Lebensmitteltechnologie - THINK ING. kompakt - Ausg. 2/10

Page 1

Ausgabe 2 | 2010

kompakt Jeden Monat neue Infos aus der Welt der Ingenieure

»» E R N Ä H R U N G S I N D U S T R I E

Die Technik und die Tiefkühlpizza Ein Butterkeks hat 52 „Zähne“, aus 10 Litern Milch lässt sich 1 Kilogramm Käse herstellen, eine Salatgurke besteht zu 97 Prozent aus Wasser und der Campari verdankt seine rote Farbe einem kleinen Insekt namens Cochenille-Laus. Aber wie backt man Kekse mit Zähnchen? Warum wird aus Milch Käse? Verwässern Gurken den Salat? Und wie kommt die Laus in den Alkohol? Kurioses und Unerwartetes gibt es so einiges im Zusammenhang mit Lebensmitteln, aber das Erstaunlichste überhaupt ist, wie komplex deren Herstellung heutzutage geworden ist. Das ahnt man nicht nur beim Gang durch die prall gefüllten Regalreihen der Supermärkte, sondern der beste Indikator dafür ist immer noch ein Blick in die eigenen

Joghurt zwischendurch, das Schnitzel für den Toaster, die Null-Kalorien-Cola zum Durstlöschen, ein paar Kartoffelchips zum Knabbern, die Gummibärchen zur Belohnung und abends dann die Pizza und das Speiseeis aus dem Tiefkühlfach.

Kühl- und Vorratsschränke. Dort zeigt sich in kühlem Licht oder sanftem

Gegessen wird immer. Permanent nehmen wir Lebensmittel zu uns und vertrauen auf deren Qualität. Längst sind das kaum noch Rohprodukte vom Acker oder Apfelbaum, sondern zum Großteil fertig verarbeitete und aus verschiedenen Rohstoffen nach standardisierten »» weiter S. 2

Chaos der persönliche Lebensmittelkonsum: Das Aufbackbrötchen und die Nuss-NougatCreme zum Frühstück, ein Müsliriegel oder probiotischer

»» P O R T R Ä T Wenn’s um die Wurst geht Bei Stefan Franzke dreht sich alles um die Wurst. Der 45-jährige Elektrotechnikingenieur hat als technischer Leiter für alle Produktionsbetriebe beim Wurstund Fleischwarenhersteller Zimbo ein enorm breites Aufgabenspektrum. »» weiter S. 3 + 4

Nestlé Deutschland AG

© Moonrun, Fotolia

© Dalmatin.o, Fotolia

© Foto oben: Dirk Banowski, Photocase

Ingenieurinnen und Ingenieure der Lebensmit teltechnologie ent wickeln Nahrung – gesund , schmack haf t , preisgünstig , haltbar, naturbelassen und funk tional

Thema: Lebensmitteltechnologie »» I N T R O Lieben Sie Lebensmittel? Deutschland lebt zwar vom Export, aber im eigenen Land wird auch eine ganze Menge hineingeschaufelt – Lebensmittel aller Art nämlich. Essen ist schließlich das wichtigste menschliche Grundbedürfnis. Das macht die Lebensmittelindustrie zu einer krisensicheren Branche, die mit naturwissenschaftlichtechnischem Know-how ständig auf der Jagd ist nach optimalen und innovativen Nahrungsmitteln. Schon unsere Vorfahren brauten Bier, brachten mit Hefe einen Teig zum Gären oder machten aus Milch und Bakterienkulturen guten Käse. Heute muss man all das nicht mehr selbst machen, sondern aufwändige industrielle Prozesse fertigen Lebensmittel in Großserie. Ganz gleich, ob es sich um Marmelade, Toastbrot, Kartoffelknödel, Lakritzschnecken oder Biojoghurt handelt. Standardisierte Markenprodukte sind überall verfügbar. Aber genauso wie jeder Hobbykoch dauernd seine Rezepte verbessert, arbeiten die Ingenieurinnen und Ingenieure der Lebensmitteltechnologie ständig an neuen Produktionsverfahren und Herstellungsmethoden. Die vorliegende kompakt-Ausgabe macht Ihnen diese spezielle Ingenieur-Fachrichtung so richtig schmackhaft. //

