Textil- und Bekleidungswesen - THINK ING. kompakt - Ausg. 10/10

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Ausgabe 10 | 2010

kompakt Jeden Monat neue Infos aus der Welt der Ingenieure

»» T E X T I L - U N D B E K L E I D U N G S T E C H N I K

Durch Stoffwechsel zu neuen Strickmustern Zunächst einmal gilt es, eine Unterscheidung zwischen zwei Berufsprofilen zu treffen: Das Textilingenieurwesen setzt sich mit der Aufbereitung von Naturfasern und der Erzeugung von Chemiefasern, ihrer Verarbeitung zu Garnen und schließlich zu Stoffen, der Veredelung (etwa durch Imprägnieren) und der Konzeption der dafür notwendigen Maschinen auseinander. Beim Bekleidungsingenieurwesen liegt der Schwerpunkt dagegen auf der Weiterverarbeitung von bereits fertigen Textilgeweben zu Kleidung. Dazu zählen auch Heimtextilien wie zum Beispiel Bettwäsche oder technische Textilien. Es geht in der Bekleidungstechnik also vor allem darum, die maschinelle Fertigung von neuen Designs möglich zu machen.

die Sparten „Bekleidung“ sowie „Haus- und Heimtextilien“

(je 30 Prozent) überholt. In diesem Bereich finden auch die meisten spannenden Entwicklungen statt. Die ersten technischen Textilien haben übrigens schon die alten Ägypter eingesetzt; dort gab es bereits Sonnenschirme, Segel und Dochte. Auf den Einsatz von Textilbeton mussten sie beim Bau ihrer Pyramiden aber noch verzichten, auch wenn die Steine schleppenden Sklaven sicherlich dankbar dafür gewesen wären. Textilbeton ist nämlich ein neuer Verbundwerkstoff, bei dem Beton mit Hochleistungsfasern aus Glas oder Karbon kombiniert wird. Üblicherweise »» weiter S. 2

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Textilforschung ist keine Spinnerei: Ingenieurinnen und Ingenieure entwickeln textile Innovationen auch für die Medizintechnik, das Bauwesen und die Luftfahrt

»» S T U D I U M Forschung an Bekleidung Das Renaissance-Schloss Hohenstein wäre die ideale Kulisse für ein Mode-Shooting. Aber hinter den Schlossmauern entwickeln, prüfen und zertifizieren Bekleidungsingenieurinnen wie Simone Morlock neue innovative Textilien und Produkte. »» weiter S. 3 + 4

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© Hohenstein Institute

Apropos technische Textilien: Sie sind es, die eine immer größere Bedeutung erlangen. Ihr Anteil am Gesamtumsatz der deutschen Textilbranche ist in den vergangenen 20 Jahren von 8 Prozent auf 40 Prozent gestiegen. Damit haben sie

Thema: Thema: Textiltechnik Textil- und Bekleidungswesen »» I N T R O Web 2.0 mal anders Webstühle gehören zu den ältesten Maschinen der Menschheit. Erste Exemplare sind bereits aus der Jungsteinzeit bekannt. Auch der Faden und die Webtechnik sind in dieser Periode entwickelt worden. Erst lange Zeit später wichen die primitiven Holzkonstruktionen raffinierten Maschinen. Die Erfindung der vollmechanisierten Webmaschine durch Edmond Cartwright (1785) gilt als Meilenstein der industriellen Revolution und lies endlich das Web-(2.0)-Zeitalter anbrechen. Mit zunächst verheerenden Folgen. Zum ersten Mal in der Geschichte führte die Effizienz einer Maschine zur Vernichtung vieler Arbeitsplätze und einem Arbeiterprotest, der als schlesischer Weberaufstand von 1844 in die Geschichte einging. Inzwischen ist die textile Massenproduktion selbstverständlich – sonst hätten wir nicht so viel Kleidung im Schrank. Und die ständige Entwicklung neuer Materialien mit immer spezielleren Eigenschaften, die Erfindung besserer, effizienterer Maschinen und die Suche nach neuen textilen Anwendungsgebieten laufen auf Hochtouren. Ein interessantes Betätigungsfeld für Ingenieurinnen und Ingenieure – auch für jene, die Karl Lagerfelds nächster Winterkollektion nicht unbedingt entgegenfiebern. //

