Wert und Werte des Bildungsradios
Das Radiokolleg ist „Bildungsradio” und damit ein Herzstück des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Österreich. Den Wandel vom Schulfunk zum Qualitätsjournalismus vollzog das Ö1-Bildungsformat bereits 1984. Damit positionierte sich das elektronische Medium als zeitgemäßer und wichtiger Player in der Bildungslandschaft. Aufhorchen lassen sowohl die Bandbreite an Themen als auch die Breite und Tiefe, mit der sie aufgearbeitet werden. Das Radiokolleg beweist, dass Lernen besser geht, wenn man gerne zuhört, dass komplexe und seriöse Wissensvermittlung gleichzeitig auch populär und unterhaltsam sein kann. Bildung im Radio ist in Österreich mit dem Radiokolleg zu einer Erfolgsgeschichte geworden. Das Thema Bildung steht heute mehr denn je im Zentrum der gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung. Bildung wird als die Antwort auf die Herausforderungen der Globalisierung, der Informationsgesellschaft und der Wissensökonomie betrachtet. Wissen gilt als produktionsrelevanter Faktor, und Bildung wird damit zur notwendigen Investition in das so genannte Humankapital. Ein utilitaristisches Bildungsverständnis, das zunehmend das Ideal der „zweckfreien Bildung” verdrängt, dem es um die Entfaltung des Menschen, seine Mündigkeit, Selbstbestimmung und Kritikfähigkeit geht. Auch die europäische Union hat sich mit der Lissabon-
Strategie im März 2000 das Ziel gesetzt, die EU zum wettbewerbsfähigsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen. Susan Robertson, Professorin für Bildungssoziologie an der Universität Bristol in England, plädiert für eine „wissensreiche Gesellschaft“ und dafür, Bildung nicht nur als private sondern als öffentliche und gesellschaftliche Investition zu begreifen, die allen zugutekommt. „Wir brauchen gesellschaftliches Wissen, um die immer größere Diversität der Bevölkerung zu verstehen, oder um globale Probleme wie den Klimawandel zu lösen und eine nachhaltige Entwicklung anzustreben.” Das Radiokolleg ist Teil dieser wissensreichen Gesellschaft, es vertritt ein ganzheitliches Bildungsideal, das sich an Werten wie Gleichberechtigung, Emanzipation, Partizipation, Kritikfähigkeit, sozialer Gerechtigkeit und globaler Sensibilität orientiert. Bildungsjournalismus in einer wissensreichen Gesellschaft zeichnet sich dadurch aus, dass bei der Wahl und Gestaltung der Themen weder Profitinteressen noch Quotendruck eine Rolle spielen. Viel mehr bietet Ö1 den Autorinnen und Autoren des Radiokollegs den nötigen geistigen Freiraum. Sie greifen mit viel Engagement Themen auf, die sie auch selbst interessieren. Dieses Bildungsinteresse, das hinter der Recherche und Gestaltung vieler Radiokollegs steckt, wirkt ansteckend und weckt die Neugier und Motivation der Zuhörer/innen, sich selbst etwa durch Bücher weiterzubilden. Relevante Literaturempfehlungen werden über das Ö1-Hörer/innen-Service jede Woche bereitgestellt.
Angenehm, nicht nur beim Hören, sondern auch bei der Gestaltung des Radiokollegs ist, dass weder Tagesaktualität, Event-Kalender oder PR-Agenturen intervenieren. Meist werden die aufwendigen Serien Monate vor dem Sendetermin geplant und konzeptioniert. Interessant erscheint, dass die Inhalte trotzdem oder gerade deshalb, der Zeit manchmal sogar ein wenig voraus sind und als Sensor für gesellschaftspolitische Entwicklungen fungieren. Vielleicht weil sich der journalistische Spürsinn auf Tiefe und Komplexität eines Themas ausrichten kann und nicht auf tagesaktuelle Störgeräusche reagieren muss. Eine weitere Frage, die sich für ein Bildungsformat stellt: Was soll und kann eine Sendung wie das Radiokolleg im Internet-Zeitalter leisten, wenn alles Wissen der Welt nur einen Klick weit entfernt ist? Klar ist, dass es für Faktenwissen von A-Z geeignetere Vermittlungsformate gibt, wie etwa Wikipedia, das das gesammelte Wissen der Menschheit jederzeit frei abrufbar hält. Das Radiokolleg behandelt jede Woche an vier Tagen, von Montag bis Donnerstag jeweils eine Stunde lang, nur drei verschiedene Themen. Ein wahrer Luxus in unserer kurzlebigen Welt: drei neue Themen pro Woche und das vier Stunden lang. Damit bietet das Radiokolleg Orientierung, Kontextualisierung und Tiefgang. Ein Anker und Ruhepunkt im digitalen Rausch der Informationsfluten. Das Sendeformat ist eine Art „Context Composer”, der verschiedene Perspektiven auf ein Thema herausarbeitet, Expert/innen-Diskurse mit Alltagswissen in Verbindung bringt und daraus neues Wissen, kritische Einsichten und alternative Handlungskompetenzen gewinnt.
Im Internet unter oe1.orf.at lassen sich die Radiokolleg-Serien inklusive Musikviertelstunde eine Woche lang nachhören und zwar unter der Funktionsleiste „7 Tage Ö1“. Ein neues und wichtiges Angebot, zur freien und intensiven Nutzung dieser öffentlich-rechtlichen Bildungssendung. Im Rahmen des Events „Radiokolleg zum Mitreden“ wird vier Mal im Jahr zu Serien wie zb. „Gut für alle. Vom Wert und Nutzen der Gemeingüter“ das Publikum ins ORF-Kulturcafé zur Diskussion mit ausgewählten Interviewpartner/innen eingeladen. Das Motto des Abends lautet „Diskurs im Viertelstundentakt“, das bedeutet, dass jeweils nach einem kurzen Input der Expert/innen sofort die Hörer/innen zu Wort kommen. Die Veranstaltung wird auch als Audiostream im Internet übertragen (radiokulturhaus.orf.at und oe1.orf.at) und auch via Twitter (#radiokolleg) kann jede/r mitreden. Beitrag: Ina Zwerger, Radiokolleg