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Über Risiken und Nebenwirkung
MOUNT EVEREST, SÜDPOL, NORDPOL MOUNT EVEREST, SÜDPOL, NORDPOL:Uber Risiken und Nebenwirkung ..
Berufsbergführerin, Helikopterpilotin, Bestseller-Buchautorin und «Grenzgängerin» – das ist Evelyne Binsack. Die erste Frau der Welt, welche aus eigener Körperkraft den höchsten, den südlichsten und den nördlichsten Punkt dieser Erde erreicht hat.
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Interview: Louise Bastin / Leiterin Marketing&Kommunikation / together ag
Auf ihren aussergewöhnlichen Expeditionen zum Mount Everest, dem Süd- sowie dem Nordpol hat sie so einiges gesehen und erlebt. Die körperlichen und mentalen Erfahrungen, die sie dabei gesammelt hat, werden sie ihr ganzes Leben lang begleiten.
Evelyne, warum nennst du dich selbst eine «Grenzgängerin»?
Bereits in jungen Jahren hatte ich unheimlich viel Energie und eine riesige Neugierde in mir. Ich wollte immer wissen, wie mein Körper reagiert und wie es sich anfühlt, wenn ich an meine körperlichen und geistigen Grenzen gelange – oder sogar darüber hinaus gehe. So bin ich zum Alpinismus gekommen und habe mit Klettern und Bergsteigen angefangen. Woher diese Idee kam, immer wieder an die Grenzen des Menschenmöglichen gehen zu wollen, kann ich nicht sagen. Das war und ist einfach in mir drin.
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Du hast dein Hobby zum Beruf gemacht. Wurde es dir über die Jahre nie langweilig?
Ich bin ein Mensch, dem schnell langweilig wird und 24/7 über den Bergsport zu diskutieren, wäre auch für mich undenkbar gewesen. Für mich waren Hobby und Beruf immer zwei Paar Schuhe. Bergsteigen ist eine sehr breit gefächerte Disziplin: Sportklettern, Alpinklettern, Eisklettern, 4'000er-Bergsteigen und vieles mehr. In meinem Beruf als Bergführerin habe ich mich nur auf einige wenige ausgewählte Disziplinen konzentriert. Die anderen habe ich weggelassen, um diese als Leidenschaft im Privatleben ausüben zu können. Da aber die Aktivitäten in meinem Leben zu 80% mit dem Wort «Berg...» begonnen haben, habe ich mich irgendwann entschieden, noch weitere Ausbildungen in anderen Bereichen zu machen. So wurde ich Helikopterpilotin. Im Moment absolviere ich eine CoachingAusbildung und spezialisiere mich darin auf Verhaltens-Führung und Mentaltraining.
Wie hat sich dein «extremer» Beruf auf den normalen Alltag ausgewirkt?
(lacht) Mit zunehmendem Alter hat sich alles etwas verändert. Ich habe so viel erlebt und gesehen, dass ich mich darüber freue, wenn mir zwischendurch das Gesicht einschläft. Mein Leben bedeutet stets «aufbrechen». Raus aus der Komfortzone in die nächste unangenehme Situation. Aber Aufbrechen ist nicht immer mit Freude, sondern meistens mit viel Überwindung verbunden. Menschen gehen in die Ferien, um sich vom Alltag zu erholen – ich suche den Alltag, um mich vom ereignisreichen Berufsleben zu erholen.
KURZ NACHGEFRAGT
Nochmal Mount Everest oder die beiden Pole?
(lacht) Alles. Ernsthaft, ich wurde es nie mehr machen, aber ich wurde es auch nicht missen wollen. Wenn ich mich aber entscheiden musste, dann wurde ich im Rahmen einer Filmproduktion noch einmal zum Mount Everest reisen.
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Aufstieg oder Abstieg?
Aufstieg, keine Frage.
Bergführerin oder Helikopterpilotin?
Keins von beidem. Obwohl ich nach wie vor sporadisch leidenschaftlich gerne Bergfuhre, mochte ich im Moment ausschliesslich im Coaching-Bereich tatig sein und Fuhrungskraften, Kaderleuten .. .. .. .. .. und Menschen, die weiterkommen wollen in ihrem Leben, meine Erfahrungen und mein Wissen weitergeben.
Wie sieht ein typischer Arbeitstag bei dir aus?
