INFOcomics Psychoanalyse Leseprobe

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Titel: Psychoanalyse. Ein Sachcomic Reihe: INFOcomics (hrsg. von Wilfried Stascheit) Autor: Ivan Ward Illustrationen: Oscar Zarate Umschlag: Edward Bettison Titel der englischen Originalausgabe: Psychoanalysis. A Graphic Guide Icon Books Ltd., London, 2011 © Text: Ivan Ward © Illustrationen: Oscar Zarate

© 2012 deutsche Ausgabe: TibiaPress Verlag GmbH Abigstr. 11, D-88662 Überlingen Tel.: 07551.309272; Fax: 07551.309273 info@tibiapress.de www.tibiapress.de Übersetzung: Hans Christian Hillmann Layout: Verlag Die Werkstatt, Göttingen Druck: Druckerei Uwe Nolte, Iserlohn

ISBN: 978-3-935254-36-6


Was ist Psychoanalyse? Die Psychoanalyse ist eine Theorie über die Psyche des Menschen, eine Therapiemethode für seelische Probleme, eine Forschungsmethode und ein Berufsfeld. Sie ist ein komplexes intellektuelles, medizinisches und soziologisches Phänomen. Sie entstand gegen Ende der 1890er Jahre aus den Ideen des österreichischen Arztes Sigmund Freud (1856-1939), der nach wie vor die zentrale Figur der Bewegung ist und am häufigsten von ihren Kritikern angegriffen wird.

I had to pay heavily for this Ich musste teuer dafür bezahlen. Die Men­ schen glaubten meinen Fakten nicht und hielten meine Theorien für geschmacklos …

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Freud war gezwungen, seine Heimat in Wien zu verlassen, als Österreich 1938 von Nazideutschland annektiert wurde. Im Juni desselben Jahres wanderte er gemeinsam mit seiner Familie nach London aus. Dort in seinem Haus in Maresfield Gardens 20, London, gab er der BBC im Dezember des Jahres 1938, nicht einmal ein Jahr vor seinem Ableben, ein Interview. Er fasste sein Lebenswerk und die Geschichte der Psychoanalyse zusammen. Ich begann als Neuro­ loge, der versuchte, seinen neurotischen Patienten Linderung zu verschaffen.

Ich entdeckte einige wichtige neue Tatsa­ chen über das Unbe­ wusste im psychischen Erleben … … die Rolle von ins­ tinktgesteuerten Trieben und so weiter.

Fotos aus dem Freud Museum, London

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Heute kennen wir die Psychoanalyse aus all den Witzen und Karikaturen, die ein wenig Wissen über sie voraussetzen.

Unter diesen Umständen, Herr Müller, muss ich mein Honorar erhöhen.

Viele ihrer Begriffe sind in die Alltagskultur übergegangen: Der „Freud'sche Versprecher“, „Wunscherfüllung“, „Ödipuskomplex“, „Libido“, „Traumsymbole“, „infantile Sexualität“, „orale und anale Charaktere“, „Ich, Über-Ich und Es“, „Verdrängung“ und das „Unbewusste“. 5


Psychoanalyse ist mehr als nur eine Sammlung von Begriffen und therapeutischen Methoden. Tatsächlich ist sie „eine Art Weltanschauung“ geworden, wie W. H. Auden (1907-1973) schrieb. Sie hat uns die Möglichkeit gegeben, das „Irrationale“ im menschlichen Leben als vereinbar mit dem zu begreifen, was wir als „rational“ wahrnehmen. Sie hat die zentrale Rolle der Sexualität im menschlichen Antrieb verdeutlicht. Sie zeigte, dass psychische Vorgänge versteckte Bedeutungen haben. Ferner hat sie die fundamentale Bedeutung der Kindheit herausgearbeitet. Sie hat psychische Konflikte und inneres Leid als unausweichliche Bestandteile des Menschseins anerkannt. Man kann mit Sicherheit sagen, dass die Psychoanalyse verändert hat, wie wir uns in der „westlichen Gesellschaft“ als Menschen begreifen. Wir sind nicht mehr so sicher, dass wir uns selbst durch­ schauen.

