INFOcomics Nietzsche. Ein Sachcomic

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LAURENCE GANE & PIERO


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Titel: Nietzsche. Ein Sachcomic Reihe: INFOcomics (hrsg. von Wilfried Stascheit) Autor: Laurence Gane Illustrationen: Piero Umschlag: Edward Bettison Titel der englischen Originalausgabe: Nietzsche. A Graphic Guide Icon Books Ltd., London, 2008 © Text: Laurence Gane © Illustrationen: Piero

© 2014 deutsche Ausgabe: TibiaPress Verlag GmbH Ruhrpromenade 3, D-45468 Mülheim an der Ruhr Tel.: +49 (0)208 88 37 57 47 info@tibiapress.de www.tibiapress.de Übersetzung: Julia Kockel, Wilfried Stascheit Layout: Verlag Die Werkstatt, Göttingen Druck: Druckerei Uwe Nolte, Iserlohn Gedruckt auf GardaPat Classica ISBN: 978-3-935254-43-4

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In einer intellektuellen Hall of Fame für das 19. Jahrhundert würden sich Karl Marx (1818-1883), Sigmund Freud (1856-1933) und Friedrich Nietzsche (1844-1900) auf den vorderen Plätzen befinden. Marx’ Kritik an dem sozioökonomischen System und Freuds Analyse des psychosexuellen Erlebens wurden vom späten 20. Jahrhundert und dem frühen 21. Jahrhundert umfassend verarbeitet. Dagegen verblieben Nietzsches Ideen am Horizont des modernen Bewusstseins: eine beunruhigende, ja sogar angsteinflößende Herausforderung, der sich, wie Nietzsche wusste, zu seinen Lebzeiten keiner mehr stellen würde. „Denken wir uns nun einen äußersten Fall: dass ein Buch von lauter Erlebnissen redet, die gänzlich außerhalb der Möglichkeit einer häufigen oder auch nur seltenen Erfahrung liegen – dass es die erste Sprache für eine neue Reihe von Erfahrungen ist. In diesem Falle wird einfach nichts gehört!“ (Ecce Homo) Meine Zeit ist noch nicht da, manche werden schon posthum geboren.

Heute – über 100 Jahre später – werden uns langsam die tiefgreifenden Veränderungen in unserer Beziehung zur Wahrheit, Wissenschaft und Moral bewusst, die Nietzsche uns vorausgesagt hatte. 3


Die frühen Jahre Am 15. Oktober 1844 wurde der lutherische Pastor Friedrich Wilhelm Nietzsche in Röcken (Sachsen) mit seinem ersten Kind gesegnet. Die Familie berief sich auf eine polnisch-aristokratische Abstammungslinie und hatte bereits viele Generationen von Geistlichen hervorgebracht.

Daher wird auch vom jungen Friedrich eine Fort­ setzung dieser Familien­ tradition erwartet. Diese Erwartung sollte noch ihren ironischen Kern offenbaren.

Nietzsches Vater starb an einer durch einen Sturz hervorgerufenen Gehirnverletzung, als der Junge gerade einmal 5 Jahre alt war. Im folgenden Jahr zog die Familie nach Naumburg. Der kleine Junge war in sich gekehrt und liebte Poesie und Musik. In der Schule nannten sie ihn den „kleinen Pastor“. Zu Hause lebte er zusammen mit Mutter, Schwester, einer Großmutter und zwei Tanten. Diese Wohngemeinschaft stellte für ihn, wie wir später sehen werden, eine prägende Erfahrung dar. 4


Im Jahre 1858 erhielt der 14-jährige Nietzsche ein Stipendium für die berühmte Landesschule Pforta in der Nähe von Naumburg – ein streng lutherisches Internat von hohem akademischen Status. Dort entdeckte er seine Liebe zu den Altertumswissenschaften. Er zeichnete sich besonders in Griechisch und Latein aus. Vor allem Platon und Aischylos hatten es ihm angetan. Ich dichtete und komponierte, und zusammen mit meinen Freunden gründete ich die literarische Gesellschaft „Germania”.

