Für dieses Stück ausgebildet zu: Amateuren. In der Gesamtheit der Inszenierung dann: Professionelle.« Damit fasst er den Entwicklungsprozess der Inszenierung zusammen, bei der der szenisch-emotionale Ausdruck des Musikmachens und die Formalisierung in der Gruppe eine neue Professionalität schafft. Sie hat mit den herkömmlichen solistischen Tätigkeitsfeldern (Singen, Rezitieren, Vibra- und Marimbafonspielen, Trommeln usw.) nur noch bedingt etwas zu tun, erfordert vielmehr Zusammenspiel und Timing in der Gruppe. Weder Darsteller noch Komponist werden an deutschen Hochschulen für diese neuen Anforderungen ausgebildet. Die klassischen Studiengänge sind eher auf den interpretierenden Spezialisten hin auszubilden, als auf denjenigen Darsteller, der sich in vielen Disziplinen als Darsteller und als Autor versteht. Als klassischer Komponist gilt das Primat des Schriftlichen und der absoluten Musik. Stückentwicklung als Partiturentwicklung gehört noch zu den Randbe­ reichen der Ausbildung und wird vor allem »learning by doing« an den ­Theatern entwickelt. Zels spricht vom Mangel einer systematischen Ausbildung im Kindermusiktheater nicht nur für Sänger und Musiker, sondern auch für alle anderen an der Kunstform beteiligten Künstler. ir brauchen eine Ausbildung, die das Musiktheater für Kinder W und Jugendliche berücksichtigt. Ich meine damit Schauspieler, die Schulung darin brauchen, was musikalische Vorgänge auf der Bühne sind. Wie begegne ich einem anderen Darsteller musikalisch? Was heißt das für meine Haltung? Ich meine damit auch Musiker, die lernen sollten, ein Bühnenbewusstsein zu bekommen, eine Figur zu werden. […] Ich meine damit die Librettisten: Was muss ein Text haben, damit er musikalisch wird? Ich meine die Musiktheaterpädagogen, die oft vom Schauspiel oder aus der Pädagogik oder der Musikwissenschaft kommen. Ich finde, sie sollten aus der Musik kommen (Zels 2015/1, 3). Das Gleiche gilt für die Komponisten: Für die Arbeitsweise des Freien Kindermusiktheaters ist ein Komponistentyp erforderlich, der nicht am Schreibtisch entwirft, sondern Patterns schreibt und sie auf den Proben zusammensetzen kann. Gefragt ist eine Musik, deren »Richtigkeit« sich im szenischen Kontext erweist. Der Typus des Komponisten

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VI.  Kindermusiktheater im freien Kindertheater: Die jungeMET

für das Freie Kindermusiktheater steht damit zwischen dem Theatermusiker, der eine Musik erfindet, um eine Schauspielszene zu untermalen und dem E-Musik-Komponisten, der eine Musik schreibt, die für sich selbst steht. Es geht dabei weder darum, besonders einfach zu schreiben, damit die Ausführenden es leicht haben, noch darum, besonders komplex zu schreiben, um die Ausführenden an ihre Grenzen zu bringen. Es geht darum, eine wirkliche Aneignung der Musik zuzulassen, bei der im Laufe der Proben die Anstrengungen der Einstudierungen nicht mehr zu hören sind und szenische Durchdringung möglich wird.

5. Fazit: Kooperation und freie Arbeitsweisen als Basis alternativer Kunstformen

Kindermusiktheaterproduktionen im Stadt- und Staatstheater sind in aller Regel kleiner als die Produktionen des Abendspielplans und damit immer in Gefahr, ein Nischenprodukt zu bleiben. Anders in der Freien Szene: In der Pfütze sind die jungeMET-Inszenierungen grundsätzlich größer als die Produktionen des Schauspielrepertoires. Kindermusiktheater hat in der Pfütze eine zentrale Position. Indem fast alle Mitglieder des Theaters auch in den künstlerischen Prozess involviert sind, sind die Produktionen der jungenMET keine Angelegenheit einer Einzelabteilung, sondern des gesamten Theaters. Der regelmäßige Produktionszyklus verschafft Beständigkeit. Wissen und Erfahrung der Kindertheatermacher fließen in die Musiktheaterinszenierungen ein. Die Arbeitsweise der Pfütze und die flachen Hierarchien des Theaters kommen musikalischen Stückentwicklungen entgegen. Komplizierte Absprachen mit Nachbarsparten über Sänger, Orchestermusiker oder Räume entfallen. Das Ensemble der Darsteller besteht nicht aus spezialisierten Musikern oder Sängern. Dies erfordert eine Auseinandersetzung mit dem Musiktheater, zugleich aber auch eine hohe Bereitschaft, sich auf ungewohnte Darstellungsformen einzulassen. Für das Kindermusiktheater bedeutet der neue Typus eines universellen Darstellers eine Erweiterung der künstlerischen Möglichkeiten und sprengt Grenzen, die im Stadttheater noch maßgeblich sind. Das Freie Theater bietet also auch ein Arbeitsfeld für Künstler, die sich noch nicht für eine Spezialkarriere entschieden haben. Das Freie Theater muss vor diesem Hintergrund auch als Ort verstanden werden, in dem musikalische-szenische Weiterbildung gelingen kann.

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5.  Kooperation und freie Arbeitsweisen als Basis alternativer Kunstformen

Andere Produktionen als Das Kind der Seehundfrau zeigen aber auch die Schwierigkeit, Künstler aus unterschiedlichen ästhetischen wie organisatorischen Sphären miteinander zu verbinden. Es bedarf offenbar einer langen Praxis, Künstler disparater Herkunft im Sinne einer gemeinsamen Inszenierungsästhetik und Wirkungsabsicht zusammenzubringen. Die Pfütze hat selbst in ihren Schauspielproduktionen von ihren Gründungsjahren an viele Jahre gebraucht, um in einem breiteren Rahmen wahrgenommen zu werden. Der Erfolg von Das Kind der Seehundfrau hat auch damit zu tun, dass fünf Protagonisten und ihr Regisseur seit vielen Jahren zusammenarbeiten und Martin Zels schon bei früheren Produktionen mit den Kollegen musikalisch gearbeitet hat. Die personelle wie künstlerische Integrität der Pfütze liegt in der langen und engen Zusammenarbeit ihrer festangestellten Mitarbeiter. Die Kooperation zwischen einem Freien Theater und einem Bespielhaus ist für das Kindermusiktheater bundesweit einmalig. Mit der jungenMET entsteht eine Kunstform, die aus eigenen Mitteln nicht herzustellen wäre. Die Kooperation ist aus einer Partnerschaft für Schauspielkindertheater erwachsen. Sie ist nicht vertraglich fixiert und basiert auf einer Partnerschaft, die wesentlich mit den beiden Leitern zusammenhängt. So dauerhaft die Koproduktion funktioniert, macht sie doch deutlich, dass Kindermusiktheater noch nicht strukturell institutionalisiert ist und auf starke Leiterpersönlichkeiten angewiesen bleibt. Die Regelmäßigkeit einer jungenMET-Produktion bei allen genannten Schwierigkeiten scheint hier umso bedeutender. Was am Staatstheater Karlsruhe nur kurz und in schwankender Produktions­häufigkeit gelang, hat zwischen den beiden fränkischen Partnern einen hohen Grad an Nachhaltigkeit erreicht. Die freie Theatertruppe mit einem besonderen gesellschaftlichen Verständnis von Kindertheater und das Bespielhaus, das einen breiten gesellschaftlichen Auftrag zu erfüllen hat, konnten fast ein Vierteljahrhundert lang voneinander lernen und die strukturellen wie ästhetischen Vorzüge wechselseitig nutzen. Das zentrale Problem der JungenMET ist ihre defizitäre Finanzierung. Eine Produktion im Kindermusiktheater ist etwa doppelt so teuer wie eine reguläre Kindertheaterinszenierung. Kostet eine Kindertheaterproduktion im Stadttheater in aller Regel einen Bruchteil von einer Repertoireproduktion, verhält es sich bei der jungenMET anders herum. Welcher Stadttheaterintendant würde erlauben, dass eine Musiktheaterproduktion für Kinder fünfzig Prozent mehr Produktionsetat hat als eine Abendspielplanposition? Die Produktionen

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VI.  Kindermusiktheater im freien Kindertheater: Die jungeMET

der jungenMET verkaufen sich auch nicht besser. Der Aufwand an Personal, Zeit und Geld steht in keinem günstigen Verhältnis zum Ertrag an der Kasse. Die Rechnung, nach der ein Stück mit mehr Darstellern und mit mehr Musik zwangsläufig mehr Zuschauer anlockt, mag für den Abendspielplan im Stadttheater funktionieren (noch immer gibt es einen generell starken Zulauf bei Schauspielen mit Band-Begleitung oder bei der Überschrift Musical), für das Publikum der Pfütze und des Stadttheaters Fürth gilt dieser Vorteil nicht. Das Missverhältnis zwischen Aufwand und finanziellem Ertrag ist offenbar mit entscheidend dafür, dass sich das zeitgenössische Kindermusiktheater in der Freien Szene noch nicht stärker verbreitet hat. Die Kooperationsidee zwischen einem Freien Kindertheater und einem Bespielhaus könnten dennoch Schule machen. In Hinblick auf die Verbreitung von Theater nicht nur in den großen Städten, sondern auch in der Fläche sind hier noch viele Möglichkeiten offen. Anders als Nürnberg haben andere bayerische Städte wie Landshut, Rosenheim oder Kempten kein Opernhaus und hätten die Versorgung mit Kindermusiktheater umso nötiger. Bei allen strukturellen und künstlerischen Schwierigkeiten der Kooperation zeigt sich, wie einfach es wäre, zwischen einem Theater mit vielen Ressourcen und einem Freien Theater mobiles Kindermusiktheater zu produzieren. Das Angebot von Kindermusiktheater könnte dabei auch aus der Nachfrage von kleineren Kommunen entwickelt werden. Die Zusammenarbeit muss dabei nicht zwingend zwischen Freiem Theater und Bespielhaus bestehen, sondern kann sich auch zwischen Freiem Theater und Landestheater ergeben. Weil die Idee von überregionaler Bedeutung ist und sich regionale Förderung nur schwer Sonderbehandlungen erlauben kann, machen Pfütze und Stadttheater Fürth die Landespolitik auf sich aufmerksam. Dadurch eröffnen sich völlig neue Perspektiven. Denkbar wird ein staatliches Kindermusiktheater in Nürnberg mit einem festen Standbein in der Nachbarstadt und Gastierverpflichtung wie eine Landesbühne. Damit hätte das größte deutsche Flächenland ein Kindermusiktheaterhaus, das in die Fläche wirken könnte. Zeitgenössisches Kindermusiktheater in der Freien Szene ist auch trotz schwacher Förderung möglich183 und zwangsläufig kostengünstiger als im Stadttheater, vor allem, wenn man die Ausgaben für die großen Kollektive betrachtet. Warum ist die Kunstform – von Spezialisten des Kindertheaters entwickelt, an etablierten Orten stattfindend, neue Kunstformen ausprobierend – noch nicht als förderungswürdig anerkannt worden? Einer der Gründe dafür, dass Kindermusiktheater in

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5.  Kooperation und freie Arbeitsweisen als Basis alternativer Kunstformen

der Wahrnehmung zu eng mit den anderen Schauspielproduktionen der Gruppen verbunden bleibt, ist, dass sich die Besonderheit noch nicht deutlich genug abzeichnet. Offenbar braucht es eine klare Benennung der unterschiedlichen Kunstformen Schauspiel und Musiktheater, um unterschiedliche Ausprägungen in der Produktionsweise deutlich zu machen. Genau so geht die Pfütze mit ihrem Zweispartenmodell vor. Hier braucht es eventuell auch mehr Selbstermächtigung bei den übrigen Kindertheatern, ihre Tätigkeiten für das Musiktheater als neue Kunstform zu profilieren. Vielleicht liegt hier auch eine Hemmschwelle bei den Machern selbst, die sich als Schauspieltheatermacher sehen und die Ausflüge ins Musiktheater nicht überbetonen möchten. Vielleicht gibt es aber auch insgesamt zu wenig Kindermusiktheaterproduktionen, sodass der neue Trend noch nicht deutlicher spürbar ist. Dafür ist sicherlich der finanzielle Aufwand entscheidend. Außerdem gibt es erstaunlich wenig Durchmischung bei den ausübenden Künstlern. Klassisch ausgebildete Musiker und Sänger finden nur selten ihren Weg in die Freie Szene. Die Beispiele, an denen eine Durchmischung gelingt, zeigen einmal mehr, wie Kindermusiktheater über Jahrhunderte verfestigte Ausbildungs- und Berufswege neu bestimmt und Künstler mit den unterschiedlichsten Hintergründen zusammenbringt. Kindermusiktheater kann zu einem künstlerischen Bedürfnis von ganz unterschiedlichen Publikumsgruppen werden, die sich vielleicht nie mit Musiktheater oder gar Oper auseinandergesetzt hätten. Dass die durch ihre gesellschaftliche Gegenbewegungen geprägte Freie Szene sich Musiktheater zu eigen macht, ist vor dem Hintergrund des gefährdeten Rufs der Oper umso wichtiger. Kindermusiktheater in der Freien Szene ist durch sein kollektives szenisch-musikalisches Experimentieren das Gegenteil eines vermeintlich seelenlosen egomanischen Virtuosentums. Durch die Verankerung in der Stadt kann es sich leicht seinem örtlichen Publikum zuwenden. Das Freie Kindertheater kennt die historisch bedingte Distanz zwischen Abendspielplan und jungem Publikum nicht, weil Kinder- und Jugendliche per se im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen. Kleine, in der Freien Szene produzierte Kindermusiktheaterstücke, lassen sich leicht in ein Studio am Stadttheater übertragen (oder stellen gar eine Vorstufe für eine Zusammenarbeit auf der großen ­Bühne dar). Kindermusiktheater wird so zu einem Vorreiter, das sowohl der Freien Szene wie auch der Oper ermöglicht, sich viel umfassender als bisher in der Theaterlandschaft zu engagieren. Das Beispiel aus Nürnberg/Fürth ist ein Modell dafür, wie Mechanismen des

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VI.  Kindermusiktheater im freien Kindertheater: Die jungeMET

Interweavings zwischen den Theaterformen funktionieren. Kindermusiktheater kann zu jenem Teil der »Kooperationen, Netzwerke[n] und Modelle[n]« werden, welche die Enquete-Kommission »Kultur in Deutschland« des Deutschen Bundestags »zu stärken« empfahl (Schneider 2018, 12). Kindermusiktheater in der Freien Szene als eine Alternative zum Stadt- und Staatstheater sollte – bei allen Vorteilen von Kooperationen – sein eigenes Gesicht behalten. Eine Förderung des Kindermusiktheaters in der Freien Szene sollte nicht darauf hinauslaufen, die überwiegend am Stadttheater praktizierte Kunstform zu übertragen, sondern im Gegenteil die ästhetisch wie organisatorisch autonomen Möglichkeiten des Freien Kindertheaters weiter stärken. Für die Pfütze würde das bedeuten, nicht nur den Etat für künstlerische Produktionen zu erhöhen, sondern womöglich eine Stelle für einen Sängerdarsteller und einen Musiker zu gewähren, die in langen, intensiven Probenphasen der Pfütze involviert und in Stückentwicklungen an der Partitur beteiligt sind.

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VII. Kindermusiktheater in der sozialen Institution: Das Kinderopernhaus Lichtenberg Mit dem Kinderopernhaus Lichtenberg, als letztem der vier Beispiele, richtet sich der Blick auf eine Institution, die sich auf Partizipation spezialisiert hat. Diese Ausrichtung unterscheidet sie maßgeblich von allen anderen hier vorgestellten Theatern. Partizipation gehört zwar im Staatstheater Karlsruhe und vor allem in der Jungen Oper Stuttgart zu einem integralen Bestandteil, doch soll im folgenden Kapitel herausgearbeitet werden, wie anders die Rahmenbedingungen sind, wenn sich eine Institution auf Teilnahme konzentriert. Das Kinderopernhaus ist im Untersuchungszeitraum ähnlich wie die integrierte Abteilung in Karlsruhe in einer Aufbauphase. Gerade die Suchbewegungen machen das frühe Stadium aber als Forschungsgegenstand interessant. Sie zeigen die bundesweit erste Institution, die soziopädagogische Ressourcen auf nachhaltige Weise mit Musiktheater verbindet. In der Inszenierungsanalyse von L’Étoile am Schluss des Kapitels geht es um die Frage, wie ein soziopädagogischer Theaterbegriff das künstlerische Ergebnis prägt – aber auch darum, wie sich das Kunstwerk »verselbstständigt«.

1.

Personal: Spezialisierung auf Partizipation

Das Kinderopernhaus Lichtenberg wird 2009 von Regina Lux-Hahn in Zusammenarbeit mit dem Berliner Caritasverband für das Erzbistum Berlin und der Staatsoper Unter den Linden ins Leben gerufen. Das erste Kinderopernprojekt Sternzeit F A S kommt im Herbst 2010 mit zwei Vorstellungen auf der Probebühne der Staatsoper heraus.184 Das Kinderopernhaus realisiert seither jedes Jahr eine neue Produktion. Nach dem Umzug der Staatsoper aus dem renovierungsbedürftigen Haupthaus Unter den Linden in die Interimsspielstätte im Schiller Theater finden auch die Premieren des Kinderopernhauses in den neuen Örtlichkeiten im Berliner Westen statt: Mir träumte! Ein inszenierter Liederabend (Schiller Theater Werkstatt 2011), Engel Singen Hören. Ein barockes Singspiel (Schiller Theater Werkstatt 2012), Was du nicht siehst. Eine impressionistische Entdeckungsreise mit Claude Debussy und Maurice Ravel (Schiller Theater Werkstatt 2013), Berlinische Geschichten. Eine Revue (Kulturhaus Karlshorst 2014) und Es liegt in der Luft. Ein Spiel im Warenhaus (Schiller Theater Werkstatt 2015).

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VII.  Kindermusiktheater in der sozialen Institution: Das Kinderopernhaus

1.1 Gründungsphase: Soziale Kompetenz als Alleinstellungsmerkmal

Die Initiatorin hat 2008 die Idee zum Kinderopernhaus und war zu diesem Zeitpunkt Regionalmanagerin beim Caritasverband in Berlin und für 25 soziale Einrichtungen verantwortlich. Ihre professionelle Herkunft wird auch die Organisationsform des Kinderopernhauses prägen. Das aus dem sozialen Management inspirierte Leiten einer künstlerischen Institution unterscheidet das Kinderopernhaus von allen anderen Institutionen in der Theaterlandschaft, die von Dramaturgen/Regisseuren (Stuttgart), Operndirektoren/Intendanten (Karlsruhe) oder Musikern/Komponisten/Darstellern (Nürnberg) geleitet werden. Als sich die Leiterin mit der Projektidee an die Staatsoper Unter den Linden wendet, kommt umgehend eine positive Rückmeldung: Der Leiter der Jungen Staatsoper Rainer O. Brinkmann erkennt die Möglichkeiten eines Betreuungsangebots durch die Caritas: um einen haben sie [der Caritas-Verband] Räume, die haben wir Z hier gar nicht. Ohne einen Raum findet nichts statt. Dann haben sie sozialpädagogische Mitarbeiter, die für diesen Bereich eingesetzt werden konnten, die haben wir hier nicht. Dann haben sie die Möglichkeit über ihre Projektgelder und über ihre sonstigen Ressourcen, die ihr Jugendzentrum Steinhaus bietet, den Kindern Mittagessen zu geben, Betreuung parallel zu organisieren, die direkten Kontakte zu den Eltern zu halten […] und all diese Geschichten, wofür man hier ein paar neue Stellen bräuchte (Brinkmann 2014, 1). Zu Beginn besteht die Hoffnung, ein Stadtteilprojekt nicht nur einmal, sondern über mehrere Spielzeiten durchzuführen. Im Kooperationsvertrag von 2008 wird festgelegt, dass die Staatsoper die künstlerische Richtlinienkompetenz besitzt. Sie schlägt das künstlerische Gästeteam aus Dirigent, Regisseur, Bühnen- und Kostümbildner vor und hat ein Vetorecht bei Gegenpositionen.185 Auf Vorschlag von Rainer O. Brinkmann realisieren die beiden Institutionen zu Beginn ihrer Zusammenarbeit ein Responseprojekt: Sternzeit F A S nimmt Musik und Stoff von Emmanuel Chabriers Oper L’Étoile auf, die im selben Zeitraum an der Staatsoper herauskommt.186 Durch die Orientierung an einer Staatsopernproduktion rückt die Initiatorin allerdings auch ein Stück von ihrer ursprünglich sozialer gedachten Konzeption eines Kinderopernhauses ab, nach der nicht unbedingt ein klassisches Opernwerk, sondern szenisches Material

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1.  Personal: Spezialisierung auf Partizipation

auf die Bühne gebracht werden soll, das den Stadtteil als Lebensraum und das dortige soziale Miteinander thematisiert.187 Der Name des später beschlossenen ersten Projekts Sternzeit F A S trägt beide Komponenten in sich: Er verweist auf die Staatsopernproduktion von Emmanuel Chabriers L’Étoile (frz. für Stern) und gleichzeitig auf den Stadtteil Frankfurter Allee Süd mit seinem gängigen Kürzel F. A. S. Damit ist von Beginn an auch das Spannungsfeld zwischen pädagogischer Absicht und künstlerischem Ergebnis umrissen, das im Kinderopernhaus immer wieder neu vermessen wird.

1.2 Künstlerisch-soziale Betreuung als Schlüssel zur Partizipation

Für die Produktion Sternzeit F A S engagiert Lux-Hahn eine Theater-/ Tanzpädagogin und eine Musik-/Gesangspädagogin sowie das Team aus Musikalischer Leitung, Bühnen- und Kostümbildner.188 Ein weiterer Mitarbeiter der Staatsoper korrepetiert in den Proben und übernimmt in den Vorstellungen den Klavierpart. Außerdem beteiligen sich die vier jungen Leute aus der Abteilung Junge Staatsoper, die ein freiwilliges soziales Jahr (FSJ) absolvieren, freie Mitarbeiter sowie in großem Maße der Leiter selbst am Arbeitsprozess (Brinkmann 2014, 3). Von der Caritas kommen zwei Sozialpädagogen und ein Medienpädagoge hinzu. Außerdem helfen durchschnittlich vier von Projekt zu Projekt wechselnde ehrenamtliche Helfer beim Kinderopernhaus mit. Einzelne Jugendliche aus dem Jugendzentrum Steinhaus, die sich beispielsweise bei der Essensausgabe beteiligen, kommen hinzu. ­Innerhalb der Caritas sind zwei Sachbearbeiter für die Finanzbuchhaltung des Kinderopernhauses zuständig und setzen die Verträge auf. Neben dem Einsatz der Leiterin des Kinderopernhauses gibt es eine Assistentin der Leitung, die die Probenpläne schreibt und den Kontakt zu Eltern und Schulen hält (Lux-Hahn 2015, 3). Stellt man das künstlerisch arbeitende Team des Kinderopernhauses dem zuvor betrachteten partizipatorischen Projekt Border am Staatstheater Karlsruhe gegenüber, ergibt sich weniger ein quantitativer als ein qualitativer Vorteil, denn ein künstlerisches Leitungsteam gibt es auch in Karlsruhe. Das Personal des Kinderopernhauses kümmert sich aber ausschließlich um ihr jeweiliges Projekt, wohingegen beispielsweise die fest engagierte Musikpädagogin aus dem Badischen Staatstheater mit vielerlei anderen Aufgaben beschäftigt ist. Außerdem gibt es in Berlin pro Jahr nur eine Inszenierung. Der wesentliche, ä ­ ußerlich erkennbare Qualitätsvorteil im Management des

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VII.  Kindermusiktheater in der sozialen Institution: Das Kinderopernhaus

Kinderopernhauses gegenüber der Produktion am Badischen Staatstheater liegt also nicht an einem Mehr an Personal, sondern an einem Weniger an Aufgaben. Der pädagogisch-soziale Teil der Mitarbeiter ist indes auch quantitativ im Vorteil: Eine Leiterin mit Assistentin, eine Theaterpädagogin, eine Musikpädagogin, ein Sozialpädagoge und ein Medienpädagoge sowie ehrenamtliche Helfer geben dem Projekt Stabilität. Das Kinderopernhaus zeigt, wie personalintensiv sich Kindermusiktheater in partizipativen Projekten darstellt. In aller Regel müssen ähnliche Projekte im Stadt- und Staatstheater und in der Freien Szene auf eine derartige soziale Untermauerung ihres Vorhabens verzichten. Zwar muss auch das Kinderopernhaus eine numerische Grenze im Auswahlverfahren setzen.189 Es kann seine Auswahl aber vollständig von den sozialen Hintergründen der Kinder, ihren Charaktereigenschaften und künstlerischen Fertigkeiten abkoppeln.

2. Ressourcen und Organisation: Ein System für Kulturelle Bildung 2.1 Finanzierung: Öffentliche Hand, Stiftungen, Sponsoring, Spenden

Die Teilnahme für die Kinder an einem Projekt des Kinderopernhauses ist grundsätzlich kostenlos.190 Die Finanzierung muss deswegen ausschließlich extern eingeworben werden. Geld kommt aus: undesmitteln, über das Programm »Kultur macht stark«, […] aus B Landesmitteln, dem Projektfond Kulturelle Bildung und aus Mitteln des Bezirks Lichtenberg. Bei Stiftungen müssen Anträge auf Fördermittel gestellt werden. Ferner tragen private Sponsoren zur Finanzierung bei. Die Staatsoper unterstützt uns indirekt, indem sie Bühnenaufbau, Licht, Ton, Maske, Ankleider, dramaturgische Begleitung, Programmheft, Abenddienst, Kartenverkauf, Pressearbeit und Marketing bewerkstelligt. Der Caritasverband übernimmt das gesamte Projektmanagement sowie finanzielle und sachgemäße Abwicklung, Fundraising, Akquise Ehrenamtlicher und Öffentlichkeitsarbeit (Lux-Hahn 2015, 2). Das Kinderopernhaus Lichtenberg ist das einzige der hier vorgestellten Modelle, das sich nur in geringem Maß an die Struktur eines Hauses, in diesem Fall der Staatsoper Unter den Linden, anpassen muss. Das Kinderopernhaus hat dadurch mehr Flexibilität und kann leichter auf die Bedürfnisse der Zielgruppe reagieren. Es fördert vor allem

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2.  Ressourcen und Organisation: Ein System für Kulturelle Bildung

das, was die Mitwirkenden unmittelbar betrifft: ihre Betreuung durch künstlerisch-pädagogisches Personal. Im Gegensatz zu einer einem Theater angegliederten Abteilung ist das Kinderopernhaus außerdem keine Institution, die sich auf einen festen Etat aus seinem Mutterhaus verlassen kann. Im Gegenteil: Es muss seinen Etat durch öffentliche Förderung, Stiftungs- und Sponsorengelder zeitaufwendig einwerben.191 Dabei übersteigt der Betrag von jährlich ca. 60 000 Euro für laufende Personal- und Produktionskosten das, was die Staatsoper jährlich für ein Outreachprojekt ausgeben würde. Doch nur durch diesen Betrag wird die Existenz des Kinderopernhauses in seiner personalaufwendigen Form gesichert. Die Leiterin geht dabei selbst auf die Suche nach Stiftungen oder Sponsoren, ohne auf eine enge Rücksprache im Hause – Finanzierungspriorisierung von prestigeträchtigen Produktionen des Abendspielplans, Tabus bei bestimmten Firmen, strenge Einbindung des Intendanten, Einhaltung von Leistungs- und Gegenleistungspaketen der Marketingabteilung usw. – Rücksicht nehmen zu müssen. Dass der Koproduktionsvertrag lediglich eine Verknüpfung im Künstlerischen und in der Benutzung der Infrastruktur vorsieht, im Organisatorischen, Netzwerkspezifischen sowie Finanziellen aber keine strukturellen Abhängigkeiten gegenüber dem Theaterbetrieb vorsieht, bildet die Grundlage für das Gelingen des Projekts.

2.2 Erreichbarkeit durch regionale Vernetzung

Das Angebot zur aktiven Teilnahme als Darsteller am Kinderopernhaus richtet sich an jeden Schüler aus dem Bezirk Lichtenberg von acht bis 13 Jahren. Insbesondere sind Kinder eingeladen, die Schulen, Kindergärten bzw. Horte besuchen, mit denen das Kinderopernhaus kooperiert. Bei der ersten Produktion Sternzeit F A S stehen (ohne ­Orchester) ca. siebzig Schüler auf der Bühne.192 Der Stadtteil Frankfurter Allee Süd liegt südlich der Frankfurter Allee im S-Bahn-Bogen zwischen den Haltestellen Frankfurter A ­ llee und Berlin-Lichtenberg. Der dichtbesiedelte Stadtteil gilt als ein Wohngebiet mit hoher Arbeitslosigkeit und wird als sozialer Brennpunkt beschrieben (vgl. »Partnerschaft: Öffentliche Wahrnehmung durch Gegensätzlichkeit«, S. 187). Das Kinderopernhaus baut im Kern auf die Mitarbeit von Grundschule, Jugendstation (Kindertagesstätte) und Jugendzentrum auf, also den drei wichtigsten sozialen Institutionen, in denen sich die teilnehmenden Kinder in der Betreuungszeit be-

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wegen.193 Dieses Netzwerk wird beständig durch Institutionen erweitert.194 Alle Partner sind nicht nur im Hintergrund, sondern aktiv am Kinderopernhaus beteiligt. In den Schulen werden Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt, in denen dienstags und mittwochs Workshops stattfinden können. Die Mitarbeiter der Horte sind über die Probenzeiten der Kinder – also die Abwesenheiten vom Hort – informiert und begleiten die Aktivitäten des Kinderopernhauses aktiv. Die gute Erreichbarkeit der mitwirkenden Institutionen macht das Kinderopernhaus zu einer lokalen Institution des Stadtteils und begünstigt, dass Kinder aus der unmittelbaren Umgebung teilnehmen. Anders als bei einem partizipativen Projekt an einem Opernhaus entfällt hier das Problem der langen Hin- und Rückfahrt der beteiligten Kinder. Die kooperierenden sozialen Institutionen sind untereinander fußläufig erreichbar. Ein Schlüssel zum organisatorischen Gelingen eines Projekts ist der gute Kontakt zu den Eltern. Es gibt regelmäßige Elternabende. Während der Probenzeiten finden viele Gespräche und Austausch über E-Mail statt. Die Caritas muss als Wohlfahrtsverband gegenüber den Eltern auch eine besondere Sorgfaltspflicht für die Kinder belegen. Dies betrifft z. B. den Arbeitsschutz: »Wir müssen nachweisen, dass wir mit den Kindern nicht länger als fünf Stunden am Tag und nicht mehr als fünf einander folgende Tage in der Woche proben. […] Auch wenn eine Probenphase z. B. über fünf Tage hinausgeht, muss ich dafür sorgen, dass die jeweils probenden Kinder ausgetauscht werden, sodass die Zeiten eingehalten sind« (Lux-Hahn 2015, 4). Außerdem müssen auf der Anmeldung noch ein Arzt (Bestätigung der medizinischen Eignung für das Projekt), die Schule und das Jugendamt unterschreiben. Zum präventiven Schutz der Kinder gehört auch, dass die Pädagogen ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen. »Sie können sich vorstellen, was das für ein Aufwand ist. Und es darf kein Fehler passieren, ich stehe dabei als Verantwortliche mit einem Bein im Gefängnis« (LuxHahn 2015, 3).

Das soziale Kunstwerk im Stadtteil

Das Kinderopernhaus versteht seine Tätigkeit auch als Arbeit im sozialen Umfeld. Dabei entsteht ein dichtes Geflecht von Bezügen zwischen den Vertretern sozialer Kooperationspartner, den Eltern der Kinder, der Leitung des Kinderopernhauses, ehrenamtlichen Helfern sowie pädagogischem und künstlerischem Betreuungspersonal. Entscheidend sind auch hier die Sorgfalt und der hohe Zeitaufwand, den das Kinder-

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2.  Ressourcen und Organisation: Ein System für Kulturelle Bildung

opernhaus den sozialen Aspekten einer künstlerischen Zusammenarbeit widmet. Es geht um ein Zusammenwachsen der Menschen im Sozialraum, um »Stadtteil-Vernetzung« (Staatsoper im Schiller Theater 2010, 14). Alle kooperierenden Institutionen werden von der Leitung des Kinderopernhauses im Vorfeld über die Art des neuen Projekts sowie über Probenzeiten informiert. Hierfür verabredet die Leiterin des Kinderopernhauses ein vierteljährlich stattfindendes Netzwerktreffen. Organisationsfragen wie Schulbefreiung, aber auch Probleme mit einzelnen Kindern lassen sich so direkt klären. Umgekehrt wird die Leiterin auch von den Fachlehrern zu Elternabenden eingeladen. Lehrkräfte und Betreuer sprechen nicht nur mit teilnehmenden Kindern über ihre Erfahrungen im Kinderopernhaus, sondern sorgen auch dafür, dass Kinder bei neu beginnenden Projekten mitmachen. Eine nacheilende Befragung der Teilnehmer durch die katholische Hochschule für Sozialwesen in Berlin ergab, dass 68 Prozent der Kinder von ihren Lehrern vom Kinderopernhaus Lichtenberg erfahren haben (Pudelko 2011). Zur Kommunikationsarbeit im Netzwerk gehört außerdem der Kontakt zu den politischen Verantwortlichen aus dem Stadtteil über E-Mails, Briefe, Informationsschreiben und Einladungen zu den Premieren. Auch Empfänge und Zusammentreffen zu anderen Anlässen dienen der Kontaktpflege. Das Kulturamt Karlshorst hilft umgekehrt bei der Raumvermittlung für Proben oder Aufführungen.

2.3 Publikum: Systematische Erweiterung der Bezugspersonen

In der Regel spielt das Kinderopernhaus nach der Premiere bis zu sechs weitere Vorstellungen in Kulturinstitutionen aus dem Stadtteil Lichtenberg. Bei diesen Vorstellungen wechseln sich Nachmittags- und Abendvorstellungen ab. Außerdem wird jedes Mal auch eine Vorstellung am Vormittag angeboten. Damit öffnet sich das Kinderopernhaus gezielt einem Schulpublikum. Das Kinderopernhaus spielt durchschnittlich sechs Vorstellungen im Jahr195 und liegt damit deutlich unter dem Schnitt aller hier portraitierten Theaterinstitutionen.196 Trotzdem ist es dem Kinderopernhaus gelungen, eine relativ große Besucherzielgruppe aufzubauen. »Zählt man die 2 Benefizgalas mit jeweils 400 Zuschauern hinzu, haben insgesamt bisher ca. 5200 Zuschauer Aufführungen des Kinderopernhauses gesehen.«197 Dies liegt zum einen am Partizipationsmodell – viele Angehörige und Netzwerkpartner wollen in die Vorstellung – und daran, dass ehemalige Mitwirkende (und ihre Angehörigen) auch nach ihrer aktiven Teilnahme noch

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Vorstellungen besuchen und das Kinderopernhaus zu einer Art kulturellem Anlaufpunkt wird. Ergab die Publikumsanalyse der jungenMET eine eher geschlossene Struktur, die sich auch in der Region Fürth nicht automatisch vergrößert, erlaubt das partizipative Modell des Kinderopernhauses eine offene Publikumsstruktur, die sich potenziell bei jedem neuen Projekt erweitert. Die Neuaufnahmen bedingen auch neue Kontakte zu Lehrern, Ehrenamtlichen oder Eltern potenzieller Anfänger.