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Ein Teil der Psychologie „Aus diesen Erkenntnissen entstand eine neue Wis­ senschaft, die Psychoana­ lyse – ein Teil der Psychologie und eine neue Methode zur Behandlung von Neurosen.”

William James

Jean Piaget

Carl Jung Ivan Pawlow Wilhelm Wundt

Die Psychoanalyse ist Teil der Psychologie. Einige wichtige Psychologen sind im Bild gemeinsam mit Freud dargestellt. Kurze Skizzen zu ihrer Arbeit und zu den anderen Psychoanalytikern, die im Text genannt werden, stehen am Ende des Buches auf den Seiten 171ff. Für Freud ging es in der Psychoanalyse um Erinnerungen, Gedanken, Gefühle, Fantasien, Absichten, innere Konflikte, Wünsche, Ideale, Überzeugungen und all das Zeug in unserem Inneren, was wir unsere Psyche nennen. 7


Eine Tiefenpsychologie Wegen der Annahme der Existenz eines unbewussten Teils in der Psyche und weil er sie als allumfassende Theorie begriff, nannte Freud die Psychoanalyse eine „Tiefenpsychologie“. Die Analyse von Träumen gab uns Einsichten in die unbewussten Prozesse der Psyche und zeigte uns, dass die Mechanismen, die krankhafte Symptome hervorrufen, auch in der gesunden Psyche wirken.

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So wurde die Psychoanalyse eine Tiefenpsychologie. So konnte sie wissen­ schaftlich auf mentale Prozesse angewandt werden.


Die Metapher der „Tiefe“ impliziert ein Schichtenmodell der Psyche, so als läge eine Schicht über der anderen. Es wird oft angenommen, dass „tiefer“ gehen bedeute, sich „primitiveren“ und gefährlicheren Inhalten zu nähern.

Da es keine geeignete Methode gibt, die Inhalte eines bestimmten Unterbewusstseins auf­ zudecken, ist die Psychoanalyse immer in Gefahr, einfach alles zu erfinden, um vorgefasste Ideen zu bestä­ tigen. Man könnte argumentieren, dass das Postulat des Unbewussten zu unserer kollektiven Fantasie geworden ist. Sozusagen ein Gespenst in der Maschine, das nahezu alles erklären kann und das nur wir Psychoanalytiker identifi­ zieren können. 9

Donald Spence

Nach diesem Modell ist es Aufgabe des Psychoanalytikers, bewusste Gedanken, Gefühle, Fantasien und Verhalten in ihre unbewussten Vorläufer (und ihre vermuteten Bestimmungsfaktoren) zu übersetzen. Der Patient sagt: „Sie haben neue Vorhänge.“ Der Analytiker antwortet: „Sie sagen das nur, weil sie ihre Mutter lieben.“ Nicht alle Psychoanalytiker sind mit dieser Hypothese einer Tiefenstruktur einverstanden.


Die Traumarbeit In Freuds Die Traumdeutung (1900) wird die Metapher der Tiefe verwendet, um zwischen „manifesten Inhalten“ des Traumes und den unbewussten „latenten Inhalten“ zu unterscheiden. Beide Formen sind durch ein Transformationssystem miteinander verbunden – die Traumarbeit. Die Deutung verwandelt den seltsamen und fremdartigen manifesten Traum in etwas, das „psychische Bedeutung“ hat – einen unbewussten „Wunsch“, den der Patient auszudrücken versucht. Ein Traum sagt uns nie, ob seine Elemente wörtlich oder im übertragenen Sinne zu interpretieren sind oder ob sie direkt mit dem Material der Traumgedanken zu verbinden sind oder durch eine veränderte Ausdrucksweise vermittelt werden.

Aber Freud sagt, dass es keine direkte Übersetzung von der einen Ebene auf die andere gibt.

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„Während der Deutung eines jeden Traum­ elementes ist stets fraglich, …

ob es historisch zu inter­ pretieren ist (als eine Erinnerung),

Ob es im positiven oder im negativen (also entgegenge­ setzten) Sinne zu verstehen ist.