»» P R O D U K T E Innovationen für den Magen Für 150 Milliarden Euro haben die Deutschen im Jahr 2009 gefuttert. Die riesige Ernährungsbranche freut sich über den Umsatz und versucht, mit neuen Produkten Appetit aufs Geldausgeben zu machen. »» weiter S. 5 + 6


THINK ING.-kompakt · Ausgabe 2/2010 · www.think–ing.de · Seite 2

»» Fortsetzung von S. 1: Die Technik und die Tiefkühlpizza

Hier eine kleine Auswahl: Den Bachelor-Studiengang Lebensmitteltechnologie und Lebensmittelwirtschaft hat die Hochschule Bremerhaven im Angebot. www1.hs-bremerhaven.de/lw/ Sowohl den Bachelor in Lebensmitteltechnologie, als auch den Master in Food Processing kann man an der Hochschule Fulda erwerben. www.hs-fulda.de/index.php?id=695 Auf lebensmittelspezifische Studiengänge ist die Hochschule Weihenstephan spezialisiert: Lebensmitteltechnologie, Lebensmittelmanagement, Wirtschaftsingenieurwesen, Agrarmarketing und vieles mehr. www.hswt.de/info.html Lebensmitteltechnologie oder Lebensmittelchemie mit Bachelor-Abschluss gibt’s an der Technischen Universität Berlin. www.tu-berlin.de/?id=7001

de Verpackungen, reibungslose Distribution und schnelle Reaktionen auf Veränderungen der Verbrauchergewohnheiten sind zudem charakteristisch für die gesamte Branche der Lebensmitteltechnologie. So breit wie das Spektrum aller Ingenieurdisziplinen, die hier ineinanderwirken, sind auch die möglichen Berufschancen, die

Energie-Drink, für den nach zahlreichen Experimenten die richtigen Zutaten und Technologien gefunden werden müssen. Im Qualitätsmanagement gilt es Problemen auf die Schliche zu kommen, den Herstellungsprozess zu dokumentieren und die Verantwortung für die Endprodukte zu übernehmen. In der Produktion müssen die vollautomatisierten Anlagen effizient laufen, aber auch überwacht, gewartet, gereinigt und repariert werden. In der Forschung schließlich beschäftigt man sich mit konkreten Anwendungen oder naturwissenschaftlicher Grundlagenforschung – vom stabilsten Schaum für den Mohrenkopf bis hin zur Isolierung einer chemischen Verbindung.

eine ganze technische Wissenschaftsdisziplin und ein Heer von Ingenieurinnen und Ingenieuren. Denn moderne Lebensmittelherstellung ist ohne das Zusammenspiel verschiedener Ingenieur- und Naturwissenschaften undenkbar geworden. Das erfordert interdisziplinäre Kenntnisse aus vielen Fachrichtungen. Zum einen theoretisches Basis-Knowhow aus den Bereichen Physik, Chemie und Mikrobiologie, um neue Methoden und neue Produkte zu erproben und zu erforschen. Zum anderen eine Menge sehr konkreter Anlagentechnik zum Zerkleinern, Pressen, Mischen, Abfüllen, Haltbarmachen und Verpacken. Auch Verfahrenstechnik zum Erhitzen oder Kühlen und biochemische Verfahren zum Herbeiführen der gewünschten Prozesse wie Gärung, Gerinnung oder Konservierung sind enorm wichtig. Einen hohen Stellenwert hat zudem die Rohstoffauswahl und der sich immer mehr durchsetzende Trend der ökologisch einwandfreien Nahrungsmittel, bei denen ganz besonders auf den Erhalt der Nährstoffe, die schonende Verarbeitung und ernährungsphysiologische Aspekte geachtet werden muss. Permanente Qualitätskontrollen, ansprechen-

sich nach einem erfolgreich absolvierten Studium ergeben: bei Großkonzernen oder mittelständischen Fabriken im verarbeitenden Ernährungsgewerbe, aber auch im Lebensmittelhandel, bei Maschinenherstellern oder Zulieferern, in Prüfungs- und Forschungslaboren, in der Landwirtschaft und Futtermittelindustrie, bei Verbänden und Institutionen oder in verwandten Bereichen wie Biotechnologie, Pharma- oder Kosmetikindustrie.

