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GROSSE GEFÜHLE
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NINA CHUBA
No future.
No future” besangen 1977 die britischen Punk-Rabauken Sex Pistols, in erster Linie als Absage an die zeitgenössische Elite und das aristokratische Relikt, die Queen. Doch die Aussage des Songtextes „God Save the Queen” geht darüber hinaus, versteht Sänger Johnny Rotten die Zeilen prophetisch, umfassender: „Wenn du deine Zukunft nicht selbst in die Hand nimmst, dann wirst du auch keine haben.” Nun mag es für die breite Öffentlichkeit freilich staatstragender wirken, wenn eine ältere, vornehme und mit Klunkern besetzte Dame eine Nation repräsentiert, denn vermutlich stark alkoholisierte, in zerrissenen Jeans und versifften Lederjacken gewandete Flegel; ebenso mutet, auf den ersten Blick, ein Kanzler in seinem geschulten, Raison ausstrahlenden Auftreten honoriger und seriöser an als diejenigen Halbwüchsigen, die lautstark skandierend Kunstwerke beschütten oder sich an Verkehrsknotenpunkten am Asphalt festkleben: die Rede ist freilich von der Letzten Generation. Nun bin ich weder Fan davon, fremdes Eigentum zu zerstören, noch meinen Mitmenschen zur Last zu fallen – wie unser Bundeskanzler bin ich jedoch (und da hören unsere Parallelitäten schon wieder auf) Freund einer „Leistungsgesellschaft”, wenngleich sich meine Vorstellung darob etwas anders liest. In meiner Vorstellung ist eine Leistungsgesellschaft keine, die sich knechtet, um irgendwie überleben zu können, sondern eine, wo sich jedes Mitglied des Soziotops als Rädchen einer übergroßen Maschine versteht und die Leistung, möge sie noch so groß oder klein sein, erbringt, um die Apparatur am Laufen zu halten. Im Parlament hören wir dieser Tage von der Opposition Rücktrittsforderungen an die Koalition: Beispiele, die Schwarz-Grün in ihrer Amtsperiode versemmelt haben, lassen sich an zwei Händen nicht mehr abzählen. Allerdings: Wenn ich in die Reihen blicke, ist meine Überzeugung, dass es anders gefärbte Volksvertreter besser machen würden, auch verschwindend. Ich sehe hier keine Leistung, ich sehe Hilflosigkeit, Gleichgültigkeit, Kurzsichtigkeit, Borniertheit allein. Ich habe noch den Appell aus der Corona-Krise im Hinterkopf: „Gemeinsam schaffen wir das.” Doch wie so oft ist das kollektive „Wir” ein Abwälzen auf andere, ein Abstreifen von Verantwortung: Steigende Lebenshaltungskosten, Verschlechterungen im Gesundheitssystem, eine immer größer werdende Schere zwischen Arm und Reich, Klimakrise – die Sorgenliste der ÖsterreicherInnen ist nicht nur lang, sondern sie schwebt kolossal wie das sprichwörtliche Damoklesschwert über all unseren
Köpfen – zur vermeintlichen Entlastung werden all diese offensichtlichen Probleme jedoch von den Verantwortlichen nicht beim Schopf gepackt, sondern Zuckerln wie Globuli verteilt, um den schwelenden Mob zumindest temporär zu seditieren (Ramones, anyone?). Dass da, um wieder zum Vergleich einer Gesellschaft mit einer Maschine zurückzukehren, irgendwann einmal mehr und mehr der kleinen Zahnrädchen zu kreischen beginnen, wenn die großen stocken, ist nachvollziehbar. Dass immer mehr, zuletzt namhafte Kabarettisten wie Martin Puntigam, Robert Palfrader und Gunkl in ihrem Ächzen nachziehen, ist ein Schritt in die richtige Richtung, dass vielleicht irgendwann ganz oben, im Kontrollraum, das schrille Klingeln und grelle Blinken der Warnkontrollanzeige wahrgenommen wird. Es ist, so enervierend es im Alltag auch scheint, perspektivisch gesehen dringlich notwendig, dass von der Politik Engagement eingefordert wird – schließlich ist dies die Leistung, für die wir sie bezahlen: Soziale Kälte muss ebenso wie globale Hitze verhindert werden – ansonsten kann sich Nationalratspräsident Sobotka gleich an seinen protzigen Flügel setzen und „Nearer My God to Thee” anstimmen.
Stefan Baumgartner (Chefredakteur)