DAS M AG A Z I N F Ü R N AC H H A LT I G E L E B E N S KU LT U R
APR/MAI 2014
2/2014, P.b.b., Erscheinungsort St. Pölten, Verlagspostamt 3100, Zulassungsnummer: 05Z036431M, Ö: € 4,20, D: € 5,20
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glutenfrei – eine klebrige frage Glutenfrei heißt der neue Trend. Während manche Menschen auf Lebensmittel mit dem Klebereiweiß aus gesundheitlichen Gründen verzichten müssen, meiden sie viele jetzt freiwillig. Doch nutzt dieser Verzicht wirklich unserer Gesundheit oder eher den Herstellern glutenfreier Produkte? BARBARA WUNDER
Gluten oder Klebereiweiß bezeichnet ein Gemisch aus Proteinen in den Samen von Getreiden. Es ist verantwortlich dafür, dass wir duftendes, knuspriges, flaumiges Brot backen können. Durch seine Dehnbarkeit sorgt es dafür, dass die Gärgase im Teig gehalten werden und das Brot oder Gebäck aufgehen kann. Gluten ist aber auch in vielen Fertigprodukten enthalten, ebenso in Bier, Wurst, Schokolade oder Babynahrung. Das macht es schwierig, Gluten zu meiden. Vielen scheint der Verzicht auf Gluten gutzutun, andere glauben, dadurch abnehmen zu kön-
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nen und eifern Hollywoodstars wie Gwyneth Paltrow, die den Trend vorlebt, nach.
Vielen scheint der Verzicht auf Gluten gutzutun. Gluten oder nicht Gluten
Grundsätzlich enthalten die klassischen Getreidesorten alle Gluten. Roggen, Weizen, Gerste, Grünkern, Emmer,
Einkorn, Dinkel, Hafer und Kamut enthalten unterschiedliche Arten und Mengen an Klebereiweiß. Das ist auch der Grund für ihre unterschiedlichen Backeigenschaften. Das traditionelle japanische Lebensmittel Seitan besteht zum Großteil aus Gluten, das nach dem Auswaschen der Stärke übrig bleibt. Da Seitan ähnlich wie Fleisch zubereitet werden kann, ist es ein beliebtes Ersatzprodukt in der vegetarischen und veganen Ernährung. Gluten findet in der Lebensmitteltechnologie aber auch als Emulgator, zum Gelieren und als Träger von Aromen Verwen-
machen kann. Die Pflanze hat es als Insektenabwehrstoff entwickelt, die Agrarindustrie durch Züchtung den Anteil aber immer mehr erhöht. Getreide versus Pseudogetreide
Gesundheitliche Probleme durch Gluten?
Etwa ein Prozent der Bevölkerung ist von der Krankheit Zöliakie, einer chronischen entzündlichen Darmkrankheit, betroffen. Sie müssen ein Leben lang glutenhaltige Lebensmittel streng meiden. Darüber hinaus wird derzeit diskutiert, ob auch Nicht-Zöliakie-Kranke empfindlich auf Gluten reagieren können und an einer Glutensensitivität leiden. Symptome reichen dabei von Magen-Darm-Problemen bis hin zu Kopfschmerzen. Ein Grund, warum sich viele an dem neuen Trend versuchen. Ob es sich bei den beschriebenen Erfolgen durch glutenfreie Diät nur um einen Placeboeffekt handelt, untersuchte ein australisches Forscherteam. 34 Betroffene aßen ohne zu wissen, in welcher Gruppe sie waren, täglich entweder glutenhaltige oder glutenfreie Produkte. Die Wissenschaftler kamen zu dem Ergebnis, dass es der glutenfreien Gruppe besser ging.
Fotos: fotolia.com/absolutimages; fotolia.com/Vidady (v.l.n.r.)