Ganz egal, in welchem Bereich der Lebensmitteltechnik man landet, ob man an exotischem Speiseeis forscht, vitaminreiche Kaugummis herstellt, eine Limonade mit Baumwollgeschmack braut, Öko-Babykost abfüllt, Süßigkeiten ohne Kalorien entwickelt oder das über ein Jahr haltbare Schnitzel verpackt, eine einfache Prämisse gilt für alle innovativen Lebensmittel von heute: Sie müssen lecker sein, gesund, preiswert, lange haltbar und ansprechend aussehen. Die Experten der Lebensmitteltechnologie arbeiten mit der richtigen Technik an all diesen

Mayonnaise ohne Cholesterin – eins von Tausenden von Produkten, an dem im Bereich der Lebensmitteltechnologie geforscht wird

In jeder dieser Branchen können sich Ingenieure und Ingenieurinnen wiederum in einem von vier großen Bereichen spezialisieren: In der Produktentwicklung, auch „FoodDesign“ genannt, geht es beispielsweise um einen neuen

Kriterien. Der gute Geschmack bleibt aber die Nummer Eins. Einmal probiert, für immer verführt. Warum nicht? Wenn’s schmeckt? Vielleicht kommt manch einem der Appetit auf ein Studium der Lebensmitteltechnologie ja beim Essen. //

© Nestlé Deutschland AG

Man muss nicht unbedingt ein Fan von gutem Essen sein, um Lebensmitteltechnologie zu studieren, vielmehr sollte man eine gute Portion Mathe, Physik, Chemie und Mikrobiologie verdauen können. Auch der Hunger auf technische Verfahren zur Verarbeitung von Lebensmitteln muss vorhanden sein. Denn es ist damit zu rechnen, dass der erste Gang des Menüs an der Hochschule aus Lehrveranstaltungen zu Lebensmittel- und Rohstoffkunde, Lebensmittelanalytik und Mikrobiologie sowie Ernährungswissenschaft besteht. Vorlesungen und Seminare zu den Grundlagen der Verfahrenstechnik, zu Werkstoffen und Verpackungen, Mess- und Regeltechnik, mathematischer Statistik oder der Qualität pflanzlicher Erzeugnisse stehen sicherlich auch auf der Speisekarte. Als Hauptgerichte in den weiterführenden Semestern folgen Häppchen wie Maschinen- und Apparatebau, Prozessautomation, Biotechnologie, Qualitätssicherungsund Analysemethoden sowie Lebensmittelhygiene oder Ökonomie der Ernährungsindustrie.

Rezepten hergestellte Produkte. Verkaufsfertig und schön verpackt. Kaum jemand denkt aber darüber nach, welch langen Weg diese industriell hergestellte Nahrung zurücklegt, bevor sie dem Verbraucher in ihrer schicken Hülle ins Auge springt, auf dem Teller landet und letztlich im Magen verschwindet. Hinter dieser Unmenge an appetitlichen Produkten verbirgt sich

© Nestlé Deutschland AG

Links zum Studium


THINK ING.-kompakt · Ausgabe 2/2010 · www.think–ing.de · Seite 3

© ZIMBO

Gut verpackt, bleibt länger frisch: Durch eine Wiederverschluss-Verpackungsanlage, wie hier im Zimbo-Werk im ungarischen Perbál, bleiben die Lebensmittel im Kühlschrank länger haltbar

»» P O R T R Ä T

Genuss frisch verpackt Der Elektrotechnikingenieur Stefan Franzke hat als technischer Leiter für alle Produktionsbetriebe bei Zimbo viele Prozesse im Blick

Erfolgte die Produktion lange noch in Handarbeit, wurde der Maschinenpark im Laufe der Zeit immer größer. Das Unternehmen hat die Produktion zudem in den 90er Jahren auf fünf Produktionsstandorte ausgeweitet und setzt dort bei allen Fer-

tigungsschritten modernste Maschinen ein. Das ist gerade im Bereich der Verpackungstechnik von großer Bedeu-

versuchen wir den Automatisierungsgrad ständig zu verbessern. Das hat auch mit der Hygiene zu tun. Denn je

Zur Fleisch- und Wurstproduktion wird unter anderem eine solche Maschine benötigt: der Tumbler

tung, wie Stefan Franzke erläutert: „Von der Wurst bis zum verpackten Endprodukt

weniger Menschen mit dem Produkt in Berührung kommen, desto besser ist es.“

© ZIMBO

Für den Genießer kommt es auf den Inhalt an, bei Stefan Franzke ist es nicht nur der, sondern auch die Verpackung. Ob es die Thüringer Rostbratwurst ist, die im Sommer auf den Grill kommt, oder die SchinkenFleischwurst für Zwischendurch – alles dreht sich beim Elektrotechnikingenieur um die Wurst. Denn der 45-Jährige ist technischer Leiter für alle Produktionsbetriebe beim Wurst- und Fleischwarenhersteller Zimbo.