»» P R O D U K T E Viele textile Highlights Nicht nur Optik prägt unsere Kleidung, sondern auch technische Materialien und funktionale Aspekte. Solch moderne Textiltechnik lässt sich in vielen anderen Bereichen nutzen – vom Autositz über Roboter bis hinein in den OP-Saal. »» weiter S. 5 + 6


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»» Fortsetzung von S. 1: Durch Stoffwechsel zu neuen Strickmustern

Links zum Studium

und schon seit langem wird Beton mit Stahl verstärkt, um hohen Zugkräften – vor allem im Brückenbau – standhalten zu können. Der Stahl muss dabei von einer mindestens 10 Zentimeter dicken Betonschicht umgeben werden. Bei Textilbeton, der keine korrosionsfähigen Materialien enthält, genügen drei Zentimeter Beton – womit das Gewicht (beispielsweise einer Brücke) auf ein Drittel reduziert werden kann. Das ist keine Zukunftsmusik. In Kempten gibt es bereits seit 2007 eine entsprechende von der TU Dresden konzipierte Fußgängerbrücke.

Einen Überblick aller Textil- und Bekleidungstechnik-Studiengänge gibt’s in der IngenieurStudiengangSuche von THINK ING. unter: www.search-ing.de

Auch die Medizin wird in den nächsten Jahren enorm von textilen Neuentwicklungen profitieren: In einem Glaskasten im Forschungskuratorium Textil e.V. in Berlin steht Charly – ein Skelett, an dem 27 teilweise bereits marktfähige Anwendungen für medizinische Zwecke haften. Die Bandbreite reicht von Wundauflagen, die über einen längeren Zeitraum Wirkstoffe zur Heilung chronischer Wunden abgeben, über Schläuche aus Polyester, sogenannte Stents, die Blutgefäße offenhalten, und Knorpelimplantate zur Modellierung von Ohrmuscheln bis hin zu einem textilen Hirnhautersatz.

Strumpfhosen und ihr ultrafeines Gewebe sind ein echtes HightechProdukt der Textiltechnik

Projektnamen „NutriWear“ ein Kleidungsstück, in dem intelligente Textilien die permanente Messung von Wasserhaushalt und Ernährungszustand ermöglichen. Da es gerade bei älteren Menschen nicht selten zu ernährungsbedingten Mangelerscheinungen und

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An der Hochschule Niederrhein in Krefeld und Mönchengladbach wird ab dem Wintersemester 2010/2011 der Bachelor-Studiengang „Textil- und Bekleidungstechnik“ angeboten, der den alten Diplom-Studiengang ablöst. Informationen finden sich hier: http://www.hs-niederrhein. de/fb07/studium/ Die TU Dresden bietet den Studiengang „Textil- und Konfektionstechnik“ an: http://tu-dresden.de/die_tu_ dresden/fakultaeten/fakultaet_maschinenwesen/itm Weitere ausgewählte Studiengänge: Textil- und Ledertechnik an der Westsächsischen Hochschule Zwickau: http://www.fh-zwickau. de/index.php?id=5971 Textiltechnologie – Textilmanagement an der Hochschule Reutlingen: http://www.td.reutlingenuniversity.de/studiengaenge/ textiltechnologie-textilmanagement/studium-bachelor-master/ Textile Technologien an der FH Hof: http://www.hof-university. de/index.php?id=477 Bekleidungstechnik an der HTW Berlin: http://www.htw-berlin.de/ Studium/Studiengaenge/Studiengang.html?courseID=811 Textiltechnik an der FH Kaiserslautern: http://www.fh-kl.de/fachbereiche/alp/studiengaenge/ bachelor-produkt-und-prozessengineering/textiltechnik.html An der RWTH Aachen wird Textiltechnik als Vertiefungsrichtung in den Studiengängen Maschinenbau und Wirtschaftsingenieurwesen angeboten: http://www.ita.rwth-aachen.de/ ita/2-studium/2-00-studium.htm

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Obwohl Textiltechnik und Bekleidungstechnik formal getrennt werden, so sind sie doch so eng miteinander verwoben, dass manche Studiengänge zum Teil beide Bereiche abdecken.