2.4 Die Veränderungen im Kinderopernhaus: Wie lässt sich ­Partizipation optimieren?

Die katholische Hochschule für Sozialwesen in Berlin gibt nach der Premiere des ersten Projekts die erwähnte »Nacheilende Befragung von Schulkindern, deren Eltern sowie beteiligten Lehrkräften und sonstigen pädagogischen Mitarbeitern aus dem Projekt Kinderoper STERNZEIT« in Auftrag. Die Studie macht deutlich, dass die Auftritte bei der Premiere und das Singen bestimmter Musiknummern zu eindrücklichen und bleibenden Erinnerungen der Kinder gehören (Pudelko 2011). Die Eltern beobachten durchgängig eine Steigerung des Interesses an klassischer Musik sowie eine Festigung des Selbstbewusstseins bei ihren Kindern. Ein Viertel der Eltern will sogar eine Leistungssteigerung ihrer Kinder in der Schule festgestellt haben. Auch die Lehrer bestätigen ein gestärktes Selbstvertrauen der Kinder. Auch die Konzentrationsfähigkeit der am Projekt beteiligten Kinder habe sich verbessert.198 Veränderungen in den Produktionsabläufen reichen aber weit über die Studie hinaus. Die Leiterin des Kinderopernhauses beschreibt die erste Produktion Sternzeit F A S als »Rausch«, bei dem viele Aspekte der Arbeit im Kinderopernhaus ungesteuerter verliefen als später. »­Alles war neu. Die Projekte laufen heute besser« (Lux-Hahn 2015, 4). Die Änderungen dokumentieren eine stärker sozial ausgerichtete ­Praxis sowie die allgemeine Steigerung der Projektqualität: Kontinuität schaffen: Zu den traurigsten Erfahrungen der Kinder gehörte nach dem Abspielen der Vorstellungen von Sternzeit F A S, dass für ein paar Wochen unklar war, ob überhaupt ein zweites Projekt stattfinden würde (Brinkmann 2014, 4). Gründe dafür waren der Umzug der Staatsoper in die Interimsspielstätte und die damit verbundene Ungewissheit über das neue Profil der Jungen Staatsoper, aber auch Un-

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sicherheiten bei der Finanzierung – Stiftungen und Sponsoren sowie die öffentliche Hand hatten ja nur einmalig Geld gegeben. Diese von den Kindern als geradezu existenziell wahrgenommene Unsicherheit zu beseitigen – »alle heulen, alle fragen, wie geht’s weiter?« (ebd.) –, gehört zum Vorsatz für alle künftigen Projekte. Mit der Inszenierung Mir träumte gelingt Regina Lux-Hahn Kontinuität durch Reduktion. Die neue Arbeit ist zwar in allen Belangen kleiner als Sternzeit F A S (­beteiligte Kinder, Spielfassung, instrumentale Begleitung), sorgt aber für die nötige Kontinuität. Zweijähriger Arbeitszyklus: Ab 2014 stellt das Kinderopernhaus auf einen zweijährigen Arbeitszyklus um. Das Projekt Berlinische ­Geschichten aus dem Sommer 2014 ist mit Absicht eine »Werkschau« und hat nicht den Anspruch einer vollständigen Aufführung. Es werden dabei aber die Kinder thematisch und in Bezug auf das musikalische ­Material auf die Produktion Es liegt in der Luft vorbereitet, die gut ein Jahr später, im Oktober 2015, Premiere hat. Das vorbereitende Jahr findet nur noch in loser Absprache mit der Staatsoper statt, die abschließende Aufführung geht auch nicht im Schiller Theater, sondern im Kulturhaus Karlshorst über die Bühne. Erst mit dem zweiten Jahr der neuen Projektphase, die mit den Aufführungen in der Werkstatt im Schiller Theater abschließt, setzt der enge Koproduktionsprozess ein, den die beiden Institutionen sonst in jedem Jahr angestrengt hatten. Der neue Arbeitszyklus ermöglicht eine gegenüber dem Einjahresmodell ­kontinuierlichere Arbeit, in der Lernprozesse dauerhaft vertieft werden können. Die Veränderung im Produktionszyklus erfordert die Arbeit in einer »Anfänger-« und einer »Fortgeschrittenengruppe« am Kinderopernhaus, denn selbstverständlich werden auch Kinder in das laufende Projekt aufgenommen, die das erste Jahr noch nicht dabei waren.199 Kein Starkult – chorisches Singen: Lernschnellere und musikalisch vorgebildete Schüler werden bei Sternzeit F A S mit etwas größeren solistischen Gesangsnummern betraut: »Das Bildungsgefälle war sehr deutlich und dadurch auch die Bereitschaft, sich auf etwas einzulassen. […] Wir haben sehr stark versucht, mit diesen Kindern [mit einem problematischen Bildungshintergrund] zu arbeiten, aber es waren kaum Kinder dabei, die für Hauptrollen, wie wir sie da brauchten, für große Durchhaltephasen, in der Lage waren« (Brinkmann 2014, 2). Das Kinderopernhaus ändert diese Form der Förderung und Ungleichbehandlung ab dem dritten Projekt 2013 Was du nicht siehst, indem nur

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noch chorisch gesungen wird: »Eine bewusste Entscheidung war es, keine solistischen Gesangsparts herauszuheben. Wenn gesungen wird, dann singen alle. Darin besteht auch ein zentraler Punkt des pädagogischen Konzepts: Alle werden gefördert und begegnen sich auf Augenhöhe« (Staatsoper 2013, 20). Trennung von künstlerischer und pädagogischer Arbeit: Gab es bei den ersten drei Projekten des Kinderopernhauses eine Personalunion von Regisseur und Theaterpädagoge, setzt die Leitung in den späteren Projekten darauf, die Arbeitsbereiche zu trennen. Die Leitung achtet auf Teamfähigkeit, »es gibt weniger Egomanie. Sätze wie ›Ich bin hier die Musikalische Leitung‹ gehen nicht«, »Künstler sollten selber ­Pädagogen sein« (Lux-Hahn 2015, 4). Als Pädagogen engagiert die ­Leiterin »nur noch Profis aus dem sozialen Bereich« (ebd.). Der Regisseur eines Stücks wird seit der Umstellung auf den Zweijahreszyklus auch erst im zweiten Produktionsjahr hinzubestellt. Beim Einstieg des Regisseurs liegt nach einem Jahr Probenzeit und einer Werkstattaufführung bereits ein Großteil des spielerischen Materials bereit, um daraus im nächsten Kinderopernjahr das Stück zusammenzusetzen. Dadurch behalten die Pädagogen großen Einfluss auf das Resultat des Stücks. Klare soziale Regeln für Betreuer und Mitwirkende: Zur Stärkung des sozialen Aspekts gehört das Einhalten klarer Regeln im Probenprozess. Dazu zählt beispielweise die Probendauer: »Wir haben auch gelernt, dass wir die Kinder nicht überfordern dürfen. Endlose Proben bringen nichts. Wir haben die Proben jetzt grundsätzlich kürzer gemacht« (ebd.). Weitere Erfahrungen aus der Arbeit haben zu Verhaltensregeln im Arbeitsprozess geführt: Es werden keine Freundschaften zwischen dem künstlerischen Leitungsteam und den Eltern sowie keine Privilegien für einzelne Eltern geduldet. Auch wegen dieses Neutralitätsgebots engagiert das Kinderopernhaus wechselnde Künstler. Eine weitere Regel ist: »Kein Streit vor den Kindern.« Vor den Mitwirkenden ausgetragener Streit – ein im professionellen Theaterbetrieb unter Erwachsenen nicht unüblicher, manchmal unvermeidlicher Prozess – ist hier untersagt, denn er greift den Grundsatz nach Teilhabe an: »Die Erfahrung hat gezeigt, dass einzelne Kinder bei Streit zwischen den Erwachsenen das Projekt verlassen« (Lux-Hahn 2015, 5). Aber auch für die Teilnehmenden gelten Regeln, wie beispielsweise regelmäßiges Erscheinen, Pünktlichkeit und die Bereitschaft mitzumachen und nicht zu stören.

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2.  Ressourcen und Organisation: Ein System für Kulturelle Bildung

2.5 Partnerschaft: Öffentliche Wahrnehmung durch Gegensätzlichkeit

Der Partner des Kinderopernhauses, die Berliner Staatsoper Unter den Linden, hat seit der Spielzeit 2011/12 eine eigenständige Abteilung: die Junge Staatsoper. Ähnlich wie in Stuttgart geht diese aus einem umfänglichen Education-Programm hervor. Die Junge Staatsoper bringt jährlich eine neue Inszenierung für Kinder/Jugendliche heraus und spielt eine Wiederaufnahme aus der vergangenen Spielzeit. Auch eine Aufführung des Jugendclubs wird in jeder Spielzeit auf die Bühne gebracht.200 Außerdem gib es ein umfangreiches Workshop- sowie Einführungs- und Nachbereitungsangebot für Schulklassen, Erwachsene, Familien oder Senioren. Zum Programm der Jungen Staatsoper gehören auch der Kinder- und der Jugendchor sowie der von Daniel Barenboim ins Leben gerufene Musikkindergarten. Die Junge Staatsoper hat ein besonderes Interesse an Stadtteilprojekten (Pinkert 2014, 349), kann aber ihre Projekte erst mit dem Kinderopernhaus verstetigen.201 Zur Zeit der Renovierung des Stammhauses spielt die Junge Staatsoper in der Werkstatt des Schiller Theaters und ist auch programmatisch (Spielplan) und organisatorisch (Sänger, Budget) Teil der experimentellen Nebenspielstätte (Brinkmann 2014, 7). Für die Caritas ist die Zusage der Staatsoper ein wichtiger Schritt im Aufbau des Kinderopernhauses. Denn erst nachdem eine Institution wie die Staatsoper ihre Kooperationszusage macht, sind viele der Partner bereit, ihr Interesse auch finanziell zu untermauern. »Das war immer eine sehr wichtige Situation: Caritas und Staatsoper als zwei massive, gleichwertige Institutionen« (Brinkmann 2014, 2). Zugleich beglaubigt der gemeinnützige Verein die sozialen Absichten der Hochkulturinstitution. In der Presse ist der Zusammenschluss von Caritas und Staatsoper bzw. von »Problembezirk«-Kindern mit einer »Hochkultur«-Institution einer der am häufigsten hervorgehobenen Aspekte des ­Projekts: »Oper trifft Plattenbaukinder« (Hermann 2010, 3), »Popkultur trifft Hochkultur« (Kahle 2009, 7). Auch der Vergleich zum frühen Education-Programm der Berliner Philharmoniker wird dabei ge­ zogen (Stephan 2010, 16). Die Analogie dokumentiert die anhaltend starke Wirkung von Education@BPhil durch den 2002 zum Chefdirigenten berufenen Simon Rattle. Die Videodokumentation Rhythm Is It! (Grube/Lansch 2004 DVD) zum ersten großen Tanzprojekt der Berliner Philharmoniker mit jugendlichen Tänzern dient als Vergleichsmoment mit dem Kinderopernhaus: »Oper ist es!« lautet die Ankündigung im TV-Programm der Programmzeitschrift Tip.202 Dabei spielt auch

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eine Rolle, dass Simon Rattle der Dirigent von L’Étoile ist. Bei seinem Besuch einer Probe von Sternzeit F A S ist viel Presse anwesend. »Wir waren so etwas wie das Rhyhtm Is It! der Kinderopernszene« (Lux-Hahn 2015, 1). Das Presseecho zum Start des Kinderopernhauses auf der Ebene von Regionalmedien und lokalem Fernsehen ist groß.203 Das Interesse des Fernsehens gilt vor allem den Backstagegeschichten (Lux-Hahn 2015, 2).204 Das Gros der Berichterstattung bezieht sich auf die soziale, weniger auf die künstlerisch-soziale Idee des Projekts, geschweige denn auf deren ästhetisches Ergebnis. Auffällig ist die Betonung der angeblich prekären Herkunft der teilnehmenden Kinder, was nicht selten zu reißerischen Tönen führt: »Plattenbauquartier« (Dube 2009, 5), »­Plattenbaukinder« (Hermann 2010, 3ff.), »Problem-Kiez« (RBB Fernsehen, 6.2.2010 Internetbericht205) sind die Stichwörter.206 Durch das Betonen der Gegensätze Lichtenberg Süd vs. Staatsoper Unter den Linden bzw. »sozialer Brennpunkt« vs. »Hochkultur« wird der klischeehafte Zusammenhang von sozialer Elite und Musiktheater verfestigt. Das große Presseecho zeigt, dass die neue Partnerschaft zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung als Novum gilt.

3. Begriff: Soziales Lernen, ästhetische Bildung und Künstler als ­Vorbild

Die Arbeit am Kinderopernhaus ermöglicht Kindern unabhängig von ihrer Herkunft die »Teilhabe am kulturellen Leben der Gesellschaft«.207 Der Begriff von partizipativem Kindermusiktheater liegt im Spannungsfeld von sozialem Lernen, ästhetischer Bildung und Orientierung an professionellen Vorbildern. Soziales Lernen: Besonders hervorgehoben wird im Kinderopernhaus der Erwerb sozialer Erfahrungen und Kompetenzen: Teamarbeit, Rücksichtnahme, soziale Anerkennung und Wir-Gefühl.208 Die soziale Kompetenz korrespondiert in besonderer Weise mit der Kunstform Musiktheater als kollektivem Prozess, der Kompromissbereitschaft, Konfliktlösungskompetenz und Einfühlungsvermögen braucht: »Ich glaube, dass die Kinder heute und auch hier im Viertel […] materiell alles haben. Aber die sozialen Kompetenzen fehlen. Werte wie Disziplin, Durchhaltevermögen […] sind grundlegend für die Oper und auch grundlegend für ein soziales Verhalten und eine soziale Entwicklung.«209

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3.  Begriff: Soziales Lernen, ästhetische Bildung und Künstler als Vorbild

Ästhetische Bildung: Das Kinderopernhaus »fördert den Erwerb von Kompetenzen im musisch-künstlerischen Bereich.«210 Hierzu gehört eine kleine musikalisch-darstellerische Grundausbildung, die mit einfachen Körper- und Gesangsübungen beginnt und sich langsam steigert. Das darstellerische Spiel wird über Improvisation und spielerische Übungen erprobt (Brinkmann 2014, 5). Nach Sternzeit F A S bilden die Teilnehmer des Kinderopernhauses außerdem ein kleines Instrumentalensemble. Es besteht aus dem Orffschen Instrumentarium, aber auch aus selbstgebauten Rasseln, Blechen, Wassersoundgeräten usw. Damit werden die Kinder nicht nur musikalisch-szenisch, sondern auch instrumental ausgebildet. Die Klänge und Geräusche sind als kleine Einschübe seither Bestandteil eines jeden neuen Projekts. Zum ästhetischen Bildungsprozess gehört auch der Erwerb von Medienkompetenz. Bis zu drei Kinder werden unter Begleitung eines Medienpädagogen zu Videodokumentarfilmern oder Fotografen. Diese aktiv in die Medienbetreuung einbezogenen Kinder wirken nicht als Darsteller in den Produktionen mit. Die Medienbetreuung und ihre Funktion im Kinderopernhaus – wie reagieren Kinder auf ihre Darstellung im Video, wie gehen sie mit Kritik von Gleichaltrigen um, welche Vorbilder aus Film und Fernsehen spielen eine Rolle? – stellen eine ganz eigene Ebene der Mitwirkung und Fortbildung innerhalb des sozial-ästhetischen Einstudierungsprozesses dar und sollen helfen, sich selber richtig einzuschätzen (Lux-Hahn 2015, 2). Künstler als Vorbild: Die Orientierung am professionellen Vorbild ist ein zentrales Moment im Kinderopernhaus. Das betrifft sowohl die Werke als auch die Sänger und Musiker. Für die Produktionen sucht die Leitung Stücke oder musikalische Nummern aus, die für ein erwachsenes Publikum und für professionelle Interpreten geschrieben wurden – also mit Absicht keine Werke, die sich an ein Kinderpublikum richten oder aus sich selbst heraus partizipativ sind: Bei Sternzeit F A S bildet Chabriers L’Étoile die Grundlage der Inszenierung. Beim zweiten Projekt Mir träumte! sind das Lieder der Romantik, bei Engel Singen Hören das Händel zugeschriebene Oratorium Tobit, bei Was du nicht siehst Werke des Impressionismus, bei Berlinische Geschichten Lieder der 1920er-Jahre und bei Es liegt in der Luft die Musik von Mischa Spoliansky. Die Begegnung mit einem Regisseur, aber vor allem auch mit professionellen Musikern im Orchester211 gehört zu einem weiteren Element des Kinderopernhauses. Von Anfang an proben der Dirigent und der Chordirektor mit den Kindern. Entscheidend ist, dass in jeder Inszenierung des Kinderopernhauses professionelle Sänger in den

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Probenprozess integriert sind und später in der Inszenierung auftreten. Die Erstbegegnung bei Sternzeit F A S ist in dem Film Du bist ein Stern auf Video festgehalten und dokumentiert das plötzliche, sinnliche Empfinden der Kinder für Lautstärke, die Klangfarbe und den Stil von Operngesang (Dörr 2011 DVD).

4. Künstlerische Produktion: Das sozial-ästhetische Kunstwerk mit Sternzeit F A S

Wurden bis hierhin die Arbeitsformen des Kinderopernhauses und der Begriff von partizipativem Kindermusiktheater beschrieben, geht es im Folgenden um die Inszenierung von Sternzeit F A S. Dabei werden zunächst die allgemeinen Probenmodule und danach die Umsetzung des Begegnungsgedankens herausgearbeitet. Erst danach geht der Text auf Emmanuel Chabriers Stück ein und zeigt, wie es für die Schüler in einer musikalisch-textlichen Spielfassung für Partizipation aufbereitet wurde. Die Inszenierungsanalyse versucht anschaulich zu machen, wie soziale Regieimpulse – Mehrfachbesetzung, Responsegedanke und kleine Chorrollen – zur künstlerischen Form werden. Zum Schluss wird die partizipative Methode am Beispiel Sternzeit F A S noch einmal kritisch befragt und anderen, offeneren Formen der Teilhabe entgegengesetzt.

4.1 Probenprozess: Vertrautes Umfeld und Kontinuität

Der Probenprozess zu Sternzeit F A S basiert auf mehreren Modulen. Die Basis bildet das donnerstägliche Kinderopernhaus im Jugendzentrum Steinhaus. Hinzukommen Workshops an ausgewählten Wochenenden, die Intensivprobenphase im Jugendzentrum Bad Saarow und die Endproben, die in der Regel in den Räumlichkeiten der Staatsoper stattfinden. Die szenische Einrichtung versieht Sarah del Lago als Theater- und Tanzpädagogin, unterstützt von der Musik- und Gesangspädagogin Lena Haselmann. Till Schwabenbauer hat die musikalische Gesamtleitung. Kinderopernhaus: Am Donnerstag während der Schulzeit ist das Jugendzentrum Steinhaus für die Kinderoper reserviert und verwandelt sich zum Kinderopernhaus. Es wird direkt nach der Schule angefangen. Durchschnittlich sind 35 Kinder auf alle Räume verteilt. In den »Üb-Ein-

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4.  Das sozial-ästhetische Kunstwerk mit Sternzeit F A S

heiten« werden die Kinder in Gruppen aufgeteilt nach Szene, Chorsingen und Instrumentalpädagogik.212 An den Grundschulen gibt es zusätzlich dienstags und mittwochs in der Schulzeit Kinderopern-AGs.213 Intensivprobenwoche: Ein besonders wichtiges Element im Probenprozess ist der einwöchige Aufenthalt in der Bildungsstätte der Caritas Bad Saarow e. V. In der letzten Ferienwoche in den Sommerferien wird ein Kinderoperncamp in Bad Saarow am See durchgeführt. Während dieser Freizeit gibt es jeden Tag morgens und nachmittags eine Probe. Außerdem finden Gespräche mit den Künstlern, mit der Dramaturgie und dem Regisseur statt (Lux-Hahn 2015, 3). Die Pädagogen erleben hier ein besonders intensives Arbeiten, weil die Kinder aus ihren elterlichen und schulischen Bindungen gelöst sind und sich so besser auf die Arbeit einlassen können. s gab den Moment, an dem den Kindern klar wurde, wir w E ­ ollen sie nicht belehren, wir wollen einfach nur dafür sorgen, dass sie gut dastehen auf der Bühne. Das ist für viele, die nur mit ­Lehrern in der Schule zu tun haben, eine neue Erfahrung. Das ist der Punkt, an dem es umschlägt. Ich glaube, dieser Punkt ist in Bad Saarow passiert, dort, wo die Kinder mal ganz losgelöst von Eltern, ­Schule, Umgebung sein konnten (Haselmann 2015, 2). Dieser Effekt wird durch klare pädagogische Regelungen unterstützt. Festgelegt ist beispielsweise, dass erst nach 18.45 Uhr telefoniert werden darf. Spielkonsolen sind verboten. Dieser Teil der Arbeit wird von vielen Kindern nicht als Arbeit, sondern als Freizeit empfunden: »Es gibt Kinder, die sagen mir: ›Regina, das war mein schönster ­Urlaub‹« (Lux-Hahn 2015, 3). Endproben: Nach den Sommerferien findet an mehreren Samstagen ein Workshop von 10 bis 14 Uhr im Steinhaus statt. In den »Üb-Einheiten« der Workshops wird je nach Bedarf szenisch, tänzerisch, chorisch, solistisch oder an den Instrumenten geprobt. Auch Einzelrollengespräche werden geführt. Die Aufführungen und die letzte Probenwoche finden seit den letzten Jahren in den Herbstferien statt. Grundsätzlich gibt es etwa acht Endproben in den Räumen der Staatsoper. Nach dem Umzug der Staatsoper in die Räumlichkeiten des Schiller Theaters finden diese Proben auf der Bühne der Werkstatt statt. Die Kinder können also sofort in dem Raum probieren, in dem auch die Premiere stattfindet.

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Der Probenprozess des Kinderopernhauses zeichnet sich durch Regelmäßigkeit (Proben im Steinhaus und AGs in den Schulen), durch das Einhalten von kindgerechten Konzentrationsphasen (Staatsoper Unter den Linden 2010, 9), aber auch durch Abwechslung aus.214 Entscheidend ist, dass die regelmäßigen Proben in vertrauter Umgebung und mit dem gleichen Betreuungspersonal stattfinden. Die Sozialpädagogen sind während aller Proben anwesend und betreuen die Kinder vor allem in den Pausen, auf dem Weg zur Staatsoper und in den Freizeitphasen der Intensivprobenwoche (Lux-Hahn 2015, 2). Anders als am Stadt- und Staatstheater, wo die Anwesenheit beispielsweise eines Mitglieds der musikalischen Abteilung aus dispositorischen Gründen nicht immer zu gewährleisten ist, sieht das Kinderopernhaus grundsätzlich die Anwesenheit aller Betreuer vor. Dadurch entsteht ein hohes Maß an Verlässlichkeit. Wichtig im Arbeitsprozess ist darüber hinaus, dass sozial bedingte Probleme – Stören, Traurigkeit, Wutanfälle usw. – sofort durch die Sozialpädagogen aufgefangen und, wenn nötig, durch kurzfristiges Herausnehmen des Kindes aus der Gruppe gelöst werden können. In einer Regiesitzung werden soziale und künstlerische Fragen regelmäßig besprochen.215

Lernen durch Begegnung: Der Responsegedanke

Ganz bewusst suchen Staatsoper und Kinderopernhaus nach einem Projekt, bei dem man Material aus der Originalvorlage verwenden kann.216 Doch der Leiter der Jungen Staatsoper hat alle Mühe, im ­Repertoire von 2009 ein Stück zu finden, das sich für eine kindliche »­Antwort« eignet. Der vor allem durch die großen romantischen Stücke geprägte Spielplan bietet keine Anknüpfungspunkte für eine kindliche Erfahrungswelt. »Wir haben auf der großen Bühne nichts, was mit Kindern irgendwie kompatibel ist: Parsifal, der ganze Wagner, Verdi – das sind alles keine Kinderopern« (Brinkmann 2014, 3). Nachdem sich die Leitung doch für L’Étoile entscheidet, wird der Responsegedanke ausgebaut: Die Kinder besuchen Proben an der Staatsoper zur ­L’Étoile-Produktion und werten ihre Erlebnisse aus.217 Von der Begegnung gehen wichtige Impulse für die Kinder aus, weil sie hier zum ersten Mal ihre Figur von außen sehen und sie leichter in den Kontext des Stücks einordnen können (Brinkmann 2014, 7). Das Lernen durch Nachahmung und die Erarbeitung von Rollenmodellen und musikalischen Nummern wird produktiv, weil es einen direkten Vergleich und ein Vorbild gibt.

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4.  Das sozial-ästhetische Kunstwerk mit Sternzeit F A S

Wichtig ist außerdem, dass die Kinder selber in der Staatsoper Endproben für Sternzeit F A S absolvieren.218 Die meisten Kinder treffen durch das Kinderopernhaus zum ersten Mal auf ein Opernhaus. Den Aufführungsort bereitzustellen, gehört zu den zentralen Beiträgen der Staatsoper: »Das Wichtigste war, dass wir es möglich gemacht hatten, bei uns im Hause Aufführungen zu machen« (Brinkmann 2014, 2). Allein das Betreten des Hauses, die äußere Beschaffenheit des Bauwerks und die Einrichtung seiner Arbeitsräume wird von den Kindern als eindrücklich erlebt.219 Die Wahrnehmung des professionell konnotierten Innenraums löst in der Spielhaltung und im Selbstverständnis der Teilnehmer wichtige Impulse aus. Sie vermittelt das Gefühl, ernstgenommen zu werden und für die Aufführung Verantwortung zu tragen: »Durch den Raum erfahren die Kinder eine andere Selbstwirksamkeit. […] Es stellt sich das Gefühl ein: Ich darf auf der Bühne stehen […]. Der Raum gibt der Aufführung eine Bedeutung. Ich glaube, dass der Raum für die Aufführung mit Kindern ganz entscheidend ist« (Haselmann 2015, 1).

4.2 Vorlage: Emmanuel Chabriers Singspiel L’Étoile

Emmanuel Chabriers (1841–1894) L’Étoile feierte seine Uraufführung am 28. November 1877. Die opéra bouffe – ein Singspiel mit viel gesprochenem Dialog – kam am Théâtre des Bouffes-Parisiens heraus. In dem vom Vorbild Jacques Offenbach 1855 gegründeten Theater war die Aufgabe des damals noch unbekannten Chabrier, eine musikalische Komödie zu schreiben, die dem Anspruch eines sozial gehobenen Publikums entsprach. Chabrier und seine Librettisten Eugène Leterrier (1843–1884) und Albert Vanloo (1846–1920) experimentierten dafür mit den typischen Ingredienzen einer Offenbachiade: mit einer gut gebauten Handlung, bei der sich eine humoristische Liebesgeschichte und eine politische Intrige kreuzen, mit der Verspottung von Standespersonen und einer Ironisierung des Zeitgeists. Die Melodien des Stücks sind raffiniert und mit einer vergleichsweise kleinen Offenbachschen Orchesterbesetzung spielbar.220 Die Adaption des Kinderopernhauses dauert eine Stunde und 45 Minuten (ohne Pause). Zwar gibt es viele Striche, aber grundsätzlich folgt die Handlung von Sternzeit F A S ihrer Vorlage: König Ouf sucht nachts in Verkleidung nach einem Delinquenten für die traditionelle spektakelhafte Hinrichtung am Staatsfeiertag. Aber niemand aus seinem Volk ist böse bzw. dumm genug, sich von den Provokationen des

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Königs zu einem politischen Fehlverhalten hinreißen zu lassen. Nur der hübsche und einfältige Hausierer Lazuli gibt dem König ein paar Ohrfeigen. Lazuli sitzt schon auf dem Pfahl, der ihn durchbohren soll, als der Hofastrologe Siroco bekannt gibt, dass Ouf 24 Stunden nach Lazuli sterben muss – so stünde es in den Sternen. Lazuli wird sofort begnadigt und fortan wie ein Prinz behandelt. Allerdings hält er es im Schloss nicht lange aus. Schon vor seiner schicksalhaften Begegnung mit dem König hatte er sich in eine junge Unbekannte verliebt, die er wiederfinden will – die Prinzessin Laoula, die eigentlich den König heiraten soll. Auf seiner Flucht wird Lazuli vermeintlich von einer Kugel der Garde getroffen. Man hält ihn für tot. Der König muss damit rechnen, am nächsten Tag umzukommen. Aber der vorherbestimmte Tod tritt nicht ein. Die bevorstehende Hochzeit zwischen Ouf und Laoula verhindert der wieder auftauchende Lazuli, indem er damit droht, sich umzubringen (was ja den Tod des Königs zu Folge hätte). Im großen Finale stiftet der selbstherrliche Herrscher Frieden: Er verzichtet auf Laoula und macht Lazuli zu seinem Erben.

4.3 Spielfassung: Kleine Abschnitte zum Singen oder Sprechen

Die Spielfassung für Sternzeit F A S ist eine Bearbeitung der Originalvorlage, deren Nummern fast vollständig erklingen. Der Anteil des vom Orchester zu spielenden musikalischen Materials steigt im Probenprozess kontinuierlich an (Brinkmann 2014, 4 f.). Neben der Musik des Singspiels gibt es weiteres textliches und musikalisches Material (das Volkslied Der Mond ist aufgegangen sowie Gedichte von Rainer Maria Rilke) und umgangssprachliche Spieltexte. Das Regieteam und der Dirigent bearbeiten die originalen musikalischen Gesangsnummern mit zahlreichen Eingriffen, um das Material für Kinder zu portionieren und um es sing- bzw. rezitierbar zu machen. Zu nennen sind dabei vor allem Verkürzungen bzw. Extrahierungen von musikalischen Phrasen, Zusammenlegung (unisono) von einer solistisch notierten Stimme bzw. umgekehrt Vereinzelung (solo) einer sonst chorisch gesungenen Phrase. Oft ersetzt auch Sprechen den Gesang, das genau dem ursprünglichen rhythmischen Muster folgt und klar formalisiert bleibt. Auch Sprechgesang zu Musik (Melodram) ist ein häufig eingesetztes Mittel. Ein gutes Beispiel für die Bearbeitung ist der Auftritt des Chors in der ersten Szene: Das Orchester spielt die Introduktion, in der durch dunkle Klangfarben (tiefe Klarinetten) die nächtliche, unheimliche

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Atmosphäre (Streichertremolo) der Anfangsszene vorbereitet wird. Der Chor des Volks singt eine Tonrepetition und wiederholt sie eine Quinte tiefer: »Nehmt euch in Acht, nehmt auch in Acht!« Damit ist auf kleinstem Raum und musikalisch auf denkbar einfache Weise ausgedrückt, worauf es ankommt: Gefahr! Danach – das musikalische Material wird komplizierter – folgt rhythmisierter Sprechgesang: »Man sagt, dass unser König, still und unbewacht, man sagt, dass unser König allein herumstolziert bei Nacht!« Die musikalisch griffigere Schlussphase singen die Kinder dann wieder: »Und dann schleicht er, kann’s nicht lassen, ganz verstohlen bis zum Morgen durch die Gassen.« In dieser Bearbeitung des Anfangs stecken alle wichtigen szenischen Informationen, wobei die musikalische Textur der Chornummer erhalten bleibt. Die Abwechslung zwischen Singen, Sprechen und Sprechgesang lockert das Geschehen auf und da am Anfang und am Schluss des Auftritts gesungen wird, ergibt sich sogar eine formgebende musikalische Klammer. Hauchen, Sprechen, Singen, Flüstern oder Schreien – Regieteam und musikalische Abteilung versuchen eine große Variationsbreite herzustellen. Dabei orientieren sie sich an den szenischen Anforderungen und im Zweifelsfall eher am musikalischen Ausdruck als an der gesangspädagogisch gediegenen Methode. Sternzeit F A S zeigt, dass im partizipativen Musiktheater das Modell des klassischen Singens lustvoll erweitert wird. Es geht um musikalischen Ausdruck mit der Stimme, die nicht nur als Vermittlerin von Information (Text), sondern als Musikinstrument benutzt wird.

4.4 Inszenierung: Mehrfachbesetzung als Spielprinzip

Die Inszenierung folgt einem einfachen Raumkonzept des Bühnenbildners Claas Hoffmann. Die Bühne ist leer bis auf drei von selbst stehende, gestufte Wände, die sowohl den Innenraum des Palastes als auch einen öffentlichen Platz andeuten können. Die Wände sind für Szenenwechsel von den Kindern leicht zu verrücken und lassen durch ihre optische Zurückhaltung sowohl die Figuren als auch einzelne, den Raum definierende Möbelstücke – wie z. B. den Thron – deutlich hervortreten. Die Rückwand der Bühne besteht aus einer Opera-Leinwand, auf die von vorne Lichtstimmungen und Sterne aus Licht (Gobos) geworfen werden können. Eine Kugel, die mit Spiegelplättchen beklebt ist und sich drehen kann (Diskokugel), sorgt an ausgewählten Stellen für einen stimmungsvollen »Sternenhimmel«. Bereits auf der Ebene

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des Raums spiegeln sich die Organisationsbedingungen im künstlerischen Produkt: Die gesamte Dekoration passt in einen kleinen Lieferwagen – sie muss zu den Proben schnell transportiert und an den unterschiedlichen Spielorten schnell aufzubauen sein. Alle der wenigen Elemente tragen den Charakter einer professionellen Fertigung. Kein Dekorationsteil weist auf einen Selbstherstellungsvorgang von Laien oder Kindern hin. Außerdem lenkt die Zurücknahme im Bühnenbild aktiv den Blick des Zuschauers auf die zentralen Bedeutungsträger, die dadurch umso wirksamer hervortreten: die darstellenden Kinder. Die Regie teilt ihre Darsteller in drei Gruppen ein: in das Volk des König Ouf, in einen kommentierenden »Sterne«-Chor und in die Gruppe der Solisten. Diese Einteilung resultiert aus der Notwenigkeit, die Masse von siebzig Kindern zu ordnen. Der Grad der Zergliederung nimmt auf der Ebene der solistischen Rollen noch einmal zu. Alle diese Rollen sind dreifach besetzt – in jedem Akt ist ein anderes Kind an der Reihe. (Die Rolle des Siroco wird sogar im dritten Akt nochmals aufgeteilt, sodass insgesamt vier Jungen und Mädchen einen Teil der Rolle spielen können.) Um kenntlich zu machen, um wen es sich handelt, kleidet die Kostümbildnerin Monique van den Bulck die Hauptfiguren in charakteristische, auch die Körperformen verändernde Kostüme; beispielsweise krümmt Siroco ein falscher Buckel und er trägt einen hohen kegelförmigen Hut. Die Unterteilung hilft, das Stück aktweise proben zu können und Pausen für die nichtbeteiligten Kinder zu generieren. Gleichzeitig bietet die Mehrfachbesetzung die Möglichkeit voneinander zu lernen.

Der Responsegedanke in der professionellen Rahmung

Anders als es bei Aufführungen von Schülern vielleicht der Fall wäre, empfängt den Besucher ein professionell konnotierter Theaterraum. Keine zur Theaterbühne umfunktionierte Schulturnhalle, sondern die Räume der Staatsoper bzw. in den späteren Vorstellungen die des ­Theaters an der Parkaue (große Bühne) rahmen das ästhetische Geschehen. Der Zuschauer durchschreitet ein Foyer, genießt die Bewirtung, nimmt auf gepolsterten Theaterstühlen Platz und begrüßt den sich verbeugenden Dirigenten mit Applaus.221 Wie bei einer Vorstellung im Abendspielplan lässt der Dirigent das Jugendorchester aufstehen und gibt dem Publikum die Gelegenheit, auch die jungen Instrumentalisten mit Applaus zu begrüßen. Diese professionelle Rahmung wird fortgesetzt, wenn die Sicht frei wird auf ­maßgeschneiderte Kostü-

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me. Grundsätzlich zitiert die Bühnenbildnerin das Biedermeier – beispielsweise im langen Kleid der Prinzessin mit der hohen Taille und bei den napoleonisch inspirierten Uniformen der Garde, macht aber auch Anleihen bei älteren und neueren Zeiten, was dem Kostümbild insgesamt eine märchenhaft-fantastische, teilweise auch humoristische Prägung gibt.222 Auch die professionelle Maske und die auf den Wangen der solistisch singenden Kinder eingerichteten Mikroports unterstreichen die professionelle Rahmung. Auch wenn die Lichtführung keine inszenatorischen Akzente setzt, wird klar, dass die Vorstellung von professionellen Stellmeistern gefahren wird. Kurz: Die Inszenierung wird fast ausschließlich durch kindliche Darsteller ­getragen, alle Backstagebereiche sind von erwachsenen Professionellen besetzt. Nach dem Prolog der »Sterne« erklingt die vollständige, zehnminütige Ouvertüre, die nur gegen Ende sparsam inszeniert ist – Siroco schaut mit seinem Fernglas in den Himmel. Spätestens jetzt weiß der Zuschauer, dass er sich in der Welt der klassischen Musik, aber auch in einem Theater befindet, in dem Referenzrituale gelten. Was also ­Vorsatz und Umsetzung der Arbeitsweise bestimmte – das Lernen am professionellen Gegenstand, die Begegnung mit dem professionellen Theater und ihren Künstlern –, findet auch ihren Ausdruck in der D ­ arstellungsform.