Der Ingenieur muss bei der Wahl der Maschinen, die in der Produktion zum Einsatz kommen, stets auf dem neusten Stand sein. Diese sind heute vorwiegend aus Edelstahl und müssen mit einem Hochdruckreinigungsgerät gesäubert werden können. Das schreiben Hygienerichtlinien vor, die es einzuhalten gilt. „In den vergangenen zehn Jahren hat sich in diesem Bereich der Maschinen eine Menge verändert“, sagt Franzke und nennt ein Beispiel: „Die Etikettierungstechnik der Verkaufspreise hat sich vom klassischen Drucksystem über das Heißprägeverfahren und das Inkjetsystem zur Lasercodierung entwickelt.“ Um bei derartigen technischen Neuerungen immer auf dem aktuellen Stand zu sein, ist es für Stefan Franzke wichtig, im


THINK ING.-kompakt · Ausgabe 2/2010 · www.think–ing.de · Seite 4

der Woche bin ich schon unterwegs. Mit dem Auto fahre ich bis zu 80.000 Kilometer

Franzke über seine ständige Suche nach Möglichkeiten zur Energieeinsparung.

© ZIMBO

In seiner Abteilung ist er der einzige Ingenieur und er genießt das Privileg auch ein wenig. „Die Wurstproduktion ist ein hochinteressanter Bereich. Hier kann Zum Zerkleinern und Vermengen bestens geeignet: Kutter sind auch bei der ich eigenGroßproduktion im Einsatz, wie hier im Zimbo-Werk in Börger im Emsland ständig Aber auch der Einkauf von im Jahr.“ Sein Aufgabenspekarbeiten und es gibt viele Energie und damit verbundene trum vor Ort ist vielfältig. Möglichkeiten den Weg zum Verhandlungen mit EnergieliefeNeben der Planung, dem Ziel einzuschlagen.“ Aber allein ranten fallen in sein AufgabengeAufbau und der Endabnahme ist er ganz und gar nicht. Er arbiet. Wie übrigens auch ISOneuer Anlagen muss er auch beitet mit Meistern, Technikern Zertifizierungen, CO2-Zertifikate, den laufenden Betrieb im und technischen Leitern in den Auge haben. Es geht um die verschiedenen ProduktionsPatentanmeldungen, PreisverInstandhaltung und Wartung stätten zusammen. Wenn seihandlungen mit Maschinenherbestehender Maschinen und ne Kenntnisse in bestimmten stellern und interne Besprechunden optimalen Energieeinsatz. Bereichen, wie der komplexen gen über Produktentwicklungen Luft-, Klima- und Kältetechnik, mit dem Marketing, Vertrieb und nicht ausreichen, kann er auf der Geschäftsleitung. „Der kaufdas Fachwissen extermännische Teil nimmt ner Ingenieurbüros mittlerweile 50 oder eben Prozent meiner der Arbeit ein“, meint der

Maschinenhersteller zurückgreifen. Die Wege der Informationsbeschaffung sind hier kurz. Weite Strecken muss Franzke hingegen zurücklegen, um die Produktionsstätten in Deutschland, Ungarn und Polen zu erreichen. „Drei bis vier Tage in

Denn die Produktion von Wurst- und Fleischwaren ist sehr energieintensiv, weil die Lebensmittel gekocht und wieder gekühlt werden müssen. „Es ist schon beachtlich, welche Potenziale man da finden und ausbauen kann“, sagt

Ingenieur, der sich über Weiterbildungsmaßnahmen das nötige betriebswirtschaftliche Know-how angeeignet hat. Aber Stefan Franzke weiß ganz genau, dass sein Job ohne technischen Hintergrund nicht funktionieren würde. Es ist die Mischung aus beidem, die wichtig ist. Das zeigt dieses