Wie bereits erwähnt, wird mir sehr schnell langweilig und ich brauche Abwechslung. Darum ist es wie im Bergsport auch: Meine typischsten Arbeitstage bestehen aus mehreren verschiedenen Disziplinen. Wenn ich auf Expedition bin, dann ist mein ganzer Geist, meist über mehrere Monate, komplett auf die Reise ausgelegt und es gibt kaum Zeit für Privates. Meistens bin ich im Alleingang unterwegs und arbeite mich, mit klar definierten Tagesetappen, Schritt für Schritt an mein Ziel – der Weg ist das Ziel. Als Berufsbergführerin begleite und unterstütze ich andere auf ihrem Weg nach oben. Ich kümmere mich vorab um das Organisatorische, erledige Hüttenreservationen, bin in engem Austausch mit den Kund*innen und informiere mich über deren Können und deren Wünsche. Der Fokus liegt nicht bei mir, sondern bei meinen Gästen. Hier ist das Ziel das Ziel: Also das Erreichen des Gipfels und danach ein sicherer Abstieg ins Tal. Ruhigere Arbeitstage habe ich dann, wenn ich mich auf meine Referate und Workshops vorbereite oder über zwei bis drei Monate intensiv an einem weiteren Buch schreibe.
Was treibt dich an?
Mein Antrieb hat sich in den vergangenen Jahrzehnten stets verändert. Mit 20 Jahren hat mich das Ausloten meiner Grenzen, die Neugierde getrieben. Nachher kam der Drang weiter-zumachen, da ich mir niemals einen Job im Büro hätte vorstellen können. Danach kam meine persönliche Entwicklung als Berufsbergführerin, ich habe nicht selten bis zu 80 Tage am Stück, also ohne einen einzigen freien Tag, gearbeitet. Dann kam der Wunsch, das Beste aus mir herauszuholen und mit Geist, Wille und Vorstellungskraft ein Ziel zu formulieren und dies dann auch wirklich umzusetzen. Was mich schon immer fasziniert hat, sind «irrwitzige Ideen». Meine Reise zum Südpol zum Beispiel war anfänglich ein Gedankenspiel. Ich hatte keine Ahnung von der Antarktis und was mich alles erwarten würde – aber nach vier Jahren Vorbereitungszeit bin ich aufgebrochen und 484 Tage und 25'000 zurückgelegte Kilometer später am Ziel angekommen. Heute ist mein Antrieb weit entfernt von meinem früheren «Leben am Limit». Denn ich interessiere mich nicht mehr nur, wie ich mich antreiben und motivieren kann, sondern vielmehr wie ich andere Menschen antreiben kann. Wie kann ich jemanden motivieren? Wie werden gute Teams geschaffen? Und was ist Willenskraft und wie kann diese gestärkt werden?
Was für Risiken und Nebenwirkungen bringt Berühmtheit im Bergsport mit sich?
Das Risiko, das Mass zu überschreiten. Dies hat sehr viel mit Selbst-Verführung zu tun, denn Erfolg ist sexy, aber auch mit gefährlichen Nebenwirkungen verbunden. Wenn man nicht 100% bei sich selbst ist, fokussiert bleibt bis in die letzte Faser seines Körpers und sich durch die öffentliche Aufmerksamkeit, die Medien, etc. ablenken lässt, passieren tödliche Flüchtigkeitsfehler, wie die Geschichte sie schon mehrmals geschrieben hat. Hier müssen wir alle unseren Weg finden, um mit Erfolg richtig umgehen zu können. Egal, ob im Sport oder in der Berufswelt.
Du hast sehr viele Erfahrungen gemacht in deinem Leben. Was würdest du deinem 20-jährigen Ich heute sagen?
Entwickle eine Leidenschaft für dein Tun und wage es auch einmal gegen den Strom zu schwimmen. Selbstverständlich geht es nicht nur darum sich selbst zu verwirklichen, sondern sich zusammen mit anderen Menschen weiterzuentwickeln, aber trotzdem bei sich selbst zu bleiben. Viele Menschen «verbrennen» an einem Fremdbild von sich selbst, da ihre persönlichen Fähigkeiten und die Realität nicht übereinander passen. Dann musst du dir die unangenehmen Fragen stellen wie: Schaffe ich das überhaupt? Habe ich die Kapazität, die Kraft und das Können dafür? Und manchmal musst du es akzeptieren, dass es einfach nicht geht – und das ist okay unter einer Vorbedingung, dass man das Beste von sich gegeben hat.
Gibt es weitere grosse Projekte?
Nein. Früher war es eine Pionierleistung den Mount Everest zu besteigen. Heute brauchst du nur genügend finanzielle Mittel und du kommst überall hin. Durch diese ganze Kommerzialisierung hat es den Reiz für mich verloren. Ich denke, ich habe nun einfach mal Lust «Mensch zu sein» – halt das, was alle in ihrem Leben so tun. X
Vorträge zum Thema
Absolventenmesse Schweiz 4. November 2021, StageOne, Zürich-Oerlikon
Women's Contact-Day 22. November 2021, X-TRA, Zürich
«Mount Everest, Südpol, Nordpol: Über Risiken und Nebenwirkung»
Evelyne Binsack, eidg. dipl. Bergführerin UIAGM, Helikopterpilotin, Bestseller-Buchautorin von «Grenzgängerin – Ein Leben für drei Pole»