BÜRGERNÄHE ALS PUBLIC ADDED VALUE „Bürgernäher als die ORF-Landesstudios lassen sich, vermutlich sogar im weltweiten Maßstab betrachtet, Radio und Fernsehen nicht machen.“ Brigitte Wolf, Landesdirektorin ORF Wien Jeder Radio- und jeder Fernsehanbieter glaubt von sich selbst „bürgernah“ zu sein. Wer bürgerfern agiert, wem es nicht gelingt, eine Brücke zum Publikum zu bauen, wird vom Markt in der einen oder anderen Form abgestraft. Von der Behauptung allein, bürgernah orientiert zu sein, lässt sich also kein „Public Value“ ableiten. Noch weniger ein Public Added Value, der von einem öffentlich-rechtlichen, gebührengestützten Rundfunkveranstalter zu Recht gefordert werden kann. Die von vielen Gebührenzahlern gerne und oft konsumierten Unterhaltungsprogramme bzw. Nachrichten-, Informations- oder Sportprogramme mit nationalen oder internationalen Inhalten sind in vielerlei Hinsicht selbstverständlich auch bürgernah – sind sie es nicht, werden sie vom Quoten-Gott zur Rechenschaft gezogen. Alle diese Formate decken anthropologische Bedürfnisse ab, die mehr oder minder ausgeprägt in jedem von uns schlummern. Wir wollen an der nationalen Debatte teilhaben, wir wollen unsere Zeitgenossenschaft im Weltmaßstab leben, wir wollen den Sieger von Wimbledon und Kitzbühel wissen, bisweilen wollen wir auch nur abschalten, aber nicht einschlafen müssen – alles zutiefst menschliche Bedürfnisse von Bürgern/-innen vor dem Radio- oder Fernsehgerät. Aber es gibt noch ein Bedürfnis, es nimmt eine Art Sonderstellung ein; es handelt von der uns vertrauten Welt vor der Haustüre, von den Straßen, die wir selbst und alltäglich befahren, von den Ereignissen, deren unmittelbare Zeugen wir waren oder hätten sein können, von Beschlüssen, die uns unmittelbar
betreffen. Das ist der Bereich der Kleinwetterlage, der Lokalliga, des Landestheaters, der Bezirkspolitik und der Nachbarschafts-Chronik – kurz gesagt: der Bereich der sozusagen verschärften Bürgernähe. Di esen Bereich bearbeiten die neun Landesstudios des ORF. Zugegeben – in den vergangenen fünf bis zehn Jahren haben sich auch zahlreiche kommerzielle Lokalradios und private Fernsehversuche in lokalen Kabelnetzen um diese Form von Bürgernähe bemüht. Alle rdings hört und sieht der angesprochene Bürger diesen Projekten und Produkten eine gewisse Enge an: Enge der jeweiligen Mikro-Märkte, Enge der Produktionsmittel, Enge der behandelten Thematik, vor allem aber auch Enge der kommerziellen Motive. Das kann dann und wann zu durchaus netten Ergebnissen führen, und der eine oder andere mag das als Beitrag zur Medien-Pluralität gelten lassen. Aber der forcierte Public Added Value, den die ORF-Landestudios hervorbringen, liegt präzise in der Überwindung dieser Beengungen mit Produktionsmitteln, die betriebswirtschaftlich nur fünf- bis zehn Mal so große „Räume“ rechtfertigen würden, mit Redakteuren/-innen und Technikern/-innen, die auf dem Standard großer nationaler Programme geschult sind, mit Journalisten/-innen, die vom selben rigorosen Redakteursstatut geschützt werden, der die Unabhängigkeit von „ZiB“-Redakteuren/-innen sicherstellt. Auf die „Nachrichten vor der Haustür“ derart massiv loszugehen, mag ein extremer Overkill sein, etwas, das sich schon der Bayerische Rundfunk im größeren und reicheren Nachbarland in dieser Form nicht lei s-
ten mag. Aber eines steht fest: Zusammengerechnet erreichen die Sendungen der Landesstudios Woche für Woche fast 3 Millionen Bürger/-innen im Fernsehen und fast 4 Millionen im Radio mit dieser verschärften Form von Bürgernähe, wie sie nur – wenn überhaupt – im öffentlich-rechtlichen Zusammenhang gedeihen kann.