Im Fall der „Smart Clothes“ oder „Smart Textiles“ werden die Übergänge zwischen technischer Anwendung und Kleidung ohnehin fließend. Das Institut für Textiltechnik der RWTH Aachen einwickelt zum Beispiel unter dem

Mit riesigen Textilmaschinen wird aus unzähligen Garnrollen das entsprechende Gewebe hergestellt

Dehydration kommt, könnte ein solches Frühwarnsystem Folgeerkrankungen verhindern. Auch Sportler gehören zur Zielgruppe: Die Technik ermöglicht es, den Nährstoff- und Wasserhaushalt während des Trainings ständig zu kontrollieren. Auch die Fraunhofer-Einrichtung für Modulare Festkörper-Technologie in München hat Ende Juli ein T-Shirt vorgestellt, das dem Sportler durch Farbwechsel anzeigt, wann er Flüssigkeit braucht. Etwas weniger smart und spektakulär, aber ebenso im Blickfeld der Forscher: Die Optimierung von Arbeitskleidung. An den Hohenstein Instituten in Bönnigheim wird derzeit daran gearbeitet, unter Verwendung neuer Materialien eine UV-Schutzkleidung zu entwickeln, die in Bezug auf Optik und Tragekomfort von gängiger Arbeits- und Freizeitkleidung nicht zu unterscheiden ist. So richtig nach Science Fiction klingt ein aktuelles Forschungsprojekt des Institute of Photonics and Optical Science im australischen Sydney. Dort arbeitet der Student Alessandro Tuniz an der Entwicklung unsichtbarer Fäden. Grundlage bildet eine Kombination aus sogenannten optischen Metamaterialien mit speziellen Lichtbeugungseigenschaften, die in der Natur nicht vorkommen, und Glasfasern. Um das Licht so manipulieren zu können, dass die Fäden unsichtbar werden, müssen sie allerdings auf einen Durchmesser von einem Mikrometer geschrumpft werden – etwa 100 Mal kleiner als die bisher realisierten. Und auch dann würde die Sache nur mit bestimmten Wellenlängen aus einem speziellen Betrachtungswinkel und mit polarisiertem Licht funktionieren. Nach aktuellem Forschungsstand wird die Textilindustrie zwar noch lange keine Tarnumhänge à la Harry Potter herstellen können, aber spannend sind die Ingenieurstätigkeiten im Textil- und Bekleidungsbereich allemal. //


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»» P O R T R Ä T

Vor sprung durch (Tex til)technik © Hohenstein Institute

Auf der Suche nach textilen Innovationen verbindet man an den Hohenstein Instituten wissenschaftliche Forschung mit viel Praxis

Per Computer und 3D-BodyScannertechnologie kann Bekleidungsingenieurin Simone Morlock den menschlichen Körper ganz präzise dreidimensional darstellen. Reihenmessungen für neue Schnitte und Konfektionsgrößen erfassen dadurch nicht nur Länge und Umfang, sondern auch spezifische Körperproportionen und -haltungen

eine Lehr- und Versuchsanstalt für Bekleidungstechnik und startete im Gründungsjahr mit dem

Das riesige Schlossareal beherbergt das Textilforschungs- und Dienstleistungszentrum der Hohenstein Institute mit über 330 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern

Otto Mecheels erkannte bereits im Jahr 1946, wie wichtig in der Textilbranche die Verbindung von Forschung und Lehre mit der Praxis ist. Deshalb installierte er innerhalb der Schlossmauern

Unterricht von gerade einmal 16 Studierenden. Sein Sohn, Professor Jürgen Mecheels, baute das Ganze von 1962 bis 1995 zu einem international anerkannten Forschungs- und Dienstleis-

tungszentrum aus. Nicht nur die Familientradition, sondern auch die Einheit von Forschung, Dienstleistung und Weiterbildung machte dann Professor Stefan Mecheels komplett, der die Institute seit 1995 leitet. Vier eigenständige Organisationen mit insgesamt rund 330 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern finden sich mittlerweile unter einem Dach. In der Forschungsabteilung entwickelt man Textilinnovationen, sucht neue Produkte, Verfahren oder Marktsegmente, in den Laboratorien prüft und zertifiziert man für mehr als 4.000 Auftraggeber textile Materialien, Bekleidung und Bettwaren und an der Technischen Akademie schließlich werden Seminare, Workshops und Tagungen angeboten. Zudem gibt es weltweite

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Interdisziplinär geht’s zu auf dem Schlossareal. Und textiles

Querdenken hat an den Hohenstein Instituten eine lange Tradition. Vordenker Professor © Hohenstein Institute

Ein stattliches RenaissanceSchloss auf einem Felsenberg, umgeben von einem Halbrund steiler Weinberge, unweit vom historischen Kleinstädtchen Bönnigheim – das hört sich nach einem ziemlich wildromantischen Arbeitsplatz an. Allerdings tüfteln die dort beschäftigten Ingenieurinnen und Ingenieure nicht an antiken Ritterrüstungen oder suchen optimale WeinkelterMethoden, sondern im Schloss Hohenstein und seinen sechs modernen Nebengebäuden wird herausragende Innovationsarbeit für die Textilbranche geleistet. Hier wird geforscht, geprüft, entwickelt und zertifiziert – an allem was mit textilen Produkten zu tun hat.


