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Vorwort The Spirit of Sharety Irgendwann beschloss eine Zelle zwei zu werden und setzte damit einen Teilungsprozess in Gang, den wir heute als Leben bezeichnen. Das Leben teilt sich unendlich fort. Es hat inzwischen Milliarden von Menschen erschaffen, auch Dich und mich. Und jetzt stehen wir ängstlich staunend inmitten dieses gewaltigen Geschehens und versuchen jeder für sich und doch gemeinsam so gut wie möglich zu leben. Dank unserer Intelligenz, Schaffenskraft und vor allem dank unserer Fähigkeit zu teilen, hat die Gattung Mensch Erstaunliches bewirkt. Man denke nur an die Idee Gottes oder an die Produktivkraft des Geldes. Wenn wir die Vorstellung eines höheren Wesens im Glauben nicht teilen würden, gäbe es für uns keinen Gott, der uns die Zuversicht gibt, Gutes zu tun und das Beste aus unserem Leben zu machen. Wenn wir das Geld nur für uns behalten würden, ohne es produktiv zu teilen, hätten wir keinen Wohlstand. Die Fähigkeit des Teilens ist somit nicht nur der Antrieb allen Lebens, sondern auch die höchste Form der geistigen und materiellen Produktivität. Sie bildet darüber hinaus auch eine Grundvoraussetzung des friedfertigen Beisammenseins zwischen Menschen, Nationen, Völkern und Rassen. Wenn wir nicht produktiv teilen, kann nichts Nachhaltiges entstehen und wir zerschneiden das Band, das uns miteinander verbindet. Dieser Zustand der
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Egozentrik lässt sich kaum über eine längere Zeitspanne überleben. Deshalb ist es unerlässlich, uns auf das Teilen zu besinnen, dessen Notwendigkeit einzusehen und den gewonnenen Erkenntnissen produktive Taten folgen zu lassen. Das gilt für jeden von uns. Doch nicht jeder ist sich dieser Tatsache bewusst. Ich freue mich sehr, dass ich Ryszard Lempart gewinnen konnte, dieses Buch zu schreiben. Es stellt für mich einen Nährboden für die Beschäftigung mit einem Thema dar, das viele für geistig ausgeschöpft halten, ohne daraus die richtigen Konsequenzen zu ziehen. So kommt es nicht nur darauf an, dass wir das Teilen intellektuell oder spirituell zelebrieren. Vielmehr ist es notwendig, es zum Bestandteil unseres alltäglichen Handelns zu machen. Ich habe diese praktische Einstellung als „Sharety“ getauft. Ryszard Lempart hat daraus eine Philosophie entwickelt, mit der jeder Leser zum Teilhaber am Wissen um den Kern unserer Existenz werden kann. Die Fähigkeit zu teilen ist in uns allen natürlich angelegt. Dennoch müssen wir lernen, sie zu kultivieren und auf unsere Lebensverhältnisse zu übertragen. Wer damit aufhört und nur noch an sich selbst denkt, läuft Gefahr zu spalten und zu zerstören. Dieses Buch wirkt diesen egozentrischen Bestrebungen entgegen und ist eine wunderbare Inspiration, um aus gewonnenen Überzeugungen Taten werden zu lassen. Ich wünsche viel Freude beim Lesen und Teilen. Frankfurt am Main, im September 2008, Michael Kuhlmann
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Kapitel 1 Teilen und Wahrheit Wir sind ein Teil der globalen Welt, in der ein erbarmungsloser Wettbewerb um Arbeitsplätze und Absatzmärkte herrscht. Gleichzeitig leben wir aber in einer Wohlstandsgesellschaft. Diese zeichnet sich durch Produktivität, Besitz und Konsum aus. Wir erwirtschaften viel, weil wir wettbewerbsfähig sind und dabei viel absetzen und viel verbrauchen. Der Kreislauf von Gütererzeugung, Absatz und Verbrauch hält unsere Wirtschaft am Leben. Er sichert auch unseren Wohlstand, sofern wir uns weiterhin im Wettbewerb behaupten können. Daran werden auch keine Sozialutopien etwas ändern. Die hohe Wettbewerbsfähigkeit bleibt der Schlüssel zum Erfolg einer modernen Gesellschaft. Bei jedem Wettbewerb gibt es Gewinner und Verlierer. Deshalb sollte es diesbezüglich gerecht oder wenigstens fair zugehen. Das Konzept der freien Marktwirtschaft erzeugt oberflächlich den Eindruck, als ob der Wettbewerb an sich für die Gerechtigkeit sorgen könnte, weil sich dabei die besseren durchsetzen. Dem ist natürlich nicht so, denn es herrscht in der Regel keine Chancengleichheit. Die Sieger haben oft bessere Startbedingungen und setzen sich deshalb durch. Das kann bei den Verlierern zu Unmut und Frustration führen. Deshalb taucht im Umfeld des globalen Wettbewerbs zunehmend eine Gefahr auf, welche die Stabilität unserer Wohlstandsgesellschaft bedroht. Sie hat eine ökonomische und eine soziale Dimension.
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Die ökonomische Dimension hängt mit den ungleichmäßigen Besitzverhältnissen zusammen. Wenn der Wohlstand nicht gerecht verteilt ist, treten Feindseligkeiten zwischen den Wohlhabenden und den Wenig- bzw. Nichtshabenden auf. Infolgedessen kommt es zu Auseinandersetzungen, die in Gewalt und Chaos enden könnten. Die soziale Dimension zeigt sich in der egozentrischen Mentalität der Sieger. Die moderne Egozentrik stellt eine besondere Form des natürlichen Egoismus dar. Die Egozentriker wollen sich nicht nur ihre persönlichen Wünsche erfüllen, sondern denken nur noch an sich selbst und lassen außer Acht, was um sie herum passiert. Auch dadurch werden die Spannungen zwischen Arm und Reich erhöht und damit das Risiko einer möglichen Katastrophe gesteigert. Die Egozentrik wird durch den Wettbewerb gefördert. Sie beeinflusst sowohl das Verhalten der Sieger wie der Verlierer. In der Wohlstandselite entwickelt sich die egozentrische Einstellung zu einem beherrschenden Bewusstseinsmerkmal. Sie kommt vor allem im Denkmuster des materiellen Kalküls zum Ausdruck. Was bezahle ich und was bekomme ich dafür? Was leiste ich und wie wird das honoriert? Umsonst ist bekanntlich nur der Tod, sagen die Egozentriker. Gegen die Egozentrik Solange sich die Egozentrik nur auf die geschäftlichen Angelegenheiten von Kaufen, Mieten, Verleihen oder Verkaufen bezieht, richtet sie keinen besonderen Schaden an. Die Tauschgeschäfte der freien Marktwirtschaft werden von kleinen und großen Egoisten getätigt. Gefährlich wird es aber, wenn unser
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ganzes Leben durch egozentrische Denkweise beherrscht wird. Wenn sich das Kalkül des Eigennutzes auf die Beziehung zu Familie, Freunde, Lebenspartner oder Arbeitskollegen ausdehnt, werden die politischen, sozialen und ökologischen Probleme aus unserem Bewusstsein ausgeblendet. Dagegen sollte etwas unternommen werden. Ein hervorragendes Mittel gegen ökonomische Ungleichgewichte ist das Teilen. Es handelt sich dabei um freiwillige Hilfe zu produktiver Selbsthilfe für Benachteiligte und Bedürftige. Sowohl die staatliche Entwicklungshilfe als auch unzählige soziale Engagements von Unternehmen, Organisationen, Stiftungen oder Privatpersonen beruhen auf dem Gedanken des Teilens. Dafür hat der Künstler Mike Kuhlmann die Wortmarke „Sharety“ geprägt. In diesem Sinne spricht das Teilen eine globale (makrokosmische) Solidarität zwischen reichen und armen Völkern an. Es hat aber auch eine geistige (mikrokosmische) Dimension. Diese bezieht sich auf die Menschen, die es praktizieren. Es handelt sich dabei vor allem um Personen, die ökonomisch erfolgreich sind und trotzdem oder vielleicht deswegen besonders verantwortungsbewusst handeln. Sie sehen im Teilen einen unverzichtbaren Baustein einer modernen Wohlstandsgesellschaft.
verkörpert das Verantwortungsbewusstsein | derTeilenmodernen Wohlstandsgesellschaft. Teilen ist ein gezieltes, freiwilliges Abgeben eines Teils des erworbenen (materiellen und ideellen) Vermögens ohne Rechts-
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anspruch auf eine Gegenleistung. Lassen wir an dieser Stelle noch offen, ob es sich dabei um die richtige Definition des Teilens handelt. Fragen wir uns stattdessen, ob es sich lohnt, über das Teilen nachzudenken. Das ist eine praktische Fragestellung. Denn es gibt nichts Unnützeres als akademische Debatten, die zu keinen konkreten Schlussfolgerungen führen. Ethische Grundlage des Teilens Das Teilen ist eine durch und durch ethische Verhaltensweise. Über die Ethik des Teilens könnte man ein dickes Buch schreiben, in dem namhafte Theologen, Philosophen, Wissenschaftler und Politiker zu Wort kämen. Diese historische Betrachtung würde uns zum Ergebnis führen, dass sich die geistigen Befürworter des Teilens in absoluter Mehrheit befinden. Sie könnte jedoch kaum die Frage beantworten, wie die ethischen Gebote wirkungsmächtig zu machen sind. Die Ethik wird in den neuesten Publikationen als ein Hoffnungsträger angesehen, der die sozialen Ungerechtigkeiten des global frei wuchernden Kapitalismus zurückdrängen soll. Eine Ethik des Teilens bildet tatsächlich eine geistige Grundlage, um die negativen Folgen der fortschreitenden Globalisierung und Kommerzialisierung zu bewältigen. Sie verbreitet sich jedoch kaum als eine globale Vision einer besseren Welt. Vielmehr gewinnt sie nur dann an Wirksamkeit, wenn sie auch als Motiv des sozialpolitischen und ökonomischen Handelns verstanden und praktiziert wird. Die Ethik ist für uns heute nicht nur lebensnotwendig, sondern sogar überlebenswichtig. Sie regiert aber nicht die Welt und
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schon gar nicht die politischen Machtspiele oder die wirtschaftlichen Austauschprozesse. Im Verhältnis zum äußerst komplexen System des Staates oder zu den dynamischen Vorgängen der Marktwirtschaft hat sie höchstens die Funktion eines Korrektivs, das ein völliges Abrutschen in das Streben nach egoistischer Interessendurchsetzung verhindern soll. Wer glaubt, dass sich Politiker oder Unternehmer in ihren Entscheidungen mehr an der Ethik der sozialen Gerechtigkeit als an der Strategie des eigenen Erfolgs orientieren, kann nur als naiv bezeichnet werden. regiert nicht die Welt, sondern stellt nur | einEthiksoziales Korrektiv dar. Auf der anderen Seite sind Politiker und Unternehmer auch nur Menschen. Sie denken nicht nur strategisch, sondern auch ethisch. Dabei stoßen sie unweigerlich auf Probleme, von denen sie im beruflichen und privaten Alltag umgeben sind und die sie zum Nachdenken veranlassen. Es ist zum Beispiel auch für sie nicht immer einfach, mit der Vorstellung fertig zu werden, dass es ihnen selbst sehr gut geht, während die anderen in Armut leben oder unter der Perspektivlosigkeit leiden. Ebenfalls entgeht es ihnen nicht, dass sie zu den Privilegierten dieser Welt gehören, in der sonst viel Not, Elend und Ungerechtigkeit herrschen. Das Teilen bietet einen gangbaren Weg, den Ungleichgewichten der Güterverteilung entgegenzuwirken und die daraus resultierenden Gefahren zu minimieren. Es löst zwar nicht alle Probleme, leistet dazu aber einen wichtigen Beitrag. Als Thema dieses Buchs stellt es deshalb keine sozialethische Utopie einer
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besseren Welt dar. Vielmehr wird es als ein praktisches Handlungsmuster dargestellt, das jeder von uns nutzenbringend befolgen kann. Die Darstellung erfolgt zum größten Teil aus der Perspektive derjenigen, die teilen könnten, weil sie dafür über ausreichende Ressourcen und Einnahmequellen verfügen. Doch es geht nicht darum, den Zeigefinger zu erheben. Das Buch versucht nur die Zusammenhänge aufzuzeigen. Die Konsequenzen ergeben sich meistens von selbst. Eine mehrdimensionale Frage Wir wollen das Teilen als praktisches Verhaltensmuster hinterfragen. Damit entsteht zunächst der Anschein, als ob es sich dabei um eine psychologische Fragestellung handeln würde. Da die Untersuchung jedoch der sokratischen Reflexionsmethode folgt, haben wir es mehr mit einem philosophischen Problem zu tun. Die Lösung besteht darin, die Wahrheit über das Teilen herauszufinden. Gleichgültig, was Wahrheit ist, lohnt es sich, danach zu suchen. Denn Wahrheit ist Erkenntnis, Weisheit und Klugheit in einem. Wahrheit als Erkenntnis treibt den technischen, politischen und sozialen Fortschritt voran. Als Weisheit weist sie uns den Weg zu Ruhe, Gelassenheit und Glück. Als Klugheit lehrt sie uns, erfolgreich zu sein und uns auch in schwierigen Situationen zu behaupten. So stellt sich die Frage, ob es objektiv richtig, subjektiv weise und strategisch klug ist zu teilen. Dabei kommt automatisch eine hohe Komplexität zum Vorschein. Denn die Wahrheit über das Teilen mit der Betonung auf „die“ gibt es leider nicht. Vielmehr lassen wir uns beim Teilen von unterschiedlichen Beweggründen leiten, die nicht immer miteinander übereinstimmen. Je nachdem, welches Motiv dominant ist, können unsere Auffas-
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sungen über das Teilen variieren und sogar konträr sein. Diese Abweichung geht oft so weit, dass wir in einer Situation teilen und uns kurz darauf wiederum für die Egozentrik entscheiden. Teilen ist ein Handlungsmuster, das wir | situationsabhängig praktizieren oder unterlassen. Das Teilen wurde bereits in zahlreichen Publikationen abgehandelt. Ich habe einige davon gelesen, ohne bei Weitem einen Anspruch auf die Vollständigkeit zu erheben. Viele meiner Gedanken sind nicht neu. Andere Überlegungen, die ich für neu erachte, mögen bereits an anderen Stellen geäußert worden sein. Ich bitte diesbezüglich alle Autoren im Voraus um Entschuldigung, dass sie nicht als mögliche Urheber der einen oder anderen Idee ausgewiesen worden sind. Es ist auf der anderen Seite meine Überzeugung, dass es bei diesem Thema nicht darauf ankommt, wer was und wann geschrieben oder gesagt hat. Vielmehr ist es wichtig, dass die neue Philosophie des Teilens eine möglichst breite Wirkung entfaltet, weil wir uns eine Welt ohne das Teilen nicht mehr leisten können. Dafür sollten wir mit allen kommunikativen Mitteln kämpfen. So scheue ich mich auch nicht, anschauliche Vergleiche mit hoher rhetorischer Kraft zu bemühen, auch wenn sie das eigentliche Problem etwas entfremden oder vereinfachen. Einer dieser Vergleiche bezieht sich auf die gesunde Ernährung. Die Diskrepanz des rationalen Denkens Bei einer vergleichenden Studie ist vor Kurzem herausgekommen, dass die Deutschen zu der übergewichtigsten Bevöl-
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kerung in Europa gehören. Das Übergewicht wird von der Medizin als ein Risikofaktor eingestuft, das die Volksgesundheit gefährdet. Deshalb handelt es sich um ein gesundheitspolitisches Problem, das jedoch nicht der Staat, sondern nur die Bürger selbst lösen können. Der institutionelle Einfluss auf das individuelle Handeln beschränkt sich dabei auf Aufklärung und Überzeugung. Dafür gibt es auch eine Reihe von sinnvollen Empfehlungen. Die Betroffenen sollten abnehmen, indem sie beispielsweise sich gesünder ernähren oder mehr Sport treiben. Solche Aktivitäten sind durch wissenschaftliche Erkenntnisse gestützt und werden über Medien und Meinungsbildner vermittelt. Das Ergebnis ist jedoch nicht besonders ermunternd. Obwohl das Abnehmen bei Übergewicht seit Jahren propagiert wird, nehmen die Menschen in Deutschland mehr zu als ab. Sie werden dicker anstatt dünner. Wie lässt sich diese Diskrepanz erklären? Die Erklärung liegt in der Überschätzung der Rationalität als individuelles Handlungsmotiv. Denn die rationale Aufklärung spiegelt nur ein bestimmtes Bild der Wahrheit wider. Es ist das Bild der Erleuchtung durch Einsicht. Dieses Bild deckt aber nicht die ganze Wahrheit ab. Es lässt zum Beispiel außer Acht, dass manche Übergewichtige vielleicht abnehmen wollen, es aber aus irgendwelchen subjektiven Gründen, die ihnen manchmal sogar kaum bewusst sind, nicht können. Zum anderen ist es durchaus möglich, dass jemand mit Absicht dick werden oder bleiben will, weil er davon einen Nutzen hat. So ist die moderne Rationalität, die uns zum Abnehmen ermahnt, nur eine Laune des historischen Augenblicks. Bevor wir in einer Wohlstandsgesellschaft lebten und sich nur eine kleine soziale Schicht nach Belie-
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ben satt essen konnte, war das Übergewicht ein Zeichen des Wohlstands und dem heutigen Schlankheitsideal völlig entgegengesetzt. Es stellte auch ein strategisches Mittel dar, um lebensbedrohliche Zeitperioden wie Naturkatastrophen, Kriege oder lange Arbeitslosigkeit zu überstehen. Mit überflüssigen Pfunden konnten sich die Armen wenigstens ein bisschen gegen eine drohende Hungersnot wappnen. In manchen Kulturen ist das Übergewicht bis heute ein Zeichen des Reichtums geblieben, das zum Beispiel über das Körpergewicht der Braut signalisiert wird. Damit wird deutlich, dass Verhaltensmuster historisch oder sozial geprägt werden. Das gilt gleichermaßen für das Essen wie für das Teilen. Wenn man das Teilen in Analogie zur Gesundheit sieht und dabei das Abnehmen beim starken Übergewicht empfiehlt, dann reicht es nicht aus, sich auf rationale Aufklärung zu verlassen. Genauso wichtig ist es herausfinden, was die Übergewichtigen an einer Abmagerungskur hindert und wie man diese Motive verändern könnte. Dementsprechend sollte auch die Verbreitung des Teilens vorangetrieben werden. Es ist ein Handlungsmuster, das sich nur dann einstellt, wenn wir das Leben im Gesamtzusammenhang sehen und uns nicht ab und zu darüber rationale Gedanken machen. Aufklärung reicht für Verbreitung | desRationale Teilens nicht aus. Obwohl uns Wissenschaftler, Politiker, Theologen oder Lehrer zum Teilen ermahnen und unser Verstand genauso wie unser
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Gewissen ihnen recht geben, fragen sich viele von uns, welchen Nutzen sie davon haben. Wer keine überzeugende Antwort darauf findet, interessiert sich mehr für sich und seine eigenen Probleme als für die Not der anderen. Er praktiziert auch mehr das Behalten als das Teilen. Dabei wird diese besondere Form der Egozentrik sogar als „gesund“ bezeichnet, weil sich darin ein Wesensmerkmal unserer Wettbewerbsgesellschaft widerspiegelt, in der jeder nach seinem Vorteil sucht. Damit ist jedoch nichts gegen die Stärkung der eigenen Wettbewerbsfähigkeit gesagt. Die Suche nach eigenem Vorteil ist eine durchaus legitime Haltung. Man sollte sie deshalb nicht von vorneherein moralisch verurteilen. Das gilt vor allem dann, wenn man selbst nicht immer nach den altruistischen Prinzipien lebt. Niemand kann doch ernsthaft bestreiten, dass sich der heutige Mensch in seinem Alltag am Eigeninteresse orientiert. Wir können zwar die egoistische Einstellung für bedenklich erachten oder sie sogar ethisch vehement kritisieren. Doch sie ist offensichtlich eine Tatsache, die sich nicht dadurch aus der Welt schaffen lässt, dass man mehr Solidarität oder Nächstenliebe fordert. Das Ausrichten des Lebens nach eigenem Nutzen ist ein Stück der persönlichen Wahrheit jedes Einzelnen von uns. Auch wenn es sich nicht um die volle Wahrheit handelt, entspricht diese Haltung dennoch der gesellschaftlichen Realität und erfordert geistige Aufarbeitung. Drei Wahrheiten über das Teilen Es gibt nicht eine, sondern drei Wahrheiten darüber, warum wir teilen sollten. In ihrer Vollendung heißen sie Erkenntnis, Weisheit und Klugheit. Da jedoch niemand von uns vollendet ist, können wir uns den Wahrheiten nur schrittweise annähern und
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machen dabei zwangsläufig Fehler oder bleiben auf halber Strecke stehen. Wären wir unfehlbar, könnten wir leicht erkennen, dass das Teilen richtig, weise und klug ist. In unserer Unvollkommenheit bleibt uns diese Einsicht zunächst jedoch verborgen. Erkenntnis ist die objektive Wahrheit. Sie folgt einem bestimmten Erklärungsmodell der Welt. Daraus werden Thesen abgeleitet, die sich beweisen lassen. Sie gelten unabhängig davon, wie wir darüber individuell denken. Mögen diese Erkenntnisse je nach dem Standpunkt des Betrachters unterschiedlich beurteilt werden. Für alle Betrachter, die sie nüchtern studieren und überprüfen können, haben sie aber objektiven Charakter. So gibt es zum Beispiel eine objektive Erkenntnis, dass der Besitz sowohl auf der ganzen Welt als auch in unserer Gesellschaft ungleichmäßig verteilt ist und die Schere zwischen Arm und Reich immer mehr auseinandergeht. Genauso objektiv ist das Faktum, dass Wohlstandsunterschiede zu sozialen Spannungen, Feindseligkeiten und sogar offenen Aggressionen führen, wenn sie als ungerecht empfunden werden. Deshalb besteht objektiv der Bedarf, etwas dagegen zu tun. Wie stark der Bedarf jemandem erscheint, richtet sich allerdings nach dessen persönlicher Betroffenheit. Wer viel besitzt, mag darin vielleicht gar kein großes Problem sehen. Wer in Armut und ohne Aussicht auf eine bessere Zukunft lebt, empfindet diese Situation aber meistens als veränderungsbedürftig. | Teilen ist objektiv notwendig. Weisheit ist die subjektive Wahrheit. Sie gilt nicht objektiv, sondern nur für die Realität des jeweiligen Menschen. Unsere per-
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sönlichen Gedanken über unser Leben lassen sich dabei oft von drei Grundfragen leiten: Wer bin ich? Woher komme ich? Wohin gehe ich? Die Antworten darauf münden in ein Handlungskonzept, das uns zu eigenständigen, verantwortungsbewussten Bürgern machen soll. Viele Menschen entwerfen dabei einen Katalog guter Vorsätze, den sie auch umzusetzen versuchen. Ich sage bewusst „versuchen“, weil die konkreten Lebensumstände die guten Vorsätze gelegentlich konterkarieren. In dem Fall kommt es zu einem Zielkonflikt zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Wer in der Lage ist, solche Zielkonflikte konstruktiv aufzulösen, kann als weise bezeichnet werden. Dazu gehören vor allem die Menschen, die sich mit den drei Grundfragen der Existenz beschäftigen. Sie kommen dabei oft zu gleichen oder ähnlichen Antworten. Manche leiten daraus sogar die Allgemeingültigkeit ihrer Ansichten ab. Im Unterschied zur objektiven Wahrheit hat die Allgemeingültigkeit aber nur einen subjektiven Charakter. Sie gilt nicht an sich, sondern nur für die Personen, die sich die entsprechenden Fragen stellen. Wer keine lebenswichtigen Fragen stellt, kann auch nicht weise werden. Für ihn bleibt das Teilen möglicherweise bedeutungslos. Es ist ein Zeichen der subjektiven Weisheit, sein Leben nicht nur auf den eigenen Egoismus hin auszurichten, sondern auch seine Gefühle, Ansichten und Interessen mit anderen zu teilen. Ist es aber klug, sich auch von einem Teil seines materiellen Vermögens zu trennen, um es anderen zu überlassen? Jeder ethisch denkende Mensch ist vordergründig dieser Meinung. Doch nicht jeder ist in der Lage, unter den gegebenen Umständen nach diesem Grundsatz zu leben.
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Teilen wird oft geistig bejaht, lässt sich praktisch | jedoch nicht immer umsetzen.
Klugheit ist die strategische Wahrheit. „Strategisch“ bedeutet zielführend. Wer klug ist, findet den Weg zum Ziel. Da es aber sehr viele individuelle Ziele geben kann, gibt es auch sehr viele Strategien. Liegt ein eindeutiges Ziel vor und sind die Umstände identisch, lassen sich enorme qualitative Unterschiede zwischen den einzelnen Strategien feststellen. Die eine Strategie mag dann schnell und direkt zum Ziel führen, eine andere dagegen gar nicht. Weil es diesen Unterschied zwischen zielführendem (richtigem) und nicht zielführendem (falschem) Handeln gibt, der sich sogar messen und überprüfen lässt, gehören auch die Strategien dem Bereich der Wahrheit an. Diese Wahrheit ist nicht allein objektiv und auch nicht allein subjektiv, sondern stellt eine Mischung der beiden Dimensionen dar. Wer strategisch handelt, erkennt die Situation aus objektiver Distanz. Er beurteilt sie aber nach subjektivem Interesse. Sind unterschiedliche Interessen im Spiel, richten sich die Strategien oft gegeneinander. Eine gemeinsame interessenübergreifende Strategie des Teilens zu finden, stellt damit eine gewaltige konzeptionelle Herausforderung dar. Das größte Interesse am Teilen haben vor allem diejenigen, die nichts abgeben müssen, weil sie entweder wenig besitzen oder weil es sich nicht um ihr Hab und Gut handelt. Die Armen, der Staat und die Kirchen gehören deshalb zu den natürlichsten Verfechtern des Teilens. Die Unternehmer stehen dagegen dem Teilen
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möglicherweise skeptisch gegenüber. Sie akzeptieren zwar grundsätzlich die Umverteilungspolitik des Staates, sind jedoch nicht bereit, sich nach Belieben schröpfen zu lassen. Durchschnittsbürger haben in der Regel eine positive Einstellung zum Teilen. Das lässt sich durch das hohe Spendenaufkommen belegen. Die Spender wollen sich jedoch in der Regel frei entscheiden und nicht zum Abgeben gezwungen sein. Deshalb verfolgen sie meistens ihre ganz persönliche Strategie des Teilens, die von konkreten Lebensumständen, erworbenen Einstellungen, ausgeprägten Bedürfnissen und sogar augenblicklichen Stimmungen abhängen kann. Teilen ist Gegenstand strategischer Überlegungen | und folgt unterschiedlichen Konzepten. Die Unterscheidung zwischen der objektiven, subjektiven und strategischen Wahrheit erinnert an die Einteilung der Universitätslehre in naturwissenschaftlich-technische, geisteswissenschaftlich-historische und sozialwissenschaftlich-kulturelle Disziplinen. Eine philosophische Untersuchung des Teilens ist jedoch nicht mit einer wissenschaftlichen Forschungsarbeit gleichzusetzen. Jede Wissenschaft dient der objektiven Erkenntnis, indem sie nach anerkannten Methoden vorgeht und dabei möglichst überprüfbare Ergebnisse liefert. Die Philosophie darf sich dagegen methodisch nicht so stark binden, um auch die subjektiven und strategischen Aspekte des Handelns in Betracht zu ziehen. Sie beschäftigt sich nicht nur mit Erkenntnis, sondern auch mit Weisheit und Klugheit. Das macht sie zu einer intellektuellen Sichtweise, die nicht nur richtig, sondern vor allem menschennah und praktikabel sein will.
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Grundsätze des Teilens Weil es drei Arten der Wahrheit gibt, lassen sich auch dreiidealtypische Motive für das Teilen finden. Wir wollen diese Gründe zunächst allgemein darstellen, bevor sie in den weiteren Kapiteln genauer erläutert sowie mit Beispielen und Umsetzungsvorschlägen versehen werden. Der objektive Grund liegt in der theoretischen Erkenntnis dessen, was durch das Teilen bzw. Nicht-Teilen geschieht. Er resultiert aus der Untersuchung von Ursache und Wirkung. Der entsprechende Erkenntnisgrundsatz lautet, dass das Teilen für uns lebensnotwendig und sogar überlebenswichtig geworden ist. Im Umkehrschluss heißt es, dass wir ohne Teilen unseren Wohlstand verlieren werden. Der subjektive Grund liegt in der Einsicht, dass wir unser Leben durch das Teilen glücklicher gestalten könnten. Wer sich von einem Teil seiner Güter trennt und damit anderen eine Freude macht, erreicht in der Regel eine höhere Stufe der Zufriedenheit, als wenn er nur alles für sich behält. Diese „Weisheit“ hat mit dem Zweck des Lebens zu tun. Untersuchen wir diesen Zweck, so kommen wir beispielsweise zu der Einsicht, dass materielle Güter nur ein Mittel darstellen, angenehmer, gesünder oder zufriedener zu leben. Wer das Leben als Ganzes sieht, für den ist das eigene Wohlbefinden genauso wichtig wie soziale Anerkennung oder ökonomischer Erfolg. Wir sollten also teilen, um uns besser zu fühlen. Der strategische Grund liegt in der praktischen Erfahrung, dass sich das Teilen lohnt. Wer teilt, kann sogar seine ökonomischen Ziele besser erreichen, als derjenige, der es nicht tut. Die Untersuchung des Markt- und Wettbewerbsverhaltens bildet auch die Basis für die Überprüfung dieser These. Sie wird zeigen, dass kluge Unternehmer das Teilen als strategisches Instrument
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einsetzen, um ihre Firma erfolgreicher zu machen. Sie tun es auch aus Berechnung und sind dennoch keine schlechteren Menschen als diejenigen, die zum Teilen aus moralischen Gründen aufrufen. Ihr großer Verdienst besteht gerade im Erbringen des Nachweises, dass sich Ökonomie und Ethik auch im Wirtschaftsleben vereinbaren lässt. Im Idealfall sichert Teilen den Wohlstand, | macht glücklicher und lohnt sich. Fassen wir die drei Grundsätze kurz zusammen. Wir sollten teilen, weil wir dadurch erstens unser Überleben sichern, zweitens um glücklicher zu sein und drittens, weil es sich auch ökonomisch lohnt. Jeder, der hinter diesen Grundsätzen steht und sie aktiv praktiziert, ist der Wahrheit sehr nahe. Doch viele zweifeln daran, dass die idealtypischen Motive tatsächlich wirkungsmächtig sind.
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Kapitel 2 Der Wille zu teilen Es ist nicht so, dass wir keine Konzepte des Teilens hätten. Sie funktionieren jedoch nicht in jeder Situation. Solange wir zum Beispiel keine Sorgen haben, fällt es uns meistens nicht schwer, uns zum Teilen zu bekennen. Im Alltag stoßen unsere guten Grundsätze aber oft auf praktische Umsetzungsschwierigkeiten. Unser Wille zu teilen ist offensichtlich zu schwach, um sich als Motiv immer und überall durchzusetzen. Da wir unsere Lebensumstände nicht einfach ausblenden können, sollte eine neue Philosophie des Teilens auf jeden Fall praxistauglich sein. Sie sollte das Leben als ein Prozess erfassen, das sich kaum nach guten Grundsätzen richtet, sondern als ein Geschehen mit vielen Unwägbarkeiten und Widersprüchen bewältigt werden muss. Nur unter solchen Voraussetzungen wäre es sinnvoll, die Möglichkeiten und Grenzen unseres ethischen Willens zu erforschen. Diesem Aspekt widmet sich das vorliegende Kapitel. Es untersucht das Teilen als ein soziales Handlungsmuster, das wir willentlich praktizieren, obwohl es scheinbar nicht in unserem Ineresse ist. Der Wille zu teilen hat dabei die Form eines Gebotes. Er geht auf die ethische Grundeinstellung zurück und äußert sich als die Stimme des Gewissens, die uns sagt, was wir tun sollten. Doch woher kommt unsere innere Überzeugung, auf diese Stimme zu hören. Man könnte auch fragen, warum folgen wir eigentlich unserem Gewissen. Betrachtet man die Frage philosophisch anstatt psychologisch, lassen sich darauf
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drei grundsätzliche Antworten geben. Demnach geht unsere moralische Gesinnung auf den Glauben an Gott, das Autonomiebewusstsein des freien Subjekts oder das soziale Verantwortungsgefühl für die Gemeinschaft, das Leben und die Zukunft zurück. Wir wollen diese drei Hauptmotive des Teilens auf ihre Überzeugungskraft (Eindeutigkeit und Zweifelfreiheit) untersuchen.
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Der Wille zu teilen kann aus dem Glauben, dem Freiheitsbewusstsein oder dem Verantwortungsgefühl kommen.