Chorische Sonderrollen in der offenen Form

Noch bevor das Stück beginnt, tritt der erste »Chor der Sterne« auf: In blauer Nachtbeleuchtung und vor projiziertem Sternenhimmel betreten zehn Kinder in weißen, langen Kleidern die Bühne. In erweiterter Besetzung wird dieser Sternenchor noch fünfmal den Lauf der Handlung wie ein kleines Intermedium unterbrechen. Diese Spielebene ist eine Erfindung der Regie, sie spielt auf den Titel des Responsestücks und auch auf das ironisch dargestellte Thema in L’Étoile an: den Glauben, dass unser Schicksal in den Sternen steht und dort zu lesen sei. In einer Art Prolog kommt jedes Kind mit einer anderen Spielhaltung auf die Bühne. Es handelt sich um verschiedene Sternrollen.223 Im Gestus seines Sterncharakters spricht jedes Kind einen Satz aus Gedichten von Rainer Maria Rilke.224 Das Orchester unterlegt die Satzfragmente – »Sieh, der Tag verlangsamt sich«, »Sei in dieser Nacht aus Übermaß / Zauberkraft am Kreuzweg deiner Sinne« – mit einem durchgängig gehaltenen C-Dur-Akkord, in dem bereits – sehr langsam gespielt – die Melodie von Der Mond ist aufgegangen erklingt. Ein Mädchen singt eine Strophe aus dem berühmten Schlaflied nach dem Text von Matthias

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Claudius und der Chor der Sterne antwortet mit einer gesummten Strophe. Die Sterne kommen auch im großen Finale zu Wort. Sie zitieren nochmals Gedichtfragmente225 und schlagen damit einen Bogen zum Anfang. Dann erklären sie Lazulis Verhalten – was sich durchaus als übergeordnetes Motto des Abends verstehen lässt: »Weil er an Wunder glaubt, geschehen auch Wunder. Weil er sich sicher ist, dass seine Gedanken sein Leben verändern können, verändert sich sein Leben.« Die erfundene Ebene der Sterne erlaubt es der Regie, innerhalb des finalkausalen Ablaufs des Stücks retardierende und kontrastierende Momente zu schaffen. Es handelt sich um eine Ebene der Gegenwart und der Zeitgenossenschaft. Der Kunstgriff ermöglicht, Alltagssprache einzuflechten. Außerdem eröffnet er den Kindern, die sich mit solistischen Aufgaben schwertun, eine Chance auf kleine solistische Momente, ohne dass dafür in den laufenden Spieltext eingegriffen werden müsste. Auch Neuzugänge sind leichter in den »Chor der Sterne« zu integrieren. Das Regieteam kann Vorgänge innerhalb der Intermedien bis zu den Endproben offen lassen. Ist der Abstand zwischen Darsteller und Rolle im restlichen Stück groß – weil Kinder Erwachsene spielen, die in politische oder erotische Intrigen verwickelt sind – sind die Kinder in den Intermedien mehr Darsteller ihres kindlichen Selbst. Die Ebene der Sterne ist die philosophische Ebene der Inszenierung, die Sterne sind Wesen der Draufsicht und des Reflektierens – auf die beteiligten Figuren, aber auch auf die Themen des Stücks. Ihre Botschaft ist mehrdeutig: Sie besingt die Kraft des Glaubens und des Träumens226 – im Gegensatz zur blinden Astrologengläubigkeit eines König Ouf. Sie bezieht sich aber auch auf das Spannungsverhältnis von Determinierung des Menschen und seiner Möglichkeit, sich frei zu entfalten. Im Kontext des Kinderopernhauses führt das zur sozialen Situation ihrer Darsteller. Wie weit gilt die Vorbestimmtheit eines Lebenswegs durch das soziale Milieu?

Der Responsegedanke als szenischer Vorgang

Ein Moment der Inszenierung mit klassisch konnotiertem Operngesang verdient besondere Beachtung. Zum ersten Mal tritt eine professionelle Sängerin auf und interagiert mit einer kindlichen Darstellerin. Die Situation ergibt sich aus folgendem Geschehen: Der Zuschauer sieht, wie sowohl Lazuli als auch die Prinzessin Laoula, unabhängig voneinander – sie sind noch getrennt und wissen nicht,

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ob sie sich je wiedersehen – »ihren kleinen Stern« beschwören, der ihnen Liebesglück bescheren soll. Für die anschließende komplette ­Sternenromanze tritt dann die Darstellerin der Laoula zusammen mit einer professionellen Sängerin auf. Beide bewegen sich synchron, so als wäre die erwachsene Laoula ein Schatten der kindlichen Laoula. Die kleine Laoula singt noch einmal die erste Phrase der Arie und die »große« Laoula fährt auf Französisch fort – der Originalsprache in der die Inszenierung auf der großen Bühnen der Staatsoper erklingt – und singt die Sternenromanze zu Ende. Der kindlichen Darstellerin der Laoula gelingt es, über weite Strecken ihres kleinen, weniger als eine Minute währenden Solos den Ton zu stabilisieren (Stütze), sodass er gleichmäßig schwingt und nicht »bricht«; durch winzige Intonationsschwankungen (Tremolo) verleiht sie ihrer Stimme Volumen; gleichzeitig verbindet sie jede Note miteinander (Legato) und atmet an musikalisch und ausdrucksmäßig sinnvollen Stellen. Kurz: An dieser und nur an dieser Stelle gibt es eine Anmutung von klassischer Gesangstechnik durch die kindlichen Darsteller und einen deutlichen Hinweis auf das elaborierte Gesangstraining durch den Gesangspädagogen. Nimmt man diese Leistung als Sonderstellung in den Blick, werden aber auch die Grenzen klassischen Gesangscoachings für eine Gruppe von siebzig Kindern deutlich. Inszenatorisch bemerkenswert sind auch die vier anderen Interaktionen zwischen professionellen Sängern und kindlichen Darstellern, bei denen die erwachsenen Sänger als Verdopplungen ihrer kindlichen Rollenzwillinge inszeniert sind. Die kindlichen Rollen stehen im Vordergrund und werden schattenhaft, wie ein Doppelgänger ergänzt, nicht umgekehrt. Die Kinder bleiben die Hauptpersonen. Die Beteiligung professioneller Sänger versinnlicht den Responsegedanken und macht den Arbeitsprozess für den Zuschauer sichtbar.

4.5 Zur Absicht von Partizipation: Schulung des Handwerks oder freie Kunstausübung?

Ändert sich der Blick auf ein Kunstwerk, wenn man um seinen ethischen Wert weiß? Ist es möglich, die positiven Transfereffekte einer partizipativen Musiktheaterproduktion (Kulturelle Bildung, künstlerische und soziale Fähigkeiten) von der Beurteilung des Ergebnisses auszuklammern? Wenn der Zuschauer bei Sternzeit F A S bereit war, ein künstlerisch mildes Urteil walten zu lassen, weil ja »nur« überwiegend Kinder auf der Bühne stehen, werden seine Erwartungen überra-

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schend gewendet. Die Inszenierung trägt zwar die Insignien eines für Laien eingerichteten und von Laien dargestellten Werks, gerät aber darin auf ein künstlerisches Niveau, das weit von herkömmlichem Schulmusiktheater entfernt ist. ieser Sog, den wir vom Theater […] kennen, der so wahnsinnig D stark war, gerade bei der Premiere: Es waren nur erwachsene Zuschauer da, die haben 20 Minuten Standing Ovations geklatscht. Natürlich war auch die Dimension im Spiel: »Das sind unsere Kinder.« Aber darüber hinaus hatte das eine Stärke, die ich nie wieder erlebt habe, nicht vorher und nicht hinterher (Brinkmann 2014, 5). Die Inszenierung Sternzeit F A S erreicht darstellerisch, sängerisch und im Gebrauch der theatralen Mittel – auch die Abwechslung von stillen und lauten, bewegten und ruhigen, Einzel- und Gruppenszenen ist gemeint – eine enorme Wirkung. Die Financial Times bemerkt: »The professionalism was breathtaking« (Apthorp 2010). Die Reflexion darüber, dass Kinder mitwirken, die am künstlerischen Prozess kulturell und sozial lernen sollen, schwindet über lange, fesselnde, komische und rührende Passagen gänzlich aus dem Blick. Das bedeutet nicht, dass die Kinder unauthentisch oder »gedrillt« spielen. Im Gegenteil: In der Inszenierung gelingt es, die kindliche Spielweise in einen Kontext einzubetten, der genau aus dem Abstand zwischen kindlicher Darstellungsart und erwachsener Rolle komischen Nutzen zieht. Die kindliche Spielweise entlarvt die Figuren. Man muss unwillkürlich lachen, wenn aus Kindermund die politischen Ansichten eines Staatsoberhaupts erklingen: »Wo sind sie denn alle, die Attentäter und Verräter? […] Mein Volk ist politisch unterentwickelt!« Der Reiz der Spielweise in Sternzeit F A S kommt über weite Strecken zum Tragen, nicht, obwohl Kinder spielen, sondern, weil Kinder spielen. Allerdings ist dieser Wirkungsmechanismus nur für den Erwachsenen Zuschauer voll begreiflich, der den Lebensbereich von Erotik und Politik, von Pseudowissenschaftlichkeit (Sternguckerei, Astrologie) und Vertragsabhängigkeit (Testament) und die Spielarten von Diplomatie, politischer Intrige und bürokratischer Dünkelhaftigkeit kennt. Die teilweise überraschten Reaktionen der Darsteller bei Lachern deuten darauf hin, dass ihnen die Dimension ihres Bühnenhandelns nicht voll bewusst ist. Diese Darstellungsform wirft Fragen auf, die in unterschiedliche Richtungen weisen. Die erste betrifft das Publikum: Für wen wird

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eigentlich gespielt? Das Amüsement der Eltern und erwachsenen Beteiligten zur Premiere ist groß. Aber wie erleben Kinder diese Form des partizipativen Musiktheaters? Der Erfolg – gemessen wiederum am Applaus, aber auch am konzentrierten Zuschauen zur Bühne des Theaters an der Parkaue – ist dem Stück auch vor Schulklassenpublikum beschieden. Weshalb? Weil Respekt herrscht vor dem Mut, (solistisch) aufzutreten, zu singen und zu spielen? Weil die darstellerische Arbeit der Kinder so höchst professionell gerahmt ist? Aufgrund der theatralen Mittel, den Lichtstimmungen, dem großen Orchester, den professionellen Sängern? Es steht zu befürchten, dass die Schönheiten musiktheatraler Vorgänge – gestische Vielgestaltigkeit des Gesangs, Zusammenwirken von Thema (des Librettos) und Musik (im Orchester), Wechselspiel von musikalischem Ausdruck zwischen Sänger und Orchester usw. untergeht, weil andere Reize im Vordergrund stehen. Damit liefe die Inszenierung im Sinne von Aufführungsrahmung und Gattungskonventionen Gefahr, einen überkommenen Begriff von Musiktheater zu übertragen, bei dem das Spezifikum von Musiktheater in den Hintergrund tritt. Nun hat das Kinderopernhaus vor allem einen Anspruch an den Prozess, nicht an das Ergebnis. Die Aufführung ist lediglich der notwendige Abschluss des Probenprozesses. Gibt es einen elaborierten pädagogischen Begriff von Musiktheater für die teilnehmenden Kinder, ist ein künstlerischer für die Zuschauer nicht in gleicher Weise entwickelt worden. Die Inszenierung spiegelt indes den Begriff von Partizipation deutlich wider. Sie orientiert sich stärker an der professionellen Aufführung als an den Eigenheiten der kindlichen Darsteller. Sternzeit F A S wird damit für die kindlichen Zuschauer zu einem Erstkontakt mit einem höchst komplexen, womöglich nicht ganz zu verstehenden Stück, das seine Faszination sowohl durch Fertigkeiten der Darsteller als auch durch eine starke Form und seine klare Liebesgeschichte erhält. Dem Ideal des Kindermusiktheaters, seinem Publikum entgegenzukommen (spezifisch kindliche Lebenswelt, Verständlichkeit der Handlung und des Milieus, nachvollziehbarer Konflikt usw.), kommt Sternzeit F A S nicht nach, bietet in seiner Fremdartigkeit aber auch jene Geheimnisse und formale Rätsel an, die ein Kunstwerk attraktiv machen. Wichtiger als für die Außenwirkung ist das Ergebnis von Sternzeit F A S für die Reflexion der pädagogischen Methode. Welche Form des partizipativen Musiktheaters soll zur Anwendung kommen: die perfekte Nachahmung eines professionellen künstlerischen Vorgangs – eine

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Schülerin singt einen Teil von Laoulas Arie – oder die Entfaltung der eigenen Kreativität anhand freier Improvisationsaufgaben – ein Schüler musiziert an selbstgebauten Instrumenten und stellt frei Geräusche her? Überspitzt gefragt: Macht das Kinderopernhaus ihre Schützlinge zu Marionetten, wenn es sie so früh an klassischem Operngesang orientiert, und gibt es ihnen einen Begriff von Musiktheater auf den Weg, von dem sich das zeitgenössische Musiktheater für Kinder zu entfernen versucht? Wenn im Diskurs eines zeitgenössischen Musiktheaters für Kinder dazu geraten wird, neue, gegenwärtige Musik mit einem Libretto bzw. einem Stoff zu verbinden, die direkt für den kindlichen Erfahrungsbereich zugeschnitten sind (Mannheimer Manifest), widersetzt sich das Kinderhaus beidem. Es bedient sich alter Formen in der Arbeitsweise wie auch in der Spielvorlage. Damit entfernt sich das Kinderopernhaus von einem experimentellen Ansatz, der in Performancegruppen, elaborierten Jugendclubs, im dokumentarischen Theater und nicht zuletzt in der Bürgerbühnenbewegung erfolgreich ausprobiert wird. Man kann im adaptiven Zugang des Kinderopernhauses ein Modell von Theaterpädagogik sehen, das näher an Adaption als an Kreation, näher an Handwerk als an Schöpfung und näher an Schule als an Theater angesiedelt ist. Aber wie sähe eine alternative Heranführung aus? Der Methode der Szenischen Interpretation gelingt es, an den vorhandenen Fähigkeiten des Kindes anzusetzen; sie umgeht absichtlich technische Fähigkeiten und versteht sich nicht als Ausbildungsorgan musikalischer Grundlagen. Man »steigt« in ein Stück, in einen Stoff und eine Figur »ein«. Wird das der Gattung des Musiktheaters, deren Medium Gesang und gestaltete Musik ist, vollständig gerecht? In der Methode des Kinderopernhauses liegt eine Möglichkeit, die Kunstform auch in seinen Schwierigkeiten adäquat und am eigenen Leib zu vermitteln. »Ich glaube, man lernt grundsätzlich sehr viel durch Imitation. Das gilt jedenfalls für den Gesang. Über CDs, den Lehrer, den Gesangsunterricht, das Abschauen funktioniert ganz viel in der Musik« (Haselmann 2015, 1). Die moderne Theaterpädagogik (vor allem des Schauspiels) hat es über Jahrzehnte hinweg geschafft, Formen zu entwickeln, die einen unmittelbaren Zugang zu performativer Kunst ermöglichen, die nicht durch die ehrfürchtig bestaunte Kluft des Handwerks entrückt ist. Man kann in der Ausbildungsform des Kinderopernhauses einen Rollback sehen, der zwar Kunst zugänglich macht, dabei aber ganz konventionelle Kulturpraktiken der Oper schult, die immer im Verdacht standen, eine Zugangsbarriere zu sein. Die Frage ist, ob sich nicht

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5.  Fazit: Soziopädagogische Strukturen als Notwendigkeit Kindermusiktheaters

genau darin eine Möglichkeit verbirgt, eine anspruchsvolle Kunst adäquat zu vermitteln und darauf zurückzukommen, was Musiktheater eben auch ausmacht: Musikverständnis, Technik und Handwerk. Sind Grundschüler nicht auf ein gewisses Maß an nachahmender Orientierung angewiesen, das anschließend wieder Raum für freie musikalische Improvisation geben kann? Der Konflikt zwischen technischer Perfektion im Ergebnis und freier Entfaltungsmöglichkeit bestimmt auch die Diskussionen im Kinderopernhaus während der Proben. Es wäre vorschnell zu sagen, er hätte klare Parteigänger wie z. B. Regieteam vs. Pädagogenteam oder Regieteam vs. Leitung gehabt, denn in diesem Punkt liegt ja auch ein Widerspruch in der Konstruktion des Lerngedankens des Kinderopernhauses selbst: Die professionelle Aufführung wird angestrebt, sie ist das vielbeschworene, unersetzliche Ziel des ganzen Arbeitsprozesses. Das Kinderopernhaus entscheidet sich nach Sternzeit F A S, der »künstlerischen Freiheit«, dem freien Spiel, der Improvisation, dem kindlichen Zugang mehr Raum zu geben. Alle späteren Projekte geben den Kindern – beispielsweise durch die Gründung des Orff-Ins­ trumente- und Geräuschorchesters – mehr Möglichkeiten in die Hand. Verzichtet wird dabei aber auf eine gewisse Strenge des Responsegedankens und auf technische Perfektion bei den Vorstellungen. Im Wechselspiel von adaptivem Lernen und freier Anwendung lotet das Kinderopernhaus dabei das Spannungsfeld partizipativen Arbeitens aus.

5. Fazit: Soziopädagogische Strukturen als Notwendigkeit ­partizipativen Kindermusiktheaters

Die Koproduktion zwischen einem der größten Wohlfahrtsverbände und einem international agierenden Opernhaus ist bundesweit einmalig. Die Vorteile für beide Partner liegen auf der Hand: Das Kinderopernhaus Lichtenberg gewinnt durch die Zusage ihres künstlerischen Partners alle positiven Konnotationen, die sich mit dem Namen Staatsoper Unter den Linden verbinden. Dies ist nicht nur Hochkulturnobilität, sondern auch künstlerische Glaubwürdigkeit. Da das Kinderopernhaus die Infrastruktur der Staatsoper im Rahmen ihrer Projekte nutzen darf, ergeben sich wichtige Kontakte. So ist es möglich, mit Sängern und Instrumentalisten zusammenzukommen sowie professionelle Unterstützung bei der Dramaturgie und im Finden von

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geeigneten Regieteams zu erhalten. Durch die bei der Staatsoper liegende Richtlinienkompetenz in künstlerischen Fragen vermag das Kinderopernhaus auf einen Schlag – es ist ja in seinem Gründungsjahr noch keine gewachsene Institution – auf künstlerisch hohem Niveau zu agieren. Die Staatsoper gewinnt umso mehr durch die Kooperation. Sie wird durch ein gut funktionierendes soziales, aber auch finanzielles und politisches Netzwerk bereichert. Und was der prestigeträchtige Name der Staatsoper für das Kinderopernhaus ist, ist umgekehrt das Image des Stadtteils Frankfurter Allee Süd als »sozialer Brennpunkt« ein öffentlicher Ausweis dafür, dass sich die situierte Staatsoper nicht nur um ihr Stammpublikum kümmert. Die Zielgruppe aus einem weniger zentral gelegenen Stadtteil setzt sich dabei nicht nur aus Kindern und ihren Eltern, sondern zusätzlich aus Kommunikatoren aus Schule, Kindergarten, Hort und sozialen Verbänden zusammen. Der entscheidende Vorteil, den die Caritas in die Zusammenarbeit einbringt, ist es, sowohl Räume als auch ausreichend geschultes und gut organisiertes Betreuungspersonal bereitstellen zu können. Über diese Kapazitäten verfügt selbst ein großes und vergleichsweise gut ausgestattetes Haus wie die Staatsoper nicht. Außerdem sorgt das Kinderopernhaus für die Nachhaltigkeit in der Organisationsstruktur. Das Alleinstellungsmerkmal der Kinderoper Lichtenberg als Modell eines partizipativen Kindermusiktheaters ist die besondere soziale Verankerung im Stadtteil. Es werden Kinder angesprochen, die womöglich noch nie im Theater waren. Damit umgeht das Kinderopernhaus die Schwellenproblematik, die bei vielen partizipativen Kindermusiktheaterprojekten an Stadt- und Staatstheatern ungelöst bleibt, weil nur die Kinder und Jugendlichen erreicht werden, die durch Eltern, Schule oder auch Chor bereits einen Bezug zum Theater aufgebaut haben. Die Vermittlung eines Erstkontakts wird durch einen weiteren Aspekt verstärkt: Die meisten Schüler treten neu ins Kinderopernhaus ein und nur der kleinere Teil hat bereits ein Jahr Kinderopernhauspraxis absolviert und kann auf bereits Geübtes zurückgreifen. Neueinsteiger erweitern das Publikum. Der Zulauf des Kinderopernhauses wächst, weil sich der Kreis der Ehemaligen erweitert. Von hier aus betrachtet ist Partizipation ein wichtiges Mittel des Audience Development. Es geht dabei nicht nur um Zahlen, sondern auch um die Integrität und Identifikation stiftende Kraft der Institution. Das Kinderopernhaus hat sich auf kindliche Bedürfnisse spezialisiert. Dies betrifft Betreuung (hoher Betreuungsschlüssel, Rundumbetreuung bei allen Probenphasen, kindgerechte Aktivitäten in der

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5.  Fazit: Soziopädagogische Strukturen als Notwendigkeit Kindermusiktheaters

Intensivprobenzeit), Belastung (kurze Proben, wenig Abendtermine, keine fünf Probentage hintereinander) und Rhythmus der Probenphasen (regelmäßiges wöchentliches Proben, gestreckte Lernzeit). Nicht nur die Pädagogen müssen besonders geeignet sein, grundlegende Vermittlungsarbeit zu leisten. Auch die Regisseure sollen die pädagogische Fähigkeit aufbringen, Kinder mit wenigen Vorkenntnissen in einen Darstellungsprozess zu bringen. Im Stadt- und Staatstheater werden sie dafür sechs Wochen, im Freien Theater manchmal auch länger engagiert. Im Kinderopernhaus steht ihnen ein Dreivierteljahr zur Verfügung. Sie können auf die bereits eingeübten Elemente der teilnehmenden Kinder aufbauen, alle Beteiligten gründlich kennenlernen und sich in die pädagogischen Fragen des Projekts einarbeiten. Gleichzeitig muss sich die Regie nicht um die aufwendigen Betreuungsfragen kümmern und bekommt in Konfliktsituationen Hilfe von den betreuenden Pädagogen. Durch die stärkere Trennung von künstlerischem und pädagogischem Bereich, durch die strukturelle Stärkung des Pädagogenteams und durch klare Regeln im Arbeitsprozess lassen sich die Projekte im sozialen Sinne besser kontrollieren. Zugleich verliert es aber auch an künstlerischer Freiheit. Das späte Engagieren des Regisseurs, der mit bereits einstudiertem Material umgehen muss, entzieht der künstlerischen Leitung einen wesentlichen Teil der Vorbereitung. Chorisches Singen hilft, für Gleichheit zu sorgen, bedeutet für die Kunstform, die eben auch nach solistischem Gesang verlangt, aber auch einen Verlust. Mit der musikalischen Grundausbildung im Singen und Musizieren sowie dem Erwerb von Medienkompetenzen orientiert sich das Kinderopernhaus an einem praktisch-handwerklichen Begriff von Kindermusiktheater mit starker sozialer Wirkung. Musiktheaterpädagogisch ist das Kinderopernhaus dabei eher adaptiv ausgerichtet – hier unterscheidet es sich deutlich von anderen Vermittlungsformaten wie der Szenischen Interpretation. Die Aneignungsweise erfolgt über das professionelle Vorbild und schöpft weniger aus dem eigenen Erleben. Deutlich wird dabei, dass sich das Kinderopernhaus an Kinder vor dem Erreichen der Pubertät richtet, bei denen adaptives Lernen zu einem organischen Aneignungsprozess gehört. Stärker als an den Abteilungen in Karlsruhe, Stuttgart und Nürnberg prägt die klassische Musik das Theaterverständnis. Mit Sternzeit F A S geben Regieteam und Musikalische Leitung ein Beispiel einer Ästhetik des partizipativen Musiktheaters, bei der sämtliche Ausdruckformen der stimmlichen Äußerungen eine Rolle spielen. An ausgesuchten Stellen treten professionelle Solisten mit den

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VII.  Kindermusiktheater in der sozialen Institution: Das Kinderopernhaus

Kindern zusammen auf und machen den Responsegedanken auch szenisch erfahrbar. Der soziale Gedanke des Projekts drückt sich im »Chor der Sterne« aus, der ein freies Feld für Improvisation und spielerischen Umgang mit stückfremden Texten bietet. In Sternzeit F A S werden die Zeichen seiner sozialpädagogischen Arbeitsweise übergangslos in ästhetische Zusammenhänge überführt. Umso deutlicher stellt sich bei der Inszenierung die Frage nach den ästhetischen Grenzen partizipativen Theaters und umgekehrt den sozialen Grenzen einer künstlerisch professionellen Wirkungsabsicht. Das Kinderopernhaus lotet dabei das Verhältnis von Nachahmung musikalischer Fertigkeiten und ihrer freien Anwendung aus. Der »Chor der Sterne« ist als Moment kollektiver Kunst und des sozialen Zusammenhalts prägend für die kommenden Projekte des Kinderopernhauses, bei denen es keine Soloauftritte mehr gibt. Die Vorreiterrolle eines professionellen Anbieters von partizipativem Kindermusiktheater bringt es mit sich, dass sich das Kinderopernhaus eigeninitiativ um sein Bestehen kümmern muss. Ähnlich wie in den anderen Bereichen des Kindermusiktheaters gibt es keine allgemeinen Strukturen, in die Persönlichkeiten eingesetzt werden, sondern Persönlichkeiten, die sich ihre eigenen Strukturen schaffen. So verhält es sich auch mit dem Kinderopernhaus und ihrer Leiterin. Obwohl die Grundversorgung im Etat des Bezirksamts Lichtenberg mittlerweile als feste Haushaltsposition verankert ist, gibt es keine strukturelle Absicherung. Wer die Geschäfte des Kinderopernhauses nach Ablauf der Freizeitphase des frühzeitigen Ruhestands von Regina Lux-Hahn weiter betreibt, ist 2015 noch unklar. Kein Vertrag sichert den Bestand. Die Weiterführung des Kinderopernhauses ist auch an der Staatsoper an das Leitungspersonal gebunden. Die Kooperation wäre mit jedem Intendanzwechsel kündbar. Damit dokumentiert auch eine Spielstätte wie das Kinderopernhaus, wie lose das Musiktheater für Kinder und Jugendliche in der deutschen Theaterlandschaft verankert ist. Allerdings führen die soziale Infrastruktur und die nachhaltige Betreuung des Kinderopernhauses vor Augen, was nötig ist, dem großen Wunsch nach Erreichbarkeit näherzukommen. Dafür ist das Kinderopernhaus mehrfach mit Preisen ausgezeichnet worden.227 Im Stadttheater und in der Freien Szene fehlen die Ressourcen, die Infrastruktur aber auch die Erfahrung im Sozialmanagement, um zu einer vergleichbaren Projektqualität zu kommen. Das Beispiel verdeutlicht, wie wichtig Kooperationen für die deutsche Theaterlandschaft sind, um gemeinsam für Teilhabe und Kulturelle Bildung zu arbeiten. Die

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5.  Fazit: Soziopädagogische Strukturen als Notwendigkeit Kindermusiktheaters

Oper beginnt dabei zu einem Partner zu werden, der seine großen Ressourcen nach und nach produktiv macht. Zu fragen wäre, wie sich das Modell des Kinderopernhauses in andere Städte übertragen lässt. Die klare Struktur des Kinderopernhauses würde eine vergleichsweise leichte Übertragbarkeit gewährleisten.

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VIII. Herausforderungen und Perspektiven Das neue Kindermusiktheater ist eng verflochten mit dem Theatersystem, in dem es produziert wird. Die vorliegende Arbeit belegt die Wechselwirkungen zwischen den Rahmenbedingungen und den künstlerisch-pädagogischen Prozessen. Die Untersuchung zeigt, dass das Interesse am Kindermusiktheater ab Mitte der 1990er-Jahre sprunghaft steigt. Es entstehen eigene Bühnen, spezifische Formate und Vermittlungsmethoden. Die Initiative geht nicht von der Politik, sondern von den Theatern aus, die mit großen Anstrengungen versuchen, der Kunstform Raum zu geben. Die Herausforderung liegt auch ein ­Vierteljahrhundert später in der Institutionalisierung: Erfolgreiche Abteilungen und Kooperationen sind oft weder vertraglich noch kulturpolitisch fixiert. Kindermusiktheater ist kreativ, braucht aber Verstetigung. In diesem letzten Kapitel geht es zunächst darum, die Themen zu fokussieren, die den unterschiedlichen Akteuren gemeinsam sind. ­Damit kehrt die Arbeit an ihren Anfang zurück und nimmt die Forschungsfragen wieder auf: Was trennt und verbindet die Institutionen hinsichtlich Personal, Ressourcen, Organisation, Publikum, Theaterbegriff und Kunstformen? Sind die Ressourcen leicht zu vergleichen, ist der Begriff von Kindermusiktheater schwerer zu fassen, weil er sich aus vielen Impulsen zusammensetzt und Spartengrenzen ü ­ berschreitet. Im zweiten Abschnitt werden die Rahmenbedingungen des Kindermusiktheaters in den Bereichen Stadt- und Staatstheater (­Stuttgart, Karlsruhe), Freie Szene (Nürnberg) und soziopädagogisches Milieu (Berlin) zusammengefasst. Was bedeuten die Erkenntnisse der Arbeit für die gesamte Theaterlandschaft? Welche kulturpolitischen Veränderungen wären notwendig? Braucht es eine umfassende ­Theaterreform oder schrittweise Reformen?

1. Antworten auf die Forschungsfragen: Widerstände machen stark 1.1 Personal: Kleine Einheiten, viele Aufgaben

Noch immer beginnt Kindermusiktheater mit demjenigen, der die Initiative ergreift, sei es in der Vermittlung des Abendspielplans, sei es mit einer Kinderopernproduktion oder gar mit einer Kindermusiktheaterabteilung. Die mangelnde Verankerung in den Förderprogrammen der

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Städte, aber auch die noch immer lose Eingliederung der jungen Abteilungen an den Theatern und nicht zuletzt die befristeten Verträge von Partnerschaften zeigen, dass Kindermusiktheater noch nicht unabhängig von initiativen Personen realisiert wird. Es bleibt vielerorts eine individuelle und persönliche Angelegenheit. Kindermusiktheater hat es nicht nur schwer, seine organisatorischen Grundbedürfnisse zu decken, es benötigt auch einen Fürsprecher in leitender Position. Die Abteilungen für Kindermusiktheater sind durchweg klein. Die Junge Oper Stuttgart gehört mit vier festen Mitarbeitern personell zu einer der größten Abteilungen im deutschsprachigen Raum.228 In Hinblick auf die personalstarken Opernabteilungen ist das erstaunlich.229 Auch im Vergleich zum Schauspielkindertheater hat das Kindermusiktheater einen überschaubaren Personalstamm. Zugleich haben grundsätzlich alle Akteure des Kindermusiktheaters überdurchschnittlich viele Aufgaben. Dies ist bei der Leiterin der Jungen Oper Stuttgart in der eigenständigen Abteilung (Pädagogin, Regisseurin, Dramaturgin) nicht anders als beim Hauptverantwortlichen im integrierten System des Staatstheaters Karlsruhe (Operndirektor und Dramaturg). Aufreibend ist dabei vor allem im Stadttheater die Situation der Musiktheaterpädagogen, die zwischen Theater und Schule vermitteln müssen. In kleineren Arbeitszusammenhängen wie in der Freien Szene sind die Verhältnisse für Musiktheaterpädagogen günstiger. Der Vergleich mit dem Kinderopernhaus Lichtenberg macht deutlich, dass Stadttheater und Freie Szene besonders für partizipative und soziale Projekte unterbesetzt sind.

1.2 Ressourcen und Organisation: Verteilungskampf und Kreativität

Ressourcen: Alle beschriebenen Institutionen zeigen, dass die Bereitstellung von Mitteln existenziell ist – sogar an Staatsopernhäusern. Die Untersuchung des integrierten Systems im Stadttheater und des Freien Kindertheaters machen deutlich, dass Kindermusiktheaterabteilungen nicht aus neuen, sondern aus bereits vorhandenen Ressourcen zusammengesetzt werden müssen. Finanzierung: Den Etat der Jungen Oper Stuttgart stellt – auch proportional – kein anderes Haus in Deutschland seiner Jungen Oper zur Verfügung. Die künstlerische Freiheit, die die Junge Oper durch den jährlichen Betrag von 400 000 Euro erhält und die Ermöglichung von künstlerisch-experimentellen Beteiligungsformen ist vor diesem Hin-

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VIII.  Herausforderungen und Perspektiven

tergrund umso erstaunlicher. In aller Regel sind die Etats des Kindermusiktheaters bedeutend kleiner. In den meisten Fällen gibt es lediglich Produktionsetats, die sich nach den Erfordernissen der jeweiligen Inszenierung richten. In der Regel bleibt damit das Kindermusiktheater auf die Opernsparte angewiesen. Auch wenn es sich um kleine Formate handelt, sind Kindermusiktheaterproduktionen grundsätzlich teurer als Schauspielprojekte: Entweder braucht man einen Musikeroder einen Sängergast in der Produktion oder man muss irgendwann für eine Aufführung des Abendspielplans eine Orchesteraushilfe oder einen Sängereinspringer bezahlen. Allen Theaterinstitutionen gemeinsam ist die Anreicherung der Fördermittel durch Sponsorengelder oder Stiftungserträge. Nicht nur in Stuttgart (u. a. Freundeskreis), Karlsruhe (u. a. Sparda-Bank), Nürnberg (Emanuel Wöhrl Stiftung) und im Berliner Kinderopernhaus (u. a. Kultur macht stark, Gasag), sondern auch in der Jungen Oper Mannheim (u. a. MVV Energie AG Mannheim) und in der Komischen Oper (u. a. Heinz und Heide Dürr-Stiftung) hilft man sich durch externe Mittel. Damit bewegt sich das Kindermusiktheater viel stärker als der Abendspielplan aus dem System öffentlicher Förderung heraus. G ­ erade weil Kindermusiktheater an den Grenzen der etablierten Theatersysteme angesiedelt ist, kommen seine Akteure auf kreative Lösungen. Dies betrifft auch die Organisation neuer Probenräume in der Stadt, die Produktion mobiler Inszenierungen und die Einbindung von Partnern. Allerdings kann projektweise Förderung gerade bei partizipativen Projekten oftmals nur ein einmaliges Highlight setzen, ohne die teilnehmenden Schüler in ein nächstes Projekt zu ü ­ berführen. Die externe Förderpolitik verstärkt damit ungewollt die unregelmäßige Produktionsweise des Kindermusiktheaters. Für die Freie Szene muss das weniger befremden als für das Stadt- und Staatstheater. Die externe Finanzierung täuscht über die Tatsache hinweg, dass Kindermusiktheater als Teil darstellender Künste eigentlich selbstverständlich mit den theatereigenen Ressourcen ausgestattet sein müsste, die es für eine nachhaltige Arbeit braucht. Genau diese Unabhängigkeit ist ja der Grundsatz des öffentlichen Theatersystems und macht die im Grundgesetz festgehaltene Kunstfreiheit erst praktikabel. Auch wenn externe Finanzierung ein künstlerisches Experiment ermöglicht, ist es irritierend, dass eine der künstlerisch innovativsten Formen des Musiktheaters von der politischen Grundidee des Stadt- und Staatstheaters ausgeschlossen ist. Die Mischfinanzierung vieler bundesdeutscher Abteilungen lässt sich für viele Organisatoren und Künstler als Anlass interpretieren, wach zu bleiben und sich jenseits der bequemen

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1.  Antworten auf die Forschungsfragen: Widerstände machen stark

Planungssicherheit zu bewegen, aber auch als Ausdruck einer noch immer vorherrschenden Diskriminierung verstehen, nach der Kindermusiktheater noch immer um das Nötigste kämpfen muss. Organisation: Die Organisationsformen des Kindermusiktheaters sind bundesweit unterschiedlich und richten sich sowohl im Stadttheater als auch in der Freien Szene stark nach ihren Mutterhäusern. Während die eigenständige Abteilung wie eine kleine Sparte funktionieren kann, bei der die Leitung einem Spartendirektor entspricht, sind Hierarchien und Aufgabenverteilung im integrierten System weniger fixiert. Die Offenheit des Systems bietet eine breite Kompetenzbasis, ist in den Zuständigkeiten aber problematisch. Die eigenständige Abteilung ist hier durch klarere Funktionsbestimmungen im Vorteil. Auffällig im Stadttheater ist die Vielzahl der Leitungsfiguren neben einer eher kleinen Anzahl derjenigen, die sich um die organisatorisch-praktische Realisierung kümmern müssen. Dieser Umstand verdeutlicht das Missverhältnis zwischen der Wichtigkeit der Kunstform im Sinne einer positiven Ausstrahlung nach außen und den internen Problemen der Realisierung. Freies Kindertheater kann seine Arbeitsweisen erstaunlich leicht auf das Kindermusiktheater übertragen. Der übersichtlichen Organisationsform ist es zu verdanken, dass Kindermusiktheater im Zentrum sowohl der organisatorischen wie auch der künstlerischen Prozesse steht. Das Bewältigen unterschiedlicher Aufgaben und eine grundsätzliche, sozusagen professionelle Offenheit begünstigen die Entwicklung des Kindermusiktheaters in diesem Bereich. Das Kinderopernhaus Lichtenberg managt partizipative Kinderoper wie ein soziales Projekt. Dabei sind viele Helfer für die praktischen Aufgaben im Einsatz (Betreuung, Transport, Organisation der Eltern usw.). Die Berliner setzen für die langen Probenphasen nur Künstler mit sozialer und pädagogischer Erfahrung ein. Die Konzentration auf die Partizipation als sozial-ästhetische Produktion, viel Personal und die geschickte Vernetzung im Stadtteil zeigen, wo sich Stadttheater und Freie Szene hinbewegen könnten. Stellung im Haus: Eine gute Stellung im Haus ist nicht selbstverständlich und muss erkämpft werden. Über alle Theater hinweg ist es entscheidend, wie stark die Abteilung in die allgemeine künstlerische und organisatorische Leitung eingebunden ist.230 Junge-Opern-Abteilungen erhalten mit der Teilnahme an zentralen Leitungsrunden nicht nur wichtige Informationen und organisatorischen Überblick, sondern auch den Respekt anderer Abteilungen.