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© Hohenstein Institute

Man merkt schon, Textilien sind überall, und nicht unbedingt immer auf der Haut. Aber keine Sorge, die Entwicklun-

gen der Ingenieurinnen und Ingenieure an den Hohenstein Instituten wird man auch in den nächsten Jahren immer wieder

am eigenen Leib zu spüren bekommen – in Form von Wohlfühlfaktor, Tragekomfort und Bekleidungsqualität. //

»» I N T E R V I E W

sehr wichtig. Aber die Idee, mich konkret mit der Gestaltung und Herstellung von Bekleidung zu beschäftigen, kam mir erst kurz vor dem Abitur.

ziplinären Hightech-Produkt mit deutlichem Mehrwert für den Träger aufgrund unterschiedlicher Zusatzfunktionen entwickeln.

© Hohenstein Institute

Auslandsbüros und Niederlassungen – von Mexiko über Peru bis hin zu Indien und China. So haben die Hohensteiner Experten die Möglichkeit, im global vernetzten Textil-Business Hersteller und Handelspartner auch direkt beim Produktionsprozess zu unterstützen. Aber die Textil- und Bekleidungsbranche ist nicht nur ein internationaler, sondern auch ein ziemlich spannender Industriezweig und der Arbeitsbereich der Hohensteiner Textilingenieurinnen und -ingenieure reicht weit über T-Shirts, Turnschuhe und Strickpullover hinaus. Wichtige innovative Sparten sind Sport-, Freizeit- und Berufsbekleidung, technische, medizinische oder hygienische Textilien, Heimtextilien und Polstermöbel, aber auch die Waschmittelindustrie oder Automobilhersteller. Wer einen Blick in die Liste der Forschungsprojekte am Institut wirft, erkennt sofort, dass Bekleidungstechnik längst nicht

Bekleidungsingenieurin Simone Morlock (40)

Ein Profil mit viel Textil Die 40-jährige Simone Morlock arbeitet an den Hohenstein Instituten als Bekleidungsingenieurin. Im Interview erzählt sie von ihrer Arbeit und Forschung an ständig wechselnden, innovativen Themen und von den Herausforderungen in Studium und Job im Rahmen der Textilund Bekleidungstechnik. Wann und wie kamen Sie zu der Entscheidung, Bekleidungsingenieurin zu werden ? Nach dem Abitur wollte ich zunächst etwas Praktisches erlernen und absolvierte eine Lehre zur Damenschneiderin. Aber mir war von Anfang an klar, dass ich in diesem Bereich auch studieren wollte.

3D-BodyScanner ermöglichen passgenaue Bekleidung

mehr nach alten Strickmustern arbeitet. Da werden photochrome Textilien entworfen, die sich unter Sonnenlicht dunkel verfärben, spezielle UVSchutzkleidung aus Fasern mit eingebautem Sonnenschutzfaktor entwickelt, man nutzt 3D-Körperscans zur Passformoptimierung von Bekleidung, Zahnwatteröllchen werden mit Oxiden präpariert, um antientzündliche Eigenschaften zu erzielen, und Mikroben geht’s mit funktionalen Chemiefasern an den Kragen, damit Kleidung die Hautflora und das körpereigene Mikroklima verbessert.

