INFOcomics Unendlichkeit. Ein Sachcomic

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BRIAN CLEGG & OLIVER PUGH


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Titel: Unendlichkeit. Ein Sachcomic Reihe: INFOcomics (hrsg. von Wilfried Stascheit) Autor: Brian Clegg & Oliver Pugh Illustrationen: Oliver Pugh Umschlag: Eward Bettison Titel der englischen Originalausgabe: Introducing Infinity Icon Books Ltd., London, 2012 © Text: Brian Clegg © Illustrationen: Oliver Pugh © 2013 deutsche Ausgabe: TibiaPress Verlag GmbH Ruhrpromenade 3, D-45468 Mülheim an der Ruhr Tel.: 07551.309272; Fax: 07551.309273 info@tibiapress.de www.tibiapress.de Übersetzung: Wilfried Stascheit Layout: Verlag Die Werkstatt, Göttingen Druck: Druckerei Uwe Nolte, Iserlohn 2. korr. Auflage 2016 ISBN: 978-3-935254-40-3

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Große Zahlen Greift man sich nur z. B. das Thema Unsterblichkeit heraus, wird einem schnell klar, dass Unendlichkeit ein weites Feld ist. Wir werden mitgenommen in die Geschichte, Philosophie und physikalische Welt. Aber der beste Zugang ist wohl der über die Mathematik. Uns scheint ein lockerer Einstieg über große Zahlen sinnvoll zu sein. Wenn man eine sehr lange Zahl benennen kann, scheint man Macht über sie zu demonstrieren – umso größer die Zahl ist, umso beeindruckender ist auch diese Fähigkeit. Darauf bezieht sich auch eine Überlieferung aus dem Leben von Gautama Buddha. Als junger Mann wollte er die Hand von Gopa gewinnen. Dazu musste Gautama als Prüfung Zahlen bis zu einem hohen, komplett nutzlosen Level aufsagen. Er meisterte das nicht nur erfolgreich, sondern nannte immer noch größere Zahlen.

100.000.000.000.000.000? Leicht, die heißt Achobya.

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Googoled Es ist sinnvoll, Zahlen denen wir jeden Tag begegnen, Namen zu geben. Aber wie viele von uns werden jemals diese Zahl brauchen?

10,000,000,000,000,000,000,000,000,000,000,00 0,000,000,000,000,000,000,000,000,000,000,000, 000,000,000,000,000,000,000,000,000,000,000 Wie es so ist, hat diese Zahl tatsächlich einen Namen. Und der war das Problem des unglücklichen Major Charles Ingram. In der Fernsehsendung „Wer wird Millionär?“ lautete nämlich seine 1-Million-PfundFrage, ob die Zahl 1 – mit 100 Nullen – ein „Googol“, ein „Megatron“, ein „Gigabit“ oder ein „Nanomol“ ist. Major Ingram favorisierte den letzten dieser Namen, bis ein Hüsteln aus dem Publikum ihn in Richtung Googol lenkte. Aber seien wir ehrlich: Wer kann ihn für seine erste Intuition verurteilen? „Googol“ klingt einfach kindisch.

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Wie der deutsche Name „zehn Sexdezilliarden“ ist Googol kindisch – und zwar aus gutem Grund. Der Legende nach arbeitete der Mathematiker Ed Kasner 1938 zu Hause auf seiner Tafel an einigen Zahlen. Sein Neffe, der 9 Jahre alte Milton Sirrota, war gerade zu Besuch. Der kleine Milton entdeckte die größte Zahl an der Tafel und sagte angeblich: „Das sieht aus wie ein Googol!“ Genau betrachtet ist das keine sehr überzeugende Geschichte. Aus welchem Grund sollte Kasner so eine Zahl auf eine Tafel schreiben?

Wie würdest du eine echt große Zahl nennen (z. B. eine 1 mit 100 Nullen)?

Ein Googol!

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Symbole aus Indien Für jede Arbeit mit Zahlen brauchen wir Symbole, die diese Zahlenwerte repräsentieren. Die symbolischen Äquivalente zu den Wörtern „eins“, „zwei“, „drei“ usw. (1, 2, 3…) kamen aus Indien über die arabische Welt zu uns in den Westen. Die ältesten bekannten Verwandten des modernen Systems wurden in Höhlen und auf Münzen in der Gegend von Bombay gefunden und reichen bis ins erste Jahrhundert nach Christus zurück. Die Zahlen 1 bis 3 bestanden aus einer Linie, zwei Linien und drei Linien, vergleichbar mit horizontalen römischen Ziffern. Mit etwas Fantasie kann man sie in den Hauptlinien unserer modernen Zahlen ausmachen. Die Kennzeichen für 4 bis 9 sind näher mit den heute verwendeten Symbolen verwandt.