Als Nietzsche im Jahre 1864 Pforta verließ, gab es noch keine Anzeichen für eine Veränderung in seinem Denken: Er dankte seinen Lehrern und bekundete auch seine Dankesschuld „an Gott und den König“. 5


Im Oktober des Jahres 1864 immatrikulierte sich der 20-jährige Nietzsche an der Bonner Universität für das Studium von Theologie und Philologie (die literarische Analyse klassischer Texte). Theologie wählte er jedoch bald ab und erklärte das in einem Brief an seine jüngere Schwester Elisabeth:

„Hier scheiden sich nun die Wege der Menschen; willst Du Seelenruhe und Glück erstreben, nun so glaube, willst Du ein Jünger der Wahrheit sein, so forsche.” (Brief an Elisabeth 1865)

Im nächsten Jahr folgte er seinem Lieblingsprofessor Ritschl nach Leipzig, der an der dortigen Universität eine Lehrtätigkeit antrat. 6


Schopenhauer: die Verleugnung des Lebens In Leipzig entdeckte Nietzsche in einem Antiquariat „Die Welt als Wille und Vorstellung“ des deutschen Idealisten Arthur Schopenhauer (1788-1860). Dessen Atheismus wird sich in Nietzsches Schriften widerspiegeln.

„Hier war jede Zeile, die Entsagung, die Verneinung, Resignation schrie, hier sah ich einen Spiegel, in dem ich Welt, Leben und eigen Gemüt in ent­ setzlicher Großartigkeit erblickte.” (Rückblick auf meine Leipziger Jahre 1867/68)

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Für Schopenhauer, sowie für seinen großen Vorgänger Immanuel Kant, gibt es eine fundamentale Unterscheidung zwischen der Welt, wie sie uns erscheint (Phänomenon), und der Welt, wie sie tatsächlich ist (Noumenon). Alle Erscheinungen sind bloße physikalische Sichtbarwerdungen einer ihr zu Grunde liegenden Wirklichkeit. Diese nennt Schopenhauer den WILLEN.

Daher liegt hinter dem Erscheinungsbild meiner körperlichen Bewegungen die Wirklichkeit meines Willen oder Verlangens. Dieser Wille existiert nicht, wie mein Körper, in Zeit und Raum – es ist keine physikalische Entität, sondern bildet das Fundament aller belebten und unbelebten Natur im gesamten Kosmos.

Diese zeitlose, außerkörperliche kosmische Kraft führt Schopenhauer jedoch nicht zu der Idee eines Gottes. Stattdessen sieht er den Willen als die Quelle allen Leidens, da das Wollen niemals Zufriedenheit bringt, sondern immer nur neues Verlangen! (Ein Echo der Lehre Gautama Buddhas.) Also sind wir zu einer endlosen, unerfüllbaren Sehnsucht verdammt: „Das Leben gleicht einer Seifenblase, die wir so lang als möglich erhalten und aufblasen, doch mit der festen Gewissheit, dass sie platzen wird.“ (Schopenhauer: Die Kunst zu beleidigen) 8



Was ist Geschichte? Nietzsches frühes Werk wurde bisher als eine Absage an das rationale, akademische Vorgehen der post-sokratischen Philosophie gelesen, zugunsten der intuitiven, triebhaften Leidenschaft in der „dionysischen Kunst“, also einer ästhetischen und lebensbejahenden Sichtweise der menschlichen Verfassung. In „Menschliches, Allzumenschliches“ (1878) kommt jedoch eine abgeklärtere und kritischere Seite in Nietzsches Denken zum Vorschein. Die sokratische Vernunft ist nun Werk­ zeug der argumentativen Entwicklung. Zum ersten Mal zu lesen in dem Essay …

„Vom Nutzen und Nachteil der Historie”, der in der Sammlung „Unzeitgemäße Betrachtungen” (verfasst 1873-1876) erschien.

Hier erhält die Frage „Was ist Geschichte?“ eine damals aktuelle Analyse, in der die Erfolge der preußischen Armee im Europa der 1870er Jahre reflektiert werden. 24


Im Jahre 1870 hatte Nietzsche kurzzeitig im Deutsch-Französichen Krieg gedient – als freiwilliger Krankenpfleger. Aber er infizierte sich nach kurzer Zeit mit Ruhr und Diphterie, was eine lange Erholungszeit nötig machte. Er lehnte aber die patriotische Leidenschaft für das preußisch-deutsche Kaiserreich ab, das als Triumph der deutschen kulturellen Ideale in diesem Krieg angesehen wurde. Ich halte das jetzige Preußen als solches für eine Macht, die für die Kultur höchst gefährlich ist. So wie Geschichte als solche die Gegenwart bedrohen kann, wenn sie große Nationen der Vergangenheit ­idealisiert und uns mahnt, einfach nur diesen toten Kulturen nachzueifern.