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VIII.  Herausforderungen und Perspektiven

Partnerschaften: Kindermusiktheater ist im Vergleich zum Gros der Opern- und Schauspielproduktionen ein Arbeitsfeld, das durch Kooperationsverhältnisse über alle Betriebsformen hinweg seine materiellen und ästhetischen Kapazitäten erweitert. Unterschiedliche Theaterbereiche geben Ressourcen und spezifisches Knowhow in die Z ­ usammenarbeit und erschaffen zusammen künstlerische Produktionen, Partizipationsund Vermittlungsangebote, die alleine nicht ­möglich ­wären.

1.3 Zuschauer: Qualität statt Quantität

Zählt man die Besucher eindeutig dem Musiktheater zuzuweisenden Produktionen im deutschen Stadt- und Staatstheater zusammen, ergeben sich schätzungsweise 150 000 jährlich.231 Mit einem großzügig ausgelegten Begriff von Kindermusiktheater in der Freien Szene und an Gastspielhäusern käme das Kindermusiktheater womöglich auf eine halbe Million Zuschauer. In diesem Zusammenhang sei die wichtige distributive Rolle der Gastspielhäuser für das Kindermusiktheater nochmals hervorgehoben. Um die Förderungswürdigkeit zu bekräftigen, bräuchte das Kindermusiktheater vor allem im Stadt- und Staatstheater mehr Besucher. Dafür müssten mehr Stücke auf der großen Bühne herauskommen. Wie die Betrachtung von Robin Hood in Karlsruhe und Peter Pan in Stuttgart gezeigt hat, reagieren Intendanten vorsichtig darauf. Selbst Klassikerbearbeitungen haben keine auffällig hohen Aufführungszahlen an den großen Häusern (Hänsel und Gretel nimmt eine Sonderstellung ein). Das »Auslastungsrisiko« ist zu hoch: Eine als Kindermusiktheater beworbene Veranstaltung – vor allem in kleineren Städten – führt nicht sofort zu einem vollen Haus und spielt durch die Schülerermäßigungen weniger Geld ein. Hinzu kommen die künstlerischen Schwierigkeiten mit den weiten Distanzen. Setzt man Kinderoper regelmäßig als Repertoirevorstellung im Abonnement an, droht Unmut des Stammpublikums. Eigenständige Abteilungen mit eigenem Raum, eigenem Personal, regelmäßiger Partizipation und eigener öffentlicher Ansprache können ein Stammpublikum aufbauen. Die Kinderopernabteilungen im integrierten System ohne eigene Spielstätte und ohne regelmäßige Angebote sind dazu kaum in der Lage. In Mehrspartenhäusern profitiert das Kindermusiktheater von der Nähe zum Abendspielplan, aber auch zu den Education-Angeboten der Konzertabteilungen. Eigene Abteilungen wie die Junge Oper Stuttgart können auf lange bestehende Bindungen zu Lehrern setzen.

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1.  Antworten auf die Forschungsfragen: Widerstände machen stark

Der systematisierte Theaterbesuch in der Schulzeit ist gerade für das Musiktheater eine der wichtigsten Errungenschaften der letzten Jahre. Entscheidend sind Lehrer und Eltern. Ihr Vertrauen nicht nur durch gute Kunst, sondern auch durch gute Vermittlung und ein angenehmes Umfeld zu gewinnen, ist eine zentrale Aufgabe des Kindermusiktheaters der Zukunft. Innere Barrieren vor der vermeintlichen Hochkultur und vor neuer Musik bleiben zentrale Herausforderungen. Ein stark identifiziertes Publikum entsteht durch partizipative Projekte und die soziale Bindung der Teilnehmer an die Abteilung. Das Aufrechterhalten der Beziehung zum Haus wird in den kommenden Jahren die Publikumsstruktur partizipativer Abteilungen prägen.

1.4 Begriff: Kunst, Publikum, Bildung

Kindermusiktheater ist immer eine Angelegenheit des besonderen ästhetischen, bildungspolitischen oder gesellschaftlichen Willens seiner Akteure. Die durchgeführten Interviews dokumentieren ein intensives Nachdenken über die Positionierung des Kindermusiktheaters mit durchaus unterschiedlichen Schwerpunkten. An allen Institutionen gibt es ein bestimmtes Verständnis von Kindermusiktheater, das mit Überzeugungen und Wirkungsabsichten verbunden ist. Der Begriff der Kunstform bewirkt, dass Kindermusiktheater überhaupt entsteht. Er prägt die Ausrichtung der Abteilung. Grundsätzlich ist das Verständnis von Kindermusiktheater eng mit den Ideen der Leitungsfiguren der Mutterhäuser verbunden. Dabei kann es um eine gesellschaftlich-politische Ausrichtung gehen (Teilhabe an der Jungen Oper Stuttgart) oder um den Wunsch nach regionaler Verankerung (Publikumsgewinnung in Karlsruhe). Auch ästhetisch trägt das Kindermusiktheater oft die Signatur des Mutterhauses (musikalisches Erzähltheater im Theater Pfütze). Auffällig ist, dass fast durchgängig höchste Ansprüche formuliert werden, die sich in den jeweiligen Organisationsformen nur mit äußerster Anstrengung oder oft gar nicht realisieren lassen, weil die Arbeitsbedingungen dagegen sprechen. Der Vergleich zeigt, dass vor allem Leiter mit einem klar künstlerisch oder sozial positionierten Begriff von Kindermusiktheater (Tacchini, Lux-Hahn) in starkem Maße neue, für ihre Ideen passende Formen entwickeln. Am deutlichsten lässt sich über alle Beispiele hinweg der Zusammenhang zwischen Idee und Realisierung in der Gründungsphase ausmachen. Die unterschiedlichen Ansätze lassen sich in drei Kategorien, nämlich in Kunst, Publikum und Bildung einordnen. Der eher ästheti-

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VIII.  Herausforderungen und Perspektiven

sche Begriff von Kindermusiktheater hat die künstlerische Qualität im Blick. Beim eher auf das Publikum bezogenen Begriff geht es um Verankerung in der Stadt. Der dritte Schwerpunkt begreift Kindermusiktheater als Angebot Kultureller Bildung. Alle drei Zuordnungen werden in der Praxis fast immer zugleich genannt: Jeder künstlerische Leiter wünscht sich, dass sein Kindermusiktheater auf hohem Niveau stattfindet, möglichst viele Zuschauer findet und kulturell bildet. Trotzdem sind hier je nach Theater und politischer Lage auch Schwerpunkte zu finden, die in der praktischen Arbeit eine Rolle spielen: Eine künstlerisch wertvolle Produktion im Studio bringt wenig Zuschauer, ist aber durch den geschickten Einsatz von Partizipation womöglich eine umfänglich kulturell bildende Aufführung. Eine Kleine Zauberflöte auf der großen Bühne mag von schlechter Qualität und von zweifelhaftem Bildungswert sein, bewirkt aber großen Zulauf und enge Kontakte in die Stadt. Die folgende Begriffstabelle stellt einzelne Funktionen der drei Begriffsfelder schlaglichtartig nebeneinander. Kunst

Publikum

Bildung

Wirkung:

Ästhetik

Bindung

Bildung

Anspruch:

Hohe Qualität

Verankerung in der Region

Persönlichkeitsentwicklung

Formate:

Stückentwicklung

Flashmob

Partizipationsstück

Legitimation:

Unverwechselbarkeit

Zahlen

Teilhabe

Zeitraum:

Premiere/Vorstellung

Zeit nach der Premiere

Probenprozess

Akteure:

Künstler

Theaterleitung

Mitwirkende, ­Zuschauer

Öffentlichkeit:

Feuilleton

Stadt

Schulen, Familien

1.5 Künstlerische Produktion: Neue Ausdrucksformen musikalischen Theaters

Erst in der Inszenierung entscheidet sich, wie Personalpolitik, Ressourcen und Theaterbegriff gewichtet sind. Alle Kindermusiktheaterinszenierungen geben Einblick in ihre Produktionsbedingungen und spiegeln die ästhetischen Motivationen der Akteure. Zeitgenössisches Kindermusiktheater schöpft aus dem Erfahrungsbereich von Kindern und konfrontiert sie mit der sozialen Wirklichkeit. Es ist weit von konservativer Operninszenierung entfernt, verwendet zeitgemäße Mittel und hat längst den Anschluss an zeitgenössische Regiepraktiken und

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1.  Antworten auf die Forschungsfragen: Widerstände machen stark

postmoderne Formen gefunden. Durch Livemusik im Zentrum der Inszenierung ist Musiktheater für Kinder und Jugendliche besonders anspruchsvoll. In seinen Inszenierungen nimmt es Erfahrungen aus dem Kindertheater, aus der Performancekunst und dem instrumentalen Theater auf. Kindermusiktheater ist als lebendige Kunstform eng an die örtlichen Gegebenheiten und in seinen Inszenierungen an ihre Darsteller gebunden. Es wird gerade bei kleinen Formaten mit Vorliebe neu produziert, wodurch sich nur langsam ein Repertoire entwickelt. Zeitgenössisches Kindermusiktheater schließt Sänger, Schauspieler und Musiker ein, die ihre vor allem durch die Ausbildung vorbestimmten Berufsfelder überschreiten. Insbesondere erweitern szenisch agierende Instrumentalisten das Feld. Dadurch können Figuren des Kindermusiktheaters durch Musik »sprechen«. Durch die Art, wie ein Instrument gespielt wird, kommt der Gestus einer Figur zum Ausdruck. Zum Kindermusiktheater gehören das szenische Konzert und die Improvisation. Musiker sind auch Teil des Teams von Autoren, die nach der bestmöglichen Fassung für die szenisch-musikalische Partitur suchen. Insgesamt gewinnen der Klang und das Geräusch an neuer Bedeutung. Kindermusiktheater hinterfragt und schult damit auch das Hören. Musiktheater für junges Publikum findet auch im großen Format statt. Adaptionen von Opernklassikern stehen zahlreiche Neukompositionen zur Seite. Die Schwierigkeiten für die große Kinderoper sind, dass die Abstände zur Bühne als zu groß, der Raum für Kinder als abweisend empfunden werden können und die üppige Dekoration vom Zuhören ablenkt. Kinderoper auf der großen Bühne muss mit der Schwierigkeit umgehen, dass sie in ihrer Form (Orchester und Sängerbesetzung, Chor, Bühne, Dekoration usw.) der großen Oper entspricht und man sich fragen muss, ob es nicht besser wäre, Kinder gleich mit den Werken des Repertoires vertraut zu machen. Über alle Formate hinweg arbeitet das Kindermusiktheater mit Partizipation und entwickelt darin neue Ausdrucksmöglichkeiten. Zur Wirkung des partizipativen Kindermusiktheaters gehört der unmittelbare musikalisch-szenische Ausdruck, der nicht durch eine Technik überformt ist (Border). Wichtig für die Partizipation ist in diesem Zusammenhang aber auch der professionelle Bühnenkontext (L’Étoile). Partizipation des Publikums bewirkt einen unmittelbaren Zugang zum Stück und stellt ein neues Zuschauer-Darsteller-Verhältnis her (Der unsichtbare Vater).

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VIII.  Herausforderungen und Perspektiven

2. Zusammenfassung nach Organisationsformen: ­Innovation, ­Kooperation, Professionalisierung 2.1 Stadttheater: Ästhetische Innovation und Reform der ­Arbeitsweisen

Das neue Kindermusiktheater wird aus der Krise geboren. Die Verdrängung der Klassik aus dem Zentrum des Bildungskanons, der Wandel des Musikgeschmacks, ein negatives Image der Hochkulturinstitutionen und das Anwachsen alternativer Kulturangebote führen in den 1970er- und 1980er-Jahren zu einem eklatanten Zuschauerschwund. Die Finanzkrise bei Städten und Ländern der 1990er-Jahre erhöht den Legitimationsdruck. Der Notwendigkeit nach jungem Publikum kommt das deutsche Stadt- und Staatstheater mit kindgerechten Bearbeitungen von Repertoirewerken, aber auch mit der Institutionalisierung kleinerer Räume nach. Während sich sein Stammpublikum auflöst, begegnet es einer veränderten Bevölkerungsstruktur, die neu gewonnen werden will. Die Oper versucht durch kindgerechte Inszenierungen, Partizipation und Vermittlung des Abendspielplans zuerst die junge Generation und nach und nach auch erwachsene Zuschauer zu erreichen, die sonst nicht ins Opernhaus gehen würden. Die politische Umsetzung Kultureller Bildung als allgemein anerkanntes Querschnittsthema kommt den Opernhäusern im Sinne eines inklusiven Kulturauftrags entgegen. Im Wandel der Oper von einer exklusiven Kundenansprache zu einem Haus, das sein Publikum auch in der Breite erschließen möchte, nimmt das Kindermusiktheater eine wichtige Position ein. Obwohl Kindermusiktheater künstlerisch wie organisatorisch innovativ ist, muss es vielerorts um seinen Status kämpfen. Das Kindermusiktheater ringt noch immer um Eigenständigkeit und Anerkennung an seinen Häusern. Es kann im Ernstfall vom Intendanten kassiert werden. Grundsätzlich steht die arbeitsteilige Organisation der großen Opernbühne dem Kindermusiktheater entgegen. Es ist schwer, Musiker aus den Dienstplänen oder Sänger aus der Probendisposition herauszulösen. Der Tarifvertrag für die Musiker in Opernorchestern ist für die Stücke gemacht, bei dem die Instrumentalisten im Graben sitzen. Das für Kindermusiktheater notwendige Improvisieren und szenische Agieren auf der Bühne können Orchestermusiker ablehnen. Zugleich läuft Kindermusiktheater Gefahr, vom eigenen Haus instrumentalisiert zu werden. Die eigentlich positiven Transferleistungen – das Publikum zu vermehren, es jünger und bunter zu

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2.  Zusammenfassung: Innovation, Kooperation, Professionalisierung

machen – können sich als rein imagefördernder Selbstzweck entpuppen. In der öffentlichen Wahrnehmung schwebt Kindermusiktheater immer in der Gefahr, als pädagogische und soziale Maßnahme, nicht als Kunstform wahrgenommen zu werden. An vielen Häusern muss das Kindermusiktheater seine Sängerund Musikerdisposition, seine Proben und Premieren nach Maßgabe des Großen Hauses einrichten. Diese »Resteverwertung« erfordert nicht nur ein hohes Maß an Kreativität und Flexibilität, sie führt auch oft dazu, dass nur besonders kleine Produktionen herauskommen können. Jugendarbeit und Interkultur gehören, von wenigen Leuchttürmen abgesehen, noch zu einer Nebenbeschäftigung des Opernbetriebs. Trotzdem ermöglichen insbesondere die großen Opernhäuser wie beispielsweise die Staatsoper Stuttgart ihren Jugendabteilungen Stückentwicklungen, Partizipationsformate, Klangperformances und viele Uraufführungen. Ein Trend geht dahin, Kindermusiktheater mit der Experimentalbühne für das Erwachsenentheater zusammenzulegen.232 Kindermusiktheater gehört damit auch zur künstlerischen Avantgarde. Es ist ein Spielfeld für ungewöhnliche partizipative Formate, für Kunst im öffentlichen Raum und für zeitgenössische Musik. Die Kinderopernbühne ist damit auch ein Labor für die Kunstform und die Institution der Oper. Die Schwierigkeiten des zeitgenössischen Kindermusiktheaters mit der großen Bühne geben einen Eindruck davon, wie schwer sich das Stadt- und Staatstheater noch immer tut, Kindermusiktheater in seinem Zentrum aufzunehmen. Für das Kindermusiktheater besteht damit die Gefahr, auch innerhalb des Theaters in einer Nische zu bleiben. Hierzu braucht es öffentliche Verständigung, aber auch Experimentierbereitschaft bei den Theatern. Die Randexistenz des Kindertheaters erfordert mutige Intendanten und Operndirektoren, aber auch eine klare öffentliche Kommunikation, die auf die Anstrengungen und Rückschläge verweist, die mit der Etablierung einer neuen Kunstform und der Entwicklung einer neuen Zielgruppe einhergehen. Den letzten starken Impuls empfing das Musiktheater durch die Wiederentdeckung der Barockoper. Doch während sich dabei lediglich das Repertoire und die Aufführungspraxis erweiterten, bot sie keine alternativen Arbeits- und Kommunikationsformen an. Kindermusiktheater hat doppelte Wirkungsmacht in künstlerischer und in struktureller Hinsicht. Denn auch in seinen Arbeitsweisen liegt innovatives Potenzial. Kindermusiktheater organisiert sich in flachen Hierarchien. In Stückentwicklungen werden Musiker zu Darstellern und Darsteller zu Autoren. Die intime Aufführungssituation mit direktem Pub-

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VIII.  Herausforderungen und Perspektiven

likumskontakt stellt eine Gegenwelt zu den Zwängen des langfristig disponierten, arbeitsteiligen Produktionsprozesses der Hauptbühne dar. Kein Publikumskontakt ist enger als im Kindermusiktheater. Viel intensiver als die Oper kann es durch Schulkontakte, Partizipation und Workshops einen engen Austausch mit seinem Publikum pflegen und neue Besucher ansprechen. In seinem Artikel „Kindermusiktheater und gesellschaftlicher ­Wandel. Ein kulturpolitischer Blick ins deutsche Stadttheater“ hat der Autor bereits einige der hier vorgestellten Ergebnisse veröffentlicht. Vor allem im Exkurs „Neues Kindermusiktheater und gesellschaftlicher Wandel“ (S. 43) sind Teile daraus eingeflossen. Der ­Beitrag war Teil des Praxishandbuch Kindermusiktheater für junges Publikum, das Christiane Plank-Baldauf 2019 herausgab.

2.2 Freie Szene: Neue Kunstformen und Möglichkeiten der ­Kooperation

Neues Kindermusiktheater ist selbst in der Freien Szene stärker an stehende Bühnen und große Ressourcen gebunden, doch die Beschäftigung mit der Gattung in kleineren Institutionen nimmt zu. Kleine Arbeitseinheiten und flexible Organisationsformen prädestinieren das Freie Theater dabei für Kooperationen. Die ästhetische Spanne des Kindermusiktheaters in der Freien Szene reicht vom Singspiel mit Schauspielern und Musikensemble bis zu experimentellen, performativen Formaten, die auch Teile des Objekttheaters in sich aufnehmen. Im Freien Kindertheater begünstigen die unhierarchischen Arbeitsweisen, lange Probenzeiten und gewachsene Arbeitsbeziehungen die Kunstform. Stückentwicklungen sind zugleich Musik- und Klangentwicklungen. Das Freie Kindertheater bindet Künstler an sich, die zu Spezialisten eines komplett musikalisierten Theaters werden können. Im Freien Theater entstehen eigenwillige Varianten des Kindermusiktheaters, bei denen nicht klassisch geschulter Gesang und ein Sinfonieorchester, sondern Klänge, Geräusche, Materialsounds und (selbst) auf der Bühne hergestellte Musik im Zentrum stehen. Im chorischen Sprechen, im Wechselspiel von musikalischer Begleitung und Text und in der Rhythmisierung aller Bühnenvorgänge ergeben sich ganz neue Formen. Das Freie Theater kann zu einem musikalisch agierenden Spezialisten ausbilden und ist auf den klassisch ausgebildeten Musiker und Sänger nicht mehr zwingend angewiesen. Freie künst-

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2.  Zusammenfassung: Innovation, Kooperation, Professionalisierung

lerische Organisationsformen stellen ein Gegengewicht zur Arbeit im Stadttheater dar, wo überwiegend nach Partitur und in spezialisierten Berufen gearbeitet wird. Das Freie Theater erreicht ein Publikum, das eher in Schauspielinszenierungen geht oder seinem Stadt(teil)theater treu ist und nicht zwischen den Genres differenziert. Dies ist in der Regel ein ganz anderes Publikum als das der Jugendabteilungen in Opernhäusern. Kindermusiktheater in der Freien Szene ist damit nicht nur ästhetisch, sondern auch im Sinne der Verbreitung von Kindermusiktheater ein unverzichtbarer Beitrag für die Kulturlandschaft. Durch die starke Gastiertätigkeit gelangt Kindermusiktheater gerade über die freien Gruppen in die Fläche. Die im Theater Pfütze entwickelte Idee eines vom Land getragenen Kindermusiktheaters oder einer mit vielen Gastspielen betrauten musikalischen Landesbühne wäre eine Möglichkeit, Kindermusiktheater systematisch zu verbreiten. Die Kosten sollten dabei nicht aus der Perspektive des Freien Kindertheaters, sondern aus der Perspektive stehender Opernabteilungen betrachtet werden. Kindermusiktheater wäre damit nicht besonders teuer, sondern besonders preiswert zu realisieren. Kindermusiktheater in der Freien Szene, das weniger anstachelt und also auch weniger in der Kritik steht, ist eine leisere Kunst als das frühe Schauspielkindertheater. Die Schwierigkeit der öffentlichen Wahrnehmung teilt es mit dem Freien Musiktheater für Erwachsene. Es gibt eine »durchaus lebendige und innovative Szene Freien Musiktheaters im deutschsprachigen Raum, aber sie ist als solche kaum wahrnehmbar« (Rebstock 2013, 302). In dieser Hinsicht müssen das allgemeine Verständnis und die öffentliche Wahrnehmung mitwachsen. Schauspielkindertheater hat durch seine Millionenreichweite, seine berühmten Häuser und seine regionale Verankerung ein festes Bild öffentlich verankern können. Wer von Kindertheater spricht, ruft auch bei Menschen, die nie im Theater waren, eine innere Vorstellung hervor. Das Kindermusiktheater muss sich diesen Status noch erarbeiten.

2.3 Soziale Institution: Kunst und Kulturelle Bildung durch ­Partizipation

Was Opernhäusern in der Regel nicht gelingt – Kinder aus Familien ohne Affinität zum Theater anzusprechen –, kann glücken, indem Institutionen wie das Kinderopernhaus Lichtenberg neue Einzugsgebiete erschließen. Dabei spielt die Einbindung aller sozialen und pädago-

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VIII.  Herausforderungen und Perspektiven

gischen Institutionen, der Lehrer und Eltern eine Rolle und verbindet Kultur mit dem Wohnort. Die Verknüpfung von selbst hergestellter Kunst und dem eigenen Lebensraum setzt einen Gegenimpuls zum herkömmlichen Kulturverständnis eines feststehenden Opernhauses im Zentrum, in dem internationale Sänger gastieren. Das Kinderopernhaus schreibt nicht nur für die agierenden Kinder, sondern für alle helfenden Eltern, Betreuer und Ehrenamtlichen die Idee einer Selbstbehauptung fort, die immer eine Triebkraft der Regionalkultur war. Das Kinderopernhaus ist in seiner Verknüpfung im Kiez wie zugleich mit der Staatsoper ein innovatives Beispiel von Sozialpädagogik, die nicht bei sich selbst stehen bleiben will. Es gehört zum Konzept, sich gegenüber der vermeintlichen Hochkultur zu öffnen und kulturelle Erreichbarkeit abzufordern. Künstlerisches Vorbild ist eben nicht eine Ästhetik, die sich leicht in die sozialpädagogische Arbeit inte­ grieren ließe (Volkslieder, Gitarre, Rhythmusspiele usw.), sondern die klassische Oper (Kunstlied, Orchester, Stimmbildung). Es bleibt aber nicht bei der musikalischen Grundausbildung, sondern es geht darum, Singen und Musizieren (Kinderopernhausorchester der Kinder) mit szenischem Agieren zu verbinden. Die Konzentration auf die Partizipation unter Bereitstellung aller notwendigen Ressourcen macht deutlich, was für die Kulturelle Bildung im Musiktheater nötig ist – und worauf Stadttheater und Gruppen der Freien Szene noch hinarbeiten müssen.

3.

Welche Rahmenbedingungen braucht das Kindermusiktheater?

Die Arbeit hat im Eingangskapitel einen Überblick über allgemeine Entwicklungen des Neuen Kindermusiktheaters gegeben. In den Einleitungskapiteln zu den Abteilungen in Karlsruhe und Stuttgart wurde in die Entstehungsgeschichte der Oper geblickt und der Öffnungsprozess der Institution durch das Kindermusiktheater der letzten 25 Jahre erörtert. Im Prolog zu den Analysen der jungenMET und des Kinderopernhauses ging es um die Geschichte des Kindertheaters. Der Untersuchungszeitraum von 2012 bis 2016 bildet wiederum einen kleinen Ausschnitt der Entwicklung des Kindermusiktheaters ab. Bis zum Erscheinen dieses Buches sind abermals wichtige Jahre vergangen. Das Kindermusiktheater am Staatstheater Karlsruhe ist kleiner geworden, das Kinderopernhaus Lichtenberg hat sich seit 2018 stark vergrößert und auch hinsichtlich der Betreuungsqualität erweitert.233 Am Theater Pfütze hat sich die Leitungsstruktur verändert. Innerhalb der Musik-

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3.  Welche Rahmenbedingungen braucht das Kindermusiktheater?

theaterszene haben sich Regisseure wie Anselm Dalferth etabliert, die auf dem Gebiet des Kindermusiktheaters eine eigene Expertise einbringen. Auch in der wissenschaftlichen Durchdringung der Kunstform ist viel passiert. Das Praxishandbuch Musiktheater für junges Publikum erschien 2019 und trägt die neuesten Entwicklungen aus der Szene zusammen. Es zeigt, dass sich die Vertreter unterschiedlicher Bereiche intensiv mit der Gattung auseinandersetzen und neue künstlerische Ausdrucksformen, Vermittlungsmethoden und Arbeitsmodelle reflektieren. »In den vergangenen 30 Jahren hat sich das Musiktheater für junges Publikum im deutschsprachigen Raum sowohl zu einem wichtigen Bestandteil innerhalb der Spielpläne der Stadt- und Staatstheater entwickelt, als auch innerhalb der Freien Szene Bedeutung gewonnen«, schreibt die Herausgeberin Christiane Plank-Baldauf (Plank-Baldauf 2019, VII). Das Handbuch bestätigt, dass Kindermusiktheater im Zentrum der Praxis angekommen, aber allenthalben unterversorgt ist. Besonders problematisch ist die Lage der freien Gruppen, die die neue Kunstform mit wenig infrastruktureller Hilfe bewerkstelligen, worauf Dorothea Lübbe in ihrem Beitrag »Zur Lage des Freien Musiktheaters für Kinder und Jugendliche« hinweist (Lübbe 2019). Das Handbuch ist Ausdruck der Offenheit des Kindermusiktheaters, das Akteure mit unterschiedlicher Ausbildung und professionellem Hintergrund zusammenbringt. Der wissenschaftliche Dialog der jüngeren Zeit weist in eine ähnliche Richtung. Das Symposium »Kinder und Jugend (Musik) Theater. Zwischen Poesie und Pädagogik?« in Mainz ging vom Institut für Film-, Theater- und Medienwissenschaft aus und versammelte Wissenschaftler aus Kulturpolitik, Theaterwissenschaft und Pädagogik.234 Mit den geladenen Sprechern aus den Bereichen Regie, Dramaturgie, Gesang, Vermittlung und Verlagswesen erweist sich das Kindermusiktheater einmal mehr als interdisziplinäres Arbeitsfeld. Den Akteuren gemeinsam ist der Wunsch nach Veränderung in der Theaterlandschaft. Niemand hätte sich im Februar 2020 denken können, dass eine andere Umwälzung hereinbrechen würde. Der Ausbruch der Corona-Pandemie und die drastischen Einschränkungen des öffentlichen Lebens ab März, zu denen auch die Schließungen sämtlicher Theater und Konzerthäuser zählen, wird eine Zäsur in der Theaterlandschaft darstellen. Die Folgen dieses Einschnitts lassen sich bei Abschluss des Buches im Juni 2020 noch nicht absehen. Wie viele freie Gruppen, die nicht dauerhaft gefördert werden, können bestehen? Wie werden freiberufliche Künstler und Autoren ihre Existenz

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VIII.  Herausforderungen und Perspektiven

sichern? Kehren Abonnenten zurück? Vielleicht wird die Krise aber auch das Nachdenken über die Funktion von Theater positiv beeinflussen. Wenn Theater als Herstellung einer kritischen Öffentlichkeit, als Möglichkeit Kultureller Bildung und als Versuchsanordnung für gesellschaftliche Innovation betrachtet wird, kann darin auch das Kindermusiktheater eine größere Rolle spielen. Mittelfristig könnte sich die kleine, bewegliche Form des Kindermusiktheaters als günstige Alternative zu den Großveranstaltungen auf den Hauptbühnen ­erweisen. Das Nachdenken über die Zukunft des Kindermusiktheaters in der vorliegenden Arbeit geht von den Ergebnissen aus, die vor der Krise ermittelt wurden. Dies muss nicht bedeuten, dass die Analyse wertlos geworden ist. Auch wenn sich die Theaterlandschaft verändert, werden strukturelle Beziehungen weiter bestehen und mit einem vielleicht sogar verstärkten Bedürfnis nach Musiktheater für junges Publikum verbunden sein.

3.1 Regionale Verankerung

Kindermusiktheater gehört zu den regionalen Aufgaben des Theaters, weil es wie kaum eine andere Kunstform den direkten Kontakt mit dem Publikum, dem schulischen und familiären Umfeld braucht. Um persönliche Beziehungen zu seinem Zielpublikum, zu Lehrern und ­Eltern herzustellen, ist eine kontinuierliche Arbeit über Jahre und Jahrzehnte notwendig. All dies sind strukturelle Herausforderungen, die unabhängig davon zu leisten sind, ob man sich im Stadttheater oder in freien Gruppen bewegt. Allerdings begünstigen feste Strukturen das Kindermusiktheater gegenüber Projekten, die einmalig sind, keinen festen Spielort haben und wenig Betreuer im Umfeld vorweisen können. Alle in dieser Arbeit portraitierten Abteilungen arbeiten an der Verstetigung im Sinne der Wiederholbarkeit der Projekte und an der personellen Kontinuität. Selbst das Kinderopernhaus, das keine eigene Bühne besitzt, etabliert mit dem Probenzentrum Steinhaus einen zentralen Versammlungsort.

3.2 Spielraum für Kooperationen und Experimente

Kooperationen im Kindermusiktheater sind ein Mittel, um sich finanziell zu unterstützen. »Kooperation« ist in der Geschichte der deut-

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3.  Welche Rahmenbedingungen braucht das Kindermusiktheater?

schen Theaterlandschaft allerdings oft als Synonym für Einsparung gebraucht worden. »Politisch induzierte Kooperationen und Fusionen verfolgen dabei nahezu ausschließlich Kosten-Motive durch Synergien« (Föhl 2010, 64). Anführen lassen sich dafür nicht nur die erwähnten Zusammenlegungen in den neuen Bundesländern, sondern auch jüngere »Spartenkooperationen« wie die der Tanzcompagnien aus Darmstadt und Wiesbaden. Koproduktionen im Kindermusiktheater sollten aber nicht aus der Notwendigkeit des Sparens, sondern aus ästhetischem Interesse heraus entstehen können. Da Kooperationen an den Häusern und Gruppen meistens nicht zum Kerngeschäft gehören, sondern gleichsam externe Interessen einbinden, haftet ihnen oft der Status des Sonderprojekts an, das im Zweifel weniger Aufmerksamkeit verdient oder fallengelassen werden kann. Interweaving – die Durchkreuzung der Gattungen, Austausch und Experiment – wird erst dann zu einer spielerischen Form, wenn sie keine strukturelle Notlösung darstellt, sondern inhaltlichen Setzungen folgt. Auch für Kooperationen bleibt die Verstetigung eine zentrale Herausforderung. Die Kooperationsbeispiele aus Nürnberg und Berlin zeigen, dass die Nachhaltigkeit zu einem wesentlichen Movens der gemeinsamen Arbeit gehört und letztlich über den Erfolg des Kindermusiktheaters entscheidet. Langzeitkooperationen werden ein wesentliches Merkmal der zukünftigen Arbeit im Kindermusiktheater sein. Wenn Kindermusiktheater in seinen divergierenden Institutionen fest verankert ist, stellen seine kleinen Formate allerdings die ideale Form des Interweavings dar. Sie können sowohl in einem großen Haus als auch in einer kleinen Theatergruppe realisiert werden. Künstler unterschiedlicher Häuser und Professionen entwickeln das Kindermusiktheater weiter und erfinden neue Formate und Arbeitsweisen. Kindermusiktheater macht es möglich, das professionelle Personal eines Stadttheaters, die zielgruppenspezifische Arbeitsweise eines Freien Kindertheaters und das experimentelle Knowhow der Freien Gruppen miteinander zu verbinden. Interweaving bedeutet im Kindertheater nicht nur die organisatorische, sondern auch die ästhetische Verflechtung der Expertisen.