Das am stärksten verbreitete Motiv kommt aus dem Glauben. Vor allem die christliche Ethik enthält eine große Verpflichtung zu teilen. Es handelt sich dabei um ein Gebot, das von Jesus verkündet und gelebt wurde. Durch das Teilen zeigen die Christen Mitleid, Barmherzigkeit und Nächstenliebe. Die theologische Begründung des Teilens lässt allerdings einen doppelten Zweifel an der Gültigkeit des Gebotes aufkommen. Zum einen ist der Glaube auf eine bestimmte Religionsgemeinschaft beschränkt, die sie auf alle Menschen ausdehnen möchte. Dieser missionarische Charakter kann auf die Mitglieder anderer Kirchen und vor allem auf Atheisten und Agnostiker (Menschen, die leugnen, dass sich die Existenz Gottes beweisen lässt) abschreckend wirken. Wer sich dem Christentum nicht zugehörig fühlt, zweifelt auch an dessen Lehre. Zum anderen folgen die Christen selbst nicht immer ihrem Glauben, weil er von ihnen manchmal zu viel verlangt. Wenn sie zum Beispiel hören, dass sie nicht gleichzeitig zwei Herren (Gott und Mammon) dienen können, dann ist
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ihnen oft das Hemd näher als die Jacke. Sie bekennen sich zwar weiterhin zum Teilen, praktizieren es jedoch nicht oder nur bedingt. Das Gebot der christlichen Lehre Die Verfechter des Christentums setzen sich für das Teilen ein. Sie unterstreichen dabei vor allem die Notwendigkeit, mit gutem Beispiel voranzugehen. Die Reihe der christlichen Protagonisten des Teilens reicht vom Heiligen Martin, der seinen Mantel durchtrennte, um einen Frierenden zu wärmen, bis Mutter Theresa, die ihre ganze Lebenskraft den Armen und Bedürftigen widmete. Deren Verhalten kann als beispielhaft angesehen werden. Und dennoch lässt es sich leicht anzweifeln. Denn die christlichen Religionen begründen das Teilen durch das Wort Gottes. Das macht sie dogmatisch. Ein Dogma ist ein Glaubensatz. Er gilt deshalb, weil er von Gott stammt. Jesus sagt die Wahrheit, die zu befolgen ist. Was er verkündet, ist Gottes Wille. Wenn er uns also zum Teilen auffordert, dann sollte man seinem Wort gehorchen. So denken allerdings nur die gläubigen Christen. Die Wertvorstellungen des christlichen Glaubens mögen jedem einzelnen Kirchenmitglied als richtig erscheinen. Sie können sogar als Kanon einer universalen Soziallehre gelten. Dennoch sind sie nicht allgemein gültig, weil sie das Teilen durch die Inhalte des Glaubens legitimieren. Wer jedoch einen anderen oder vielleicht gar keinen Glauben hat, fühlt sich nicht an das christliche Gebot des Teilens gebunden. Er braucht nicht zu teilen, weil das durch die Bibel überlieferte Wort Gottes für ihn keinen Weisungscharakter hat. Deshalb ist eine Religions-
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gemeinschaft, die aus ihrem Glaubensbekenntnis die Inhalte ihrer Soziallehre ableitet und diese für richtig erklärt, nicht in der Lage, alle Menschen auf eine gemeinsame Ethik zu verpflichten. Sie birgt manchmal sogar die Gefahr, mehr zu spalten als zu vereinen. Das lässt sich leicht überprüfen, wenn nicht das Teilen, sondern beispielsweise das Heiraten, das Erziehen oder das Strafen durch ein bestimmtes Glaubensbekenntnis begründet werden. Über solche Themen haben unterschiedliche Religionen recht unterschiedliche Ansichten, die in der Vergangenheit nicht nur zu kontroversen Diskussionen, sondern sogar zu handfesten Auseinandersetzungen geführt haben. | Wer teilt, soll es nicht allein durch Glauben legitimieren. Religionen begründen das Teilen aus dem Glauben an das Wort Gottes. Wer auf Gott hört, fühlt sich zum Teilen verpflichtet. Unser Gewissen entsteht aber nicht daraus, woran man glaubt. Vielmehr scheint dafür entscheidend zu sein, dass man glaubt. Es ist mit anderen Worten nicht der Inhalt des Glaubens, der den Willen zu teilen antreibt, sondern die Form. Unter dieser Voraussetzung, die noch ausführlich besprochen wird, gibt es beim Teilen keinen wesentlichen Unterschied zwischen einzelnen Religionen, weil sie demselben Muster folgen. Oder anders formuliert: Für jeden, der die Frage nach einem Gott stellt, wird Teilen zu einem persönlichen Gebot.Dabei reicht es, nur etwas tiefer über unsere ultimative Herkunft (Genesis) nachzudenken. Denn die geistige Beschäftigung mit dem Ursprung der Existenz führt uns zu der Erkenntnis, dass wir selbst die Verantwortung für das Teilen tragen.
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Der Widerspruch der Genesis Ich bitte um Entschuldigung, wenn ich mich im Folgenden mit der christlich überlieferten Entstehungsgeschichte auseinandersetze, ohne die entsprechende Glaubenslehre zu berücksichtigen. Ich tue es nicht deshalb, weil ich die Religion infrage stellen möchte. Das Gegenteil ist gerade der Fall. Ich möchte zeigen, dass hinter dem Christentum eine höhere Logik steckt, die uns zum Teilen veranlasst. Diese Logik liegt allerdings nicht in den Inhalten des Glaubens, sondern in unserer formalen Freiheit, sich für das Gute zu entscheiden. Sie ergibt sich aus einer einfachen Reflexion der alttestamentarischen Genesis vor dem Hintergrund des göttlichen Willens. Solange wir die Inhalte der Glaubenslehre außer Acht lassen und uns nur auf die angenommene Tatsache der Schöpfung beschränken, lässt sich das Gebot des Teilens nicht zweifelsfrei als Wille Gottes begründen. Denn es gibt logische Gründe genauso dafür wie dagegen. Wenn wir an den Ursprung der Menschheit denken und der Frage nachgehen, woher wir kommen, erkennen wir leicht, dass es eine erste Ursache geben muss, aus der alles entstanden ist. Diese Ursache lässt sich als Gott personifizieren. Dennoch ist darin noch kein Gebot zum Teilen enthalten. Denn die Genesis gibt uns gerade die Freiheit, uns für das Gute wie für das Böse zu entscheiden. Wenn Gott die Menschen erschaffen hat, dann sind wir ein Teil von ihm. Als ein Teil aus einem Ganzen hervorgegangen zu sein, kann grundsätzlich zwei entgegengesetzte Bedeutungen haben. Zum einen kann es bedeuten, dass der Schöpfer uns aus-
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gestoßen hat, weil er diesen Teil nicht bei sich haben wollte. Er hat sich davon getrennt, wie man sich von einem faulenden Glied trennt, das den ganzen Körper befallen könnte. Zum anderen kann es aber bedeuten, dass Gott den Menschen in die Freiheit gesetzt hat. Er wollte ihn nicht mehr bei sich haben, um ihm neue Entwicklungsmöglichkeiten zu geben. Im ersten Fall ist es so, als ob der strafende Vater seinen Sohn aus dem Haus gejagt hätte, weil er ihn für einen bösartigen Taugenichts hielt. Im zweiten Fall lässt der weitsichtige Vater den Sohn in die Welt ziehen, weil er seine guten Veranlagungen und Fähigkeiten draußen besser entfalten könne als wenn er nur zu Hause bliebe. Natürlich lassen sich beide Sichtweisen miteinander kombinieren. Der strafende Vater verstößt den bösen Sohn, gibt ihm aber weitsichtig die Chance, wieder gut zu werden. Diese Vorstellung geht auf die Geschichte vom Sündenfall zurück, bei dem der Mensch vom Baum der Erkenntnis gegessen hat und deshalb aus dem Paradies verjagt wurde. Sie wird häufig als Beleg dafür genommen, dass wir bereuen sollten, um die Gnade Gottes wiederzuerlangen. Als eine unbedingte Verpflichtung zum Teilen ist sie jedoch nicht haltbar. In der nüchternen Interpretation der Schöpfung wurden wir von Gott entweder verstoßen, in die Freiheit gesetzt oder beides. Wenn der Schöpfer uns verstoßen hat, weil wir böse sind, dann ist es nur folgerichtig und im Sinne des strafenden Gottes, dass wir böse bleiben. Böse bedeutet Nicht-Teilen. Wenn Gott uns in die Freiheit gesetzt hat, damit wir uns weiterentwickeln und zur Erkenntnis kommen, dann sollten wir tatsächlich Gutes tun und damit teilen. Der Gegensatz lässt sich auch nicht dadurch aufheben, dass man beide Alternativen miteinander kombiniert.
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Wenn Gott den bösen Menschen straft, indem er ihn auf die Erde vertreibt, um ihm dort die Chance zu geben, wieder gut zu werden, dann ist daraus nicht ableitbar, dass der Mensch tatsächlich Gutes tun wird. Das liegt an der ihm übertragenen Freiheit der Entscheidung. Denn das Wesen der Freiheit besteht gerade darin, dass wir uns für oder gegen etwas entscheiden können.
| Teilen ist ein Ergebnis der Entscheidungsfreiheit. Nehmen wir an, dass Gott den Menschen irgendwann zu sich zurückrufen wird, um über ihn und seine Taten zu richten. In diesem Fall scheint es für uns zweckmäßig zu sein, auf der Erde möglichst viel Gutes getan zu haben, weil wir dann in den Himmel kommen werden, anstatt in der Hölle zu schmoren. Derjenige, der an die Wiederaufnahme ins Paradies glaubt, wird wahrscheinlich zu teilen versuchen. Er tut es aber dann nicht aus Einsicht, sondern aus Angst vor der Strafe. Dieses Motiv ist nicht besonders wirkungsmächtig. Denn wer in seinem Leben permanent durch Angst beherrscht ist, wird früher oder später daran zugrunde gehen. Menschen können sich an die Inhalte ihres bestimmten Glaubens halten und deshalb teilen. Sie können sich aber auch vor Gott fürchten und aus diesem Grund seinen Geboten folgen. Sie haben aber auch die Freiheit, daran zu zweifeln. Wer Gott infrage stellt, kann dennoch eine ethische Gesinnung haben und sich zum Teilen bekennen. Denn die ethische Gesinnung wurzelt
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nicht in einem bestimmten Glauben, sondern in der Freiheit, sich autonom für das Gute zu entscheiden. Evolutionslehre versus Gewissensfreiheit Wir wissen nicht mit absoluter Gewissheit, ob es einen Schöpfer oder das Leben nach dem Tod gibt. Bezüglich dieser Frage streitet die Theologie oft mit der modernen Naturwissenschaft. Die radikalen Verfechter beider Lager vertreten dazu ganz entgegengesetzte Positionen. Die einen sagen mit Entschiedenheit ja, die anderen nein. Da wir den Standpunkt der Theologie bereits beleuchtet haben und dabei zum Ergebnis gekommen sind, dass sich daraus eine unbedingte Verpflichtung zum Teilen zweifelsfrei nicht ableiten lässt, wollen wir uns jetzt dem naturwissenschaftlichen Standpunkt zuwenden und die Frage umgekehrt stellen. Lässt sich aus der Evolutionstheorie, wonach der Mensch aus einem organischen Prozess der Zellteilung hervorgegangen ist und biologisch nur eine begrenzte Zeit lebt, die Notwendigkeit des Teilens verneinen? Auch diese Frage kann nicht eindeutig beantwortet werden. Es gibt wissenschaftliche Auffassungen über das Teilen, die aus der Evolutionslehre abgeleitet werden. Die Anhänger des SozialDarwinismus sind beispielsweise der Meinung, dass man nicht mit allen, sondern nur mit Starken und Überlebensfähigen teilen sollte, weil sich die Natur nach diesem Selektionsmechanismus entfaltet. Damit übertragen sie die Entwicklungsprozesse aus dem Tierreich auf die Menschen und unterscheiden nicht zwischen Biologie und Ethik. Dagegen wehrt sich unser Gewissen. Denn es versteht sich nicht als ein Vegetationssystem, das
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genauso funktioniert wie die sonstigen Organe. Gerade die ethische Gesinnung unterscheidet den Menschen von den Tieren. Deshalb haben wir auch den Willen, mit denjenigen zu teilen, die schwächer sind und es besonders nötig haben. Dazu verpflichtet uns das Gewissen. Das Gewissen ist einerseits eine natürliche Disposition, über die jeder Mensch verfügt. Andererseits wird es uns in der Kindheit anerzogen. Seine individuelle Ausprägung kann deshalb sehr unterschiedlich sein. Seine Arbeitsweise ist aber immer dieselbe. Das Gewissen meldet sich meistens als eine warnende oder mahnende Stimme, die uns auf Recht und Unrecht unseres Handelns hinweist. Ein schlechtes Gewissen bildet sich umso mehr heraus, je weniger wir auf unsere innere Stimme hören, sie zu verdrängen versuchen und uns ethisch fehl verhalten. Gutes Gewissen fördert und begleitet dagegen unsere guten Taten. In seiner Vollendung stellt es das ethische Korrektiv dar, das unser strategisches Handeln auf den richtigen Pfad bringt. Im Gewissen spiegelt sich unser Urteilsvermögen wider, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden. Dieses Urteilsvermögen wurzelt jedoch nicht im Wissen, sondern im Glauben. Wir wissen nicht mit absoluter Sicherheit, ob es sich lohnt, ethisch zu handeln. Wir glauben aber fest daran. | Glaubendes Gewissen führt uns zu guten Taten. Der Glaube ist eine fundamentale Form unserer geistigen Existenz. Sein kognitives (erkennendes) Organ ist das Gewissen.
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Es weist uns den Weg in schwierigen Entscheidungssituationen. So folgen wir dem Gewissen, obwohl wir es eigentlich nicht wissen können, ob wir richtig oder falsch handeln. In diesem Zwiespalt bewegt sich auch unser Verantwortungsbewusstsein. Die Ethik der Verantwortung Die Verantwortungsethik beantwortet bestimmte Schlüsselfragen des Lebens grundsätzlich mit einem klaren „Wir wissen es nicht“. Wir wissen zum Beispiel nicht, ob wir zur Erkenntnis des Guten fähig sind oder vom Bösen geleitet werden. Weil wir es nicht wissen, können wir folglich nur glauben. Dazu meint die Verantwortungsethik, dass es gleichgültig sei, ob wir zum Beispiel an einen Gott glauben oder glauben, dass es keinen Gott gibt. Wer nicht glaubt, hat dennoch einen Glauben, eben den Glauben an sich selbst oder an seine Familie. Wir können einerseits glauben, dass wir vom Baum der Erkenntnis gegessen haben. Dann kennen wir nicht nur den Unterschied zwischen Gut und Böse. Vielmehr haben wir auch die Freiheit, ethisch zu handeln. Wir müssen dabei nur auf unser Gewissen hören. Es ist allerdings auch möglich, dass wir blind unserem Schicksal folgen. In diesem Fall hoffen die meisten, dass ihnen das Gute vorbestimmt ist. Wer meint, über seinen Lebensweg selbst nicht entscheiden zu können, vertraut auf die göttliche Vorsehung. Auch in diesem Fall folgt er der Stimme seines Gewissens. Auf sein Gewissen hören, heißt Verantwortung zu übernehmen, anstatt sie an eine andere Instanz zu delegieren. Dabei
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können wir leicht in Gewissenskonflikte geraten. Unser Gewissen sagt uns zum Beispiel, dass wir teilen sollten. Unser wirtschaftliches Kalküldenken kann sich aber dieser Auffassung in den Weg stellen. Dann geraten wir in einen Zielkonflikt zwischen Ethik und Ökonomie. Wofür wir uns entscheiden, obliegt auch in diesem Fall unserer Verantwortung. Diese Verantwortung erstreckt sich über unser ganzes Leben. | Wir tragen die Verantwortung für unser Leben. Da sich das Teilen nicht unbedingt begründen lässt, sondern unserer Entscheidungsfreiheit unterliegt, lassen sich dazu zwei prinzipielle Einstellungen entwickeln: Wir teilen oder wir teilen nicht. Entscheidend dafür ist unsere ethische Gesinnung. Sie ist dadurch bestimmt, welchen Sinn wir in unserem Leben sehen. Hat das Leben für uns nur einen materiellen Wert oder folgen wir auch sozialen Idealen? Wer diese Frage stellt, fühlt sich für sein Leben verantwortlich. So lässt sich auch erklären, warum viele die ethische Gesinnung aufgeben. Das ist dann der Fall, wenn sie aufhören, sich mit dem Leben zu beschäftigen und nur noch in materiellen Kategorien denken. Sie glauben, dass das Geld die Welt regiert und es deshalb keinen Sinn macht, das ökonomische Kalküldenken zugunsten ethischer Werte zu korrigieren. Die Suche nach dem Sinn des Lebens Es lässt sich nicht bestreiten, dass Geld einen bedeutenden Einflussfaktor in unserer Gesellschaft darstellt. Es ist aber nur ein Mittel, unser Leben abzusichern, um es möglichst angenehm und
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sinnvoll zu gestalten. Das Leben als Zweck hat für uns eine ungewisse Komponente. Wir fragen uns, wohin wir gehen und leiten aus der Antwort unseren Lebenssinn ab. Je weniger Sinn wir im Leben sehen, desto schwächer ist unser ethisches Bewusstsein. Gibt es einen Lebenssinn, obwohl unsere persönliche Existenz zeitlich begrenzt ist? Lassen wir uns einfach auf die These ein, dass wir mit dem biologischen Tod aus der Welt verschwinden. Das bedeutet, dass es anschließend weder eine Belohnung noch eine Bestrafung gibt. Daraus könnte man einerseits ableiten, dass wir die Narrenfreiheit haben und alles tun dürfen, was uns Spaß macht. Unser Gewissen sagt uns aber andererseits, dass wir gerade deshalb die Verantwortung für unser Leben übernehmen und uns dabei nach ethischen Grundsätzen richten sollten. Ob wir Narrenfreiheit haben oder Verantwortung übernehmen sollten, ist die entscheidende Sinnfrage des Lebens. Nur das Leben selbst kann uns darauf eine Antwort geben. Viele Menschen versuchen, den Sinn in ihrem Leben zu finden, indem sie so tief wie möglich in ihre Seele abtauchen. Sie machen dabei oft spirituelle Erfahrungen, die außerhalb unseres rationalen Denkens liegen. Solche Erfahrungen heben grundsätzlich das Ich-Bewusstsein auf. Sie sehen den Menschen als einen unzertrennlichen Bestandteil eines höheren Ganzen, in dem der Augenblick zur Ewigkeit geworden ist. Aus diesem Geist entsteht innerhalb der Gemeinschaft der Gleichgesinnten ein starker Wunsch, alles miteinander zu teilen. Solche Gemeinschaften
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können sich jedoch kaum in unserer Wettbewerbsgesellschaft halten. Schauen wir uns dagegen das Leben innerhalb der modernen Wohlstandsgesellschaft nüchtern an, finden wir darin auf Anhieb keinen höheren Sinn. Doch auch unser rationales Denken ist in der Lage, das Leben in seinem Wesen zu erkennen. Denn es gibt offensichtlich ein Prinzip, das das Leben am Leben erhält. Es ist das Prinzip des Teilens. Das Leben teilt sich unendlich fort. Das gilt sowohl für die einfachste Natur als auch für die komplexesten Organisationsformen. An diesem Prozess können wir mitwirken, indem wir die Verantwortung dafür übernehmen, dass das natürliche und soziale Leben nicht zerstört wird. Es ist die Verantwortung für die Zukunft von uns und die Zukunft der folgenden Generationen. Das Leben teilt sich unendlich fort und lässt uns an | diesem Prozess verantwortlich mitwirken. Der Wille zu teilen resultiert aus der Suche nach einem sinnerfüllten Leben. Der ultimative Lebenssinn liegt darin, das Leben selbst am Leben zu erhalten. Demnach ist das Teilen das Grundmuster des Lebens. Die Entwicklung der Gemeinschaft genauso wie die persönliche Entwicklung des Menschen beruht auf diesem Grundmuster. Leben als Entwicklungsprozess Das Leben ist ein Entwicklungsprozess, der durch das Teilen vorangetrieben wird. Das gilt auch für unsere persönliche Entwicklung.
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Das Teilen bringt uns im Leben weiter. Es stärkt unsere Persönlichkeit und eröffnet uns neue Perspektiven. Als Menschen kommen wir nur für eine begrenzte Zeit auf die Welt. So fragen wir automatisch nach dem Zweck unserer Existenz. Wenn wir uns am Leben selbst orientieren, kommen wir zweifelsfrei zu dem Schluss, dass sich dieser Zweck auf unsere eigene Entwicklung bezieht. Wir tragen ein ungeheueres Potenzial an Fühlen, Wissen und Können in uns. Dieses Potenzial zur vollen Zufriedenheit zu bringen, ist das Höchste, was wir im Leben erreichen können. Dabei taucht eine lebensstrategische Frage auf: Wird unsere Entwicklung mehr durch egoistische oder altruistische Motive gefördert? Wir brauchen einen gesunden Egoismus, um uns im Leben zu behaupten. Er bringt uns aber ab einem bestimmten Entwicklungsstadium nicht weiter. Wann dieses Stadium einsetzt, ist individuell sehr verschieden. Wie es aber überwunden werden kann, steht eindeutig fest. Nur durch das Teilen wird uns möglich sein, eine hohe Stufe von Freude, Zufriedenheit und Ausgeglichenheit im Leben zu erreichen.
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Durch Teilen wird unsere persönliche Entwicklung bis auf die höchste Stufe von Freude, Zufriedenheit und Ausgeglichenheit gefördert.
Der Wille zu teilen folgt unserem Gewissen. Denn unsere innere Stimme weiß am besten, was Gut für uns ist. Sie gebietet uns zu teilen, um uns in unserer Entwicklung zu fördern. Wie wir teilen sollten, müssen wir jedoch selbst entscheiden.
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Strategien des Teilens Wie wir teilen, ist meist von unserem Interesse bestimmt. Dabei stehen uns vier Strategien zur Verfügung, die beispielhaft in der Sozialpolitik praktiziert werden. Demnach können wir gleichmäßig (paritätisch), korrigierend (kompensatorisch), gegenseitig (reziprok) und vermehrend (produktiv) teilen. Das paritätische Teilen folgt dem Grundsatz der Gleichstellung. Jeder sollte unabhängig von seinem Vermögen, Bedarf oder Einkommen dasselbe bekommen. In der Politik nennt man dieses Vorgehen auch das Gießkannenprinzip. Es wird strategisch dann eingesetzt, wenn man niemanden ungerecht behandeln will. Befürchtet eine Regierung, dass bestimmte Subventionsleistungen eine öffentliche Entrüstung bei denjenigen auslösen würden, die nichts oder nicht so viel bekämen, verfährt sie in der Regel nach dem Gießkannenprinzip. Das paritätische Teilen ist damit am bequemsten, auch wenn es in der Regel am wenigsten bewirkt. Das kompensatorische Teilen folgt dem Grundsatz des Ausgleichs. Es soll den Bedürftigen zugutekommen. Es kann sich am faktischen Bedarf oder am formalen Anspruch orientieren. Für den faktischen Bedarf ist die Einzelfallprüfung erforderlich. Beim formalen Anspruch genügt der Nachweis, dass man die Kriterien für die Kompensationsleistung erfüllt. Der Unterschied zwischen Faktum und Formalität lässt sich an Sozialleistungen des Staates veranschaulichen. Wenn ein Bürger mit seinem Verdienst eine bestimmte Grenze nicht überschreitet, hat er zum Beispiel Anspruch auf Woh-
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nungseinrichtungs- oder Kleiderzuschuss. Dabei wird in der Regel nicht geprüft, ob er tatsächlich neue Möbel oder Kleider braucht. Es reicht vollkommen aus, wenn er nur einen Antrag stellt. Ein solches kompensatorisches Teilen wird dadurch in seinem Zweck entfremdet. Es führt oft dazu, dass Kompensationen geleistet werden, auch wenn sie nicht notwendig sind. Das reziproke Teilen beruht auf dem Grundsatz von Leistung und Gegenleistung. Es richtet sich an diejenigen Nehmer, die sich gegenüber den Gebern anschließend erkenntlich zeigen sollten. Damit handelt es sich letztendlich um einen verdeckten Kalkül. Man gibt etwas ab, um dafür etwas zurück zu bekommen. Besonders kurz vor den Wahlen setzen manche Regierungen die Strategie des reziproken Teilens ein. Sie verabschieden Gesetze, die dem Interesse ihrer Wählerschichten dienen und erwarten dafür deren Stimme. Das produktive Teilen beruht auf dem Grundsatz der Effektivität. Es wendet sich an Benachteiligte mit dem Ziel, für sie bessere Lebensbedingungen und Entwicklungsmöglichkeiten zu schaffen. Im Unterschied zur Kompensation, die auf die Notlinderung ausgerichtet ist, soll produktives Teilen die Betroffenen aus ihrer Bedürftigkeit herausholen. Es entspricht damit dem Prinzip der Hilfe zur Selbsthilfe. Wer produktiv teilt, erzeugt damit die nachhaltigste Wirkung. | Produktives Teilen erzeugt die nachhaltigste Wirkung. Obwohl das produktive Teilen am nachhaltigsten wirkt, wird es heute bei Weitem nicht in dem erforderlichen Maß praktiziert.
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Das liegt wohl daran, dass das produktive Teilen auf den ersten Blick dem Geber keinen direkten Nutzen bringt. Diese Methode ist nicht wie das Gießkannenprinzip der Parität bequem, lässt sich nicht wie die formale Kompensation leicht handhaben und bietet anscheinend wie bei der reziproken Tauschbeziehung keine direkte Gegenleistung. Auch dies ist eine Hürde auf dem Weg zu einer besseren Gesellschaft.
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Kapitel 3 Was „teilen“ eigentlich heißt Teilen ist eine gesellschaftliche Aufgabe. Wir sollten es aber auch aus persönlichen Gründen praktizieren. Dabei gibt es einen inneren Widerstand, der uns vom Teilen abhält. Dieser besteht in dem Glauben, dass uns das Teilen solange nichts angeht, wie andere die mehr haben, diesbezüglich mit schlechtem Beispiel vorangehen. Wir sagen uns zum Beispiel, dass zuerst die Manager oder Politiker auf einen Teil ihrer Einkünfte verzichten sollten, bevor ein Normalverdiener finanzielle Opfer bringt. Der innere Widerstand hängt eng mit dem Verständnis des Wortes zusammen. Deshalb geht dieses Kapitel der Frage nach, was das Teilen für uns bedeutet. Bei der Untersuchung orientieren wir uns an der Lehre von Zeichen, die verschiedene Beziehungsfelder symbolischer Formen beschreibt. Demnach wird bei einem Begriff zwischen Ausdruck, Definition, Bedeutung und Sinn unterschieden. Diese vier Wörter sind umgangssprachlich fast gleichbedeutend. Tiefgründig weisen sie jedoch erhebliche Unterschiede auf. Was sich dahinter verbirgt, wollen wir uns anhand eines etwas ungewöhnlichen Ausdrucks anschauen: „Trzeba sie¸ dzieli`c“. Was bedeutet diese Zeichenfolge? Es handelt sich offensichtlich um drei Wörter einer fremden Sprache. Um sie zu verstehen, müsste man Polnisch kennen. Wer der polnischen Sprache nicht mächtig ist und im Wörterbuch nachschlägt, findet dort folgende Erklärungen: „trzeba“ heißt
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„man soll“ bzw. „man muss“, „sie¸“ heißt „sich“, „dzieli`c“ heißt „teilen“. Der Satz lautet also wortwörtlich übersetzt: „Man soll sich teilen“. Was ist denn damit gemeint? Wer jetzt eine besondere Erklärung erwartet, wird leider enttäuscht. Der Satz bedeutet nichts anderes, als dass man teilen soll. Das Wort „sie¸“ (sich) hat keine spezifische Bedeutung. Es drückt nur aus, dass „teilen“ im Polnischen in Form eines reflexiven Verbs „sich teilen“ in Erscheinung tritt.
Was wir als „teilen“ bezeichnen, drücken andere | Nationen als „sich teilen“ aus. Jede Sprache drückt sich anders aus. Und dennoch kann ein Ausdruck in jeder Sprache dieselbe Bedeutung haben. Sie beruht auf einer klaren und eindeutigen Definition. Versuchen wir also Teilen als Begriff zu definieren. Der Begriff des Teilens Um einen Begriff zu definieren, fragen wir uns zuerst, welcher nächsthöheren Gattung er angehört. Anschließend charakterisieren wir die spezifischen Merkmale, die ihn von anderen Begriffen derselben Gattung unterscheiden. Demnach ist ein Hund ein Säugetier (nächsthöhere Gattung), das vier Beine hat und sich durch „wau, wau“ artikuliert (spezifische Unterschiede). Die vier Beine unterscheiden den Hund vom Menschen. Durch „wau, wau“ wissen wir, dass es sich nicht um eine Katze handelt.
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„Teilen“ gehört zu der Begriffsgattung des Trennens und bezieht sich auf den Umgang mit Gegenständen im Hinblick auf den Besitz. Derselben Gattung gehören auch solche Begriffe wie „Behalten“ oder „Schenken“ an. „Verteilen“ oder „Stehlen“ sind dagegen einer benachbarten, aber nicht derselben Gattung zuzuordnen. Der Unterschied besteht im Bezug der Verhaltensweise auf das Subjekt, das sie praktiziert. Beim Teilen, Behalten oder Schenken gehe ich mit Sachen um, die mir gehören bzw. die ich besitze. Beim Verteilen oder Stehlen operiere ich mit Gegenständen, die nicht ein Teil meines Vermögens sind. Das Teilen ist folglich eine selbstbezügliche Verhaltensweise. Die Polen sagen dazu deshalb „sich teilen“. Das Teilen bezieht sich auf ein Ganzes, das man besitzt. Wenn das Ganze bei mir selbst verbleibt, dann sprechen wir vom Behalten. Das Gegenteil davon ist das Abgeben. Mit dem Behalten und Abgeben sind damit die beiden Pole definiert, zwischen denen das Teilen angesiedelt ist.
| Teilen liegt zwischen Behalten und Abgeben. Damit haben wir den ersten Bestandteil der Definition des Teilens ausgearbeitet. Demnach ist das Teilen „das Abgeben eines Teils“ von etwas, was dem Subjekt gehört. Unter diese Charakterisierung fallen zwei weitere Begriffe. Der eine heißt „Schenken“, der andere „Tauschen“. Den Unterschied zwischen „Teilen“ und „Schenken“ zu finden, ist nicht leicht. In beiden Fällen geben wir etwas ab, ohne Anspruch auf eine Gegenleistung zu haben. Das
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Schenken kann sich nicht nur auf einen Teil einer Menge, sondern auch auf eine ganze Sache beziehen. Daraus resultiert aber noch keine spezifische Differenz. Diese wird erst deutlich, wenn wir die Absicht des abgebenden Subjektes in Betracht ziehen. Beim Schenken scheint die dahinter liegende Absicht indifferent zu sein. Beim Teilen wollen wir dagegen offensichtlich etwas erreichen. Man könnte auch sagen, dass das Teilen mit einem Ziel vorgenommen wird, während wir es beim Schenken eher dem Beschenkten überlassen, was er mit dem Geschenk anfängt. Demnach ist das Teilen ein „gezieltes Abgeben“. Das Tauschen stellt ebenfalls ein gezieltes Abgeben dar. Dafür bekommt der Abgebende aber eine Gegenleistung. Wer tauscht, gibt etwas ab, um dafür etwas anderes zu erhalten. Wer teilt, tut dies zwar mit einer Absicht und mag auf eine Gegenleistung hoffen. Er hat jedoch keinen Rechtsanspruch darauf. Tauschen ist folglich kalkuliertes Verhalten zu eigenen Gunsten. Es fördert die Egozentrik, wenn es als die einzige Form des Abgebens praktiziert wird. Teilen dagegen stellt sich der Egozentrik in den Weg. Denn es geschieht mit dem Gedanken, etwas Gutes zu tun. Wir sind am Ende der Begriffsdefinition angekommen. Das Teilen ist ein gezieltes Abgeben ohne Rechtsanspruch auf eine Gegenleistung. Was dabei abgegeben werden kann, lässt sich erst im nächsten Schritt bestimmen. Denn den Bezug des Zeichens „Teilen“ auf die damit bezeichneten Gegenstände zu bestimmen, ist keine Frage der Definition, sondern seiner Bedeutung.