„[D]enn aus uns haben wir Modernen gar nichts; nur dadurch, dass wir uns mit fremden Zeiten, Sitten, Künsten, Philosophien, Religionen, Erkenntnissen anfüllen und überfüllen, werden wir zu etwas Beachtungswerthem, nämlich zu wandelnden Encyclopädien …“ (Vom Nutzen und Nachteil der Historie) Der Punkt ist, die Vergangenheit zu integrieren, sie zur Gestaltung unseres eigenen Lebens und unserer eigenen Kultur zu nutzen. Geschichte ist ein totes Gewicht, das sich an die Gegenwart hängt. 25


Was ist Bildung? Bildung gibt uns eine Menge Informationen über Kultur; ihr Produkt ist die sogenannte gelehrte Person, die viel Überschüssiges an Geschichte besitzt und daher kein authentisches selbstständiges Leben führen kann. Bildung besteht auf akkuratem Detail und losgelöster „Objektivität“, die einzig dazu dienen, das individuelle Projekt der Selbstverwirklichung und autonomer Handlung zu lähmen.

[E]s kann Einer sehr gebildet und doch historisch gar nicht gebildet sein. (Vom Nutzen und Nachteil der Historie)

Wenn wir also eine lebendige, authentische Kultur schaffen wollen, müssen wir weniger gebildet sein (jedenfalls im traditionellen Sinn). 26


Was ist Kultur? Kultur, Einstellungen und Werte, die eine bestimmte Gruppe charakterisieren, können niemals ausschließlich durch Bildung hervorgebracht werden. Die größten Völker erschaffen manchmal große Genialität, aber dieses seltene Ereignis geschieht viel öfter in Kulturen, in denen der Staat weniger in die Bildung der Bürger involviert ist. Die Kultur und der Staat […] sind Antagonisten. (Götzen-Dämmerung)

In der Tat, „[a]lle großen Zeiten der Kultur sind politische NiedergangsZeiten“. (ebd.) Die Energie, die in großem Stil in die Politik oder in die Wirtschaft oder in den kommerziellen Handel oder in den Parlamentarismus oder in das Militär gesteckt wird, verringert für gewöhnlich das kulturelle Level eines Volkes. 27


Also sprach Zarathustra Im Februar 1883 schwang sich Nietzsches eigener furor philosophicus zu neuen Höhen auf. In Rapallo (Italien), wo er den Winter verbracht hatte, schrieb er den ersten Teil seines bekanntesten Werkes, Also sprach ­Zarathustra, in nur zehn Tagen. Seine tiefe Einsamkeit, die der Lou Andreas-Salomé-Affäre folgte, spiegelt sich ziemlich deutlich im Charakter des Zarathustra wider.

Ein Wanderer ohne Freunde, der von einer Gegend in die andere reist und zu jedem Umstehenden spricht, der ihm zuhört.

Er hat messianische Züge, weist aber alle zurück, die sich ihm als Schüler anschließen möchten. Am Ende des vierten Teils, der zwei Jahre später abgeschlossen wird, spricht Zarathustra nur noch zu sich selbst. 70


Der Titel des Buches verweist auf das Sanskrit Iti vuttakam, „Also sprach der Heilige“. Zarathustra oder Zoroaster (etwa 628-551 v.Chr.) war ein Prophet, der den Zoroastrismus begründete. Hauptquelle dieser Religion ist das Avesta, eine Sammlung heiliger Texte. Verdrängt durch den Islam, hat diese Religion heute nur noch einige 10.000 Anhänger in Indien und Tadschikistan (Parsen). Nietzsches Figur ist eine literarische und bezieht sich nur wenig auf den historischen Zarathustra.

Ich erkenne zwei Prinzipien – Gut und Böse – personifiziert in sich bekriegenden Göttern. Das Gute wird am Ende triumphieren, die Toten werden auferstehen und ein Paradies auf Erden schaffen.

