FREUD STEPHEN WILSON & OSCAR ZARATE
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Titel: Freud in der Diskussion. Ein Sachcomic Reihe: INFOcomics (hrsg. von Wilfried Stascheit) Autor: Stephen Wilson Illustrationen: Oscar Zarate Umschlag: Edward Bettison Titel der englischen Originalausgabe: The Freud Wars. A Graphic Guide © Icon Books Ltd., London, 2015 Text: Stephen Wilson Illustrationen: Oscar Zarate
© 2017 deutsche Ausgabe: TibiaPress Verlag GmbH Ruhrpromenade 3, D- 45468 Mülheim an der Ruhr Tel.: +49 (0)208 88 37 57 47 info@tibiapress.de www.tibiapress.de Übersetzung: Johanna Metzger, Wilfried Stascheit Layout: Die Werkstatt Medien-Produktion GmbH, Göttingen Druck: Druckerei Uwe Nolte, Iserlohn Gedruckt auf GardaPat Classica ISBN: 978-3-935254-49-6
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Freuds Herkunft Sigmund Freud wurde 1856 in eine nicht besonders wohlhabende jüdische Familie geboren. Seine Geburtsstätte lag über einer Schmiede in Freiberg in Mähren, damals Teil der österreichisch-ungarischen Monarchie. Er war talentiert, ambitioniert und wollte berühmt werden. Juden hatten politische Emanzipation erreicht … Trotzdem war der durch die römisch-katholische Kirche bestärkte Antisemitismus vorherrschend. Österreich wird später besonders empfänglich für die Nazi-Ideologie sein.
Freuds Kindheitsidol war Hannibal, der (semitische) karthagische General, der gegen die Römer kämpfte. 3
Er prägte das 20. Jahrhundert Freud wollte ein erfolgreicher Mediziner werden und wichtige Entdeckungen als Wissenschaftler machen. Allerdings ließ sich davon nicht leben, und er hatte kaum Privatvermögen. Also ließ er sich schweren Herzens in Wien zum Arzt und Neurologen ausbilden. Später wendete er sich der Psychologie zu und wurde der Begründer der Psychoanalyse. Das ist eine Behandlungsmethode bei psychischen Problemen, die nach meiner Theorie ihren Ursprung in unbewussten psychischen Konflikten haben.
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Zum Zeitpunkt seines Todes am 23. September 1939 in London, wo er vor der Judenverfolgung der Nazis Asyl gesucht hatte, war sein Name ein Wahrzeichen für die Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts. In den Worten des Dichters W.H. Auden (1907–1973): … … auch wenn er oft falsch lag – bisweilen gar absurd, für uns ist er keine Person mehr, sondern ein ganzes Klima an Meinungen, unter dem wir unsere unterschiedlichen Leben verrichten: Dem Wetter gleich hindert er oder er nützt.” („In Memory of Sigmund Freud”, 1939)
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Widersprüchliche Anschuldigungen Über Freuds Leben und Werke wurde viel geforscht, und es gab fortdauernde, teils widersprüchliche Kritik.
Ihm wurde vorgeworfen, Lügen über seine Arbeitsweise zu erzählen. Außerdem Heuchelei in seiner Theoriebildung, medizinische Fahrlässigkeit und maßloser Ehrgeiz.
… angeschuldigt der Drogenabhängigkeit und der Verteufelung von Kindern.
… belastet mit dem Vorwurf von sowohl Einfallslosigkeit als auch Mythenbildung, Darstellung von Selbstverständlichem und Verwirrungsstiftung durch Obskures.
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… verantwortlich gemacht für die Verzögerung bei der Anerkennung von sexuellem Kindesmissbrauch und für die Erfindung von falschen Erinnerungen an sexuellen Kindesmissbrauch.
… Förderung von Libertinismus wie auch Puritanismus, Frauenfeindlichkeit und Homophobie.