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Die indischen Symbole wurden in der arabischen Welt adaptiert und kamen im 13. Jh. dank zweier Bücher in den Westen. Die Autoren waren ein Philosoph aus Bagdad und ein Reisender aus Pisa. Das ältere Buch wurde von al-Chwarizmi (ca. 780-850) im 9. Jh. geschrieben. Das arabische Original ist allerdings verloren gegangen. Die lateinische Übersetzung dieses Buches, Algoritmi de numero Indorum, ist 300 Jahre später produziert und dabei vermutlich deutlich modifiziert worden. Die Version von al-Chwarizmis Namen im Titel wird häufig als der Ursprung des Begriffs „Algorithmus“ angegeben. (Manchmal wird er aber auch mit dem griechischen Wort für Zahl, arithmos, in Verbindung gebracht.)

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Aristoteles Auch Aristoteles beschäftigte sich mit der Unendlichkeit. Mit seinen Arbeitsergebnissen waren nicht nur die Griechen, sondern auch die meisten Mathematiker bis hinein ins 19. Jh. zufrieden. Aristoteles wurde 384 v. Chr. in Stageira geboren und trat später in Platons Akademie ein. Das war nicht irgendeine Akademie. Es war die Akademie, das Original. Sie wurde auf dem Hain eines Mannes namens Akademos errichtet. Aristoteles untersuchte die Unendlichkeit, wie es bei den griechischen Philosophen üblich war: Er dachte im Lehnstuhl darüber nach. Er begann damit, sich existierende Ansichten genauer anzuschauen. So dachten die Pythagoreer, dass Unendlichkeit das ist, „was außerhalb des Himmels ist“. Die Atomisten dachten, dass sie nur ein Attribut einer Substanz ist, wie eine Farbe, statt etwas, das von sich aus existiert.

Es ist Aufgabe derjenigen, die sich auf die Physik spezialisieren, die Unendlichkeit zu diskutieren und zu untersuchen, ob es so etwas gibt oder nicht. Und falls es das gibt, zu fragen, was das eigentlich ist.

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Aristoteles entschied, dass die Unendlichkeit existieren muss, da die Zeit keinen Beginn und kein Ende hat. Und beim Aufzählen von Zahlen gibt es kein Ende. Und auch das Universum kann grenzenlos sein. Jedoch war Unendlichkeit nichts anderes als Zahlen oder Magnetismus. Also nicht etwas, das von sich aus existiert, wie die Pythagoreer dachten. Schlimmer noch, die Unendlichkeit konnte genauso gut nicht existieren. Aristoteles’ Behauptungen sind da etwas dunkel. Die klarsten von ihnen behaupten einen unendlichen Körper. Er müsste unbegrenzt sein, da er sonst endlich wäre. Jedoch ist ein Körper durch seine Grenzen definiert – nur dadurch kann man ihn von allem anderen unterscheiden. Daher kann ein unendlicher Köper nicht existieren.

Aus Sicht der oben genannten Überlegungen scheint keine Alternative möglich … und offensichtlich macht es einerseits Sinn, dass Unendlichkeit existiert und andererseits, dass sie nicht existiert.

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Wo ist sie denn?

Die potenzielle Unendlichkeit Aristoteles entschied, dass Unendlichkeit ein potenzieller Zustand ist. Das ist schwer zu verstehen. Aber Aristoteles gab uns zum Verständnis ein hübsches Bild. Er sagte: Nehmen wir die Olympischen Spiele. Sie existieren – niemand kann das bezweifeln. Aber stellen wir uns nun einen kleinen grünen Mann vor, der in einer fliegenden Untertasse daherkommt (das Letztere stammt von mir) und sagt: „Zeig mir diese Olympischen Spiele, von denen du sprichst. Wo sind sie?“ Nun, sie sind nicht da. Ich kann sie dir nicht zeigen. Die Olympischen Spiele existieren. Aber sie sind nichts, auf das man zeigen kann (außer an den beiden Wochen alle vier Jahre). Sie sind ein potenzieller Zustand genauso wie die Unendlichkeit.