In seiner Religion war die Moral ein metaphysischer Selbstzweck. Ich habe ihn mir ausgesucht, um seine Fehler zu korrigieren – und Moral als Fiktion zu enttarnen!

Zarathustra muss nun nicht im Namen der Metaphysik, sondern im Namen der Erde, des Körpers – und vor allem des Übermenschen – sprechen. 71


Das Orakel spricht Das Buch ist ein neuer Ansatz: die schmerzgeplagten Ergüsse eines Lebewesens, das am Rande der menschlichen Angelegenheiten angekommen ist. „Mit Donnern und himmlischen Feuerwerken muss man zu schlaffen und schlafenden Sinnen reden.“ Zarathustra ist ein außergewöhnliches Gemisch aus mystischer Erkenntnis, Poesie, Sehnsucht und Intuitionen.

„Alle Wahrheit ist krumm, die Zeit selber ist ein Kreis.” (Also sprach Zarathustra)

Wahrlich eine Rückkehr des dionysischen Geistes! Später berichtet Nietzsche, in seiner Autobiografie Ecce Homo (1888), über das Erlebnis, den Zarathustra zu schreiben. „Mit dem geringsten Rest von Aberglauben in sich würde man in der Tat die Vorstellung, bloß Inkarnation, bloß Mundstück, bloß Medium übermächtiger Gewalten zu sein, kaum abzuweisen wissen.“ 72


Tatsächlich ist der Zarathustra eher das Werk eines Poeten als das eines Philosophen. Obwohl es weit von einem philosophischen Traktat entfernt ist, lassen sich einige Hauptthesen herauskristallisieren: 1. Der Übermensch 2. Der Wille zur Macht 3. Ewige Wiederkunft

Diese Ideen entspringen aus …

einem großen Ekel vor dem Menschen. „[D]er Mensch ist ihm eine Unform, ein Stoff, ein hässlicher Stein, der des Bild­ ners bedarf.” (Ecce Homo)

Zarathustra hat die Aufgabe, die Krankheiten seiner Zeit zu diagnostizieren und Wegweiser für eine bessere Zukunft bereitzustellen. 73


Obwohl Zarathustras Lehren die Essenz dieses Buchs sind, widmet sich ein großer Teil des Textes einem unerbittlichen, psychologischen Sezieren des modernen Menschen, der Leere seiner Werte und Überzeugungen. Ergebnis davon ist das Bild einer nihilistischen, lebensabgewandten Gesellschaft, die das Mittelmäßige propagiert und der Originalität misstraut. Zarathustra sieht um sich herum eine allgemeine Krankheit: Desinteresse am Leben (Nihilismus). Moralische (und religiöse) ­Heuchelei. Furcht vor dem Unbekannten.

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Über den Nihilismus „Weisheit macht müde, es gibt nichts Erstrebenswertes; du sollst nicht begehren.”

Dieses nihilistische Credo, das ich überall sehe, ist das Ergebnis von zu vielem Lernen.

Zu viele Informationen führen zu geistigen Verdauungsstörungen. Wenn wir auf diesem Weg zu weit gehen, werden wir „an unserem eigenen Verstand ersticken“. Es ist der Weg zum Nihilismus. Wahres Wissen muss den Plänen des menschlichen Handelns nutzen. 75


Anerkennung zu guter Letzt? Zu diesem Zeitpunkt gewannen Nietzsches Schriften in Europa langsam Anhänger. Der bedeutende französische Kritiker Hippolyte Taine (18281893) reagierte enthusiastisch auf Jenseits von Gut und Böse (wieder ein Buch, das Nietzsche auf eigene Kosten drucken ließ). In Dänemark hielt ein anderer einflussreicher Kritiker und Historiker – Georg Brandes (18421927) – Vorlesungen zu Nietzsches Philosophie. Der große schwedische Dramatiker August Strindberg (1849-1912) war ebenfalls schwer von Nietzsches Ideen beeindruckt. Nietzsches Briefe an Brandes und Strindberg von Ende 1888 offenbaren allerdings seinen lebensbedrohenden Größenwahn. Ecce Homo, Nietzsches letztes Buch (1888), bezieht seinen Titel auf die Worte, mit denen Pilatus Jesus der wütenden Menge vorstellt: „Sehet welch ein Mensch.“ (Johannesevangelium, 19,5). Kapitelüberschriften in Ecce Homo heißen etwa – kaum selbstironisch: „Warum ich so weise bin“, „Warum ich so klug bin“, „Warum ich so gute Bücher schreibe“ und „Warum ich ein Schicksal bin“:

„… erst von mir an gibt es wieder Hoffnungen …”


Nietzsche hatte sich zu lange mit seiner extremen Einsamkeit und der Abweisung, die seinem Werk widerfahren war, abgefunden. Schließlich – bevor er dafür mit einem Nervenzusammenbruch zahlen musste – sah er sich selbst als den Antichristen oder den antichristlichen Erlöser. Am 31. Dezember 1888 schickte er eine Nachricht an Strindberg. Ich habe einen Fürstentag nach Rom zusammenbefohlen, ich will den jungen Kaiser ­füsilieren lassen.

Ich adressierte auch einen Brief an den König von Italien. „Meinem geliebten Sohn Umberto! Mein Friede sei mit dir! Ich komme Dienstag nach Rom und will dich neben seiner Heiligkeit dem Papst sehn.” (Turin, um den 4. Januar 1889: Brief an Umberto I., König von Italien)

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Nietzsches Zusammenbruch „Abgerechnet nämlich, dass ich ein décadent bin, bin ich auch dessen Gegensatz.“ (Ecce Homo) Man könnte sagen, dass jedes einzelne von Nietzsches Büchern eine Station im Duell zwischen diesen beiden Antagonisten in ihm selbst ist. Er war bewusst aufgebrochen, um jede mögliche „dekadente“ Eigenschaft in sich aufzuspüren, um sich dann umgehend selbst das Gegengift zu verschreiben. Aber Härte gegen sich widerspricht eigentlich der angeborenen Sanftmut in Nietzsches Charakter: Am 3. Januar 1889 beobachtete er auf der Piazza Carlo Alberto in Turin, wie ein Kutscher ein altes Pferd auspeitschte. Nietzsche umarmte das Tier, schluchzte und brach zusammen. Er war endgültig in seine Krankheit abgerutscht.

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Das Ausmaß von Nietzsches Geisteskrankheit wird immer noch kontrovers diskutiert. Sein Freund, der berühmte Professor der Philologie, Johannes A. Overbeck, hat einen interessanten Kommentar hinterlassen: „Ich konnte mich dem Gedanken nicht ganz verwehren, dass Nietzsches Krankheit simuliert ist – ein Eindruck, der meiner langjährigen Erfahrung mit Nietzsches Angewohnheit, viele verschiedene Masken zu tragen, geschuldet ist.“ Es gibt sogar das Buch My Sister and I (es existiert nur eine englische Fassung), das Nietzsche angeblich (wahrscheinlich teilweise) in seinen letzten Jahren in Weimar geschrieben hat, wo sich seine Schwester Elisabeth Förster-Nietzsche um ihn kümmerte. Sie war im Jahre 1895 aus Paraguay zurückgekehrt – sechs Jahre nach dem Suizid ihres Mannes.

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Am 25. August 1900, fast zwölf Jahre nach seinem Zusammenbruch, starb Nietzsche in Weimar an einer Lungenentzündung. Mit seiner kurzen Grabrede bestätigte Peter Gast – womöglich unwissentlich – die erste von Nietzsches Vorahnungen.

„Ich habe eine erschreckliche Angst davor, dass man mich eines Tags heilig spricht …” (Ecce Homo)

Er wurde in Röcken, seinem Geburtsort, beerdigt.

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Nietzsche und die Nazis Nietzsches Schwester Elisabeth verhinderte Peter Gasts Versuch, die vielen unveröffentlichten Manuskripte herauszugeben, und übernahm die komplette Kontrolle über das Archiv von Nietzsches Werken. Ich benutzte seine Briefe und andere Schriften, um den Eindruck zu erwecken, dass ich dem Werk meines Bruders schon immer nahe stand.

Allerdings war ihr Antisemitismus ein ernster Streitpunkt zwischen ihnen, der beide auch entfremdete.