© ZIMBO

regelmäßigen Austausch mit Ingenieurinnen und Ingenieuren der Maschinenhersteller zu stehen.

abschließende Beispiel: Um dem Endkunden den Genuss einer Wurstscheibe möglichst lange zu gewähren, hat Franzke mit seinem Team und einem Maschinenhersteller eine Wiederverschlussverpackung entwickelt. „Die größte Herausforderung dabei war die Suche nach einem Kompromiss zwischen Preisdruck und dem Marketing“, sagt Franzke, der schließlich den optimalen Produktionsweg einschlug, die technische Neuerung zu einem akzeptablen Preis umzusetzen. Damit waren beide, die Kaufleute und der Ingenieur, zufrieden – und auch die Kunden, bei denen sich die Wurst im Kühlschrank länger hält. //

Dipl.-Ing. Stefan Franzke

Zur Person Stefan Franzke hat an der Fachhochschule in Dortmund Elektrotechnik mit dem Schwerpunkt Automatisierungstechnik studiert. Seine Diplomarbeit schrieb er bei einem Automobilhersteller über automatisierte Messverfahren von Schrauben und Bolzen in der Produktion. Trotz der Reize, die der Automobilbereich hat, ist er froh, bei einem mittelständischen Unternehmen wie Zimbo gelandet zu sein. „In der Automobilindustrie war der Stab an Mitarbeitern groß, dort ging es teilweise darum, in einem Pflichtenheft über zwei Seiten eine bestimmte RAL-Farbe zu beschreiben“, sagt Franzke, der nach dem Studium direkt bei Zimbo begann. Vor dem Studium absolvierte er eine Ausbildung zum Energieanlagenelektroniker, die er heute nicht missen will. „Das Ingenieurstudium ist eine Sache. Ohne diese Berufsausbildung wäre es aber schwierig, viele Entscheidungen in der Praxis zu treffen. Das hilft mir sehr.“


»» P R O D U K T E

Milliardenumsätze mit Gaumenfreuden Die Ernährungsindustrie zählt zu den Top Five-Branchen in Deutschland – ihr Hunger auf technische Innovationen und neue Produkte ist aber trotzdem unstillbar

© Gerti G., Photocase

Leckere Perspektiven für Ingenieure und Ingenieurinnen: die Lebensmittelindustrie zählt zu den fünf größten Industriebranchen der Bundesrepublik

Nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes erzielte die deutsche Ernährungsindustrie 2009 einen Umsatz von fast 150 Milliarden Euro. In 5.800 Betrieben arbeiteten 535.000 Beschäftigte. Damit zählt die Ernährungsindustrie zu den fünf größten Industriebranchen der Bundesrepublik. Die Lebensmittelhersteller stehen aber einer zunehmenden Konzentration im Einzelhandel gegenüber, die im Jahr 2009 einen Rekordwert erreichte. Die fünf größten Lebensmittelhändler vereinen jetzt rund 75 Prozent der Umsätze

der Verbraucher gestillt wird. Anfang Februar fand in Köln zum 40. Mal die wichtigste internationale Süßwarenmesse (ISM) statt. Zum Abschluss wurden aus 93 zur Auswahl stehenden neuen Produkten die Top-Innovationen gewählt. Den ersten Platz belegte ein süßes Sushi des belgischen Chocolatiers Rovacos. Der zweite Platz ging an eine

Hersteller Mederer für den „Trolli Cheesecake“ – ein buntes Fruchtgummi, das nicht nur geschmacklich, sondern auch optisch an Käsekuchen erinnert. An der Christian-AlbrechtsUniversität zu Kiel laufen im

dunkle Schokolade des Schweizer Unternehmens Villars Chocolatier, bei der Zucker durch den natürlichen Süßstoff Rebaudiosid-A, der aus der Steviapflanze gewonnen wird, ersetzt wurde. Eineinhalb Jahre betrug die Entwicklungszeit für diese gesunde Form der Süße. Platz drei schließlich ging an den deutschen Fruchtgummi-

Bereich der Lebensmitteltechnologie viele aktuelle Forschungsprojekte. Eines davon beschäftigt sich mit Salbei, Klee und Artischocken. Und zwar sucht man neue Verfahren, um aus den als Heilkräuter bekannten Pflanzen Biowirkstoffe zu gewinnen. Nicht wie herkömmlich durch chemische Lösungsmittel, sondern mit CO2-Hochdruck,