3.3 Zeitgenossenschaft der Ästhetik, Ansprache und Architektur

Kindermusiktheater braucht ein Umfeld, in dem es zu einem zeitgenössischen werden kann. Dies betrifft die Ästhetik, die Arbeitsweisen, die Vermittlung, die Zusammensetzung des Publikums und auch die

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VIII.  Herausforderungen und Perspektiven

Architektur der Spielstätten. Kindermusiktheater als junge Gattung braucht Spielraum, um neue Theatermittel und neue Formate ausprobieren zu können. Über alle Betriebsformen hinweg benötigt es schützende Organisationsformen, in denen Experimente möglich sind und sich der Kanon an Stücken erweitern kann. Die Verwendung der Mittel darf nicht bei den etablierten Werkzeugen der Oper, des Schauspiels oder Balletts stehenbleiben. Die Rezeption des Kindermusiktheaters führt damit weit über das Zuschauen hinaus zu einer immersiven Wahrnehmung und Rezeption im Sinne einer schöpferischen Vollendung des Kunstwerks im Erleben. Partizipation: Im Bereich der Partizipation werden Kinder und Jugendliche zu Darstellern, die etwas Spezifisches mitbringen, das ihnen kein erwachsener Profi nachmachen kann. In der musiktheatralen Partizipation liegt Selbsterfahrung, Persönlichkeitsentwicklung, Selfem­ powerment, Differenzerfahrung und ästhetische Bildung. Die Kombination von Gesang und Spiel bzw. die musikalische und klangbasierte Theaterarbeit bieten spezifische Gestaltungsmöglichkeiten. Mit dem neuen Kindermusiktheater bekommen Kinder und Jugendliche die Möglichkeit, auch im Musiktheater zu selbstständigen Darstellern zu werden, was vorher in der Regel nur professionellen Sängern vorbehalten war. In ihrer Art, Musik zu verstehen und sie szenisch zu transformieren, wird die Theaterlandschaft um Zeitgenossenschaft bereichert: Die Rezeption von partizipativem Kindermusiktheater bedeutet, endlich denjenigen zuhören zu können, die die Tradition der Oper vorher ausgeschlossen hat. Vermittlung: Neues Kindermusiktheater braucht eine zeitgenössische Vermittlung. Diese beruht nicht mehr auf einer Wissensvermittlung, sondern auf Selbstermächtigung. Die Verdrängung der klassischen Musik aus dem Zentrum des Bildungskanons hat zur Folge, dass man sie nun als ein Angebot vermitteln kann, hinter dem kein Lernzwang steht. Im Gegenteil wird Kindermusiktheatervermittlung dadurch zeitgenössisch, dass sie ein partnerschaftliches Angebot macht, bei dem es ein Interesse gegenüber dem Gegenstand wie gegenüber der Lebenswelt der Partizipierenden gibt. Zeitgenössische Vermittlung bedeutet für seine professionellen Akteure, selbst genauso viel lernen wie weitergeben zu können. In einer von differierender sozialen und kulturellen Herkunft geprägten Welt mit schnellen Migrationsbewegungen gilt das umso mehr. Über alle Betriebsformen hinweg brauchen Vermittler dafür Zeit und Freiräume, in denen Transferleistungen nicht an erster

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3.  Welche Rahmenbedingungen braucht das Kindermusiktheater?

Stelle stehen. Zeitgenössische Vermittlung von Kindermusiktheater ist nicht an Publikumszahlen oder an Repertoireerziehung gebunden. Es ist kein Schulfach, in dem verkappter Musikunterricht gegeben wird, sondern ein offener Erfahrungsraum künstlerischer Praxis. Arbeitsweisen: Kindermusiktheater benötigt zeitgenössische Arbeitsweisen. Das bedeutet demokratische Formen der Zusammenarbeit und eine Ausrichtung der Arbeit auf die Bedürfnisse des Kindermusiktheaters. Besonders die Opernhäuser mit ihren arbeitsteiligen Abläufen stehen hier in einer besonderen Verantwortung. Kindermusiktheater hat es schwer, zeitgenössisch zu werden, wenn es unter den Voraussetzungen eines durchrationalisierten Repertoirebetriebs hergestellt wird, dessen Produktionsverständnis im 19. Jahrhundert wurzelt. Besonders in Opernhäusern wird es die Aufgabe der Zukunft sein, sowohl zu partnerschaftlichen Umgangsformen zu kommen, als auch die Eigendynamik des Systems auf das Kindermusiktheater einzustellen. Dabei sind die Häuser in Gänze gefragt. Zeitgenössisches Kindermusiktheater braucht die überzeugte Leitung, ein improvisationsbereites Orchester und ein einfühlsames Vorderhauspersonal. Publikum: Kindermusiktheater ist ein Türöffner gegenüber einer sich wandelnden Bevölkerungsstruktur. Durch die Musik ist es nicht an Nationalsprachen gebunden. In der hohen Abstraktion seiner Ausdrucksmöglichkeiten sowie in seiner sinnlichen Wirkung hat es eine wichtige Funktion ästhetischer Verständigung jenseits des Wortes. Mit der engen Verbindung der Musik zur Sphäre des Geistlichen, Religiösen und Übersinnlichen dient es einem transkulturellem Austausch und dem Verständnis diverser kultureller und religiöser Identitäten. Architektur: Musiktheater wird auch durch seine Spielstätte zeitgenössisch. Seine rasante Entwicklung nahm es jenseits der repräsentativen Bauten der Opernhäuser, vielmehr in kleineren Spielorten. Es braucht die unmittelbare Begegnung der Zuschauer mit den Darstellern, die sichtbare musikalische Quelle und die Möglichkeit der Interaktion. Kinder gehen ins große Haus, um sich für großformatiges Musiktheater zu begeistern. Der ideale Spielort bleibt aber die Blackbox, bei der die Verbindungen zwischen Publikum, Musikern und Darstellern den Erfordernissen des Stücks angepasst werden können. Zeitgenössische Spielstätten betrachten Kinder als Zuschauer mit eigenen Bedürfnissen und ermöglichen eine Begegnung auf Augenhöhe. Die Ernsthaftigkeit des Eingehens auf die Zielgruppe beginnt bereits auf dem Vorplatz

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VIII.  Herausforderungen und Perspektiven

des Theaters, im Vorderhausbereich, bei den Garderoben und in den Foyers. Besonders die Opernhäuser müssen dafür sorgen, dass sich Kinder nicht als ungebetene Gäste fühlen, sondern zu ihrem Recht auf Teilhabe kommen. Kinder reagieren besonders stark auf sie umgebende Räume. Über alle Betriebsformen hinweg müssen sich Theaterschaffende mit der Frage auseinandersetzen, wie ernsthaft sich die Bemühungen gegenüber Kindern in der Gestaltung ihrer Spielorte niederschlagen.

3.4 Solidarität der Theaterlandschaft

Kindermusiktheater ist als bewegliche Kunstform zwischen den Betriebsformen auf eine funktionierende und solidarische Theaterlandschaft angewiesen. Eine »Verschlankung« des Theaters gegen den vermeintlichen »Kulturinfarkt« (Haselbach/Klein/Knüsel/Opitz 2012) – Abbau vor allem des regionalen Stadttheaters zugunsten einiger weniger Leuchttürme in den Großstädten – nimmt dem Theater die Verbindung mit der Region. Kinder reisen nicht in andere Städte, um Theater sehen zu können. Sie brauchen Gruppen und Häuser vor Ort, Partizipationsangebote in Erreichbarkeit ihrer Schulen. Auch der immer wieder aufgenommene Streit zwischen Stadttheater und Freier Szene ist kein günstiger Hintergrund für die Entwicklung des Kindermusiktheaters. Es ist in beiden Sphären zu Hause. Die Unterschiedlichkeit der Produktionsbedingungen vom Opernhaus bis zur Freien Gruppe garantiert die ästhetische Diversität und eröffnet das produktive Spannungsfeld für Kooperationen. Auch das Eingehen auf die unterschiedlichen sozialen und ästhetischen Bedürfnisse des Publikums macht die Attraktivität des deutschen Kindermusiktheaters aus. Die Forderung nach Schließung einzelner Opernhäuser zugunsten der Freien Szene würde das Instrument gefährden, große Kinderopern zu produzieren und in einem Umfeld spezialisierter Sänger und Musiker zu arbeiten. Eine bundesweite Neuausrichtung würde außerdem der Kulturhoheit der Städte und Gemeinden widerstreben. Kindermusiktheater wird vom Stadttheater über die Freie Szene bis hin zum Privattheater im Wesentlichen auf öffentliche Förderung angewiesen sein. Auch wenn divergierende Zuschüsse Ungerechtigkeiten erzeugen, bleiben ihre Mitglieder an die öffentliche Hand gebunden: Ihren starken Unterschieden in der künstlerischen Ausrichtung steht eine starke Gemeinsamkeit entgegen.

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3.  Welche Rahmenbedingungen braucht das Kindermusiktheater?

Das Kulturpublikum ist als »Allesfresser« viel weniger für die Verteilungskonflikte sensibilisiert als die jeweiligen Theaterleute. Die Publikumsforschung hat festgestellt, dass Theater- und Konzertgänger flexibel sind und gerne zwischen den Kunstformen pendeln (Mandel 2009, 22). Die Diversität der deutschen Theaterlandschaft besteht darin, sich in unterschiedliche Welten aufmachen zu können, ins festliche Opernhaus zu gehen, einen alternativen Spielort der Freien Szene zu besuchen oder einem Open-Air-Event beizuwohnen und dabei lustvoll am Spiel mit den äußeren Codes teilzuhaben (Kleidung, Verköstigung, Verhalten während der Vorstellung usw.). Nach den starken Preissenkungen im Stadttheater und seiner gesellschaftlichen Öffnung, der starken künstlerischen Konkurrenz durch die Freie Szene und einer anspruchsvollen ästhetisch und kulturell bildenden Soziokultur, ist die alte Dichotomie der »Hochkultur« für die »Eliten« und der »Subkultur« für die »Alternativen« nicht mehr zu halten, sondern weicht einem Kulturpublikum, bei dem weniger die soziale Distinktion als der persönliche Geschmack, die künstlerische Qualität, der persönliche Bezug und die Identifikation mit dem Spielort von Bedeutung sind. Das Kindermusiktheater spielt darin eine nochmals ausgleichende Rolle. Eine als vermeintlich elitär verschriene Gattung (»Oper«) mischt sich mit einem vermeintlich alternativen kulturellen Feld (»Soziokultur«). In der kleinen Form lösen sich im Kindermusiktheater die überkommenen Zuweisungen vermeintlich typischer Regiepraktiken des Stadttheaters, des freien Kindertheaters, der freien Gruppen und des soziokulturellen Milieus auf. Die Theaterlandschaft gleicht in seiner Ganzheit einem Biotop, das durch viele Verbindungen miteinander verknüpft ist und sich gegenseitig stützt, auch wenn es Konkurrenzbeziehungen gibt. Stadttheater und Freie Szene bestimmen einen gemeinsamen Markt, der Arbeitsplätze für Künstler unterschiedlicher Professionalisierung bietet. Die gesamte Theaterlandschaft steht außerdem in starken Wechselwirkungen mit den Schulen. Beide Theatersphären haben darin wichtige kulturelle Bildungsaufträge, die sich nicht gegenseitig ersetzen können. Die Oper, das Ballett und das Konzert sind als musikalische Institutionen eng mit dem Musikleben (Musikschulen, Privatunterricht, Wettbewerbe, Verbandsarbeit) verknüpft. In der öffentlichen Rezeption von Musik und Theater geschieht zivile Selbstverständigung. Dies gilt für die Selbstverortung im regionalen, europäischen und globalen Kontext. Theater fördert den Zusammenhalt jenseits familiärer oder nationaler Bindungen und jenseits von Geschäftsbeziehungen. Es ist ein Ort der öffentlichen Eva-

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VIII.  Herausforderungen und Perspektiven

luierung gemeinschaftlicher Werte und ein Übungsfeld sozialer Praxis. Öffentliche Kunst, Vermittlung und Partizipation ermöglichen Community-Building. Die integrative Kraft der öffentlich geförderten darstellenden Künste ist in Zeiten sich vergrößernder sozialer und politischer Gräben wichtiger denn je. Stadttheater und Freie Szene haben darin einen gemeinsamen Kulturauftrag, der sich am Bedürfnis des Publikums orientieren muss. Die Schwierigkeit, ein alterndes Publikum zu verjüngen und diverser zu machen, haben Oper und Konzert am deutlichsten. Zugleich bleibt ein Großteil des Kulturpublikums an traditioneller Narration, an Repertoirestücken sowie an Virtuosität der Darstellung interessiert. Musik und Theater haben auch darin ihren Kulturauftrag zu erfüllen. Öffentlich geförderte Theater und Orchester in Deutschland erreichen rund 21 Millionen Zuschauer. Zusammen mit den Privattheatern sind es 35 Millionen (Deutscher Bühnenverein 2014, 257). Die Freie Szene verzeichnet etwa acht Millionen Besucher (Bundesverband Freier Theater 2014, 13), Laiengruppen etwa sechs (Wagner 2011, 9). Die Deutsche Theaterlandschaft verzeichnet also fast fünfzig Millionen Zuschauer von Theatervorstellungen und Konzerten. Der demografische Wandel wird die Nachfrage nach kulturellem Angebot nochmals verstärken. In Anbetracht der in den nächsten Jahren in Rente gehenden geburtenstarken Jahrgänge ist hier nochmals ein Anstieg der Nachfrage zu erwarten. Vermutlich gab es zu keinem Zeitpunkt mehr Interesse an Theater und Musik. Kindermusiktheater hat damit gute Bedingungen und liefert Gründe, seine gemeinschaftliche Basis zu verteidigen. Darstellende Kunst, ihre Vermittlung und Rezeption ist Friedensarbeit. Dies gilt für die partizipierenden Kommunen, Gemeinden und Dorfgemeinschaften wie auch für Künstler, Organisatoren und Vermittler, die im regionalen oder international vernetzten Kontext arbeiten. Diese gesellschaftliche Leistung bedarf insgesamt der Aufwertung. Bei den sozialen und kulturell bildenden Anstrengungen der gesamten Theaterlandschaft braucht es eine Verschiebung der ­Diskussion, die weniger auf die Verteilung der Fördergelder als vielmehr auf den allgemeinen gesellschaftlichen Wert von Kunst und Kultur abhebt.235 Referenzgrößen sind vor diesem Hintergrund dann nicht mehr die Millionen Euro, die die Sanierung eines Hauses kostet, und wie diese gewinnbringend in der Freien Szene einzusetzen wären, sondern die Milliarden, die der Theaterlandschaft insgesamt fehlen. Eine Musik- und Theaterlandschaft, die sich nicht nur als Ermöglicher von Kunst, sondern von sozialer Integration und Kultureller Bildung ver-

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3.  Welche Rahmenbedingungen braucht das Kindermusiktheater?

steht, braucht ihre Referenzgrößen beim Sozial- und Bildungsetat der Länder. Theater als zivile Friedensarbeit verstanden, ist nicht nur ein sozialer und bildender Beitrag zur Gesellschaft, sondern auch einer zur nationalen Sicherheit. Auch gegen 45 Milliarden Euro Wehretat (Bundesmittel für 2020) nehmen sich die Ausgaben für Musik und Theater mit kaum drei Milliarden klein aus. Auf dem Weg von einer militärischen Sicherheitspolitik, die ein nationales Heer und teure Ausrüstung verlangt zu einer zivilen Sicherheitspolitik, die auf ein Heer mehrerer Staaten und vor allem nachhaltig stabilisierende Diplomatie im Inland wie ins Ausland setzt, würde die deutsche Theaterlandschaft einen wesentlichen Beitrag leisten.236

3.5 Künstlerische Diversität durch Stärkung der Institutionen

Kindermusiktheater hat weder in Stuttgart noch in Karlsruhe oder Nürnberg die Bedingungen, die den spezifischen Bedürfnissen des Kindermusiktheaters in Gänze entsprechen. Lediglich das Kinderopernhaus hat seine Organisationsstruktur gänzlich auf das (partizipative) Kindermusiktheater ausgerichtet und damit günstige Bedingungen geschaffen. Folgt daraus, dass es im Bereich des Stadttheaters und des Freien Kindertheaters eigene Kinderopernhäuser geben müsste? Dafür spräche, dass damit viel zielgerichteter und ohne Reibungsverluste die Notwendigkeiten eines Kindermusiktheaters in Organisation, Vermittlung und Vorstellungen berücksichtigt werden könnten. Doch man verlöre zugleich die gesamte Infrastruktur der Häuser, die Synergieeffekte bei den Künstlern und die Möglichkeiten einer gemeinsamen Arbeit an den Schulen. Und wie realistisch ist die Gründung eigener Kindermusiktheaterhäuser in Anbetracht der letzten 25 Jahre, in denen dies nicht geschehen ist? Nein, auch wenn es zu einzelnen Gründungen von eigenständigen Kindermusiktheaterhäusern kommen sollte, wird sich das Kindermusiktheater in seinen Stadt- und Staatstheatern, in seinen Häusern des Freien Kindertheaters und in seinen Gruppen entwickeln. Dabei wird es bei den stehenden Häusern noch längere Zeit von initiativen Leitungspersönlichkeiten abhängen, die sich gegen Widerstände des Betriebs durchsetzen und um Eigenständigkeit ringen müssen. Zugleich liegt darin die Chance der Erweiterung der künstlerischen und sozialen Möglichkeiten jeder einzelnen Institution. Das Schlüsselmoment liegt darin, dass es dem Kindermusiktheater gelingen muss, innerhalb seiner institutionellen Rahmung Unabhängig-

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VIII.  Herausforderungen und Perspektiven

keit zu erreichen, die sich in Ressourcen, Raumsituation und künstlerischer Produktion niederschlägt. Oper und Stadttheater haben dabei besondere Aufgaben. Der Opernbetrieb des Stadttheaters ist noch immer dem Repertoiresystem verhaftet. Selbst wenn man wollte, könnte man die Zwänge aus Arbeitsverträgen, Architektur, Einnahmedruck, Abonnementsystem ­ und einem konditionierten Publikumsgeschmack nicht sofort ­ändern. Vor diesem Hintergrund scheint es umso wahrscheinlicher, dass eine Reform der Oper nicht durch Verordnung, sondern durch einen selbstbestimmten, langsamen Prozess der Lockerung des Repertoiresystems zu entwickeln ist. Es würde bedeuten, dass sie durchlässiger wird für Künstler und Theaterformen, die den Kunstapparat auf eine ganz andere Weise fordern, als er es gewohnt ist, dabei aber ihren ­Repertoireschwerpunkt behält. In diesem Sinne ist das Kindermusiktheater eine ideale Kunstform. Sie wurzelt in den Traditionen und ist zugleich modern. Es findet Partner in der Stadt und verankert sich in der Region. Kindermusiktheater ist flexibler als die Oper für die große Bühne, weil es auf den Apparat der Häuser nicht zwingend angewiesen ist, sondern mit weniger Mitteln auskommt und auf der Studiobühne und mobil funktioniert.

4. Maßnahmenkatalog: Zwölf Vorschläge zum Kindermusiktheater

Aus einem gesellschaftlichen Theaterverständnis heraus, dass Kunst Dienst an der Gemeinschaft ist und mit gleicher Intensität an seiner Zugänglichkeit gearbeitet werden muss, wird Kindermusiktheater zu einer zentralen Herausforderung der nächsten Jahre. Dabei wird es vieler Einzelschritte in den Ländern, Städten und Regionen bedürfen. Gefragt sind dabei also Theaterleute wie Kulturpolitiker sowie die Vertreter angrenzender Disziplinen in Schulen und Universitäten. 1. Kindermusiktheater als eigenständige Kunstform anerkennen: Kindermusiktheater hat sich in den letzten 25 Jahren als eigenständige Kunstform etabliert. Seine Wirkungsweisen wie auch seine Produktionsprozesse stehen denen des Kindertheaters, des Tanzes und der Oper in nichts nach. Gleichwohl hat es sowohl im Stadttheater wie auch in der Freien Szene weder die gleiche Anerkennung noch die gleichen Rechte. An die Gattungen Oper/Musiktheater, Schauspiel, Ballett/Tanz und Kindertheater

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4.  Maßnahmenkatalog: Zwölf Vorschläge zum Kindermusiktheater

knüpft sich der Kulturauftrag, nach dem ein Bundesland oder eine Kommune seinen Bürgern den Besuch von Musik und Theater ermöglicht und für die spezialisierte Organisationsformen vorgesehen sind. Kindermusiktheater muss in diesen Kanon aufgenommen werden. Es braucht den Status einer selbstständigen Kunstform. Für das Stadttheater bedeutet dieser Schritt, eigene Sparten zu gründen und damit organisatorische und kulturpolitische Verbindlichkeit zu schaffen. Dazu braucht es öffentliche Förderung und noch immer die Initiative der Häuser. In der Gemeinsamkeit zwischen den politischen Entscheidern und den Realisatoren an den Theatern wird sich die Sparte in dem Maße entwickeln, wie sie praktische Arbeitsgrundlagen bekommt. Diese sollten so individuell wie möglich – wie beim Modell Baden-Württemberg – an den Institutionen installiert werden. Als eigene Sparte ließe sich Kindermusiktheater über persönliche Bindungen hinaus verstetigen und den aufreibenden Streit um Ressourcen (»Querfinanzierung«) und Kompetenzen innerhalb der Häuser beenden. Kindermusiktheater wäre damit nicht mehr in der Position, auf den guten Willen der Gründungsmitglieder und des Theaterumfelds angewiesen zu sein. Als eigene Sparte ließen sich Arbeitsbereiche klarer definieren (Doppelaufgaben) und spezifischen Anforderungen, wie z. B. die Vermittlung, vertraglich genauer bestimmen. Die Gattung hätte auch in der öffentlichen Wahrnehmung einen gefestigten Stand. Dies gilt sowohl für die fördernden Institutionen als auch für Presse und Publikum. 2. Ressourcen bereitstellen: Künstlerische Leiter müssen den Betrieb auf die Bedürfnisse des Kindermusiktheaters einstellen und sie auch im laufenden Betrieb verteidigen. Kindermusiktheater braucht über alle Betriebsformen hinweg Räume, finanzielle Mittel, Öffentlichkeitsarbeit und einen spezifisch beratenden Verkauf für die Schulen. Kindermusiktheater braucht ein verlässlich agierendes und nicht zu oft wechselndes Personal. Im Freien Kindertheater und bei den Freien Gruppen muss die Übereinkunft gelten, dass Kindermusiktheater mehr Ressourcen braucht als eine Schauspielproduktion und zwar sowohl bei Sängern und Musikern wie auch bei Komponisten. 3. Kindermusiktheater intern aufwerten: Kindermusiktheater muss eine Leitungsaufgabe sein. Die Mitglieder der Abteilung brau-

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VIII.  Herausforderungen und Perspektiven

chen den regelmäßigen inhaltlichen Austausch. Ziel muss es sein, Kindermusiktheater nicht nebenbei zu betreiben, sondern zu einer Hauptbeschäftigung des Hauses zu machen. Die Gagen im Kindermusiktheater müssen erhöht und dem Abendspielplan angeglichen werden. 4. Arbeitsformen reformieren: Insbesondere das Stadttheater muss seine hierarchischen Arbeitsformen überdenken, für ­geschlechtliche Gleichbehandlung und für personelle Diversität sorgen. Es bedarf einer Analyse der Aufgaben und der Einhaltung der Arbeitszeiten. Kindermusiktheater darf nicht zu einer Zusatzaufgabe werden, die das Aufgabenprofil nochmals überdehnt. Allen Schwierigkeiten zum Trotz dürfen Kindermusiktheatermacher nicht nachlassen, ihre innovativen Arbeitsweisen und künstlerischen Mittel auf das Hauptgeschäft zu übertragen. Das experimentelle Potenzial ist noch nicht erschöpft. Dies gilt insbesondere für die große Bühne. Hier gilt es durch Raumvarianten (Arena, Steg, Bühne auf der Bühne usw.) die weiten Entfernungen zu überbrücken, das Orchester sichtbar zu machen und Partizipation zu ermöglichen. Erst mit der großen Bühne lassen sich Zuschauerzahlen erreichen, die Kindermusiktheater aus der ­Nischenfunktion herausbringen. Die Häuser müssen es umgekehrt wagen, erfolgreiche Arbeitsweisen des Kindermusiktheaters auch in anderen Bereichen umzusetzen. Zu nennen ist die Stückentwicklung und die Entwicklung der Partitur auf den ­Proben. 5. Bündnis für neues Publikum schaffen: Zur kulturpolitischen Verankerung des Kindermusiktheaters gehört ein new audience deal zwischen Trägern und Intendanten im Stadttheater. Es braucht ein Abkommen, das die Bildung eines neuen Publikumsstamms zu einem gemeinsamen politischen Ziel erklärt. Das Angebot für neues Publikum bedeutet Rückgang der Besucherzahlen, gemessen an dem, was mit Repertoireproduktionen eingespielt werden könnte. Dies gilt gerade bei den für die Zuschauerzahlen wichtigen Produktionen im großen Haus. (Vgl. Beispiel Robin Hood, S. 99.) Die Politik und die Theater müssen in Kauf ­nehmen, dass – wenn Kinderoper im Großen Haus stattfindet – die ­Zuschauerzahlen sinken können. Das Vertrauen in Kindermusiktheater und sein Publikum lässt sich nur über Jahre aufbauen. Städte und Länder müssen verbindlich in Aussicht stellen,

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4.  Maßnahmenkatalog: Zwölf Vorschläge zum Kindermusiktheater

dass die ­erfolgreiche Theaterarbeit nicht in Besuchen gemessen wird, sondern mit einer messbaren Wende bei den Besuchergruppen. ­ 6. Tarifvertrag ändern: Die deutsche Orchestervereinigung und der Bühnenverein sollten den Tarifvertrag für die Erfordernisse des Musiktheaters für Kinder anpassen, sodass Musiker nicht nur als musikalische Begleiter, sondern auch als szenisch agierende ­Akteure Teil von Produktionen werden können. 7. Strukturförderung für freie Gruppen: Kindermusiktheater braucht Lobbyarbeit für freie Gruppen. Die Strukturförderung muss erhöht, die Anreize für eigene Spielstätten müssen verbessert werden. Wahrnehmung und Akzeptanz müssen steigen. Kulturpolitisches Ziel sollte die Verstetigung der Arbeit für das Kindermusiktheater sein. Dazu gehören die Spielorte, die für ihr Publikum eine verlässliche Anlaufstelle bilden. Hier sind Häuser gefragt, die kein eigenes Ensemble haben, wie Spielstätten der Freien Szene, Bespielhäuser, soziokulturelle Zentren und Schulen. Aber auch Stadt- und Staatstheater sind nach Kapazität und Vermögen in der Pflicht, Raum und Infrastruktur anzubieten. Freie Gruppen haben oft Schwierigkeiten mit der Projektmitteleinwerbung, weil sie keinen festen Spielort angeben können. Damit wird genau jene Produktionssparte ausgegrenzt, die in Lücken vorstoßen kann, die von stehenden Institutionen nicht gefüllt werden: Schulauftritte, Vorstellungen im öffentlichen Raum, Gastspiele im Gefängnis oder Krankenhaus. Deswegen braucht es mehr Agenten für Schulen, die Auftritte und Vermittlungsarbeit koordinieren und den Kontakt in die Szene halten. Kindermusiktheater in der Freien Szene braucht Ensembles und Künstler, die über einen längeren Zeitraum hinaus beieinander bleiben. Gerade solche Projekte, bei denen Künstler über ihre professionellen Grenzen gehen, erfordern ein oft jahrelanges gemeinsames Üben. Die Zusammenarbeit muss Phasen des Scheiterns beinhalten dürfen, aus denen man in der nächsten Produktion lernen kann, ohne wieder auseinandergehen zu müssen. Künstler sind außerdem wichtige Kommunikatoren und befördern die Verankerung der Gruppe am Wohnort. Durch die starke Entwicklung der Partizipation hat diese persönliche Verbindung nochmals an Bedeutung gewonnen. Besonders Freie Gruppen können ihre Arbeitsweisen ganz auf das Kinder-

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VIII.  Herausforderungen und Perspektiven

musiktheater einstellen. Ihre Arbeit ist für die Entwicklung der Gattung besonders förderungswürdig. Vor allem in Hinblick auf die Entwicklung einer professionellen Expertise im Kindermusiktheater sind Darsteller, Musiker und Organisatoren der Freien Szene wichtige Akteure für Innovation. Erprobte Fördermittel wie Residenzen, Stipendien und Preise sollten zum Zweck eines regelmäßig angebotenen Kindermusiktheaters ausgelobt werden. 8. Ländliche Bereiche stärken: Freie Gruppen im ländlichen Raum und die Verbindungen zur Soziokultur brauchen kulturpolitische Aufmerksamkeit. Da die finanzielle Förderung oft in die Städte fließt, muss auf dem Kindermusiktheater im dörflichen Kontext ein besonderes Augenmerk liegen. Kindermusiktheater braucht auch in soziokulturellen Institutionen eigene Förderung. Dies gilt nicht nur für eine spezialisierte Institution wie das Kinderopernhaus, sondern auch für das allgemeine soziokulturelle ­Zentrum, bei dem Kindermusiktheater neben Kino, Schauspiel oder partizipativem Tanz bestehen muss. 9. Gastspiele erleichtern: Die Freie Szene ist neben den Landesbühnen in besonderer Weise für die Verbreitung des Musiktheaters in der Fläche verantwortlich. Hier braucht es koordinierende Arbeit von Seiten der Kommunen zur Vermittlung des Kindermusiktheaters an die Bildungsinstitutionen. Auf Landesebene braucht es Koordinatoren, die Aktivitäten des Kindermusiktheaters transparent machen und Gastspielmöglichkeiten vermitteln. Anerkennung und Förderung des Kindermusiktheaters als eigene Kunstform beeinflusst auch die Gastspielhäuser. Sie würden fortan eine Gattung einladen, die nicht zu den Randbereichen zählt und außerdem mehr Stücke von höherer Produktionsqualität zur Auswahl haben. 10. Partizipation am Wohnort fördern: Dazu ist die Zusammenarbeit der Bildungsinstitutionen und Wohlfahrtsverbände nach dem Modell des Kinderopernhauses Lichtenberg empfehlenswert. G ­ efragt sind dabei Kommunen und Stadtteile. Auch hierfür bräuchte es mehr Kulturagenten, die Angebot und Nachfrage ­koordinieren.

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5.  Ausblick: Kindermusiktheater als Kunstform der Zukunft

11. Ausbildung anbieten: Die mangelnde Ausbildung ist ein von fast allen Interviewpartnern erwähntes Desiderat.237 Universitäten und Musikhochschulen sind in der Pflicht, flächendeckend zum Musiktheaterpädagogen auszubilden und andere Theaterberufe wie Dramaturgie und Management mit den Bedingungen des Kindermusiktheaters vertraut zu machen. Darstellendes Spiel, Improvisation, Stückentwicklung sowie theaterpädagogische Methoden gehören in das Curriculum des klassischen Orchestermusikers. Neues Musiktheater in Theorie und interaktive Praxis müssen in den Lehrplan der Schulen integriert werden. 12. Vernetzung vorantreiben: Kindermusiktheater braucht überregionale Vernetzung. Dies betrifft sowohl die Akteure für den allgemeinen Austausch (Symposien), die Produktion (Gastspielplanung) als auch die Stücke. Es bedarf einer zentralen Erfassung des Repertoires und Materialsammlungen, die so verschlagwortet sind, dass die unterschiedlichen Bedürfnisse des Kindermusiktheaters (»mit Kinderchor«, »Klassenzimmerbesetzung«, »­Jugendstück« usw.) schnell zu finden sind.

5.

Ausblick: Kindermusiktheater als Kunstform der Zukunft

Kindermusiktheater erlebt seine neue Blüte im Zuge eines neu erwachten Kulturverständnisses, das Teilhabe und Kulturelle Bildung ermöglicht. Bei allen organisatorischen Schwierigkeiten und über die Grenzen der Arbeitsformen hinweg, hat es das Kindermusiktheater geschafft, zu einer Kunstform zu werden, die sich nicht durch ihren pädagogisch-bildenden Zweck, sondern genauso durch seine ästhetische Wirkung legitimiert. Im Stadt- und Staatstheater gehört der Vermittlungsbereich zu den Abteilungen mit dem größten Wachstum – daran hat das Kindermusiktheater einen entscheidenden Anteil. Kindermusiktheater ist dabei eine der preiswertesten Kunstformen des Musiktheaters. Noch immer sind große und mittlere Häuser so gut ausgestattet, dass die Branche weiter wächst. Auch die Situation der Ausbildung verbessert sich. In den Orchestern wächst eine neue Generation von Musikern heran, für die Vermittlungsarbeit zum Alltag gehört. Prominente Sänger haben das Musiktheater für Kinder längst nobilitiert. Der sich verbessernde Ruf des Musiktheaters an den Schulen, die heute leicht steigenden Zahlen im Konzert und die sich stabilisierenden Besucherzahlen

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VIII.  Herausforderungen und Perspektiven

in der Oper bilden ein positives Umfeld. Alle Praktiker sprechen davon, dass der Bedarf an Kindermusiktheater und Vermittlungsaktivitäten noch lange nicht gedeckt ist.238 Die Komische Oper erreicht mit ihrer Jugendabteilung etwa jeden hundertsten Berliner. Auf Deutschland umgerechnet wären das 800 000 Zuschauer. Die Zusammenschlüsse von Pfütze und Fürth gehören zu den Pioniertaten der Szene. In der Kooperation liegt ein für viele andere Theater noch immer ungehobener Schatz. Gastspielhäuser können zu Produzenten werden, indem sie ihren künstlerischen Etat für Kindermusiktheaterstücke verwenden, die in der Nähe produziert werden, leicht zu transportieren sind und anders als andere Gastspiele auch mehrfach gezeigt werden können. Den Synergieeffekten von Bühnen im Gastspielbetrieb, von Freien Theatern, Landesbühnen und Stadttheatern sind damit keine Grenzen gesetzt. Die Idee eines eigenen Hauses für Kindermusiktheater liegt in der Luft. Es würde bundespolitisch nach Berlin gehören, als Initiative der Länder aber auch in München oder Hamburg denkbar sein. Von seiner Wirkungsabsicht her ist es ein Regionaltheater, das auch in Emden oder Riesa stehen könnte. Kommunen müssten nicht viel aufbringen, um einen Anfang zu finanzieren: Leitung, Pädagogik, drei Sänger, einen Schauspieler, vier Musiker, eine eigene Spielstätte – alles weit unterhalb der Anforderungen gewachsener Schauspielkinderbühnen. Vielleicht gehen dabei beherzte Theatermacher voran, die ursprünglich vom Kindertheater kommen und der Faszination des musikalischen Theaters erlegen sind. Bis es dazu kommt, wird sich die Kunstform in allen Theaterbereichen weiterentwickeln. Als »­dezentrale« Kunst, die sich längst vom Opernapparat emanzipiert hat, entspricht sie einem Trend der vernetzten Welt und der künstlerischen Selbstermächtigung freier Theatergruppen in der Provinz. Es ist ein Vorreiter einer kulturellen Kooperation, die die Theaterlandschaft als zusammenhängenden Organismus betrachtet, der Vielfalt hervorbringt und sich dabei als Einheit versteht. Gemeint ist eine Einheit, die ­ästhetische Kontroversen aushält, sich dabei aber nicht in interne ­Verteilungsdebatten verstrickt, sondern in der Lage ist, kulturpolitisch geschlossen aufzutreten.

