VOLKSMUSIK IM ORF: BELIEBT, POPULÄR, VERSPOTTET UND WESHALB DAS THEMA NAHEZU AUSSCHLIESSLICH EIN „ÖFFENTLICH-RECHTLICHES“ IST… Vorweg: Nennen wir das musikalische Genre, um das es hier geht, in weiterer Folge so, wie es international üblich ist: M.O.R. Middle Of The Road. Der Name ist Programm. Man muss die Geschichte von Genre Shows wie dem „Musikantenstadl“, „Wenn die Musi spielt…“, „Starnacht am Wörthersee“ oder dem „Grand Prix der Volksmusik“ kennen, um wiederum zu erkennen, dass es sich bei solchen Shows um nahezu ausschließlich öffentlich-rechtliches Fernsehprogramm handelt. Am 1.1.1984 startete in Deutschland das Privatfernsehen, in Österreich erst viele Jahre später. Abendunterhaltung, respektive die ‚große Samstagshow‘, befeuert in erster Linie durch Musik und Spiele, war demzufolge über Jahrzehnte schon aus gesetzlichen Gründen eine rein öffentlich-rechtliche Angelegenheit. Nachdem im Jahr 1986 der „Grand Prix der Volksmusik“ ins Leben gerufen wurde und dieser wiederum 1988 mit dem Naabtal Duo und dem Lied „Patrona Bavariae“ nicht nur einen der meistverkauften deutsch gesungenen Titel aller Zeiten hervorbrachte, galten das Lied und die Show auch als Initialzündung für den großen Volksmusik-Boom in Deutschland. Die Privatfernsehlandschaft registrierte die hohen Quoten solcher Sendungen und stieg voll in dieses Format. Nahezu jede deutsche TV-Anstalt spielte plötzlich in diesem Genre mit. Wie jeder Boom relativierte sich auch dieser wieder und seit den früheren 1990er Jahren ist die M.O.R.-Musikshow erneut wieder ein Thema, das in Deutschland (durch den späteren Start von Privat-TV in Österreich hatte es keine Versuche der Privaten in diesem Format gegeben)
ausschließlich bei den öffentlich-rechtlichen stattfindet. Der Grund dafür liegt auf der Hand und ist in den Unterschieden zwischen öffentlich-rechtlicher und privater TV-Struktur zu finden. Privatfernsehen ist ein Geschäft. Geht ein Boom zu Ende, der zusätzlich über diverse Merchandising- und Rechtevermarktungslinien Lizenzen einspielt und nicht zwingend als jung anzusehen ist, dann verabschiedet sich Privat-TV aus diesem Format. Öffentlich-rechtliches Fernsehen jedoch hat die Aufgabe, die Wünsche des Publikums ebenso ernst zu nehmen wie sich nicht ausschließlich an kommerziellen Richtlinien zu orientieren. Die „magischen Ziffern“ 14-49 spielen daher in ganz bestimmten Formaten beim ö.r.-TV keine dominierende Rolle. M.O.R.-Musik im ö.r.-Fernsehprogramm ist einerseits ein stabiler Quotenlieferant, andererseits jenseits der „werberelevanten Zielgruppe“. Da Zweiteres beim kommerziellen TV mehr zählt, stellt sich die Frage nach einem öffentlich-rechtlichen Mehrwert solcher Programmanteile gar nicht. Im Gegenteil: Würde das öffentlichrechtliche TV sich dieser Themen nicht annehmen, dann gäbe es diese Sendungen schlichtweg nicht. Nun gut, ja, über Pay-TV im Programmpaket (siehe GoldStar-TV) oder bei Spartenprogrammen im Sat/KabelTV. Damit jedoch nicht für jedermann empfangbar und es entstände die paradoxe Situation, dass es breitenwirksames Programm in Ghettos verbannt wird und der Versorgungsauftrag schlichtweg nicht erfüllt wäre. Der Wert ist somit gleichzeitig der Mehrwert. Inhaltlich handelt es sich bei M.O.R.-Sendungen um Unterhaltungsprogramme, leicht gewürzt mit Infotainment. Musik, Land, Leute, die Region – darum geht’s: Um die Regionalisierung in einer globalisierten
Welt, um die Darstellung des eigenen Lebensraumes im Verbund mit Nachbarschaft. Der Bogen reicht von Folklore bis zu Tourismusangeboten. Musikalisch von der etablierten Star-Galerie bis zu vernünftiger Nachwuchspflege. Auch hier ist der deutlichste Unterschied zum Format-TV zu erkennen. Nachwuchs im TV ist seit Jahren gleich bedeutend mit Casting-Shows. In den M.O.R.-Programmen ist das anders: Nachwuchs und arrivierte Künstler treten gemeinsam auf. Es entfallen sowohl der voyeuristische Casting Show-Effekt als auch das aggressive Konkurrenzverhalten der Protagonisten. Auch hier ist der Wert gleichzeitig der Mehrwert, denn es existiert keine irgendwie geartete Konkurrenzsituation aus den Bereich Privat-TV, welche auch nur annähernd die gleichen professionellen Programmvertriebsstrukturen für „nicht werberelevante Zielgruppen“ aufweisen kann.