31.10.2020
Aschaffenburger Gastronomen empört über Schließungen
Aschaffenburger Gastronomen empört über Schließungen main-echo.de/regional/stadt-kreis-aschaffenburg/der-voellig-falsche-weg-art-7156497 29. Oktober 2020
"Der völlig falsche Weg" Stadt und Kreis Aschaffenburg 29.10.2020 - 15:50 Uhr
Ende April, mitten im Lockdown, schlugen Gastwirte aus Stadt und Landkreis auf dem Aschaffenburger Schlossplatz mit der Aktion »Leere Stühle« stillen Alarm - mit der Aktion »Leere Stühle« Alarm. Ab kommenden Montag bleiben die Stühle in der Gastronomie abermals leer - vier Wochen lang. Foto: Björn Friedrich Foto: Björn Friedrich
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Aschaffenburger Gastronomen empört über Schließungen
Das Entsetzen ist riesengroß. Mit Unverständnis reagieren Gastronomen auf den über ihre Branche verhängten Lockdown. Peter Gemeinhardt, Inhaber der Hotels "Wilder Mann", "Goldener Karpfen" und "Am Stiftsberg" in Aschaffenburg sowie Gerber und Klingerhof in Hösbach: "Ich habe eine Riesenwut im Bauch". »Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht, aber das wird nun mit Füßen getreten«, ärgert sich Gemeinhardt. Seine Mitarbeiter müsse er nun in Kurzarbeit schicken. Falls die versprochenen finanziellen Hilfen ankämen, sagt er, werde er versuchen, damit die Verluste durch das Kurzarbeitergeld auszugleichen. Die eigenen Verluste bis Ende November hoffe er durch Außer-Haus-Geschäfte ein wenig abzumildern. Damit ist er nicht der Einzige. Romana Heeg, Inhaberin des Restaurants Union am Aschaffenburger Freihofsplatz: »Wir bieten Take Away den ganzen Tag an.« Sie sei geschockt, sagt Heeg. Offenbar solle mit dem neuerlichen Lockdown eine »ganze Gewerbegruppe aussortiert werden«. Die Unternehmerin ruft dazu auf, die Online-Petition »Nein zum Lockdown in der Gastronomie« zu unterschreiben. Und: Die Branche solle versuchen, die Unverhältnismäßigkeit der Maßnahme juristisch zu beweisen. Von einem »Konzept, das kein Konzept ist«, spricht Enrico Link, Chef der Gastronomie im Aschaffenburger Park Schönbusch und dem Restaurant Alte Post in Alzenau. »Wir machen jetzt vier Wochen zu, dann wieder auf, um am 1. Januar wieder zu machen zu müssen«, ärgert sich Link. Es werde von der Politik »mit Zahlen rumgeschmissen«, aber LangzeitKonzepte fehlten. Die allermeisten Gastronomen hätten Hygienekonzepte sehr gut umgesetzt. Er selbst habe Tausende Euro in Desinfektionsmittel investiert. Allein drei Mitarbeiter habe er nur für das Registrieren der Gäste abgestellt. Und nun werde so getan, als »wäre die Gastronomie die Ursache des Übels.« Tatsächlich infizierten sich die meisten jedoch im privaten Raum. Genau dort, wo durch den Gastro-Lockdown nun wieder vermehrt Leute zusammenkämen. Genau diese Rechnung macht auch Michael Schwägerl, der Geschäftsführer des unterfränkischen Hotel- und Gaststättenverbands auf: »Die Kontakte laufen nun wieder in Kanäle, die nicht überwacht werden können«, sagt Schwägerl. Das sei »der völlig falsche Weg«. Zumal das Robert-Koch-Institut (RKI) genau aufgezeigt habe, dass die Zahl der Infektionen in Gastronomiebetrieben »verschwindend gering« sei. Genau auf diese Zahlen schaue die Politik aber nicht, findet Andreas Cetin, Inhaber der Schöntal-Weinstuben in Aschaffenburg. Auf die vom RKI täglich gemeldeten Infektionszahlen aber schon. »Mir fehlt das Verständnis«, sagt Cetin. Wie schon während des ersten Lockdowns setze er nun wieder auf Essen zum Mitnehmen – freitagsabends, samstagabends und sonntagsmittags. Das habe im Frühjahr gut funktioniert.