Es könnte ein Feuer sein, dessen Zeuge man wurde.

Das Traumelement „Feuer” könnte für „Wasser” stehen.

ob es symbolisch zu interpretieren ist Come on baby, light my fire. [The Doors]

oder ob die Inter­ pretation von der Formulierung abhängt.” Vielleicht möchte man seinen Chef feuern.

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Die Suche nach Sinn Mit anderen Worten: Man weiß es einfach nicht. Alles, was der Psychoanalytiker versuchen kann, ist mehr und mehr Assoziationen zu sammeln und zu schauen, ob das Bild sich zusammenfügt. Man befindet sich vor einem psychischen Spaghettiknoten, und nur ein paar Stücke Theorie weisen einem den Weg zu seiner Entwirrung. Die meisten von uns wüssten wohl gerne, was unsere Träume bedeuten.

Wissbegierig lesen wir Traumlexika, um unsere Freunde mit der Deutung ihrer Träume zu beeindrucken.

Aber die Psychoanalyse stellt keine einfachen Antworten zur Verfügung; es gibt mehrere Bedeutungen und endlose Assoziationen. Es hat mehr mit dem Prozess zu tun als mit einer endgültigen Aus­ deutung.

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Schamanismus und Psychoanalyse Ein Psychoanalytiker würde wohl darauf verweisen, dass ein krasser Gegensatz zwischen Psychoanalyse und jeder Form von fundamentalistischer Religion besteht, die auf der wörtlichen Lesart religiöser Texte basiert. Psychoanalyse definiert sich durch das Hinterfragen der wörtlichen Bedeutung – und ihre eigenen „heiligen Texte“ werden kontinuierlich neu geprüft. Aber könnte Psychoanalyse dennoch mit Glaubensheilung oder dem schamanischen Ritual verwandt sein? Der Anthropologe Claude Lévi-Strauss (19082009) untersuchte ein schamanisches Ritual des Cuna-Volkes auf Panama und zog Parallelen zur Psychoanalyse.

Zweck des Rituals ist es, eine schwere Geburt zu erleichtern. Es besteht aus der künstlerischen Aufführung eines Mythos durch den Schamanen, der Geister an die Seite der Frau beschwört, die ihr beim Kampf um die Wiederherstel­ lung ihrer Purba (Seele) dienen sollen.

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„Der Schamane stattet die kranke Frau mit einer Sprache aus, durch die unausgedrückte und sonst unausdrückbare psychische Zustände unmittelbar Ausdruck finden können.” Lévi-Strauss in „Strukturale Anthropologie”

Die Worte des Schamanen – seine Aufführung und Performanz des Mythos – vereinen das Leiden der Frau mit einer Kosmologie, in der alles einen Sinn hat. Indem er dies tut, ruft er reale Veränderungen hervor. Verankert auch die Psychoanalyse das Leben der Menschen in einer neuen Form von individueller Mythologie – bestehend aus guten und bösen Objekten, ödipalen Konflikten, inneren Welten, Trauma und Verdrängung –, die der Patient nutzt, um seine fragmentierte Psyche zusammenzusetzen? 25


Einige entscheidende Unterschiede Eine Psychoanalytikerin lächelt sicher über diese „schamanistische“ Beschreibung ihrer Praxis. Ohne die Kunst des Schamanen deshalb gleich zu verunglimpfen oder die Wirksamkeit seiner Eingriffe infrage stellen zu wollen, würde sie wohl auf einige wichtige Unterschiede hinweisen. Die Psychoanalytikerin versucht dem Patienten zu helfen, für sich selbst zu sprechen.

Der Schamane spricht für seine Patientin.

Die Arbeit des Schamanen ist davon abhängig, dass die Patientin die Geschichte kennt und an den Mythos glaubt.

Wohingegen Glauben und Wissen ein Hin­ dernis für eine Verände­ rung bei einer Psycho­ analyse sein können.

Der Schamane versucht die Patientin durch einen Prozess zu führen, der von vornherein bestimmt und bekannt ist.