… Verdacht auf eine inzestuöse Neugier an seiner Tochter, auf einen Seitensprung mit seiner Schwägerin und Planung des Mordes an seinem früheren Freund Wilhelm Fließ.
Freud wurde als „teuflisches Genie” und als „einer der weltgrößten Heuchler” beschrieben. Und als ob das alles noch nicht genug wäre, wurden seine Theorien verantwortlich gemacht für die Entfremdung von uns selbst und für die Unterminierung genau der Werte, auf denen die ganze westliche Zivilisation basiert. 7
Der Tod der Psychoanalyse Gegner der Psychoanalyse haben deren bevorstehenden Tod schon bei ihrer Geburt vorhergesagt. Alfred Hoche, Professor für Psychiatrie in Freiburg, vertrat diesen Standpunkt 1910 in einem Vortrag in Baden-Baden. „Bei der Betrachtung dieser Bewegung kann man sich ganz ruhig einer Sache sicher sein … dass sie bald abklingen wird.” „… eine psychische Epidemie in den Annalen der Medizin”, sagt Hoche.
Boris Sidis, ein amerikanischer Psychopathologe, schließt sich an: Diese „wahnsinnige Epidemie von Freudismus, die uns zurück ins Mittelalter stürzt …”
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Und weiter im Jahr 1910 schlug Professor Wilhelm Weygandt bei einem Kongress von Neurologen und Psychiatern in Hamburg mit der Faust auf den Tisch: „Dies ist kein Thema für eine Diskussion auf einer wissenschaftlichen Tagung; es ist eine Angelegenheit für die Polizei!” 1911 präsentierte David Eder auf einem Treffen der British Medical Association erstmals eine psychoanalytische Abhandlung: „Ein Fall von Manie und Hysterie, der mit Freuds Psychoanalyse behandelt wurde”… Als er fertig vorgetragen hatte, demonstrierte die gesamte Zuhörerschaft ihre Empörung, indem sie geschlossen aus dem Raum stürmte …
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1925 wurde die Psychoanalyse von einem anderen amerikanischen Psychologen namens J. McKeen Cattell mal wieder verworfen: „Viel mehr eine Frage des Geschmacks als der Wissenschaft, so ist Dr. Freud ein Künstler, der im Märchenland der Träume mitten unter den Ungeheuern des perversen Sex lebt.” Der Wiener Satiriker Karl Kraus (1874–1936) fasste die Feindseligkeit gegenüber der Psychoanalyse in seinem Magazin Die Fackel zusammen: „Psychoanalyse ist jene Geisteskrankheit, für deren Therapie sie sich hält.” Aber er wurde noch ätzender …
P SY C HO ANA
LYS E
Wenn der Mensch mit all seinen abstoßenden Fehlern ein Organismus ist, dann stellt der Psychoanalytiker dessen Exkremente dar!
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Diese extreme Herabwürdigung der Psychoanalyse in den Anfangsjahren des letzten Jahrhunderts dauert bis heute an. Vergleichen Sie, was Kraus damals gesagt hat, mit der Definition des „Psychoanalytikers” in Professor Stuart Sutherlands Macmillan Dictionary of Psychology (1989):
Sie wühlen wie Taschendiebe in unseren Träumen herum …
Stuart Sutherland
… Eine Person, die einer anderen unter dem Vorwand Geld wegnimmt, dass es nur zu deren eigenem Besten sei.
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Noch in jüngerer Zeit verdammte der britische Philosoph Roger Scruton Freud in einer BBC-Radiosendung im Mai 2001.
Freuds Gedanken über infantile Sexualität sind die Gedanken eines Pädophilen …
Ich bin vor vielen Jahrzehnten (1939) gestorben, aber sie hassen die Psychoanalyse immer noch!