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Überhaupt keine wirklichen Zahlen Im Mittelalter wurde die Existenz irrationaler Zahlen, wie die Quadratwurzel aus 2, widerwillig akzeptiert. Aber die Mathematiker vermieden sie nach Möglichkeit. Der deutsche Theologe und Mathematiker Michael Stifel (ca. 1486-1567) lebte als Zeitgenosse Luthers im 16. Jh. Er war einer der Erfinder des Logarithmus und machte mit seinen Rechenbüchern auch einige unserer bekanntesten mathematischen Symbole populärer: z. B. „+“ und (ironischerweise) „√“. Er erkannte zwar die Wertigkeit der irrationalen Zahlen, wies aber immer engagiert darauf hin, dass sie in vielerlei Hinsicht überhaupt keine Zahlen waren. Sie waren keine Werte, mit denen man auf den üblichen Wegen arbeiten konnte. Eher waren sie „in einer Art Wolke der Unendlichkeit verborgen“.

Wir merken, dass sie fortwährend vor uns fliehen, sodass keine von ihnen als solche präzise begriffen werden kann.

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Gott und die Unendlichkeit Für die christlichen Philosophen, die den Griechen folgten, war die Unendlichkeit ein Thema, dass man besser Gott überließ. Für den Bischof und Philosophen Augustinus von Hippo (354430 n. Chr.) war klar, dass Zahlen nicht aufhören können, sondern die Unendlichkeit erreichen müssen. Er argumentierte so: Manche Menschen glauben, dass Wissen die Unendlichkeit nicht erfassen kann, zumal es Gottes Wissen ist. Obwohl es für uns natürlich unmöglich ist, die Unendlichkeit zu beziffern, war es für Augustinus lächerlich, Gott zu beschränken: Denn er war es, von dem die Idee der Unendlichkeit stammt. In Wirklichkeit war, laut Augustinus, die Zeitspanne vor der Schöpfung des Universums unendlich. Eine Ewigkeit, im Vergleich zur Existenz des Universums, das erst für die kürzeste uns vorstellbare Zeit existiert.

Obwohl wir die unendliche Zahl nicht beziffern können, ist die Unendlichkeit der Zahl trotzdem nicht unbegreiflich für den, dessen Verstand unendlich ist.

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Einige spätere Theologen, wie der italienische Mönch Thomas von Aquin (1225-1274), waren damit nicht einverstanden. Beeinflusst durch arabische Philosophen und die gerade wiederentdeckten Werke Aristoteles’ argumentierte Thomas von Aquin folgendermaßen: Obwohl Gott grenzenlos ist, heißt das nicht, dass er das Unmögliche tun kann. Er könnte keinen quadratischen Kreis herstellen oder ein sichtbares Objekt, das unsichtbar ist. Für Aquin hätte also Gott mit der Unendlichkeit dieselben Probleme. Es ist nicht so, dass er nicht das Bedeutungsvolle tun könnte, was er sich vorgenommen hat. Aber etwas unendlich zu machen, oder auch nur die Unendlichkeit ins Auge zu fassen, liegt nicht in seiner Macht, dieses Konzept widerspräche dem Konzept des Realen.

Obwohl Gottes Macht unbegrenzt ist, kann er kein absolut grenzenloses Objekt machen. Genauso wenig kann er etwas Nichtgemachtes machen.

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Die Verbindung von Gott mit der Unendlichkeit kommt in den Weltreligionen immer wieder vor. In der Hinduschrift Bhagavad Gita lesen wir: „O Herr des Universums, ich sehe Dich überall in unendlicher Gestalt …“ Und im Judentum, das wiederum Geburtshelfer für das Christentum und den Islam war, gibt es klare Hinweise auf die Unendlichkeit in der mystischen Tradition der Kabbala. Die Kabbala wird sehr stark von Zahlen gelenkt. Im Herzen der Kabbala gibt es die zehn Urpotenzen des Weltbaums, die Sefirot (klingt ähnlich wie Ziffer) genannt werden.

Die Sefirot werden alle als Offenbarungsformen der Gottheit betrachtet. Diese wird ein sof („es hat kein Ende”) genannt, also Unendlichkeit.

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Newton vs. Leibniz Leibniz fühlte sich beleidigt. Von allem anderen abgesehen, hatte er eindeutig zuerst veröffentlicht. Sein Artikel zur Analysis wurde 1684 gedruckt. Obwohl Newton seine Fluxionsmethode (sein Name für die Infinitesimalrechnung) schon 1671 entwickelte, wurde sie bis zum Jahr 1687 nicht veröffentlicht. Mittlerweile flogen die Vorwürfe über dem Ärmelkanal hin und her. Sie wurden in der eisigen Höflichkeit dieser Tage geäußert. Leibniz fühlte sich gezwungen zu handeln, als einer von Newtons Freunden, John Keill, einen Artikel in der Royal Society veröffentlichte. Dabei beschuldigte er Leibniz explizit des Plagiats.

