"Zukunft als Katastrophe" - Wir letzten Menschen - Am Ende liegt alles in Trümmern:

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"Zukunft als Katastrophe": Wir letzten Menschen zeit.de/kultur/literatur/2014-07/eva-horn-zukunft-als-katastrophe/komplettansicht David Hugendick

Sämtliche Geschichten über die Apokalypse sind dazu verdammt, im Zustand der Behauptung zu verharren. Wie sollte es anders sein? Wenn die Erde als Ruine daliegt, wenn der Himmel sich aschenbechergrau gefärbt hat und die Sonne erloschen ist: Niemand könnte noch davon berichten. Die Katastrophe ist die große Menschheitserzählung, die uns mit Unbehagen erfüllt oder gelegentlich mit einer Lust, einer morbiden Faszination an einer Zukunft, über die wir naturgemäß nichts wissen können. Der Philosoph Jacques Derrida hat dazu einmal die Bemerkung gemacht, die Apokalypse könne nur "textuell" stattfinden, da sie lediglich in dem Augenblick existiere, in dem von ihr erzählt wird. Deshalb gehören solche Zukunftsvisionen in die Abteilung Fiktion: Film, Malerei, Literatur. Die deutsche Literaturwissenschaftlerin Eva Horn hat nun ihren Blick auf die Weltvernichtungsfiktionen gerichtet. Ihre Studie Zukunft als Katastrophe ist eine weit ausholende und gelehrte, zugleich methodisch tiefschürfende Untersuchung der heutigen Apokalypsendarstellungen. In denen der Untergang ausfantasiert wird, sondern die auch unser Bewusstsein entscheidend mitprägen in der Frage, wie das Ende der Welt, die wir kennen, aussehen wird. Und wenn wir sonst schon nichts Verlässliches darüber wissen, müssen wir uns an die künstlerischen Spekulationen halten. So verfuhr Horn, die an der Universität Wien unterrichtet, bereits in ihrem Essay Der geheime Krieg (2007) – ein aufregender Versuch über Spionage und Verrat, der sich einzig auf literarische Quellen stützte und ihrem Erkenntniswert traute: Da alles geheim ist,


bleibt auf die Narrationen über das Geheime mehr Verlass als auf alles andere. Sie sind "Werkzeuge des Vorstellungsvermögens". Die Apokalypse, schreibt Horn nun, ist nicht mehr theologisch gerahmt. Sie hat sich von einer religiösen Eschatologie zu einem anthropologischen Schreckensbild gewandelt: Für das Ende seiner Art ist der Mensch selbst verantwortlich. Er ist gottverlassen. Im Verlauf der Jahrhunderte haben die Imaginationen der Endzeit unterschiedliche Formen angenommen. Horns Darstellungen reichen von Roland Emmerichs Brachialblockbustern über Cormac McCarthys postapokalyptischen Roman The Road bis in die Verdunkelungsbilder der Romantik: John Martins Gemälde des "letzten Menschen", der auf die Trümmer der Zivilisation herabschaut. Jean Pauls Rede des toten Christus, der die Vision des jüngsten Gerichts all seiner Transzendenz beraubt und zu einer Nacht ohne Auferstehung verdichtet. Der Mensch ist allein "in der weiten Leichengruft des Alls", im "starren stummen Nichts". Der nukleare Winter Jean Pauls "Anthropologie des Endes" verweise bereits 1789 auf die Abwesenheit jeglicher Metaphysik. Es existiert keine Aussicht auf einen Neubeginn mehr, der auf die Zerstörung folgt. Die moderne Apokalypse ist endgültig. Endzeit meint auch das Ende aller Kontinuität: das Ende der Zeit im Wortsinne. Horn durchstreift in sechs Kapiteln düstere Gedankenlandschaften und Epochen. In ihnen entfaltet sich eine ganze Poetologie des Untergangs, die immer sowohl einen Blick in die Zukunft als auch von dort aus in unsere Gegenwart enthält. In der Welt von ihrem Finale her betrachtet, "zeigt sich die Wahrheit eines historischen Prozesses, der die Geschichte der Menschen wie die der Natur gleichermaßen umfasst".