Die Psychoana­ lytikerin weiß nicht, wohin ihre Arbeit führen wird.

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Ein Religionsersatz? Aber ist Psychoanalyse ein Ersatz für Religion? Resultierten die radikalen Veränderungen, die das 19. Jahrhundert hervorbrachte, in einem Verlust von Sicherheit und dem Zusammenbruch der traditionellen sozialen Bindungen, die dann durch Psychoanalyse „ersetzt“ wurden? Urbanisierung, Feminismus, der Aufstieg der Konsumgesellschaft, Industrialisierung, die Eisenbahn, das Telefon, Darwin, Wissenschaft und Sexualforschung …

Als Nietzsche sagte: „Gott ist tot”, kam die Psychoanalyse, um die Lücke zu füllen und feierlich zu erklären: „Gott ist unbewusst”?

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Psychoanalyse ist kein religiöses Ritual Könnten die Ideen der Psychoanalyse dafür genutzt werden, um Menschen, die ihren Glauben verloren haben, Trost zu spenden? Eine neue Form der Gemeinde; eine neue Form von Sicherheit über das Selbst und die eigene Identität; eine neue Form von Moralität gegenüber Sünde und Sühne; eine neue Form von Beistand in den Armen einer liebevollen, elterlichen Figur.

Hat der Psycho­analytiker den Platz des Priesters eingenommen, der Prozess der Analyse den Platz der Beichte? Ganz im Gegenteil. Die Person, die in die Analyse geht, weiß nichts von ihren „Sünden”. Wenn man sie wüsste, ginge man nicht zur Analyse.

Nichtsdestotrotz hat die Psychoanalyse vielleicht etwas mit einer „spirituellen Suche“ gemeinsam. Aber für Freud und viele folgende Psychoanalytiker hat Metaphysik nichts mit Metapsychologie zu tun. Freud war „unserem Gott Logos“, dem Verstand, verpflichtet. Er hisste seine analytische Flagge fest verzurrt am Mast der Wissenschaft. 28


Ist Psychoanalyse eine Wissenschaft? Wir glauben gerne, dass Wissenschaft sichere Erkenntnisse liefert und auf bewiesenen „Fakten“ beruht. Sie soll wertfrei und unabhängig von der Verunreinigung durch persönliche oder kulturelle Vorurteile sein. Ihre Theorien enthalten messbare Größen und können durch wiederholbare Experimente bewiesen werden. Dieser naive empirische Standpunkt wurde von Freud nicht geteilt. Er betrachtete den Zusammenhang zwischen wissenschaftlichen Theorien, ihrem „Material“ und den Erscheinungsformen der Realität auf eine dynamischere und interaktive Art. „Durchschnittliche Geister verlangen von der Wissenschaft eine Form von Sicherheit, die sie nicht liefern kann, eine Form von religiöser Befriedi­ gung. Nur die echten, seltenen, wahren wissenschaftlichen Geister können den Zweifel aushalten, der all unserem Wissen anhängt. Ich beneide stets die Physiker und Mathematiker, die auf festem Grund stehen können. Ich schwebe sozusagen in der Luft. Psychische Vorgänge scheinen unmessbar zu sein und werden es vielleicht ewig bleiben.”

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Was ist Projektion? Psychoanalytiker benutzen den Begriff der Projektion, um zu beschreiben, wie Menschen die Inhalte, Strukturen oder Verhältnisse ihrer Innenwelt externalisieren. Wir können Launen und Affekte projizieren, wie Hamlet, der die Welt aufgrund seines eigenen Elends „wie ekel, schal und flach“ empfand.

Die eine da, das ist vielleicht eine Tratschtante! Gestern hat sie mir erzählt, dass …

Wir können unange­ nehme Wahrheiten über uns selbst projizieren und andere wegen Fehlern kriti­ sieren, die wir eigentlich selbst haben. 89


Die Vielfalt der Projektionen Wir können aggressive Gefühle projizieren, die zurückkehren, um uns wie „böse Geister“ zu verfolgen. Wir können Bedürfnisse und Abhängigkeiten projizieren. Wir können Beziehungen zwischen unseren inneren Objekten projizieren, indem wir Geschichten mit nur dürftig versteckten, „guten” und „bösen” Elternfiguren erfinden … Mutter/Stief­ mutter König Prinz

oder „ödipale” Dramen.