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Leibniz war verletzt. Er war Mitglied der Royal Society und hatte so eine Behandlung nicht erwartet. Keill wurde aufgefordert, sich zu entschuldigen. Aber er räumte nur ein, dass Leibniz’ Notation ein Original war – was keine wirkliche Entschuldigung war. Leibniz beschwerte sich noch einmal. Das zwang die Royal Society zu handeln. Es wurde ein Komitee aus elf Männern eingesetzt, um die Wahrheit zu ermitteln. Der abschließende Bericht wurde von niemand Geringerem als dem Präsidenten der Royal Society geschrieben. Das würde doch sicher Leibniz besänftigen?

Leider war das nicht so. Der Präsident der Royal Society und somit der Autor dieses „objektiven” Berichts war Sir Isaac Newton selbst!

Der Bruch zwischen britischen und kontinentalen Mathematikern dauerte ein Jahrhundert.

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Notation Ein Grund, dass Leibniz’ Infinitesimal bekannter wurde als Newtons Fluxionen, ist die Notation. Diese war sehr viel praktischer als Newtons. Newtons gequetschtes o führte zu Verwirrungen mit Null, und es gab dazu keine Informationen über das, was sich veränderte. Schon einige Zeit gab es die Konvention, dass man den griechischen Buchstaben Delta (Δ) verwendete, um Veränderung zu zeigen. Ein kleines delta (δ) stand für eine kleine Veränderung. Zum Beispiel bedeutete δx eine kleine Veränderung der Menge x.

Im Gegensatz dazu baute ich auf der existierenden Notation auf, um ein System zu entwickeln, das einfacher nachvollziehbar und leichter manipulierbar war.

δ


Leibniz ging einen Schritt weiter. Statt δx für eine kleine Veränderung von x zu schreiben, nahm er dx und meinte damit eine unendlich kleine Veränderung von x. Diese Änderung war für das Kunststück nötig, eine Kurve als gerade Linie anzusehen. Die Veränderung von x war dx. Die Rate der Veränderung von x war dx ÷ dt, wobei t die Zeit ist.

Ich habe ein gleichbedeutendes Symbol, für die Rate der Veränderung von x, in meiner Notation: Ein x mit einem Punkt darauf.

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Die Punkte sind leicht zu übersehen und weniger informativ als meine Alternative.



Punkte im Raum Hier eine andere bemerkenswerte Sache, die Cantor entdeckte. Bis jetzt haben wir mit einer Zahlengeraden gearbeitet, einer eindimensionalen Liste von Zahlen, und haben am Ende diese neue Unendlichkeit entdeckt. Cantor bezeichnet sie als „die Unendlichkeit des Kontinuums“ oder ‫ﬡ‬c, weil sie jede Zahl im kontinuierlichen Spektrum zwischen 0 und 1 abdeckt, also jeden Punkt auf dieser Geraden. Aber wie viele Punkte gibt es dann in einem Quadrat oder einem Würfel? Der letzte von Cantors einfachen Beweisen dehnt Aleph auf die Punkte in einem Raum aus. Wir werden dafür nur mit einem Quadrat arbeiten, obwohl er auf jede Zahl von Dimensionen anwendbar ist.

Wie viele Punkte?

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Wir definieren eine Position auf einer Geraden mit einer Zahl, zum Beispiel auf einer Zahlengeraden von 0 bis 1, lautet die Zahl für die Hälfte der Strecke 0,5. Ähnlich definieren wir einen Punkt in einem Quadrat mit zwei Zahlen. Auf einer Karte sind dies Planquadratangaben oder Breiten- und Längengrade, in einem Diagramm die X- und Y-Koordinaten. Dies sind die „kartesischen Koordinaten“, benannt nach dem französischen Philosophen René Descartes (1596-1650), der gezeigt hat, wie Algebra und Geometrie in solch einer grafischen Darstellung zusammenfinden.