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Bedeuten heißt Hinweisen Bedeuten heißt Hinweisen. Um diesen Satz zu erklären, erzähle ich gerne eine Anekdote von Lorenzo. Es handelt sich bei ihm um einen Enkel meiner Frau, die zwei Söhne aus ihrer ersten Ehe hat. Lorenzo ist das erste Kind ihres jüngeren Sohnes. Als er vier Jahre alt war, holte ich ihn manchmal vom Kindergarten ab. Bei dieser Gelegenheit sagte einmal die Erzieherin zu ihm: „Dein Opa ist gekommen“. Darauf entgegnete Lorenzo: „Das ist nicht mein Opa“. Dieser Satz war von ihm nicht unlieb gemeint. Lorenzo hatte ihn einfach übernommen, um mich von seinen beiden leiblichen Großvätern zu unterscheiden. Für ihn war ich immer nur „Richi“, und Richi war kein Opa. Ich nahm Lorenzo in die Arme und unterhielt mich etwas mit der Erzieherin. Als eine Mutter, die auch ihr Kind abholte, sich zu uns gesellte und ihn fragte, wer ich sei, entgegnete er wie selbstverständlich mit „Richi“. Als ich ihm aber die Frage stellte, wer Richi sei, wirkte er zunächst etwas verlegen. Dann zeigte er mit dem Finger auf mich und sagte: „Der da“. Mit diesem Hinweis schien ihm die Frage ausreichend beantwortet zu sein. Schon kleine Kinder – lange bevor sie sprechen können – weisen auf einen Gegenstand hin, wenn Erwachsene sie danach fragen. Sie verstehen die Bedeutung des Wortes, ohne es verbal artikulieren zu können. Dagegen haben sie gewisse Verständnisprobleme mit Begriffen, unter denen sie sich noch nichts Konkretes vorstellen können. Das scheint sogar mit ein Grund dafür zu sein, dass manche von ihnen im späteren Alter noch sehr ungern teilen. Deshalb sollte man vermeiden, das Teilen durch
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falsche Hinweise zu vermitteln. Das ist dann der Fall, wenn wir das Wort bei Handlungen benutzen, in denen sich nicht das Teilen, sondern eine andere Art des Abgebens widerspiegelt. Lorenzo zum Beispiel teilte nicht besonders gerne. Seiner jüngeren Schwester Giulia gab er bis zum Alter von fünf Jahren freiwillig kein Stück von seiner Brezel ab, die ihm meine Frau beim Abholen aus dem Kindergarten immer mitbrachte. Es wäre aber falsch gewesen, ihm davon etwas wegzunehmen und mit den Worten zu quittieren: „Du sollst teilen“. Denn dann hätte er fälschlicherweise angenommen, dass das Teilen eine Zwangsabgabe sei. Das Teilen sollte nicht aus Zwang, sondern freiwillig erfolgen. Das ist ein Bestandteil seiner Bedeutung. Der philosophische Grund dafür liegt in der Wertvorstellung eines autonomen Subjektes. Der Mensch ist ein eigenständiges Wesen und soll lernen, die Verantwortung für sein Handeln zu übernehmen. Dieses Verantwortungsbewusstsein stellt sich nicht ein, wenn er zum richtigen Handeln überwiegend nur gezwungen wird. Den Kindern das Teilen aufzuzwingen, erzeugt in der Regel eine kontraproduktive Wirkung. Wer das Teilen nämlich als Zwang erlebt hat, wird versuchen, diesem Zwang sofort zu entgehen, wenn er dazu die Möglichkeit erhält. Teilen ist als freie Absicht zu vermitteln, | damit es freiwillig praktiziert wird. Nach dieser Reflexion haben wir das Verständnis des Begriffs ein Stück weiterentwickelt. Demnach ist das Teilen ein gezieltes und freiwilliges Abgeben eines dem Subjekt gehörenden Teils, für
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das keine Gegenleistung rechtlich beansprucht werden kann. Was verbirgt sich aber hinter dem Ausdruck „ein dem Subjekt gehörender Teil“? Hat dieser Ausdruck überhaupt einen Sinn? Der Sinn wird gestiftet Im Unterschied zur Bedeutung entsteht der Sinn durch den praktischen Gebrauch eines Zeichens. Damit ist die subjektive Vorstellung verbunden, wie der Sprecher zum Teilen steht und auf welche Gegenstände er das Teilen bezieht. Der Sinn des Teilens ist also nicht an sich gegeben, sondern wird individuell gestiftet. Schauen wir uns diesen Unterschied am Beispiel einer Befragung an. Im Rahmen eines Persönlichkeitstests hat eine Probandengruppe die Aufgabe bekommen, den Satz „Teilen lohnt sich“ durch einen weiteren kommentierenden Satz zu ergänzen. Die Kommentare fielen sehr unterschiedlich aus. Zwei Aussagen waren dabei besonders kontrovers. Die eine lautete: „Teilen lohnt sich – das stimmt“, die andere: „Teilen lohnt sich – dass ich nicht lache“. Die erste Person meinte also, dass sich das Teilen tatsächlich lohne. Die zweite vertrat die entgegengesetzte Meinung. Sie war der Auffassung, dass das Teilen keinen Lohn mit sich bringe. Daraus konnten Rückschlüsse auf die soziale Einstellung der beiden Probanden gezogen werden. Es ist erstaunlich. Ein Ausdruck kann für die Menschen dieselbe Bedeutung, aber einen völlig anderen Sinn haben. In dem Sinn spiegeln sich nämlich die individuellen Erfahrungen wider. So hat der eine Proband wahrscheinlich erlebt, dass sein ethisches
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Verhalten belohnt wurde. Der andere Proband hat mit hoher Wahrscheinlichkeit entgegengesetzte Erfahrungen gemacht.
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Der Sinn des Teilens kann individuell sehr unterschiedlich sein, weil wir damit unterschiedliche Erfahrungen machen.
Der Unterschied zwischen der objektiven Bedeutung und dem subjektiven Sinn kann auch an der Vorstellung über die soziale Gerechtigkeit veranschaulicht werden. Was würde passieren, wenn wir den Satz „Die freie Marktwirtschaft ist ein ökonomisch gerechtes System“ von Probanden kommentieren ließen? Auch hierzu würden die Positionen zwischen voller Zustimmung und ebensolcher Ablehnung schwanken. Damit unterliegt auch der Begriff der Gerechtigkeit der individuellen Interpretation. In einem Wort schwingt immer eine subjektive Wertvorstellung mit, die durch unsere Erfahrungen beeinflusst wird. Diese Erfahrungen können sich auch darauf beziehen, wie und in welchem Zusammenhang kompetente Autoritäten das Wort benutzen. Wenn zum Beispiel anerkannte Sozialwissenschaftler unser Wirtschaftssystem kritisieren, übernehmen viele Bürger diese Urteile. Gleiches gilt, wenn das Teilen zum Maßstab ethischer Bewertung von unternehmerischen Aktivitäten durch die Massenmedien genommen wird. Dabei wird selten zwischen ökonomischer und sozialer Gerechtigkeit unterschieden.
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Die ökonomische und soziale Gerechtigkeit Unter Gerechtigkeit ist grundsätzlich die juristische Sichtweise gemeint, wonach das gleiche Recht für alle gelten soll. Sie bezieht sich auch auf die Folgewirkung, die sich aus der Einhaltung bzw. Nicht-Einhaltung von Rechtsvorschriften ergibt. So ist es gerecht, wenn jemand für die Übertretung eines Gesetzes bestraft wird. Man kann hier vom strafenden bzw. negativen Recht sprechen. Wenn wir das Prinzip positiv anwenden, dann ist es auch im Sinne der Gerechtigkeit, das derjenige, der eine Vorschrift besonders gut erfüllt, dafür stärker belohnt wird, als derjenige, dem das nicht so gut gelingt. Gesetze sind Bestandteile eines juristischen Systems. In gesellschaftlichen Systemen sprechen wir diesbezüglich auch von Spielregeln. Diese definieren die Beziehungen zwischen den Akteuren, die am System beteiligt sind. Unterschiedliche Systeme funktionieren nach unterschiedlichen Spielregeln. Das ist auch der Grund dafür, dass es wenig Sinn macht, die ökonomische Gerechtigkeit mit der sozialen Gerechtigkeit gleichzustellen und Tauschen mit Teilen zu verwechseln. Die Wirtschaftsbeziehungen in unserer Gesellschaft werden nach dem Prinzip des Tauschens geregelt. Das Tauschen sollte dabei ökonomisch gerecht sein. Was Unternehmen als Gewinn erwirtschaften oder was Manager verdienen, ist am Verhältnis zwischen Leistung und Ertrag zu bewerten. Ist das Verhältnis angemessen, ist auch das Tauschen gerecht. Es darf an dieser Stelle nicht mit der sozialen Gerechtigkeit verwechselt werden. Beim Tauschen wird grundsätzlich versucht, den höchsten Preis zu erzielen. Dieser Preis bewegt sich bei Gewinnen großer
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Unternehmen auf einem Milliardenniveau. Bei Gehältern von Spitzenmanagern erreicht er pro Jahr eine zweistellige Millionenhöhe. Wenn dahinter eine entsprechende Leistung steht, von der nicht nur die erste Führungsebene, sondern auch das ganze Unternehmen mit allen Mitarbeitern nachhaltig profitieren, lässt sich dagegen ökonomisch nichts sagen, auch wenn es sozial ungerecht erscheinen mag. Gewinne können ökonomisch gerecht sein, | sozial dennoch als ungerecht empfunden werden. Eine ungerechte Verteilung von ökonomischen Ressourcen ist ein akutes gesellschaftliches Problem. Dafür muss es politische Lösungen geben. Für solche Lösungen ist es jedoch kontraproduktiv, das ökonomische System des freien Tauschens infrage zu stellen oder seine Leistungsträger öffentlich anzugreifen. Stattdessen sollte man die Letzteren davon überzeugen, dass sie nach erfolgreichem Tauschen auch teilen sollten. Teilen im ökonomischen Bereich Jedes System funktioniert nach bestimmten Gesetzmäßigkeiten. Wenn wir es als ungerecht empfinden, heißt es noch lange nicht, dass man es beliebig und problemlos verändern kann. Jede Auseinandersetzung um die soziale Gerechtigkeit hat nur dann einen konstruktiven Sinn, wenn sie nicht die Gesetzmäßigkeiten des Systems einfach ausblendet. Wer die Wirtschaft der Unanständigkeit bezichtigt, weil sie ihre Handlungsspielräume systemkonform ausnutzt, polarisiert mehr, als dass er einen konstruktiven Beitrag zur Lösung des Problems leistet. Eine konstruktive
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Problemlösung besteht darin, mehr Ethik in der Wirtschaft zu etablieren. Sie wird jedoch nicht gefördert, indem man ökonomischen Erfolg ethisch infrage stellt. Vielmehr geht es darum, dass sich die Unternehmen dort für soziales Engagement öffnen, wo sie gestalterische Spielräume haben. Das Teilen ist demnach so zu definieren, dass es auch im Wirtschaftsbereich erfolgreich praktiziert werden kann, ohne die Gesetze der Marktwirtschaft außer Kraft zu setzen. Es sollte dabei über Motivation statt über Kritik propagiert werden. In den öffentlichen Debatten wird das Teilen oft als Kritikinstrument eingesetzt. Der Satz, dass sich die „Wirtschaftsbosse“ wegen ihrer Millionengehälter schämen sollten, enthält indirekt den Vorwurf, dass sie nicht teilen würden. Die Leistungsträger unseres ökonomischen Systems werden somit als schlechte Menschen abgestempelt. Und weil sie schlecht seien, dürfe man öffentlich auf sie einprügeln. Die Verwendung des Teilens als Kritikinstrument ist weder gerecht noch zielführend. Sie ist deshalb ungerecht, weil das Teilen ein freiwilliges Abgeben ist, sodass man niemandem vorwerfen darf, wenn er es nicht praktiziert. Eine solche Kritik ist gleichzeitig kontraproduktiv, weil sie genau das Gegenteil bewirkt, was sie beansprucht. Denn sie motiviert nicht zum Teilen, sondern führt dazu, dass sich die Kritisierten oft brüskieren und umso stärker nach rein ökonomischen Gesichtspunkten entscheiden. Eine verurteilende Ethik richtet stets mehr Schaden als Nutzen an. Sie erzeugt unnötig Druck und weckt innere Widerstände. Die Idee des Teilens ist deshalb nicht kritisierend, sondern
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motivierend zu vermitteln. Das erfordert einen positiven und konstruktiven Sprachgebrauch. | Teilen erfordert Motivation statt Kritik. Der Sinn des Teilens liegt darin, freiwillig etwas Gutes zu tun. Dabei spielt der Anwendungsbereich eine wichtige Rolle. Beziehen wir den Begriff auf alle oder nur auf einen Teil der Gegenstände, die uns gehören? Das ist die Gretchenfrage des Teilens. Die Gretchenfrage des Teilens Stellen wir die Frage etwas drastischer. Sollten wir mit unseren Mitmenschen nur das Brot oder alles teilen, was uns gehört? Sollten wir uns grundsätzlich von einem Teil unseres Geldes trennen oder gilt es nur für eine bestimmte Menge oder Art? Über diese Fragen bestehen in unserer Gesellschaft erhebliche Meinungsverschiedenheiten. Sie liefern auch Zündstoff für politische Auseinandersetzungen. Bei jeder politischen Debatte spielen die Interessen der Beteiligten eine ausschlaggebende Rolle. Dies gilt auch für die Frage nach der sozialen Gerechtigkeit der Güterverteilung. Uns interessiert allerdings an dieser Stelle nicht, wie der Staat seine Umverteilungspolitik über Steuern und Abgaben gestalten sollte. Vielmehr fragen wir, wie die Beteiligten darüber denken. Hierbei können wir davon ausgehen, dass sich die Interpretationsunterschiede nach den Besitzverhältnissen richten. Wer wenig hat, fordert mehr, wer viel hat, will weniger abgeben. Damit ist ein Konflikt bei der Entscheidungsfindung vorprogrammiert. Wie
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kommen wir dann aber zu einem konsensfähigen Begriff des Teilens? Wenn sich die Vertreter unterschiedlicher Interessengruppen über den Sinn des Teilens nicht einigen können, dann sollte wenigstens eine Übereinkunft darüber erzielt werden, wer diesbezüglich das letzte Wort haben sollte. Ist es also sinnvoll, wenn die Vorgabe von denjenigen kommt, die viel besitzen oder von denjenigen, die wenig haben? Auch dafür ist eine Entscheidung erforderlich. Was würde passieren, wenn wir die einzelnen Interessengruppen dazu befragen würden? Es ist zu erwarten, dass jede Gruppe das Definitionsrecht für sich beanspruchen würde. Dadurch kommen wir also auch nicht zu einer Lösung. Was uns als letzten Ausweg bleibt, ist ein Szenarioverfahren. Dabei wollen wir uns überlegen, wie das Verständnis der jeweiligen Interessengruppe die Praxis des Teilens beeinflussen würde. Wessen Verständnis zu einem besseren Ergebnis führt, sollte auch den Umfang des Teilens vorgeben. Wenn die Armen den Anwendungsbereich des Teilens bestimmen würden, dann gehört nicht viel Phantasie dazu sich vorzustellen, dass die Reichen auf diese Ideen eher nicht eingehen würden. Wenigstens nicht freiwillig. Müssten sie es nämlich so teilen, wie es ihnen vorgegeben würde, dann könnten sie die Situation leicht als einen massiven Zwang erleben. Deshalb würden sie versuchen, ihr zu entgehen, sofern sie dazu eine Möglichkeit hätten. So büßt in diesem Szenario das Teilen seine Bedeutung als ein Akt der Freiwilligkeit ein. Das wäre zunächst nicht so schlimm, weil man die Bedeutung leicht verändern kann. Erheb-
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lich schlimmer ist es aber, dass dadurch auch die produktive Kraft des Teilens verloren ginge. Denn wir hätten es mit einer Zwangsabgabe ähnlich einer Steuer oder eines Solidaritätszuschlags zu tun. Das Teilen würde in die Obhut des Staates übergehen und zum Umverteilen mutieren. Daraus ergibt sich die umgekehrte Schlussfolgerung, dass der Umfang des Teilens eher von den Reichen bestimmt werden sollte.
Über Teilen sollten nicht diejenigen entscheiden, die | nichts zu teilen haben. Wir sind heute reichlich mit Zwangsabgaben belegt. Wenn man auch das Teilen in diesem Bereich ansiedeln würde, dann hätte niemand etwas davon. Mit dieser These sollten die gesellschaftspolitischen Verpflichtungen des Staates zu sozialen Ausgleichsleistungen auf gar keinen Fall infrage gestellt werden. Damit ist nur gemeint, dass es nicht sinnvoll wäre, das Teilen als wohltätiges Handeln von Privatpersonen, Stiftungen oder Unternehmen nach demselben Prinzip zu organisieren. Den Bock zum Gärtner machen Bietet das Szenario, in dem die Reichen den Anwendungsbereich des Teilens bestimmen, eine bessere Alternative? Bei dieser Frage stoßen wir auf ein tief verwurzeltes Vorurteil. Dieses besteht in der Unterstellung, dass sich der ökonomische Reichtum und die ethische Gesinnung grundsätzlich widersprechen. Wer also reich ist, kann folglich keine guten Absichten haben. Würden die Reichen nach diesem Vorurteil über das Teilen bestimmen, kämen
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dabei höchstens ein paar Almosen heraus. Es wäre so, als ob man den Bock zum Gärtner machen würde. Abgesehen davon, dass es manchmal sinnvoll ist, den Bock zum Gärtner zu machen, ist diese Denkweise eindeutig falsch. Sie entspricht einfach nicht der Realität. Unter den vermögenden Bürgern ist das Teilen genauso verbreitet wie unter den weniger Wohlhabenden. Denn es handelt sich hierbei nicht um ein besitzabhängiges Verhalten, sondern um ein erlerntes Handlungsmuster, das je nach ethischer Gesinnung praktiziert wird. Deshalb ist eine andere Situation wahrscheinlich. Würden die Reichen über den Sinn des Teilens entscheiden, dann kann man davon ausgehen, dass sie es grundsätzlich bejahen, jedoch auch an einige Bedingungen knüpfen würden. Sie würden sich sicherlich nicht damit einverstanden erklären, dass sie ihr ganzes Vermögen unter den Bedürftigen aufteilen sollten. Sie könnten sogar darauf bestehen, dass sich dadurch ihre Vermögensverhältnisse nicht insgesamt verschlechterten. Es ist jedoch vorstellbar, dass sie bereit wären, auf einen Teil des dazu gewonnenen Vermögens zu verzichten. Diese Vorstellung, die uns aus der progressiven Besteuerung unserer Einkünfte bekannt ist, scheint durchaus klug zu sein, weil sie auf einem allgemeinen Konsens beruht. Legen wir sie zugrunde, bezieht sich das Teilen nicht auf das Eigentum, sondern auf den Zugewinn. Wer etwas dazugewonnen hat, sollte davon etwas abgeben. Damit wird zwar die Schere zwischen Arm und Reich nicht geschlossen. Man könnte jedoch wenigstens verhindern, dass sie immer mehr auseinandergeht. Ein solcher Anwendungsbereich des Teilens spiegelt sich auch in einem alten jüdischen Witz wider.
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Demnach gab ein reicher Jude einem Bettler jede Woche eine Krone. Als der Bettler eines Tages nur eine halbe Krone in seinem Hut fand, blickte er enttäuscht und sogar etwas empört auf. „Schau mich nicht so an“, sagte der Jude, „das Geschäft ist letzte Woche nicht so gut gelaufen.“
Teilen bezieht sich auf den Zugewinn, | nicht auf das Eigentum. Wir haben jetzt die Definition des Teilens zu Ende gebracht. Sie lautet so wie der Satz im ersten Kapitel. Teilen ist gezieltes, freiwilliges Abgeben eines Teils des erworbenen Vermögens ohne Rechtsanspruch auf eine Gegenleistung, wobei sich das erworbene Vermögen sowohl auf materielle als auch ideelle Güter bezieht. Wie sich dieses Verständnis in der gesellschaftlichen Realität widerspiegelt, wird in den nächsten drei Kapiteln untersucht.
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Kapitel 4 Motive gegen das Teilen Es gibt fünf materielle Motive, die uns vom Teilen abhalten. Sie fördern gleichzeitig unsere Egozentrik. Es handelt sich dabei um die Trägheit, den Geiz, die Habsucht, den Neid und die Schlauheit. Wir wollen sie als Bewusstseinsformen innerhalb unserer hoch entwickelten Gesellschaft untersuchen. Die entsprechende Frage lautet: Macht uns der Wohlstand träge, geizig, habsüchtig, neidisch und schlau? Als Wirtschaftssubjekte leben wir alltäglich in einem Kreislauf zwischen Arbeit, Erholung und Konsum. Während die Arbeit immer intensiver wird und der Erholungsbedarf steigt, wird es immer schwieriger sich zu entspannen, ohne dabei irgendwelche Konsumangebote in Anspruch zu nehmen. Auch im Freizeitbereich schreitet die Kommerzialisierung unweigerlich voran. Dabei lässt sich eine direkte Abhängigkeit zwischen der Arbeitsleistung und dem Konsumverhalten beobachten. Der materielle Erfolg führt in der Regel zum erhöhten Verbrauch an Waren und Dienstleistungen. „Man gönnt sich doch sonst nichts“ lautet eine der unzähligen Werbebotschaften, die uns zum Erwerb von nicht unbedingt lebensnotwendigen Waren animieren will. Deshalb stellt der Konsumbereich ein ideales Beobachtungsumfeld für das Phänomen des Teilens dar. | Teilen lässt sich am Konsumverhalten untersuchen.
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Die Egozentrik zeigt sich am stärksten im Konsumverhalten. Sie artet sogar zu einer wahren Droge aus, wenn man nur um den Konsum Willen konsumiert. Viele Sozialkritiker prangern deshalb den übermäßigen Konsum an. Sie plädieren dafür, unser Geld für gute Zwecke zu spenden, anstatt es beispielsweise als Neujahrsfeuerwerk zu verpulvern. Der Konsumverzicht zugunsten guter Zwecke, ist jedoch nicht immer zielführend. Denn dadurch kann auch das Wachstum geschwächt werden. Der kritische Konsument Der Konsum verführt uns zwar oft zur Verschwendung, sorgt aber auch für etwas Gutes. Denn jeder Erwerb treibt die Wirtschaft voran. So steigert auch der Konsum unsere ökonomische Leistungsfähigkeit, indem er persönliche Bedürfnisse befriedigt, die scheinbar keinen sozialen Wert haben. Er ist in diesem Fall – wie Mephisto in Goethes Faust sagt – ein Teil jener Kraft sein, die stets das Böse will und stets das Gute schafft. Das heißt natürlich nicht, dass wir blind konsumieren sollten. Ein solches Risiko scheint jedoch immer weniger zu bestehen. Seit Jahrzehnten versuchen uns Politiker, Verbraucherorganisationen und Medien zu kritischen Konsumenten zu erziehen, indem sie uns vor allem zu Qualitätsprüfungen und Preisvergleichen auffordern. Dabei sprechen sie jedoch nicht die eigentliche Gefahr des übermäßigen Konsums an. Der Konsum als ökonomisches Marktinstrument hat oft negative Sozialeffekte. Diese beziehen sich aber nicht darauf, was und wie viel wir konsumieren. Vielmehr geht es um die Frage, zu welchem Zweck wir es tun. Der Konsum als marktwirt-
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schaftlicher Mechanismus wird zu Unrecht kritisiert, auch wenn es sich dabei um anscheinend so überflüssige Ware wie Feuerwerkskörper handelt. Als dominanter Zweck der individuellen Lebensgestaltung stellt er dagegen eine große gesellschaftliche Herausforderung dar, weil er unser Bewusstsein korrumpiert. Wer im Konsum einen finalen Lebenssinn sieht, neigt automatisch zur Egozentrik. So können schon bei der täglichen Nahrungsaufnahme die Weichen für oder gegen das Teilen gestellt werden. Leben wir um zu essen oder essen wir um zu leben? Wer sein leibliches Wohl zu einem absoluten Konsumzweck erklärt, interessiert sich meistens kaum für die Hungersnot anderer Völker. Die wahre Gefahr besteht also darin, dass Konsum unser Leben materiell beherrscht. Konsum ist dann gefährlich, wenn er unser | Leben materialisiert. Natürlich spielt sich das Leben in der Regel nicht zwischen so drastischen Alternativen ab. Wir essen sowohl aus der Notwendigkeit heraus als auch zum Genuss. Doch es gibt fast immer eine dominante Tendenz. Sie bestimmt auch, inwieweit wir durch den Konsum sozial entwurzelt werden. Die verlorene Balance Im Konsum zeigt sich unsere materielle Einstellung zum Leben. Ihr stehen körperliche, geistige und seelische Aktivitäten gegenüber, die unser Wohlbefinden nachhaltig fördern. Ist das Konsumverhalten einseitig ausgeprägt, geht die Balance zwischen Körper, Geist und Seele verloren. Wir neigen dann dazu,
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besonders träge, geizig, habsüchtig, neidisch oder schlau zu werden. Vergleichen wir das Teilen mit einer gesunden Ernährung, dann geht es in beiden Fällen um die richtige Balance zwischen Genuss und Notwendigkeit. Eine einseitige Ernährung führt in der Regel zum Übergewicht. Hierzu lassen sich auch fünf Faktoren ausmachen, die der Gesundheit entgegenwirken. Es sind die Bewegungsarmut (Trägheit), eine falsche Sparsamkeit (Geiz), die Fresssucht, der Futterneid und der Glaube, klüger als Ärzte oder andere Gesundheitsberater zu sein (Schlauheit). Wer übergewichtig ist, sollte aktiver werden und seine Einstellung zum Essen verändern. Gleiches gilt für die Egozentriker, die ihr Leben am Konsum ausrichten. Sie könnten ihre innere Stabilität und Ausgeglichenheit erheblich steigern, wenn sie teilen würden. Zu diesem Zwecke müssten sie jedoch ihre materielle Einstellung seelisch und geistig korrigieren. Denn ein gutes und gesundes Leben ist vor allem ein Sein und nicht ein Haben. Es macht uns aktiv statt träge, großzügig statt geizig, seinsfroh statt habsüchtig, bescheiden statt neidisch und klug statt nur schlau. Doch dahin zu kommen ist für uns ein langer Weg, vor allem wenn wir zu materieller Einstellung erzogen worden sind. Die materielle Einstellung zeigt sich in Trägheit, | Geiz, Habsucht, Neid und Schlauheit. Unsere gute Gesinnung ist nur dann etwas wert, wenn sie tatsächlich etwas Gutes bewirkt. Ein guter Wille an sich reicht deshalb noch nicht aus. Dem Willigen stehen die Trägheit, der
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Geiz, die Habsucht, der Neid und die Schlauheit im Wege. Wie lassen sich diese materiellen Einstellungen überwinden? Die Trägheit der Gesättigten Die Trägheit ist fast schon eine natürliche Folge des übermäßigen Konsums. Wohlstandsbürger, die viel konsumieren, können leicht träge werden. Irgendwann fühlen sie sich satt und verspüren kein Bedürfnis, außer dem Arbeiten und Konsumieren noch etwas anderes zu tun. Darunter leidet vor allem ihr soziales Engagement. Anstatt etwas Vernünftiges mit ihrer freien Zeit anzufangen, setzen sich zum Beispiel viele Menschen Abend für Abend vor den Fernseher, um sich von der Flut der Informationen und Bilder berieseln zu lassen. Manche tun es, um von der Arbeit abzuschalten und sich zu entspannen. Es gibt aber auch welche, die damit einfach nur ihre Trägheit ausleben. Die Trägheit hält uns vom Teilen ab, weil sie unseren Gestaltungswillen lähmt. Wir nehmen die Welt so hin, wie sie uns präsentiert wird. Das gilt für gute wie für schlechte Nachrichten. Wir können uns an ihnen erfreuen oder über sie schimpfen. Sie veranlassen uns jedoch nicht, etwas Sinnvolles zu tun. Wer träge geworden ist, kann sich kaum noch selbst motivieren. Spricht man jedoch in einer besinnlichen Stunde sein Gewissen an, so kann es durchaus passieren, dass es‚ darauf reagiert. Das ist auch der Grund, warum es im Fernsehen vor allem kurz vor Weihnachten so viele Sendungen gibt, die zum Spenden für sozi-
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ale Zwecke aufrufen. Ihre Gestalter wollen die Menschen aus ihrer Trägheit herausholen, indem sie ihnen die Möglichkeit zu guten Taten bieten.
Trägheit kann durch die Rührung des Gewissens | punktuell überwunden werden. Wer im Rahmen einer Wohltätigkeitsveranstaltung spontan gespendet hat, empfindet in der Regel eine innere Freude. Er fühlt sich emotional bestätigt. Die Freude dauert jedoch nur eine kurze Zeit. Ist die Veranstaltung zu Ende, drängt die Trägheit erneut das Gewissen in den Hintergrund. Die Freude der Geizigen „Geiz ist geil“. Mit dieser Werbebotschaft wird der Konsum als Schnäppchenjagd stilisiert. Wer mehr bezahlt, als es wirklich notwendig ist, wird als nicht besonders intelligent dargestellt. „Ich bin doch nicht blöd“ – heißt ein anderer Spruch, der unseren Geiz bestätigen soll. Solche Auffassungen finden heute zahlreiche Anhänger. Die immer größer werdende Schar der Geizigen neigt dazu, möglichst sparsam mit dem Geld umzugehen und es vor allem niemals zu verschenken. Diese Haltung wird auch im Privatleben beherzigt. Wenn ein Geiziger jemandem einmal ein Getränk spendiert hat, behält er diese Tatsache solange im Kopf, bis er eine Gegeneinladung erhält. Dagegen vergisst er sie in der Regel sofort, wenn ihm jemand etwas geliehen hat. Derjenige muss ihn schon nachdrücklich selbst daran erinnern, wenn er es zurückhaben will.
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Die Geizigen sind besonders vorsichtige und schlaue Konsumenten. Sie kaufen nichts, bevor sie den Cent nicht dreimal umgedreht haben. Kurz vor dem Zuschlagen versuchen sie auf jeden Fall den Preis noch etwas zu drücken. Ist ihnen ein Schnäppchenkauf gelungen, freuen sie sich wie Kinder über ein Weihnachtsgeschenk. Die Freude ist völlig davon unabhängig, wie wohlhabend sie sind. Gerade viele gut situierte Bürger neigen dazu, besonders geizig zu sein. Vielleicht sind sie auch deshalb so reich geworden. Einen guten Kauf gemacht zu haben, verleiht den Geizigen einen besonderen Kick. Gelingt es ihnen dabei, andere Mitbieter auszustechen, ist ihre Freude doppelt so groß. Auf den großen und kleinen Online-Auktionen haben die Geizigen ein neues Betätigungsfeld gefunden. Denn hier steht die Entscheidung über den Käufer bis zum letzten Augenblick des angesetzten Veräußerungstermins aus. Gespannt starren die Geizigen auf die Bildschirme ihrer Computer und zählen laut die noch verbleibenden Sekunden: 3, 2, 1 … und dann ertönt der triumphale Anruf: Meins. So ist der Vorgang in der Werbung eines Betreibers von elektronischen Tauschbörsen beschrieben. Er wird tagtäglich millionenfach erlebt. Es sind natürlich nicht nur die Geizigen, die über Internet oder sonst wo nach günstigen Angeboten suchen. Deshalb soll hier nicht der Eindruck einer Pauschalkritik am kostenbewussten Einkaufen entstehen. Viele Menschen sind zum Sparen gezwungen, weil ihnen nicht genügend Geld für den Lebensunterhalt zur Verfügung steht. Die Geizigen sparen aber nicht aus Not, sondern
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aus Prinzip. Es ist deshalb wahrscheinlicher, dass ein Kamel durch ein Nadelohr schlüpft, als dass ein Geiziger aus freien Stücken teilt. Wenn überhaupt, kann er nur durch eine List zum Teilen bewegt werden. Diese List besteht zum Beispiel in einem Versprechen, dass er gut wird, wenn er etwas von seinem Hab abgibt. Auf das Versprechen geht der Geizige aber nur aus Angst ein. Eine solche Angst übermannt ihn zum Beispiel in der Öffentlichkeit, wenn sich seine Einstellung beobachten lässt. Dabei verspürt er sozialen Druck, dem er sich in diesem Augenblick nicht zu entziehen wagt. Geiz lässt sich nur mit guten Versprechen und | unter sozialem Druck überlisten. Wie die List funktioniert, können wir aus der Geschichte lernen. Im Mittelalter betrieben schlaue Wanderprediger einen florierenden Ablasshandel. Ein Gegenstand aus dem Besitz einer heiligen Person befreite den Käufer angeblich von einem Teil seiner irdischen Schuld, vor allem wenn die Erlöse der Kirche zugute kamen. So konnte sogar den geizigsten Sündern etwas Geld entlockt werden, weil sie lieber zahlten, als sich auf eine Begegnung mit dem Teufel einzulassen. Das Unglück der Habsüchtigen Der Geiz will gute Ware für möglichst wenig Geld haben und begnügt sich dabei oft mit preiswerten Angeboten. Demgegenüber sieht die Habsucht das wahre Gut in materiellem Reichtum und ist bereit, dafür einiges zu bezahlen. Für die Geizigen ist das Sparen an sich schon schön, auch wenn sie dabei auf den Konsum
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verzichten. Die Habsüchtigen müssen dagegen permanent kaufen und konsumieren, um sich einigermaßen glücklich zu fühlen. Die Habsucht manifestiert sich heute im Bewusstsein der „Habseligkeit“. Die Habseligen glauben, dass sie durch Erwerb und Konsum selig werden könnten. Es handelt sich dabei um diejenigen Wohlstandsbürger, die immer größere Häuser, schnellere Autos oder teurere Kleider haben wollen. Ihr Problem liegt jedoch nicht im Haben, sondern im Sein. Das Leben hat eine materielle und eine existenzielle Seite. Diese werden plakativ als Haben und Sein bezeichnet. Die Habseligen sind offensichtlich der Meinung, dass sie durch materielles Haben auch ihre Existenz meistern könnten. Sie unterliegen damit einem gewaltigen Trugschluss. Die Habseligen möchten letztendlich auch nur glücklich sein. Durch ihren exzessiven Konsum geraten sie jedoch nur in eine Negativspirale. Wenn sie sich ihre Wünsche erfüllen, verspüren sie zwar eine innere Befriedigung. Diese hat aber einen flüchtigen Charakter. Die Habseligen fühlen sich schon nach kurzer Zeit nicht mehr mit dem zufrieden, was sie erst vor Kurzem erworben haben. So kommt es, dass sie ihren Konsum permanent steigern müssen, um Glücksgefühle zu erleben. Die Habsucht hält viele Wohlstandbürger vom Teilen zurück. Sie macht sie gleichzeitig nicht glücklicher. Denn jeder Genuss unterliegt einem Abnutzungseffekt. Je stärker wir ihm nachgehen, desto größer muss die Dosis sein, um unser Verlangen danach zu befriedigen. Die Habseligen brauchen immer mehr, um denselben Befriedigungseffekt zu erzielen. Die immer größer werdende Konsumabhängigkeit löst bei ihnen zunehmend Frustrationen aus.