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»Das kleine Wunder. Musikpädagogik und der Boom der Kinderoper« (Jahnke 2002, 10 – 13). Auch in den musikalischen Werken, die gemeinhin zur »Unterhaltung« gezählt werden, zeigt sich der Einzug des Musiktheaters für Kinder und Jugendliche. In der Spielzeit 2013/14 kommen drei für ein jugendliches Publikum komponierte Operetten und 37 für die Jugend geschriebene Musicals heraus. 8691 Vorstellungen von Oper und Operette für Erwachsene kommen in der Spielzeit 2013/14 heraus. 1465 Vorstellungen bieten die Häuser für Kinder und Jugendliche an. Nicht mit eingerechnet ist dieses Mal das Musical mit 7544 Vorstellungen für Erwachsene und 1177 Vorstellungen für Kinder, weil hier die Statistik deutlich von den kommerziellen Musicalhäusern beeinflusst wird. Weil es sich um etablierte Institutionen und Fachbegriffe der jüngeren Kulturpolitikwissenschaft handelt (Fülle 2016) werden das Freie Theater, das Freie Kindertheater und die Freie Szene hier großgeschrieben. Kleinere Einheiten wie freie Gruppen sowie Organisationsformen, die noch keinen institutionellen Status genießen, wie das freie Kindermusiktheater, werden dabei weiterhin kleingeschrieben. Der besseren Lesbarkeit halber wird im Text nicht »gegendert«. Mit der üblichen Schreibweise der Mehrzahl (mit männlichem Genus) sind immer sowohl Frauen und Männer gemeint (z. B. »die Musiktheaterpädagogen«). An ausgewählten Stellen wird die männliche Form im Singular gewählt, um die allgemeine Funktion jenseits der sie innehabenden Person herauszustellen (z. B. »die Funktion des Musikpädagogen müsste aufgewertet werden«). Für den Bereich des Musiktheaters für Kinder herrschen in Theorie und Praxis zahlreiche, teilweise verwirrende Bezeichnungen, die sowohl die Gattung (z. B. Singspiel), die Gattung des Librettos (z. B. Märchenoper), die Dauer (z. B. Minioper) oder den Ort der Aufführung (z. B. Schuloper) betreffen (Regler-Bellinger 1996, Sp. 43). Obwohl es im Sprachgebrauch des Theaters üblich ist, unter Musiktheater auch das Ballett und den modernen Ausdruckstanz, also die Tanzsparte, zu subsummieren, ist der Tanz hier ausdrücklich nicht gemeint. In den Passagen zu musikalischen Projekten mit Jugendlichen ist im konkreten Fall dann von Jugendoper die Rede. (Vgl. »Jugendoper als Erweiterung des Abendspielplans«, S. 114.) Auf dem von der Assitej 2016 veranstalteten Symposium zum experimentellen Kindermusiktheater wird deutlich, dass experimentelles Musiktheater für Kinder das Hören erprobt. »Das, was wir hören, kann das, was wir zugleich sehen, umdeuten und umgekehrt. Neue Verknüpfungen von Bildern und Tönen können zu neuen Weltvorstellungen und neuen sprachlichen Begriffen führen. Das experimentelle Kindermusiktheater versteht sich dabei als öffnender Prozess, der fragt, überrascht und das Hören erweitert. Dieser dynamische Begriff des Hörens gilt auch für Produktionen für Erwachsene, ist aber im Kindermusiktheater umso wichtiger, weil sich hier die Hörerfahrung und die Verknüpfung von Höreindrücken mit Ideen, Bildern, Begriffen, Situationen usw. erst aufbauen. Die Chance des Kindermusiktheaters ist, Teil der Hörentwicklung von Kindern zu werden« (Schaback 2016, 31). Vgl. auch das Interview mit Matthias Rebstock (Assitej e. V. 2016, 10 – 11). Johannes Kup hat herausgearbeitet, dass sich hinter der Partizipation sogar ein Zwang verbergen kann – vergleichbar mit dem Gruppenzwang bei der Benutzung sozialer Medien. Das, was Freiheit verspreche, könne in Wahrheit (verinnerlichte) Fremdbestimmung sein (»Gouvernementalität«). Partizipation laufe Gefahr, die »neoliberalen Subjektvorstellungen« (Selbstoptimierung, Anpassungsfähigkeit, Kommunikations- und Integrationsgeschick usw.) zu forcieren, die den Idealen von Selbstbestimmung und freier Kreativität widersprechen (Kup 2017, 132).

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Alle Interviews sind Teil der Urschrift der Dissertation Kindermusiktheater in Deutschland. Eine Untersuchung zu den kulturpolitischen Rahmenbedingungen von 2019, die dem Fachbereich Kulturwissenschaften und ästhetische Kommunikation der Universität Hildesheim vorliegt. 13 Regler-Bellinger hat im deutschsprachigen Raum umfänglich recherchiert. Auch die Funde aus anderen europäischen Ländern sowie aus Afrika oder Australien sind erstaunlich komplett dokumentiert. Nur die Bearbeitungen von Werken aus dem Erwachsenenspielplan lässt sie aus. Auch Stückentwicklungen werden nicht aufgenommen. 14 In allen Bänden findet sich eine Auswahl meist zeitgenössischer Werke, die ausführlich in Hinblick auf ihre Umsetzbarkeit kommentiert sind und in mehreren Auflagen erscheinen (Reiß 1990/1992). In mehreren Publikationen öffnen Reiß und Schoenebeck auch den Blick für neue Formen des Kindermusiktheaters wie z. B. das Musical (Reiß 1996 und 1998). 15 Das Praxishandbuch und Forschungsinstrument versammelt 1286 Stücke vom 19. Jahrhundert bis 2004 mit ausführlichen wissenschaftlichen sowie aufführungsrelevanten Informationen sowie 957 Einträge der Forschungsliteratur von 1945 bis 2004 (Reiß 2006). 16 Der Komponist Hans Werner Henze gründete 1976 dort das Festival Cantiere Internazionale d’Arte. Pollicino hat 1980 Premiere. 17 Es sei ein Buchverlag gegründet, eine Schneiderwerkstatt neu eingerichtet und »vergessene« Handwerke wie Papierschöpfen neu etabliert worden. Bräuer bezieht sich auf Aussagen Henzes (Bräuer 1990, 20). 18 Ohne besondere Resonanz in der Praxis des neuen Kindermusiktheaters sind die Stücke des Kindermusiktheaters aus der DDR. Dieser Umstand wiegt umso schwerer, als Kinderoper ein höheres Ansehen genoss, es proportional mehr Aufführungen gab und zeitgenössische Kinderoper selbstverständlicher in die Spielpläne integriert war als in der BRD. Hella Brock schrieb bereits 1960 zur »Dramaturgie der Schuloper« in der DDR (Brock 1960). Die Publikation dokumentiert die wissenschaftliche Anteilnahme am Kindermusiktheater, auch wenn es immer in Gefahr schwebte, politisch vereinnahmt zu werden. Der Komponist Kurt Schwaen gehört zu den wenigen Komponisten, von denen auch nach dem Ende der DDR noch Stücke gespielt wurden. Gunter Reiß ist es zu verdanken, dass Kurt Schwaen bereits vor dem Mauerfall zu Symposien nach Münster eingeladen wurde und ein innerdeutscher Dialog über das Kindermusiktheater begann. Mechthild von Schoenebeck publizierte nicht nur zu Kurt Schwaen (von Schoenebeck 2000), sondern auch umfangreich zur »politisch-ideologischen Erziehung« durch Musikwerke in der DDR (von Schoenebeck 1978). Eine kritische Aufarbeitung des Kindermusiktheaters in der DDR, das nach 1990 lautlos verschwand, ist eines der wichtigen Forschungsdesiderate des Kindermusiktheaters. 19 Diesen Trend belegt die Autorin u. a. mit einer steigenden Zahl von Forschungsartikeln. 1981 erscheint beispielsweise Arnold Werner-Jensens Standardwerk Didaktik der Oper. Das steigende Interesse der Schulen an Oper und Musiktheater im Unterricht und in AGs wird auch von anderen Forschern wie Gunter Reiß beobachtet. 1987 wird vom Landesverband der Musikschulen in Nordrhein-Westfalen der Arbeitskreis »Musiktheater für Kinder und Jugendliche« eingerichtet, dem auch Reiß angehört. Eine 1987 durchgeführte Studie, bei der 166 Musikschulen angeschrieben werden, ermittelt 27,1 Prozent Schulen, die im Bereich »Musiktheater für Kinder und Jugendliche« aktiv sind, was Reiß als »überraschend hohes Ergebnis« wertet (Reiß 1992, 11). Mathias Kruse spricht sogar von einer »Euphorie« für das Musiktheater (Kruse 2001, 6). Sie setze etwa in der Mitte der 1980er-Jahre ein und zeichne sich durch praktisches Interesse an Opern und Musicals bzw. Musiktheater-AGs aus. 20 Reiß/von Schoenebeck/Helms schreiben 1996 im Vorwort ihres Stückeverzeichnisses für Musicals, dass viele Schulen, in den »Sog« des Musical-Trends geraten (Reiß 1996, 5). 21 »Begonnen hat die Erfolgsgeschichte der Szenischen Interpretation von Musiktheater mit Ingo Schellers Konzept des erfahrungsbezogenen Unterrichts und des Szenischen Spiels. Die Szenische Interpretation von Musik und Musiktheater initiierte Wolfgang Martin Stroh auf der Grundlage seiner Tätigkeitstheorie und seinen Erfahrungen mit dem ›handlungsorientierten‹ und ›erfahrungsbezogenen‹ Unterricht. In dem von Stroh gegründeten Arbeitskreis ›Musik und

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Szene‹ der Universität Oldenburg (Rainer O. Brinkmann, Markus Kosuch, Ralf Nebhuth) wurde die Methode in die Musikpädadgogik übertragen, modifiziert und weiter entwickelt. Die Szenische Interpretation von Musiktheater gliedert sich mittlerweile in drei Teilbereiche: Szenische Interpretation von Liedern, von Musiktheater und Orchestermusik« (Kosuch 2004, 9). Die Methode ist in fünf Phasen gegliedert: 1) Vorbereitung, 2) Einfühlung, 3) Szenisch-musikalische Arbeit: Haltungen-Bilder-Spiel-Improvisation-Präsentation, 4) Ausfühlung, 5) Präsentation. Vgl. beispielsweise Rainer O. Brinkmanns Buch zur Erschließung von Giacomo Puccinis La Bohème mittels Szenischer Interpretation (Brinkmann, 2003) oder die Spielanweisungen und Materialien von Ralf Nebhuth zu Georges Bizets Carmen (Nebhuth 1990). Vgl. hier die Forschung von Vanessa-Isabelle Reinwand-Weiss, vor allem »Ohne Kunst wäre das Leben ärmer.« Zur biografischen Bedeutung aktiver Theater-Erfahrung (Reinwand-Weiss 2008). Die Vertreter aus Wien, Köln und Stuttgart reklamieren alle den Anspruch, die ersten bzw. »einmalig« zu sein. Ioan Holender, Intendant der Wiener Staatsoper und Gründer der dortigen Kinderoper: »Es ist – neben Köln – meines Wissens etwas Einmaliges, die Institution ›Kinderoper‹ in einem großen Opernhaus integriert zu haben« (Schmid-Reiter 2004, 260). Christoph Dammann, Mitgründer der Kölner Kinderoper in der Yakulthalle: »Seit 1996 gibt es an den Bühnen der Stadt Köln ein weltweit einzigartiges Kinderopern-Projekt« (Schmid-Reiter 2004, 306). Markus Kosuch: »Die Junge Oper Stuttgart ist ein Modellprojekt, das die Kinder- und Jugendarbeit in bisher einzigartiger Weise in den professionellen Opernbetrieb integriert« (Schmid-Reiter 2004, 310). Die Leiterin der Jugendabteilung Anne-Kathrin Ostrop erwähnt dabei, dass »­Jugendliche in der Pubertät […] auf der Suche nach sich selbst« sind. »Auf der Opernbühne sehen sie dann etwas, das sie exemplarisch betrachten können. In der Differenz eröffnen sich Spielräume – für das Spiel und für ihre Selbsterfindung. Im Workshop können sie probehandeln« (Ostrop 2009, 42). Vgl. beispielhaft die Sonderausgabe des Theatermagazins des Staatstheaters Oldenburg, in der wichtige Impulse des Kindermusiktheater-Treffens festgehalten sind (Oldenburgisches Staatstheater 2013). Die statistische Belastbarkeit der Umschau hinsichtlich Publikumszahlen, Stückansätzen oder Produktionszahlen zu Kinderoper ist dabei eigenwillig, denn die Autorin stützt sich fast ausschließlich auf die Daten aus dem Theaterverband Reseo. »Il apparaît que l’histoire est le paramètre le plus important pour les enfants, suivi par la manière dont elle est réalisée. La musique est le « dernier » élément pris en consideration« (Schmitz 2015, 405). Die vollständig vorliegenden Antworten und assoziativen Bilder zu den Operneindrücken ergeben eine wertvolle Rezeptionsstudie, die die Autorin mit aller empirischen Vorsicht auswertet. In der jüngeren Forschung wird kontrovers diskutiert, ob der Begriff Märchenoper oder »Kindermärchenoper« überhaupt gattungsspezifisch, d. h. aufgrund klar voneinander abgrenzbarer ästhetischer Strukturen, haltbar ist, weswegen er hier in Anführungszeichen steht (vgl. Kampe 2012, 37). »Kindermärchenopern« richteten sich an ein kindliches Publikum, was z. B. die Aufführungszeiten zeigen, unterschieden sich aber musikalisch – betrachtet man vor allem die durchkomponierte Version der »Kindermärchenoper« – nur wenig von der Märchenoper, die eindeutig für Erwachsene geschrieben wurden. Vgl. beispielsweise die Bibliografie in: Hänsel und Gretel: Studien und Dokumente zu Engelbert Humperdincks Märchenoper (Irmen 1989). Vgl. die ausführliche Dokumentation der Entstehungsgeschichte (Irmen 1989). Wolfram Humperdinck in der Einleitung zum Reclam-Textbuch (Humperdinck 1976, 4). »… bereits nach 1869 tun sich 90 neue Unternehmen auf und in den folgenden 15 Jahren steigt die Zahl der Theater in Deutschland von 200 auf 600. Diese Etablissements können die mächtig anwachsende Konkurrenz nur verkraften, in dem sie Publikum Kulinarisches bieten und Ausstattungsstücke auf den Plan setzen« (Schedler, 72). Außerdem kann man davon ausgehen, dass in die Märchen- und Zauberopern für Erwachsene (z. B. Die Zauberflöte) traditionell auch Kinder mitgenommen wurden (Schedler 1977, 21).

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In ihrem 1926 erschienenen Buch: »Das Grimmsche Märchen als Text für Opern und Spiele« untersucht Helene Stier-Somlo z. B. »Aschenbrödel, Märchendichtung von Heinrich Carsten mit Musik von Carl Reinecke (erschienen in Leipzig 1878)« oder »Schneewittchen, ein Märchenspiel mit Gesang und lebenden Bildern. Textdichtung von Fritz Fuldner. Musik von Karl Wüstefeld (erschienen in Duderstadt 1899)« (Stier-Somlo 1926, 70 und 103). Meier fügt sich in einen literaturwissenschaftlich geprägten Ansatz ein. Wie bei fast aller Forschung zur Märchenoper liegt ihr Interesse nicht primär bei der Musik oder gar beim kindlichen Zielpublikum, sondern auf Strukturelementen der Libretti und ihrer literarischen Herkunft. Meier beschreibt, wie seit dem 18. Jahrhundert Märchen verwendet und auch später immer wieder als Vorlagen herangezogen wurden, wie z. B. Gioachino Rossini mit La Cenerentola oder später Jacques Offenbach mit Barbe Bleue. Außerdem verdeutlicht sie, auf welche Weise die Zauberoper, die gegen Ende des 18. Jahrhunderts ­populär war, zum ungleichen Vorgänger für die deutschsprachige Märchenoper wurde. Zur Entdeckung des kindlichen Zuschauers vgl. Dietrich Helms’ Aufsatz über Carl Reinecke »Musiktheater für Kinder und die Ästhetik der Häuslichkeit«. Helms beschreibt, auf welche Weise im 19. Jahrhundert die »Kindheit als Sehnsuchtsort« und Kinder »als Rezipienten und Interpreten« entdeckt wurden (Helms 2008, 125). Mit Reinecke, dem man vorwarf, »kindgemäßer«, d. h. einfacher und weniger komplex zu komponieren als Humperdinck, »begann in Deutschland die Märchenoper für Kinder im umfassenden Sinn: für Kinder als Publikum, aber auch als Ausführende. Mit Reinecke begann jedoch auch das Dilemma einer stellvertretend von Erwachsenen für die Kinder geführten ästhetischen Diskussion über kindgemäße Musik« (Helms 2008, 140). Gibt es in Ländern wie Belgien bestimmte Auflagen, nach denen ein Intendant – ähnlich einem ranghohen Politiker – nicht mehr als zweimal eine Amtsperiode verantworten darf, kann der Intendant in deutschsprachigen Ländern beliebig oft in seine Stellung berufen werden. Vgl. den Prozess um die vorzeitige Ablösung des Trierer Intendanten Karl M. Sibelius. Zerban, Michael: »Sand im Getriebe«. In: www.opernnetz.de/Seiten/ Hintergruende/Trier_Sibelius_Zerban_160523.html. Zugriff: 20. Oktober 2017. Vgl. die Debatte um Schauspieler, die u. a. deswegen das Ensemble verlassen, weil sie den Führungsstil ihrer Dienstherren nicht länger billigen wollen (­Dössel 2016). Vgl. auch Thomas Schmidts Studie zu den Strukturproblemen des Stadttheaters (Schmidt 2017). Das Nationaltheater Mannheim arbeitet seit 2013 ohne Generalintendanten. Die Spartenleiter der Oper, des Schauspiels, des Balletts und des Kindertheaters sowie der kaufmännische Direktor sind zu Intendanten aufgewertet. Vgl. Mannheim hoch zwei (Hrsg.): »Neues Leitungsmodell für Nationaltheater beschlossen«. In: www.mannheim.de/de/nachrichten/neues-leitungsmodell-fuer-ntm-beschlossen. Zugriff: 6. September 2019. Vgl. beispielsweise Roman Reeger: »Das Immergleiche ist nicht einmal das ­Beste. Die Oper muss sich bemühen, den Rückstand, in den ihr Repertoire gelangt ist, aufzuholen.« https://van.atavist.com/roman-reeger. Zugriff: 20. Oktober 2017. Generalintendant, Intendant, Stellvertretender Intendant, Operndirektor, Verwaltungsdirektor, Technischer Direktor, Bühneninspektor usw. lauten die Hierarchie ausdrückenden Namen. Die Funktionsbezeichnungen des Theaters sind nicht modernisiert worden und widersetzen sich neueren, oft englischen und weniger deutlich den Status betonenden Rangbezeichnungen vieler anderer Berufsgruppen. Die Wiederentdeckung der Barockoper vor allem im Stile Händels fällt in Deutschland statistisch erst ab den 1980er-Jahren ins Gewicht. Vgl. laufende Statistik der Homepage: http://operabase.com und Tabelle Deutsches Musikinformationszentrum. Deutscher Musikrat: www.miz.org/downloads/statistik/22/22_Opern_mit_den_meisten_Auffuehrungen_in_Deutschland_2017.pdf. Zugriff: 20. Oktober 2017. Beispielhaft sei hier nur die »Groupe de six« genannt, jene Vereinigung um Erik Satie und später Jean Cocteau, deren Komponisten mit Kurzopern ins Licht der Öffentlichkeit traten. Ein L'enlèvement d'europe in neun Minuten wurde in sei-


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ner lakonischen Verdichtung durchaus als freches Gegenmodell zur monumentalen Grand Opéra und zum weihevollen Musikdrama verstanden. Nennen ließe sich Carls Orffs japanisches Musiktheater Gisei, aber durchaus auch seine Versuche, das bayerische Volkstheater zu beleben (Die ­Bernauerin) und sich die antike griechische Tragödie anzuverwandeln (Antigonae, ­Prometheus, Ödipus, der Tyrann). Beispielsweise in Umfang und Schwierigkeitsgrad der Chorpartie in Schönbergs Moses und Aron oder in der Orchesterbesetzung von Carl Orffs Antikendramen. »Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei.« Artikel 5, § 3. Deutscher Bundestag (Hrsg.): Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland. In: www.bundestag.de/parlament/aufgaben/rechtsgrundlagen/grundgesetz/ gg_01/245122. Zugriff: 20. Oktober 2017. Spätestens ab den 1960er-Jahren fordert eine Fülle von neuen experimentellen Musiktheaterwerken den Betrieb des Stadt- und Staatstheaters heraus. Die Suchbewegungen reichen von kleinen Werken jenseits einer narrativen Dramaturgie, wie etwa im Instrumentalen Theater eines Mauricio Kagel, bis hin zu monumentalen Kompositionen wie Die Soldaten von Bernd Alois Zimmermann. Beide Extreme kommen zwar zur Aufführung, können aber bis ins 21. Jahrhundert den Kanon der genannten beispielgebenden Opernwerke nicht verdrängen. Musicals bleiben aber wie Operetten bis ins 21. Jahrhundert nur ein Baustein unter mehreren anderen im Repertoirebetrieb des Stadt- und Staatstheaters. Mit Ausnahme von Häusern, die sich ein grundsätzlich unterhaltendes Profil gegeben haben, gibt es im Bundesgebiet in der Regel pro Haus nur eine Operetten- oder Musicalproduktion in der Spielzeit. In wenigen Fällen werden auch beide Genres gespielt. Damit gehört das Musical wie aber auch Opern in kleiner Solisten- und Instrumentalbesetzung, beispielsweise Kammeropern ohne Chor, zu Sonderpositionen. Es werden beispielsweise vor allem Mozarts letzte Opern gespielt. Von anderen Komponisten haben sich ebenso überwiegend späte Werke in den Spielplänen gehalten. Zu nennen wäre hier z. B. Georges Bizet, von dem fast nur noch seine Carmen und Les pêcheurs des perles gegeben wird, oder Léo Delibes’ Lakmé. Auch bei Verdi, Wagner und Puccini finden sich nur in Ausnahmen die Frühwerke im Spielplan. §2, Absatz a Normalvertrag Bühne: »In dem Arbeitsvertrag muss ferner angegeben sein: a) für das Solomitglied die Tätigkeiten im Sinne von § 1 Abs. 2, zu denen das Mitglied verpflichtet ist, darüber hinaus soll bei darstellenden Solomitglieder die Kunstgattung und – jedenfalls im Musiktheater – das Kunstfach festgelegt werden: dabei kann die Bezeichnung des Kunstfachs durch die Vereinbarung von Rollengebieten oder Partien näher gekennzeichnet oder ersetzt werden.« Beim Wettbewerb »Jugend musiziert« umfasst die modernste Epoche nicht etwa die Musik nach 1945 oder die des 21. Jahrhunderts, sondern Musik ab 1910. Alle fünf weiteren Epochen betreffen bei den Vorspielstücken zurückliegende ­Stilrichtungen. Vgl. Deutscher Musikrat (Hrsg.): Jugend Musiziert. Anforderungen 2019. www.jugend-musiziert.org/fileadmin/user_upload/_temp_/Bundeswettbewerb/Jumu_2019_Ausschreibung_web.pdf, S. VIII/13. Zugriff: 19. Mai 2019. Üblich sind drei Stücke aus drei Stilepochen, wobei zumeist zwischen Barock, Klassik, Romantik und Moderne unterschieden wird. Die Aufnahmeprüfung im Hauptfach Querflöte an der Musikhochschule München schreibt beispielsweise zwei Stücke aus Barock und Klassik verbindlich vor und lässt die Wahl der dritten Stilepoche frei. Vgl. Hochschule für Musik und Theater München: Eignungsprüfung/Eignungsverfahren 2019, Künstlerische Studiengänge, Flöte. http://website.musikhochschule-muenchen.de/de/images/PDFs/studium/Aufnahmebedingungen/Floete_ABK.pdf. Zugriff: 19. Mai 2019. Vgl. beispielhaft den Diskurs über Diskrepanz zwischen musikalischer Ausbildung und Arbeitsmarkt. Langner, Diana: »Von der Musikhochschule auf den Arbeitsmarkt«. In: Neue Musikzeitung. In: www.nmz.de/artikel/von-der-musikhochschule-auf-den-arbeitsmarkt. Zugriff: 19. Mai 2019. Vgl. Deutscher Bühnenverein (Hrsg.): »Zur Ausbildungssituation von Orchestermusikern«. In: www.miz.org/downloads/dokumente/578/2011_Buehnenverein_ Kompetenzprofil_Musikerausbildung.pdf. Zugriff: 20. Oktober 2017.

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Eigenständig: Berlin (alle drei Opernhäuser), Dresden, Dortmund, Hamburg, Hannover, Köln, Mannheim, München, Stuttgart; integriert: Bremen, Braunschweig, Darmstadt, Leipzig, Lübeck, Frankfurt, Freiburg, Karlsruhe, Mainz, Münster, Nürnberg, Oldenburg, Osnabrück, Wiesbaden. Die Klassifizierung ist definitionsabhängig und Schwankungen unterworfen. Das Denken in Strukturen gerade an deutschen Häusern wird beim Kongress Happy New Ears zum Kindermusiktheater in Mannheim 2016 im Abschlussplenum diskutiert. Vgl. Assitej (Hrsg.): »Experimentieren im Musiktheater für junges Publikum«. www.jugendtheater.net/fileadmin/inhalt/themen/pdf/abc-HappyNewEars-broschuere-de.pdf, S. 32 – 39. Zugriff: 19. Mai 2019. Beispielsweise Anne-Kathrin Ostrop (spätere Leiterin von Komische Oper Jung), Manfred Weiß (späterer Leiter des freien Kinderopernproduktionsteams indieOper! und der Semper Zwei der Sächsischen Staatsoper), Johannes Fuchs (späterer Leiter des Jugendprogramms des Lucerne Festivals) arbeiteten an der Jungen Oper in Stuttgart. Die ausschließlich von der Stadt geförderte Oper in Leipzig bekommt mit fast 18 Millionen nahezu so viel wie die Staatstheater in Mainz oder Oldenburg für ihre gesamten Sparten (Deutscher Bühnenverein 2013, Theaterstatistik, 148f.). Etwa im Theater Lübeck die Lübecker Taschenoper. Karlsruhe als zweitgrößtes Mehrspartentheater Deutschlands mit einer vergleichsweise großen Opernsparte, rund 42 Millionen Euro jährlicher öffentlicher Förderung (Deutscher Bühnenverein 2013, Theaterstatistik, 146f.), gehört zu den vergleichsweise großen Stadt- und Staatstheatern. Freie Gruppen, wie beispielsweise das Kindertheater Papageno, das sich bereits 1993 gründete, sind damit nicht gemeint. Einen guten Überblick über die frühen deutschsprachigen Gründungsinstitutionen geben die Ergebnisse der Tagung zum Kindermusiktheater vom 19. bis 21. Oktober 2000 an der Wiener Staatsoper (Schmidt-Reiter 2004). Oper des Jahres in den Jahren 1993/94, 1997/98, 1998/99, 1999/00, 2001/02 (­Zehelein 2006, 6). Der Projektchor ist im Untersuchungszeitraum mal singend z. B. bei Matthias Heeps Momo (Regie Barbara Tacchini), mal schauspielerisch-choreografisch z. B. bei George Benjamins Into The Little Hill (Regie: Jenke Nordalm) integraler Bestandteil der Inszenierungen. Barbara Tacchini ist seit der Spielzeit 2006/07 im Amt. Sie übernimmt die Junge Oper vom Regisseur, Dramaturgen und Librettisten Manfred Weiß. Vgl. die Aufstellung aller Mitarbeiter der Jungen Oper von 1997 bis 2006 (Müller-Grimmel 2006, 194). In der Gründungsphase steht Markus Kosuch eine Assistentin und eine Mitarbeiterin der Verwaltung für das Controlling zur Verfügung (Kosuch 2015, 4). Mit der Gründung der Jungen Oper muss bereits mehr Personal zur Verfügung gestellt werden. Bis zum Untersuchungszeitraum 2016 ist der Personalstamm nochmals gewachsen. Zum Vergleich: Das Stuttgarter Mutterhaus hat einen größeren Mitarbeiterstab und kann sich eine arbeitsteilige Produktionsweise leisten. Einer der drei festangestellten Dramaturgen arbeitet beispielsweise ausschließlich in dieser Funktion, ist nicht pädagogisch tätig oder gar in größere organisierende Zusammenhänge eingebunden – dafür stehen im Großen Haus Mitarbeiter des Künstlerischen Betriebsbüros zur Verfügung. Außerdem sind Opernproduktion und Konzerte – anders als in der Jungen Oper – professionell voneinander getrennt. Vgl. Aufstellung der Mitarbeiter in der Dramaturgie. Staatsoper Stuttgart (Hrsg.): Ensemble. In: www.oper-stuttgart.de/ensemble. Zugriff: 8. Juni 2019. Auch die Komische Oper und die Berliner Staatsoper arbeiten mit freien Musiktheaterpädagogen (Ostrop 2014, 1 u. Brinkmann 2014, 3). Die Doppelanforderungen von Schul- und Theaterstruktur kann damit abgefedert werden. Öffentlicher Bericht des Ministeriums für Wissenschaft und Kunst Baden-Württemberg für 2013 und 2014: www.statistik-bw.de/shp/2013-14/pages/Epl14/BT/ epl14_1480_bt.pdf. Zugriff: 7. August 2016. In jeder Spielzeit ist das Kammertheater durchschnittlich mit drei Produktionen aus dem Stuttgarter Schauspiel und mit einer Produktion aus dem Ballett belegt. Die Staatstheater Stuttgart (Hrsg.): Spielplan. In: www.staatstheater-stuttgart. de/spielplan/2019-06/oper/join/staatsorchester/?scrollTo=2019-06. Zugriff: 9. Juni 2019.


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Mündliche Information der Leiterin des Projektbüros Nena Wunder, 5. Januar 2016. 77 Eventuell hatten Zeheleins Vorgänger sogar mehr Einfluss auf den Spielplan. Nur in Baden-Württemberg steht Steve Reichs Oper Satyagraha auf der Empfehlungsliste. Das Stück lief mit großem Erfolg an der Stuttgarter Staatsoper. 78 Die Angabe ist ein Näherungswert aus den Zahlen von 2000 bis 2015. 79 Hierzu schreibt Bernhard Utz, der Leiter von Kommunikation und Vertrieb der Staatstheater Stuttgart, am 20. Februar 2016: »Wie Sie auch der Statistik des Deutschen Bühnenvereins entnehmen können, hatten wir in der Spielzeit 2013/14 im Bereich ›Kinder- und Jugendtheater‹ 20.863 Besucher in den Spielstätten der Opernsparte, davon 16.159 im Opernhaus. Dies sind knapp 6 % aller Besucher im Opernhaus (288.515).« Die 16 000 Besucher beziehen sich auf diejenigen der Familienoper Peter Pan im Großen Haus. Das bestätigt am 26. Februar 2016 Simone Ulmer per E-Mail. 80 Mündliche Information des ehemaligen Intendanten der Komischen Oper ­An­dreas Homoki. 81 Der Verfasser sieht eine Vorstellung der Wiederaufnahme in der Spielzeit 2016/17. 82 Offenbachs Reise zum Mond, Jonathan Doves Pinocchios Abenteuer sowie Richard Ayres’ Peter Pan. 83 Die Doppelaufgabe, durch die dieser Synergieeffekt entsteht, ist nicht in jedem Hause üblich. Erfolgreich und von Beginn der Abteilungsgründung an praktiziert auch die Komische Oper diese Arbeitsverteilung (Ostrop 2014, 1). Das Stuttgarter wie Berliner Modell zeigt, wie sich auf diese Art ein gemeinsames Zielpublikum von Opern- und Konzertbereich finden lässt. 84 Wie viele es genau sind, darüber kann auch die Verwaltung der Stuttgarter Staatsoper keine Auskunft geben: »Wie viele Besucher im Klassenverbund kommen, lässt sich nicht auswerten, da wir systemseitig keine getrennte Erfassung zwischen Besuchern im Klassenverband und Einzelbesuchern vornehmen.« Bernhard Utz, Leiter Kommunikation und Vertrieb der Staatstheater Stuttgart in einer E-Mail vom 4. Februar 2016. 85 Auf die Frage, was zur Gründung der Jungen Oper geführt habe, erinnert sich Klaus Zehelein im Interview an diese Episode. Auch Markus Kosuch sieht im unabhängig geführten Interview das Beteiligungsprojekt als Schlüsselerfahrung von Zeheleins Theaterverständnis. Vgl. Interview mit Klaus Zehelein und Interview mit Markus Kosuch. »Ich glaube, es war das erste partizipative Projekt in der Konzertplanung überhaupt« (Zehelein 2015, 2). 86 Zum Zeitpunkt der Gründung des Erlebnisraums Oper war Klaus Zehelein zwei Jahre Intendant an der Staatsoper Stuttgart. Konkreter Auslöser zur Schaffung einer Stelle des Musiktheaterpädagogen war ein Impuls aus dem Förderverein, der an Zehelein mit der Frage nach einer besonderen Fördermöglichkeit herantrat. Um einen Personalvorschlag zu erhalten, erkundigte sich Zehelein bei Fred Ritzel, Professor für Musikpädagogik an der Universität Oldenburg, der seinen Studenten Markus Kosuch empfahl. »Er erinnerte sich seines Oldenburger Bekannten, Professor Fred Ritzel, der dann mich anrief. Ich hatte bei ihm studiert« (Kosuch 2015, 1). 87 »Ich habe anschließend Zehelein getroffen, und es war ganz schnell klar, dass wir übereinstimmten: […] Es sollte um die Inhalte der Opern gehen und darum, wie Jugendliche sie aufgrund ihrer eigenen Erfahrung erleben: Wir wollten die Stücke befragen« (Kosuch 2015, 1). 88 Es geht »folglich nicht um die Aneignung der Oper, sondern um die Aneignung von Wirklichkeit« (Kosuch 2004, 63). Es stellt sich nicht die Frage, »ob der Aufführungsbesuch zu einem kathartischen Erlebnis wird, das (hoffentlich) zur Opernbegeisterung führt, es stellt sich für die Schüler die Frage, ob der Opernbesuch und das Erlebnis der Inszenierung zu neuen Perspektiven, Ansichten und Impulsen führt, die Aspekte und Emotionen ins Spiel bringen, die die Erfahrung aus der Szenischen Interpretation ergänzen, bereichern oder kontrastieren können. Ist eine Inszenierung ›schlecht‹ im Sinne von inkonsistent, nicht lesbar, langweilig, dann werden die Schüler dies differenziert artikulieren können« (Kosuch 2004, 75). 89 Abweichend von Markus Kosuch, der mit abgeschlossenem Musiklehrerstudium an die Staatsoper ging, ist Tacchini zum Amtsantritt künstlerisch und theaterpraktisch anders ausgebildet. Sie arbeitete sowohl als fest engagierte Regie-

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Endnoten assistentin und Dramaturgin sowie als freie Dramaturgin an großen Stadt- und Staatstheatern, wie z. B. an der Oper des Theaters Basel, aber auch jenseits der Theaterinstitution wie im Schweizer Pavillon auf der Expo 2000 in Hannover. Als Dramaturgin an der Staatsoper Hannover war sie u. a. für Jugendprojekte zuständig. 90 »[E]s gibt auch jetzt mehr Projekte an den Schulen selbst, wo dann der Bedarf nach Musiktheater gedeckt wird bzw. die Zeitfenster für Theater gefüllt sind« (Tacchini 2015, 4). 91 Zum städtischen Zuschuss vgl. Kulturamt Stuttgart: Ausgaben nach Sparten www.stuttgart.de/img/mdb/publ/30717/133835.pdf, S. 6. Zugriff: 20. Mai 2019. Zum Landeszuschuss vgl. Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg (Hrsg.): Aufwendungen für nichtstaatliche Bühnen, Festspiele und Orchester www.statistik-bw.de/shp/2013-14, S. 751. 92 Peter Spuhler bildet mit dem Intendanten aus Oldenburg auf der Klausurtagung in Mannheim 2006 eine Arbeitsgruppe. Gespräche über strukturelle Pläne finden aber nicht statt. 93 Man spricht hier eigentlich nur von »Junger Oper« oder »Kinderoper«, vor allem dann, wenn es um die Stücke geht. 94 Vgl. Staatstheater Karlsruhe (Hrsg.): Spielzeithefte der Jahre 2011/12 bis 2017/18. 95 Nicht eingerechnet sind Sinfonie- und Kammerkonzerte und die zahlreichen Aktivitäten der partizipativen Sparte Volkstheater (Badisches Staatstheater 2011, 3). 96 Weitere Gründe hierfür sind erhöhtes Aufkommen von Sitzungen und dadurch die Bindung vieler Kräfte (allgemeine Leitungssitzung, Intendanzsitzung mit Spartenleitern, Spartenleitersitzung ohne Intendanten, Musiktheatergespräch, Sitzungen zu Produktionen in der Intendanz und in der Technik, Sitzungen zum Umbau des Hauses mit allen Spartenleitern usw.), obligate Einführungen vor jeder Vorstellung, Intendanzdienste, nächtliche Nachgespräche nach Endproben (spartenübergreifend für alle Dramaturgen) sowie besondere, anlassbezogene Krisensitzungen. 97 Die ersten Inszenierungen des Musiktheaters für junges Publikum werden von der Sparda-Bank unterstützt; Kooperationspartner wird später die Singvereinigung Lutherana. Siehe Kapitel »Partnerschaft: Das Fehlen des ›Gesichts‹ der Sparte«, S. 105. 98 In Karlsruhe durchlaufen in den vier Jahren des Untersuchungszeitraums drei verschiedene Mitarbeiter die Position. 99 Noch unklarer wird es bei der Bewerbung einer Produktion: Ist hier die Opernsparte, das Junge Staatstheater oder die Marketingabteilung des Staatstheaters zuständig? 100 Wer übernimmt beispielsweise die Produktionsleitung der Kinderoper Dino und die Arche, die unter dem Dach der Händelfestspiele firmiert? Der Operndirektor, die Leiterin des Jungen Staatstheaters oder der Chefdramaturg, welcher gleichzeitig künstlerischer Leiter der Händelfestspiele ist? Wer übernimmt die Initiative, die Sänger zu engagieren, wer bestimmt das Regieteam? 101 Beispielsweise der Sänger des Robin Hood, der seine zeitgenössische Partie (mit viel Dialog) zugleich mit der Rolle des Don Ottavio aus Mozarts Don ­Giovanni einstudieren muss. 102 Für diesen Vorgang hat die Leiterin der Kinder- und Jugendabteilung der Komischen Oper, Anne-Kathrin Ostrop, den Begriff der »lernenden Grundhaltung« verwendet (Komische Oper 2014, 39). 103 Die Produktion Robin Hood macht sich die Aufgabe, als »Recycling-Oper« auf den allgemeinen Energieverbrauch zu achten und in seiner Ausstattung bereits verwendete Materialien einzusetzen (Badisches Staatstheater 2012). Das Ausstattungsbudget für Dino und die Arche ist von vornherein beschränkt. 104 Zu den Vorstellungen von Robin Hood sind im Foyer Stellwände mit Erklärungen zu Umweltschutz und Energiesparen aufgestellt. 105 Eine Inszenierung der Foyers ist nur bei speziellen Vorstellungen und Anlässen, wie zum Theaterfest, zur Eröffnung des Jungen Staatstheaters oder zur Vorstellung von Robin Hood für blinde und sehbehinderte Zuschauer möglich. 106 Wie beispielsweise seit Jahrzehnten am Theater Kiel. 107 Vgl. Junge Oper Rhein-Ruhr (Hrsg.): Musik muss man nicht nur hören, man muss sie auch sehen. In: https://junge-opern-rhein-ruhr.de. Zugriff: 31. Mai 2019.