Zwei Zahlen zu benutzen, um einen Punkt auf einer Ebene zu lokalisieren, war nicht Descartes Erfindung. Ptolemäus (ca. 90-168 n. Chr.) hatte Karten in seinem Weltatlas des Jahres 150, die zwei Koordinaten verwendeten. 121


Nehmen wir ein Quadrat, dass wie unsere urspr端ngliche Zahlengerade von 0 bis 1 auf der X- wie der Y-Achse reicht. Wir k旦nnen jeden Punkt bezeichnen, indem wir zwei Zahlen zwischen 0 und 1 verwenden, eine f端r die X- und eine f端r die Y-Koordinate. Cantor erkannte, dass man keine zwei Zahlen braucht, um diesen Punkt zu bezeichnen. Man kann eine neue Zahl bilden, indem man abwechselnd eine Ziffer der beiden Werte nimmt. Zum Beispiel: ein Punkt 0,5921 auf der X-Achse und 0,2843 auf der Y-Achse wird eindeutig identifiziert mit 0,52982413. Dabei identifizieren die ungeraden Dezimalstellen die Position auf der X- und die geraden die auf der Y-Achse.

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In der Schule lagen sie falsch, als sie dir erzählten, dass du zwei Zahlen brauchst, um einen Punkt auf einer zwei-dimensionalen Fläche zu bestimmen. Jeder Punkt kann durch einen einzigen Wert identifiziert werden. Natürlich enthält die neue Zahl mehr Informationen – sie hat zweimal so viele Dezimalstellen – aber sie ist immer noch eine einzige Zahl. Daher ist die Kardinalität von Punkten in einem Quadrat, die gleiche wie die des Kontinuums zwischen 0 und 1, ‫ﬡ‬c. Die gleiche Argumentation gilt für die Punkte in einem Würfel oder eines n-dimensionalen Hyperkubus.

Jeder Punkt kann eindeutig durch eine Zahl zwischen 0 und 1 identifiziert werden.

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Gödels Beweis erschüttert einiges Kurt Gödel (1906-1978) entwickelte einen Beweis, der riesige Schockwellen in der Mathematik auslöste. Es war sein Meisterwerk: Der Gödelsche Unvollständigkeitssatz. Er besagt, dass es in jedem mathematischen System einige Probleme geben wird, die unmöglich zu lösen sind. Ein System ist die Serie von Axiomen oder grundlegenden Regeln und Annahmen, auf der z. B. Mathematik basiert. Eine sehr grobe Annäherung an Gödels Theorem ist die Bearbeitung der folgenden Behauptung: „Dieses mathematische System kann nicht beweisen, dass diese Behauptung wahr ist.“ Ist diese Behauptung wahr?

Wenn das System die Behauptung beweist, hat es bewiesen, dass es nicht beweisen kann. Wenn es sie nicht beweisen kann, kann es sie eben nicht beweisen.

Egal, wie man es dreht und wendet, diese Behauptung ist nicht beweisbar.

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Wie Cantor hatte auch Gödel alles andere als eine stabile psychische Konstitution. Obwohl er kein Jude war, empfand er die Arbeit in Österreich in den 1930ern als immer unangenehmer. 1939 entschieden er und seine Frau sich, nach Amerika zu fliehen. Da die westliche Route versperrt war, nahmen sie die Transsibirische Eisenbahn und erreichten San Francisco über Japan. Obwohl er eine Stelle am prestigeträchtigen Institute for Advanced Study in Princeton bekam, litt Gödel an zunehmender Paranoia. Er war überzeugt, dass man ihn vergiften wollte, und nahm daher nur Gerichte zu sich, die von seiner Frau zubereitet worden waren. Als sie starb, verhungerte er de facto.

Während eines Urlaubs wurde Gödel fast als Spion verhaftet, weil er, deutsch murmelnd, geistesabwesend am Strand entlanglief.

Die Einheimischen dachten, er versuche, ein deutsches U-Boot zu kontaktieren.

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Zurück zur Kontinuumshypothese Gödel gelang es, zu beweisen: Die Kontinuumshypothese widerspricht der Mengentheorie nicht. Aber sein geistiger Zustand wurde zu instabil, um diese Erkenntnis auf Cantors Problem mit der Unendlichkeit anzuwenden. Es musste ein anderer, jüngerer Mathematiker, Paul Cohen (1934-2007), kommen, um nachzuweisen, dass es niemals möglich sein würde, die Kontinuumshypothese zu beweisen oder zu widerlegen. Niemand kann sicher sein, ob ‫ﬡ‬c (die Unendlichkeit des Kontinuums von 0 bis 1) das Gleiche ist wie ‫ﬡ‬1.

