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Vom Traum des Beobachtens Österreich ist klein. Österreich – „Austria“ steht in der amerikanischen Wahrnehmung irgendwo zwischen Aruba, Armenien und Aserbaidschan. Österreich ist für die geopolitischen Interessen der USA nahezu bedeutungslos. Österreich ist kein Mitglied der NATO, ist neutral, verfügt über keine nennenswerten Bodenschätze, der Eiserne Vorhang ist auch schon lange weg, und als Zielgebiet für US-Exporte ist im Großraum von London mehr zu holen als in ganz Austria. Dementsprechend ist auch der Stellenwert österreichischer Korrespondent/innen aus Sicht von Amerikaner/innen in den USA zu sehen: Austria who? Gut für uns! Eben weil wir Österreicher/innen hier kaum Interessen haben, über keinen Einfluss verfügen und keine Positionen beziehen müssen, fällt uns ein klarer, weil nüchterner Blick auf die Geschehnisse oft leichter als anderen. Stichwort Raketenschutzschild: Wie schwer tat sich der tschechische Kollege doch – immerhin waren seine ureigensten Interessen betroffen. Stichwort atomare Abrüstung: Wie hart ist es doch für den deutschen Kollegen, ruhigen Blickes zu berichten – immerhin stehen amerikanische Atomraketen in seinem Heimatland. Und man schaut – egal ob als Deutsche/r oder Tschech/in – am Ende doch machtlos zu, wie die USA entscheiden. Unsere Beiträge müssen nicht den Gefallen der geradezu monströsen Pressefabrik im Weißen Haus finden. Wir leben den journalistischen Traum des Beobachtens ohne Eigeninteressen. Der ORF, die Gelder der Zuseher/innen, machen das möglich. Wir hoffen, dass wir das Unsere dazu beitragen, und dass man diesen unseren Freiraum als Zuseher/in auch bemerkt.


Das Bild von Präsident Obama bei der Angelobung? Ja, das bekommt man auch über die Agenturen. Das Interview für die samstägliche Radio-Serie „Im Journal zu Gast“ mit der österreichischen Spitzenbiologin am Massachussetts Institute of Technology in Boston? Das gibt’s nur beim österreichischen Medium. Die Bilder vom versinkenden New Orleans? Bekommt man über die Agenturen. Die Interviews mit der österreichischen Betreiberin eines Altersheims, die erzählt, wie sie die Bewohner/innen in Sicherheit gebracht hat und nun im leeren Heim die Stellung hält? Nur beim österreichischen Medium. Wir sind hier, um die österreichische Perspektive einzuholen. Die ist oft genug hochinteressant, bleibt den großen Agenturen – Bild und Wort – aber in der Regel verborgen. Die haben 193 Länder zu bedienen – da ist für Austriazismen einfach kein Platz. Ich schreibe bewusst „Österreichisches Medium“ und nicht „ORF“. Keine Frage – auch ATV, Profil, Puls4 und alle anderen Medien im Land, die einen Grundanspruch an ihre Information stellen, wären gerne hier. Es fehlen ihnen aber einfach die Mittel dazu. Dieses Privileg wird uns durch die Gebühren der Seher/innen und Hörer/innen ermöglicht. Wir hoffen, ihm mit tadelloser Information gerecht zu werden. Die Welt wächst zusammen. Was früher Stunden, wenn nicht Tage brauchte, um über den Atlantik zu gelangen, ist im Jahr 2010 oft nur noch eine Frage von Millisekunden. Internet, Twitter, Facebook – die Medien-Revolution ist voll im Gang. Wie ein riesiger Brecher wälzt sich die Lawine der Informationen täglich übers Internet in die Haushalte der Menschen. Doch die Voraussagen, dass dadurch Journalist/innen und Expert/innen obsolet würden, die haben sich – noch – nicht bewahrheitet. Es sind die Portale der sogenannten „etablierten“ Medien, die die meisten Zugriffe haben. In den USA die New York Times, CNN und die Washington Post – in Österreich eben der ORF, der „Standard“ und die „Presse“. Man vertraut diesen Institutionen bei der Auswahl und der Aufarbeitung der Themen. Daneben entstehen


tolle und spannende Dinge: Politico, Huffington Post und viele andere, deren Nennung hier zu umfangreich wäre. Es handelt sich dabei aber um Nischenprogramme, die sich gezielt an spezielle Interessen wenden. Erfolgreich zwar, aber eben in der Nische. Zigtausend Meldungen jagen Presseagenturen, Institutionen, Parteien und Unternehmen jeden Tag in den elektronischen Äther. Jeder Mensch mit einem Computer hat heute Zugang dazu, jeder kann sich - wenn er die Zeit dazu hat - einen eigenen Reim darauf machen. Es liegt an uns Journalist/innen, jenen ein Angebot zu machen, die das nicht können oder wollen. Es liegt an uns Journalist/innen, in diesen Dschungel an Informationen – und Desinformationen – einen Orientierungspfad zu schlagen. Kund/innen eine Perspektive zu bieten, die über die tagesaktuelle Sensation hinausgeht. Einen Mehrwert zu erzeugen, der nur durch Präsenz am Ort, journalistische Redlichkeit und – ja auch - Erfahrung zu generieren ist. Die Einordnung dessen was passiert, ohne belehrend oder gar voreingenommen zu sein. Das Angebot eines ausgewogenen Blickes, der alle relevanten Beteiligten zu Wort und Bild kommen lässt. Die Fähigkeit, die Seher/innen und Hörer/innen hinter die nackte Meldung blicken zu lassen. Könnte man diesem Anspruch in der Berichterstattung etwa über Österreich gerecht werden, ohne in Österreich zu sein, zu leben, zu atmen? Ich denke nein. Deshalb betreibt der ORF Büros in vielen Teilen dieser zusammenwachsenden Welt. Was heute in China, USA oder Brüssel passiert, kann morgen wichtig sein für Wien, Dornbirn und Eferding. Das ist öffentlich-rechtlicher Mehrwert, wie ich ihn verstehe.


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