© Radu Razvan, Fotolia

»» K U R Z - I N T E R V I E W » 10 Antworten in 10 Sätzen Tilman Queins (40) arbeitete nach seinem Studium der Getränketechnologie an der Fachhochschule in Geisenheim als Trainee und Assistant Winemaker in Rumänien und Australien. Es folgten mehrere Jahre als Betriebsleiter einer Sektkellerei. Heute arbeitet er als Betriebsleiter in der Weinkellerei Valckenberg GmbH und ist gleichzeitig Geschäftsführer des Tochterunternehmens Weingut Liebfrauenstift GmbH. Ein guter Arbeitstag beginnt mit … einer gut gelaunten Begrüßung unter Kollegen. An Lebensmitteln und Getränken fasziniert mich ... die Vielfalt. Geschmack ist subjektiv, ihn für eine breite Masse zu finden und doch nicht einfach nur ein Durchschnittsprodukt zu produzieren, macht den Beruf interessant und fordert einen heraus. Es macht mich wahnsinnig, wenn … nicht akzeptiert wird, neue Wege zu wagen. Die Ingenieurausbildung in Deutschland … ist weltweit hoch geschätzt und bekannt. An meiner Tätigkeit gefällt mir ... der Umgang mit einem Naturprodukt. Jedes Jahr muss man mit anderen Voraussetzungen umgehen und sich auf diese neu einstellen. Entspannung finde ich … im Sport. Wenn ich nicht Ingenieur geworden wäre, … weiß ich nicht, ob ich so zufrieden mit meinem Beruf wäre. Ein Studium der Getränketechnologie... ist eine gute Möglichkeit, weltweit Kontakte zu knüpfen und auch weltweit tätig zu werden. Am liebsten trinke ich ... stilles Wasser zum Durstlöschen und einen guten Wein zum Abendessen. Als Rentner werde ich ... hoffentlich gesund mit meiner Familie glücklich sein. //

© Yvonnes_photos, Photocase

© Ralf Ziegler

THINK ING.-kompakt · Ausgabe 2/2010 · www.think–ing.de · Seite 5

auf sich. Gegen ALDI, REWE und Lidl haben Tante Emma und der Metzger um die Ecke eben kaum noch Chancen. Da ist Erfindungsreichtum der Ingenieure gefragt, damit der große Hunger des Handels und


THINK ING.-kompakt · Ausgabe 2/2010 · www.think–ing.de · Seite 6

Wasser als Lösungsmittel oder chromatographischer Isolierung. Hört sich kompliziert an, dient aber ganz praktischen Zwecken: die antioxidative Wirkung der Pflanzen soll für bessere Bekömmlichkeit von Lebensmitteln genutzt werden und man will Isoflavone isolieren, die bei der Prävention bestimmter Krebserkrankungen nützlich sind.

beliebten Crackern aber nicht nur der Fett- und Kaloriengehalt, sondern die beim Erhitzen entstehende Substanz Acrylamid. Deshalb laufen beim DIL seit Jahren Forschungsprojekte in diesem Bereich. Dadurch ergeben sich neue verfahrenstechnische Methoden zur Herstellung vorfrittierter Kartoffelprodukte, optimierte Friteusensteuerungen in Haushalt und Gastronomie und innovative Backverfahren für Brot, Kleingebäck und Lebkuchen. Dem Acrylamidgehalt geht es also an den Kragen und man kann wieder beruhigt Chips knabbern oder Pommes futtern. Nicht nur die Herstellung von Lebensmittelprodukten ist ein hochkomplexes Aufgabenfeld, auch der Reinigung der Maschinen und Anlagen

Am Deutschen Institut für Lebensmitteltechnik (DIL) knabbert man zwischendurch sicherlich gern ein paar Kartoffelchips. Schön braun, schmackhaft und gut geröstet – so wünschen es sich die Verbraucher. Gesundheitlich bedenklich ist bei den

© Nestlé Deutschland AG

Impressum Verantwortlicher Herausgeber: Arbeitgeberverband Gesamtmetall · Wolfgang Gollub · Leiter Nachwuchssicherung/ THINK ING. Postfach 060249 10052 Berlin www.think-ing.de