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Die Habseligen durchschauen mit der Zeit immer mehr ihre materielle Abhängigkeit. Sie kommen sich wie ein Esel vor, der einer Karotte nachjagt. Diese hängt zwar immer vor ihren Augen und zwingt sie dazu, den Karren immer weiter zu ziehen. Sie merken aber, dass es ihnen nicht gelingen wird, sie wirklich in den Mund zu bekommen. Dagegen hilft nur ein radikales Umdenken. Habsucht führt in die immer größere Frustration | und erfordert radikales Umdenken. Aus der frustrierenden Habsucht führt nur ein Weg heraus. Das Leben darf nicht nur als Haben, sondern muss auch als Sein gesehen werden. Dafür ist aber ein mentaler Quantensprung erforderlich. Wie dieser gelingen kann, wird im nächsten Kapitel dargestellt. Der Neid der Frustrierten Der Konsum führt nicht nur dann in die Frustration, wenn man ihn aus Habsucht praktiziert. Auch wenn wir uns nicht alles leisten können, was wir gerne hätten, bleiben frustrierende Gefühle nicht aus. Sie kommen in diesem Fall als Neid zum Vorschein. Wer neidisch ist, gönnt dem anderen nichts, was er sich selbst nicht leisten kann. Der Neid wird durch die auseinandergehende Schere von Arm und Reich gefördert. Angesichts dieses Spaltungsprozesses findet zurzeit eine „Neiddebatte“ über Unternehmensgewinne und Managementgehälter statt. Die gefährlichsten Auswirkungen dieser öffentlichen Diskussionen spielen sich aber im Kopf der
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Bürger ab. Viele Menschen, die nicht so viel haben, wie sie gerne besitzen würden, orientieren sich zunehmend mehr am Lebensstil der Reichen als an der Befriedigung der eigenen Bedürfnisse. Das führt zu einem Neidbewusstsein, das auch den sozialen Frieden belastet. Es gibt in unserer Gesellschaft zahlreiche Wohlhabende, die anfangen, sich als Wenighabende zu fühlen. Da viele von ihnen für ihr Geld heute eher weniger bekommen als früher, während die Wohlstandselite immer pompöser lebt, gewinnen sie den subjektiven Eindruck, als ob es ihnen nicht gut ginge. Dadurch werden sie nicht nur neidisch, sondern interessieren sich auch immer weniger für ihre Mitmenschen. Obwohl sie früher vielleicht geteilt haben, hören sie jetzt damit auf, weil sie fälschlicherweise glauben, sich das nicht mehr leisten zu können. die Aufmerksamkeit auf die Reichen, anstatt | sieNeidauflenkt die Armen zu richten. Der Neid spaltet unsere Gesellschaft. Er stört auch unseren sozialen Frieden und wirkt dem Teilen entgegen. Der Grund dafür liegt im Glauben, dass es selbstverständlich sei, wenn die Reichen etwas von ihrem Vermögen abgeben. Wer so denkt, hält es beispielsweise nicht für nötig, sich für eine Spende zu bedanken. So gab es einmal einen wohlhabenden Bürger, der jedes Jahr eine größere Summe an eine Spezialklinik spendete. Danach erhielt er jedes Mal einen Dankesbrief der Direktion und freute sich darüber. Als nach einem Wechsel der Klinikleitung keine Briefe mehr kamen, obwohl die Spenden weiterflossen, hörte der Mann irgendwann mit seiner Großzü-
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gigkeit auf. Er war verärgert, weil man sein Engagement offensichtlich für selbstverständlich hielt. Menschen, die teilen, haben keinen Rechtsanspruch auf eine Gegenleistung. Sie können diese aber berechtigterweise erwarten. Dabei geht es ihnen nicht um eine materielle Belohnung. Vielmehr suchen sie nach sozialer Anerkennung. Es ist nicht unhöflich, sondern einfach nur dumm, wenn man sich nicht für eine Zuwendung bedankt. Auch wenn jemand im Geld schwimmt, überlegt er auch fast immer, wem wie viel und wozu er davon abgibt. Er will sein Vermögen nicht verschwenden, sondern damit etwas Sinnvolles bewirken. Diese Einstellung verdient unseren Respekt und unsere Dankbarkeit. Der relative Wohlstandsverlust kann manchmal respektlos und undankbar machen. Dabei lässt er in der Regle noch genug materielle Ressourcen übrig, um produktiv teilen zu können. Viele Bürger ziehen daraus aber eine entgegengesetzte Konsequenz. Weil sie nicht mehr konsumieren können, wie sie es vielleicht gewohnt waren, versuchen sie diesen Verlust durch geschicktes Verhalten zu kompensieren. Sie werden zu schlauen Konsumenten. Die Schlauheit der Konsumenten Die Schlauheit ist die Fähigkeit, das strategische Denken zum eigenen Vorteil einzusetzen. Der Schlaue ist in der Lage, ein Handlungssystem zu durchschauen und es egoistisch auszubeuten. Schauen wir uns dieses Phänomen an einem alltäglichen Beispiel an. Es geht um den Fachhandel, der in Deutschland
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eine kleine Stütze unserer Volkswirtschaft ist. Der Fachhandel bietet qualifizierte Arbeitsplätze und verfügt über hohe Beratungskompetenz. Davon profitieren auch die Bürger, die beim Einkaufen nach dem besten Angebot suchen. Viele von ihnen nehmen die Beratung gerne in Anspruch. Sie kaufen aber lieber beim Discounter oder im Internet, weil es dort billiger ist. Die Konsumenten, welche die Beratungsleistungen des Fachhandels kostenlos in Anspruch nehmen, um anschließend woanders zu kaufen, handeln aus ihrer Perspektive sehr schlau. Dadurch richten sie aber auch die Fachhändler zugrunde. Würde unsere Volkswirtschaft überwiegend von diesem Dienstleistungsbereich abhängen, könnten wir in der kürzesten Zeit unseren Wohlstand vergessen. Zum Glück stehen wir nicht in einer solchen einseitigen Abhängigkeit. Dennoch stellt die individuelle Schlauheit eine ernsthafte Bedrohung für unsere ganze Gesellschaft dar. Denn sie wird zunehmend in allen Lebensbereichen praktiziert. Während die Trägheit, der Geiz, die Habsucht und der Neid das Teilen aus unserer Wahrnehmung einfach nur ausblenden, wendet sich die Schlauheit bewusst und gezielt dagegen. Sie sagt uns unverblümt, dass es dumm sei zu teilen. Dabei verfügt sie über recht überzeugende Argumente. Denn das materielle Kalküldenken steht eindeutig auf ihrer Seite.
bringt die überzeugendsten Argumente, | dieSchlauheit uns vom Teilen abhalten.
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Die persönliche Schlauheit ist bei uns fast schon zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Sie erscheint vielen auch als legitim. Wenn wir schlau handeln und Situationen zu unserem Vorteil ausnutzen, begehen wir tatsächlich kein Unrecht, weil wir systemkonform agieren. Dennoch führt ein solches Verhalten zu schwerwiegenden Konsequenzen. Die Konsequenzen des Eigennutzdenkens Wenn wir von der Schlauheit beherrscht sind, verlieren wir die innere Stabilität. Die wirtschaftlichen Zyklen lösen bei uns dann starke emotionale Schwankungen aus. Bei guter Konjunktur führen sie oft zu Euphorie und Übermut. Bei schlechter wirtschaftlicher Lage sorgen sie dagegen für ein Klima der Verunsicherung. Dann fühlen wir uns alle bedroht. Die Wohlstandselite fürchtet um ihren materiellen Besitz. Die Mittelschicht hat Angst vor sozialem Abstieg. Die Wenighabenden beklagen sich über den Verlust der Lebensqualität. Die Nichtshabenden sind verzweifelt. Jede Interessengruppe verschanzt sich hinter ihren Ansprüchen und versucht sie strategisch durchzusetzen. Die Schlauheit einzelner Interessengruppen besteht darin, das strategische Denken nicht für die Allgemeinheit, sondern ausschließlich zum Eigennutz einzusetzen. Sie lässt alle ethischen Gebote außer Acht. Dadurch wird auch unsere Wirtschaft einer zunehmenden Beanspruchung ausgesetzt. Es ist wie bei einer alten Dampflokomotive. Die Maschine funktioniert nicht mehr richtig, doch der Kessel steht wie zu den besten Zeiten unter Volldampf. Wir heizen ein, weil wir uns keine Nachteile gefallen lassen wollen. Damit bewirken wir aber gerade das Gegenteil. Wir
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belasten zunehmend das System und laufen Gefahr, dass es irgendwann auseinander bricht. Wie könnte das System entlastet werden? Nur durch eine ethische Neuausrichtung. Die Wohlstandsbürger sollten nicht so viel fordern und sich stattdessen mehr auf ihre soziale Verantwortung besinnen. Damit stoßen wir aber auf eine Unwägbarkeit. Kaum jemand glaubt, dass er an der Entwicklung schuld ist. Deshalb kommt für ihn ein Verzicht auf das Eigennutzdenken nicht infrage. Wer ist für die Probleme unserer Gesellschaft verantwortlich? Ist es die Regierung, die ihre Wahlversprechen nicht erfüllt? Oder ist es die Opposition mit ihrer Blockadepolitik? Sind es die Unternehmen, die ihre Wettbewerbsfähigkeit verlieren? Oder sind es die Gewerkschaften mit ihren überhöhten Lohnforderungen? Vielleicht sind die Topmanager schuld, weil sie sich mehr für den eigenen Vorteil als für das Wohl ihrer Firmen interessieren. Oder haben die Arbeitnehmer nicht mehr die richtige Qualifikation, Einstellung oder Motivation? Alle diese Fragen lassen sich nicht eindeutig beantworten. Doch die Vertreter der einzelnen Interessengruppen behaupten, dass dies möglich sei. Sie geben die Schuld einfach den anderen. Zu diesem Zweck entwickeln sie gruppenspezifische oder individuelle Verfehlungstheorien. Dabei ist es eigentlich gar nicht wichtig, wer wen für schuldig erklärt. Die einzelnen Verfehlungstheorien helfen kaum, das Eigennutzdenken zu überwinden. Sie wollen uns nur davon ablenken, dass die Kritiker selbst meist nur ihre Eigeninteressen verfolgen.
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Unser Eigeninteresse steht oft höher als der Wille | zur gemeinsamen Problemlösung.
Jede gemeinsame Lösung beginnt mit der Einsicht in die Beschaffenheit des Systems, in dem wir handeln. Im Falle der Wohlstandsgesellschaft kommt dabei eine Grundambivalenz zum Vorschein. Denn diese ist ökonomisch dann am stärksten, wenn die Wirtschaft sozial am rücksichtslosesten agiert. Es gilt auch umgekehrt: Je sozial orientierter das Wirtschaftssystem ist, desto geringer ist der ökonomische Ertrag für die Gesellschaft. Jede einseitige Interessenvertretung zugunsten der ökonomischen Stärke oder der sozialen Gerechtigkeit führt deshalb kaum zu gewünschten Ergebnissen. Der Kampf um die Stabilität Schauen wir uns zum Schluss dieses Kapitels die mentalen Widersacher des Teilens im gesellschaftlichen Zusammenhang an. Unser Wirtschaftssystem ist auf Konsum aufgebaut. Eine einseitige Konsumorientierung fördert aber die Trägheit, den Geiz, die Habsucht, den Neid und vor allem die Schlauheit. Dadurch wird das Wirtschaftssystem destabilisiert und der soziale Frieden gestört. Dagegen ist eine Kompensationsleistung erforderlich. Unsere Gesellschaft war immer schon auf die Kompensation angewiesen. Ihre Stabilität hing maßgeblich von den Ausgleichszahlungen ab. Früher waren wir aber stärker in eine Solidaritätsgemeinschaft eingebettet. Diese wird heute zunehmend durch das Eigennutzdenken ausgehöhlt. Dagegen können die Politiker kaum etwas ausrichten. Sie haben in der Regel nicht genügend
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Ressourcen, um für die notwendige Kompensation zu sorgen. Jede Regierung steht auch im Konflikt zwischen ökonomischen und sozialen Zielen. Im Notfall gibt die Politik der Wirtschaft den Vorrang, weil diese für unseren Wohlstand sorgt. So schreitet die Ausgrenzung der sozial Schwächeren voran. Dabei kommt ein Problem erschwerend hinzu. Durch die Öffnung der Grenzen strömen immer mehr Menschen in unser Wirtschaftssystem hinein, die auf der Suche nach Arbeit und Brot sind. Aus ökonomischer Not nehmen sie soziale Nachteile in Kauf. Ihre Lebenssituation macht Integrationsmaßnahmen notwendig, die zusätzliches Geld kosten. Wird dieses Geld knapp, wachsen die sozialen Spannungen. Sie belasten nicht nur unser Zusammenleben, sondern schaden auch der Wirtschaft. Das Konsumklima ist äußerst anfällig. Die gesamte Entwicklung erfordert deshalb Kompensationsmaßnahmen, die nicht durch das Eigennutzdenken korrumpierbar sind. Albert Einstein hat einmal Folgendes gesagt: „Die Welt, die wir geschaffen haben, ist das Resultat einer überholten Denkweise. Die Probleme, die sich daraus ergeben, können nicht mit der gleichen Denkweise gelöst werden, durch die sie entstanden sind.“ Leider hat Einstein uns nicht verraten, um welche Denkweise es sich dabei handelt. Doch es ist anzunehmen, dass sich die alte Denkweise auf das System der freien Marktwirtschaft bezog. Demnach war der Wohlstand ein Ergebnis des egoistischen Gewinnstrebens im Rahmen eines offenen Wettbewerbs. Der Kapitalismus hat uns tatsächlich den Wohlstand beschert. Um seine Früchte zu erhalten, müssten wir jetzt stärker auch seine sozialen Ungerechtigkeiten kompensieren.
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Wir sollten das System der Wohlstandsgesellschaft nicht | verändern, es jedoch gerechter nutzen. Die Gerechtigkeit ist eine Frage der Gesinnung. Wie lässt sich aber Ethik mit Ökonomie versöhnen? Die Beantwortung dieser Frage ist für das Teilen entscheidend. Davon handelt das nächste Kapitel.
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Kapitel 5 Die geteilte Welt Der materielle Ausgleich ist ein wichtiger politischer Grundsatz unserer Gesellschaft. Er leitet sich aus einer doppelten Ungerechtigkeit bei der Güterverteilung ab. Zum einen ist das Eigentum nicht gleich verteilt. Zum anderen haben die Reichen, die über viel Kapital verfügen, auch die größten Chancen, ihr Vermögen zu vermehren. Dabei besitzen wenige viel, während viele nur wenig haben. Vor diesem Hintergrund steht die Idee der Gerechtigkeit. Die herkömmliche Ethik des Teilens lässt ein einen Reflex auf die gewaltigen Vermögensunterschiede unter den Gesellschaftsschichten, Rassen und Völkern interpretieren. Sie verpflichtet uns zu teilen, um ökonomisch oder sozial bedingte Ungerechtigkeiten auszugleichen. Damit ist das Teilen ein Korrektiv dafür, dass die Welt nicht so ist, wie sie sein sollte. Wir sollten teilen, weil die Welt nicht so ist, | wie sie sein sollte. Über die Ungerechtigkeit der Güterverteilung gibt es viele Statistiken und Vergleiche. Eine Familie in der Dritten Welt muss beispielsweise von einem Betrag im Monat leben, der einem Wohlstandbürger in Deutschland nicht reichen würde, um in einer Gaststätte zu Mittag zu essen. Auch innerhalb unseres Landes lassen sich gravierende Abweichungen in Vermögensverhältnissen feststellen. So wird beispielsweise kritisiert, dass von der Gehalts-
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hälfte eines Konzernvorstandes Hunderte von Arbeitsplätzen eingerichtet werden könnten. Solche Vergleiche sind wichtig, um auf die Notwendigkeit des Teilens hinzuweisen. Sie bewirken allerdings nicht allzu viel. Eine, der Gründe dafür liegt darin, dass die Kritik keine positiven Folgen nach sich zieht. Die Rolle der Wohlstandselite Glaubt man den Medienberichten, droht unsere Gesellschaft immer mehr ihre ethischen Grundlagen zu verlieren, weil die Wohlstandselite mit schlechtem Beispiel vorangeht. Fast tagtäglich erreichen uns Nachrichten, die ein sehr trübes Bild der ethischen Qualitäten unserer prominenten Mitbürger zeigen. Einige, die Millionen verdienen, sind offensichtlich mit ihrem Vermögensverhältnissen noch nicht ganz zufrieden. Sie transferieren beispielsweise ihr Geld auf illegale Weise ins Ausland, um keine Steuern zahlen zu müssen. Andere tragen ihren Reichtum zur Schau und leben nach dem Prinzip der Verschwendung. Die Egozentrik, die im verschwenderischen und betrügerischen Umgang mit dem Geld zum Vorschein kommt, zerstört das ethische Bewusstsein der Bevölkerung. Die Medien vermitteln uns immer mehr das Bild, dass die Reichen dem Egoismus frönen und sich immer weniger für das Schicksal des Landes interessieren. Ob das wirklich stimmt, sei dahin gestellt. Entscheidend ist nur die negative Wirkung. So sind heute viele Bürger der Meinung, dass sich die Wohlstandselite voll ihr Lebensglück gönnt, während sie immer weniger besitzen. Es gibt keine Ethik, die nur für Reiche gilt. Deshalb darf sich die Wohlstandselite keine ethischen Freiheiten herausnehmen.
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Wenn sie es trotzdem tut, untergräbt sie die sozialen Grundlagen unserer Gesellschaft. Das hat auch verheerende moralische Konsequenzen. Viele Menschen sind von den Reichen enttäuscht. Auf der anderen Seite versuchen sie ihnen nachzueifern und geben deshalb ihre sozialen Wertvorstellungen immer mehr auf. Das führt zum allgemeinen Sittenverfall, der auch unsere Gesellschaft als Ganzes tangiert. Denn ohne ethisches Wertebewusstsein richten wir auch unseren Wohlstand zugrunde. Der Verschwendungsdrang der Wohlstandselite | untergräbt unser ethisches Wertebewusstsein. Würde die Wohlstandselite beim Teilen im breiten Ausmaß mit gutem Beispiel vorangehen, hätten wir ein paar Probleme weniger. Die öffentliche Auseinandersetzung über die Gerechtigkeit der Besitzverhältnisse würde dadurch allerdings noch nicht zum Abschluss kommen. Das liegt daran, dass sie auf einem faktischen Gegensatz beruht. Denn in unserem gesellschaftlichen Leben stehen sich Ökonomie und Ethik als zwei unterschiedliche Bewusstseinsformen gegenüber, die häufig für Zielkonflikte sorgen. Das Spannungsverhältnis zwischen Ökonomie und Ethik Schauen wir uns die Spannung zwischen dem ökonomischen und dem ethischen Bewusstsein etwas genauer an. Sie spiegelt sich in einer volkstümlichen Redewendung wider: Bei Geld hört die Freundschaft auf. Warum eigentlich? Warum trennen wir zwischen wirtschaftlichem Denken und sozialer Einstellung? Und warum
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ist es so schwer, ökonomische und ethische Zielvorstellungen unter ein gemeinsames Dach zu bringen? Ein Problem liegt im unbedingten Charakter ethischer Forderungen. Ein Paradebeispiel dafür ist der kategorische Imperativ. Es handelt sich dabei um ein strenges Soll-Gebot, das keine Kompromisse zulässt. Wir sollten uns danach richten, egal, welche Folgen sich daraus ergeben. Auch wenn wir dadurch zum Beispiel unseren Arbeitsplatz verlieren würden, gilt es, das vorgeschriebene Gebot einzuhalten. Dies ist ziemlich realitätsfremd, da wir zu der Haltung der ethischen Unbedingtheit oft einfach nicht in der Lage sind. Wir sehen auch kaum einen Sinn darin, sittlich zu handeln, wenn wir uns dadurch selbst in das eigene Fleisch schneiden. Wir haben zwar ein schlechtes Gewissen, wenn wir etwas Unrechtes tun. Doch wir folgen oft nicht den ethischen Geboten, wenn unsere ökonomischen Interessen bedroht sind. Unsere Gesellschaft hat das Dilemma erkannt. Sie hat eine unsichtbare Mauer zwischen der wirtschaftlichen und der sozialen Sphäre errichtet. Diese soll uns davor schützen, in unauflösbare Zielkonflikte von Ökonomie und Ethik zu geraten. Wir haben diese Mauer im Kopf, wenn wir zum Beispiel über geschäftliche Dinge reden. Deshalb hört bei vielen die Freundschaft auf, wenn es um Geld geht. Davon ist auch das Teilen betroffen. Viele teilen dann nicht, wenn es sich dabei nicht um Freundschaft, sondern um Geld handelt. Ökonomie und Ethik sind in unserer Gesellschaft zu ambivalenten Bewusstseinsformen geworden. Sie stehen im inneren
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Wettbewerb um das Weisungsrecht für unsere beruflichen und privaten Alltagsentscheidungen. Doch es handelt sich um zwei ungleiche Konkurrenten. Denn die ökonomische Einflusssphäre verfügt über erheblich mehr Macht. Das Kalküldenken der Egozentrik drängt die ethische Einstellung des Teilens immer mehr an den Rand der Gesellschaft. Das strategische Kalküldenken verdrängt immer | mehr die ethische Einstellung des Teilens. Wir verzichten nicht auf die Ethik insgesamt. Wir verbannen sie aber zunehmend aus dem wirtschaftlichen Bereich, weil ihre Grundsätze dort nicht konfliktfrei zu realisieren sind. So lässt die kapitalistische Wirtschaft ethische Anforderungen lieber links liegen und konzentriert sich auf ökonomische Zielsetzungen, die auf die Gewinnmaximierung ausgerichtet sind und deshalb die Schaffung von Ungleichgewichten fördern. Dieser Prozess erfordert sozialen Ausgleich, für den normalerweise die Ordnungspolitik zuständig ist. Die Bürde der Ordnungspolitik Wir leben in einem ambivalenten Wertesystem, in dem der Ordnungspolitik eine Brückenfunktion zukommt. Die freie Wirtschaft strebt nach Profit. Die Gesellschaft soll sich an sozialen Werten orientieren. Der Staat hat eine ausgleichende Aufgabe, indem er entstehende Ungleichgewichte korrigiert. Das Ganze ergibt die soziale Marktwirtschaft. So lautet wenigstens die Theorie. Die Praxis sieht anders aus. Die ausgleichende Ordnungspolitik kann ihre Aufgaben nicht mehr so gut bewältigen wie
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früher. Angesichts der globalen Entwicklungen ist sie kaum noch in der Lage, das Auseinandergehen der Schere zwischen Arm und Reich zu stoppen. Liegt das etwa an der Kompetenz der Politiker oder an den Spielregeln des Wirtschaftssystems? Die Antwort lautet einerseits „sowohl als auch“. Sowohl politische Entscheidungen als auch ökonomische Zwänge tragen zur Verschärfung sozialer Probleme bei. Andererseits lautet die Antwort „weder noch“. Denn weder die Politik noch die Wirtschaft können die sozialen Probleme lösen, wenn sich die Elite selbst nur an eigenen Interessen orientiert und keine soziale Verantwortung übernimmt. Wir wurden jahrzehntelang daran gewöhnt, dass die Ordnungspolitik für den sozialen Ausgleich zuständig war. Davon profitierte das Gewissen der Wohlstandsbürger. Sie konnten die Verantwortung für eine gerechte Gesellschaft an den Staat delegieren. Von diesem vermeintlichen Delegationsrecht haben sie stets regen Gebrauch gemacht. Wir glaubten lange Zeit, dass die soziale Marktwirtschaft für die Prosperität und Stabilität sorgen würde, während wir uns auf uns selbst konzentrieren durften. Jetzt merken wir langsam, dass das ein Trugschluss war. Die Ressourcen und Handlungsspielräume der Ordnungspolitik nehmen ab, während ökonomische Ungleichgewichte zunehmen. Deshalb sollten wir uns alle wieder auf unsere soziale Verantwortung besinnen. Die Verantwortung für eine gerechte Gesellschaft | darf nicht nur an den Staat delegiert werden.
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Was passiert, wenn wir nur noch als Egozentriker denken und handeln? Dann nutzen wir die Spielräume, die uns zur Ausschöpfung unserer eigenen Vorteile geboten werden. Diese Einstellung wurde im letzten Kapitel als „Schlauheit“ dargestellt. An dieser Stelle wollen wir uns etwas genauer anschauen, welchen Schaden sie der Allgemeinheit zufügt. Die ausgebeuteten Ordnungsregeln Die meisten Ordnungsregeln unserer Gesellschaft sind gut und zweckmäßig. Sie werden aber oft nicht als Ordnungsregeln befolgt, sondern zunehmend strategisch zum eigenen Vorteil angewandt. Daraus ergeben sich schwerwiegende Folgen. Nehmen wir als Beispiel nur unser Gesundheitssystem. Als die Bundesrepublik Deutschland noch eine junge Demokratie war, deren Bürger sich auf den wirtschaftlichen Wiederaufbau konzentrierten, achtete der Staat besonders auf die soziale Fürsorge. Aus dieser Zeit stammt eine Reihe von Regeln, die auf die Aufrechterhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit zielten. Dazu zählte zum Beispiel die Gewährung von Kuraufenthalten. Diese waren als Kompensationsleistung für diejenigen gemeint, die schwer arbeiten mussten, ohne sich im Rahmen der eigenen finanziellen Möglichkeiten regenerieren zu können. Der kostenlose Kuraufenthalt ist heute keine selbstverständliche Leistung der gesetzlichen Krankenkassen mehr. Es ist einfach zu teuer geworden, ihn allen denjenigen zu bewilligen, die ihn beantragen. Die Anzahl der Anträge stieg dabei nicht etwa deshalb an, weil immer mehr Bürger kurbedürftig wurden. Sie erhöhte sich vielmehr in dem Maße, wie die Regelung strategisch zum eigenen Vorteil ausgebeutet wurde.
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Ein anderes Beispiel stellt die Besteuerung dar. Eine grundsätzliche Regel unseres Steuersystems besagt, dass die Gutverdienenden einen Teil ihrer Gewinne als Steuern abführen sollten. Sozial ist diese Regel sehr vernünftig. Der Gewinn wird geteilt, damit wir alle etwas davon haben. Die Praxis sieht jedoch anders aus. Das Besteuerungssystem ist unübersichtlich und sehr aufwendig. Jedes Jahr kommen neue Regeln dazu. Sie werden mit der Absicht erlassen, das System besser zu machen und bewirken gerade das Gegenteil. Die profitablen Unternehmen begnügen sich schon lange nicht damit, Gewinne zu erwirtschaften, um diese anschließend besteuern zu lassen. Vielmehr beuten sie die gesetzlichen Regelungen strategisch aus. Sie versuchen, den Gewinn zu minimieren und buchungstechnisch so auszuweisen, dass sie möglichst geringe Steuern zahlen müssen. Zu diesem Zwecke beschäftigen sie hochqualifizierte und hochbezahlte Finanzexperten. Ordnungsregeln der Solidargemeinschaft scheitern | anDiestrategischem Denken. Wenn Regeln strategisch angewandt werden, muss die Fehlentwicklung korrigiert werden. Dabei wird meistens ein recht untaugliches Verfahren praktiziert. Die Ordnungspolitik erlässt weitere Regeln, die das Wirtschaftssystem nur komplexer und damit ineffizienter machen, weil sie den Egoismus nur weiter fördern, anstatt ihn zu dämpfen. Dagegen wäre es notwendig, das System zu vereinfachen und dabei seine Ambivalenzen zwischen Ökonomie und Ethik auszugleichen.
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Das System und die Ambivalenzen Die erste Ambivalenz besteht darin, dass unser Wirtschaftssystem zwar sehr komplex, aber überhaupt nicht kompliziert ist. Die Komplexität beschreibt dabei die Grundstruktur des Systems. Die Kompliziertheit bezieht sich dagegen auf die Fähigkeit der Akteure, in dem System zurechtzukommen. In einer komplexen Struktur gibt es eine unendliche Anzahl von Situationen und Varianten. Kompliziert ist ein System, wenn die Akteure möglichst viele dieser Varianten beherrschen müssen, um erfolgreich agieren zu können. Unser Wirtschaftssystem ist sehr komplex. Es ist aber überhaupt nicht kompliziert. Deshalb kann jeder Akteur ohne große Mühe mitspielen. Dies ist allerdings an die Bedingung geknüpft, dass er sich egoistisch verhält. In ein paar Jahren vom Tellerwäscher bis zum Millionär. Dieser Traum ist unzählige Male in Erfüllung gegangen. Ausschlaggebend dafür war meistens die Fähigkeit, sich einzig und allein auf die Verfolgung der eigenen Ziele zu konzentrieren. Man machte sich nicht viel Gedanken über die Komplexität des Systems, sondern folgte zielstrebig der persönlichen Erfolgsvision. Eine geringe Kompliziertheit ist an sich gut. Sie lässt zu, dass recht viele mitspielen können und von dem System profitieren. Das System wird aber immer instabiler, wenn sich immer mehr Akteure vom eigenen Interesse leiten lassen, ohne die gesamte Komplexität zu überblicken. Das gilt vor allem für Managementkarrieren. Wer als Spieler erfolgreich war, muss nicht unbedingt ein guter Trainer sein. Bei Management ist es ähnlich. Ent-
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scheidend für den Führungserfolg sind nicht die eigenen Erfolge, die man innerhalb des Systems erreicht hat. Vielmehr kommt es darauf an, die Funktionsweisen des Systems als Ganzes zu erfassen, um es steuern zu können. Wer an die Führungsspitze kommen will, muss sich dem Wettbewerb um Leitungsfunktionen stellen. Dabei ist es nicht möglich, dass alle Akteure jede Position erreichen. Nur die Besten haben die Chance, sich durchzusetzen. Damit kommt ein zweites Ambivalenzmerkmal zum Vorschein. Unser Wirtschaftssystem ist wettbewerbsorientiert, aber nicht zukunftssichernd. Denn was in den Kapitalgesellschaften zunehmend zählt, ist der kurzfristige Erfolg. Das Management kommt aus dem Leistungsdruck nicht heraus. Wer dreimal hintereinander verloren hat, ist als Trainer gefährdet. Bei Geschäftsführern und Vorständen gelten ähnliche Leistungsstandards. Diese kurzfristige Erfolgsperspektive beeinflusst unternehmerisches Handeln. Sie gibt auch dem Eigeninteresse neue Nahrung. Bei ihren Entscheidungen denken die Akteure oft nur noch an sich selbst. Das spiegelt sich in den Arbeitsverträgen wider. Ein Manager kann wie ein Trainer zwar von heute auf morgen entlassen werden. Deswegen muss er aber nicht auf sein Geld verzichten. Er bekommt in der Regel eine beträchtliche Abfindung, weil er sich gegen diesen Fall vertraglich abgesichert hat. Die Ausstiegsprämie wird ganz unabhängig davon gezahlt, was man eigentlich geleistet hat und wie es dem Unternehmen wirtschaftlich geht. Die Priorität des Eigeninteresses ist eine Reaktion auf den enormen kurzfristigen Erfolgsdruck. Dadurch wird die Egozen-
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trik gefördert. Immer weniger Entscheider denken zukunftsorientiert. Stattdessen verwenden sie einen großen Teil ihrer Energien auf ihre eigene Absicherung. Unter diesen Bedingungen wird unser Wirtschaftssystem immer unstabiler. Damit macht sich ein drittes Ambivalenzmerkmal bemerkbar. Unser ökonomisches System belohnt die Leistung des Managements. Es stärkt aber nicht die Stabilität der Unternehmen. Mit seinen Entscheidungen bestimmt das Management die Unternehmensentwicklung. Hier kommt es häufig zu Zielkonflikten. Um entwicklungsfähig zu bleiben, müsste das Unternehmen auch bereit sein, in die Zukunft zu investieren, auch wenn man dadurch vorübergehende Durststrecken in Kauf nehmen würde. Das scheitert oft an kurzfristiger Erfolgsorientierung. Wem wollen wir dafür die Schuld geben? Die Gefahr ist groß, dass hier das Management verurteilt wird. Das wäre aber falsch. Denn auch in diesem Fall verhalten sich die Führungsverantwortlichen nur systemkonform.
Wirtschaftssystem fördert den Egoismus | derUnserFührungsverantwortlichen. Der strategische Egoismus greift nicht nur im Wirtschaftsbereich immer mehr um sich. Im Zuge der Kommerzialisierung bestimmt er auch zunehmend das soziale Zusammenleben. Schritt für Schritt verschwindet die Ethik aus dem Bewusstsein der erfolgsorientierten Akteure. Ist das eine zwangsläufige Folge des Spätkapitalismus oder können die Unternehmen etwas dagegen tun?
