Geister: Überlegungen zu einem Film.
Für sich aufgeklärt wähnende Geister sind „Geister“ vor allem Geister der Vergangenheit: schlimmer Aberglaube, Stoff für Gruselfilme und Märchen, und natürlich fürs Privatfernsehen – nichts für einen öffentlich-rechtlichen Sender. Allerdings sollte gerade das Prinzip Aufklärung Denk- und Erfahrungsverbote ausschließen. Und eine nüchterne Bestandsaufnahme zeigt: trotz aller Aufklärung gehören „Geister“ mehr denn je zum Erfahrungshorizont vieler Menschen. Kaum ein Jugendlicher wird heute nicht mit Geisterritualen, Tischerlrücken und angeblich wahren Geistererzählungen aus seiner Nachbarschaft konfrontiert. In der Jugendkultur gehören Geister und Untote – siehe „Harry Potter“ und die „Twilight“-Romane – zum selbstverständlichen Inventar. Bei den nach Lebenssinn suchenden Eltern sieht es kaum anders aus. Im Dunstkreis zahlreicher Heil- und Psychotechniken wird offen oder unausgesprochen vorausgesetzt, dass jenseitige Wesen unser Leben mitbestimmen und dass ihre Beschwörung über Glück und Gesundheit entscheidet. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen: Viele nehmen - vor allem nach dem Tod geliebter Menschen – „Geister“ wahr, hören deren Stimmen, fühlen ihr Wirken. Manche suchen – gläubig – über okkulte Rituale Kontakt aufzunehmen, andere werden von einer „Erscheinung“ getroffen, ohne sie gesucht zu haben. Wie real aber ist diese andere Wirklichkeit? Geht es nur um Betrug und Suggestion, sind es bloße Halluzinationen, die der Arzt oder die Ärztin zu behandeln hat? Oder geht es um mythische und mystische Sinnbilder, denen man am Ende zu Recht mit religiösen Mitteln, mit Riten und Sakramenten, mit Gebet oder Magie begegnen soll? Die drei Lager der Rationalist/innen und Skeptiker/innen, der spirituell Orientierten und der traditionell Religiösen stehen einander hier einigermaßen
unversöhnlich gegenüber. Für die katholische Kirche sind „Geister“ (etwa Heilige, Engel, und Dämonen) durchaus Lehrinhalt – doch die Beschäftigung mit ihnen ist verboten oder mit Vorsicht zu handhaben. Seriöse Naturwissenschafter/innen erzählen Spuk- und Geistererlebnisse eher hinter vorgehaltener Hand. Legendär ist etwa das Laborverbot des Physikers und Nobelpreisträgers Wolfgang Pauli, in dessen Nähe angeblich Reagenzkolben und andere Apparaturen zu zerbersten pflegten. Öffentlich sagen werden sie dazu nichts, die Phänomene sind weder mess-, noch vorhersehbar, wer zugibt, daran zu glauben, stellt sich ins Abseits. Dass Geister gefährlich sind, gilt auch für die Filmemacher/innen. Zunächst einmal wären sie gut beraten, beim Geisterjagen keinen „Geist“ auf Film zu bannen, schon deswegen, weil damit nichts bewiesen wäre. Ein natürlicher Vorgang (die Aufzeichnung) kann prinzipiell keine übernatürliche Ursache haben. Wer gestaltet, wird sich dem Thema eher nähern, indem er Menschen portraitiert, die „Geister“ sehen, spüren, erfahren haben. Aber wie soll eine vorurteilsfreie Vorstellung solcher Menschen innerhalb eines Denkrahmens funktionieren, der solche Grenzerfahrungen prinzipiell als halluzinatorisch abtut? Wie kann man diese Menschen zu Wort kommen lassen, ohne sie automatisch „vorzuführen“? Wie der „Geister“-Film zeigt, gibt es dafür ein Rezept. Es gilt, die Protagonist/innen und ihre Wahrnehmungen ernst zu nehmen, dabei die Traditionslinien herauszuarbeiten, die ihr Denken und Erleben prägen, und die dadurch aufgeworfenen Fragen mit Hilfe hochkarätiger Wissenschafter/innen, Denker/innen und Forscher/innen aus ungewöhnlichen Blickwinkeln zu beleuchten. Das Publikum will unterhalten, verblüfft, berührt werden. Und es erwartet Spannung. Was es nicht will, sind Standarderklärungen. Etwa, dass es „Geister“ nicht geben kann und dass diejenigen, die Kontakt mit ihnen behaupten, alle verrückt sein müssen.