Stattdessen konnte ich beweisen, dass die Kontinuumshypothese unabhängig von den Axiomen der Mengentheorie ist – sie arbeitet komplett außerhalb deren Grenzen.


Der französisch-stämmige Mathematiker André Weil (1906-1986) konnte, wie viele andere auch, noch in die USA fliehen, als der zweite Weltkrieg begann. Er fasste vielleicht am deutlichsten die Frustration zusammen, die als Resultat von Gödels und Cohens Arbeit an der Kontinuumshypothese übrig blieb: Sie steht nicht im Widerspruch zur Mengentheorie, kann aber trotzdem nie mit dieser verknüpft werden. Sie kann weder bewiesen noch widerlegt werden. Solange wir die gleichen Axiome nutzen, die als Fundamente der Mengentheorie dienen, können wir keine weiteren Fortschritte mehr erzielen.

Gott existiert, seit die Mathematik widerspruchsfrei ist und der Teufel existiert, seit wir das nicht beweisen können.

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Infinitesimale und die brownsche Molekularbewegung Ein Beispiel für die Anwendung der Nicht-Standard-Analysis ist das Modell der brownschen Molekularbewegung. 1820 beobachtete der Botaniker Robert Brown (1773-1858), dass Pollenkörner in einem Wassertropfen herumtanzten, als er sie durch ein Mikroskop betrachtete.

Anfangs dachte ich, das wäre Resultat einer Art Lebensenergie. Aber ich fand heraus, dass das Gleiche mit winzigen Materieteilchen passierte, die definitiv „tot” waren. 1870 wurde diese Bewegung korrekt erklärt: Sie ist geschuldet der Einwirkung rhythmisch zufällig wackelnder Wassermoleküle. 1905 entwickelte Einstein ein mathematisches Modell für das, was da vor sich ging – aber das reichte noch nicht.

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Einsteins Modell der brownschen Molekularbewegung war ein statistisches Modell. (Es gehörte zu seinen drei wegweisenden Schriften von 1905. Dieser Text enthielt auch den ersten Ausflug in die spezielle Relativitätstheorie und seine Ideen zum fotoelektrischen Effekt, der zur Quantentheorie führte.)

Das Modell war gut zur Vorhersage des allgemeinen Effekts. Aber es konnte nicht verfolgen, was genau mit einzelnen Molekülen passierte.

In den 1970ern nutzte der amerikanische Mathematiker Robert Anderson die Nicht-StandardAnalysis, um unendlich kleine Bewegungen räumlich zu beschreiben. Er bewies, dass dies der einzige Weg ist, um auf einem detaillierten Level ein funktionsfähiges Modell der brownschen Molekularbewegung zu entwerfen. Diese nicht existierenden Größen fingen an, ihr Gewicht in die Waagschale zu werfen.

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Robinsons Arbeit konzentrierte sich auf Infinitesimalzahlen. Aber sie bringt auch die Unendlichkeit auf die hyperreelle Zahlengerade. Auf den ersten Blick erscheint es so, als würden Cantors transfinite Zahlen aus dem Abstellraum kommen und sich dann dem Rest der Mathematik anschließen. Aber das stimmt so nicht. Cantors Alephs werden nicht auf einer Zahlengeraden Platz nehmen wie Robinsons Unendlichkeiten. Die beiden Systeme sind nicht miteinander vereinbar.

Es ist ein bisschen so, als würde man auf ein Bild eines 3D-Objekts schauen. Nehmen wir z. B. Bilder einer Schlange, die von vorne und von der Seite aufgenommen wurden. Die Bilder zeigen scheinbar verschiedene Dinge.

Das Gleiche scheint für die Unendlichkeit wahr zu sein. Man schaut von der einen Seite und hat Alephs. Man schaut von einer anderen und findet die Nichtstandard-Analysis. Einige Mathematiker glauben, dass diese beiden Ansätze, ohne miteinander in Konflikt zu geraten, durch ihre Interaktion wichtige Ergebnisse liefern könnten. 164


Hilberts Hotel Real ist mit Sicherheit indessen die Faszination, die von diesem Thema ausgeht. Nehmen wir zwei klassische Paradoxa der Unendlichkeit. Das Erste ist Hilberts Hotel, das nach dem deutschen Mathematiker David Hilbert benannt wurde. Hilberts Hotel hat eine einzigartige Eigenschaft. Es hat Aleph-Null-Zimmer – eines für jede der unendlichen Mengen zählbarer Zahlen. Nun kommt man dort einmal sehr spät an. Es ist das einzige Hotel in der Stadt. „Es tut mir leid“, sagt der Portier, „wir sind voll belegt“. „Kein Problem“, sagst du.