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Wir können Ängste, Frustration und schlechte Erfahrungen projizieren. Das Kind, das ausgeschimpft wird, kann Augenblicke später dabei beobachtet werden, wie es seine Puppe ebenfalls ausschimpft. Es versucht so, seine Erfahrung unter Kontrolle zu bringen. Wir können selbst die „Gesamtstruktur der Psyche“ projizieren. In der englischen Kinderserie „Thomas, die kleine Lokomotive“ sind die Figuren von Thomas, dem dicken Lokomotivführer und die ungezogenen Waggons mit ziemlicher Sicherheit Repräsentationen der Konflikte zwischen Ich, Über-Ich und Es, wie sie das Kind erfährt.

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Projektive Identifizierung Wir projizieren auch in andere Leute Dinge hinein. Melanie Klein nannte dies „projektive Identifizierung“. Wir legen unsere eigenen Fantasien in andere Personen hinein, so dass sie sich für uns verändern. Vielleicht wollen wir die anderen Personen kontrollieren, ihre Eigenschaften annehmen oder mit ihnen kommunizieren, indem wir ein Stück von „uns selbst“ in sie hinein platzieren. Es klingt erst einmal seltsam, aber wir tun es ständig. Plötzlich fühlen wir uns z. B. unwohl damit, zu einer Party zu gehen.

Ist es, weil Natalie angerufen hat, um mich daran zu erin­ nern, dass Peter hingeht? Was geht in Natalies Fantasie ab?

Will sie mir den Freund aus­ spannen?

Hat sie aus dir jetzt wirklich eine Rivalin gemacht, indem sie diese Fantasie projiziert hat? 92


Oder wir gehen zum Fußballspiel unseres Sohnes. Weiter so, Jannes! Aber etwas im Tonfall unserer Stimme oder die Dringlichkeit, mit der wir ihn anfeuern, löst in Jannes das Gefühl aus, dass er auf dem Prüfstand steht und über ihn geurteilt wird. Er fängt an, sich unwohl am Ball zu fühlen und macht Fehler.

weiter so, Jannes! weiter so, Jannes!

weiter so, weiter Jannes!

so Jannes!

Haben wir Jannes zu unserem Kindheits-Selbst gemacht, als das wir unter der Last der Kritik und der Erwartungen unseres Vaters zusammenbrachen? Oder zum Opfer unserer Rachefantasien aus der Kindheit? 93


Containing des Erlebens Inhalte unserer Psyche werden ständig in andere Leute hinein transferiert. Der Psychoanalytiker Wilfred Bion (1897-1979) sagte, dass es für Babys unverzichtbar ist, dass ein Objekt ihnen dies ermöglicht. Bion legte dar, dass Mütter die Gefühle von Babys und Kleinkindern – Schmerz, Todesangst, Eifersucht, Aggression – „in sich aufnehmen“, „entgiften“ und dem Kind zurückgeben.

Bei einigen Tierarten vorverdauen die Mütter die Nahrung, bevor sie an das Kind verfüttert wird. Bei den Men­ schen vorverdauen die Mütter teilweise das emotionale Erleben, welches das Baby noch nicht in sich selbst auf­ nehmen und ver­ arbeiten kann.

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Wieder einmal klingt das seltsam. Aber denke mal daran, dass ein Kleinkind stolpert und wie es dann seine Mutter ansieht, bevor es entscheidet, ob es weinen soll oder nicht. Der Blick­ austausch zwi­ schen Mutter und Kind bestimmt, wie es dieses Ereignis erleben wird. Ich gebe der Sache Bedeutung.

Im „Umsorgt-Werden“ fühlt das Kind sich erleichtert, dass sein emotionales Erleben „verstanden“ wird. Daher ist die Funktion des Containing für die Integration der entstehenden Persönlichkeit des Kindes unerlässlich. 95


Stell dir vor, wie das Leben wäre, wenn du nie verstanden wirst.