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Auch die Generalprobe wird als Vorstellung gezählt. In der Bilanzpressekonferenz am Ende der ersten Spielzeit wird kommuniziert, dass der Besucherrückgang in der Oper vor allem auf Robin Hood zurückzuführen sei. 110 Beispielsweise wird der »Klangspielplatz« anlässlich der Eröffnung des Jungen Staatstheaters im Foyer des Großen Hauses aufgebaut. Alle großen Sparten tragen die Aktion mit. 111 Zitat eines Orchestermitglieds, um die Stimmungslage im Klangkörper zu schildern, wenn es lediglich als ausführendes Organ behandelt wird. 112 Cantus Juvenum versieht die Einstudierung und die Betreuung des Kinderchors sowie die Einstudierung der Kinderpartien in den Opern des Abendspielplans. 113 Hintergrundgespräche beispielsweise mit Dorothea Hartmann (Junge Oper Hannover/Leitung Werkstatt in der Deutschen Oper Berlin) bestätigen, dass das Kindermusiktheater in Karlsruhe in der Theaterszene nicht klar hervortritt. 114 Neunmal Robin Hood (ohne öffentliche Generalprobe) und zwölfmal Dino und die Arche. 115 Im zweiten Jahr: zehnmal Border und sechsmal Dino und die Arche (Wiederaufnahme). 116 Ausgenommen sind davon Workshops und Einführungen in den Schulen. 117 Oft wird deswegen an internationalen Opernhäusern, wie beispielsweise in ­Zürich, zu einer Semi-Stagione-Aufführungspraxis übergegangen. 118 Vgl. Schmitz 2012, 377f. und Gronemeyer 2012, 35. 119 Die Öffnung, zu der die Gründung des Jungen Staatstheaters, des Volkstheaters, Kooperationen und Veranstaltungen in der Stadt gehören, wird auch von den politischen Verantwortlichen geschätzt und führt u. a. 2014 zur Verlängerung des Vertrags des Intendanten. Vgl. Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst (Hrsg.): Badisches Staatstheater Karlsruhe: Vertrag mit Peter Spuhler als Generalintendant wird bis 2021 verlängert. Pressemitteilung www.baden-wuerttemberg.de/fileadmin/redaktion/m-mwk/intern/dateien/Anlagen_PM/2014/034_PM_Vertragsverl%C3%A4ngerung_Peter_Spuhler_Badisches_Staatstheater.pdf. Zugriff: 31. Mai 2019. 120 Partner beim Theaterfest, Sponsoren wie die Sparda-Bank, Kooperation mit der Singvereinigung Cantus Juvenum usw. 121 Großes partizipatives Projekt 100 % Karlsruhe der Performance-Gruppe Rimini Protokoll, Ausweitung des Bereichs der Vermittlung, Öffnung der Foyers als ­Bibliothek für Studierende, Ausweitung des Angebots von Führungen, Gründung der Sparte Volkstheater mit diversen partizipativen Aktionen usw. 122 Beispielsweise Kooperation mit fast sämtlichen Kulturinstitutionen bei den Karlsruher Kulturtagen. 123 Vgl. Badisches Staatstheater (Hrsg.): Spielzeitheft Junges Staatstheater. 124 Vgl. Badisches Staatstheater (Hrsg.): Monatsleporellos Oktober bis Dezember und Spielzeitheft 2011. 125 Vgl. die Sponsoren des Lucerne Festivals, der Semperoper Dresden, des Heidelberger Frühlings oder der Bregenzer Festspiele aus den Spielzeiten 2017/18. 126 Beispielsweise erweist sich das bereits angekündigte Singspiel Die drei Musketiere aus der ersten Spielzeit als nur schwer realisierbar und wird umgehend durch Der Vetter aus Dingsda ersetzt. 127 2-1-2-2 / 2-1-1-1 / Pk. / Schlgz. (3) / Kl./3-3-3-1. 128 Gehört in England durch die lange Tradition partizipativer Formate die Jugendoper etwa beim Glyndebourne Festival zu einem etablierten Format, gibt es im deutschsprachigen Raum kein Haus oder Festival, das sich dieser Sonderform mit Regelmäßigkeit annimmt. 129 Vgl. beispielhaft die Kritik von Gegen die Wand am Theater Hagen, in der der Autor befindet, Fatih Akıns Filmvorlage werde »weichgespült« (Schmöh 2011). 130 Außerdem: Class distinction (ich gehöre gesellschaftlich nicht dazu), Conformity (ich werde von eigener Community ausgelacht), Effort (es ist mir zu anstrengend), Risk (das Risiko, enttäuscht zu werden, ist mir zu hoch). Vgl. auch Mandel 2009. 131 Ganz ähnliche Erfahrungen einer Entlastung des erwachsenen Publikums ­hinsichtlich innerer Erfüllungsbestimmungen wurden beispielsweise in der Kinderoper Köln gemacht. Dazu der damalige Spielleiter der Kölner Kinderoper Christian Schuller: »Der gigantische Nebenerfolg der Kinderoper in Köln, den niemand bei der Planung bedacht hatte, war der, dass nicht Kinder, son-

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dern E ­ rwachsene die Karten kaufen. Und plötzlich tat sich für Erwachsene, für Eltern, Tanten, Großmütter und Onkel auch ein Licht auf. Viele von ihnen kamen zum ersten Mal in ihrem Leben in die Oper und sagten: ›Mensch, Oper ist doch großartig.‹ Und darauf bin ich am meisten stolz; ohne es gewollt zu haben, plötzlich Tür- und Schwellenöffner geworden zu sein auch für die Emphase von Erwachsenen« (Tepe 2008). Strahlt das Kleine Haus von sich aus die Härte einer urbanen Umwelt aus und macht es damit für die Wahrnehmung Jugendlicher zu einer geeigneten ästhetischen Umgebung einer Fluchtgeschichte, kann sich dieser Effekt bei Dino und die Arche nicht nutzen lassen. Auch die Kinderoper Wo die wilden Kerle wohnen findet in der Anmutung des Kleinen Hauses keine ideale Umgebung. Umgekehrt zeigt Border, wie viel eher sich die natürlichen Gegebenheiten des Kleinen Hauses mit den Inhalten einer Jugendoper verknüpfen lassen. Vgl. Ensemble Netzwerk (Hrsg.): Über uns. In: www.ensemble-netzwerk.de/about/ueber-uns.html. Zugriff: 12. Juni 2019. Vgl. Art but fair (Hrsg.): Wer wir sind. In: http://artbutfair.org/wer-wir-sind. Zugriff: 23. Oktober 2017. Beispielsweise Anselm Dalferths Klangräume und Installationen am Staatstheater Mainz und seine Projekte mit dem Geräuschechor an der Jungen Oper in Mannheim. Badisches Staatstheater (Hrsg.): Spielzeitarchiv 2012/13. Kritiken von Markus Mertens (Badische Neueste Nachrichten) und Nike Luber (Badisches Tagblatt) jeweils vom 19. April 2013. In: http://spielzeit12-13.staatstheater.karlsruhe.de/ programm/presse/1432. Zugriff: 13. Juni 2019. »Etwa jedes fünfte Freie Theater (19,5 %) hat sich sogar ausschließlich auf Tanzund Theaterangebote für Kinder und/oder Jugendliche spezialisiert. Allein diese Freien Theater bieten im Jahr rund 15.200 Veranstaltungen an, die von ca. 1,6 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauern besucht werden. […] Es ist augenscheinlich, dass die Freie Tanz- und Theaterszene die Kinder und Jugendlichen besonders im Fokus hat. Sie deckt mit 52,5 % über die Hälfte aller Veranstaltungen im Bereich Tanz und Theater für Kinder und Jugendliche deutschlandweit ab« (Bundesverband Freier Theater 2015, 12). Deutlich mehr als die Hälfte der Theater mit einem Jahresumsatz von über 500 000 Euro geben an, Musiktheater für Kinder anzubieten. Darunter fallen auch Kinder- und Jugendsparten am Stadt- und Staatstheater (also auch die Junge-Opern-Abteilungen) und die großen Kindertheaterbühnen mit eigener Spielstätte, wie z. B. das Berliner Theater an der Parkaue. Helios Theater (Hrsg.): Aktuelles. In: www.helios-theater.de/aktuelles. Zugriff: 1. Juni 2019. In ihrer Stückentwicklung Holzklopfen beispielsweise steht die Materialität von Holz im Mittelpunkt. Experimentiert wird auch mit den Klängen von Holz. Die Holzgeräusche des Puppenspielers Michael Lurse verschmelzen mit den Klängen des Theatermusikers Marko Werner. Dabei kommen zwei Darsteller als »Prüfer akustischer Verhältnisse« ins Klassenzimmer und untersuchen den Ort auf »geheime«, unerhörte Klänge und sensibilisieren auf skurrile Weise für die Welt der Geräusche. Auch das Theater o. N. in Berlin hat einen Schwerpunkt auf Theater für die Allerkleinsten, bei dem Klang und Musik im Mittelpunkt stehen. In Klangquadrat haben die Musiker Florian Bergmann und Benedikt Bindewald eine Fläche mit dreimal drei Tönen ausgelegt, die von den Darstellern betreten und dadurch zum »Klingen« gebracht werden. Musik wird dabei als Bewegung, als Marsch oder Tanz, auf dem Klangquadrat veranschaulicht. Taschenoper Lübeck (Hrsg.): Ein Überblick über unsere aktuellen Arbeiten. Portrait-Video auf der Homepage. In: www.taschenoper-luebeck.de. Zugriff: 1. Juni 2019. Weitere Kooperationspartner sind das Schleswig-Holstein Musik Festival und das Rheingau Musik Festival. Taschenoper Lübeck (Hrsg.): Odysseus. In: www.taschenoper-luebeck.de/projekte/odysseus-ab-6-jahren. Zugriff: 1. Juni 2019. »Die Zielsetzung der Kleinen Oper Bad Homburg ist es, junge Menschen an die Werke der musikalischen Klassik heranzuführen und somit dazu beizutragen, den Bildungsauftrag unserer Gesellschaft zu erfüllen.« Vgl. Kleine Oper Bad Homburg (Hrsg.): Der Papageno Bildungsfond. In: www.kleineoper.de/papageno-bildungsfond/index.html. Zugriff: 20. November 2018.


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Seit 1997 gehört zum Spielort Allee-Theater auch die Hamburger Kammeroper. Das ehemalige Kindertheater kann damit auf die Ressourcen einer Opernsparte zurückgreifen. 146 Sowohl das Hamburger Allee-Theater als auch das Frankfurter Papageno-Theater sind heute Privattheater mit regelmäßiger städtischer Förderung. Anders als beim Freien Kindertheater bleibt hier mehr finanzielles Risiko bei den Theatern, was ein eher auf breite Rezeption angelegtes, unterhaltsames Programm erfordert. 147 Das Hamburger Kindertheater kann sich nicht in allen Produktionen Musiker leisten. Oft wird playback gesungen. 148 Atze Musiktheater (Hrsg.): 30 Jahre Atze Musiktheater. In: www.atzeberlin.de/ seiten/home/seiten/newsarchiv.php?30-Jahre-ATZE. Zugriff: 1. Juni 2019. 149 Allerdings fehlt dafür grundsätzlich das zentrale Aufführungsverzeichnis, mit dem man Aufführungszahlen, Besucherströme und Gattungsunterschiede (Musiktheater, Schauspiel mit Musik, Musical) vornehmen könnte. Bereits die Recherche nach Musiktheateraufführungen für einzelne Bundesländer ist problematisch. Die Geschäftsstelle des Verbands Freie Darstellende Künste Bayern e. V. verweist den Autor mit der Frage direkt an die jeweiligen Theater (E-Mail am 29. April 2019). 150 Matzke, Annemarie: Jenseits des Freien Theaters. Hildesheimer Thesen V. Das freie Theater gibt es nicht. In: www.nachtkritik.de/index.php?view=article&id=7472:hildesheimer-thesen-v-n&option=com_content&Itemid=84. Zugriff: 21. Juni 2019. 151 Wenn im Folgenden trotzdem von Freiem Theater und vom Freien Kindertheater die Rede ist, sollen die Begriffe auch in seiner historischen Dimension verstanden werden und vom Stadt- und Staatstheater abgrenzen. Wenn im Text von Freier Szene die Rede ist, sind damit sowohl die freien Gruppen als auch die Freien Kindertheater gemeint. Der Begriff Freie Szene kann die Widersprüche der in ihm subsumierten Einzelakteure, Gruppen, Laientheater oder professionellen Performer nicht ausgleichen, assoziiert aber doch jene Offenheit, mit der Kunstformen verschmelzen, Akteure kollaborieren und Organisationsformen zunehmend hybrid werden. 152 Bundesvereinigung Soziokultureller Zentren e. V. (Hrsg.): Definition soziokulturelles Zentrum. In: www.soziokultur.de/bsz/node/80. Zugriff: 9. April 2019. 153 Ebd. 154 Festland e. V. (Hrsg.): »Programm. Die Schöpfung von Haydn 2019«. In: http://dorfmacht-oper.de/dorf_macht_oper/aktuelles_programm. Zugriff: 10. April 2019. 155 Bayerischer Rundfunk (Hrsg.): »Scheidegg: Kinder machen Oper«. In: www. br.de/nachrichten/bayern/kinder-machen-oper-in-scheidegg,R2grBzJ. Zugriff: 1. Juni 2019. 156 So beispielsweise das Freie Landestheater Bayern im Kulturzentrum Karmeliterkirche in Weißenburg (Hänsel und Gretel). Vgl. Weißenburg Stadtzeitung online (Hrsg.): Hänsel und Gretel. In: www.stadtzeitung.de/weissenburg/veranstaltungen-r/haensel-und-gretel-d71033.html. Zugriff: 1. Juni 2019. 157 Die Opernwerkstatt am Rhein aus Hürth spielt im Kulturzentrum Hufeisen in Germersheim. Vgl. Wochenblatt-Reporter.de (Hrsg.): Germersheim – Kinderoper Himmlische Strolche. In: www.wochenblatt-reporter.de/germersheim/c-ausgehen-geniessen/germersheim-kinderoper-himmlischen-strolche_a57754. Zugriff: 10. April 2019. 158 Theater Pfütze (Hrsg.): Geschichte. In: www.theater-pfuetze.de/pfuetze/geschichte.html. Zugriff: 21. November 2018. 159 Theater Pfütze (Hrsg.): Unveröffentlichtes Organigramm Theater Pfütze (Stand Januar 2015). Nürnberg 2015. 160 Auch die Dienste im Service an der Kasse und im kleinen Foyer-Café werden an externe Mitarbeiter vergeben. 161 Vgl. Theater Pfütze (Hrsg.): Ensemble. In: www.theater-pfuetze.de/Ensemble. Zugriff: 9. Oktober 2018. 162 Vgl. Theater Pfütze (Hrsg.): »Geschichte«. In: www.theater-pfuetze.de/pfuetze/ geschichte.html. Zugriff: 11. November 2018. 163 Christine Janner hat sich als studierte Theaterwissenschaftlerin den Bereich der Lohnabrechnung angeeignet. Barbara Bücking erarbeitete sich als gelernte Schriftsetzerin »learning by doing« (so ihre Auskunft im Lebenslauf) ihr Berufsfeld im Servicebereich.

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Vgl. Theater Pfütze (Hrsg.): »Ein paar Zahlen«. Unveröffentlichtes Merkblatt von Geschäftsführerin Sibylle Ditzen für den Autor. Nürnberg 2015. 165 Ebd. 166 Vgl. Woehrl, Dagmar (Hrsg.): »Ehrenamt«. In: www.dagmar-woehrl.de/ehrenamt/musiktheater-fu%cc%88r-die-ganze-familie-mit-dem-emanueltaler. Zugriff: 12. November 2018. Außerdem hilft die Stiftung partizipativen Response-Projekten zur jungenMET (Theater Pfütze/Stadttheater Fürth 2015, 36). 167 Bühnennahes Rahmenprogramm, wie die Nachtschwärmer-Foyer-Konzerte, ist nicht eingerechnet. 168 In der Spielzeit 2015/16 sind außerdem die Unterfränkische Landesbühne Theater Schloss Maßbach, die Trottier Dance Company Mannheim, das Théâtre de la Ville Luxembourg und das Euro Studio – eine Produktionsfirma für Schauspiel und Musical – Partner des Fürther Stadttheaters. 169 Auch auf dem Bundeskongress der Freien Darstellenden Künste stehen eher die Stadt- und Staatstheater als Gegenpol zur Freien Szene im Fokus (Bundesverband Freie Darstellende Künste e. V. 2018). Es scheint, als ob Befürworter einer stärkeren Flexibilisierung der Stadttheater zugunsten der Freien Szene ihr Augenmerk durchaus auf die Gastspielhäuser richten könnten, weil das Bespielhaus Spielmöglichkeiten für flexible Produktionsweisen bietet. 170 Vgl. Theater Pfütze/Stadttheater Fürth (Hrsg.): jungeMET. Zeitgenössisches Musiktheater für junge Menschen in der Metropolregion. Imagebroschüre. Nürnberg 2012, S. 14. 171 Möglich sind hier mindestens drei Modelle: 1) ein staatliches Kindertheater zu werden, sich 2) in ein Landestheater mit Gastierverpflichtung zu verwandeln oder 3) den Status des Freien Theaters zu behalten, vom Land aber wegen besonderer überregionaler Interessen mehr Zuschüsse zu bekommen. Alle drei Optionen sind nicht unproblematisch. 1) Ein Staatstheater für Kinder stünde womöglich einer Münchner Institution und einem größeren Theater, wie etwa der Schauburg, zu. 2) Eine Art Kinderlandestheater würde der überregionalen und kooperierenden Tätigkeit der Pfütze entgegenkommen, stünde aber dem Gründungskontext der Pfütze als Stadtteiltheater entgegen. 3) Die bloße Aufstockung des Budgets durch das Land ohne Veränderung der Trägerschaft würde das Gleichgewicht der Förderung stören und gegenüber allen anderen Freien Kindertheatern einen Präzedenzfall schaffen. 172 Typisch sind etwa die Jahre 2012 mit fünfzig (Nürnberg) zu fünf Vorstellungen (Fürth) sowie 2012 mit 43 (Nürnberg) zu sieben (Fürth) Vorstellungen. Theater Pfütze (Hrsg.): »Ein paar Zahlen«. Unveröffentlichtes Merkblatt von Geschäftsführerin Sibylle Ditzen für den Autor. Nürnberg 2015. 173 Zeitraum 2010 bis 2014. Information durch die Geschäftsführerin Sibylle ­Ditzen am 26. November 2018. 174 Vgl. International Business School Nürnberg (Hrsg): Ergebnisse der Analyse. Unveröffentlichtes Papier zur Besucherakzeptanz und Werbestrategie des ­Theaters Pfütze. Nürnberg 2012. 175 Auf dramatische Texte spezialisierte Verlage wiederum scheuen die Reproduktion von Noten. Weder gibt es dafür die geeigneten Notenprogramme noch – in aller Regel – das Knowhow im Lektorat. 176 Die Informationen zu den Proben hat der Autor den beiden transkribierten Interviews mit Martin Zels sowie den Probenplänen und dem Regiebuch entnommen. Probenbesuche fanden nicht statt. 177 Die Dramatikerin entdeckt den Stoff in Women who run with the wolves. Myths and stories of the wild woman archetype. Das Sachbuch von Clarissa Pinkola Estés untersucht die Kraft der weiblichen Urinstinkte – so der deutsche Untertitel – anhand von etwa zwanzig Mythen und Erzählungen aus allen Kulturräumen (Estés 1992). 178 Die Uraufführung am Theater Sonnevanck in Enschede am 26. Februar 2006 spielte die Band Ocobar in einer Besetzung aus Gitarre, Bass und Schlagzeug. 179 Durch die Mannheimer Inszenierung wurden die Mitarbeiter der Pfütze auf das Stück aufmerksam (Zels 2015/3, 1). 180 Vgl. Theater Pfütze (Hrsg.): Unveröffentlichter Probenplan »langfristig« zur Produktion Das Kind der Seehundfrau. Nürnberg 2010. 181 Ebd. 182 Der Einfachheit halber setzt der Autor hier die Rollenfiguren ein, die im Original mit den Anfangsbuchstaben der Darsteller gekennzeichnet sind. Zeilen-

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Endnoten umbrüche werden durch Schrägstrich gekennzeichnet. Die Texte werden fast immer chorisch gesprochen. 183 Andere Freie (Kinder-)Theater wie das Helios-Theater in Hamm oder das Theater o. N. in Berlin bestätigen mit ihren Kindermusiktheaterproduktionen, wie ein kleines Produktionsbudget wirkungsvoll für Produktionen des Kindermusiktheaters eingesetzt werden können. 184 Sternzeit F A S A-Premiere: 6. Mai.2010; B-Premiere 7. Mai 2010 Probebühne der Staatsoper Unter den Linden. Weitere Vorstellungen: 28. Mai 2010 17.00 Uhr, 29. und 30. Mai 16 Uhr; 31. Mai 2010 10 Uhr Theater an der Parkaue. 185 Wenn es um die Abstimmung über Stücktitel und beteiligte Künstler geht, findet sich die Leitung in einem Lenkungskreis zusammen. Der Intendant der Staatsoper ist in allen künstlerischen Entscheidungen weisungsbefugt. 186 Die Premiere findet kurz nach Sternzeit F A S am 16. Mai 2010 statt. 187 Ein erster Projektentwurf sieht noch vor: »Die Kinder verständigen sich zuerst auf Themen, die sie betreffen. Sie tauschen sich an konkreten Beispielen über Werte für ihr Zusammenleben im Kiez aus. Sie formulieren Texte, die zu ihrem Sozialraum passen und in der Kinderoper für einen lokalen und persönlichen Bezug sorgen. Sie gestalten Plakate, Bühnenbilder, üben die Gesangspassagen und die Abläufe während des Stücks. Dazu ist viel Teamwork notwendig. Die Kinder erobern durch die Schritte, die auf dem Weg bei der Erarbeitung der Kinderoper notwendig sind, Stück für Stück ihren Sozialraum und erlernen, wie sie durch ihre Tätigkeit und ihr Engagement ihre Lebenswelt mitgestalten und romantisieren können« (Unveröffentlichtes Manuskript im Besitz des Kinderopernhauses). 188 Die künstlerischen Mitarbeiter haben bereits in anderen Zusammenhängen für die Berliner Staatsoper gearbeitet (Brinkmann 2014, 3). Alle Mitwirkenden erhalten vom Berliner Caritasverband einen Werkvertrag. 189 Um eine gleichbleibend hohe Betreuungsqualität zu garantieren, muss die Leitung des Kinderopernhauses ab 2016 die Teilnehmerzahlen auf fünfzig beschränken. Kindern, die bereits Teil des Kinderopernhauses sind und das 14. Lebensjahr noch nicht erreicht haben, steht der Verbleib im Kinderopernhaus frei. 190 »Die Eltern bezahlen dafür einen Unkostenbeitrag von 120 Euro, Eltern im Harz IV-Bezug zahlen 30 Euro« (Lux-Hahn 2015, 3). 191 Die Zahl der Stifter wechselt jährlich, es müssen also bei jedem Projekt – auch bei Wiederbewerbungen – neue Anträge gestellt werden. Im ersten Jahr der Kinderoper geben folgende Institutionen Geld: das Erzbistum Berlin, das Bonifa­ tiuswerk der Deutschen Katholiken, die DKM Darlehnskasse Münster, die Erich Degen Stiftung, der Frauenverein der Heiligen Hedwig zur Versorgung der katholischen Waisen Berlin, die Hamburg Mannheimer Stiftung und die PwC-Stiftung-Jugend-Bildung-Kultur. In den weiteren Jahren des Kinderopernhauses unterstützt die Stiftung Herzog Engelbert Charles und Herzogin ­Mathildis von Arenberg, die Lantz-Dyckmans-Stiftung, die RTL-Stiftung Wir helfen Kindern sowie die Leutt-Stiftung das Projekt. Durch Sponsoring erwirtschaftet das Kinderopernhaus durchschnittlich weitere 15 000 Euro. Private Förderer für die erste Produktion des Kinderopernhauses Sternzeit F A S sind die Berliner HOWOGE und der Lions Club Berlin-Alexanderplatz. Die Berliner HOWOGE unterstützt die Produktionen des Kinderopernhauses auch in weiteren Jahren. Das Kinderopernhaus schafft außerdem Fördermöglichkeiten in Sachwerten. So stellt die Berliner WALL AG Plakatflächen unentgeltlich zur Verfügung. Der Fotograf der Berliner Kakoii Werbeagentur des Kinderopernhauses, die für das Branding und das Design der Homepage verantwortlich ist, arbeitet für das aufwendige Shooting bei Engel Singen Hören kostenlos. Die Leitung des Kinderopernhauses erreicht auch private Spender, die nicht öffentlich genannt werden möchten. Die Spendenbereitschaft knüpft sich nicht selten an die Person der Leiterin. Durch Privatspenden kommen ca. 10 000 Euro jährlich zustande. 192 Danach geht die Teilnehmerzahl zurück und wächst mit Berlinische Geschichten wieder auf ca. fünfzig an. An den erwähnten vier Produktionen des Kinderopernhauses sind 200 Kinder künstlerisch-pädagogisch gefördert worden. Um eine gleichbleibend hohe Betreuungsqualität zu garantieren, muss die Leitung des Kinderopernhauses aber auch selektieren. Ab 2016 wird die Teilnehmerzahl auf fünfzig beschränkt und eine dreimonatige Probezeit für Neuanwärter eingerichtet. Vgl. Kinderopernhaus Lichtenberg (Hrsg.): Über uns.

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Endnoten In: www.deutsche-kinderoper.de/uber-uns-2/das-kinderopernhaus-in-zahlen. Zugriff: 29. April 2015. 193 Bei den Grundschulen sind dies: die Hermann-Gmeiner Schule, die Katholische Schule St. Mauritius und die Schule in der Viktoriastraße (ab 2013). Bei den Jugendstationen sind dies: der Schülerclub Lichtpunkt (Hort), die Kindertagesstätte und der katholischen Kirchengemeinde St. Mauritius und die Schulstation (Hort) in der Schule Viktoriastraße (ab 2010). Bei den Jugendzentren sind dies: das Magdalena Caritas Kinder- und Jugendzentrum sowie das Jugendzentrum Steinhaus, in dem jeden Donnerstag die Kinderoper stattfindet. Beide Jugendzentren sind soziale Einrichtungen der Caritas. Die Katholische Schule St. Mauritius hat den gleichen Träger wie die Caritas, das Erzbistum Berlin. 194 Seit der Gründung des Kinderopernhauses ist beispielsweise der nachbarschaftliche Interessenverbund Kiezspinne F A S ein Partner des Kinderopernhauses. Die Kostümherstellung versieht bei Sternzeit F A S eine Bildungseinrichtung als soziales Nähprojekt im Caritaszentrum Fürstenwalde. Auch helfen im organisatorischen Bereich bei Sternzeit Studenten der Universität der Künste Berlin mit und unterstützen beispielsweise bei der Kinderbetreuung. 195 Davon elf Vorstellungen in den Räumlichkeiten der Staatsoper. »Zusätzlich wurden auf 2 Benefizgalas in Lichtenberg Szenen aus den verschiedenen Produktionen gezeigt. Insgesamt fanden damit 29 Aufführungen des Kinderopernhauses statt.« Vgl. Kinderopernhaus Lichtenberg (Hrsg.): Über uns. In: www.deutsche-kinderoper.de/uber-uns-2/das-kinderopernhaus-in-zahlen. Zugriff: 29. April 2015. 196 Zum Vergleich: Die Junge Oper bringt ca. sechzig Vorstellungen (inkl. partizipative Projekte) heraus, das Theater Pfütze ca. fünfzig Vorstellungen seiner jungenMET. Vgl. Theater Pfütze (Hrsg.): »Ein paar Zahlen«. Unveröffentlichtes Merkblatt von Geschäftsführerin Sibylle Ditzen für den Autor. Nürnberg, 2015. 197 Vgl. Kinderopernhaus Lichtenberg (Hrsg.): Über uns. In: www.deutsche-kinderoper.de/uber-uns-2/das-kinderopernhaus-in-zahlen. Zugriff: 29. April 2015. 198 Pudelko gibt an, insgesamt 53 Kinder und 17 Lehrer befragt haben zu können. Bei den Eltern fehlt die Belegzahl (Pudelko 2011). 199 Das Kinderopernhaus reagiert dabei auf den Umstand, dass bei unterschiedlichen Erfahrungs- und Leistungsniveaus Frustration entstehen kann. »[M]an denkt ja immer: Ach, Kinder machen das schon zusammen. Aber wenn die ein Jahr lang so eine Arbeit gemacht haben, dann sind die so weit, so fortgeschritten, dass es für sie ganz blöd ist, nochmal von vorne anzufangen« (Brinkmann 2014, 4). Zugleich darf dabei keine Frustration bei den Anfängern entstehen. Es geht darum, »dass die anderen sehen: ›Ach ja, da wollen wir hin, die können das schon, da gibt es was zu lernen‹« (ebd.). 200 Die Staatsoper bietet an ca. acht Sonntagen des Jahres einen Workshop mit künstlerischen Mitarbeitern des Hauses oder prominenten Gästen als Musiktheaterakademie für Kinder an. 201 Ein weiteres Stadtteilprojekt, Schnittstelle Figaro, das den Zweck hatte, Publikum ohne direkten Bezug zur Staatsoper zu erreichen, wurde bereits 2010 zur Eröffnung der Jungen Staatsoper auf der Werkstattbühne aufgeführt. Vgl. Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf von Berlin (Hrsg.): »Die Junge Staatsoper spielt: Schnittstelle Figaro«. In: www.berlin.de/ba-charlottenburgwilmersdorf/aktuelles/pressemitteilungen/2010/pressemitteilung.200513.php. Zugriff: 30. Juli 2015. 202 In: Tip Fernsehen (Hrsg.): TV-Programm. 16. Woche 2010. Berlin, 2010. 203 Aus der TV-Branche gibt es 14 Beiträge, die sich vor allem auf den Arbeitsprozess beziehen, darunter von tvberlin (Kinderkanal), RBB, Deutsche Welle, von RTL und der ARD (Nachtmagazin). Auch das Interesse anderer Medien ist beachtlich: Es gibt 16 Berichte im Internet. Außerdem berichten alle großen Berliner Zeitungen, darunter der Tagesspiegel (Scholz 2010, 13), die Berliner Zeitung (Schmid 2009, 25), die BZ (Ohmann 2009, 13) und die Berliner Morgenpost (Beyer 2010). Insgesamt erscheinen 17 Artikel in Zeitungen und Magazinen, Duplikate der Printversionen werden ins Netz gestellt. 204 Die Produktion hilft sich, indem den Fernsehteams die Auflage gemacht wird, zuerst ein Konzept einzureichen. In jedem Fall soll vermieden werden, permanent unter Kamerabegleitung zu stehen und so den pädagogischen Zweck des Kinderopernhauses zu gefährden.

