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Mit Sinn, Verstand – und Herz

Montagmorgen neun Uhr – die Hälfte der Gesundheitsredaktion ist nicht anwesend. Das liegt daran, dass zwei der vier Kolleginnen unterwegs zu Pressekonferenzen sind. Wir sind normalerweise zu viert – und das seit dem Frühling 2008. Damals wurde „bewusst gesund“ als Dachmarke des ORF für Gesundheit ins Leben gerufen und gleichzeitig auch eine Gesundheitsredaktion installiert. In der Hauptabteilung für Wissenschaft, Bildung und Zeitgeschehen haben wir unser Zuhause gefunden. Wir vier das sind Dr. Sylvia Unterdorfer, ein echtes Urgestein aus der Wissenschaftsredaktion und federführend an der legendären „Modern Times“-Sendung beteiligt; sie kennt alle, die in Österreich mit dem Thema Medizin/Gesundheit zu tun haben. Dazu Karin Fürhapper, die mit unglaublicher Geduld zu recherchieren versteht, und in präziser Bildsprache Geschichten über den komplementärmedizinischen Bereich, der in gewisser Weise auch ihr privates Hobby ist, umzusetzen weiß. Etwas später kam dann auch noch Dr. Linda Scheiber zu uns – sie war lange Jahre eine sehr erfolgreiche Wissenschaftsredakteurin mit großer Erfahrung auf dem Dokumentationssektor und hat später immer wieder für kritische Sendungen wie „Bürgeranwalt“ und konkret gearbeitet. Und ich - meine Liebe und mein Interesse für medizinische Themen geht ganz weit zurück; da war ursprünglich der Wunsch, Medizin zu studieren, aber doch andererseits die große Liebe zum Journalismus, die dann letztendlich gesiegt hat. Kurz nach meinem Eintritt in den ORF habe ich im Landestudio Salzburg, wo ich mir die ersten journalistischen Sporen verdient habe, eine wöchentliche Radio-


Gesundheitssendung ins Leben gerufen. Das Publikum hat das sehr gemocht und ich wollte das Ganze auch fürs Fernsehen machen – aber dazu sollte es nach vielen Zwischenstationen bei andern Radio- und Fernsehsendungen erst rund 25 Jahr später kommen. Seit drei Jahren produzieren wir regelmäßig Gesundheitsbeiträge für die Sendung Frühlings-Sommer-Herbst-Winterzeit (Montag-Freitag, 17 Uhr 40, ORF 2). Seit November 2010 haben wir unser eigenes Gesundheitsmagazin „bewusst gesund-Das Magazin“ (Samstag, 17 Uhr 05, ORF 2) – hier gibt es eine unglaublich fruchtbare Zusammenarbeit mit Barbara Stöckl und ihrem Team. Wir vier hatten also nun die Aufgabe zu definieren, was wir mit der Gesundheitsredaktion wollten und wohin die Reise mit bewusst gesund gehen sollte. Für uns war klar: oberste Maxime muss sein, wo bewusst gesund d’raufsteht, dort muss seriöse Medizin- und Gesundheitsberichterstattung d‘rinnen sein. Unser Publikum muss sich darauf verlassen können, dass die Informationen, die wir weitergeben, doppelt und dreifach gecheckt sind. Es werden an unsere Redaktion durchschnittlich pro Tag bis zu fünf Einladungen zu Pressekonferenzen oder Kongressen im In- und Ausland verschickt. Die Themenpalette reicht von neuen erfolgversprechenden Therapien bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen, über innovative Ansätze in der Onkologie – also bei der Behandlung von Krebspatient/innen – neuen Erkenntnissen, die chronische Erkrankungen für die Patient/innen erträglicher machen und selten mögliche Heilung versprechen. Es liegt an uns, sehr vorsichtig damit umzugehen. Wir können Hoffnung schenken aber auch unberechtigt Hoffnungen und Wünsche wecken, und das wäre mehr als verantwortungslos. Gerade in diesem sensiblen Umfeld von Gesundheit und Krankheit, Hoffnung und Enttäuschung sind wir als Redaktion aufgefordert, ganz genau hinzuschauen. Schon in der wöchentlichen Redaktionssitzung wird über jedes einzelne Thema, dessen wir uns annehmen wollen, diskutiert und oft sogar gestritten. Grundvoraussetzung für einen Beitrag, ein Thema, ist erstens seine Relevanz, das heißt für uns: Wie viele Menschen sind davon Betroffen? Welche neuen


Erkenntnisse gibt es dazu? Wie sieht die Studienlage dazu aus? Wie weit ist die neue Therapie gediehen? Ist sie bloß vielversprechend oder ist sie bereits zugelassen? Gibt es konkret betroffene? Menschen, die uns erlauben, ihnen so nahe zu kommen, müssen überzeugt davon sein, dass wir ihre Intimsphäre respektieren, dass wir wissen, wie weit wir gehen dürfen. Manchmal ist das nicht einfach, es gab Situationen, wo wir nach mühevoller Recherche und Arbeit eine Geschichte nicht auf Sendung gebracht haben, weil wir von Angehörigen oder Patient/innen gebeten wurden, das nun doch nicht zu tun. Und es hat Situationen gegeben, wo wir überrascht waren, dass uns diese Einblicke gewährt wurden. Die schönsten Augenblicke in unsere Arbeit sind die, wenn wir Mails oder meist noch Briefe bekommen, in denen sich Zuschauerinnen und Zuschauer bedanken. Weil eine unserer Geschichten sie in einem ganz speziellen Moment ihrer Krankheit getroffen und ihnen Mut gemacht hat mit ihrem Schicksal fertig zu werden. Das sind die Augenblicke, in denen wir genau wissen, warum wir unseren Job so gerne machen. Es ist öffentlich-rechtliche Berichterstattung mit Sinn, Verstand – und Herz. Beitrag: Ricarda Reinisch, ORF-Gesundheitsredaktion


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