An welcher Universität oder Hochschule haben Sie Ihren Ingenieurabschluss gemacht ? An der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin. Der Studiengang Bekleidungstechnik war eine Kombination aus mathematisch-naturwissenschaftlichen, ingenieurwissenschaftlichen und gestalterischen Studienmodulen. Das hat mir besonders gut gefallen. Waren Textilien schon immer Ihr Steckenpferd? Hatten Sie schon als Schülerin eine Affinität zu Kleidung, Stoffen und Mode ? Für die meisten Schülerinnen war und ist das Thema Kleidung

Was haben textile Produkte von heute mit Medizin, Elektronik oder Mikrosystemtechnik zu tun ? Durch die Kombination von Textil und Technologie bietet Bekleidung einen wertvollen Zusatznutzen. Beispiele sind unter anderem Gesundheitsmonitoring mit Hilfe von Textilien, Einbindung von Wirk- und Pflegesubstanzen in textile Materialien, Integration von Kommunikationsmodulen oder Überwachungssensorik in Schutz- und Arbeitsbekleidung. Wie sieht bei Ihnen ein typischer Arbeitstag aus ? Den typischen Arbeitstag gibt es eigentlich nicht. Natürlich arbeiten wir einen Großteil der Zeit am Schreibtisch und PC, aber es werden je nach Forschungsprojekt ganz unterschiedliche Versuchsreihen durchgeführt. Zudem finden regelmäßig Forschungssitzungen mit Kooperationspartnern sowie andere Veranstaltungen und Events statt. Was waren im Bereich Bekleidungstechnik die entscheidenden Innovationen der vergangenen zehn Jahre? In Bezug auf unsere Arbeit ist das sicherlich die 3D-BodyScannertechnologie. Diese erlaubt eine präzise dreidimensionale Abbildung des menschlichen Körpers. Damit lassen sich bei Reihenmessungen nicht nur – wie früher – die reinen Umfangsund Längenmaße als Grundlage der Konfektionsgrößen ermitteln, sondern auch spezifische Körperproportionen und -haltungen. Und wohin wird die Reise gehen ? Welche Textilien der Zukunft erwarten uns ? Bekleidung wird sich durch die Vereinigung von Textil und Technologie zu einem interdis-

Welchen Rat geben Sie jungen Menschen, die ihre Karriere auch mit textiler Technik stricken wollen ? Grundsätzlich sollten sich alle Interessierten bewusst sein, dass Mode sehr schnelllebig ist – was den industriellen Arbeitsalltag maßgeblich bestimmt. Auch der Globalisierung muss in der Ausbildung Rechnung getragen werden. Die rein bekleidungstechnischen Themen sollten in jedem Fall um die Bereiche Betriebswirtschaftslehre, Management sowie Sprachen ergänzt werden. Welche Arten von Ingenieurinnen und Ingenieuren sind bei Ihnen beschäftigt? Mit welchen Abschlüssen und Fachrichtungen hat man die größten Chancen ? Die Chancen hängen ganz vom jeweiligen Fachbereich in unserem Institut ab. Zu benennen sind unter anderem die Bekleidungs- und Textilingenieurinnen unterschiedlichster Fachrichtungen sowie die Textilchemikerinnen und -chemiker. Welchen Kleidungsstil bevorzugt eine BekleidungsExpertin wie Sie? Funktionsjacke oder Abendkleid ? Ich bin der klassische Typ, der zwar modisch orientiert ist, aber nicht jede Modeneuheit mitmacht. Selbstverständlich nutze ich die Vorteile von moderner Funktionsbekleidung in meiner Freizeit und beim Sport. Jil Sander ist ja auch ausgebildete Textilingenieurin. Wäre das eine Zukunftsperspektive – Ihre eigene Modekollektion auf wissenschaftlicher Basis ? Gefallen würde mir die Idee, aber im Moment ist mir das wissenschaftliche Arbeiten näher als das kreative Entwerfen von Kollektionen. Doch ich bin immer offen für Neues und wer weiß, was die Zukunft bringt … //


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Im Fadenkreuz der Technik © ag visuell, Fotolia

Textile Innovationen durchziehen Alltag, Arbeitswelt, Freizeit, Forschung und Industrie

Bei Funktionstextilien werden Membranen, Laminate, mikroporöse Beschichtungen oder Mikrofasergewebe eingesetzt, um Wasser und Wind von außen abzuhalten, jedoch Wasserdampf in Form von Schweiß von innen entweichen zu lassen

DynaMesh-CICAT aus Polyvenylidenfluorid (PVDF) hilft Ärzten. Bei der Neuentwicklung handelt es sich um ein textiles Netzimplantat aus einem thermoplastischen Kunststoff, das nach Bauchoperationen die Bauchwand stabilisiert. Etwa um einen Narbenbruch zu reparieren oder besser gleich zu verhindern. Betroffene Patienten verdanken ihre Genesung also nicht nur Chirurgen sondern auch Textilingenieuren. Kurz vor der Markteinführung steht Allergomed. Das ist eine Matratze für Menschen mit einer Hausstaubmilben-Allergie. Sie wurde an den Hohenstein Instituten in Bönnigheim zusammen mit dem Matratzenhersteller Fey & Co. entwickelt.