Verlegen Sie die Person aus Zimmer 1 nach 2.

Und die Person aus Zimmer 2 kommt auf 3.

Und so weiter, bis das ganze Hotel durch ist. Jetzt hat jeder ein Zimmer, aber Zimmer 1 ist deins.

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Sieht so aus, als wäre jetzt alles in Ordnung. Aber dann taucht ein ziemlich spezielles Fahrzeug auf. Es hat eine unendliche Menge Passagiere an Bord. Wieder muss sich der Portier entschuldigen. Das Hotel ist komplett voll. Glücklicherweise bist du noch an der Rezeption und kannst übernehmen. „Kein Problem“, sagst du.

Wir verlegen die Person aus Zimmer 1 in Zimmer 2.

Die Person aus Zimmer 2 geht in Zimmer 4.

Zimmer 3 geht nach Zimmer 6.

Und so weiter. Wir haben so die Zahl der Zimmer im gesamten Hotel verdoppelt. Nun sind alle Zimmer mit ungeraden Zahlen – also eine unendliche Menge davon – frei für die neuen Gäste – ausgezeichnet. 166



Index abzählbar unendliche Mengen 112-113 Academos 23 Achilles und die Schildkröte 20-21 Acta Mathematica 131 Ähnlichkeitsprinzip 59 Al-Chwarizmi 7 Aleph-Null 105-108, 111113, 165 Alexander der Große 151 Algebra 27-29 Algorithmus 7 Analysis 68-69, 71-73, 76-77, 80-81, 159 Anderson, Robert 163 Antiphon 60-61 Apeiron 22 Aquin, Thomas von 45 Archimedes 10-14 Aristoteles 23-25, 45, 62, 137 Atome 60, 167 Augustinus von Hippo 44 Berkeley, George 74-77, 81, 159 Beschleunigung 63-65 Bhagavad Gita 46 Bhaskara 79 Blake, William 13 Bolzano, Bernard 85-87 Boole, George 93 Boolesche Algebra 93-94 Brahmagupta 79 Brown, Robert 162 Brownsche Molekularbewegung 162-163 Brüche 30, 37 Rationale 113-117 Cantor, Georg in Halle 88, 132 und Aleph-Null 105-106, 108, 112-119 und die Unendlichkeit des Kontinuums 120, 125, 128-132

und Punkte im Raum 120, 122-124 und Mengen 89, 101 Wahnsinn 88, 125, 132 Cantormenge 140, 145-147 Chaitin, Greg 42 Chinesisch 90 Cohen, Paul 135-136 Delta 71 Demokrit 151 Descartes, René 121 Differentialrechnung 73 Differenzierung 73 Donne, John 13 Dunham, William 92 Einheit 94 Ein Sof 46, 106 Eins (1), die Unendlichkeit von 58 Einstein, Albert 162-163 Einzigartiger Geist 32 Euler, Leonhard 92 Existenz der Unendlichkeit 137 Fermats letztes Theorem 116 Fibonacci, Leonardo 8 Fließen 80 Fließend 66 Fluxionen 64, 66-67, 69, 71, 74-77, 80 Folgen 14-15 Fraktale 138-142, 147 Gabriels Horn 168-170 Galileo Galilei 50-59, 62, 85, 86, 87 Ganzheit 32 Ganze Zahlen 14 Gauss, Johann Carl Friedrich 49 Gautama Buddha 3 Gegenständliche Mathematik 26 Gelon, König von Syrakus 10, 12 Geometrie 27, 37, 56 Gerade Zahlen 33 Gott, und die Unendlichkeit 44-46 175

Gödel, Kurt 132-136 Gravitation 63 Große Zahlen 3 Halley, Edmund 76, 77, 83 Hegel, G.W.F. 85 Hilbert, David 46, 165-167 Hilberts Hotel 165 Hipparsus 36, 117 Homöopathie 59 Hume, David 47-48 Hyperreelle Zahlengerade 161, 164 Illusion, Unendlichkeit als 49 Imaginäre Zahlen 103-104 Indische Symbole 6-7 Infinitesimalzahlen 158164 Ingram, Charles 4 Integralrechnung 73 Integrales Symbol 73 Integration 73 Irrationale Zahlen 36, 43, 117-119 Iterated Systems 142 Kabbala 46, 105 Kardinalzahlen 97-98, 108 Kardinalität 96-97, 101102, 114, 116 Kartesische Koordinaten 121 Kasner, Ed 5 Keill, John 69-70 Kinetische Energie 28 Kleinsche Flasche 84 Koch, Helge von 138 Koch-Kurve 138, 140, 143 Kochsche Schneeflocke 138, 147 Komplexe Zahlen 104 Komprimierungssoftware 142 Kontinuum, Unendlichkeit des 120, 125, 136 Kontinuum, Hypothese des 125, 129, 135-136 Kreis, Fläche des 60-61 Kronecker, Leopold 129132, 137