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Endnoten 205 Der Bericht von Christel Sperlich ist nicht mehr abrufbar. Eine Printversion liegt im unveröffentlichten Pressespiegel des Kinderopernhauses vor. 206 »Berliner Problembezirk – die Kinder verbringen ihre Freizeit dort häufiger vor dem Fernseher oder auf der Straße.« So der Ankündigungstext für den Deutsche-Welle-Beitrag im Deutsche-Welle-Programm-Magazin, Mai 2010. Auch die Videodokumentation Du bist ein Stern zu Sternzeit F A S betont den Blick auf den von Wohnblocks geprägten Teil Lichtenbergs und portraitiert den schwierigen sozialen Hintergrund zweier Kinder aus dem Kinderopernhaus. Der Film von Ulrike Dörr wird 2011 im Kinderopernhaus vorgestellt und über den Handel vertrieben (Dörr 2011 DVD). 207 Kinderopernhaus Lichtenberg (Hrsg.): Über uns. In: www.deutsche-kinderoper. de/uber-uns-2/unsere-ziele. Zugriff: 29. April 2015. 208 Ebd. Zugriff: 29. April 2015. 209 DVD Du bist ein Stern 9:40: Musikpädagogin Lena Haselmann. 210 Vgl. Kinderopernhaus Lichtenberg (Hrsg.): Über uns. In: www.deutsche-kinderoper.de/uber-uns-2/unsere-ziele. Zugriff: 29. April 2015. 211 Nach der Inszenierung Sternzeit F A S arbeitet das Kinderopernhaus nur noch mit professionellen Musikern zusammen. Ab dem dritten Projekt Engel Singen Hören sind das die Orchesterstipendiaten der Staatskapelle. Auch diese Entscheidung stärkt den erweiterten Response-Gedanken und gibt den Mitwirkenden des Kinderopernhauses die Gelegenheit, exzellent ausgeführter Instru­ mentalkunst zu begegnen. Allerdings kommt die Entscheidung auch durch praktische Probleme zustande: Zum einen ist die Leistungsfähigkeit des Laienorchesters bei Sternzeit F A S nicht genau kalkulierbar (Brinkmann 2014, 5). Zum anderen bedeutet die Koordination eines weiteren Kollektivs von ca. fünfzig jungen Musikern einen erheblichen organisatorischen Mehraufwand. 212 Der Ablauf gliedert sich wie folgt: ab 14 Uhr Eintreffen der Kinder aus den umliegenden Schulen, 14.30 Uhr gemeinsames Essen in der Opernkantine, 15.30 Uhr Warming-up im Großen Saal, 15.45 bis 16.30 Uhr erste Üb-Einheit. Nach zwanzig Minuten Pause findet von 16.50 bis 17.35 Uhr die zweite Üb-Einheit statt. 17.35 Uhr »Showing«, 17.50 Uhr Schlusskreis. Um 18 Uhr endet die Arbeitsphase (Lux-Hahn 2015, 3). 213 Dienstags ist von 14.30 bis 16 Uhr Tanz-AG an der Gmeiner-Schule mit dem Tanzpädagogen. Am Mittwoch ist AG-Szene zur gleichen Uhrzeit in der St. ­Mauritius-Schule. Alle Kinder können überall hinkommen, wenn sie sich angemeldet haben (Lux-Hahn 2015, 3). 214 »Dieses Projekt ist so vielseitig und vielschichtig entwickelt worden, dass es immer wieder Highlights gegeben hat, die für Abwechslung und frischen Mut gesorgt haben: Opernbesuche, Teilaufführungen im Stadtteil selbst, einen Tag der Offenen Tür, eine Weihnachtsfeier, Pressekonferenzen, Begegnungen mit den Opernsängern des Opernstudios, dem Orchester. […] Es gab keine Zeit für Langeweile« (Staatsoper Unter den Linden 2010, 9). 215 Basis der Probenarbeit und internen künstlerischen wie pädagogischen Abstimmung ist die alle vier Wochen stattfindende Regiesitzung. Hier wird ausführlich der Probenplan besprochen, der in groben Zügen bereits ein Jahr vor Projektbeginn feststeht. Im Prozess der Proben ist die Regiesitzung der Ort, um eine Probenverlegung, -verkürzung oder Umnutzung zu besprechen. Aber auch sozialpädagogische Fragen haben hier ihren Raum. Pünktlichkeit oder der Umgang mit Störern wird erörtert. Auch für die künstlerisch-pädagogischen Fragen wie Schwierigkeitsgrade von solistischen Partien, Einteilung der Rollen, Striche oder Textergänzungen können in diesem Kreis abgestimmt werden. 216 Mit Response-Projekt ist im theaterpraktischen Zusammenhang die künstlerische »Antwort« (répondre – frz. für antworten) der an einem Projekt teilnehmenden Kinder und Jugendlichen auf eine Inszenierung erwachsener Künstler des gleichen Hauses gemeint. Die durch erwachsene Künstler hergestellte Inszenierung kann dabei als Maßstab, als Inspirationsmoment, aber auch als kritikwürdige Alternative zur eigenen Arbeit reflektiert werden. 217 Die Inszenierung von L’Étoile macht es den Kindern nicht leicht. Es wird auf Französisch gesungen und die Regie hat sich für eine Interpretation entschieden, die die märchenhaft-zeitlose Geschichte in ein modernes Hotel verlegt. 218 Die Kinder besuchen das Haus vor den Endproben bereits im Rahmen von zwei Pressekonferenzen und den erwähnten Probenbesuchen. In der Regel gibt es

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Endnoten eine Führung durch den Leiter der Jungen Oper durch die Backstagebereiche, Garderoben, Proberäume, Werkstätten und natürlich zur großen Bühne. 219 »Bei Sternzeit F A S, als die Staatsoper noch nicht ins Schiller Theater umziehen musste, war der Bau schon von außen beeindruckend. Wir wurden immer wieder gefragt: ›Ist das echtes Gold am Gebäude?‹ Und später drinnen: ›Sind das echte Kronleuchter?‹« (Haselmann 2015, 1). 220 Nachdem das Stück im 20. Jahrhundert mit wenigen Ausnahmen von den Spielplänen verschwand, wurde es ab den 1990er-Jahren in England (Opera North 1991), in den USA (New York City Opera 2003) und schließlich auch im deutschsprachigen Raum (Opernhaus Zürich 2007) wieder häufiger angesetzt. 221 Die Abweichung von der Norm eines Opernvorstellungsbesuchs im Abendspielplan sind lediglich die kurzen Ansprachen der Vertreter von Caritas und Staatsoper, die in Kürze die Kooperation und den sozialen Aspekt des Stücks erklären, verstärken aber performativ den offiziellen Charakter der Inszenierung. 222 Beispielsweise trägt der König eine Hose mit »Beulung« rund um das Gesäß – anders als in der Renaissancemode, die hier zitiert wird, ist die »Beulung« aber kissenartig fest ausgestopft und gibt der Gestalt des Königs eine humorvolle Note. Das Volk des Königs lässt durch biedermeierliche Accessoires, wie z. B. Hauben, die Entstehungszeit des Stücks durchblicken. Der kommentierende Chor tritt in Schwarz auf. Die Gruppe der »Sterne« besteht fast ausnahmslos aus Mädchen, die lange Kleider mit weiten Ärmeln und Schleier tragen, die an den Händen befestigt sind. Auch diese Kleider haben die biedermeierlich hohe Taille. 223 Auf den Charakter eines jeden Sterns wurde sich im Verlauf der Proben geeinigt– »bist du ein zickiger Stern?« Zitat von Sarah del Lago (szenische Entwicklung) im Dokumentationsvideo Du bist ein Stern (Dörr 2011 DVD). 224 1) »O aufgelehnte Welt, voll Weigerung …« ist ein Ausschnitt aus einem der Gedichte an die Nacht. 2) »Sieh, der Tag verlangsamt sich …« ist ein Ausschnitt aus: Aus dem Nachlaß des Grafen C. W. 3) »Sei in dieser Nacht aus Übermaß / Zauberkraft am Kreuzweg deiner Sinne« ist das 29. Sonett an Orpheus. Vgl. Rilke 2006. 225 »Auf den Schwingen des Windes die Stimme des Bachs, der Wellen Gespräch auf dem Atem der Nacht.« Ein Ausschnitt aus Christian Morgensterns Gedicht Zeit und Ewigkeit. Zitiert nach Morgenstern, Christian: Gedichte. In: www.gedichte.eu/71/morgenstern/melancholie/zeit-und-ewigkeit.php. Zugriff: 12. Juni 2015. 226 Im Programmheft zu Sternzeit F A S heißt es unter der Überschrift »Zufall oder Schicksal – die Sterne«: »Die Sterne am Himmel des Königreiches Ouf begleiten das Geschehen von Oben. Sie bangen und hoffen, streiten und lieben wie die Menschen, derer sie sich als unsichtbare Weggefährten angenommen haben. Die Sterne versinnbildlichen das übergeordnete ›Ich‹, ein Leuchtwesen voller Geheimnisse, Hoffnungen, Sehnsüchte, aber auch innerer Standhaftigkeit und Mut. […] Ihr Leuchten, Funkeln soll den Menschen ermahnen, selbst in der scheinbar ausweglosesten Situation den Glauben an sich nicht zu verlieren« (Staatsoper im Schiller Theater 2010). 227 Das Kinderopernhaus wird zwischen 2009 und 2013 zweimal mit einem Preis ausgezeichnet. 2009 erhält es den »Nationalen Förderpreis Theater bewegt« der Hamburg-Mannheimer-Stiftung »Jugend und Zukunft«. 2013 wird das Kinderopernhaus Preisträger im Rahmen des bundesweiten Wettbewerbs »Ideen für die Bildungsrepublik«. Die Bundesministerien übergibt die Auszeichnung persönlich und lobt die Projektqualität. 2015 gewinnt das Kinderopernhaus Lichtenberg den Hidden Movers Award. Vgl. Deloitte Stiftung (Hrsg.): Hidden-Movers Award. In: www2.deloitte.com/de/de/pages/deloitte-stiftung0/topic/hidden-movers-award.html. Zugriff: 15. Mai 2015. Alle Preise werden nicht einfach vergeben, sondern bedürfen einer aufwendigen Bewerbung. Die Auszeichnungen verweisen also nicht nur auf die künstlerisch-pädagogischen Qualitäten des Kinderopernhauses, sondern auch darauf, sie erfolgreich darstellen zu können. 228 Zum Vergleich: Die Komische Oper als weitere große deutsche Abteilung beschäftigt die Leiterin, einen weiteren Mitarbeiter und hat sich eine feste FSJ-Stelle sichern können. Außerdem beschäftigt sie zehn bis zwölf freie Mitarbeiter im pädagogischen Bereich (Ostrop 2014, 1). 229 Beispiel Stuttgart: Nimmt man nur die künstlerischen Kollektive als Bezugsgrößen in den Blick, stehen dreißig fest engagierte Sängersolisten, rund

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­achtzig Choristen und 135 Orchestermitglieder dem vierköpfigen Mitarbeiterstamm der Jungen Oper entgegen. Vgl. Staatsoper Stuttgart (Hrsg.): Ensemble. In: www.oper-stuttgart.de/ensemble. Zugriff: 8. Juni 2019. In Stuttgart und an der Berliner Staatsoper sowie an der Komischen Oper Berlin sind die Leiter der Jugendabteilungen Teil der Dramaturgie. Auf dem »­Dramaturgie-Flur« sein Büro zu haben und nicht in der Position eines »­Vermittlers«, sondern eines Dramaturgen in Erscheinung zu treten, hilft beim Informationsaustausch und der Interessensverfolgung für die Abteilung. Die Theaterstatistik des Deutschen Bühnenvereins unterscheidet nicht zwischen Zuschauern im Kindertheater auf der Schauspiel- oder der Opernbühne und verzichtet auch in der Werkstatistik auf eine Gattungsdifferenzierung. Es bleibt also nichts anderes übrig, als abzuschätzen, was eine Musiktheaterproduktion ist, die Saalgröße zu prüfen und die Aufführungen zusammenzuzählen. Der Wert bleibt ungenau und macht deutlich, wie dringend eine präzisere ­Statistik im Kindermusiktheater notwendig wäre. Die Berliner Staatsoper sowie die Deutsche Oper Berlin pflegen mit Werkstatt und Tischlerei zwei Nebenspielstätten, wo an einem Abend eine moderne Kammeroper oder ein experimentelles Konzert stattfinden und am nächsten Vormittag Schulklassen eine Kinderoper sehen können. Das Kinderopernhaus wurde in die Berliner Staatsoper integriert und erweitert seinen Aktionsradius in weitere Berliner Stadtteile. Johannes Gutenberg-Universität Mainz (Hrsg.): »Kinder und Jugend (­Musik) Theater. Zwischen Poesie und Pädagogik?« www.ftmk.uni-mainz.de/ files/2020/03/Programm-Kinderjugend-Musiktheater.pdf. Zugriff: 27. März 2020. Die Schließungen und Zusammenlegungen von Theatern und Konzertsälen in den neuen Bundesländern hat eine kulturelle Verletzung dargestellt, deren Tiefe erst heute ganz zu ermessen ist. Theater sind Identifikationsorte, in denen persönliche Erfahrung zu öffentlicher Selbstwahrnehmung führt. Dies gilt in einem gewissen Maße sogar dann, wenn man nicht aktiver Besucher eines Hauses ist, aber von den künstlerischen Möglichkeiten, den integrativen Vorteilen und sozialen Freiheiten weiß oder sich lediglich mit dem Gebäude als Ausdruck städtischen Selbstbewusstseins identifiziert. Becker, Ralf/Maaß, Stefan/Schneider-Harpprecht, Christoph (Hrsg.): Sicherheit neu denken. Von der militärischen zur zivilen Sicherheitspolitik – Ein Szenario bis zum Jahr 2040. Evangelische Landeskirche in Baden. Karlsruhe, 2019. »Das hat viel mit der Ausbildungssituation für Musiktheaterpädagogen zu tun: Bisher gibt es noch keinen Hauptfachstudiengang für Musiktheaterpädagogik in Deutschland, obwohl der Bedarf hoch wäre, sodass diese Berufsgruppe in der Oper aus Quereinsteigern besteht, die meist nicht die Vielseitigkeit an Qualifikationen mitbringen, wie sie wünschenswert und erforderlich ist« (Tacchini 2015, 2). Auch Anne-Kathrin Ostrop beklagt diesen Zustand (Pinkert/Sack 2014, 333). Der erste Begleitstudiengang wird 2015 am Mozarteum in Salzburg ins ­Leben gerufen. Der Intendant der Deutschen Oper Berlin, Dietmar Schwarz, sagt: »Bei den Kinder- und Jugendprojekten ist die Nachfrage riesengroß, da müssten wir noch mehr machen.« Vgl. Schwarz, Dietmar: »Die Palette muss sehr bunt sein. Politisches und Unterhaltsames, Mystik und Komik – das Premierenprogramm der Spielzeit 2017/18 setzt auf Vielseitigkeit. Ein Gespräch mit Intendant Dietmar Schwarz«. In: www.morgenpost.de/flucht/article210097435/Die_palette-musssehr-bunt-sein.html. Zugriff: 11. April 2017.

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IX. Quellenhinweise zum Kindermusiktheater 1.

Monografien und Sammelbände

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IX.  Quellenhinweise zum Kindermusiktheater

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2.

Fachbeiträge und Pressetexte

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IX.  Quellenhinweise zum Kindermusiktheater

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2.  Fachbeiträge und Pressetexte

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IX.  Quellenhinweise zum Kindermusiktheater

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2.  Fachbeiträge und Pressetexte

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IX.  Quellenhinweise zum Kindermusiktheater

Weißenburg Stadtzeitung online (Hrsg.): »Hänsel und Gretel«. In: www.stadtzeitung. de/weissenburg/veranstaltungen-r/haensel-und-gretel-d71033.html. Zugriff: 1. Juni 2019. Woehrl, Dagmar (Hrsg.): »Ehrenamt«. In: www.dagmar-woehrl.de/ehrenamt/musiktheater-fu%cc%88r-die-ganze-familie-mit-dem-emanuel-taler. Zugriff: 12. November 2018. Zels, Martin: »Das klingt nach einem Lied. Zum Theater mit Musik«. In: Schultheater 15/13. Seelze, 2013. S. 4 – 6. Zerban, Michael: »Sand im Getriebe«. In: www.opernnetz.de/Seiten/Hintergruende/ Trier_Sibelius_Zerban_160523.html. Zugriff: 20. Oktober 2017.

3.

Werke, Programmhefte, Dokumente

Assitej e. V. (Hrsg.): Tagungsprotokolle der Treffen der AG-Musiktheater von (2011– 2015). Unveröffentlichte Dokumente. Badisches Staatstheater Karlsruhe (Hrsg.): Spielzeitheft Junges Staatstheater. Karlsruhe, 2011. Badisches Staatstheater Karlsruhe (Hrsg.): Monatsleporellos Oktober bis Dezember 2011. Karlsruhe, 2011. Badisches Staatstheater Karlsruhe (Hrsg.): Materialmappe Robin Hood. Karlsruhe, 2012. Badisches Staatstheater Karlsruhe (Hrsg.): Robin Hood. Programmheft zur Neuinszenierung Spielzeit 2011/12. Programmheft Nr. 58. Karlsruhe, 2012. Badisches Staatstheater (Hrsg.): Spielzeitarchiv 12/13. In: http://spielzeit12-13.staatstheater.karlsruhe.de/programm/info/1164. Zugriff: 31. Mai 2019. Badisches Staatstheater (Hrsg.): Border. Programmheft zur Neuinszenierung Spielzeit 2012/13. Programmheft Nr. 114. Karlsruhe, 2013. Badisches Staatstheater Karlsruhe (Hrsg.): Spielzeithefte der Spielzeiten 2010/11 bis 2017/18. Karlsruhe, 2011–2017. Deutscher Bühnenverein: Normalvertrag (NV) Bühne vom 15. Oktober 2002. In der Fassung vom 14. April 2011, geändert November 2010. In: www.theater-betriebsrat.de/Bilder/NV_Buehne2011.pdf. Zugriff: 20. Oktober 2017. Deutscher Bundestag (Hrsg.): Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland. In: www.bundestag.de/parlament/aufgaben/rechtsgrundlagen/grundgesetz/ gg_01/245122. Zugriff: 19. Mai 2017. Deloitte Stiftung (Hrsg.): Hidden-Movers Award. In: www2.deloitte.com/de/de/pages/ deloitte-stiftung0/topic/hidden-movers-award.html. Zugriff: 15. Mai 2015. Gronemeyer, Andrea/Kehr, Hans Peter/Schneider, Wolfgang: »Mannheimer Manifest zum Musiktheater für Kinder«. In: Die Deutsche Bühne 1/10. Hamburg, 2010. S. 26. Humperdinck, Engelbert: Hänsel und Gretel. Nach dem Wortlaut der Partitur herausgegeben und eingeleitet von Wolfram Humperdinck. Stuttgart, 1976. Johannes Gutenberg-Universität Mainz (Hrsg.): Kinder und Jugend- (Musik-) Theater. Zwischen Poesie und Pädagogik? In: www.ftmk.uni-mainz.de/files/2020/03/Programm-Kinderjugend-Musiktheater.pdf. Zugriff: 27. März 2020. Kassies, Sophie: Das Kind der Seehundfrau. Aus dem Niederländischen von Eva Maria Pieper. Theaterstückverlag. München, 2008. Leypold, Kilian: Das Kind der Seehundfrau. Hörspielbearbeitung. Unveröffentlichtes Manuskript. München, 2014. Morgenstern, Christian: Gedichte. In: www.gedichte.eu/71/morgenstern/melancholie/ zeit-und-ewigkeit.php. Zugriff: 12. Juni 2015. Nationaltheater Mannheim (Hrsg.): Europäisches Festival Happy New Ears. Musiktheater für junges Publikum 20.–27. November 2016. Programmbroschüre. Mannheim, 2016. Rilke, Rainer Maria: Die Gedichte. Rilkes lyrisches Werk in einem Band. Frankfurt am Main/Leipzig, 2006. Staatsoper im Schiller Theater (Hrsg.): Was du nicht siehst. Eine impressionistische Entdeckungsreise mit Claude Debussy und Maurice Ravel. Junge Staatsoper. Kooperationsprojekt des Caritasverbandes für das Erzbistum Berlin e. V. und der Staatsoper im Schiller Theater. Programmheft. Berlin, 2013.

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4.  DVDs, Videos, Interviews

Theater Pfütze (Hrsg.): »Unveröffentlichter Probenplan ›langfristig‹ zur Produktion Das Kind der Seehundfrau«. Nürnberg, 2010. Theater Pfütze/Stadttheater Fürth (Hrsg.): jungeMET. Zeitgenössisches Musiktheater für junge Menschen in der Metropolregion. Imagebroschüre. Nürnberg, 2012. Theater Pfütze (Hrsg.): »Ein paar Zahlen«. Unveröffentlichtes Merkblatt von Geschäftsführerin Sibylle Ditzen für den Autor. Nürnberg, 2015. Theater Pfütze (Hrsg.): Unveröffentlichtes Organigramm Theater Pfütze (Stand Januar 2015). Nürnberg, 2015. Tarifvertrag für die Musiker in Kulturorchestern vom 31. Oktober 2009 (TVK) zwischen dem Deutschen Bühnenverein, Bundesverband der Theater und Orchester, Köln, – Vorstand – einerseits und der Deutschen Orchestervereinigung e. V., Berlin, – Geschäftsführer – andererseits: TVK-2009/Fassung vom 9. Dezember 2009. Staatsoper im Schiller Theater (Hrsg.): Kinderoper Sternzeit F A S. Ein Projekt des ­Caritasverbandes für das Erzbistum Berlin e. V. und der Staatsoper Unter den Linden. Programmheft. Berlin, 2010. Staatsoper Unter den Linden (Hrsg.): Mir träumte! Ein inszenierter Liederabend. Junge Staatsoper. Kooperationsprojekt des Caritasverbandes für das Erzbistum Berlin e. V. und der Staatsoper Unter den Linden. Programmheft. Berlin, 2011. Staatsoper im Schiller Theater (Hrsg.): Engel singen hören. Singspiel mit Musik aus dem Oratorium Tobit von Georg Friedrich Händel. Junge Staatsoper. Kooperationsprojekt des Caritasverbandes für das Erzbistum Berlin e. V. und der Staatsoper im Schiller Theater. Programmheft. Berlin, 2012. Staatsoper im Schiller Theater (Hrsg.): Junge Staatsoper: Programmheft des Angebots der Jungen Staatsoper in der Spielzeit 2014/15. Berlin, 2014. Staatsoper im Schiller Theater (Hrsg.): Es liegt in der Luft. Ein Spiel im Warenhaus. Junge Staatsoper. Kooperationsprojekt des Caritasverbandes für das Erzbistum Berlin e. V. und der Staatsoper im Schiller Theater. Programmheft. Berlin, 2015. Vollmer, Ludger: Border (Fassung mit reduziertem Orchester). Jugendoper nach einem Fluchtplan des Euripides. Libretto von Stephanie Schiller. Konzept und Stückentwicklung von Annika Haller und Elena Tzavara (2011–2012, rev. 2013). Mainz, 2012. Vollmer, Ludger: Gegen die Wand. Oper nach dem Film von Fatih Akin (2005–2008). Libretto vom Komponisten, nach einer Idee von Dorotty Szalma. Mainz, 2008. Vollmer, Ludger: Schillers Räuber. Rap’n Breakdance Opera (2008). Libretto vom Komponisten. Rap Lyrics von Philip Kapala. Mainz, 2008.

4.

DVDs, Videos, Interviews

Dörr, Ulrike: Du bist ein Stern. Ein Film von Ulrike Dörr über die Entstehung der ­Kinderoper Sternzeit F A S. Dokumentation eines Jugendsozialprojektes des Caritasverbandes für das Erzbistum Berlin e. V. und der Staatsoper Unter den Linden. Berlin, 2011. Grube, Thomas/Sánchez Lansch, Enrique: Rhythm Is It! You Can Change Your Life in a Dance Class. Berlin, 2004. Taschenoper Lübeck (Hrsg.): »Ein Überblick über unsere aktuellen Arbeiten«. ­Portrait-Video. In: www.taschenoper-luebeck.de/. Zugriff: 1. Juni 2019. Taschenoper Lübeck (Hrsg.): Odysseus. In: www.taschenoper-luebeck.de/projekte/ odysseus-ab-6-jahren/. Zugriff: 1. Juni 2019. Brinkmann, Rainer O.: Staatsoper Berlin. Interview am 4. Dezember 2014. Dienstbier, Gerhard: Wiener Taschenoper. Interview am 18. Juni 2016. Gessat, Ulrike/Ruhe, Henning: Staatsoper München. Interviews am 23. März und 23. Juni 2015 und am 27. Juli 2016. Gronemeyer, Andrea: Junge Oper Mannheim. Interview am 30. April 2015. Hartmann, Dorothea: Junge Oper Hannover/Tischlerei Deutsche Oper Berlin. Interview am 5. Dezember 2014. Haselmann, Lena: Kinderopernhaus Lichtenberg. Interview am 6. Mai 2015. Kosuch, Markus: Junge Oper Stuttgart. Interview am 21. Januar 2015. Lux-Hahn, Regina: Kinderopernhaus Lichtenberg. Interview am 6. Februar 2015.

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IX.  Quellenhinweise zum Kindermusiktheater

Müller, Werner: Stadttheater Fürth. Interview am 27. März 2015. Ostrop, Anne-Kathrin: Komische Oper jung. Interview am 5. Dezember 2014. Spuhler, Peter: Badisches Staatstheater Karlsruhe. Interview am 24. Juni 2015. Stöck, Ulrike: Junges Staatstheater Karlsruhe. Interview am 16. Juni 2015. Tacchini, Barbara: Junge Oper Stuttgart. Interview am 19. Juni 2015. Zehelein, Klaus: Junge Oper Stuttgart. Interview am 6. Februar 2015. Zels, Martin: jungeMET. Interviews am 21. Januar und 22. März 2015.

266


Der Autor Joscha Schaback studierte Germanistik, Theater- und Musikwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin sowie Regie an der Hochschule für Schauspielkunst »Ernst Busch«. Er war Musiktheaterpädagoge an der RuhrTriennale, Operndramaturg in Kiel sowie Operndirektor an den Theatern in Heidelberg und Karlsruhe. Er arbeitet als Dramaturg und Promoter beim Schott Musikverlag, wo er die internationalen Opern und Ballette der Schott Music Group betreut. Lehraufträge führten ihn an die Musikhochschule in Freiburg, an die Leibniz Universität Hannover und an das Zentrum für Angewandte Kulturwissenschaft der Karlsruher Universität (KIT). Essays und Kritiken ­erschienen u. a. im Berliner Tagesspiegel, in Opernwelt und bei Theater der Zeit.

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Recherchen 1 3 4 6 7

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Maßnehmen: Die Maßnahme . Kontroverse Perspektive Praxis Brecht/ Eislers Lehrstück Adolf Dresen – Wieviel Freiheit braucht die Kunst? . Reden Briefe Verse Spiele Rot gleich Braun . Brecht-Tage 2000 Zersammelt . Die inoffizielle Literaturszene der DDR Martin Linzer – »Ich war immer ein Opportunist …« . 12 Gespräche über Theater und das Leben in der DDR, über geliebte und ungeliebte Zeitgenossen Jost Hermand – Das Ewig-Bürgerliche widert mich an . Brecht-Aufsätze Die Berliner Ermittlung von Jochen Gerz und Esther Shalev-Gerz – Theater als öffentlicher Raum Friedrich Dieckmann – Die Freiheit ein Augenblick . Texte aus vier Jahrzehnten Brechts Glaube . Brecht-Tage 2002 Hans-Thies Lehmann – Das Politische Schreiben . Essays zu Theatertexten Manifeste europäischen Theaters . Theatertexte von Grotowski bis Schleef Jeans, Rock & Vietnam . Amerikanische Kultur in der DDR Szenarien von Theater (und) Wissenschaft Die Insel vor Augen . Festschrift für Frank Hörnigk Falk Richter – Das System . Materialien Gespräche Textfassungen zu »Unter Eis« Brecht und der Krieg . Brecht-Tage 2004 Gabriele Brandstetter – BILD-SPRUNG . TanzTheaterBewegung im Wechsel der Medien Johannes Odenthal – Tanz Körper Politik . Texte zur zeitgenössischen Tanzgeschichte Carl Hegemann – Plädoyer für die unglückliche Liebe . Texte über Paradoxien des Theaters 1980 – 2005 VOLKSPALAST . Zwischen Aktivismus und Kunst. Aufsätze Brecht und der Sport . Brecht-Tage 2005 Theater in Polen . 1990 – 2005 Politik der Vorstellung . Theater und Theorie Das Analoge sträubt sich gegen das Digitale? . Materialitäten des deutschen Theaters in einer Welt des Virtuellen Stefanie Carp – Berlin / Zürich/ Hamburg . Texte zu Theater und Gesellschaft Durchbrochene Linien . Zeitgenössisches Theater in der Slowakei Friedrich Dieckmann – Bilder aus Bayreuth . Festspielberichte 1977 – 2006 Sire, das war ich . Lessings Schlaf Traum Schrei Heiner Müller Werkbuch Sabine Schouten – Sinnliches Spüren . Wahrnehmung und Erzeugung von Atmosphären im Theater Die Zukunft der Nachgeborenen . Brecht-Tage 2007 Joachim Fiebach – Inszenierte Wirklichkeit . Kapitel einer Kulturgeschichte des Theatralen

52 Angst vor der Zerstörung . Der Meister Künste zwischen Archiv und Erneuerung 54 Strahlkräfte . Festschrift für Erika Fischer-Lichte 55 Martin Maurach – Betrachtungen über den Weltlauf . Kleist 1933 –1945 56 Im Labyrinth . Theodoros Terzopoulos begegnet Heiner Müller 57 Kleist oder die Ordnung der Welt 58 Helene Varopoulou – Passagen . Reflexionen zum zeitgenössischen Theater 60 Elisabeth Schweeger – Täuschung ist kein Spiel mehr . Nachdenken über Theater 61 Theaterlandschaften in Mittel-, Ost- und Südosteuropa 62 Anja Klöck – Heiße West- und kalte Ost-Schauspieler? . Diskurse, Praxen, Geschichte(n) zur Schauspielausbildung in Deutschland nach 1945 63 Vasco Boenisch . Krise der Kritik? . Was Theaterkritiker denken – und ihre Leser erwarten 64 Theater in Japan 65 Sabine Kebir – »Ich wohne fast so hoch wie er« Steffin und Brecht 66 Das Angesicht der Erde . Brechts Ästhetik der Natur . Brecht-Tage 2008 67 Go West . Theater in Flandern und den Niederlanden 70 Reality Strikes Back II . Tod der Repräsentation 71 per.SPICE! . Wirklichkeit und Relativität des Ästhetischen 72 Radikal weiblich? . Theaterautorinnen heute 74 Frank Raddatz – Der Demetriusplan . Oder wie sich Heiner Müller den Brechtthron erschlich 75 Müller Brecht Theater . Brecht-Tage 2009 76 Falk Richter – Trust 79 Woodstock of Political Thinking . Im Spannungsfeld zwischen Kunst und Wissenschaft 81 Die Kunst der Bühne . Positionen des zeitgenössischen Theaters 82 Working for Paradise . Der Lohndrücker. Heiner Müller Werkbuch 83 Die neue Freiheit . Perspektiven des bulgarischen Theaters 84 B. K. Tragelehn – Der fröhliche Sisyphos . Der Übersetzer, die Übersetzung, das Übersetzen 87 Macht Ohnmacht Zufall . Aufführungspraxis, Interpretation und Rezeption im Musiktheater des 19. Jahrhunderts und der Gegenwart 91 Die andere Szene . Theaterarbeit und Theaterproben im Dokumentarfilm 93 Adolf Dresen – Der Einzelne und das Ganze . Zur Kritik der Marxschen Ökonomie 95 Wolfgang Engler – Verspielt . Schriften und Gespräche zu Theater und Gesellschaft


Recherchen 96 Heiner Goebbels – Ästhetik der Abwesenheit . Texte zum Theater 97 Magic Fonds . Berichte über die magische Kraft des Kapitals 98 Das Melodram . Ein Medienbastard 99 Dirk Baecker – Wozu Theater? 100 Rimini Protokoll – ABCD 101 Rainer Simon – Labor oder Fließband? . Produktionsbedingungen freier Musiktheaterprojekte an Opernhäusern 102 Lorenz Aggermann – Der offene Mund . Über ein zentrales Phänomen des Pathischen 103 Ernst Schumacher – Tagebücher 1992 – 2011 104 Theater im arabischen Sprachraum 105 Wie? Wofür? Wie weiter? . Ausbildung für das Theater von morgen 106 Theater in Afrika – Zwischen Kunst und Entwicklungszusammenarbeit . Geschichten einer deutsch-malawischen Kooperation 107 Roland Schimmelpfennig – Ja und Nein . Vorlesungen über Dramatik 108 Horst Hawemann – Leben üben . Improvisationen und Notate 109 Reenacting History: Theater & Geschichte 110 Dokument, Fälschung, Wirklichkeit . Materialband zum zeitgenössischen Dokumentarischen Theater 111 Theatermachen als Beruf . Hildesheimer Wege 112 Parallele Leben . Ein DokumentarTheaterprojekt zum Geheimdienst in Osteuropa 113 Die Zukunft der Oper . Zwischen Hermeneutik und Performativität 114 FIEBACH . Theater. Wissen. Machen 115 Auftreten . Wege auf die Bühne 116 Kathrin Röggla – Die falsche Frage . Theater, Politik und die Kunst, das Fürchten nicht zu verlernen 117 Momentaufnahme Theaterwissenschaft . Leipziger Vorlesungen 118 Italienisches Theater . Geschichte und Gattungen von 1480 bis 1890 119 Infame Perspektiven . Grenzen und Möglichkeiten von Performativität und Imagination 120 Vorwärts zu Goethe? . Faust-Aufführungen im DDR-Theater 121 Theater als Intervention . Politiken ästhetischer Praxis 123 Hans-Thies Lehmann – Brecht lesen 124 Du weißt ja nicht, was die Zukunft bringt . Die Expertengespräche zu »Die Schutzflehenden / Die Schutzbefohlenen« am Schauspiel Leipzig 125 Henning Fülle – Freies Theater . Die Modernisierung der deutschen Theaterlandschaft (1960 – 2010) 126 Christoph Nix – Theater_Macht_Politik . Zur Situation des deutschsprachigen Theaters im 21. Jahrhundert

127 Darstellende Künste im öffentlichen Raum . Transformationen von Unorten und ästhetische Interventionen 128 Transformationen des Theaters in Ostdeutschland zwischen 1989 und 1995 . Umbrüche und Aufbrüche 129 Applied Theatre . Rahmen und Positionen 130 Günther Heeg – Das Transkulturelle Theater 131 Vorstellung Europa – Performing Europe . Interdisziplinäre Perspektiven auf Europa im Theater der Gegenwart 132 Helmar Schramm – Das verschüttete Schweigen . Texte für und wider das Theater, die Kunst und die Gesellschaft 133 Clemens Risi – Oper in performance . Analysen zur Aufführungsdimension von Operninszenierungen 134 Willkommen Anderswo – sich spielend begegnen . Theaterarbeiten mit Einheimischen und Geflüchteten 135 Flucht und Szene . Perspektiven und Formen eines Theaters der Fliehenden 136 Recycling Brecht . Materialwert, Nachleben, Überleben 137 Jost Hermand – Die aufhaltsame Wirkungslosigkeit eines Klassikers . Brecht-Studien 139 Theater der Selektion . Personalauswahl im Unternehmen als ernstes Spiel 140 Thomas Wieck – Regie: Herbert König . Über die Kunst des Inszenierens in der DDR 141 Praktiken des Sprechens im zeitgenössischen Theater 143 Ist der Osten anders? . Expertengespräche am Schauspiel Leipzig 144 Gold L’Or . Ein Theaterprojekt in Burkina Faso 145 B. K. Tragelehn – Roter Stern in den Wolken 2 146 Theater in der Provinz . Künstlerische Vielfalt und kulturelle Teilhabe als Programm 147 Res publica Europa . Networking the performing arts in a future Europe 148 Julius Heinicke – Sorge um das Offene . Verhandlungen von Vielfalt im und mit Theater 149 Julia Kiesler – Der performative Umgang mit dem Text . Ansätze sprechkünstlerischer Probenarbeit im zeitgenössischen Theater 150 Raimund Hoghe – Wenn keiner singt, ist es still . Porträts, Rezensionen und andere Texte (1979–2019) 151 David Roesner – Theatermusik . Analysen und Gespräche 152 Viktoria Volkova – Zur Konstituierung der Kunstfigur durch soziale Emotionen 154 Klassengesellschaft reloaded und das Ende der menschlichen Gattung . ­Fragen an Heiner Müller


Recherchen 155 TogetherText . Prozessual erzeugte Texte im Gegenwartstheater 157 Theater in Afrika II – Theaterpraktiken in Begegnung 158 Joscha Schaback – Kindermusiktheater in Deutschland 159 Inne halten: Chronik einer Krise



Seit den 1990er Jahren boomt das Musiktheater für Kinder und Jugendliche. Als eines der ältesten Ensembles sorgt die Junge Oper in Stuttgart für eine Vermittlung auf Augenhöhe. Das Theater Pfütze in Nürnberg überträgt die Arbeitsweisen des Freien Kindertheaters auf seine jungeMET. In Berlin zeigt das Kinderopernhaus Lichtenberg, wie sich partizipative Oper mit Hilfe der sozialen Infrastruktur der Caritas organisieren lässt.

Kindermusiktheater in Deutschland stellt die neu entdeckte Gattung in ihren Organisationsformen sowie in ihren ästhetischen und sozialen Möglichkeiten dar. Das Buch ist der erste Versuch, die Kunstform kulturpolitisch einzuordnen. Ihre Akteure spielen mit postdramatischen Elementen, integrieren Neue Musik und szenisches Musizieren und produzieren über alle Spartengrenzen hinweg. Wird Kindermusiktheater die Kunstform der Zukunft?

978-3-95749-307-1 ISBN 978-3-95749-307-1

9 783957 493071 >

www.theaterderzeit.de


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