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Ethik als unternehmerische Herausforderung Die wirtschaftlichen Prozesse des Kapitalismus werden durch die Produktivkräfte angetrieben. Dabei müssen Geld, Knowhow und Arbeit zusammengeführt werden. Die herkömmliche Vorstellung, dass es sich bei den Produktivkräften nur um ein duales Verhältnis zwischen der Investitionskraft des Kapitals und der Arbeitskraft der Belegschaft handelt, greift im globalen Wettbewerb zu kurz. Denn es kommt heute im Wesentlichen auf das Wissen und Können des Managements an, wenn sich ein Unternehmen in den umkämpften, dynamischen Märkten behaupten will. Dieser Faktor heißt Know-how. Er bildet eine Schnittmenge zwischen Kapital und Arbeit. Manager sind einerseits Mitarbeiter. Sie lassen sich aber in den seltensten Fällen von einer Gewerkschaft vertreten. Stattdessen handeln sie mit den Anteilseignern in der Regel leistungsbezogene Verträge aus, die ihnen einen Anteil an der Verzinsung des eingesetzten Kapitals garantieren. Deshalb sind sie wie ihre Geldgeber am Gewinn interessiert und können unter diesem Aspekt der Kapitalseite zugeordnet werden. Weil das Know-how in den globalen Märkten immer geschäftsentscheidender wird und sich dessen Träger immer mehr auf die Seite der Anteilseigner schlagen, steigen nicht nur die Managementgehälter immer mehr nach oben. Viel wichtiger ist es, dass der Kapitalfaktor gegenüber dem Arbeitsfaktor immer mehr an Einfluss gewinnt. Dieses Ungleichgewicht treibt auch die Schere zwischen Arm und Reich immer mehr auseinander. Es sorgt für Besitzverhältnisse, die zunehmend als ungerecht empfunden werden. Vor diesem Hintergrund ist das Teilen
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eine Kompensationsstrategie gegen die destruktive Kraft des Kapitalismus. Es kann von den Unternehmen gezielt verfolgt werden. Teilen können Unternehmen die Ungerechtigkeiten | desMitKapitalismus kompensieren. Die Unternehmen sollten nicht auf Kapital verzichten, dessen Erträge jedoch auch sozial verwenden. Diese Vorstellung ist aber in der Öffentlichkeit nicht unumstritten. Denn es gibt viele Stimmen, die eine Umverteilung des gesamten Eigentums fordern. Damit wollen sie unser Wirtschaftssystem nach ideologischen Vorstellungen ändern. Der Kampf der Ideologien Der Profit entsteht aus den Geschäftsprozessen der Marktwirtschaft. Er ist ein Ergebnis des Tauschens. Die produzierten Waren oder die erbrachten Dienstleistungen tauschen ihre Besitzer. Die Geschäftstreibenden können dabei einen Mehrwert erzielen, der auch für das Teilen zur Verfügung steht. Daran ist die Frage nach der Gerechtigkeit gekoppelt. Warum müssen die Reichen noch reicher werden, bevor sie anfangen abzugeben? Wäre es nicht viel gerechter, wenn sie sich gleich von einem Teil ihres Eigentums trennen würden? Über diese Fragen gibt es unterschiedliche ideologische Auffassungen. Sie bewegen sich zwischen den Vorstellungen von Kapitalismus, Sozialismus und Kommunismus. Dabei geht es vor allem um die Eigentumsverhältnisse an den Produktions-
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mitteln. Die kapitalistische Auffassung besagt, dass das produktive Eigentum in privater Hand bleiben soll. Der sozialistische Ansatz billigt dem Individuum den Besitz an Produktionsmitteln zum Teil zu, übernimmt jedoch weitgehend den dadurch erzielten Gewinn. Seine Idee gewinnt umso mehr an Einfluss, je rücksichtsloser die kapitalistische Wirtschaft agiert. Im Kommunismus regelt der Staat die Eigentumsverhältnisse, der in der Regel aus einer Revolution hervorgegangen ist und als Diktatur von einer Partei beherrscht wird. Es macht wenig Sinn, sich an dieser Stelle an dem Streit der Ideologien zu beteiligen. Es gilt nur zu begründen, warum es wenig zweckmäßig ist, das Teilen auf das gesamte Eigentum zu beziehen. Dafür gibt es zwei entscheidende Gründe. Der eine hat mit Erfahrung, der andere mit Hoffnung zu tun. Es liegen erstens keine positiven Erfahrungen vor, dass ein sozialistisches oder kommunistisches System für mehr Wohlstand gesorgt hätte als die kapitalistische Marktwirtschaft. Zwar konnten dadurch die sozialen Unterschiede ausgeglichen werden. Doch der Lebensstandard insgesamt hat sich auf diese Weise eher verschlechtert als verbessert. Hinzu kam, dass meistens eine neue Elite der Reichen entstanden war. Es handelte sich dabei um die regierende Kaste der Politfunktionäre, deren entscheidende Fähigkeit darin bestand, das System zu propagieren, zu legitimieren oder einfach nur auszubeuten. Zweitens gibt es berechtigte Hoffnung, dass der Kapitalismus das Problem des Ungleichgewichtes aus eigener Kraft löst, wenn er dafür entsprechende Spielräume zur Verfügung bekommt. Diese Hoffnung wurzelt in der hohen Flexibilität und Wandlungsfähigkeit dieses Systems. Der Kapitalismus ist kein
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Zustand, sondern ein Prozess. Er hat uns bisher schon über diverse Krisen hinweggeholfen, sodass er auch die Spannungen zwischen Arm und Reich überwinden könnte. Dabei spielt das Teilen eine wichtige Rolle. Der Kapitalismus ist ein System, in dem sich die Produktivkräfte ziemlich frei entfalten können. Er macht es möglich, dass aus einem Wert ein Mehrwert entsteht. Nicht jeder verfügt aber über ausreichende materielle Ressourcen, um sie in Waren oder Dienstleistungen zu verwandeln und anschließend auf dem Markt mit Gewinn zu veräußern. Dazu sind nur diejenigen in der Lage, die genügend Kapital haben. An dieser Stelle kommt das Teilen ins Spiel. Demnach könnten die Bedürftigen mit Kapital ausgestattet werden, um aus ihrer Armut herauszukommen. So dient das Teilen primär nicht dem Zweck, die Unterschiede zwischen Arm und Reich auszugleichen. Es soll vielmehr produktiv wirken. Diese Aufgabe muss zunehmend die Wirtschaft übernehmen. Denn die Umverteilungsprozesse des Staates allein sind offensichtlich nicht in der Lage, der zunehmenden Bedrohung durch ökonomische Ungleichgewichte nachhaltig entgegenzu wirken. Fassen wir kurz zusammen. In unserer Gesellschaft stehen sich Ökonomie und Ethik als zwei konkurrierende Bewusstseinsformen gegenüber. Das ökonomische Kalküldenken verdrängt dabei die ethische Einstellung immer mehr an den Rand der Gesellschaft. Die Ethik gibt die soziale Verantwortung zunehmend an den Staat ab, der mit seinen Umverteilungsbemühungen das Auseinanderklaffen der Schere zwischen Arm und Reich
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jedoch kaum aufhalten kann. Deshalb sollten sich die Unternehmen, die am meisten von dem kapitalistischen Wirtschaftssystem profitieren, auf ihre ethische Verantwortung besinnen, indem sie einen Teil ihrer Gewinne in produktives soziales Engagement einsetzen. Sie sollten genauso selbstverständlich teilen, wie sie vorher getauscht haben. Soziales Teilen sollte genauso selbstverständlich werden | wie ökonomisches Tauschen. Von dem Zustand, dass das Teilen in der Wirtschaft genauso selbstverständlich ist wie das Tauschen, sind wir noch weit entfernt. Das liegt an der mangelnden Einsicht in die Notwendigkeit. Wie lässt sich diese Einsicht fördern? Davon handelt das nächste Kapitel.
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Kapitel 6 Was uns zum Teilen bewegt In unserer Gesellschaft ist die ethische Einstellung einem ökonomischen Systemzwang ausgesetzt. Viele Akteure handeln strategisch und untergraben dabei ihren Willen zu teilen. Wie kann das egoistische Kalküldenken überwunden werden? Diese Frage lässt sich anhand von natürlichen, psychischen und erzieherischen Phänomenen untersuchen. Das Teilen ist in der Natur leicht zu beobachten, weil es sich dabei um ein Grundmuster des Lebens handelt. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn die Vögel ihren Nachwuchs großziehen. Nach dem Ausschlüpfen der Küken fliegen die Eltern permanent fort und kommen mit Würmern, Käfern oder irgendwelchen Krümeln wieder, die sie an ihre schreienden Kinder verfüttern. Sie teilen, obwohl sie selbst hungrig sind. Dieses Verhalten resultiert aus einer biologischen Disposition. Das Naturgesetz der Fortpflanzung, das in Form eines genetischen Codes bei Menschen und Tieren wirkt, veranlasst die Vögel, für ihre nächste Generation zu sorgen. Dies geschieht allerdings nur bis zu dem Zeitpunkt, von dem an die Jungtiere aus eigener Kraft überleben können. Damit ist das Teilen im Tierreich auf eine recht kurze Periode der Nachwuchszucht beschränkt. Bei Menschen ist das etwas anders. Wir können angeborene Handlungsmuster über den Bereich der vorbestimmten Anwen-
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dung auf andere Situationen übertragen. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass das Teilen ein allgemeines Handlungsmuster ist, mit dem das Überleben einer Art gesichert wird. Wir folgen diesem Muster instinktiv. Der Instinkt meldet sich besonders stark, wenn beispielsweise Eltern ihre Kinder in Not sehen. Er gilt völlig unabhängig davon, wie alt die Kinder sind. Teilen ist ein allgemeines Handlungsmuster des | generationsübergreifenden Überlebens. Im Unterschied zu Tieren haben Menschen die Freiheit, auch außerhalb der eigenen Familie zu teilen. Damit können wir unsere genetische Veranlagung über die biologische Sphäre hinaus praktizieren. Das ist allerdings nur möglich, wenn wir nicht unseren ethischen Gestaltungswillen aufgeben und vor allem nicht versuchen, uns als intelligente Tiere zu verstehen. Der Wille des Menschen Ob wir einen Willen haben, hängt psychologisch davon ab, ob wir unser Verhalten natur- oder geisteswissenschaftlich interpretieren. In der Naturwissenschaft werden zum Beispiel alle Fragen nach dem Ursache-Wirkungs-Prinzip beantwortet. Dabei kommt es zur Bildung von Hypothesen. Lassen sich die Hypothesen experimentell beweisen, wird eine allgemeine Theorie entwickelt, aus der Wirkungszusammenhänge objektiv, das heißt ohne Einfluss subjektiver Faktoren, erklärt werden. Wir haben uns daran schon so stark gewöhnt, dass wir viele naturwissenschaftliche Erklärungsmodelle als absolute Wahrheit sehen. Das kann fatale Folgen für unseren ethischen Gestaltungswillen haben. Schauen
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wir uns dieses Problem an der Theorie der Genetik an. Die genetische Lehre besagt, dass körperliche, organische aber auch geistige Phänomene durch das Erbgut bestimmt sind. Damit lassen sich nicht nur der Körperbau, das Aussehen und die Gesundheit, sondern auch der Charakter, die Intelligenz und sogar das Glücksempfinden auf biologische Dispositionen zurückführen. Treten deutliche Abweichungen im Erscheinungsbild, Verhalten oder den Stimmungslagen zwischen einzelnen Personen auf, so wird die Hypothese aufgestellt, dass sie durch die Erbgutanlage erklärt werden könnten. Dieses Erkenntnisstreben geht heute sogar so weit, dass sehr komplexe soziale Phänomene wie Erfolg oder Glück aus irgendeinem Gen abgeleitet werden. Die genetischen Hypothesen können experimentell bewiesen werden. Die Experimente zeigen, dass eine bestimmte Veranlagung bestimmte Verhaltensweisen nach sich zieht. Diese nahtlose Verknüpfung zwischen Ursache und Wirkung lässt keine oder nur sehr geringe Freiheitsgrade zu. Die Idee des freien Willens, der sich der festgelegten Disposition entzieht, ist so mit einem naturwissenschaftlichen Erklärungsmodell nicht vereinbar. In den Geisteswissenschaften sprechen wir zwar oft von einem Willen. Wir wissen dennoch nicht, ob er in der Natur vorkommt. In der Naturwissenschaft hat der Wille aber auf gar keinen Fall eine Daseinsberechtigung. Das liegt jedoch nicht daran, dass die Genetik es beispielsweise beweisen kann. Vielmehr ist es so, dass ein naturwissenschaftliches Erklärungsmodell den Willen von Anfang an ausschließt, weil es die Phänomene als eine zwangsläufige Folge von objektiven Ursachen darstellt. Die Naturwissenschaft bringt uns große Vorteile. Ihr ethischer Nutzen ist
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jedoch fragwürdig, wenn sie versucht, soziale Phänomene als Zwangsmechanismen erklären zu wollen. Naturwissenschaftliches Weltbild kann unseren | ethischen Gestaltungswillen einschränken. Zum Teilen mit den eigenen Kindern sind wir genetisch veranlagt. Doch wir können auch darüber hinaus teilen. Ein solches Verhalten lässt sich nicht aus der Erbanlage erklären. Vielmehr geht es dabei um bewusste Entscheidungen im Rahmen konkreter Lebensverhältnisse. Leben in ökonomischer Freiheit Stellen wir uns vor, wir hätten überhaupt keine materiellen Probleme. Stellen wir uns weiterhin vor, dass wir das Leben überwiegend schön finden würden. Auch wenn diese Vorstellung vielen als unrealistisch erscheinen mag, gibt es durchaus Personen, die in ökonomischer Freiheit leben und sie auch freizügig genießen. Wie sieht deren Verhältnis zum Teilen aus? Nicht alle Wohlhabenden gehen verschwenderisch mit ihrem Geld um. Es handelt sich vielleicht sogar um eine Minderheit, die von den Medien besonders ins Rampenlicht gestellt wird. Viele bekannte Persönlichkeiten, die sehr vermögend sind, gelten als Musterbeispiele für produktive Ressourcenverwendung und praktizieren oft das Teilen. Darunter befinden sich Unternehmer, Profisportler oder Künstler, die die Forschungs- und Entwicklungsprojekte unterstützen oder sogar einen Großteil ihres Vermögens auf eine gemeinnützige Stiftung übertragen.
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Wenn man diese großzügigen Spender nach den Motiven ihrer guten Taten fragt, erhalten wir meist sehr bescheidene Antworten. Darin scheint sich ihre grundlegende Erfahrung mit dem Leben widerzuspiegeln. Der materielle Reichtum alleine macht nicht glücklich. Das merkt man besonders schnell, wenn man sich tatsächlich alles leisten kann. In der Wohlstandsgesellschaft brauchen wir Geld, damit es uns gut geht. Wenn wir es nicht haben, fühlen wir uns als Bürger zweiter, dritter oder vierter Klasse. Für unsere Zufriedenheit ist es aber in der Regel eher zweitrangig, wie viel wir besitzen. Das liegt daran, dass die Zukunft für uns alle mehr oder weniger ungewiss ist. Niemand weiß heute mit absoluter Sicherheit, was morgen passieren wird. Auch wenn manche Wohlhabenden von sich behaupten, dass sie keine Sorgen hätten, dann nehmen sie diese einfach nur nicht zur Kenntnis oder versuchen sie im Alltag zu vergessen. Einige gehen sogar so weit, dass sie ihre Probleme durch intensive Arbeit oder exzessiven, Vergnügen verdrängen. Umso größer ist dann ihre Ernüchterung, wenn sie wieder zur Besinnung kommen. Im Kapitel 1 war davon die Rede, dass die Realität objektiv, subjektiv oder strategisch erfasst und bewältigt werden kann. Gleiches gilt für die gesamte Existenz. Unsere Einstellungen verändern sich automatisch je nachdem, ob wir das Leben aus objektiver Distanz, subjektiver Betroffenheit oder strategischem Erfolgsstreben betrachten. Bei jedem Blickwinkel kommt eine andere Art der Sorge zum Vorschein. Unsere objektiven Sorgen beziehen sich auf das Überleben insgesamt. Subjektiv denken
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wir vor allem an das Glück eines gesunden, zufriedenen und erfolgreichen Lebens. Strategisch schmieden wir Pläne, für beruflichen und privaten Erfolg. Unsere Sorge besteht in diesem Fall darin, dass wir unsere Ziele nicht erreichen würden. | Wir sorgen uns um Überleben, Glück und Erfolg. Gegen die Sorgen des Lebens hilft das Teilen. Dadurch werden wir überlebensfähiger, glücklicher und erfolgreicher. Die wirklich reichen Menschen, die sich für soziale Zwecke engagieren, haben diese Erfahrung gemacht. Sie haben vor allem erfahren, dass materieller Reichtum nicht glücklich macht. Das wahre Glück Wir streben alle nach persönlichem Glück, auch wenn wir darunter nicht immer das Gleiche verstehen. Natürlich hat jeder von uns seine eigene Vorstellung davon, was ihn glücklich macht. Das ändert aber nichts daran, dass das Glück eine bestimmte Erlebnisform hat. Es manifestiert sich im erfüllten Augenblick. Wenn wir etwas geleistet oder erreicht haben, das unsere Vorstellung vom sinnvollen Leben verwirklicht, stellen sich bei jedem von uns Glücksgefühle ein. Dann genießen wir den Augenblick, weil wir uns in diesem Moment wunschlos glücklich fühlen. Das Glück strebt nach guten Taten. Das behauptete wenigstens Goethe. Er ließ seinen Faust auf Hunderten von Versseiten nach dem erfüllten Augenblick suchen, ohne dass sich ein befriedigendes Ergebnis einstellte. Erst im Bewusstsein, immer wieder Gutes zu tun, kam der Held zu der Weisheit letztem Schluss
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und sagte: „Nur der verdient die Freiheit wie das Leben, der täglich sie erobern muss.“ Das ist natürlich nur eine Dichtung. Doch die Wahrheit des Lebens ist nicht weit davon entfernt. Menschen, die ökonomisch frei sind, erleben das produktive Teilen als ein Glücksgefühl. Sie freuen sich über ihre guten Taten genauso, als ob sie mit ihren Unternehmungen viel Geld verdient hätten. Die Freiheit, die sich im nutzwerten Engagement verwirklicht, stellt auch die höchste Form der Selbstverwirklichung dar. Dabei ist es gleichgültig, ob sich der Nutzwert auf das eigene Leben oder das Leben der anderen bezieht. | Glück vermehrt sich durch gute Taten. Das Streben nach Glück ist das stärkste psychologische Motiv des Teilens. Zu dieser Einsicht kommt jeder, der über ausreichend Geld verfügt und sich dabei die Zeit nimmt, über das Leben etwas genauer nachzudenken. Versuchen wir einfach diesen Denkprozess zu rekonstruieren. Die Entscheidungsoptionen der Reichen Wer reich ist und sich keine materiellen Sorgen mehr machen muss, hat in der Regel viel Zeit zum Nachdenken. Er kann sich wenigstens diese Zeit nehmen, weil er nicht darauf angewiesen ist, für seinen Lebensunterhalt tagtäglich arbeiten zu müssen. Dann stellt sich ihm die Frage, was er eigentlich mit seinem Geld anfangen will. Soll er es vererben, verleben, vermehren oder verteilen? Angesichts dieser vielfältigen Alternativen braucht man ein Entscheidungskriterium. Es lässt sich dabei annehmen, dass der Entscheider mit seiner Wahl auf jeden Fall glücklich werden will.
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Unter diesen Gesichtspunkten würde er das Geld mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Vererben, Verleben oder Vermehren einsetzen, während er dem Verteilen zunächst skeptisch gegenüberstehen könnte. Seine Skepsis würde sich jedoch schnell legen, wenn er sich fragt, ob die Entscheidung der Pflicht, der Neigung oder aus beiden Motiven getroffen werden sollte. Wenn wir Geld haben, sagt uns unser Pflichtbewusstsein, dass wir es nicht nur für uns ausgeben sollten. Denn unsere Kinder, Enkel und sonstige Verwandte wollen auch etwas davon bekommen. Die Verpflichtung zur Weitergabe des Vermögens an die nachfolgenden Generationen ist umso größer, je mehr wir selbst von unserem Reichtum geerbt haben. Das Vererben ist somit das Grundmuster der Pflichterfüllung im Umgang mit materiellen Werten. Der Mensch lebt aber nicht vom Brot allein. Er verspürt auch die Neigung, seine Bedürfnisse nach Lust und Laune auszuleben. Dafür ist in der Regel etwas Geld notwendig. Bei besonderen Leidenschaften müssen sogar recht hohe Beträge auf den Tisch kommen. Wer sein Vermögen aus freien Stücken verlebt, tut auch etwa Gutes. Das Gute bezieht sich allerdings auf ihn selbst, weil er es sich gut gehen lässt und sich damit – wenigstens zeitweise – glücklich fühlt. Vor die Alternative gestellt, ob wir unser Geld vererben oder verleben sollten, geraten wir unweigerlich in eine Zwickmühle. Es gibt gute Argumente für die Pflicht wie für die Neigung. In dieser Situation meldet sich unser strategisches Denken zu Wort. Es zeigt uns einen Weg auf, mit dem sich beide Ziele realisieren lassen. Dieser liegt in der Schaffung von Produktivität. Das Geld
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soll weder auf die nächsten Generationen warten noch für pure Vergnügen ausgegeben werden. Stattdessen ist es produktiv einzusetzen. Es soll sich vermehren, damit es ohne Verlust sowohl vererbt als auch verlebt werden kann. So stellt die Produktivität die effektivste Umgangsform mit materiellem Vermögen dar, weil sie den ökonomischen Erfolg mit persönlicher Zufriedenheit und der Verpflichtung gegenüber der Erbengeneration verknüpft. Produktivität verknüpft ökonomischen Erfolg mit | persönlicher Zufriedenheit und sozialer Verpflichtung. Vermögende Menschen versuchen grundsätzlich ihr Geld zu vermehren, indem sie aus dem eingesetzten Kapital einen Mehrwert erzielen. Was passiert jedoch, wenn sie den ganzen Mehrwert selbst nicht verleben können und ihre Nachkommen durch die vorhandene Masse noch genug erben werden? Dann ist es naheliegend, einen Teil des Zugewinns nach demselben Prinzip auch außerhalb der eigenen Person und Familie zu verwenden. Dies geschieht durch produktives Teilen. Der Quantensprung vom Behalten zum Abgeben Wir haben gesehen, dass das Teilen uns recht leicht fallen würde, wenn wir materiell unabhängig wären. In dieser glücklichen Situation befinden sich allerdings die wenigsten Menschen. Die meisten müssen sich um ihre ökonomischen Verhältnisse sorgen. Wenn ihr Leben darüber hinaus durch die Egozentrik bestimmt ist, können sie kaum von alleine eine positive Einstellung zum Teilen gewinnen. Vielmehr ist dafür ein menta-
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ler Quantensprung erforderlich, der am häufigsten durch einen Schock ausgelöst wird. Der Schock ist eine geistige Erschütterung, die uns an der bisherigen Lebensgestaltung zweifeln lässt. Das unmittelbare Erlebnis von Katastrophen hat schon unzählige Menschen zu einem grundlegenden Gesinnungswandel veranlasst. Manchmal genügt es schon, in eine arme Region der Welt zu reisen und die Menschen eine kurze Zeit durch die Widrigkeiten ihres Lebens zu begleiten. Wenn man dann zu unserer Wohlstandsgesellschaft zurückkehrt, ist man in der Regel von der Notwendigkeit des Teilens überzeugt. Doch dieselbe Wirkung kann sich auch einstellen, wenn wir ein tiefgründiges Freiheitsgefühl erleben. Das Freiheitsgefühl ist ein Augenblick, in dem wir uns jeglicher Zwänge entledigen. Wir fühlen uns einfach gut und sorgenfrei. In solchen Momenten versuchen wir oft unsere Freude mit anderen zu teilen. Wir laden sie spontan ein oder erfüllen ihnen einen Wunsch, den sie sich selbst nicht ohne Weiteres leisten könnten. Geteilte Freude ist bekanntlich doppelte Freude. Wer diese Erfahrung einmal nachhaltig gemacht hat, mag sie in Zukunft häufiger wiederholen. Damit setzt er sein egoistisches Kalküldenken immer mehr außer Kraft. Sein Leben verschiebt sich vom Haben zum Sein. Der Quantensprung vom Behalten zum Abgeben kann sich auch im Zuge der gezielten Bewusstseinserweiterung vollziehen. Wenn wir ganz tief in unsere Seele abtauchen, hebt sich unser Ich auf. Dann merken wir, dass zwischen allen Menschen ein natür-
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liches Band besteht, das uns mit dem Leben verbindet. Dieses Band erschließt sich uns als ein tiefes Gefühl der Liebe. Wer liebt, teilt und wird durch das Teilen geliebt. Solche spirituellen Erfahrungen haben schon manchen Wohlstandsbürger zum Teilen gebracht.
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Vom Behalten zum Abgeben ist ein geistiger Quantensprung, der durch Erschütterung, Freiheitsgefühl oder Bewusstseinserweiterung ausgelöst werden kann.
Neben diesen drei positiven Auslösern kann das Teilen auch manipulativ erzogen werden. Der Wirkungsmechanismus zielt dabei auf Mitleid oder schlechtes Gewissen. Der Zweck solcher Manipulationen kann gut gemeint sein. Dennoch sind die hierfür eingesetzten Mittel fragwürdig. Die Erziehung zum Teilen Der Zweck heiligt die Mittel. Diese jesuitische Weisheit findet heute eine breite Anwendung, wenn es darum geht, die Menschen zum Teilen zu bewegen. Die Unterhaltungsindustrie mit ihren vielen prominenten Akteuren hat längst den karikativen Bereich als öffentliche Schaubühne entdeckt. Es gelingt ihr auch tatsächlich, durch gekonnte Auftritte Millionen von Spendengeldern für gute Zwecke zu generieren. Die Ergebnisse dieser Spendenaktionen lassen sich durchaus sehen. Die hohen Geldbeträge, die dabei zustande kommen, stehen grundsätzlich für das Teilen bereit, wenn sie nicht in die Verwaltungsarbeit oder für die Bezahlung teuerer Berater fließen. Doch die Inszenierungen haben
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auch eine Kehrseite. Die erzeugte Wirkung hält als soziales Bewusstsein meistens nicht allzu lange an. Die inszenierte Wohltätigkeit spricht uns emotional an. Sie ist hilfreich, um die quantitativen Ressourcen für das Teilen aufzustocken. Ihre Aktivitäten sind jedoch kaum zielführend, um die Menschen dauerhaft für das Teilen zu gewinnen. Denn unser soziales Gewissen wird dabei zwar spontan zum Zucken des Portemonnaies veranlasst. Es verschwindet aber genauso schnell in der Versenkung, nachdem die Inszenierung beendet ist. Das trifft nicht nur auf die spontanen Spender, sondern häufig auch auf die vermeintlichen Protagonisten des Teilens. Alle diejenigen Künstler und Prominenten, die bei Wohltätigkeitsveranstaltungen auftreten, ohne dafür eine Gage zu verlangen, verdienen unsere Anerkennung. Ihre Leistung ist noch höher zu bewerten, wenn sie sich selbst sozial engagieren. Spielt sich ihr Engagement mehr in der Realität als in der Scheinwelt der Medienwelt ab, erbringen sie eine wahre Wohltat, weil wir ihnen nicht permanent in jeder Talkshow zuhören müssen. Wer teilt, ohne dabei im Rampenlicht stehen zu wollen, ist deshalb ein wahrer Wohltäter. Auf der anderen Seite ist es durchaus sinnvoll, sein soziales Engagement publik zu machen, um andere zum Teilen zu bewegen. Denn mit gutem Beispiel vorauszugehen, scheint auch das erfolgreichste Muster der ethischen Erziehung zu sein. Dieses sollte bereits bei Kindern praktiziert werden. Wir haben zum Teilen grundsätzlich eine Entweder-OderEinstellung. Diese bildet sich schon in der Kindheit heraus.
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Deshalb sollte man den Kindern entsprechende Verhaltensweisen vermitteln. Das beste Mittel dafür ist das gute Beispiel. Wenn Kinder sehen, dass Erwachsene aus freien Stücken teilen, werden sie auch geneigt sein, diesem Handlungsmuster zu folgen. Dabei dürfen wir jedoch nicht allzu viel von ihnen erwarten. Für ein Kind ist es äußerst schwer, auf etwas Begehrenswertes zu verzichten, auch wenn es davon nur ein kleines Stück abgeben soll. Umso mehr ist es zu loben, wenn es dem ethieschen Gebot folgt. So hat auch Lorenzo, der jetzt über fünf Jahre alt ist, inzwischen gelernt, mit seiner Schwester zu teilen. Das Teilen hat für ihn aber einen noch ziemlich formalen Sinn. Giulia bekommt zum Beispiel nur einen kleinen Brocken von seiner Brezel. Den Löwenanteil behält Lorenzo für sich. Das ist in dem Alter jedoch ganz normal. Denn es kommt zuerst auf die gute Absicht an. In welchem Umfang diese Absicht praktiziert wird, hängt dann mit der weiteren Erziehung und Entwicklung zusammen. Neben dem guten Beispiel kommt es auch auf die richtigen Feedbacks an. Diese sollten dem positiven Menschenbild entsprechen. Lobende Worte wie gut, brav, fleißig, tüchtig oder ehrlich fördern die ethische Einstellung der Kinder. Negative Feedbacks wie böse, gemein, hässlich, faul oder ungerecht setzen sie dagegen außer Kraft. Kinder wollen grundsätzlich gut sein. Das gute Selbstbild kann sich im Laufe der Entwicklung aber sehr schnell ändern, wenn sie immer nur zu hören bekommen, dass sie böse seien. Denn ihre Identität bildet sich schwerpunktmäßig durch die Rolle heraus, die ihnen das soziale Umfeld überträgt. Schon aus diesem Grund sollten sie für das Teilen zwar bestätigt, für das Nicht-Teilen jedoch nicht kritisiert werden. Denn jede
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Kritik wirkt kontraproduktiv, wenn sie falsches Verhalten als festen Bestandteil eines Charakters auslegt. | Teilen erfordert gute Beispiele und positive Feedbacks. Eine Erziehung, die aus Kindern gute Menschen macht, darf nicht auf Zwang, sondern auf Freiheit aufgebaut sein. Das heißt nicht, dass keine Spielregeln befolgt werden oder man alles durchgehen lässt. Damit ist auch nicht gemeint, dass wir nicht belohnen oder bestrafen sollten. Es bedeutet nur, dass wir die Kinder lehren, frei und selbstständig zu denken. Freiheit und schlechtes Gewissen Freiheit zeigt sich vor allem als Einsicht in die Notwendigkeit. In diesem Sinne sollten sich die Kinder selbst zum Teilen überwinden, wenn sie dessen Notwendigkeit eingesehen haben. Zu einer solchen Einsicht kommen sie oft erst gar nicht. Stattdessen werden sie zum Guten auf eine recht subtile Art gezwungen, indem man bei ihnen ein schlechtes Gewissen erzeugt. Das passiert beispielsweise, wenn sie gesagt bekommen, dass sie böse seien, nachdem sie etwas nicht geteilt haben. Schlechtes Gewissen ist für eine gute Erziehung an sich nicht kontraproduktiv. Problematisch wird es jedoch, wenn man es für jeden Erziehungszweck einsetzt. Wenn Kinder zum Beispiel ihren Teller nicht leer essen wollen, dann neigen manche Erwachsenen dazu, sie auf die hungernden Altersgenossen hinzuweisen. Sie sagen ihnen, wie sehr sich die Armen darüber freuen würden, eine solche Mahlzeit zu haben. Die Worte verfehlen häufig nicht
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ihre Wirkung. Doch sie prägen bei den Kindern auch die Meinung, dass gutes Tun etwas Unangenehmes ist. Eine Erziehung, die schlechtes Gewissen schürt, um Kinder zu guten Taten zu bewegen, läuft deshalb Gefahr, gerade das Gegenteil zu bewirken. Lorenzo zum Beispiel sollte nachmittags seine Brezel mit Giulia teilen, obwohl er großen Appetit darauf hatte. Abends, als er satt war, wurde er ermahnt, nichts von seiner Pasta stehen zu lassen, um die leidenden Kinder in der Dritten Welt nicht traurig zu machen. Er folgte der Ermahnung, leitete daraus aber eine Forderung ab. Weil er mit dem Aufessen seiner Nudeln offensichtlich etwas Gutes getan hatte, wollte er sich vor dem Schlafengehen nicht die Zähne putzen. Diese hygienische Tätigkeit war ihm nämlich besonders verhasst. Oft lernen Kinder die guten Taten nur als ein Tauschgeschäft zu praktizieren. Wenn sie etwas an sich Gutes für sie aber Unangenehmes tun, wird ihnen häufig das Recht eingeräumt, dafür eine Gegenleistung zu verlangen. Sätze wie „Du sollst dir die Zähen putzen, du sollst aufessen, du sollst teilen etc.“ wecken bei ihnen einerseits Unlustgefühle, weil sie ihren augenblicklichen Empfindungen oder Vorstellungen widersprechen. Andererseits fördern sie ihr Anspruchsdenken auf eine angemessene Kompensation. Wird eine Gegenleistung irgendwann nicht gewährt, entsteht die fatale Assoziation, die ethisches Handeln mit einer unbelohnten Unannehmlichkeit gleichsetzt. Die „Du sollst“-Aufforderungen werden mit der Zeit als Ankündigung von Ärger und Frustration wahrgenommen. Diese negative Einstellung verstärkt sich zusätzlich, wenn der Zusammenhang zwischen der persönlichen Tat und der allgemeinen Gerechtigkeit völlig uneinsichtig
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ist. Lorenzo könnte vielleicht noch verstehen, dass sich seine Schwester über ein Stück von seiner Brezel genauso freuen würde wie er. Was die hungrigen Kinder davon hätten, wenn er sich übersatt essen würde, entzog sich aber offensichtlich seiner Einsicht. Schon Kindern ist zu vermitteln, aus Lust und nicht aus | Leid zu teilen. Das schlechte Gewissen ist kein guter Ratgeber, um Kinder zum Teilen zu erziehen. Um ethisches Bewusstsein zu verankern, müssten vielmehr die guten Taten auch für gute Gefühle sorgen. Schon Kinder sollten lernen, aus Lust und nicht aus Leid zu teilen. Zu diesem Zweck empfiehlt es sich, ethisch gutes Handeln emotional zu bestätigen. Rein zweckmäßige Tätigkeiten wie Aufessen oder Zähneputzen sollten dagegen nicht durch schlechtes Gewissen erpresst werden. Drei Wege zum Umdenken Fassen wir kurz zusammen. Das egoistische Kalküldenken lässt sich nachhaltig durch das Erlebnis der Natur, psychologische Erfahrungen oder die Suche nach glücklichem Leben zurückdrängen. Es handelt sich dabei um drei verschiedene Ansätze. Sie entspringen dem subjektiven und strategischen Grund des Teilens. Der objektive Grund ist als natürliches Muster bei Menschen und Tieren angelegt. Er wirkt biologisch nur im Bezug auf den eigenen Nachwuchs, lässt sich aber auf den gesamten Sozialbereich übertragen. Dass eine solche Übertragung von vielen Menschen nicht praktiziert wird, mag ein Beweis für deren egoistische Ein-
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stellung, jedoch nicht gegen das Teilen sein. Das psychologisch subjektive Handlungsmotiv des Teilens liegt in der Verantwortung für unser Leben. Diese Verantwortung kann nicht nur aus der Einsicht in die Notwendigkeit, sondern auch aus den gemachten Erfahrungen resultieren. Die Erfahrungen werden durch eine seelische Erschütterung, positive Freiheitserlebnisse oder eine geistige Erleuchtung ausgelöst. Darüber hinaus können sie durch Erzeugung von Mitleid oder schlechtem Gewissen manipulativ herbeigeführt werden. Der strategische Ansatz für das Teilen liegt dann vor, wenn man den objektiven mit dem subjektiven Grund verknüpft. Dann wird das natürliche Muster des Teilens von der eigenen Familie auf andere gesellschaftliche Gruppen und Sozialbereiche übertragen, weil man es für überlebenswichtig hält und dadurch glücklicher werden will. Insbesondere Wohlhabende und erfolgreiche Persönlichkeiten, die einen Teil ihres Vermögens für gute Zwecke einsetzen, sind strategisch motiviert. Sie setzen das ökonomische Prinzip der Produktivität für ethische Ziele ein. Teilen entspringt objektiver Veranlagung, subjektiver | Verantwortung und strategischem Erfolgsstreben. Die Erziehung bildet die Grundlage für die ethische Einstellung zum Teilen. Dabei sollte man mit gutem Beispiel vorangehen und auf die Freiheit, statt auf den Zwang setzen. Kinder sind in ihren guten Taten zu bestätigen. Dann werden sie auch als Erwachsene viel Freude am Teilen haben.