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Vertrauen in die Solidarität seiner Stammkunden hat auch Ludger Helbig, Inhaber der Auberge de Temple in Johannesberg. So kocht er an Freitagen und Samstagen für Gäste ein Abendessen zum Mitnehmen, sowie an Sonntagen ein Mittag- und ein Abendessen. Zudem gibt es auf Vorbestellung weitgehend vorgekochte Dreigangmenüs in Mitnahmeboxen. Über Wasser halten will Helbig seine Auberge zudem mit dem in der Corona-Krise eingerichteten Online-Shop. Und: Bis zur Wiedereröffnung will er drei »exklusive Glashäuser« in seinen Garten stellen. Mit Fußbodenheizung und gemacht für jeweils 4 bis 8 Gäste. Damit schaffe er die Möglichkeit, in sozusagen geschlossener Gesellschaft tafeln zu können. Die verordnete Schließung empfindet Helbig als »Witz«. »Es wird Betriebe geben, die das nicht überleben«, ist er überzeugt. »Es könnte eine Pleite nach der anderen kommen«, unkt Edda Hein-Barnetzki, Inhaberin des Hotels Käferberg in Alzenau-Hörstein sowie dem benachbarten Hofgut Hörstein. Der Lockdown sei völlig »unverhältnismäßig«. Alle Kollegen müssten nun »an einem Strang ziehen«. So hoffe sie, sagt Hein-Barnetzki, dass sich der Berufsverband nun auf die Hinterfüße stellt und sich mit juristischen Mitteln darum bemüht, »dass wir schneller wieder öffnen können«. Solange heißt es auch im Hofgut: Vorbereitetes Essen zum Mitnehmen. Damit ist bei Florian Löffler im Aschaffenburger Hotel Zum goldenen Ochsen zunächst Schluss. Anders als noch im Frühjahr schließt er sein Hotel-Restaurant zunächst einmal und meldet Kurzarbeit an. 100 Prozent. Das Hotel bleibe vorerst für Geschäftsreisende geöffnet. Nach Ende des Lockdowns soll nach dem Willen Löfflers und seiner Frau Nadine Gala der Gänse-Wintergarten im Hof der Herberge in Betrieb gehen. Mit zwei Meter hohen Tannenbäumen, Heizpilzen, Heiztonnen und weihnachtlicher Beleuchtung. Jürgen Overhoff
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Hintergrund: Lockdown in der Kulturbranche Kopfschütteln auch bei Kulturtreibenden in Aschaffenburg über den Lockdown in ihrer Branche. Das Ganze sei »total absurd« und »pure Willkür«, meint Christopher Bausch, Inhaber des Aschaffenburger Casino-Kinos. 12 Millionen Besucher seien seit der Wiedereröffnung in deutschen Kinos gezählt worden, aber keine einzige Ansteckung. In der Summe, so Bausch, sei die Lobby der Kulturbranche nicht machtvoll genug. Da sei die Politik eben einfach den Weg des geringsten Widerstands gegangen. Dabei spricht Bausch vom »Klingelbeutel-Prinzip«. Zur Verkündung des für die Branche katastrophalen Lockdowns habe sie gleich finanzielle Hilfen mit versprochen. Das sei mit der Klingelbeutel-Spende vergleichbar, mit der man sich die moralische Absolution verschaffe. 2500 Besucher seit Wiedereröffnung, aber keine Ansteckungen: »Wir wären in der Lage gewesen, auf jetzigem Niveau weiterzuarbeiten«, findet Axel Teuscher, der Geschäftsführer des Aschaffenburger Hofgarten-Kabaretts. Der Lockdown sei deshalb undifferenziert. Auch etwa im Colos-Saal oder im Stadttheater habe es nachweislich keine Übertragung gegeben. Auf seine Mitarbeiter warte nun Kurzarbeit, auf das Kabarett »große Einbußen«. (joff)
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Kommentar: Weit weg von den Menschen Ein kolossaler Denkfehler. Die Entscheidung der Politik, als Teil des Lockdowns die Gaststätten zu schließen, treibt die Menschen genau dorthin, wo sie sich nach den Erkenntnissen des Robert-Koch-Instituts gegenwärtig am meisten mit Covid-19 infizieren: in den privaten Raum. Ab Montag können sie sich nicht mehr in Restaurants und Kneipen treffen, wo Hygiene- und Abstandsregeln eingehalten werden müssen. Stattdessen werden nun Wohnzimmer zu Gaststuben. Und dort gibt es keine Hygienekonzepte. Niemanden, der kontrolliert, aus wie vielen Haushalten die Menschen zusammenkommen und ob Mindestabstände eingehalten werden. Im Gegenteil: Je später der Abend, desto inniger die Gäste. Oder glaubt die Politik ernsthaft daran, mit der Schließung der Gaststätten private Treffen unterbinden zu können - respektive diese in gewünschte Zwei-Haushalte-Bahnen lenken zu können? So naiv können Politiker nicht sein. Eher ist es Machtbesoffenheit, die sie blind macht für die Lebenswirklichkeit der Menschen. Ganz weit weg sind sie vom ganz normalen Alltag derer, denen sie eigentlich nah sein müssten. Kein Zweifel regt sich in ihnen, dass dieser Schuss nach hinten losgehen könnte. So wie es sogar führende Virologen ihnen prophezeit haben. Stattdessen der sich aus Selbstüberschätzung speisende Glaube an die Macht und die Wirksamkeit der Verbote. Mit Verboten ist es aber so eine Sache. Spätestens dann, wenn sie nicht mehr verstanden werden, steckt in ihnen der explosive Zündstoff des Aufbegehrens. Das wird die Politik nun zu spüren bekommen. Nicht nur in Gestalt widerrechtlicher Privattreffen. Auch in Form von Klagen, die Gastronomen nun vielfach anstrengen werden. Fühlen die Wirte sich doch mit ihren vielfach ausgeklügelten und teuren Hygienekonzepten zurecht als Verbündete der Pandemiebekämpfung und nicht - so wie sie jetzt hingestellt werden - als deren Gegner. Gut und notwendig, dass sie nun auf die Barrikaden gehen.
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