Jedes Mal, wenn du ver­ suchst, zu kommu­ nizieren, verschwindet die Botschaft in einem schwarzen Loch und kehrt nie wieder zurück. Oder all deine Kom­ munikationsver­ suche werden zurückge­ wiesen.

Wir sehen also, warum „verstanden zu werden” solch eine Resonanz und starke emotionale Effekte hat.

Träume, Geschichten oder Kunst können alle verstörenden Elemente „aufnehmen“, so wie es die Mütter ursprünglich taten. Denk mal an „Hänsel und Gretel“, „Die drei kleinen Schweinchen“ oder Picassos „Guernica“. 96


 Modelle ermöglichen uns, auf eine psychologisch sinnvolle Art darüber nachzudenken, wie psychische Vorgänge „ausgelöst werden“. Psychische Vorgänge sind „überdeterminiert“ – sie haben mehrere Ursachen –, aber Freud entwickelte eine „psychoanalytische“ Auffassung von Kausalität: „Die Psychoanalyse mahnt uns, den unfruchtbaren Gegensatz von inneren und äußeren Faktoren, Schicksal und Konstitution aufzugeben. Sie hat uns immer wieder gelehrt, die Ursache für den Ausbruch einer Neurose in einer eindeutigen psychischen Situation zu suchen, die auf vielen Wegen ent­ standen sein kann.”

Wir können zum Beispiel den Effekt eines Traumas nicht an der auslösenden, äußeren „Ursache“ ablesen. Erst wenn die Wahrnehmung der Situation mit der Innenwelt interagiert, entsteht die „eindeutige psychische Situation“. Sie wird die Wirkung des traumatischen Ereignisses bestimmen.

Unser versteinerter Feuerwehrmann oben auf der Leiter ist vielleicht von seinem Vorgesetzten kritisiert oder von seiner Frau verlassen worden, vielleicht ist er aber auf einer Bananenschale aus­ gerutscht und von Kollegen ausgelacht worden. 97


Index Abwehrmechanismen 65-68 Aggression und sexuelle Energie 42 Alzheimer 157 anale Phase 109 Analytikerin, Rollenspiel 154 analytische Beziehung 146-152 analytisches Zuhören 130 Angst 105-106 Auden, W.H. 6 Beziehung, analytische 146-152 Bildung 163 Bindung 101-102 Bion, Wilfred Baby und Mutter 94 „ultimate reality“ der Analyse 119 Bowlby, John 101 Charakterpanzer 111 siehe auch Persönlichkeit Depression 117-118 Diagnose, Probleme 117-119 Drama der inneren Objekte 74-75 Dynamisches Unbewusstes 13-15 Einfluss der Vergangenheit 21 Entwicklungsdefizite 112 Erinnerung 76 Es 64 Eysenk, Hans über Freud 23 passive orale Wünsche 33 Studie 158 Fairbairn, Ronald 72 Feminismus 165 Ferenczi, Sándor 48 Fragmentierung 113 freie Assoziation 128-129 Freud, Anna 66-67 Freud, Sigmund 3-4 über Angst 105 über den Kastrationskomplex 55-58 über Kausalität 97-106 über Kindesmissbrauch 48 über Träume 10-13 über Hysterie 78 über das Wesen der Psychoanalyse 35 über Persönlichkeit 107-113 Gebärmutterneid 60 Gegenübertragung 154-155 genitale Phase 109 Glover, Edward 133 Green, André 44