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Kapitel 7 Warum sich Teilen lohnt In diesem Kapitel setzen wir uns mit dem ökonomischen Nutzen des Teilens auseinander. Warum sich zu Teilen lohnt, wird dabei aus zwei unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet. Wir versuchen uns einerseits in die Wirtschaftssubjekte mit der Frage hineinzuversetzen, welche Gegenleistung sie durch das Teilen erhalten. Andererseits analysieren wir nach demselben Prinzip die Entscheidungsprozesse von Unternehmen. In beiden Fällen gehen wir davon aus, dass der Wunsch zu teilen größer sein muss als die egoistischen Interessen, die uns vom Teilen abhalten. Diese sind dann am stärksten, wenn Egoismus in Egozentrik umschlägt. Der Egoismus ist eine Grundeinstellung, die mich und ausschließlich meine Bedürfnisse, Wünsche und Ideen in den Vordergrund stellt. Die Egozentrik steigert diese Grundeinstellung dadurch, dass ich alles andere aus einem Blickwinkel verdränge. Da wir alle mehr oder weniger immer an uns denken, sind wir alle mehr oder weniger Egoisten. Wir sollten jedoch nicht zu Egozentrikern werden. Konkret heißt das, dass wir die Wertvorstellungen der Gemeinschaft nicht aus den Augen verlieren dürfen, auch wenn wir unsere eigenen Interessen verfolgen. Denn die Gemeinschaft ist die Basis jeder Ethik. So können wir unsere Fragestellung weiter verallgemeinern: Lohnt es sich überhaupt, nach den Werten der Gemeinschaft zu leben und damit ethisch zu handeln?
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Individuum und Gemeinschaft Jede Ethik folgt dem Grundsatz, dass das Individuum nur in einer Gemeinschaft überleben kann. Deshalb sollte sich der Einzelne nach den Normen richten, die gemeinnützigen Charakter haben. Alle Sittlichkeitslehren zeichnen sich durch das Gebot des Teilens aus. Sie haben stets sozialen Charakter. Das ist auch dann der Fall, wenn die definierte Gemeinschaft nicht alle Menschen, Rassen, Schichten oder Völker umfasst. Das soziale Miteinander bestimmt sich durch die Gerechtigkeit, Solidarität oder Hilfsbereitschaft der darin involvierten Subjekte. Alle Mitglieder der Gemeinschaft tragen dafür gemeinsam die Verantwortung. In unserer Gesellschaft entsteht aber zunehmend der Eindruck, dass eigennützliches Denken völlig legitim ist, sofern dadurch keine Gesetze übertreten werden. So stellen sich immer mehr Egozentriker nicht der sozialen Verantwortung für die Gemeinschaft. Sie sind einfach der Meinung, dass es sich für sie nicht lohnt zu teilen. Um sie vom Gegenteil zu überzeugen, müsste man ihnen einerseits vermitteln, wie stark sie selbst von der Gemeinschaft profitieren. Andererseits müssten sie die Erfahrung machen, dass das Geben mindestens genauso selig macht wie das Nehmen. Teilen beruht auf der Erfahrung, dass Geben | genauso selig ist wie Nehmen. Jeder von uns hat die Freiheit, als Egozentriker durch das Leben zu gehen. Wenn er nicht gerade ein Heiliger ist, wird er auch stets zu einem gewissen Grad egoistisch handeln. Er hat aber auch die Freiheit, sich für die Gemeinschaft einzusetzen. Er wird das erfahrungsgemäß umso mehr tun, je größer er davon per-
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sönlich profitiert. Denn auch für das soziale Engagement gilt das Nutzenkalkül. Der Nutzen in kommerzieller Welt Was ein Mensch für nützlich hält, orientiert sich an gelebten Wertvorstellungen. In diesem Bereich kommt innerhalb unserer Wohlstandsgesellschaft ein zweischneidiger Entwicklungsprozess zum Vorschein. Zum einen werden soziale Werte zunehmend kommerzialisiert. Zum anderen zählen Erlebniswerte genauso viel wie materieller Besitz. Die Kommerzialisierung versucht den Wunsch nach persönlichem Wohlbefinden für Verkaufszwecke zu instrumentalisieren. Dies geschieht vor allem über die Werbung. Was einem Menschen gut tut, wird als materielles Erfolgsstreben interpretiert. Mein Haus, mein Auto, mein Boot, lautet der Sprachcode, der den Konsum der Wohlstandsbürger fördern soll. Er blendet das ethische Wertebewusstsein aus. Aus dem individuellen Wohlstandsdenken bilden sich weitere Wunschvorstellungen heraus, denen eine ethische Grundlage fehlt. Typisch dafür sind soziale Bedürfnisse, die durch die Werbung in kommerzielle Erlebnisformen übersetzt werden. Demnach können wir angeblich alle unsere Wünsche durch Kaufen und Konsumieren verwirklichen. Was nichts kostet, ist demnach auch nichts wert. Nehmen wir als Beispiel das emotionale Bedürfnis nach Freundschaft und Geselligkeit. Daraus entwickelte die Werbung die Erlebnisform von „Fun“, die man auch als aktive Lebensfreude in der Gemeinschaft übersetzen könnte. Der Begriff hat aber in erster Linie eine ökonomische Bedeutung. Denn er suggeriert, dass Fun nur im Rahmen kommerziellen Konsum-
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verhaltens entstehen kann. Die überall präsente Werbung erweckt den Eindruck, als ob alle Werte etwas Materielles wären und wir jeden persönlichen Nutzen nur käuflich erwerben könnten. So beherrscht das ökonomische Denken zunehmend die soziale Lebenssphäre. Diese Auffassung kann für unser Selbstwertgefühl fatale Folgen haben, wenn wir uns finanziell nicht alles leisten können. Wird uns weiterhin die Vorstellung vermittelt, dass nur die Reichen gut leben könnten, laufen weite Teile der Bevölkerung der Gefahr, in eine Depression zu geraten. Aber auch wohlhabende Bürger sind von depressiven Tendenzen bedroht, wenn sie beispielsweise nach der Habseligkeit streben. Kommerzialisierung verwandelt persönliche | Bedürfnisse in ökonomische Ware. Die Kommerzialisierung wirkt dem Teilen entgegen. Denn je mehr wir das kommerzielle Wertebewusstsein übernehmen, desto stärker denken wir in ökonomischen Tauschkategorien. Da das Teilen schon per Definition keinen Rechtsanspruch auf eine Gegenleistung enthält, kann es sich materiell gar nicht lohnen. An diesem Gegensatz scheitert jede Argumentation, die eine nur auf eigenen Geldvorteil bedachte Person zum Teilen veranlassen will. Dennoch kann das egoistische Denken korrigiert werden. Das setzt allerdings die Einsicht voraus, dass viele soziale Bedürfnisse nur durch ethisches Handeln befriedigt werden können. Die sozialen Bedürfnisse Als sozial gelten nicht nur die Bedürfnisse nach gemeinsamer Unterhaltung oder Geselligkeit, sondern auch das Streben nach
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Freundschaft, Anerkennung oder Bestätigung. Die Freundschaft beruht auf gegenseitiger Unterstützung und bildet damit die Keimzelle der Gemeinschaft genauso wie die Familie die Keimzelle der gesamten Gesellschaft ist. Die soziale Anerkennung kann sich zu einem Statusbedürfnis weiterentwickeln, bei dem der besondere gesellschaftliche Stellenwert einer Person durch öffentliche Aufmerksamkeit untermauert wird. Die Bestätigung erfordert ein Wertebewusstsein, in dem gute Taten eine wichtige Rolle spielen. Freundschaft, Anerkennung und Bestätigung sind für das Leben eines jeden Menschen wichtig. Auch die reinen Egoisten kommen ohne sie kaum aus. Damit wird eine Brücke zwischen dem Eigennutzdenken und der Ethik geschlagen. Denn soziale Bedürfnisse lassen sich nur über ethische Handlungen realisieren. Wer soziale Bedürfnisse hat, für den lohnt sich das Teilen, weil er diese dadurch auf eine besonders produktive Weise befriedigt. Wer dagegen leugnet, soziale Bedürfnisse zu haben, kommt in seiner Entwicklung nicht besonders weit voran. Als Egozentriker erleidet er meistens das Unglück aller Habseligen. Er konsumiert, ohne die Freude einer wahren Freundschaft zu genießen oder aufrechte Anerkennung und Bestätigung zu finden. Schauen wir uns die Freundschaft als soziales Bedürfnis an. Ein Freund ist nicht nur jemand, auf den ich mich verlassen kann. Er ist auch jemand, der bereit ist, auf seinen Vorteil zu verzichten, um seinem Freund etwas Gutes zu tun. Deshalb ist es manchmal so schwierig, eine wahre Freundschaft unter den sogenannten Geschäfts-, Partei- oder Vereinsfreunden zu pflegen. Denn diese Form der zwischenmenschlichen Beziehungen beruht in der Regel auf dem Prinzip des Tauschens und nicht des Teilens. Ein
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Sprichwort sagt zu Recht, dass man den wahren Freund erst in der Not erkennt. Deshalb wird dem Egozentriker die Freundschaft aufgekündigt, nachdem er sein wahres Gesicht gezeigt hat. Wer in Schwierigkeiten steckt und einen Freund um Hilfe bittet, wird sehr schnell feststellen, ob er danach noch sein Freund bleibt. Wird die Bitte ausgeschlagen, obwohl sie nur durch ein bisschen Teilen hätte erfüllt werden können, ist die Freundschaft schnell beendet. Dagegen hält sie lange, wenn sie gegenseitig praktiziert wird. So gab es einmal zwei Freunde, die zusammen studierten. Der eine war von Haus aus wohlhabend, der andere arm. Als es darum ging, ein Praktikum im Ausland zu absolvieren, schienen sich ihre Wege zu trennen. Denn der ärmere Student konnte sich einen solchen Aufenthalt nicht leisten, während sein Freund dafür von seinem Vater Geld bekam. Der Betrag reichte aus, um hinzufliegen und eine Person im Hotel mit Halbpension einzuquartieren. Dafür konnte man aber auch mit dem Auto hinfahren und vor Ort eine kleine Wohnung mieten, in der zwei Personen sparsam leben konnten, indem sie sich selbst verpflegten. Die Freunde fuhren zusammen ins Ausland, weil das Geld für den Aufenthalt geteilt wurde. Das Teilen ist die Grundlage jeder wahren Freundschaft. Es zahlt sich auch in der Regel aus. Als sich die beiden jungen Männer nach ihrem Auslandaufenthalt auf ihre Abschlussprüfung vorbereiteten, unterstützte der ärmere Student seinen Freund beim Schreiben der Diplomarbeit, die dieser ohne fremde Hilfe nicht zustande gebracht hätte. Damit wurde das materielle Teilen durch das Teilen von Wissen und Zeit mehr als aufgewogen. Das Teilen hat sich gelohnt. Natürlich gibt es auch Gegenbeispiele von
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enttäuschter Freundschaft. Wenn Freunde aber zusammenhalten und gemeinsam durch Dick und Dünn gehen, profitieren in der Regel beide davon. Entscheidend dafür ist jedoch, dass sie beim Teilen nicht an eine Gegenleistung denken. Denn das Abgleichen und Aufrechnen ist der erste Schritt, um die Freundschaft in eine soziale Geschäftsbeziehung zu verwandeln. | Teilen ist Grundlage jeder wahren Freundschaft. In der Freundschaft dürfen wir eine Gegenleistung erhoffen. Aber wir sollten daraus keine Ansprüche ableiten. Mag sein, dass der wohlhabende Student seinem Freund den Auslandsaufenthalt finanziert hat, weil er sich dafür die Unterstützung bei seiner Diplomarbeit erhoffte. Solche Erwartungshaltungen tun dem Teilen aber keinen Abbruch. Sie gehören sogar dazu. Denn gute Taten werden meistens belohnt, auch wenn es sich dabei nicht um eine materielle Gegenleistung, sondern um reine Dankbarkeit handelt. Die Freude der Dankbarkeit Für die Dankbarkeit kann sich niemand etwas kaufen. Und dennoch stellt sie einen sozialen Nutzwert dar. Wer für Dankbarkeit sorgt, findet soziale Anerkennung. Er fühlt sich dadurch auch in seinem Wertebewusstsein bestätigt. Das liegt auch daran, dass die Dankbarkeit einen starken emotionalen Charakter hat. Sie gibt uns das Gefühl, gebraucht zu werden. Mögen wir unsere guten Taten vom Kopf her für selbstverständlich, gering oder unwichtig erachten. Durch die Dankbarkeit fühlen wir aber, dass sie irgendwie besonders gewesen sind. Wenn uns Menschen
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für unser Teilen danken, empfinden wir automatisch eine Rührung, die wir häufig überspielen wollen, weil sie uns etwas peinlich ist. Bei dankbaren Kindern zeigen wir unsere Freude in der Regel viel offener. Kinder, denen das Teilen zu einer besseren Zukunft verhilft, geben uns eine starke emotionale Bestätigung. Gleiches gilt für Kinder, die selbst teilen. Wer einmal gesehen hat, mit welchem Enthusiasmus sich viele Schülerinnen und Schüler für ihre benachteiligten Altersgenossen einsetzen, Spendenaktionen organisieren oder einen Teil ihres Taschengeldes für gute Zwecke abgeben, spürt eine innere Befriedigung, ohne darüber viel nachdenken zu müssen. Wenn ihm dabei noch die Tränen in die Augen kommen, dann merkt er, wie stark das Wertebewusstsein von guten Taten abhängt. | Die Freude der Dankbarkeit ist der Lohn für gute Taten. Auch Egozentriker kennen die Freude der Dankbarkeit. Sie erleben sie jedoch meistens nur als einen schönen Schein. Die meisten Storys der Unterhaltungsmedien beruhen auf der Grundidee einer gerechten Welt, in der das Gute über das Böse siegt. Auch das ist ein Beweis dafür, wie stark die ethischen Werte in unserem Bewusstsein verankert sind. Der Resonanzboden der Öffentlichkeit Wir können die Medienerzeugnisse mit ihrem schönen Schein der Gerechtigkeit konsumieren, ohne selbst ethisch zu handeln. In diesem Fall erleben wir eine emotionale Bestätigung, für die wir
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nichts leisten müssen. Diese Situation ändert sich jedoch, wenn wir in das gesellschaftliche Leben treten. Im Rampenlicht der kleinen oder größeren Öffentlichkeiten sollten wir unsere Egozentrik nicht zur Schau stellen. Das liegt daran, dass öffentliche Auftritte in erster Linie nach sozialen Normen bewertet werden. Wer gegen diese Normen verstößt, gerät leicht in die Kritik. Stellen wir uns nur vor, dass sich im Rahmen einer Fernsehdiskussion eine bekannte Persönlichkeit vehement gegen das Teilen ausspricht. Sie sagt zum Beispiel, dass unsere Wohlstandsgesellschaft auf Leistung aufbaue und es deshalb ungerecht sei, diejenigen zu belohnen, die nichts leisteten, dafür aber umso mehr die Hand aufhielten. Auf solche Äußerungen wird in der Regel mit Empörung reagiert. Diese Empörung hat jedoch wenig mit dem faktischen Handeln derjenigen zu tun, die sie zeigen. Sie spiegelt lediglich das normative Denken der Gesellschaft wider. Unser ethisches Bewusstsein ist oft durch eine Diskrepanz zwischen Worten und Taten geprägt. Während wir ethisch denken und diese Gedanken auch öffentlich vertreten, richtet sich unser eigenes Handeln oft nach strategischen Gesichtspunkten. Diese Diskrepanz stellt solange kein Problem für die handelnden Personen dar, solange sie im Verborgenen praktiziert wird. Treten die Akteure aber in das Rampenlicht der Öffentlichkeit, werden sie wegen ihrer unethischen Worte und Taten an den Pranger gestellt. Es gilt allerdings auch umgekehrt. Die öffentliche Meinung belohnt gute Taten. Das Teilen hat in den Medien einen hohen Stellenwert, wenn dahinter tatsächlich soziales Verantwortungsbewusstsein steht. Vor diesem Hintergrund lohnt es sich, Gutes zu tun und darüber zu sprechen. Wer sich im Blickwinkel der
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Medien befindet und sozial verantwortlich handelt, bekommt dafür öffentliche Anerkennung, die seine Stellung als Politiker, Schauspieler oder Künstler stärken kann. Das gilt auch für Unternehmer, die einen Teil der erwirtschafteten Erträge in soziale Projekte investieren. Im Rampenlicht der Öffentlichkeit wird das Teilen zu einer neuen Philosophie der Sieger. Teilen findet soziale Anerkennung | und wird zu einer neuen Philosophie der Sieger. In unserer Gesellschaft spielt die Öffentlichkeit mit ihrem sozialen Wertebewusstsein eine wichtige Rolle. Vor allem die Macht der Medien ist in den letzten Jahren stetig gewachsen. An diese Rahmenbedingung müssen sich auch die Unternehmen anpassen, indem sie ihre Geschäftsstrategien normativ absichern. Von einem solchen Unternehmer soll jetzt die Rede sein. Das ökonomische Motiv des Teilens Stellen wir uns einen Unternehmer vor, der gerade die ersten Ergebnisse über das zu Ende gehende Geschäftsjahr auf seinen Schreibtisch bekommen hat. Seine Firma ist gesund, die Zahlen sind hervorragend. Er überlegt deshalb, was er mit dem erwirtschafteten Überschuss machen soll. Nach kurzer Zeit kommt er auf eine dreifache Mittelverwendung. Der größte Teil des Überschusses wird als Gewinn ausgeschüttet. Das ist der Lohn der unternehmerischen Tätigkeit mit den eingegangenen Risiken. Außerdem müssen auch die Ansprüche der Mitgesellschafter erfüllt werden, die ihr Kapital in die Unternehmung gesteckt haben. Wenn das Geld nicht produktiv arbeitet, besteht die
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Gefahr, dass die Firma vom Markt verschwindet. Der zweite Teil dient den Investitionen in die Zukunft. Der Markterfolg ist ein permanenter Wettlauf mit der Zeit. Wer die Nase vorn haben will, muss ständig modernisieren, optimieren und neue Ideen entwickeln. Alle Innovationen kosten in der Regel viel Geld. Der Rest wird geteilt. Das Management und die Mitarbeiter bekommen zusätzliche Prämien. Durch diese Maßnahme wird das Gute mit dem Nützlichen verbunden. Mit dem Geld können sich die Beschäftigten und ihre Familien einerseits etwas mehr leisten. Sie fühlen sich andererseits motiviert, sich auch in Zukunft für das Unternehmen zu engagieren. Mit der Dreiteilung ist jedoch nicht der gesamte Betrag für das Teilen verbraucht. Es bleibt noch eine Summe, die für gute Zwecke außerhalb der Firma eingesetzt wird. Das Geld fließt in soziale Projekte. Es soll bedürftigen Menschen helfen, unter besseren Bedingungen zu leben und neue Zukunftschancen zu bekommen. Einige Unternehmen verwenden bereits einen Teil der erwirtschafteten Überschüsse für karitative Zwecke. Sie verbinden ökonomisches Erfolgsstreben mit Anforderungen einer globalen Solidargemeinschaft. Damit zeigen sie, dass unternehmerische Verantwortung und ethisches Handeln im Einklang gebracht werden können. Sie lassen sich vor allem von der Idee leiten, dass sich das Teilen lohnt. Was ist aber ihr eigentliches Motiv? Auf diese Frage mag es einige individualpsychologische Antworten geben, welche die Persönlichkeitsstrukturen der erfolgreichen Geschäftsleute beleuchten. Die Analyse der sozioökonomischen Rahmenbedingungen, unter denen die modernen Unternehmen tätig
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sind, lässt jedoch eine wesentliche Triebfeder erkennen, die alle anderen Beweggründe überlagert. Es handelt sich dabei um das Streben nach Gewinn. Damit liegt auch dem Teilen im ökonomischen Bereich die Profitorientierung zugrunde. Bevor wir näher auf den daraus resultierenden Nutzwert eingehen, schauen wir uns dieses grundlegende Motiv des unternehmerischen Handelns etwas genauer an. Ein Unternehmer, der über längere Zeit keinen Profit erwirtschaftet, bleibt heutzutage nicht lange ein Unternehmer. Einer, der gar keine Gewinne machen will, kommt in der Regel erst gar nicht dazu, unternehmerisch tätig zu sein. Auch die Manager als verlängerter Arm der Kapitalanleger müssen mit Nachdruck profitorientiert denken und handeln. Damit setzen sie sich aber auch der öffentlichen Kritik aus, die für die handelnden Akteure nicht nachvollziehbar ist. Die verantwortlichen Manager argumentieren mit Recht, dass sie zum Erfolg verurteilt sind. Die Unternehmen agieren heute zunehmend in deregulierten und damit freien Märkten, die durch die internationale Konkurrenz bestimmt sind. Im globalen Wettbewerb herrschen drei verhältnismäßig einfache Spielregeln. Erstens braucht man viel Kapital, um in den Markt einzutreten und dort zu bestehen. Zweitens erwarten die Anteilseigner eine hohe Kapitalverzinsung. Drittens verschwinden die Unternehmen vom Markt, die nicht genug Gewinn erwirtschaften. Sie werden entweder zerschlagen oder aufgekauft, um durch Sanierungs- und Restrukturierungsmaßnahmen wieder profitabel gemacht zu werden. Deshalb ist das Gewinnstreben als integraler Bestandteil der globalen Wirtschaftsordnung anzusehen.
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Auf der anderen Seite ist die öffentliche Kritik an unternehmerischen Gewinnen dann berechtigt, wenn sie das Profitdenken danach beurteilt, ob es der Gesellschaft einen Nutzen oder einen Schaden bringt. Der gesellschaftliche Nutzen lässt sich dadurch definieren, dass möglichst viele Menschen vom Gewinnstreben der Unternehmen profitieren. Entsprechend umgekehrt sieht der gesellschaftliche Schaden aus: Einige wenige werden zunehmend wohlhabender, während die Masse der Bevölkerung immer mehr Abstriche bei ihrem Lebensstandard machen muss. Geht die Schere zwischen Reich und Arm ungebremst auseinander und wächst die Schar der wenig bis nichts Habenden beständig, entsteht für die Gesellschaft eine gefährliche Krisensituation. Gerade diese Eskalationsgefahr bringt die Kritiker des Profitdenkens auf den Plan. Sie bedienen sich der öffentlichen Meinung, um Druck auf die Entscheidungsträger auszuüben.
Ungebremstes Gewinnstreben steht | unter Druck der öffentlichen Meinung.
Der Nutzen des Teilens für gewinnorientierte Unternehmen ist in diesem Zusammenhang zu sehen. Er besteht erstes in der Neutralisierung der öffentlichen Kritik. Zweitens geht es insgesamt um die Bewältigung drohender Krisen. Mit der Globalisierung fertig zu werden, bedeutet, die Bereicherung der Wirtschaft nicht auf Kosten der Gesellschaft voranzutreiben. Damit ist die Frage verbunden, wie das ethische Denken in das unternehmerische Handeln optimalerweise integriert werden kann.
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Unternehmerisches Handeln und ethisches Denken Wer einmal eine schwerwiegende unternehmerische Entscheidung treffen musste, die negative Auswirkungen auf die betroffenen Menschen hatte, weiß ganz genau, dass ökonomisches Handeln und ethisches Denken leicht in einen Zielkonflikt geraten. Unter dem Druck der Märkte verengen sich die Entscheidungsspielräume des Managements auf überprüfbare betriebswirtschaftliche Kennzahlen. Sind die Kennzahlen schlecht, scheint die Ethik kein guter Ratgeber für die Lösung des Problems zu sein. Deshalb ist es am besten, solche Probleme erst gar nicht entstehen zu lassen, sondern sie im Rahmen einer integrierten Geschäftsstrategie zu lösen, die Ökonomie und Ethik versöhnen. Das war früher einmal der Fall. In unserem Wirtschaftssystem bildeten wirtschaftliches Handeln und soziale Verantwortung jahrzehntelang eine Einheit. Profitorientierte Unternehmen, die durch Wettbewerb gezwungen waren, immer bessere Produkte und Dienstleistungen anzubieten, förderten Innovation, Fortschritt und damit auch den Wohlstand der ganzen Gesellschaft. Die freie Marktwirtschaft war damit ethisch legitimiert. Hinzu kam, dass der Staat die Verteilung der erwirtschafteten Gewinne nach dem Prinzip der sozialen Gerechtigkeit regelte. Durch die staatliche Regulierung wurden die Güter gerecht verteilt, wodurch die freie Marktwirtschaft zur sozialen Marktwirtschaft mutierte. Auch die Unternehmer konnten in der sozialen Marktwirtschaft ihre ethische Verantwortung zum persönlichen Anliegen deklarieren, weil das System für den gerechten Ausgleich sorgte. Viele von ihnen verstanden unter der Wirtschaftsethik ein soziales Mäzenatentum,
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das sie aus freien Stücken betrieben und für das sie keine ökonomische Gegenleistung erwarteten. Andere hielten es mehr mit Mephisto als einen Teil jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft. Sie glaubten, ihre Ethik darin gefunden zu haben, dass sie nach der Gewinnmaximierung strebten, während das Wirtschaftssystem daraus positive soziale Effekte produzierte. Unter den Bedingungen der Globalität verliert das System der sozialen Marktwirtschaft allerdings immer mehr an Wirksamkeit. Konkret heißt das, dass der Staat alleine kaum wirkungsvoll für die notwendigen Kompensationsleistungen sorgen kann. Wir haben zwar eine weltweite Wirtschaft, aber keine weltweit mächtige Regierung, die sich um die soziale Gerechtigkeit kümmert. Die internationale Staatengemeinschaft ist noch meilenweit davon entfernt, für einen gerechten Ausgleich zwischen Arm und Reich zu sorgen. Die Konsequenz davon ist die bereits beschriebene Instabilität mit drohender Eskalationsgefahr. Denn eine Gesellschaft, die nicht nach ethischen Grundsätzen funktioniert, verliert sehr schnell ihre Stabilität und geht meistens durch Gewalttätigkeit zugrunde. Eine globale Welt, in der das Profitdenken kein soziales Korrektiv findet, muss immer mehr grausame Taten in Kauf nehmen. Unter diesen Gesichtspunkten sind die politischen Appelle an das soziale Gewissen der Unternehmer enorm wichtig, weil sie das Bewusstsein für die notwendigen Veränderungen fördern. Sie bleiben jedoch weitgehend wirkungslos, wenn die Ethik nur als Morallehre und nicht als geschäftsstrategischer Erfolgsfaktor verstanden wird. | Ethik ist ein geschäftsstrategischer Erfolgsfaktor.
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Keine soziale Einsicht kann das Gewinnstreben des internationalen Kapitals aufhalten. Eine gerechtere Verteilung der Güter ließe sich jedoch leicht bewerkstelligen, wenn die Unternehmen das ethische Verhalten in seinem Wertschöpfungspotenzial erkennen und ihre Geschäftsaktivitäten danach ausrichten würden. Der unternehmerische Nutzen des Teilens Wenn soziale Ungleichgewichte das gesellschaftliche Leben am meisten gefährden, dann ist der ökonomische Ausgleich die beste Waffe dagegen. Teilen bedeutet, andere an unserem Erfolg teilhaben zu lassen. Durch Teilen bekommen die Benachteiligten die Möglichkeit, nicht nur ihre Lebensbedingung, sondern auch ihre Produktivität zu verbessern, um freier und verantwortlicher handeln zu können. Teilen ist damit das Grundprinzip einer gesunden und erfolgreichen Staatengemeinschaft, in der alle Nationen und ihre Bürger die Chance haben, sich entsprechend ihren Fähigkeiten zu entfalten. Dabei wird aus der Not eine Tugend gemacht. Denn unter globalen Gesichtspunkten kommen wir am Teilen als Befriedungs- und Stabilisierungsinstrument gar nicht vorbei, weil es dazu keine Alternative gibt. Eine aktive Entwicklungshilfe, die ärmere Länder in ihrem Bemühen um ökonomische Selbstständigkeit unterstützt und ihnen dafür Ressourcen und Know-how zur Verfügung stellt, ist sowohl ein Ausdruck der ethischen Gesinnung als auch eine wirkungsvolle Strategie im Kampf um dauerhaften Weltfrieden. Doch was könnte einen Unternehmer dazu bewegen, ethisches Denken tatsächlich in seine Geschäftsstrategie zu integrieren? Auch hierfür lautet die Antwort: Teilen lohnt sich. Wer teilt, sichert seinen ökonomischen
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Erfolg ab. Dafür stehen drei Argumente, die sich auf Krisenprävention, Kundenbindung und Wertschöpfung beziehen. Je erfolgreicher ein Unternehmen im Wettbewerb ist und je mehr es eine marktbeherrschende Position einnimmt, desto stärker steht es im Rampenlicht der Öffentlichkeit und desto mehr wird sein Handeln nach ethischen Gesichtspunkten bewertet. Die Marktführer sind zum beispielhaften Verhalten verurteilt. Werden sie den Maßstäben der Anständigkeit nicht gerecht, geraten sie unter Beschuss der Medienkritik. Daraus entsteht in der Regel ein schwerwiegender Imageschaden, der nur durch hohen Kommunikationsaufwand wieder wettzumachen ist. Darüber hinaus kann der öffentliche Druck zur Intervention der Politik und zu entsprechenden Regulierungsmaßnahmen mit negativen Auswirkungen auf die ökonomische Position des Unternehmens führen. Ethisches Engagement ist somit aktive Krisenprävention, da es für soziales Ansehen und politische Anerkennung sorgt.
Engagement der Unternehmen | istSoziales aktive Krisenprävention.
Menschen haben ethische Ideale und identifizieren sich mit denjenigen, die Gutes tun. Wer erfolgreich ist und trotzdem mit anderen teilt, wird in unserer Gesellschaft zur Identifikationsfigur par excellence. Identifikation bedeutet emotionale Bindung. Einem „guten“ Unternehmen bleiben die Kunden auch dann treu, wenn es bei ihm wirtschaftlich nicht so gut läuft.
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Kundentreue ist als Erfolgsfaktor bei den meisten Unternehmen anerkannt. Doch oft wird er zu einseitig als eine Gegenleistung für materielle Zuwendung verstanden. Soziales Engagement für Mensch und Umwelt trägt genauso zur Stärkung der Geschäftsbeziehungen bei wie Kompetenz, Qualität und Zuverlässigkeit im Rahmen der Leistungserstellung. Es muss nur richtig vermittelt werde. Dabei müssen die herkömmlichen Werbestrategien überdacht werden. Denn die Vermittlung der ethischen Einstellung stellt eine besondere Herausforderung an die Unternehmenskommunikation dar. Entscheidend ist die Glaubwürdigkeit der Aussage. Darüber hinaus gilt es, das soziale Engagement als positive Erlebnisse mit hoher Wirkungsdauer zu vermitteln und Kunden daran emotional zu beteiligen. Über dieses Thema ließe sich leicht ein ganzes Fachbuch schreiben. Was uns an dieser Stelle jedoch nur interessiert, ist die Tatsache, dass die unternehmerische Verantwortung als strategisches Mittel der Kundenbindung gezielt eingesetzt werden kann. für Mensch und Umwelt | Verantwortung stärkt die Kundenbindung. Kunden sind bereit, desto mehr für Produkte und Dienstleistungen zu bezahlen, je stärker sie sich dadurch ihre Wünsche nach Status und Selbstverwirklichung erfüllen. Status bedeutet soziales Ansehen. Selbstverwirklichung ist das Bedürfnis, mit eigenen Wertvorstellungen konform zu leben. Das Ansprechen und Aktivieren dieser Bedürfnisse ist für die Wertschöpfung der Markenprodukte von entscheidender Bedeutung. So findet ein Unternehmen durch das Teilen nicht nur soziale Anerkennung. Indem
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es die Menschen an dem Guten emotional beteiligt, gibt es ihnen die Möglichkeit, sich selbst als gut zu bestätigen. Gute Gefühle haben in unserer Gesellschaft hohen ökonomischen Wert, weil sie im Alltag immer weniger vermittelt werden. Wer sie kontinuierlich im Rahmen seiner Markenkommunikation erzeugen kann, ist auch in der Lage, eine höhere Wertschöpfung zu realisieren. Durch Beteiligung am Teilen lässt sich eine | höhere Wertschöpfung erzielen. Teilen lohnt sich. Nach diesem Prinzip wird die soziale Verantwortung in das wirtschaftliche Denken der global agierenden Unternehmen integriert. Darin liegt auch der Sinn von Sharety. Sie führt die Ökonomie mit der Ethik zusammen.