© Nestlé Deutschland AG

So is(s)t Deutschland Ein großer Lebensmittelhersteller wie Nestlé möchte natürlich gern wissen, was die Deutschen gerne essen und wie sie essen. Deshalb wurden 2009 in einer Studie rund 4.000 Menschen zu ihrem Ernährungs- und Einkaufsverhalten befragt. Ergebnis: Rund 85 Prozent der Deutschen können Wunsch und Wirklichkeit gesunder und ausgewogener Ernährung nicht in Einklang bringen. Außerdem kristallisieren sich sieben Ernährungstypen heraus: Die Leidenschaftslosen, die Problembewussten, die Gehetzten, die Nestwärmer, die modernen Multi-Optionalen, die Gesundheitsidealisten und die Maßlosen. Die Studie 2009 „So is(s)t Deutschland“ und auch die aktuelle für 2010 „So is(s)t Schule“ kann man auf der Nestlé-Website downloaden oder bestellen. Für Ingenieurinnen und Ingenieure der Lebensmitteltechnologie sicherlich eine wichtige Zielgruppen-Analyse. www.nestle.de/Home/ Unternehmen/NestleStudie

kommt eine hohe Bedeutung zu. Schließlich haben Keimfreiheit und Hygiene oberste Priorität im Herstellungsprozess. Besonders schwierig ist das in Großbäckereien. Die pulverförmigen Ingredienzien und klebrigen Teige scheuen die Reinigung mit Wasser. Deshalb wird hier eine bisher nur in der Biotechnologie eingesetzte Technik verwendet: Statt Wasser nutzt man zur Maschinenreinigung eine Art Gelatine-Film (eine konzentrierte Lösung mit Hydrokolloiden). Das Ganze lässt sich nach kurzer Einwirkzeit zusammen mit den gebundenen Verunreinigungen problemlos von der Oberfläche abziehen. //

Eine Abfüllanlage ist der Beginn eines funktionierenden Recycling-Kreislaufs – nicht nur für Mineralwasser, sondern auch für PET-Flaschen

»» F A C H B E G R I F F E Food-Englisch & Ernährungs-Deutsch » Convenience Food: Convenience Food ist bequem dargereichtes Essen. Darunter fallen in erster Linie Tiefkühlfertiggerichte wie Tiefkühlpizzen, aber auch andere vorgefertige Produkte wie geschnittener Käse, Tütensuppen und Backmischungen. » Sorbinsäure: Sorbinsäure ist ein Konservierungsstoff, durch deren Hinzugabe unter anderem Backwaren, Margarine, Käse und Wurstwaren länger haltbar gemacht werden. Häufig werden auch die Salze der Sorbinsäure verwendet: Natriumsorbat, Kaliumsorbat und Calciumsorbat. » Ultrahocherhitzung: Ultrahocherhitzung wird am häufigsten bei Milch angewandt, aber auch bei Dosensuppen oder Eintöpfen, um die Produkte länger haltbar zu machen. Die Milch wird für wenige Sekunden auf bis zu 150 °C erhitzt und sofort auf circa 5 °C heruntergekühlt. Das Ergebnis: H-Milch. »Food-Design: Food-Design ist ein In-Begriff, der die Entwicklung neuer Lebensmittel beschreibt. Dazu gehört auch die Darstellung der neuen Lebensmittel in der Werbung. » Functional Food: Functional Food sind Nahrungsmittel, die durch Nahrungsergänzungsmittel wie Vitamine, Mineralstoffe, Bakterienkulturen und ungesättigte Fettsäuren angereichert sind und damit gesundheitsfördernd sein sollen. » Alkoholische Gärung: Alkoholische Gärung, auch EthanolGärung, ist ein Vorgang, der bei der Herstellung von Getränken wie Bier und Wein eingesetzt wird. Der biochemische Prozess, bei dem Kohlenhydrate, vorwiegend Glucose, zu Ethanol und Kohlenstoffdioxid abgebaut werden, ist auch in Backstuben gegenwärtig – und zwar bei der Herstellung von Broten und Kuchen mit Hefeteig. » Instant: Halbfertige Lebensmittel werden als Pulver, Granulat oder getrocknet angeboten und müssen nur noch durch Hinzuführen einer warmen oder kalten Flüssigkeit angerührt werden. Beispiele: Instantmilch, löslicher Kaffee, Kakao.


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.