Auch die Türkei kennt die Michelstädter EnsingerTraktoren echo-online.de/lokales/odenwaldkreis/michelstadt/auch-die-turkei-kennt-die-michelstadter-ensingertraktoren_20007823
Die in den Vierzigern und Fünfzigern in Handarbeit produzierten Odenwälder Schlepper haben bis heute ihre Fans. Das Stadtarchiv bewahrt nun die Unterlagen auf.
Akten zur Firmengeschichte des früheren Michelstädter Traktoren-Herstellers Ensinger werden nun im Stadtarchiv aufbewahrt. Das freut (von links) Heinrich Lauser, Chris Ensinger, Susan Breitenbach und Hans Winter. Foto: Guido Schiek MICHELSTADT - Es ist ein spannendes, wenn auch kurzes Kapitel Industriegeschichte. Und es handelt davon, wie ein kleines Odenwälder Unternehmen eine Nische nutzte, die ihm die Zeitgeschichte gewährte: Die Rede ist von der Firma Ensinger Fahrzeugbau Michelstädter, die zwischen 1946 und 1954 gut 350 Traktoren und 20 Raupenschlepper produzierte. Sogar nach Griechenland und in die Türkei wurden die Fahrzeuge exportiert, ein Traktor steht heute in einem Museum in Gelibolu (Gallipoli).
Besonderheit: In der Fertigungshalle an der Frankfurter Straße in Michelstadt montierten bis zu 30 Mitarbeiter die Schlepper in Handarbeit – zu einer Zeit, als Fließbänder in der Fertigung längst die Regel waren. „Anachronistisch“ nennt Historiker Hans Winter (Nieder-Kinzig) das und spricht von einer „barocken Produktionsweise“. Dennoch behauptete sich die Firma Ensinger damit einige Jahre lang erfolgreich, was aus Sicht des Fachmanns von zwei Aspekten begünstigt wurde. Zum einen mussten führende amerikanische Traktoren-Hersteller wegen des Koreakriegs (1950 bis 1953) wieder auf die Produktion von MilitärFahrzeugen umschwenken, zum anderen verschaffte der Marshallplan nach Ende des Zweiten Weltkriegs Ländern wie Griechenland die nötigen Mittel, um die Schlepper zu importieren. Firmengeschichte in fünf Aktenschubern All das kam nun im Michelstädter Stadtarchiv zur Sprache, wo Winter noch „die letzten Aufräumarbeiten“ seiner 2018 freiwillig beendeten Dienstzeit vornimmt. Eines dieser Projekte füllt nun fünf akkurat beschriftete Aktenschuber – vollgepackt mit Material zur Firmengeschichte, das die Familie Ensinger jahrzehntelang auf dem Dachboden lagerte und nun dem Archiv überlassen hat.
Bis ins Museum im türkischen Gelibolu hat es ein EnsingerSchlepper AS 40 geschafft. Repro: G. Schiek Mit Chris Ensinger (45) war der Enkel des Schlepper-Herstellers Fritz gekommen, um die Papiere offiziell an Susan Breitenbach als zuständige Mitarbeiterin der Stadt auszuhändigen. Und dabei war neben Winter auch ein Mann, der sich um den Erhalt der Marke nicht nur im regionalen Bewusstsein besonders verdient gemacht hat: Heinrich Lauser. Der 80 Jahre alte Würzberger gibt alljährlich für die Ensinger-Freunde Odenwald einen Kalender heraus, der die Traktoren und deren Produktion dokumentiert. Gemeinsam mit Nutzfahrzeug-Fachmann Wolfgang H. Gebhardt (Bad Homburg) plant Lauser zudem ein Buch über die Firma Ensinger; einen mehrseitigen Artikel haben sie schon vor einiger Zeit für die auf historische Landtechnik spezialisierte Zeitschrift „Der Schlepperfreund“ verfasst.
KONTAKT
Wer einen der Schlepper in Augenschein nehmen möchte, hat dazu beim 20. Bad Königer Klassiker-Festival vom 12. bis 14. Juli Gelegenheit: Organisator Alexander Hahn, selbst Eigentümer eines AS 25, rechnet neben vielen automobilen Oldtimern mit 300 bis 400 Traktoren – darunter ein halbes Dutzend aus dem Hause Ensinger. (jös)
Kein Wunder, dass im Gespräch mit dem Würzberger keine Frage offenbleibt: Vom kleinsten Modell AS 15, „mit einem Zylinder und 15 PS“, bis zum AS 40 (drei Zylinder, 40 PS) kennt er die Fahrzeuge aus dem Effeff. Weiß genau, dass sie damals in Michelstadt bis auf Chassis und Blechteile vor allem aus zugekauften Komponenten, unter anderem Antriebseinheiten der Mannheimer Motorenwerke, zusammengebaut wurden. Und er kann sich sogar noch an seinen ersten Kontakt mit einem EnsingerSchlepper erinnern: 1951 war er mit seinem Vater und einem AS 20 zum Holzholen im Wald. Beeindruckt, erzählt er augenzwinkernd, hat ihn das als Jugendlichen allerdings noch nicht: „Ich hätte seit damals wissen können, dass es eine einheimische Traktoren-Marke gibt. Wenn es mich denn seinerzeit interessiert hätte.“ Erst später stieß der als Lkw-Fahrer tätige Lauser erneut auf Informationen über Ensinger, und nun war die Neugier geweckt: Immer wieder mal sprach er bei der Familie vor und durfte Unterlagen auswerten: „Im April 1954 endet das Auftragsbuch“, berichtet Lauser. Das Aus habe für die Marke bedeutet, ergänzt Winter, dass sich Traktoren immer mehr von der reinen Zugmaschine zum „Geräteträger“ mit diversen hydraulischen Funktionen entwickelten. Das konnten die Ensinger-Schlepper nicht mehr bieten, doch ihre Liebhaber, weiß Lauser, haben sie dennoch bis heute. Kommentare