Die psychoanalytische Bewegung ist weit über das, was sich ausschließlich auf Freud und seine Schriften zurückführen lässt, hinausgewachsen. Die moderne psychoanalytische Theorie und Praxis haben sich während mehr als einhundert Jahren über die weltweit zusammengetragenen klinischen Erfahrungen weiterentwickelt. Aber auch eine politisierte Gegenbewegung wächst weiter. Zum Beispiel positioniert sich eine 1995 gegründete britische Gruppe, die sich Psychotherapists and Counsellors for Social Responsiblity nennt, gegen rassistische, sexistische und homophobe Ansichten in der Psychoanalyse. 12
1996 berichtete die New York Times über die Verschiebung einer großen Ausstellung der Kongressbibliothek zu Sigmund Freud nicht zuletzt wegen Protesten von Wissenschaftlern. Doch selbst seine größten Gegner, wie Richard Webster in Why Freud Was Wrong: Sin, Science, and Psychoanalysis (1996), müssen einräumen, dass die Psychoanalyse „jeden Anspruch darauf hat, als ergiebiger und origineller bewertet zu werden, als jede andere intellektuelle Denkrichtung im 20. Jahrhundert”. Wir sollten uns daran erinnern, was Freud selbst auf dem zweiten Psychoanalytischen Kongress 1910 zu seinen Kollegen gesagt hatte …
Die revolutionären Wahrheiten werden endlich gehört und anerkannt, aber erst nachdem die durch sie verletzten Interessen und die durch sie geweckten Affekte sich ausgetobt haben.
Die andauernde „Diskussion um Freud” hat dafür gesorgt, dass die wirklich wichtigen Fragen, die die Psychoanalyse stellt, etwas aus den Augen verloren wurden. Schauen wir uns erst mal an, welche das sind … 13
Hat Freud das Unbewusste erfunden? Freud hat die Idee von unbewussten mentalen Prozessen nicht erfunden. Als er 1896 den Begriff der Psychoanalyse prägte, war das Unbewusstsein bereits eine populäre Vorstellung unter vielen Dichtern und Philosophen der „Romantischen Schule” des 19. Jahrhunderts, wie William Wordsworth (1770– 1850) in England und J.W. von Goethe (1749–1832) in Deutschland. Es gibt einen Teil unserer Psyche, der nicht bewusst zugänglich, ja sogar fremd ist. …
Trotzdem bestimmt er unseren Alltag maßgeblich.
Die Naturwissenschaften haben es geschafft, die physische Welt zu erklären. Ich möchte diese wissenschaftlichen Analysen auf die innere Welt der subjektiven Wirklichkeit anwenden.
Freud gab der Idee von dem Unbewussten eine neue Facette durch seine These, dass es nützlich wäre, es zu ergründen und zu verändern. 14
Freud sah die Psyche als abhängig von den „dynamischen Kräften” der Instinkte, Triebe, Gefühle, Affekte und Ideen. Diese wurden von einem Objekt zu einem anderen übertragen oder verdrängt, sobald sie über die Grenze des Bewussten hinausgingen. Derartige Verdrängungen helfen uns dabei, unangenehme Wahrheiten zu ertragen.
Angesichts schmerzhafter und unzumutbarer Wahrheiten gibt es eine Form von allumfassendem Selbstbetrug. Neurotische Symptome sind eine Art Lüge.
Auf diese Art rechtfertigte Freud eine neue Behandlungsmethode dieser Symptome. Eine Methode, die den Menschen ermöglichen soll, der Wahrheit über sich selbst ins Auge zu sehen. Sie basierte auf einem ausgedehnten und einzigartig intimen Dialog zwischen Patient und Arzt. 15
Kritik an Freuds Vorstellungen Freuds Thesen über Aggressivität sind fragwürdig. Der Psychoanalytiker Henri Parens unterschied in einer gründlichen Beobachtungsstudie über die Entwicklung von Aggressivität in der frühen Kindheit zwischen vier verschiedene Typen.