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Kapitel 8 Wie man wirtschaftlich teilt Teilen ist soziales Handeln. Es ist aber auch eine strategische Entscheidungssituation, die sich in vier Schritte gliedern lässt. Wir müssen uns zunächst überlegen, ob wir überhaupt etwas von unserem erworbenen Vermögen abgeben. Dann gilt es zu bestimmen, wer, warum und wozu er es bekommen sollte. Schließlich müssen wir die Handlung vollziehen und anschließend überprüfen, zu welchen Ergebnissen sie führt. Unter strategischen Gesichtspunkten ist das Teilen folglich ein Prozess, der aus Analyse, Entscheidung, Vollzug und Überprüfung besteht. Der Prozesscharakter des Teilens ist uns oft nicht bewusst, weil wir die Handlung spontan und aus emotionalen Motiven vollziehen. Wir sind beispielsweise in der Innenstadt und gehen an einem Straßenmusiker vorbei, der ein bekanntes Lied spielt. Wir hören kurz zu, bevor wir dem Mann etwas Geld in seinen Hut werfen. Diese Situation dauert vielleicht höchstens ein paar Sekunden. Wenn man uns anschließend nach unseren Beweggründen fragen würde, könnten wir sie wahrscheinlich gar nicht genau definieren. Höchstens käme uns in den Sinn, dass wir uns irgendwie angesprochen gefühlt hätten. Das Teilen ist bei vielen ein grundsätzlich angelegtes (latentes) Handlungsmuster, das situativ aktiviert wird. Was die Aktivierung auslöst, kann dabei individuell sehr unterschiedlich sein. Manche
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lassen sich vom Anblick der Not erweichen, andere von Erinnerungen oder schlechtem Gewissen motivieren. Bei wiederum anderen kommt es einfach auf die Stimmung oder die äußeren Umstände an. Die Liste situativer Zusammenhänge, die das Teilen auslösen, ist sehr lang und enthält nicht ganz widerspruchsfreie Szenarien. So ist es möglich, dass wir unter zwei scheinbar identischen Umständen einmal teilen, ein anderes Mal dagegen nicht. Das liegt auch daran, dass das Teilen sowohl aus emotionalen als auch rationalen Gründen erfolgen kann. Emotionale und rationale Beweggründe Das spontane Teilen aus emotionalen Beweggründen lässt sich im ersten Augenblick nicht auf einen Nenner bringen. Doch nach einem längeren Nachdenken können wir einen übergeordneten Wirkungszusammenhang erkennen. Wir teilen grundsätzlich dann, wenn wir das ökonomische Kalküldenken ausschalten und unsere Sorgen vergessen. Wir versetzen uns sozusagen in eine Sphäre, in der das soziale Wertebewusstsein das Sagen hat, während die strategischen Nützlichkeitsüberlegungen mehr oder weniger ausgeschaltet werden. Oft kommt diese mentale Transformation durch Fremdeinwirkungen zustande. Manchmal verspüren wir aber einfach die Lust, aus der harten Realität des Alltags – wenigstens für eine kurze Weile – auszusteigen und uns einfach gut zu fühlen. Gute Gefühle sind starke Motive des spontanen Teilens. Wer in einem Lokal eine Runde an Menschen ausgibt, die er eigentlich nur zufällig kennt, ist sich wahrscheinlich nicht der Tatsache bewusst, dass er in diesem Moment teilt. Dabei gibt er freiwillig und gezielt etwas von seinem erworbenen Vermögen ab, ohne
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dabei einen Rechtsanspruch auf entsprechende Gegenleistung zu haben. Dieser Anspruch besteht tatsächlich nicht. Denn ob er anschließend oder irgendwann selbst zu einem Getränk eingeladen wird, steht zu diesem Zeitpunkt noch nicht fest. An dieser Stelle könnte jemand allerdings fragen, ob das spontane Ausgeben einer Runde einen gezielten Handlungsakt darstellt. Hierbei sollten wir zwischen „gezielt“ und „bewusst“ unterscheiden. Wir können mit unserem Handeln ein Ziel verfolgen, ohne uns dessen bewusst zu sein. In der vorliegenden Situation besteht das Ziel in der Freude des Augenblicks, die man über den Augenblick hinaus verlängern und mit anderen teilen will. Wir können weiterhin spontan teilen und uns dabei von emotionalen Regungen leiten lassen. Der Quantensprung in der Förderung des Teilens besteht jedoch darin, es auch als ein ökonomisch rationales Motiv unseres Handelns zu verankern und strategisch zu praktizieren. Daraus leitet sich eine Grundregel ab. Wir sollten aus bewussten Motiven teilen. Strategisches Teilen erfolgt aus ökonomisch rationalen | Motiven und wird bewusst praktiziert. Unsere bewussten Motive lassen sich auf die private, gesellschaftspolitische und wirtschaftliche Sphäre beziehen. Im Privatbereich kann jeder nach seiner Fasson teilen. Hierzu steht eine Reihe von Möglichkeiten zur Verfügung, die im nächsten Kapitel dargestellt werden. In Politik und Wirtschaft kommt es aber entschieden darauf an, wie man das Teilen praktiziert. Deshalb steht dieses Thema im Mittelpunkt folgender Ausführungen.
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Die Strategie der Ordnungspolitik Glaubt man der Ordnungspolitik, braucht unsere Gesellschaft sozioökonomische Veränderungen und Reformen. Sie werden auch von jeder neuen Regierung mit viel Einsatz und Überzeugungskraft angestrebt. Der Anspruch der politisch Verantwortlichen ist immer derselbe. Neue Regeln sollen gesellschaftliche Probleme lösen. Der Prozess der Regelveränderung ist dabei inzwischen so weit fortgeschritten, dass sich kaum jemand darin noch auskennt. Die sozioökonomischen Prozesse sind durch unzählige Gesetze, Novellen, Verordnungen und Auflagen reglementiert. Das macht sie uneffektiv und kostspielig. Die Bürokratie hat ein solches Ausmaß erreicht, dass sie einen Großteil ihrer Ressourcen in die Selbstverwaltung stecken muss. Eine zielführende Strategie könnte darin bestehen, eine umfassende Vereinfachung vorzunehmen und die Bürokratie abzubauen. Doch sie scheitert meist an den Interessengruppen, die von dem Status quo des Systems profitieren. Diese fürchten um ihren Einfluss oder ihr Einkommen und setzen sich massiv für die Wahrung ihrer Privilegien ein. Die Bemühungen der Politik um grundlegende Gesundheits-, Renten- oder Steuerreformen legen darüber beredtes Zeugnis ab. So muss der Staat zunehmend auf Zwangsmaßnahmen zurückgreifen, um handlungsfähig zu bleiben und akute Probleme zu lösen. Doch der Zwang führt nicht zu mehr sozialer Gerechtigkeit. Ein Solidaritätszuschlag ist nicht in der Lage, das ethische Bewusstsein der Bürger zu stärken. Es belastet vielmehr deren Geldbeutel und schürt Ressentiments gegenüber denjenigen, die wirklich Hilfe brauchen. Es führt
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auch zur Entwicklung evasiver (ausweichender) Strategien bis hin zu illegaler Steuerhinterziehung in Milliardenhöhe. Der Staat versucht mit gut gemeinten Reformbemühungen die Probleme unserer Gesellschaft zu bewältigen. Trotz des enormen ordnungspolitischen Aufwands wird es aber immer schwieriger, den allgemeinen Wohlstand aufrecht zu erhalten, wenn das ethische Bewusstsein der Bevölkerung durch partielle Interessen und rücksichtsloses Gewinnstreben ausgehöhlt wird. Es ist endlich an der Zeit, dass sich Politik und Wirtschaft auf ein gemeinsames ethisches Konzept einigen, das die Leistungsfähigkeit und Stabilität unseres sozioökonomischen Systems festigt. Wir brauchen ein Umdenken auf beiden Seiten. Die Politik, die zum Umverteilen sozial verpflichtet ist, dabei jedoch über begrenzte Spielräume verfügt, ist auf die Kooperation der Wirtschaft angewiesen. Die Wirtschaft kooperiert aber nur, wenn sie davon einen klaren Nutzen hat. Deshalb kann man sich folgendes Tauschgeschäft vorstellen. Die Unternehmen bekommen vom Staat mehr Gestaltungsfreiheit, um sich im globalen Wettbewerb zu behaupten. Im Gegenzug dazu verpflichten sie sich, mehr nach ethischen Grundsätzen zu handeln. Die ethischen Grundsätze sollten sich auf alle Bereiche der unternehmerischen Tätigkeit beziehen. Sie dürfen dabei nicht die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft einschränken. Die Unternehmen stehen heute in einem enormen Konkurrenzkampf, dessen Ergebnis durch die Ordnungspolitik maßgeblich bestimmt wird. In diesem Zusammenhang tritt ein Zielkonflikt auf. Die ordnungspolitischen Entscheidungen zur Wettbewerbsfähigkeit
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bewegen sich grundsätzlich in einem Spannungsverhältnis zwischen Freiheit und Gleichheit. Denn mehr Freiheit steigert den wirtschaftlichen Erfolg, produziert aber soziale Ungleichgewichte. Dagegen sorgt mehr Gleichheit für mehr soziale Gerechtigkeit, schadet aber auf der anderen Seite dem wirtschaftlichen Erfolg. Diese Ambivalenz lässt sich leicht erklären. Wenn man unter Freiheit ganz einfach einen Zustand versteht, in dem sehr wenig äußere Zwänge für das Handeln des Einzelnen bestehen, und wenn man unter Gleichheit das Recht auf den gleichen Zugang zu den Ressourcen einer Gesellschaft versteht, dann kann Freiheit sehr schnell zu großer Ungleichheit führen. Das ist deshalb so, weil diejenigen, die aus irgendwelchen Gründen für bestimmte Handlungen besser ausgerüstet sind als andere, mehr Erfolg im Umgang mit diesen Ressourcen haben werden. Andersherum wird der Versuch, ein hohes Maß an Gleichheit innerhalb eines Systems zu realisieren, dazu führen, dass ein hohes Maß an Behinderung beim Zugang zu den Ressourcen etabliert werden muss. Die ökonomischen Erfolgspotenziale könnten in dem Fall nicht voll ausgeschöpft werden. So führt mehr Freiheit zu mehr Ungleichheit und mehr Gleichheit zu weniger Freiheit. Durch diesen Zielkonflikt ist der Rahmen unserer ökonomischen Wettbewerbsfähigkeit abgesteckt. Wer den Zielkonflikt erkennt, dem wird eines klar. Man darf die Freiheit nicht gegen die Gleichheit ausspielen und umgekehrt. Vielmehr gilt es einen Konsens zu finden, dem Wirtschaft und Politik zustimmen könnten. Dieser Konsens könnte in der Selbstverpflichtung zum Teilen liegen. Um wirtschaftlich überleben zu können, müssen wir wettbewerbsfähig bleiben. In diesem Fall gibt es zu unternehmerischer
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Freiheit keine Alternative. Die Ordnungspolitik sollte mehr unternehmerische Spielräume gewähren. Sie würde es vielleicht entschlossener tun, wenn sich die Wirtschaft zu mehr sozialer Verantwortung bekennen würde. Die Wirtschaft gibt sich eine ethische Selbstverpflichtung zum | Teilen als Gegenleistung für unternehmerische Spielräume. Sind die Spielräume vorhanden, gilt es entsprechende Konzepte des Teilens zu entwickeln. Diese müssen sowohl den ökonomischen als auch den ethischen Anforderungen gerecht werden. Konzepte des Teilens Das Teilen zielt auf die Verbreitung des Wohlstands nach dem Prinzip der Produktivität. Auch unser eigener Wohlstand ist zum großen Teil nach dem Grundsatz des produktiven Teilens entstanden. Erinnern wir uns nur an das Ende des Zweiten Weltkriegs, als Deutschland in Schutt und Asche lag. Kaum zehn Jahre später erlebten die Bundesbürger ein Wirtschaftswunder. Möglich wurde diese Entwicklung nur durch ein Aufbauprogramm der USA. Die Amerikaner waren bereit, mit ihren ehemaligen Kriegsgegnern zu teilen und boten uns Hilfe zur Selbsthilfe an. Sie erbrachten dabei einen enormen Vertrauensbeweis in die Leistungsfähigkeit und Motivation des entnazifizierten Deutschland. Das Vertrauen bildet auch die psychologische Grundlage für die ethische Neuorientierung der Wirtschaft. Dafür steht die Idee der Good Economy 1. 1 Paul Gutmann „Welcome to the Good Economy“, Hab & Gut, 2004
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Good Economy – das klingt auf jeden Fall gut. Ist es aber nicht eine Illusion, ein Hirngespinst oder gar eine arglistige Täuschung? Versucht uns jemand vielleicht einen schönen Schein aufzuschwätzen, um selbst davon zu profitieren? Ökonomie und Ethik lassen sich doch nicht so einfach unter einen Hut bringen. Wer das versucht, ist mit Vorsicht zu genießen, sagen die Skeptiker. Sie sind äußerst misstrauisch, weil sie oft selbst ganz genau wissen, dass ökonomische Interessen in der Regel stärker sind als ethische Motive. Sie haben zu oft die Scheinheiligkeit der gemeinnützigen Argumente erlebt. Solche Erfahrungen nähren das Misstrauen, das unser Wirtschaftssystem wie eine Säure zersetzt. Wer anderen vertrauen soll, stößt unweigerlich auf ein Dilemma, weil unser Wirtschaftssystem zunehmend durch den Vertrauensverlust geprägt ist. Wir erleben immer wieder, dass hinter dem Schein der sozialen Verantwortung nur partielle Interessen stehen. Das lässt uns an der Macht der Ethik zweifeln. Wir haben das Urvertrauen in die Ethik verloren. Vielleicht würden wir gerne unseren Mitmenschen vertrauen. Doch wir haben Angst, betrogen zu werden. Also sind wir misstrauisch und glauben, dass uns nur das strategische Denken helfen kann. „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“. Der Mann, der das sagte, gründete eines der ineffizientesten und ungerechtesten Regime der Weltgeschichte. Lenin glaubte vielleicht selbst an einen gerechten Kommunismus. Er vertraute aber nicht den Menschen, sondern wollte sie strategisch manipulieren. Demgegenüber baut Good Economy auf Vertrauen auf. Denn Vertrauen ist der Ursprung des Guten. Wir entfernen uns zunehmend von diesem Ursprung. Im selben Maße geht es mit unserer Gesellschaft sozial bergab.
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| Die soziale Erneuerung baut auf Vertrauen auf. Zum Vertrauen zurückzukommen, ist nicht leicht. Denn Vertrauen lässt sich nicht verordnen. Wer misstrauisch ist, kann nicht plötzlich wieder Vertrauen schöpfen. Deshalb brauchen wir eine Initialzündung, die eine ethische Trendwende einleitet. Die Initialzündung der Wirtschaft Die Initialzündung kann nur von der Wirtschaft kommen. Dafür sprechen zwei Gründe. Erstens sind es die Unternehmen, die über genügend Durchschlagskraft verfügen, eine nachhaltige Trendwende auszulösen. Zweitens wird es der Wirtschaft am wenigsten zugetraut, dass sie sich an ethische Verpflichtungen hält. Wenn sie sich dann tatsächlich dazu bekennt und dabei eine entsprechende Selbstverpflichtung eingeht, entsteht eine neue Glaubwürdigkeit, die den ethischen Wandel vorantreibt. Die Möglichkeit ist da, dass die Menschen wieder auf die Wirtschaft vertrauen. Denn sie sehnen sich nach einem stabilen Wertesystem, nachdem sie diesbezüglich von der Politik oft enttäuscht worden sind. Die politische Vertrauenskrise ist eine ökonomische Chance der Unternehmen. Eines darf dabei jedoch nicht vergessen werden. Unternehmen folgen dem Gewinnstreben. Sie werden den ethischen Wandel nur dann vollziehen, wenn es dafür wirtschaftliche Gründe gibt. Unter diesen Bedingungen werden sie das Teilen produktiv und profitabel gestalten. Produktivität und Profitabilität sind entscheidende Faktoren des wirtschaftlichen Erfolgs. Sie werden auch durch das Teilen gefördert. Unsere Wirtschaft kann heute Waren und Dienstleis-
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tungen in einem fast unbegrenzten Umfang bereitstellen. Das betrifft aber nur verhältnismäßig geringe Nachfrage der Wohlstandsgesellschaft. Der globale Bedarf ist dagegen enorm hoch und weitgehend kaum gedeckt. Das produktive Teilen könnte diesbezüglich eine nachhaltige Verbesserung bringen und für eine schnelle Verbreitung des Wohlstands in den armen Regionen der Welt sorgen. Lokal gilt das produktive Teilen ebenfalls den Bedürftigen, deren materielle Verhältnisse ihnen den Zugang zum Konsum erschweren. Deshalb können sie auch keinen großen Beitrag zu ökonomischem Wohlstand leisten. Das könnte sich ändern, wenn man mit ihnen produktiv teilen würde. Sie müssten die Möglichkeit erhalten, zunehmend selbst für ihren Lebensunterhalt zu sorgen. Das ist zwar einfacher gesagt als getan. Doch mit kreativen Ideen lassen sich viele neue Einkommensquellen schaffen. Durch produktives Teilen verbreiten die | Unternehmen den Wohlstand Produktives Teilen ist ethisch ausgerichtet. Die Unternehmen erbringen gute Taten, indem sie Hilfe zur Selbsthilfe bieten. Dafür erwarten sie keine Gegenleistung der Hilfeempfänger. Dennoch entsteht für sie ein wirtschaftlicher Nutzen, weil das produktive Teilen in einer Wohlstandsgesellschaft imagebildend wirkt. Das bedeutet natürlich nicht, dass man damit schon Geld verdient. Jedes Unternehmen braucht ein erfolgreiches Geschäftsmodell, das seine Profitabilität sichert.
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Vom Ernten zum Teilen In einer Wettbewerbsgesellschaft erinnert das Verhältnis zwischen der Geschäftsstrategie und Unternehmensethik an das Ernten und Teilen. Die Wirtschaft braucht strategische Konzepte, um zu den Früchten ihrer Arbeit zu gelangen. Sind die Früchte da, sollte man sie nicht nur für sich beanspruchen, sondern auch mit anderen teilen. Das ist ein ethisches Gebot, das sehr positive Absatzwirkungen haben kann. Leider wirkt die Ordnungspolitik oft diesem Mechanismus entgegen. Sie will teilen, bevor die Wirtschaft geerntet hat. Um Güter zu verteilen, müssen diese vorher produziert werden. Ohne strategische Produktivität macht es wenig Sinn, sich mit ethischem Teilen zu beschäftigen. Deshalb heißt die Regel: Erst das Ernten und dann das Teilen. Beides sollte dabei in ein ausgewogenes Verhältnis gesetzt werden. Wie dieses Verhältnis exemplarisch aussehen kann, hat uns ein großer Champion vorgemacht. Pete Sampras, der erfolgreichste Tennisspieler aller Zeiten, ging freiwillig folgende Selbstverpflichtung ein: Für jedes Ass, das er in einem Match schlug, spendete er 100 Dollar für karitative Zwecke. Je erfolgreicher er war, desto höher fiel sein sozialer Beitrag aus. Ökonomisch vernünftig ist das Teilen nur, wenn man zuerst erntet und dann etwas davon für produktive Zwecke abgibt. Der wirtschaftliche Erfolg wird also mit ethischen Zielen verknüpft. Dafür steht die Devise: Je erfolgreicher ich bin, desto mehr teile ich. Sie stellt sicher, dass das Teilen nicht auf Kosten des ökonomischen Erfolgs geht.
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| Je mehr man verdient, desto mehr sollte man teilen. Die Wirtschaft sollte die gleiche Selbstverpflichtung wie Pete Sampras eingehen. Sie sorgt damit für den Ausgleich zwischen denen, die viel haben, und denen, die noch vieles brauchen. Die ethische Dimension setzt die ökonomische voraus. Wir können nur teilen, wenn wir vorher produktiv waren. Die Selbstverpflichtungen der Wirtschaft Fassen wir kurz zusammen. Das Teilen wird heute eher aus emotionalen als aus rationalen Gründen praktiziert. Um seinen Verbreitungsgrad zu erhöhen, sollte es zunehmend bewussten Motiven folgen. Während die Bürger in der Zukunft weiterhin nach individuellen Vorstellungen ihrer sozialen Verantwortung gerecht werden können, gilt es für den gesellschaftspolitischen Bereich, einen breiten Konsens über die ethische Verantwortung der Wirtschaft zu finden. Diesen Findungsprozess könnten die Unternehmen selbst beschleunigen, indem sie den Ansatz der Good Economy verfolgen. Damit bauen sie wieder Vertrauen auf und leisten einen wichtigen Beitrag zur Kompensation der sozioökonomischen Ungleichgewichte. Good Economy besteht im produktiven Teilen. Die einfachste und schnellste Umsetzung dafür heißt: Just do it. Denn es ist heutzutage recht einfach, die passenden sozialen Projekte zu finden, für die man sich engagieren will. Erstaunlicherweise tun dies bereits viele Firmen, ohne einen ökonomischen Vorteil daraus zu ziehen. Sie fördern zwar soziale Projekte, schaffen es aber in der Regel nicht, die Aktivitäten in die Wertschöpfungsprozesse zu
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integrieren. Das hängt damit zusammen, dass sie nicht auf die Profitabilität achten. Viele glauben, dass die Profitabilität einer Unternehmung damit zusammenhängt, dass wir möglichst viel für uns behalten. Das stimmt aber nur zum Teil. Es ist zwar wirtschaftlich wichtig, dass wir Gewinne einstreichen. Es schadet aber genauso dem ökonomischen Erfolg, wenn nach außen nur der Eindruck der Bereicherung entsteht. Dieses Phänomen ist uns aus kleineren Dienstleistungsbetrieben bekannt. Die erfolgreichen Inhaber solcher Firmen scheuen sich zu Recht davor, die hervorragende Profitabilität gegenüber ihren Kunden zu demonstrieren. Sie fahren geschäftlich bescheidene Autos, während in den Garagen ihrer Häuser prachtvolle Luxuskarossen parken. Sie möchten auf jeden Fall den Eindruck vermeiden, dass sie zu viel Profit machen würden. Die Profitabilität hängt mit dem ethischen Image zusammen. Wenn wir jemanden für einen Halsabschneider halten, der sich an uns bereichert, dann sträuben wir uns dagegen, mit ihm Geschäfte zu machen. Das gilt im kleinen wie im großen Maßstab der wirtschaftlichen Aktivität. In diesem Sinne kann auch das Topmanagement dem Unternehmen einen Schaden zufügen, wenn es sich der Öffentlichkeit als nur gewinnorientiert präsentiert. So lässt sich auch aus der ethischen Dimension der Profitabilität ein systematischer Nutzen ziehen, wenn die Unternehmen die entsprechende Selbstverpflichtung eingehen. Je erfolgreicher sie sind, desto mehr teilen sie. Dann weiß der Kunde, dass er nicht ausgenutzt wird, sondern sein Geld für eine gute Sache
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ausgibt. Das Prinzip funktioniert hervorragend beim Wohltätigkeitsmarketing einzelner Veranstaltungen und Produkte. Warum soll es nicht im gesamtwirtschaftlichen Ausmaß greifen? Das soziale Engagement der Wirtschaft ist heute nicht zu unterschätzen. Dennoch werden daraus noch recht geringe Imageeffekte erzielt. Die ethischen Absatzpotenziale liegen noch weitgehend brach, weil man sie nicht im Sinne der Selbstverpflichtung kommuniziert. Durch eine nachhaltige Kommunikation der guten Taten kann ein Unternehmen auch seine Wettbewerbsfähigkeit stärken. nachhaltige Kommunikation der guten Taten stärkt | dieDieWettbewerbsfähigkeit. Viele Unternehmen denken heute noch viel zu stark in materiellen Kategorien. Dadurch verpassen sie die Chance der Weiterentwicklung. Denn es lässt sich vielmehr teilen als nur Kapital oder Gewinn. Davon handelt das abschließende Kapitel.
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Kapitel 9 Was sich teilen lässt Das Teilen ist ein Aufbaumuster des menschlichen Organismus, bei dem aus einer Keimzelle die fertige Person entsteht. Das vorliegende Buch wurde nach diesem Prinzip geschrieben. Das erste Kapitel legte die inhaltliche Grundlage nieder, aus der alle thematischen Aspekte entwickelt wurden. Dieses letzte Kapitel fasst das Thema in seiner Gesamtheit zusammen. Die Gesamtheit eines Lebewesens heißt auf Lateinisch Entität. Damit ist auch eine philosophische Vorstellung verbunden, dass ein Mensch bereits bei seiner Geburt alle wesentlichen Anlagen in sich trägt. Das Leben dient dem Zweck, die vorhandenen Möglichkeiten zur vollen Entfaltung zu bringen. Die Philosophie des Teilens folgt diesem Ansatz. Sie stellt letztendlich dar, wie wir unser Potenzial optimal ausschöpfen können. Dabei wird das Leben als ein permanenter Entwicklungsprozess gesehen, der genauso als biologischer Vorgang der Zellteilung wie als genetisches Muster des generationsübergreifenden Überlebens zum Vorschein kommt. Das Teilen hilft aber auch, uns unter den gegebenen Umständen weitmöglichst zu entwickeln und das Beste aus unseren Fähigkeiten zu machen. Es ist somit der Grundmechanismus des Daseins. Wer sich mit dem Teilen systematisch beschäftigt, kommt zu drei fundamentalen Einsichten. Er wird objektiv erkennen, dass
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das Teilen notwendig ist, um unser Überleben zu sichern. Wir können uns dieser Erkenntnis allerdings leicht entziehen, indem wir die Probleme der Welt nicht zur Kenntnis nehmen und uns im Leben nur auf uns selbst konzentrieren. In diesem Fall werden wir uns nur bis zu der bestimmten Stufe entwickeln. Wir bleiben dort stehen, wo die Wünsche und Bedürfnisse anderer Menschen an uns herangetragen werden. Die Verweigerung der objektiven Notwendigkeit des Teilens macht uns unweigerlich zu Egozentrikern. Darin spiegelt sich eine subjektive Wahrheit über das Teilen wider. Sie ist maßgeblich durch die Freiheit unserer Entscheidungen bestimmt. Jeder kann sich frei für oder gegen das Teilen entscheiden. Er sollte diese Entscheidung allerdings vor sich selbst und der Gemeinschaft verantworten. Denn sonst misst er nach zweierlei Maß. Damit verkörpert er den Typus des Egozentrikers, der für sich beansprucht, in seinem Leben so weit wie möglich zu kommen, gegenüber anderen Mitgliedern der Gemeinschaft diesen Anspruch jedoch nicht gelten lässt. Nach seiner Auffassung müssen sich bedürftige Menschen damit zufrieden geben, was sie haben. Ein Egozentriker könnte versucht sein, der vorgebrachten Kritik zu widersprechen. Seine Gegenargumentation würde wahrscheinlich auf die eigenen Verdienste zielen. Er habe lange dafür gekämpft, bis es ihm gut ginge und musste dabei viele Entbehrungen in Kauf nehmen. Jeder hätte dazu die Möglichkeit, doch nicht jeder setze sie in die Tat um. Deshalb sei er nicht dafür verantwortlich zu machen, wie andere ihr Leben meistern würden. Die Argumentation ist zum Teil richtig, denn jeder Mensch ist im Rahmen der bestehenden Möglichkeiten seines Glückes Schmied.
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Doch sie hat auch einen Pferdefuß. Die Bedingungen sind nicht für jeden gleich. Kein Mensch kann sich aussuchen, wann und wo er geboren wird, sondern ist vielmehr auf das Glück angewiesen, das sich leicht als Pech entpuppen kann. Die Welt kann nicht als sozial gerecht bezeichnet werden. Daraus leitet sich die strategische Einsicht, dass wir für einen Ausgleich sorgen müssen. Strategien beziehen sich auf praktisches Handeln. Sie weisen uns den Weg zum Ziel. Das strategische Ziel des Teilens besteht in der Schaffung ausgleichender Gerechtigkeit. Der Weg dahin führt über die Produktivität. Damit sollten die bedürftigen Menschen in die Lage versetzt werden, ihr Leben besser zu meistern. Denn wir haben im Leben nicht dieselben Voraussetzungen. Die materiellen Güter sind genauso wie die genetischen Dispositionen nicht gleich verteilt. Dennoch hat jeder von uns das Recht, sich voll entfalten zu dürfen. Dafür braucht er auch entsprechende Rahmenbedingungen. Die Idee der sozialen Gerechtigkeit besteht nicht darin, dass wir alle gleich werden. Sie verwirklicht sich vielmehr dadurch, dass alle die gleichen Chancen bekommen, sich im Leben so weit wie möglich zu entwickeln. Das Teilen ist ein strategisches Instrument, um für mehr Entwicklungsgleichheit zu sorgen. Es wirkt unter objektiven Bedingungen und fördert subjektive Fähigkeiten. Objektiv bezieht sich dabei auf Raum und Zeit. Wir können nicht in den armen Regionen der Welt die Rahmenbedingungen einführen, die in einer Wohlstandsgesellschaft üblich sind. Wir sind jedoch in der Lage, die räumlichen Gegebenheiten vor Ort so zu optimieren, dass die Menschen dort besser leben und ihre subjekti-
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ven Fähigkeiten zur eigenen Weiterentwicklung gezielter einsetzen können. Teilen bietet neue Gestaltungsmöglichkeiten für | individuelle Weiterentwicklung. Wir leben alle in Raum und Zeit. Wir können aber auch unseren Raum und unsere Zeit mit anderen teilen. Es ist überhaupt so, dass wir alles, was uns das Leben bietet, auch zum Gegenstand des Teilens machen. Schauen wir uns diese Möglichkeiten etwas genauer an. Die Möglichkeiten des Teilens Wir verfügen über objektive, subjektive und strategische Möglichkeiten des Teilens. Die objektiven Möglichkeiten beziehen sich – wie gerade ausgeführt – auf Raum und Zeit. Hinzu kommen die Opportunitäten, die sich aus den konkreten Umständen ergeben. Sie betreffen die Möglichkeiten, die sich für uns räumlich und zeitlich ergeben und die wir mit anderen teilen können. Subjektiv lässt sich alles teilen, was man intellektuell, seelisch oder praktisch erwirbt. Wir sprechen in diesem Zusammenhang von Wissen, Fühlen und Können. Wissen betrifft nutzwerte Informationen und Erfahrungen. Fühlen meint sowohl das Mitgefühl für Menschen als auch das intuitive Gespür für Situationen, Risiken und Chancen. Unter Können sind alle praxisrelevanten Fähigkeiten vom einfachen Handwerk bis hin zu komplexen technischen oder medizinischen Operationen gemeint. Das strategische Teilen zielt auf die Schaffung von Mehrwert. Zu diesem Zweck sind Produktivkräfte und Produktionsmittel erforderlich.
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Die Produktivitätskräfte erstrecken sich auf Kapital, Arbeit und Management. Die Produktionsmittel umfassen alles, was sich als Werkzeug einsetzen lässt. Das Management als Produktivkraft liegt im Know-how begründet. Diese Ressource hat subjektive Wurzeln. Was Manager bei der Führung ihrer Unternehmen als Know-how strategisch nutzen, geht auf ihr persönliches Wissen, Fühlen und Können zurück. Deshalb braucht dieser Faktor nicht zweimal aufgeführt zu werden. Es gibt neun Möglichkeiten des Teilens, die sich in drei Kategorien erfassen lassen. Unter objektiven Gesichtspunkten können wir Raum, Zeit und Opportunitäten teilen. Subjektiv bezieht sich das Teilen auf Wissen, Fühlen und Können. Strategisch verfügen wir über Geld (Kapital), Arbeitskraft und Werkzeuge, die wir für produktives Teilen einsetzen können. Es ist eine ganze Menge an Ressourcen, um die Welt etwas besser zu machen. Wir können Raum, Zeit, Opportunitäten, Wissen, | Fühlen, Können, Geld, Arbeitskraft und Werkzeuge teilen. Das Teilen ist kein theoretisches Problem, sondern ein praktisches Anliegen. Unsere Ethik sagt uns zwar, dass wir teilen sollten, lässt uns dabei aber oft in Zielkonflikte mit ökonomischem Denken geraten. Ein Blick auf unsere Lebenspraxis zeigt uns, dass sich dennoch erfolgreich teilen lässt. Der Raum für die Gemeinschaft Der Raum als erworbenes Vermögen bezieht sich auf immobile Bereiche. Man kann diese auch als Lebensräume bezeichnen,
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die wir besitzen und mit anderen aber auch teilen können. Als wir noch Kinder waren, teilten unsere Eltern mit uns eine Wohnung oder ein Haus. Jetzt als Erwachsene tun wir das selbst mit unserer eigenen Familie. Manchen kann es merkwürdig erscheinen, dass das Wohnen unter einem Dach als Teilen ausgelegt werden kann. Sie werden dies jedoch bestimmt einsehen, wenn wir die Familie durch fremde Personen ersetzen, die bei jemand Obdach findet, ohne dafür zahlen zu müssen. Es ist noch gar nicht so lange her, dass Menschen auf der Durchreise unentgeltlich Unterkunft finden konnten. Das galt beispielsweise für Zimmerleute, die sich auf Wanderschaft befanden. Diese Tradition stirbt allmählich aus. So gibt es auch immer weniger Gastfamilien, die Schüler oder Studenten aus anderen Ländern aufnehmen, wenn sie dafür kein Geld bekommen oder die eigenen Kinder nicht zum Gegenbesuch schicken dürfen. Jemanden bei sich mietfrei wohnen zu lassen, ist für viele Hausbesitzer so gut wie undenkbar, weil es sich mit der ökonomischen Vorstellung des geldwerten Vorteils nicht verträgt. Dabei geht es den betreffenden Eigentümern gar nicht ums Geld, weil sie genügend davon haben. Vielmehr möchten sie einfach nicht auf eine rechtlich verbriefte Gegenleistung verzichten. Der Verzicht auf bestehende Ansprüche ist für manche Menschen völlig undenkbar. Sie können sich nicht vorstellen, dass man zum Beispiel einen kleinen Beitrag aus der Rückerstattung eines Zeitungsabonnements, das man aufgrund einer Urlaubsreise vorübergehend ausfallen lässt, für gute Zwecke spendet. Diese Menschen fordern auch immer Schmerzensgeld, wenn sie in einen Autounfall verwickelt waren und anschließend ärztlich
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behandelt wurden. Auch diese Haltung hat wenig mit den erlittenen Schmerzen als viel mehr mit der grundsätzlichen Einstellung zu tun, einen Geldanspruch niemals fallen zu lassen. Die sprichwörtliche Alternative heißt Geld oder Liebe. Sie kommt durchaus in der Praxis vor, hat heute jedoch keine besondere gesellschaftliche Bedeutung, weil das Heiraten aus wirtschaftlicher Not nicht mehr so dringend notwendig ist. Stattdessen ließe sich Geld im Gegensatz zu Gemeinschaft setzen. Dieser Gegensatz beruht auf der grundsätzlichen Einstellung des Behaltens oder Abgebens, in der das Teilen irgendwo dazwischen angesiedelt ist. Die räumliche Gemeinschaft ist eine Grundform des Teilens. Sie wird natürlicherweise gegenüber den eigenen Kindern praktiziert, kann jedoch über den Familienkreis hinaus ausgeweitet werden. Dazu sind erfahrungsgemäß aber nur diejenigen Personen in der Lage, die auf das materielle Kalküldenken verzichten können. Das ist manchmal gar nicht so einfach, wenn man immer nur gelernt hat, dass es im Leben nichts zu verschenken gibt. Wer sich aber dazu überwunden hat und seinen Lebensraum mit anderen teilt, erhält als Gegenleistung die Gemeinschaft. Darauf hat er zwar keinen Rechtsanspruch und trotzdem bekommt er sie. Es liegt einfach in der Natur der Sache, dass das Leben unter einem Dach gemeinschaftlichen Charakter hat. Deshalb ist auch der Raum eine objektive Ressource des Teilens. Den Lebensraum zu teilen, kann sich vor allem für diejenigen lohnen, deren Kinder nicht mehr im Elternhaus wohnen. Sie bekommen eine neue Gemeinschaft und wirken damit der Ein-
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samkeit entgegen. Viele Wohlstandsbürger leben einsam in ihren vier Wänden, ohne ihre Sehnsucht nach mehr Ansprache zu befriedigen. Das räumliche Teilen könnte für sie eine nachdenkenswerte Alternative bilden.