Dabei wird den Milben nicht durch Chemie der Garaus gemacht, sondern durch das regelmäßige Erhitzen der Matratze auf 55° Celsius. Die eingearbeiteten elastischen textilen Heizmatten werden mit Strom im Niedervoltbereich erhitzt. Dadurch wird kein störendes elektrisches Feld aufge-

finden: Freizeit, Sport, Arbeitswelt, Militär oder Industrie. Diese Materialien gewährleisten Atmungsaktivität und Schutz vor Regen, W i n d , Hitze, © adidas

Ein Arbeitstag beginnt mit … der Sichtung und Bearbeitung von E-Mails, bevor ich mit Mitarbeitern die aktuellen Projekte bespreche. Im Bereich Textiltechnik muss man … heute vor allem interdisziplinär denken und arbeiten. Textilien sind immer weniger einfach nur Stoffe, sondern werden auf vielfältige Weise funktionalisiert. Aufregen könnte ich mich, … wenn die Textiltechnik als eine veraltete Technologie betrachtet wird. Textil gehört zu den fünf Hightech-Branchen der Zukunft, deren Entwicklungspotenzial wir gerade erst beginnen auszuschöpfen. Die deutsche Textiltechnik ist … weltweit führend, vor allem im Textilmaschinenbau und ganz besonders bei der Entwicklung und Produktion technischer Textilien. Technologie und Textilien gehören … eng zusammen. Technische Textilien werden heute überall eingesetzt. Entspannung finde ich … in der Natur, beim Wandern und beim Rad- und Skifahren. Die Welt der „textilen Forschung“ eröffnet mir … die ganze Vielfalt innovativer Technologien. Wenn ich nicht Wissenschaftler geworden wäre, … wäre ich vielleicht Arzt geworden. Das Beste an meinem Job ist, … die enge Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern aus fast allen anderen naturwissenschaftlichen Disziplinen und anwendungsnahe Produktentwicklungen. Als Rentner werde ich ... mich in die Allgäuer Alpen zurückziehen, die Natur genießen und malen. //

»» P R O D U K T E

Schöner Schuh mit viel (Textil)technik

baut und auch Stromschläge sind ausgeschlossen.

© Hohenstein Institute

»» K U R Z - I N T E R V I E W » 10 Antworten in 10 Sätzen Dr. Michael Doser (54) ist Bereichsleiter Biomedizintechnik am Institut für Textil- und Verfahrenstechnik in Denkendorf bei Stuttgart. Sein Arbeitsbereich umfasst die Entwicklung neuer Biomaterialien für die Medizin und von textilen Medizinprodukten. Studiert hat Doser Biologie an der Universität Hohenheim, seit 1990 arbeitet er am Institut für Textil- und Verfahrenstechnik.

Textile, flexible Heizelemente bringen die Anti-Milbenmatratze auf Temperatur – bei 55°C haben Milben keine Chance

Funktionsbekleidung wie GORE-TEX ist heutzutage in allen Bereichen zu

elektrostatischer Aufladung oder vor gefährlichen Flüssigkeiten. Für funktionierenden Nässeschutz sind aber auch optimal versiegelte Nähte entscheidend. Denn beim Vernähen entstehen nicht nur kleine Löcher, sondern der feine Faden verhält sich wie ein Kerzendocht. Er saugt außen Wasser auf und transportiert es nach innen. Daher werden auf der Innenseite


© Sympatex

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»» F A C H B E G R I F F E Strick-Deutsch und Textil-Latein

Im Wärmebild zeigt sich, wie effektiv Funktionsbekleidung den Körper warm hält (links ohne, rechts mit Membran)

Die norwegische Firma Vital Base AS bietet ein neues Sitzsystem speziell für Rollstuhlfahrer an, dessen wichtigste Komponente der sogenannte ClimaTherm-Bezug ist, der ursprünglich für die NASA entwickelt wurde und für eine klimaregulierende, gleichbleibende Temperatur von 28° Celsius des Sitzes sorgt. Dadurch werden Druckstellen und sogar Geschwüre verhindert, die durch langes Sitzen entstehen können.