Bereits Stunden nach der Geburt kann man destruktives Verhalten aufgrund körperlicher Beschwerden bemerken … … wie auch sogenannte nichtaffektive Destruktivität, wie z.B. durch normale Nahrungsaufnahme und Saugen, die Zersetzung von Nahrung durch Verdauung usw.
Aber er fand auch eine während der ersten drei Lebensmonate auftretende nicht-destruktive Aggressivität, die durch exploratorisches Verhalten mit dem Ziel der Beherrschung charakterisiert ist. Und schließlich eine auf Lust orientierte Destruktivität, die wohl einen späteren Entwicklungsschritt gegen Ende des ersten Lebensjahres darstellt. 42
Nicht nur, dass man Aggressivität und Destruktivität auseinanderhalten kann, es ist weiter fraglich, ob das eine wie das andere in dem Fortschreiten des Körpers hin zu seinem natürlichen Verfallsdatum seine Parallele findet. Wie Erich Fromm sagt: „Wenn wir uns Freuds Überlegung über die Grundlage des Wiederholungszwangs anschließen, dass nämlich das Leben die inhärente Tendenz hat, abzuklingen und schließlich zu sterben, so wäre eine solche ihm innewohnende Tendenz etwas völlig anderes als der aktive Impuls, zu zerstören. Fügen wir noch hinzu, dass diese gleiche Tendenz zu sterben angeblich auch die Quelle der Leidenschaft zur Macht und des Beherrschens (auch im Sinne von „Beherrschen einer Kunst”) und – falls mit Sexualität untermischt – auch die Quelle des Sadismus und des Masochismus ist, so muss diese theoretische Tour de force fehlschlagen.”
Freuds Abhandlung über den Todestrieb ist wissenschaftlich gesehen mangelhaft, wie er selbst zugab, war es Spekulation. Viele Kritiker haben diese von Freud zugegebene Spekulation gegen ihn ins Feld geführt, um alle seine Ideen zu diskreditieren. Betrachten wir ein bekanntes Beispiel, der Fall der „Anna O”… 43
Eine Hysterie-Diagnose Der Fall der „Anna O” ist für die Vorgeschichte der Psychoanalyse wichtig, da die Erkrankung dieser jungen Frau von Freud und Josef Breuer (1842–1925) in deren Studien über Hysterie (1895) aufgezeichnet wurde. Ich habe den Begriff „Redekur” erfunden, um den Prozess zu beschreiben, in dem ich temporär von dem Leiden durch meine vielen Symptome befreit war … … durch regelmäßige, unter Hypnose mit mir geführte Dialoge.
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Es ist Hysterie – eine Erkrankung, die nichts mit einer physischen Erkrankung gemeinsam hat.
Manche Kritiker haben diese Hysterie-Diagnose angezweifelt. Jedoch versucht der Experimentalpsychologe H.J. Eysenck (1916–1997), Freud in seinem Buch Sigmund Freud: Niedergang und Ende der Psychoanalyse (1985) etwas übereifrig zu widerlegen. Eysenck war kein Mediziner, und obwohl er hundert Jahre von den Geschehnissen entfernt ist, plagt ihn kein Zweifel an der Richtigkeit seiner eigenen Diagnose … Anna litt überhaupt nicht unter Hysterie, sondern unter einer schweren physischen Krankheit namens tuberkulöse Meningitis …
Und wieso bin ich daran nicht früher gestorben?
Eysencks „Diagnose” wurde erst durch den Historiker E.M. Thornton öffentlich verbreitet. Aber ist sie die richtige? Das medizinische Unwissen der beiden führte zu einem „Brüller”: Unbehandelte tuberkulöse Meningitis ist innerhalb von sechs bis acht Wochen tödlich. Aber Anna O, deren echter Name Bertha Pappenheim war, lebte weiter als bekannte Sozialarbeiterin und Feministin. 45
Doras Traum In meinem Traum brannte ein Haus.
Doras sexuelle Leidenschaft … Ich kleidete mich schnell an.
Mein Vater stand an meinem Bett und weckte mich auf.