Räumliches Teilen dient der Gemeinschaft | und wirkt der Einsamkeit entgegen. Niemand hat gerne über längere Zeit einen Fremden unter eigenem Dach wohnen. Das stimmt so lange, wie der Fremde ein Fremder bleibt. Durch häufige Begegnungen und näheres Kennenlernen kann sich allmählich Vertrautheit und Sympathie einstellen. Diese Phase ist auch unbedingt notwendig, bevor man jemanden bei sich zu Hause aufnimmt. Die Zeit für soziale Engagements Nicht jeder verfügt über materielle Güter, die er mit anderen teilen könnte. Was er jedoch grundsätzlich hat, ist die Zeit. Sich für einen guten Zweck außerhalb von Beruf, Familie und Freundeskreis zu engagieren, ist eine zeitbezogene Form des Teilens. Sie kann beispielsweise als ehrenamtliche Tätigkeit praktiziert werden. Das Ehrenamt hat in unserer Gesellschaft aber ein etwas gespaltenes Image. Einerseits wird es in der Öffentlichkeit als wichtig und notwendig gelobt. Andererseits sprechen viele unter der vorgehaltenen Hand recht abfällig darüber oder fragen verwundert, was jemanden motivieren könnte, sich so zu engagieren. Ein häufiges Argument gegen die ehrenamtliche Tätigkeit bezieht sich dabei auf die Erfahrung, dass man dafür nicht einmal einen
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Dank ernten würde. Das stimmt auch zu einem gewissen Teil. Betrachtet man das Ehrenamt in seiner Kosten-Nutzen-Relation, so lässt sich generell sagen, dass der zeitliche Aufwand in keinem Verhältnis zu dem materiellen Nutzen steht. Ältere Bürger, vor allem im Rentenalter, sehen darin zwar oft die Möglichkeit, sich sinnvoll in die Gesellschaft einzubringen. Doch vielen jungen Menschen bleibt dieser Sinn verschlossen, weil sie glauben, ihre Zeit sinnvoller nutzen zu können. Diese Auffassung ist durchaus stichhaltig, wenn man genügend eigene Wünsche hat, die sich auch außerhalb von Vereinen, Verbänden oder gemeinnützigen Initiativen realisieren lassen. Sie erscheint jedoch fraglich, wenn man als Mitglied der entsprechenden Organisationen davon nachweislich profitiert. Zeit ist grundsätzlich eine kostbare Ressource. Auf der anderen Seite haben wir theoretisch viel mehr davon als früher, weil wir im Durchschnitt viel weniger arbeiten müssen. Praktisch entsteht bei vielen wiederum der Eindruck, als ob sie überhaupt keine Zeit hätten. Sie sind ständig mit Dingen beschäftigt, bei denen man den Eindruck gewinnen kann, dass sie nicht unbedingt notwendig sind. Diese Einschätzung stellt sich vor allem aus der existenziellen Perspektive ein. Wir leben nur eine begrenzte Zeit. Ein solcher Gedanke kann uns sowohl erschrecken als auch beflügeln. Es kommt darauf an, ob wir unsere Existenz nur verleben oder daraus das Beste machen wollen. Wenn wir nach einer optimalen Entwicklung streben, bietet uns die Zeit dafür eine optimistische Perspektive. Indem wir das werden, was wir heute noch nicht sind, was wir aber gerne wären, können wir uns selbst verwirklichen.
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Die Zeit als Prozess der persönlichen Weiterentwicklung lässt sich in unterschiedlichen Bereichen realisieren. Wir können sie privat, beruflich, familiär oder sozial nutzen. In jedem Bereich kann dabei ein spezifischer Beitrag zur Selbstverwirklichung abgeleitet werden. Doch manchen fällt es schwer, diesen Nutzen einzusetzen, wenn dafür keine materiellen Gegenleistungen erbracht werden. Was hat beispielsweise ein Inhaber eines Ehrenamtes davon, dass er sich unentgeltlich engagiert und dieses Engagement mit der Zeit sogar als belastend, nervenaufreibend und kostspielig erlebt? In erster Linie ist es eine bestimmte Erfahrung, die ihn im Leben weiterbringen kann. Zweitens erlebt er eine soziale Bestätigung, das Richtige zu tun oder wenigstens getan zu haben. Wer seine Zeit teilt, bekommt Erfahrung | und Bestätigung zurück. Von den Mitgliedern einer gemeinnützigen Organisation wird häufig verlangt, dass sie im späteren Alter das zurückgeben, was sie als Kinder und Jugendliche an Leistung oder Zuwendung bekommen haben. Diese Aufforderung mag ethisch verständlich sein, ist jedoch strategisch nicht zielführend. Soziales Engagement wie jede Form des Teilens ist nur dann nachhaltig wirksam, wenn sie aus freien Stücken erfolgt. Wer sich dazu nur aus Zwang verpflichtet fühlt, wird die erstbeste Gelegenheit ergreifen, um sich der Verpflichtung zu entledigen. Die Gelegenheit zur Weiterentwicklung Man bekommt nicht jeden Tag ein Ehrenamt angeboten. Wenn das aber passiert, sollte man die Gelegenheit beim Schopfe
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packen, sofern man darin die Möglichkeit einer persönlichen Weiterentwicklung sieht. Solche Gelegenheiten stellen sich im Leben einer Person immer wieder ein. Man kann sie für sich nutzen, aber auch mit anderen teilen. Wir haben uns mit diesem Sachverhalt bereits am Beispiel von zwei befreundeten Studenten beschäftigt. Dabei ist unter anderem herausgekommen, dass die Freundschaft auch auf dem Teilen von Opportunitäten beruht. Wer gute Gelegenheiten mit anderen teilt, wirkt besonders produktiv. Denn er fördert damit die Entwicklung jener Personen, für die eine solche Möglichkeit jenseits ihrer finanziellen Grenzen liegt. Ein Aufenthalt im Ausland ist für viele Studenten nicht erschwinglich. Sie könnten ihn jedoch verwirklichen, wenn ihre Kameraden mit ihnen die Opportunitäten teilen würden. Eine gute Gelegenheit scheint sich häufig rein zufällig einzustellen. Manche Menschen glauben jedoch nicht an Zufälle. Für sie ist der Gang der Dinge durch die Vorsehung vorbestimmt. Diese Auffassung bezieht sich auch auf ihr eigenes Schicksal. Das ist aber gleichgültig. Ob Schicksal oder Zufall – unser Leben bietet immer wieder Opportunitäten, uns weiter zu entwickeln. Wenn uns glückliche Umstände zuteil werden, könnten wir sie einfach mit anderen teilen. Geteilte Freude ist doppelte Freude, sagt der Volksmund. Aber auch in diesem Fall steht das materielle Kalküldenken dem Teilen im Wege. Eine Opportunität stellt sich in Raum und Zeit ein. Wer zum Teilen bereit ist, wird dabei eine denkwürdige Erfahrung machen. Was für ihn selbst eine ganz normale Alltagssituation ist, kann für seine Mitmenschen eine günstige Gelegenheit sein. Das merkt
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beispielsweise jeder, wenn er auf der Autofahrt einen Tramper mitnimmt und mit ihm ein interessantes Gespräch führt. Er unterhält sich und erbringt dabei eine gute Tat. Das Leben ist voll von solchen guten Gelegenheiten. Um diese Opportunitäten zu erkennen, müssten wir jedoch auf den egoistischen Blickwinkel verzichten und die Welt aus einer fremden Perspektive sehen. Dieser Perspektivwechsel stellt auch den mentalen Quantensprung dar, der uns vom Behalten zum Teilen bringt. | Gelegenheiten zu teilen, gibt es genug. Die Einsicht in die Notwendigkeit des Teilens ergibt sich aus einer perspektivischen Erweiterung. Diese erweiterte Perspektive stellt sich umso häufiger ein, je stärker wir über uns selbst nachdenken. Dabei stellen wir zwangsläufig fest, dass wir als freie Subjektive existenzielle Fragen stellen, auf die wir keine objektive Antwort finden. Dazu gehört auch die Frage, ob wir zum Teilen durch eine höhere Instanz verpflichtet sind. Das Subjekt und seine Fähigkeiten Das freie Subjekt ist eine philosophische Wunschvorstellung. Es entsprang dem neuzeitlichen Zweifel, ob der Mensch die Wahrheit überhaupt erkennen kann. Dieser Zweifel konnte bis heute noch nicht ganz ausgeräumt werden. Doch durch das Zweifeln werden wir uns unserer Verantwortung bewusst und entwickeln auch den Willen, in unserem Erkenntnisdrang immer weiter vorzustoßen. „Ich denke, also bin ich“, behauptete einmal
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einer der ersten Philosophen der Neuzeit. Er meinte damit, dass wir alles infrage stellen könnten, bis auf die Tatsache unserer eigenen Existenz. Daraus leitete er die Einsicht ab, dass wir aus der Besinnung auf uns selbst zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen könnten. So geht unser modernes Denken auf die Subjektphilosophie zurück. Es zielt darauf, die Entwicklung der Menschen in jeder Hinsicht zu fördern. Die Förderung bezieht sich auf alle intellektuellen, seelischen und geistigen Fähigkeiten. Philosophisch werden sie als Verstand, Gefühl und Vernunft bezeichnet. Der Verstand betrifft unser Wissen. Wir könnten ihn auch als die rationale Intelligenz bezeichnen. Daneben verfügen wir aber auch über Gefühle. Darin spiegelt sich unsere emotionale Intelligenz. Die Vernunft als geistige Fähigkeit ist in der Umgangssprache ziemlich aus der Mode gekommen. Das mag zum einen daran liegen, dass man sich unter dem Begriff auf Anhieb nicht viel Konkretes vorstellen kann. Zum anderen meint die Vernunft in ihrer abstrakten Bedeutung, stets das Richtige zu tun. Für viele ist eine solche Vorstellung ziemlich weltfremd. Mögen wir uns selbst noch gelegentlich als vernünftig bezeichnen, so zweifeln wir doch häufig an der Vernunft unserer Mitmenschen. Diese Meinung lässt sich aber leicht korrigieren, wenn man die geistigen Fähigkeiten nicht auf das theoretische Wissen, sondern auf das praktische Können bezieht. Denn die Persönlichkeit eines Menschen zeigt sich mehr in guten Taten als in klugen Worten. Alles, was wir individuell erworben haben, lässt sich als Wissen, Fühlen oder Können teilen. Es hängt nur von unserem Willen ab. Wenn wir uns zum Teilen bekennen, gehen wir allerdings ein
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Risiko ein. Dieses besteht in einer möglichen Enttäuschung, keine Gegenleistung dafür zu ernten. Es kann sogar vorkommen, dass die Nutznießer unserer Zuwendungen uns den Rücken zukehren. Den Risiken stehen die Chancen gegenüber. Das Teilen von Wissen und Erfahrung beflügelt die eigene Inspiration. Denn ein Vermittlungsprozess ruft neugierige Fragen hervor, die als intellektueller Ansporn wirken können. So treten „Lehrer“ und „Schüler“ in einen produktiven Dialog, von dem beide gleichermaßen profitieren. In den früheren Zeiten war das produktive Teilen der erworbenen Fähigkeiten ein stillschweigender Bestandteil des Generationsvertrags. Vor allem in den Großfamilien lernten die Kinder von ihren Großeltern, weil die Eltern in der Regel nur wenig Zeit für sie hatten. Heute ist die Zeit von Vätern und Müttern, sich mit ihrem Nachwuchs zu beschäftigen, oft genauso knapp. Doch das generationsübergreifende Teilen profitiert eher selten davon. Zum einen herrscht unter den Eltern eine weit verbreitete Angst, dass die Großeltern ihre Enkel nur verwöhnen wollten. Zum anderen hat es manchmal den Anschein, als ob Mütter und Väter auf ihre eigenen Mütter und Väter etwas eifersüchtig wären. So scheint es manchmal so zu sein, dass die Älteren mehr teilen möchten, als die Jüngeren es wünschen. Diese Diskrepanz lässt sich wiederum nur durch den Aufbau des gegenseitigen Vertrauens überwinden. Denn das Vertrauen ist die Basis jeder Kooperation. Dass jüngere Menschen vom Teilen der älteren Generation profitieren, steht außer Frage. Voraussetzung ist allerdings, dass
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richtig geteilt wird. Deshalb sei an dieser Stelle an die aufgestellte Definition erinnert: Teilen ist ein gezieltes und freiwilliges Abgeben ohne Anspruch auf eine Gegenleistung. Das könnten sich vor allem die Großeltern merken, die ihren Enkeln etwas vermitteln wollen. Denn sie werden nicht immer mit offenen Armen empfangen. Manchmal ist sogar Kritik der Lohn der eigenen Mühe. Dadurch sollte man sich jedoch nicht vom Teilen abbringen lassen, weil es eine generationsübergreifende Verpflichtung ist. Außerdem werden die Bemühungen irgendwann Früchte tragen. Wissen und Können zu teilen, ist eine | generationsübergreifende Verpflichtung. Das generationsübergreifende Teilen lässt sich nicht nur innerhalb der eigenen Familie praktizieren. Es müssen nicht nur die eigenen Enkel sein, denen man etwas Gutes tun will. Diese Einsicht stellt sich oft aber erst durch die Erfahrung ein. Sie gilt gleichermaßen für das Teilen von Gefühlen. Das Teilen und Mitteilen von Gefühlen Jeder Mensch hat Gefühle. Doch nicht jeder kann sie im gleichen Maße zeigen. Das Teilen von Gefühlen ist gleichzeitig ein emotionales Mitteilen. Es erfolgt über jede Art von Zeichen. Wir verraten unsere Gefühlslage nicht nur mit Worten, sondern mit Gesten, Mienen und Taten. Deshalb ist es in emotionaler Hinsicht nicht möglich, nicht zu kommunizieren. Auch wenn wir schweigen oder nichts von uns hören lassen, senden wir Gefühlsmitteilungen, die unsere Beziehungen maßgeblich beeinflussen.
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Beziehungen leben von Gefühlen. Wer gute Beziehungen haben will, braucht emotionale Intelligenz. Damit sind wir wieder beim Teilen. Denn intelligente Gefühle werden durch soziale Interaktionen erworben. Kinder lernen von ihren Eltern nicht nur, wie sie sich vernünftig zu benehmen haben. Sie übernehmen vor allem emotionale Verhaltensmuster, die bei ihnen oft lebenslang wirken. Das Mitteilen von Gefühlen ist ein naturwüchsiger Mechanismus, den keiner der Beteiligten gezielt kontrollieren kann. In diesem Zusammenhang stellt sich ausnahmsweise nicht die Frage, ob wir teilen wollen. Wir tun es auf jeden Fall, auch wenn wir keine Absicht dazu haben. Das einzige, was wir einigermaßen beeinflussen können, ist die Art der emotionalen Mitteilung. So können wir gute und schlechte Gefühle teilen. Diesbezüglich haben wir eine gewisse Entscheidungsfreiheit. Dabei ist es immer zielführender, positive Emotionen zu senden. Denn nur diese wirken produktiv, während schlechte Gefühle für Unmut, Ärger und Aggression sorgen. Das Glück braucht gute Gefühle. Das emotionale Teilen sollte sich stets nach diesem Grundsatz richten. Wer selbst glücklich sein will, sollte versuchen, anderen ein Stückchen Glück zu vermitteln. Er kann dabei gar nicht am Teilen vorbeikommen. | Teilen positiver Gefühle bildet die Grundlage des Glücks. Manche Menschen glauben, kein Glück im Leben zu haben. Das kann durchaus mit ihrem eigenen Verhalten zusammen-
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hängen. Wenn sie die Welt nur aus eigener Perspektive betrachten und nicht mit anderen teilen, ist der Zusammenhang sogar sehr wahrscheinlich. Er lässt sich am einfachsten ändern, wenn sie diesbezüglich umdenken. Das Teilen des Geldes Am schwierigsten lässt sich Geld teilen. Das scheint vor allem mit seiner Funktion zusammenzuhängen. Geld ist per se ein Tauschmittel. Wer es ohne Gegenleistung verschenkt, verstößt formal gegen dessen Charakter. Deshalb ist den rein ökonomisch denkenden Menschen häufig so unverständlich, warum man auf ein Stück des eigenen Kapitals verzichten sollte. Sie halten es für sinnwürdig, etwas zu teilen, was eigentlich zum Tauschen bestimmt ist. So können viele schon deshalb nicht teilen, weil das Tauschen ihr Leben prägt. Es ist für sie zu einem grundlegenden Handlungsmuster geworden, mit dem sich die Einsamkeit, Langeweile oder sogar Angst vor der Sinnlosigkeit bekämpfen lässt. Durch das Tauschen können sie sich permanent mit etwas beschäftigen und dabei ihre Macht ausüben, indem sie andere Menschen von sich abhängig machen. Das ist besonders bedenklich, wenn man dieses Verhaltensmuster innerhalb der Familie praktiziert. Stellen wir uns eine Person vor, die im Leben eigentlich ausgesorgt hat. Sie bezieht eine gute Rente, hat während der Berufsjahre gespart und von ihren Eltern etwas Vermögen geerbt. Da sie nie geheiratet hat und bis heute allein lebt, verfügt sie nicht nur über Geld, sondern auch über Zeit. Eigentlich ist sie besonders gut für das Teilen prädestiniert. Tatsächlich gibt sie einiges von
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ihrem überschüssigen Vermögen innerhalb ihrer Familie ab. Sie teilt jedoch nicht, sondern tauscht, weil sie für ihre Leistung eine Gegenleistung verlangt. Der wesentliche Unterschied zwischen Teilen und Tauschen liegt im Anspruch auf eine Gegenleistung. Beim Teilen besteht dieser Anspruch nicht, beim Tauschen schon. Wer im familiären Bereich den Eindruck erweckt, als ob er freiwillig abgeben würde, dafür jedoch eine Gegenleistung einfordert, entstellt nicht nur den Sinn des Teilens. Er kommerzialisiert damit auch die zwischenmenschlichen Beziehungen und untergräbt die Idee des sozialen Engagements. Es kommt nicht selten vor, dass das Tauschen als Verhaltensmuster auch die Beziehungen innerhalb der Familie prägt. Solange darin nur Erwachsene involviert sind, lässt sich das zwar bedauern, aber auch verschmerzen. Wenn Erwachsene sich darüber einig sind, dass sie nur dann geben, wenn sie dafür auch etwas bekommen, ist das ihre Privatangelegenheit. Wenn sie jedoch das Prinzip des Tauschens auf die Kinder übertragen, dann verursachen sie einen sozialen Schaden. Beim Tauschen strebt man grundsätzlich an, einen möglichst großen Nutzen für sich herauszuschlagen. Dafür entscheidend ist die Stärke der eigenen Verhandlungsposition. Der stärkere Verhandlungspartner kann den schwächeren leicht über den Tisch ziehen. Ein solcher Fall liegt vor, wenn Erwachsene ihr ökonomisches Kalküldenken auf die Kinder übertragen. In solchen Situationen spielt es plötzlich keine Rolle mehr, welche Wünsche
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die Kinder tatsächlich haben. Denn sie sind als Verhandlungspartner so schwach, dass man ihnen jede Entscheidung aufzwingen kann. Mit Kindern sollte man deshalb immer fair verhandeln. Das beginnt damit, dass man sich ihre Wünsche anhört. Das Verhandeln sollte jedoch niemals zu dominanten Erziehungsmustern werden. Stattdessen gilt es zu teilen, um Kinder zur Freiheit, Einsicht und Eigenverantwortung zu erziehen. Viele Menschen können nicht verstehen, dass man teilen sollte, wenn man doch tauschen könnte. Bei Geld fällt es ihnen besonders schwer, den Anspruch auf eine Gegenleistung aufzugeben. Sie werden so lange auf ihrer Meinung beharren, bis sie ihren Horizont erweitern und das Leben ein Stück aus der Perspektive der anderen sehen. Spätestens ihre erwachsenen Kinder werden ihnen vermitteln, dass die Welt niemals als Wille und Vorstellung der Eltern funktioniert. Dann könnten sie eine Enttäuschung erleben, von der sie sich nur schwer erholen werden. Wer Geld nur tauscht, muss mit | Enttäuschungen rechnen. Wenn jemand keine eigenen Kinder hat und das Teilen als Tauschen praktiziert, ist auch nicht vor der Enttäuschung geschützt. Denn jedes Tauschgeschäft dauert nur eine begrenzte Zeit. Darüber hinaus wird in der Regel niemandem aufrichtig gedankt, wer Gutes nur aus eigenem Interesse tut. So ist leider zu erwarten, dass sich eine gekaufte Beziehung schlagartig abkühlt, wenn die Nutznießer daraus keinen Nutzen mehr ziehen.
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Die geteilte Arbeit Im Unterschied zu Geld lässt sich die eigene Arbeitskraft bedenkenlos teilen. Auch gegen das Teilen von Werkzeugen oder anderen Produktionsmitteln bestehen in der Regel keine inneren Widerstände. Das liegt zum einen daran, dass man die Ressourcen nicht verliert, nachdem man sie geteilt hat. Die Arbeitskraft regeneriert sich leicht, die Werkzeuge gehen durch einmaligen Gebrauch nicht kaputt. Schließlich hat diese Form des Teilens einen besonders produktiven Charakter. Dies ist vor allem im Rahmen einer guten Nachbarschaft der Fall. Denn eine gute Nachbarschaft ist eine Win-win-Situation. Die Nachbarn handeln nach dem Prinzip des Teilens und helfen sich gegenseitig. Dadurch entstehen neue Synergien, die allein einen Vorteil bringen. Wenn zwei Menschen sich ein Werkzeug teilen, lässt sich damit doppelt so viel bewerkstelligen. Gleiches gilt für die Handarbeit. Mehrere Hände zusammen können viel mehr bewegen, als wenn jeder alleine die Arbeit machen würde. So ist ein Team erheblich leistungsfähiger als die Summe der Einzelleistungen seiner Mitglieder. Die Teamarbeit ist nicht nur ein ökonomischer Erfolgsfaktor. Sie stärkt auch den sozialen Zusammenhang. Eine Gemeinschaft wächst umso mehr zusammen, je stärker darin geteilt wird. Das Teilen kann sogar stärker motivieren als das Tauschen, weil dadurch nicht nur materielle, sondern auch ethische Bedürfnisse befriedigt werden. | Durch Teilen arbeiten wir effizienter zusammen.
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Wir leben heute in der globalen Nachbarschaft. Wir verstehen uns aber nicht als ein Team. Es wird wahrscheinlich noch Jahrzehnte dauern, bis auf der ganzen Erde eine Weltgemeinschaft entstanden ist, die nach ethischen Standards zusammenlebt. Umso wichtiger ist es, überall kleine Keimzellen zu bilden, die das Bewusstsein der Zusammengehörigkeit stärken. Auch hierbei kann uns das Teilen einen großen Dienst erweisen. Denn es ist ein praktisches Handlungsmuster, das im kleinsten Umfang mehr bewirkt als Millionen von Worten, die tagtäglich zum Thema der sozialen Verantwortung öffentlich gesprochen werden. Vertrauen in das Gute Wir sind am Ende dieses Buches angekommen. Das, was bisher über das Teilen gesagt wurde, lässt sich auf einen einzigen Satz bringen. Wer teilt, vertraut auf das Gute im Menschen. Denn das Gute ist der einzige Wert, der unser Leben beständig lebenswert macht. | Wer teilt, vertraut auf das Gute im Menschen. Wir wissen nicht mit absoluter Sicherheit, was Gut und was Böse ist. Trotzdem haben wir davon eine klare Vorstellung, die von unserer inneren Stimme kommt. Das Gewissen sagt uns, dass wir teilen sollten. Folgen wir ihm einfach im Vertrauen auf eine bessere Welt.
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Register der wichtigsten Begriffe A. Aufklärung über die Notwendigkeit des Teilens argumentiert rational, ist oft aber gegen subjektive oder strategische Motive machtlos. Arbeit als Produktivkraft wird immer mehr von Kapital dominiert. Ausgleich zwischen Arm und Reich ist notwendig, weil die Güter in der Welt nicht so verteilt sind, wie sie sein sollten. B. Balance zwischen Körper, Geist und Seele geht verloren, wenn wir nur egozentrisch agieren. D. Dankbarkeit fördert die Bereitschaft zum Teilen. E. Egoismus stellt das Eigeninteresse vor das Interesse der Gemeinschaft. Egozentrik rechnet im materiellen Kalkül, lässt nur die eigenen Wünsche gelten und kümmert sich nicht um die Welt außerhalb der eigenen Lebenssphäre. Erfolg als kurzfristiges Ziel ökonomischer Aktivitäten fördert den Egoismus und destabilisiert die Wirtschaft.
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Erkenntnis treibt den technischen, politischen und sozialen Fortschritt voran. Ethik stellt ein soziales Korrektiv zum ökonomischen Denken dar, regiert jedoch nicht die Welt. Evolution vollzieht sich als biologische Teilung, bildet aber kein Muster für soziales Handeln. F. Freiheit erfolgt aus dem Bewusstsein, dass wir für unsere Entscheidungen selbst verantwortlich sind. Freundschaft entsteht aus Teilen. G. Geiz verschenkt kein Geld. Geld ist in unserer Gesellschaft für das Wohlbefinden unentbehrlich, kann das Glück jedoch nicht ersetzen. Gemeinschaft beruht auf der Idee des Teilens und erfordert das Mitwirken aller Mitglieder. Gerechtigkeit überprüft, ob Gesetze und Regeln innerhalb eines Systems korrekt praktiziert werden und lässt sich nicht vom Sozialbereich auf den Wirtschaftsbereich übertragen.
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Gesellschaft als Wohlstandssystem ist ökonomisch am stärksten, wenn die Wirtschaft sozial am rücksichtslosesten agiert. Gesinnung spiegelt das ethische Bewusstsein und den Willen zum Teilen wider. Gewinn als Lohn ökonomischer Austauschprozesse ist gerecht, wenn davon die Unternehmen mit allen Mitarbeitern nachhaltig profitieren. Gewissen zeigt subjektives Urteilsvermögen und beruht auf dem Glauben, dass wir zwischen Gut und Böse unterscheiden können. Glaube ist die geistige Grundform der Existenz und gründet in der Einsicht, dass wir nicht alles wissen, was wir wissen möchten. Globalisierung fördert ökonomische Ungleichgewichte, weil es keine Weltregierung gibt, die für sozialen Ausgleich sorgt. Glück als subjektives Motiv des Teilens verwirklicht sich durch freies Streben nach guten Taten. H. Habsucht führt in die Frustration. Hilfe ist dann am sinnvollsten, wenn sie die Selbsthilfe fördert.
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K. Kalküldenken schließt das Teilen aus, wenn es sich nur auf materielle Werte bezieht. Kapital als Produktionskraft setzt sich gegenüber Arbeit immer mehr durch. Klugheit lehrt uns, dass der Mehrwert nicht nur materiellen, sondern auch ideellen Charakter hat. Know-how des Managements bildet die dritte Produktivkraft und fördert das Übergewicht des Kapitals gegenüber Arbeit. Konsum treibt die Wirtschaft voran, ist aber gefährlich, wenn es unser Leben beherrscht. Kommerzialisierung wirkt dem Teilen entgegen und erfordert soziale Gegenmaßnahmen. Komplexität unseres Wirtschaftssystems entlastet das Gewissen der Verantwortlichen. Kompensation als sozialer Ausgleich hilft den Bedürftigen, ist jedoch im Hinblick auf ihre Notwendigkeit zu überprüfen. Kritik wirkt dem Teilen entgegen.
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L. Leben teilt sich unendlich fort und fordert von uns, an diesem Prozess verantwortlich mitzuwirken. M. Motivation fördert das Teilen. N. Neid spaltet die Gesellschaft. Notwendigkeit als objektiver Grund des Teilens ergibt sich aus ungerechter Besitzverteilung und steigenden Sozialspannungen. O. Öffentlichkeit ist sozialer Resonanzboden für Kritik und Anerkennung. Opportunitäten zu teilen, gibt es genug. Ordnung regelt das gesellschaftliche Zusammenleben und wird durch strategisches Eigennutzdenken immer komplexer. Ordnungspolitik sucht nach sozialem Ausgleich und kann in der globalen Wirtschaft immer weniger bewirken. P. Parität als Gießkannenprinzip des Teilens will jeden Anspruch ein bisschen befriedigen und wirkt dadurch nicht besonders effizient.
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Philosophie strebt nach Erkenntnis, Weisheit und Klugheit. Produktivität verleiht dem Teilen die nachhaltigste Wirkung. R. Rationalität fördert dann das Teilen, wenn sie neben den objektiven auch subjektive und strategische Motive analysiert. Raum zu teilen, wirkt der Einsamkeit entgegen. Realität des Teilens ist durch den Umgang mit Geld geprägt. Reflexion stellt eigenes Verhalten infrage, um die Wahrheit zu erkennen. Reziprozität als Prinzip des Teilens beruht auf einem verdeckten Kalkül und folgt dem Eigeninteresse. S. Schlauheit lässt sich allein vom Eigennutz leiten und höhlt die ethischen Fundamente der Gesellschaft aus. Selbstverpflichtung zum Teilen ist die Antwort der Wirtschaft auf ökonomische Ungleichgewichte und fortschreitende Egozentrik. Sharety als geistige Einstellung betreibt produktives Teilen und wirkt der Egozentrik entgegen.
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Sorge um Überleben, Glück und Erfolg lässt die Notwendigkeit des Teilens erkennen. Strategie entwirft den Weg zum Erfolg und lässt sich nicht nur ökonomisch, sondern auch sozial einsetzen. System bestimmt die Regeln des erfolgreichen Handelns und funktioniert in der Wirtschaft anders, als wir es uns sozial wünschen. T. Tauschen als ökonomisches Handlungsmuster lässt sich vom strategischen Denken leiten und strebt nach möglichst großem Profit. Teilen als soziales Handlungsmuster ist ein gezieltes, freiwilliges Abgeben eines Teils des erworbenen Vermögens ohne Rechtsanspruch auf eine Gegenleistung zu praktizieren. Trägheit entsteht aus übermäßigem Konsum. U. Umverteilen als politisches Handlungsmuster ist notwendig, weil wenige viel besitzen, während viel kaum etwas haben. Ursache wirkt objektiv und unabhängig von unserem Willen. V. Verantwortung für die Gemeinschaft, das Leben und die Zukunft ist ein fundamentales Motiv für ethisches Handeln (Teilen).
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Vertrauen ist der Ursprung des Guten. W. Weisheit weist uns den Weg zu Ruhe, Gelassenheit und Glück. Wettbewerbsfähigkeit wird durch das Teilen gestärkt. Wille zu teilen, geht auf die ethische Grundeinstellung zurück und wird durch Glauben, Freiheitsbewusstsein oder Verantwortungsgefühl angetrieben und verwirklicht sich als die höchste Stufe eines erfüllten Lebens. Wirtschaft funktioniert nach dem Prinzip des gewinnbringenden Tauschens und kann das Teilen nur als Korrektiv aufnehmen. Wissen als Ressource zu teilen, ist eine generationsübergreifende Verpflichtung. Wohlstand stellt den erstrebenswertesten Zustand einer Gesellschaft dar, wenn er durch Frieden und Freiheit begleitet wird. Wohlstandselite profitiert am meisten vom ökonomischem System und sollte beim Teilen mit gutem Beispiel vorangehen. Wohlstandsgesellschaft zeichnet sich durch Produktivität, Besitz und Konsum aus. Z. Zeit zu teilen sorgt für Erfahrung und Bestätigung.
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Ziel des Teilens liegt darin, die Chancengleichheit für alle Menschen zu verbessern. Zugewinn bezieht sich auf den Teil des materiellen und ideellen Vermögens, der zum Teilen bereitsteht. Zweck des Teilens liegt in der Entfaltung der Produktivität, die nach dem Prinzip der Hilfe zur Selbsthilfe wirkt.
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