Der Schrecken in Literatur und Film, so fiktiv und spekulativ er uns auch erscheinen mag, ist eingebettet in tatsächliche oder vermeintliche Bedrohungen seiner Zeit. Lord Byrons Versprosagedicht Darkness, in dem sich der Himmel verdunkelt und der Mensch des anderen Jäger wird, war eine Reaktion auf klimatische Schwankungen im Jahr 1816. Von Byrons Verdüsterung führt Horns Essay ins Sicherheitskalkül des Kalten Krieges. Diese Ära war sowohl von der permanenten Bedrohung durch die Atombombe geprägt als auch von dem "obszönen Begehren" nach dem Ende. Gleichzeitig extrapolierte die Kunst jede technische Option der Selbstauslöschung zur Dystopie. An deren Ende steht zumeist der nukleare Winter. Aus der Fülle an literatur- und filmhistorischen Szenarien präpariert Horn die zentralen Motive unserer Apokalypsenahnungen heraus. Eine ganze Motivgeschichte liegt vor uns. Die unmittelbare Verbindung von Meteorologie und Anthropologie. Die Natur, die ihren Raum wiedererobert. Die Entvölkerung und die Überbevölkerung, deren Endpunkt die Hungersnot ist und die zwangläufige Denaturierung des Menschen: Er wird zu seiner eigenen Ressource. Das ist die schaurige Konsequenz, von der etwa sowohl McCarthys entleerte Welt in The Road erzählt als auch Richard Fleischers Science-Fiction-Film Soylent Green (1973), in dem in einem überbevölkerten New York ein Nahrungsmittel aus Menschen hergestellt wird. Horn stellt nicht nur nüchtern fest, dass der Mensch "von der eigenen Auslöschung" träume und davon, "irgendwann spurlos verschwunden zu sein". Ebenso verweist sie auf die Möglichkeit der politischen Instrumentalisierung, auf die Suggestionskraft solcher Erzählungen. Die Aussicht auf ein Ende der Welt bringt auch eine neue Dynamik von Entscheidungen. Es darf keine Kompromisse mehr geben, kein Abwägen mehr. Es muss gehandelt werden. Wenn das denn geht.


Hier liegt das Dilemma aller katastrophischen Prognosen: Der Mensch weiß zwar von der Fähigkeit, sich selbst zu vernichten, jedoch leide er unter "blinder Reflexivität", schreibt Horn. Er wisse nicht, was im Falle einer kommenden Katastrophe zu tun sei, weil er sie für eine Hypothese hält. Zukunft ist immer Konstruktion. Horn beschreibt das Wesen der Katastrophe als "Metakrise" unserer Gegenwart. Die Katastrophe ist eine kollektive Bedrohung, ein "Phänomen der Latenz". Zu ihrer Beschreibung kann die Kunst nur Vorschläge machen, das "Undenkbare" denken. Sie kann auf eine mögliche Zukunft hinweisen, sie antizipieren und vorwegnehmen und aktuelle Zukunftsdiskurse zuweilen auch beeinflussen. Die exaltierten Vorahnungen in Literatur und Film können in Horns Argumentation bestenfalls die Wahrnehmungslücke schließen, zu denen wissenschaftliche Futurologie nicht ausreicht. Allerdings muss deshalb nicht zwangsläufig ein neues sensibleres Krisenbewusstsein entstehen. Der Mensch als nacktes Wesen Im Kalten Krieg verstärkte sich der Eindruck des nahenden Untergang mitunter dadurch, dass die Fiktionen und Modelle der Literatur zurückwirkten auf die Entscheidungen der Regierungen. Der Thrillerautor Michael Crichton, schreibt Horn, versuchte Diagnosen zum Klimawandel lächerlich zu machen, in dem er die vermeintliche Unzuverlässigkeit der Messungen vorführte. Ein Untergangsspektakel wie Independence Day (Emmerich) sei weniger Beispiel einer Effektversessenheit der amerikanischen Kinoindustrie als das postmoderne Update des Freund-Feind-Antagonismus, im Sinne von Carl Schmitt: Gemeinschaft kann nur noch als Gegensatz zu einem Anderen gedacht werden. Aus gemeinhin als Trash verkannten Filmen wie Deep Impact, in dem ein Meteor auf die Erde stürzen wird, arbeitet Horn biopolitische Implikationen heraus: Wer wird gerettet? Und warum?


Dass der Mensch, der die Menschheit überlebt, nicht glücklich ist, weiß jeder, der Becketts Endspiel gelesen hat: Es bleibt nicht mehr als ein von sämtlichen sozialen Bezügen entkleidetes nacktes Wesen übrig. Was Horns Buch so überaus lesenswert macht, ist, abseits der genauen Beobachtungen, die Virtuosität, mit der sie ihre Quellen verdichtet und zwischen ihnen überraschende Verbindungen knüpft. Dass die Kapitel keine feuilletonistischen Etüden sind, sondern ganze Motivketten in unseren endzeitlichen Vorstellungswelten freilegen, ist ihr großes Verdienst. Horn liefert uns Schlüsselbegriffe, verfolgt Argumentationslinien durch die Epochen, verknüpft sie mit den Krisenerfahrungen von Tschernobyl und Fukushima, zeigt auf die Stellen, an denen sich Diskurse überlagern und widersprechen. Man kann sich geradezu verlieren in der Vielfalt der Beispiele, die Zukunft als Katastrophe dem Leser vorführt. Sie alle eint ihr alarmistisches Potenzial, ihr pessimistischer Ausblick auf das Humane im Angesicht des Endes. Seien sie aus aufklärerischen Motiven entstanden oder schierer Ausdruck von Todessehnsucht. Natürlich steckt in jeder apokalyptischen Naherwartung der narzisstische Glaube, die eigene Epoche könnte die letzte sein. Doch ist der letzte Blick zurück auf den "Schrottwert der Zivilisation" auch der Blick des künftigen Melancholikers: Das wird es einmal alles gegeben haben. In der fernen, grammatischen Form des Futur II liegt noch immer der größte Trost.

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