Übertragung einer tatsächlichen Gegebenheit, als sie Herrn K. bei ihrem Bett angetroffen hatte … 88
Um einen sexuellen Annäherungsversuch zu verhindern.
Meine Mutter wollte anhalten und noch ihr Schmuckkästchen retten.
Weibliche Genitalien …
Aber mein Vater sagte: „Ich lasse nicht zu, dass ich und meine beiden Kinder wegen deines Schmuckkästchens verbrennen.”
Wie soll ich Doras Assoziation interpretieren? „Bei Nacht kann etwas passieren, weswegen man hinaus muss”?
Dies ist ein Wachrufen von Doras kindlichem Bettnässen wie auch ihrem Wunsch, Herrn K. ihr eigenes „Schmuckkästchen” zu geben.
Sie eilten nach unten, und sowie sie draußen war, wachte Dora auf. Am folgenden Tag ergänzte Dora ihren Traum noch etwas – jedes Mal nach dem Aufwachen roch sie Rauch. 89
Feuer und Rauch Freud ist sich in seiner Schlussfolgerung siegessicher. Diese Bestrebungen beweisen erneut, wie sehr du ihn geliebt hast …
Das wiederholte Auftreten des Traums in den letzten Tagen zwingt mich zu dem Schluss, dass du denkst, dieselbe Situation wäre wieder eingetreten und dass du dich entschieden hast, die Behandlung abzubrechen … Die, zu der dich am Ende nur dein Vater zwingt.
Der Geruch von Rauch war wohl sehr gut verdrängt, da er erst kürzlich an die Oberfläche gekommen ist. Deswegen muss es mit der zentralen Versuchung des Traums in Beziehung stehen – dem Wunsch, sich Herrn K. hinzugeben. 90
Ein Kuss von einem Raucher schmeckt nach Rauch. Da Freud oft mit dem Satz kommentierte „Wo Rauch ist, ist auch Feuer!”, bestätigte ihn das in der Ansicht, dass der Traum in besonderer Beziehung zu ihm selbst stand. Zudem waren Doras Vater, Herr K. und Freud leidenschaftliche Raucher …
… ihr ist sicher eingefallen, sich einen Kuss von mir zu wünschen. Dies war für sie der Anlass, sich den Warnungstraum zu wiederholen und den Vorsatz zu fassen, die Behandlung abzubrechen. So stimmt es sehr gut zusammen … aber vermöge der Eigentümlichkeiten der „Übertragung” entzieht es sich dem Beweise.
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Passt alles „sehr gut zusammen”? Freud vertraut seiner eigenen subjektiven Wahrnehmung sehr, weiß aber auch, dass sein Urteil andere kaum überzeugen kann. So wie auch Dora mögen wir mit seiner Schlussfolgerung, dass alles „sehr gut zusammenpasst”, nicht einverstanden sein. Er versucht zu krampfhaft, alles so hinzubiegen, dass es Sinn macht. Wir müssen uns von seiner Deutung von Doras Magenschmerzen nicht beeindrucken lassen oder gar seinen Enthusiasmus über die unwahrscheinliche Heilung teilen. Solche Schmerzen können dauerhaft geheilt werden, indem ein „Magen-Punkt ” in der Nase weggePff! ätzt wird. Lasst bloß meine Nase in Frieden!
„Magenschmerzen”? Ich glaube ja, sie hat masturbiert …
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Masturbation war damals wie heute sehr verbreitet, aber die damit einhergehende Scham hätte mit fast jedem Symptom korrelieren können. Freud verdient mit Sicherheit keinen Blumenstrauß für seine Annahme, dass sie masturbierte. Er mag mit seiner gut gemeinten „Beruhigung” ihr Unbehagen vielleicht sogar verschärft haben. Das ist der naheliegende Grund für den Scheidenausfluss, den du fälschlicherweise der erblichen Syphilis zugeschrieben hast.