Unter dieser Voraussetzung war es nicht schwer, die Ingredienzen einer gelungenen Geister-Doku zu finden. Mit Hilfe der ebenso sympathischen wie skurrilen Geisterjäger/innen - den „Austrian Paranormal Investigators“ - und ihrer technischen Apparaturen wurde ein Spannungsbogen durch den Film gezogen: würden wir am Ende in der Spukabtei Lucedio Geister antreffen? Die Frage blieb offen. Wohl gab es „Geisterphotos“ und Tonbandstimmen, doch ob diese aussagekräftig waren, wussten zuletzt selbst die Geisterjäger/innen nicht zu sagen. Zwischendurch blieb viel Raum, andere Menschen und ihre Geistererlebnisse vorzustellen. Mit dem Magier Walter Ogris trat ein Vertreter einer okkultistischen Weltsicht auf, mit der Waldexpertin Conny Miedler eine naturverbundene junge Frau, die die Zuschauer/innen in ihre Welt der „Naturgeister“ einführte. Die Ethnologin Yvonne Schaffler steuerte sensationelles Videomaterial karibischer Bessessenheitskulte bei. Und der Spiritist Peter Hirnschall zeigte, wie man sich durch Suggestion in die Geisterwelt beamen kann. Eugen Drewermann und Wolfgang Treitler ordneten dieses Geschehen aus therapeutischer und theologischer Sicht ein. Die wissenschaftliche Diskussionsebene betraf die „Wirklichkeit“. Hier waren es der Quantenphysiker Herbert Pietschmann, der Soziologe Edgar Wunder, der Wissenschaftsjournalist Bernd Harder und der Neurowissenschafter Peter Brugger, die ihre Ansichten über die Fragilität unserer Realitätskonstruktion beisteuerten. Was der außergewöhnliche Quotenerfolg der Sendung beweist. Es ist möglich, ein so komplexes Thema gleichzeitig intellektuell anspruchsvoll, populär und spannend anzugehen und dabei den vielzitierten öffentlich-rechtlichen Bildungsauftrag wahrzunehmen. Ob wir in der Sendung „Beweise“ finden würden, war durchaus nebensächlich. Viel wichtiger war es, den Zuschauer/innen vorzuführen, was ein „Geist“ bedeutet, wie der Glaube an Geister im menschlichen Bewusstsein entsteht, welche Ausdrucksformen er annimmt, warum wir Geister sehen und an sie glauben wollen.
Ob es Geister gibt? Diese Frage konnte der Film nicht beantworten. Dass aber unser Erleben der „Wirklichkeit“ - als von Geistern beseelte Natur oder als kalte, materielle Außenwelt - in höchstem Grade kulturell determiniert ist, und dass die entscheidende aller dabei zu stellenden Fragen die uralte Frage der Philosophie ist, ob die „Außenwelt“ und „Innenwelt“ - der Geist - wirklich so voneinander geschieden sind, wie wir sie im Normalfall wahrnehmen, hat sich den Zuschauer/innen vielleicht vermittelt. Die Frage nach den „Geistern“ rührt an die Grundfragen menschlicher Existenz. Sie berührt Jugendliche und Erwachsene gleichermaßen, lässt gruseln, lachen und nachdenken. Diesem Angebot konnte sich das Publikum selbst zur „Kreuz und Quer“-typischen Geisterstunde nach 23 Uhr nicht entziehen. Beitrag: Peter Beringer, ORF-Religion