Harlow, Harry 101-102 Heimann, Paula 161 Hermeneutik 36 Horney, Karen 57 Hypnose 15 Hysterie 76,78 Ursachen 100 Ich 64, 70 , 98 und die Eigenschaften anderer 81 Identifikation 78-84 Identifikation mit dem Aggressor 67 Identitätsgefühl 64 Ausbildung der Identität 58 innere Objekte 73 interpersonale Theorie 156 Interpretation 139 in der Analyse 140-145 den Fokus verschieben 144-145 Introjektion 81 Jones, Ernest 56 Katharsis 127 Kausalität 97-106 Kastrationskomplex 55-58 Kinderbetreuung 163 Kindesmissbrauch 48 Kindheit Fantasien 18-21 Sexualität 45-47 Trauma 100 Trennungsangst 101 Klein, Melanie über das Ich 71, 81 über den Ödipuskomplex 53 über Projektion 85, 136 über Spaltung 85-87 Kleinkindalter 69-71 projizierte Gefühle 94-95 Sicherheit 82-84 Stimuli 85-87 siehe auch Kindheit Kohut, Heinz 112, 114 Kristeva, Julia 165 Kreativität 84 Lacan, Jacques 57, 114 Lévi-Strauss, Claude 24-25 Lustprinzip 64, 70 Marmeladentheorie 39, 56 Mahler, Margaret 71 männliche Sexualität: siehe Kastrationskomplex Meltzer, Donald 75 Metapsychologie 30, 107, 114 Mitchell, Juliet 165 175


Mutative Interpretationen 142 Mutter Trennung von 60 siehe auch Ödipuskomplex

Schizophrenie 156 Segal, Hanna 134 sekundärer Krankheitsgewinn 138 Selbst, das 73, 88, 112 Fragmentierung des 113 Sexualität 40-41 und Agression 42 in der Kindheit 45-47 Probleme in der 44 Sicherheitsgefühl im Kleinkindalter 83 Stimuli im Kleinkindalter 85-87 Strachey, James 142 Spaltung 66 im Kleinkindalter 85-88 Spence, Donald 9 Sublimation 32, 67 Sullivan, Harry S. 156

Narzissmus 113 Neurose siehe Zwangsneurose Objektbeziehungsperspektive 72-75 Objekte 82 Ödipuskomplex 49-54, 113 Ökologie 167 oral passive Wünsche 33 orale Phase 109, 110 Paranoia 118, 156 Fantasien 18-21 in der Kindheit 86-87 Penisneid 57-60 Persönlichkeit 107-113 Phobien 157 Physische Wirkungen 77 primäres Selbst 112 Psyche 7 Entstehung 72 Inhalte 76 Modelle, Hypothesen 62-115 Politik 167 Projektion 67, 89-93 im Kleinkindalter 94-95 Melanie Klein über 85, 136 projektive Identifikation 92 Psychiatrie 116-117 Psychoanalyse als Religion 23, 27-28 als Wissenschaft 29-35 Einfluss 162-168 Gründe für 120, 124 Wirksamkeit 158-159 Ziele 134 Psychotherapie 160 andere Arten der 116 Rassismus 166 Reaktionsformation 67 Realität 84 Realitätsprinzip 30, 70 Reich, Wilhelm 111 Religion und Psychoanalyse 23, 27-28 Repräsentationen, 70, 73 Rickman, John 74 Rolle des Analytikers 130-133 Rollenspiel in der Analyse 154-155 siehe auch Interpretation

Tiefenpsychologie 8 traumatische Ursachen 100 Träume 10-13, 161 Trennung 101 Trennungsangst 106 Triebtheorie 108 Übergangsobjekt 84 Über-Ich, 64, 71, 98 Übertragung 150-155 siehe auch Gegenübertragung unbewusste Teile der Psyche 13-22, 129 Vater siehe Ödipuskomplex Veränderung, Prozess der 136 Verdrängung 65 Verhältnis zwischen Analytiker und Patient 146-152 Verhalten, versteckte Ursachen 18-21 Verschiebung der Sexualität 42 Verstand 28 Vielfalt der Projektionen 90-93 Vorherige Leben 16 Vorstellungskraft 84 Wahrnehmung 64 Weglaufen 135 Werbung 164, 131 Widerstand 137-138 Winnicott, Donald 81 über Angst 106 über Mutter-Kind-Interaktion 81-84 Wissenschaft, Psychoanalyse als 29-34 Wundt, Wilhelm 7 Zukunft 169 Zwangsneurose 103

Sandler, Joseph 17 Schamanismus 24-26 176



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