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KE NAKO – AFRIKA JETZT Eine zweimonatige Erkundungsreise durch Afrika mit Ö1

Die Bänke im Joubert-Park in Johannesburg auf denen „Nie Blankes/Non Whites“ stand – und in angemessener Entfernung jene mit der Aufschrift „Blankes/Whites“ – habe ich bis heute nicht vergessen. Als Kind und Jugendliche habe ich viele Jahre in Afrika gelebt – zuerst in Südafrika, dann im heute bevölkerungsreichsten Staat des Kontinents, in Nigeria. Ich erlebte die schrecklichen Ausformungen der Apartheid einige Jahre nach der Verhaftung Nelson Mandelas 1962 und ein Nigeria, das in den 1970er Jahren unter wechselnden Militärdiktaturen immer mehr im Chaos versank. Damals beschloss mein Vater – gegen meinen Willen –, mich nach Europa zurückzuschicken, zu gefährlich der Alltag, zu schlecht die Bildungsmöglichkeiten. Die Faszination Afrika ist bis heute geblieben, den Kontinent habe ich trotz aller Sehnsucht seither nie mehr betreten. Die Schlagzeilen waren auch nicht einladend: Bürgerkrieg, Korruption, Völkermord, Kriminalität, AIDS, Hunger, Dürrekatastrophen. Es gab fast ausschließlich negative Nachrichten im Zusammenhang mit dem „Elendskontinent“ – wie der SPIEGEL titelte. Aber lässt sich Afrika wirklich so leicht zum „verlorenen Kontinent“ erklären, gibt es nicht vieles, das zur Hoffnung Anlass gibt, übersehen wir nicht einfach das „innovative Afrika“, die kulturellen Ressourcen, die hier vorhanden sind? Sicher ist, dass wir viel zu wenig wissen, um uns ein Bild zu machen – die berühmt-berüchtigten „weißen Flecken auf der Karte“, die die unerforschten Gebiete im Herzen Afrikas im 19. Jahrhundert kennzeichneten, haben wir vielfach auf unserer geistigen Landkarte.


Daran etwas zu verändern, hatten wir uns bei Ö1 zum Ziel gesetzt. Die Fußball WM im Juni 2010 in Südafrika und die Tatsache, dass sich zum 50. Mal das sogenannte afrikanische Jahr jährte – 1960 erlangten 17 Staaten die Unabhängigkeit von ihren Kolonialmächten – nahmen wir zum Anlass, uns zwei Monate sehr intensiv mit dem Kontinent auseinanderzusetzen. Von 1. April bis 1. Juni beschäftigten sich mehr als 150 Sendungen und Beiträge mit Afrika. Der Kontinent sei zwar zu groß, als dass man ihn beschreiben könne, meinte schon Richard Kapuscinski, aber wir bemühten uns bei der Programmplanung, möglichst viele Regionen aus den verschiedensten Blickwinkeln akustisch zu beleuchten – Politik, Geschichte, Musik, Literatur, Religion, Gesellschaft und Alltag in den unterschiedlichen Ländern darzustellen. „Ke Nako – Afrika jetzt!“ war der Titel des Schwerpunkts, denn unter diesem Slogan gab es eine entwicklungspolitische Initiative der ADA, der Agentur der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit, anlässlich der WM in Südafrika. Eine Initiative, die wir gerne unterstützten, denn Information und Hintergrundwissen auch jenseits tagesaktueller Berichterstattung zur Verfügung zu stellen, war und ist stets das Ziel von Ö1. Die Frage war nur, wo sollten wir anfangen? Können Sie alle 53 Staaten Afrikas aufzählen und wissen Sie ungefähr, wo diese liegen? Wir konnten es nicht. Also beschlossen wir, ein kleines akustisches Lexikon quasi zum roten Faden unseres Afrika-Schwerpunktes zu machen. Unter dem Titel „Afrika in 53 Tagen“ gestalteten Monika Kalcsics und Thomas Haunschmid 53 Länderporträts mit differenzierten, überraschenden und neuen Sichtweisen. Das innovative Afrika stand im Mittelpunkt einer außergewöhnlichen „Radiokolleg“-Reihe, Literatur aus acht unterschiedlichen afrikanischen Ländern – von Madagaskar bis Mali – hörte man in „Terra incognita“. Ein Feature mit bisher unveröffentlichten Aufzeichnungen vom Krieg im ehemaligen Deutsch-Südwestafrika stand ebenso auf


dem Programm wie “Tonspuren“ mit dem Titel „Als Nelson Mandela noch Terrorist war“. In mehreren Ausgaben von „Journal-Panorama“ ging es u. a. um „China als neue Kolonialmacht oder als Entwicklungsmotor in Afrika“. „Diagonal“ begab sich nach Kapstadt, die „Dimensionen“ beschäftigten sich u. a. unter dem Titel „Deutsche Hühner in Afrika“ mit Entwicklungspolitik und ihren Widersprüchen. „Betrifft: Geschichte“ porträtierte afrikanische Persönlichkeiten und „Im Gespräch“ war Henning Mankell mit seinen Afrika-Erfahrungen zu Gast. Wir berichteten von der „Dak’art“ in Senegal, „Ambiente“ unternahm eine Ö1 Studienreise nach Marokko und „Logos“ setzte sich mit der äthiopisch-orthodoxen Kirche auseinander. Ö1 brachte nicht nur Weltmusik aus Afrika, sondern beschäftigte sich z. B. auch mit „klingendem Protest vom Kap der Guten Hoffnung“ und im RadioKulturhaus diskutieren „Im Zeit-Raum“ eine Reihe von Expert/innen über historische Erfahrungen und den Status quo der Entwicklung in den verschiedenen afrikanischen Regionen. Ich habe meine – wenn auch nur akustische – Rückkehr nach Afrika sehr genossen. Vielleicht folgt irgendwann nach diesen zwei Monaten in Ö1 auch die tatsächliche „Heimkehr“.

Beitrag: Ulrike Wüstenhagen, ORF-Hörfunkadministration


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