Elisabeth beaufsichtigte die Publikation des Archivs. Ihre nationalistischen Einstellungen verschafften Nietzsche einen Platz der entstehenden imperialistischen Politik des Deutschen Reiches in der Ära des Ersten und Zweiten Weltkriegs. 147


Noch kurz vor ihrem Tod im Jahre 1935 bedankte sich Elisabeth bei Hitler für die Ehre, die er ihrem Bruder zuteilwerden ließ: bedeutungsschwanger schenkte sie ihm Nietzsches Degenstock. Der italienische Faschist Mussolini war für sie „der herrlichste Jünger Zarathustras“. Ich habe keinen Zweifel daran, dass der Führer der „Übermensch” ist, der von Zarathustra prophezeit wurde.

Es ist eine Ironie des Schicksals, dass Nietzsches unverblümte Verachtung von Rassismus im Allgemeinen und Antisemitismus im Besonderen von den Nazis – seinen größten Anhängern – so effektiv ausgeblendet werden sollte. 148


Der Wanderer und sein Schatten 42 Die Fröhliche Wissenschaft 36, 51, 56 Die Geburt der Tragödie 12 Dionysos 13-14, 18 Dostojewski, Fjodor 132133 Ecce Homo 72, 144 Ethik der Vornehmheit 116, 126-128 Ethik des Mitleids 121-122 Evolution 62-63 ewige Wiederkunft 43-45, 73, 88-90 Existenzialismus 133, 159161 Förster-Nietzsche, Elizabeth 145-149 Foucault, Michel 164-166 Frauen 46-51 freie Geist, der 87, 116 Furcht 77 Gast, Peter 23, 91, 132, 146 Geschichte, Missbrauch der 24-25 Glaube 102 Gott 55-58, 81, 154 Götzen-Dämmerung 96, 139-140 Gut, die Ursprünge 134135 Hegel, G.W.F. 115 Heidegger, Martin 158 Herde, die Macht der 54 Herr / Sklave 115 Herrscher 106 Heuchelei 76 Hitler, Adolf 150 Hyperrealität 169-170 Irrsinn 108

Jenseits von Gut und Böse 52, 107 Juden 92-93

Klonen 170-171 Kultur 27-29 Kafka, Franz 133 Kant, Immanuel 31-33 Kategorischer Imperativ 33-34 Kierkegaard, Søren 103 Köselitz, Heinrich Siehe Peter Gast Lacan, Jaques 112 Leiden 104 Leser 40 Liebe 109 Lyotard, Jean-François 167 Machiavelli, Niccolò 68 Macht 67-68, 84-86 Marxismus 113 Menschliches, Allzumenschliches 24, 30, 32, 35, 41-42 Metaphysik 30 Mitleid 121-122 Moral 33-34, 64, 105, 111112 Musik 16-17 Nationalismus 151 naturalistische Ethik 134 Nazis 147-149 Nietzsche Anerkennung 142 Autobiografie 72 Drogenabhängigkeit 119 frühe Jahre 4-6 Krankheit 41, 47 Liebesaffäre 50 Professur 11 Tod 146 Zusammenbruch 144-146 Nihilismus 75, 121, 138 Noumenon 8, 31 Paradox der Demokratie 65 Pascal, Blaise 98 Phenomenon 8, 31, 114 176

Philologie 11 Philosophie 97-99 Politik 64-69 Postmoderne 113, 167-173 Priester 124-127 Psychoanalyse 152-155 Rassismus 150 Religion 100-102 Richard Wagner in Bayreuth 19 Sartre, Jean-Paul 160 Gelehrte, der 10, 37-38 Schopenhauer, Arthur 7-9, 22, 84, 90 Sein 158-159 Selbsterkenntnis 120 Beherrschung 80-82 Selbstgehorsam 86 Simulacrum 141, 169 Sklavenmoral 115, 117, 123, 125-128 Spinoza, Baruch 99 Strindberg, August 142-143 Teleologie 29 Tod 44 Tugend 53, 76 Übermensch 78-84 Wagner, Richard 19-23 Tod 91 Wahrheit 68-69, 110, 166 Werden 33 Werte 117, 125, 139 Wille 8-9 Wille zur Macht 84-86, 155, 166 Wissen 61, 75, 172 Wissenschaft 58-59 Wittgenstein, Ludwig 156

Zur Genealogie der Moral 82, 96, 105, 119-120, 130


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