Some like it hot ...
15 Jahre Liebesg‘schichten und Heiratssachen, das sind 15 Jahre soziokultureller Erkundung, 15 Jahre österreichische Seelenschau. In aller formaler Konsequenz. Über die sogenannte „österreichische Seele“ wurde schon viel spekuliert, geschrieben, gesungen. Die Österreicher/innen brauchen anscheinend diese Art der Selbstreflexion, um mit sich ins Reine zu kommen. Oder um sich in der Welt zurecht zu finden und sich zu legitimieren. Denn irgendwie ist doch das Reden von der „österreichischen Seele“ eine Art Selbstschutz, um nicht wirklich hinschauen zu müssen, wie es in einem aussieht. Das haben zahlreiche Literat/inne des Fin de Siècle beschrieben, das ist bei Ödon von Horvath nachzulesen, das hat Erwin Ringel in einem anderen Kontext beeindruckend und klar zum Ausdruck gebracht. Und immer wieder gab es Aufregungen, wobei Helmut Qualtingers „Der Herr Karl“ wohl am nachhaltigsten die Gemüter Österreichs erregt hat. Boshafterweise waren es just immer Österreicher/innen, die „eigenen“ Autor/innen, die den Landsleuten gnadenlos den Seelenspiegel vor Augen hielten. Nestbeschmutzer/innen, Übertreiber/innen? Als die bekannte Journalistin und Filmemacherin Elizabeth T. Spira 1985 ihre erste „Alltagsgeschichte“ für den ORF drehte – und es sollten bis 2006 sechzig solche Geschichten werden – war die Aufregung bei so mancher dieser Geschichten groß. Und wieder, dieses Mal eben im Fernsehen, war die „österreichische Seele“ Mittelpunkt kontroversieller Darstellung. Die Österreicher/innen fühlten sich ertappt in ihrer Befindlichkeit, sie konnten sich gleichsam selbst sehen und das gefällt den meisten Menschen bekanntlich ja am wenigsten. Und wenn man ihnen beim Leben zu genau mit Humor und Ironie auf die Finger schaut, kann es schon mal zu Irritationen führen. Über den Mundl
kann man sich köstlich unterhalten, das ist ja Fiktion. Aber bei der Spira wurde es so manchem und mancher zu viel, weil es in der Wahrnehmung der Zuseher/innen plötzlich „real“ war. Dass mit dem Mundl auch er, der Österreicher, bzw. sie, die Österreicherin, gemeint war, schien unbemerkt zu bleiben. Doch nicht genug: 1996 startete Spira die erste Staffel „Liebesgschichten und Heiratssachen“, die ab Juni 2011 zum 15. Mal auf Sendung gehen wird. Dieser Prototyp einer Dokusoap – damals war kaum noch von diesem Genre die Rede – erzählt anhand eines konkreten Themas, der Partnersuche nämlich, behutsam und herausfordernd zugleich sehr viel über die soziale, psychische und historisch gewachsene Befindlichkeiten der Österreicher/innen. Die Sehnsucht nach einer gelungenen Partnerschaft ist wohl eines der Lebensthemen eines jeden Menschen, das Sinnbild für ein geglücktes Leben. Spira entlockt den Suchenden vor der Kamera behutsam deren Wünsche nach idealen Partner/innen: wie sie wohl aussehen sollten, was sie können müssten, und wie die/der Suchende die neue Liebe verwöhnen möchte. Die Antworten in Summe ergeben die gesamte Bandbreite des Menschenmöglichen. „Sportlich soll sie sein, rauchen darf er nicht, ehrlich muss er sein. Sie muss kein Modell sein, ich mag durchaus etwas in der Hand haben. Er muss Katzen lieben..“ Und was überhaupt ist denn Liebe für Sie? Ja, wenn das so einfach zu beantworten wäre, vor der Kamera noch dazu. Aber Elizabeth T. Spira schafft es, dass allen Suchenden dazu etwas über die Lippen kommt. Da kann schon der eine oder die andere ins Dozieren kommen, oder es rutscht einfach heraus, so wie es eben ist mit der Liebe. Während Elizabeth T. Spira ihre Gespräche führt, wandert die Kamera durch Österreichs Wohnungen – oft mit sanfter Ironie, manchmal mit strengem Blick. Wir entdecken die Liebe der Österreicher/innen zu Stofftieren und ausgefallenen Vasen, lernen über die Bilder an ihren Wänden kennen, was so alles unter Kunst verstanden wird, wir erkennen die bevorzugten Möbelhäuser, in denen man gerne einkaufen geht. Die Kamera urteilt aber nicht, sie beobachtet, wandert durch die Wohnungen. Mit den „Liebesg‘schichten und Heiratssachen“ befinden wir uns also mitten in Österreich, sehr
nahe den Menschen, ihren Gewohnheiten, Vorlieben, Abneigungen, Schicksalen. Privater – und damit öffentlichrechtlicher – kann Fernsehen wohl kaum erzählen. Doch dieser Zugang hat nichts mit Voyeurismus zu tun, der entsteht, wenn überhaupt, erst im Kopf der Zuschauer/innen. Beachtlich ist die formale Konsequenz dieser Serie, die in den 15 Jahren an Klarheit und Qualität auch noch ständig zugenommen hat. Die einzelnen Episoden und Sendungen, die beim Zuschauen sehr „leicht“ anmuten und sich selbstverständlich erzählen , sind streng und konsequent komponierte Geschichten, mit immer wieder kehrenden Elementen (Torte mit den Namen, die Titelmelodie) die längst zur „Trademark“ geworden sind. Der Rhythmus der Geschichten, die Auswahl und Aneinanderordnung der einzelnen Episoden, da ist nichts dem Zufall überlassen. Das ist harte Arbeit und viel Erfahrung. 15 Jahre „Liebesgschichten und Heiratssachen“ ist eine umfassende „Heimatkunde“, eine soziokulturelle Erkundung von Wohn- und Lebensgewohnheiten der Österreicher/innen. Diese Geschichten sind auch der Beweis dafür, wie Dokusoaps – im Qualitätsfernsehen – funktionieren können. Nicht kurzatmig und ständig in neue Welten springend, sondern über Jahre hindurch Lebensgeschichten konsequent erzählend. Auch 2011 in Ihrem Fernsehgerät. Beitrag: Franz Grabner, ORF-Kulturredaktion