© Sympatex

Eine künstliche Haut für Roboter aus sensorbestückten Textilfasern haben Forscher des Fraunhofer-Instituts für Fabrikbetrieb und -automatisierung in

Magdeburg entwickelt. So ein taktiler Roboter-Dress besteht aus Sensoren, leitfähigem Schaumstoff, Textilmaterialien und einer intelligenten Auswerteelektronik. Der Roboter registriert dadurch wo und wie er berührt wurde. Ein sanfter Kontakt kann ihn beispielsweise in eine andere Richtung lenken, ein kräftiger Rempler veranlasst ihn zum sofortigen Anhalten. Gerade für den Laborbetrieb, in dem mechatronische Helfer Proben transportieren und Brutschränke bestücken, macht diese AntiKollisions-Bekleidung Sinn. Der aus der Natur bekannte Lotus-Effekt lässt sich auch für schmutzabweisende Textilien nutzen. Bislang erreichte man das, indem man textile Oberflächen nachträglich mit Mikro- und Nanostrukturen veredelte. Der schmutzabweisende Effekt ist zwar ordentlich, hält dauerhafter Beanspruchung aber nicht Stand. Ein Forschungs-

projekt der Hohenstein Institute in Bönnigheim geht nun einen anderen Weg zur Schmutzresistenz: Der Lotus-Effekt wird direkt in die Faser „eingebaut“. Und zwar mit Hilfe von magne© Michael Tieck, Fotolia

der Hightech-Kleidung wasserdichte Nahtversiegelungsbänder eingesetzt, die sogenannten GORE-SEAM-Tapes. Diese bestehen aus hochfunktionellen Laminaten, werden voll elektronisch per Heißluftschweißmaschine eingeklebt und abschließend digital überprüft. Das hält dicht.

Im Textilbereich sind Reißverschlüsse unverzichtbar – allein in Deutschland werden jährlich 70 Millionen laufende Meter produziert

tischen Nanopartikeln (Eisen, Eisenoxid), die direkt im Spinnprozess durch ein Magnetfeld eine nanostrukturierte Oberfläche erzeugen. Dieser ferromagnetischen Faserstrukturierung geht keine Verunreinigung an die Wäsche. // Impressum Herausgeber: GESAMTMETALL Gesamtverband der Arbeitgeberverbände der Metall- und Elektro-Industrie e. V. Voßstraße 16 · 10117 Berlin Objektleitung: Wolfgang Gollub (verantw.) Druck: color-offset-wälter GmbH & Co. KG,

Harte Testbedingungen für Handschuhe

Dortmund

» Strickwaren: Strickwaren gehören zu den Maschenwaren, bei denen eine Fadenschlinge in eine andere geschlungen wird. Der Faden verläuft dabei horizontal; eine Masche liegt neben der anderen. » Wirkwaren: Wirkwaren (auch Gewirke genannt) gehören zu den Maschenwaren, können aber nur industriell hergestellt werden. Bei ihnen verläuft der Faden vertikal. Im Fall der Kettenwirkware sind es gleich mehrere Fäden, die miteinander verbunden werden. Wirkware ist besonders elastisch und weitgehend laufmaschenfest. Beispiele für Wirkwaren sind Produkte aus Plüsch, Jersey, Nylon und Fleece. » Webwaren: Bei Webwaren (auch Gewebe genannt) werden zwei rechtwinklig verlaufende Fadensysteme („Kette und Schuss“) miteinander verwoben. Sie gehören dementsprechend nicht zu den Maschenwaren. » Abstandsgewirke/-gestricke/ -gewebe: Sie bestehen aus zwei textilen (gewirkten/gestrickten/ gewebten) Flächengebilden, die durch Verbindungsfäden, den sogenannten Polfäden, in einem definierten Abstand gehalten werden. Dadurch sind sie im Gegensatz zu den meisten Textilien dreidimensional und verhalten sich ähnlich einer Federkernfüllung. Die Polschicht wirkt klimaregulierend; Feuchtigkeit gelangt nach außen, Kälte wird abgeschirmt und die Luft gleichmäßig verteilt. Das sorgt für erhöhten Sitzkomfort – zum Beispiel bei Auto- oder Rollstuhlsitzen. » Filament: (lat. filum = Faden, Seite, Faser). Filament ist die internationale Bezeichnung für Fasern von praktisch unbegrenzter Länge, bei denen es sich üblicherweise um Kunstfasern wie zum Beispiel Acryl-, Kohlenstoffoder Glasfasern handelt.


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