Küstenlinie, Vermessung der 143-144 Latino sine flexione 97 Leere Menge 98, 127 Leibniz, Gottfried Wilhelm 66-73, 80 Lemniskate 82, 85, 106 Levine, Shaughan 48 Licht 154-155 Linke Gehirnhälfte 26 Logarithmus 43 Mandelbrot, Benoît 139 Mandelbrotsche Menge 139-140, 143 Meinung 32 Menge 89-103 Mengendiagramm 91-94 Mittag-Leffler, Magnus Gösta 131 Möbiusband 84 Modelltheorie 160 Natürliche Zahlen 58 Newton, Isaac 62-73, 76-78, 80-81 Nicholas von Cusa 61, 73 Nicht-Standard-Analysis 160-164 Nicht erkennbare Zahlen 42 Notation 71-72 Null (0) 9 als leere Menge 98 geteilt durch Null 78-80 tendiert zu 81

Planck, Max 144 Poincaré, Henri 99 Positive ganze Zahlen 101, 105, 109 Potenzielle Unendlichkeit 25, 62, 85 Potenzmenge 126-128 Ptolemäus 121 Punkte im Raum 120-124 Pythagoras 32 Pythagoras Theorem 36 Pythagoreer 23, 24, 32-39 Quadrat 101-102 Diagonale von 34-35 Quadratische Gleichungen 28 Quadratur des Kreises 38-39 Quadratwurzel 34-36 Quantencomputer 153-157 Qubits 157 Rationale Brüche 113-117 Rädern , Unendlichkeit auf 53-55 Richtung 156 Reale (wirkliche) Unendlichkeit 49, 62, 85, 105, 137-138 Reelle Zahlen 57, 128 Reihe 16 Rekursion 140 Robinson, Abraham 159160, 164 Römische Ziffern 9 Royal Society 69-70 Russell, Bertrand 99-100 Russells Paradoxon 99-100

o 66, 71, 78, 80-81 Omega (Ω) 42 omega (ω) 110-111 Ordinale Unendlichkeit 110- Der Sandrechner 10-11, 13 111 Schnittpunkt 93 Ordinalzahlen 108-109 Schöpfung 32-33 Orr, Adam C. 40 Schrödinger, Erwin 153 Schwerkraft 63 Paradoxa der Unendlichkeit Sefirot 46 85 Simplicio 55, 57 Peano, Giuseppe 97-98 Sirrota, Milton 5 Photonen 155 Spin 156-157 Pi 39 Stifel, Michael 43 Suchmaschinen 93 Formel für 41 Symbole Unendlichkeit von 40 176

der Undendlichkeit 82, 83 Indische 6-7 Teilchen 154-155 Teile 30-31 Teleskop 51 Tetragonidzein 38 Transzendentale Zahlen 39 Transfinite Zahlen 119, 164 Unendliche Mengen 101 Unendlichkeitsmaschine 18 Ungerade Zahlen 33 Universum 11, 148-152, 167 Unteilbaren, die 60 Untermengen 90, 101 Unvollständigkeitssatz 133 Urknall-Theorie 152 Venn, John 91-92 Veränderung 71-73 Verhältnis 36 Vertrauen 77 Visuelle Mathematik 26 Visuelles Denken 30-31 Wallis, John 41, 82-83, 106 Wellen 154 Weil, André 136 Weyl, Hermann 18 Wiles, Andrew 116 Wirkliche (reale) Unendlichkeit 49, 62, 85, 105, 137-138 X-Koordinaten 121, 122 Y-Koordinaten 121, 122 Young, Thomas 154 Youngs Doppelspalten­ experiment 153-155 Zahlenfolge 14-15 Zahlengerade 115, 120 Hyperreelle 161, 164 Zehn (10), als Zahl der Perfektion 33-34 Zenon von Elea 19 Zenons Paradoxa 19



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