Es schien ihm nicht in den Sinn gekommen zu sein, dass die Leukorrhoe [Weißfluss] organischer Natur ist. Mit seiner bekannten Fähigkeit, es mit einer guten Idee zu weit zu treiben, werden seine eigenen Einsichten durch sein wenig überzeugendes Vorhaben interpretativer Verbiegungen immer verworrener. 93
Was ist Weiblichkeit? Weil alle Babys ihr emotionales und sexuelles Leben mit einer tiefgreifenden Bindung an die Mutter beginnen und durch Berührungen ihrer eigenen Genitale (klitorale Stimulation bei Mädchen) sinnlichen Genuss erlangen, fragte sich Freud, wie dann erwachsene Weiblichkeit verwirklicht wurde.
Wie kommt eine Frau zu dem Verlangen, den Penis eines Mannes in ihrer Vagina haben zu wollen und dabei Lust zu verspüren?
Außerdem … ihr Wunsch, von einem Mann geschwängert zu werden.
Wenn Erfahrungen im Kindesalter als Vorbild für die spätere Sexualität dienen, wie kommt es dann, dass ein weibliches Kind seine Zuneigung auf das andere Geschlecht überträgt? Und woher kommt der Wunsch nach vaginaler Penetration? Diese Fragen bereiteten Freud Kopfzerbrechen. 160
Kastrationsangst bei Frauen? Aus Schilderungen seiner weiblichen Patienten und besonders wohl seiner eigenen Tochter Anna, die in diesem Fall ein Paradebeispiel war, schloss Freud, dass ein kleines Mädchen, nachdem es das erste Mal ein männliches Genital gesehen hat, den Wunsch entwickelt, dass das auch ein Teil von ihr selbst sein sollte. Alle Mädchen sind „burschikos”. Sie erstreben männSie liche Eigenschaften und geben ihre ödilehnen ihre Weiblichpale Bindung an den keit ab – zumindest bis zum Beginn der Vater nicht auf, da sie keine Angst vor KastraPubertät. tion haben – stattdessen verübeln sie, dass sie bereits kastriert sind.
Mädchen neigen dazu, ihre Mütter als Repräsentation eines minderwertigeren Status zu sehen. Nur wenn das überwunden wurde, kann ein Mädchen in den Zustand von wahrhaftiger Weiblichkeit fortschreiten. Dazu muss der Wunsch, ein Mann zu sein, in den Wunsch, einen zu beinhalten, transformiert worden sein, und dann weiter in den Wunsch nach Mutterschaft. 161
Vorurteile – Freuds Blick auf Frauen Freuds Vorliebe für grandiose Theorien bildete die Ursache für pauschalisierende, vorurteilsbehaftete und haltlose Verallgemeinerungen. Aus seiner Ödipustheorie folgerte logisch, dass die weibliche Reaktion auf die Kastrationsangst nicht dafür sorgen würde, dass das kleine Mädchen seine libidinöse Bindung an den Vater aufgibt, was folglich nicht zu einer frühen Internalisierung eines Über-Ichs führen würde. Als Resultat fehlt es Frauen an dem moralischen Bewusstsein der Männer … Aufgrund der Verdrängung ihres „Penisneids” sind sie für Eifersüchteleien jeglicher Art anfälliger.
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Frauen sind durch Gefühle und Affekte stärker beeinflusst und haben einen schlechteren Gerechtigkeitssinn.
Das sind die Charaktereigenschaften, die Kritiker aus allen Epochen Frauen vorgeworfen haben.
Freud beruft sich auf Kulturgeschichte, um seine Meinung zu stützen. Aber er ignoriert soziale und kulturelle Faktoren, die den Frauen in seiner eigenen Gesellschaft Rechte und Freiheit verwehren.