Weizen und die menschliche Ernährung
Weizen und seine Verwandten gehören zur Familie der Süßgräser und sind schon seit etwa 10.000 Jahren wichtiger Bestandteil der menschlichen Ernährung. Die Sesshaftwerdung des Menschen ist mit dem beginnenden Anbau von Getreide eng verbunden. Am Anfang stand dabei die Verwertung der Urgetreide Einkorn und Emmer im vorderen Orient. Schon damals begann der Mensch mit einer mehr oder weniger bewussten Auslese. Pflanzen mit Ähren, deren Körner nicht gleich beim Schneiden vom Stängel fielen, wurden gegenüber anderen Pflanzen bevorzugt. Heute wird meist Weichweizen angebaut, der genetisch schon weit von den ursprünglichen Wildgräsern entfernt ist. Eine Forschergruppe aus Mainz fand heraus, dass ein Protein im modernen Hochleistungsweizen uns krank
Brot, Gebäck, Nudeln und Süßspeisen werden üblicherweise mit glutenhaltigen Getreiden hergestellt. Wer auf Gluten verzichten will oder muss, sucht nach Alternativen. Für die glutenfreie Küche braucht es auch ein wenig Kreativität. Dabei spielen sogenannte Pseudogetreide eine wichtige Rolle. Reis, Mais, Hirse, Quinoa, Buchweizen, Amaranth oder Teff können ebenfalls zu Mehl verarbeitet werden. Allerdings verfügen sie über andere Backeigenschaften, da das Klebereiweiß fehlt. Es gibt aber unzählige glutenfreie Rezepte im Internet zu finden. Ersatzprodukte
Viele Etiketten zeichnen unsere Lebensmittel aus: Bio, Genfrei, Fairtrade und mehr. Auch als glutenfrei ausgewiesene Lebensmittel nehmen in den Regalen der Geschäfte zu. Sie sind an einer durchgestrichenen Ähre erkennbar. Die Tatsache, dass ein Produkt eine besondere Kennzeichnung trägt, suggeriert oft eine höhere Wertigkeit. Es unterstellt, dass etwas Schädliches weggelassen wurde und das Produkt somit gesünder sein muss. Im Handel sind Brötchen, Nudeln, Pizza und viele andere Fertigprodukte erhältlich. Sie sind eine willkommene Abwechslung im Speiseplan von Zöliakiepatienten. Nicht zuletzt sind sie aber auch ein Milliardengeschäft für die Hersteller. Dabei ist ein Großteil unserer Lebensmittel ohnehin glutenfrei. Wenn unverarbeitet, sind folgende Lebensmittel glutenfrei: Obst und Gemüse, Eier, Nüsse, Hülsenfrüchte, Gewürze und Kräuter, Käse, Milch, Joghurt, Öle, Fisch, Fleisch, Meeresfrüchte, Salate und Butter, Kaffee, Reis und Pseudogetreide. Statt Bier kann Wein oder Sekt genossen werden. Zukunft eines Trends
Wäre es nicht schön, wenn es einen bestimmten Übeltäter in unserer Ernäh-
rung gäbe? Wenn wir ihn weglassen, werden wir gesund, schlank und fit. Dabei ist noch nicht mal restlos geklärt, ob die Magen-Darm-Beschwerden wirklich durch Gluten ausgelöst werden. Moderner Weizen mag wirklich nicht mehr viel mit seinem ursprünglichen Verwandten zu tun haben, doch stattdessen zu hochgradig verarbeiteten glutenfreien Ersatzprodukten aus beispielsweise Mais zu greifen, wird wohl keinen gesundheitlichen Gewinn bringen. Eine abwechslungsreiche Ernährung mit hohem Anteil an unverarbeiteten, ursprünglichen Lebensmitteln ist vermutlich der bessere Weg. So natürlich wie möglich, so verarbeitet wie nötig. E
Amaranth – ein Pseudogetreide – enthält ebenso wie Reis, Mais, Hirse, Quinoa und Buchweizen kein Gluten.
GLUTENFREIE LEBENSMITTEL IN UNVERARBEITETER FORM Obst und Gemüse, Eier, Nüsse, Hülsenfrüchte, Gewürze und Kräuter, Käse, Milch, Joghurt, Öle, Fisch, Fleisch, Meeresfrüchte, Salate und Butter, Kaffee, Reis und Pseudogetreide.
Infos: Internetplattform für glutenfreie Betriebe: www.glutenfrei-unterwegs.at Onlinemarkt für Lebensmittelintoleranz: www.vitolerance.at
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dung. Wer also auf Gluten verzichten muss, ist oft auf speziell gekennzeichnete Lebensmittel angewiesen. Diese dürfen nicht mehr als 20 mg Gluten pro Kilogramm enthalten.