Der Wunsch, wie ein Mann zu sein – der „maskuline Protest” –, könnte so gut und gerne von der realistischen Bestrebung herrühren, die einem Mann gewährten Vorteile im Sozialstatus selbst genießen zu wollen. 163
Index
Identifikationen 138 Infantile sexuelle Fantasien Aggression 41-43 118, 139 Analytische Psychologie 31 Internalisierung 136 Anna O 43, 46-47 Inzest 129 Auden, W.H. 5 Siehe auch sexueller Ausstellung verschoben 13 Missbrauch Balmary, Marie 124 Jones, Ernest 169 Bisexualität 167 Jung, Carl Gustav 30-31, 50 Breuer, Josef 44 Kastrationsangst 156-157, Brustneid 165 161 Cattell, J. McKeen 10 Klein, Melanie 165-167 Crews, Frederick 140 Kokain 26-27 Descartes, René 105 Konflikt 94 Doras Fall 83-92 – Bewältigung 158 Drogen 26-27 Kraus, Karl 10 Dualismus 31 Krebs 28 Eckstein, Emma 19-23, 116 Kritik an Freud 6 Eder, David 9 Krüll, Marianne 124 Emotionen, schmerzhafte Lamarck, J.-B. de Monet 62 36 Libido 17-19, 29-31, 93 Erinnerungen 95, 113 Lustprinzip 96 Siehe auch Falsche Malinowski, Bronislaw 150 Erinnerungen Männlichkeit 156 Eros 38-39 Masochismus 33 Erster Weltkrieg 37 Masson, Jeffrey 19, 22, 121 Evolution 40 Mord an Fließ, versuchter Eysenck, H.V. 45-49, 140 24 Falsche Erinnerungen 115-116 Mörderische Impulse 129 Fantasie 138 Münsterberg, Prof. 104-105 Fleischl-Marxow, E. von 27 Nase, die 18 Fließ, W. 16-25, 28, 102Ödipuskomplex 107, 129, 103, 116 136-169, 167 Fortpflanzung 37-40 Paul, Robert Frauen siehe Weiblichkeit Penis Freie Assoziation 63 – Neid 160-166 Fromm, Erich 39 – und Kastration 156 Geburt Freuds 3 Phallische Frau 166 Geschlechtsidentität 154Philosophie und 169 Psychoanalyse 51-53 Goethe, J.W. von 14 Platon 146 Gott 170 Popper, Karl 55 Hall, Calvin 149 Psychoanalyse 4 Hoche, A. 8, 50 – Gegenwind 8-12 Homosexualität 167-169 – Heutzutage 100 Horney, Karen 164 – Kontroversen 106 Hysterie 44, 46, 113-114, – Verrufung 102 126 176
Religion 170, 173 – und Psychotherapie 50 Rizzuto, Ana-Maria 173 Schuld 93 Scruton, Roger 12 Selbstmord 33 Sex und Träume 70, 71, 88 Sexueller/sexuelle – Fantasien 118-127 – Impulse 107-111, 112 – Missbrauch 112-127 – Trauma 134 – Wünsche 29-31 Simon, Bennet 153 Spiro, Melford 150-151 Stevenson, R.L. 147-151 Stress 34, 37 Sutherland, Prof. S. 11 Symbolik 74, 79 Tod Freuds 5 Todestrieb 32-33, 37-43 Tourette-Syndrom 47 Träume 37, 60-81, 88-93, 131-134, 147 Trennung 35 Über-Ich 157-158, 166 Übertragung 82-98 Unbewusstsein, was ist das? 104 Unterdrückung 64, 107-111, 150 Valentine, C.W. 141-145 Vater, pervers 119 Verdichtung 79-80 Verdrängung 15, 29, 79 Verführungstheorie 112-127 Verhaltenstherapie 47-49 Webster, Richard 46-47 Weiblichkeit 159-166 Weltanschauung 51 Weygandt, Prof. W. 9 Wissenschaft und Psychoanalyse 51-53 Wittgenstein, Ludwig 71, 76 Wordsworth, W. 14 Wunscherfüllung 37, 64 Zwangsstörung 49