Das Gastgewerbe ist in der Corona-Krise besonders gebeutelt | www.OReg.TV PresseEcho

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29.4.2020

Dehoga-Chefs: „Wir sind die Branche des Herzens“

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Mit leeren Stühlen demonstrieren Frankfurter Gastronomen auf dem Römerberg und machen auf die kritische Lage von Gaststätten und Hotels in der Corona-Krise aufmerksam. (Foto: dpa)

WIESBADEN/MAINZ - Es sind schwere Zeiten für die Hotels und Gaststätten. Wegen der Beschränkungen in der Corona-Krise sind sie besonders lang geschlossen. Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) fordert einen Rettungsfonds – sonst drohe vielen Betrieben das Aus, sagen die Landeschefs von Hessen und RheinlandPfalz. Herr Kink, Herr Haumann, viele Geschäfte dürfen wieder öffnen, auch in den Schulen geht’s wieder los. Für Hotels und Gaststätten gibt es es noch keine richtige Perspektive, anders als zum Beispiel in Österreich. Was erwarten Sie hierzulande? Haumann: Wir brauchen ein konkretes, verlässliches Datum für die Wiedereröffnung, damit unsere Betriebe eine Perspektive haben. Wir waren die Ersten, die geschlossen wurden. Und es sieht so aus, dass wir die Letzten sein werden, die wieder komplett geöffnet sind. Insofern ist es schon ein Sonderopfer, das unsere Branche erbringen muss. Wir tragen das mit, zum Schutze der Gesundheit der Bevölkerung. Aber es ist unseren Betrieben nicht vermittelbar, dass der Einzelhandel öffnen durfte und das Gastgewerbe nicht. Kink: Wir brauchen einen verlässlichen Fahrplan. Wir haben die sehr große Hoffnung, dass wir diesen Anfang Mai bekommen. Was uns nicht passieren darf, ist, dass eine Öffnung später wieder zurückgenommen wird. Dann hätten wir nichts gewonnen.

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Wie geht es den Betrieben? Kink: Ich kenne keinen Betrieb, der nicht in Kurzarbeit ist. Das Sofortprogramm hat vielen geholfen, die können sich vorerst noch über Wasser halten. Aber wenn bis Ende Juni nichts passiert, schätze ich, dass 25 Prozent schließen müssen. Und danach ist es ja nicht vorbei, die richtige Bergstrecke kommt dann erst noch. Wir brauchen unbedingt einen Rettungsfonds für die Gastronomie und Hotellerie. Haumann: In Rheinland-Pfalz sind 80 Prozent der Betriebe in Kurzarbeit, und zwar zu 100 Prozent. Und in den allermeisten Fällen ist das Kurzarbeitergeld von der Bundesagentur für Arbeit noch nicht erstattet worden. Deshalb brauchen wir dringend frisches Geld. Wir brauchen ganz schnell ein Gastro-Rettungspaket. Ohne weitere Zuschüsse rollt eine Welle an Insolvenzen auf uns zu. Das wäre verheerend, auch für unsere gesamte Gastrokultur. Wie wollen Sie denn die Restaurants unter den derzeit strengen Vorgaben öffnen? Essengehen mit Maske dürfte schwierig werden. Kink: Klar, die Tische müssten in entsprechendem Abstand stehen. Anfangs könnten wir mit vielleicht nur 30, 50 Prozent der Kapazitäten öffnen. Ich kann mir auch schwer vorstellen, mit Mundschutz zu servieren. Aber: So ist es nunmal, und wir sind dafür bereit. Ich glaube, dafür gibt es Lösungen. Haumann: Es ist für die Gäste und für die Gastgeber sicherlich eine ganz neue Situation. Wir sind die Branche des Herzens, wir haben ganz viel Atmosphäre. Dass wir uns aufgrund der Verordnungen in einen bundesweiten Maskenball verwandeln sollen, das ist für uns alle neu. Aber Scherz beiseite: Wenn sich wie wir hier zwei Herren treffen, oder die Mitglieder eines Haushalts auch in größerer Gruppe – warum sollen die sich nicht auch im Restaurant treffen dürfen? Gleiches Recht für alle Branchen also. Haumann: Die Politik muss verbindliche Regeln aufstellen, branchenunabhängig. Ich bin gegen einen Flickenteppich und gegen ein weiteres Bürokratiemonster. Warum? Weil wir seit Jahrzehnten sehr hohe Anforderungen haben. Wir sind sicherlich die Branche, die mit die höchste Erfahrung mit Hygienestandards hat. Wir haben diese Standards nach innen eingeübt, jetzt müssen wir sie im wahrsten Sinne des Wortes auch dem Gast schmackhaft machen. Wir reden über den sehr schmalen Grat zwischen dem Gesundheitsschutz einerseits und wirtschaftlichen Interessen auf der anderen Seite. Kink: Ich habe sehr großes Verständnis für die gesundheitlichen Maßnahmen. Aber ein großer Schritt wäre es schon, die Regeln gemeinsam zu erarbeiten. In den entscheidenden Gremien sind zu wenige Praktiker aus unserer Branche vertreten, die vielleicht sagen könnten, was heute schon machbar ist. Haumann: Wir haben diese Krise in Deutschland bislang hervorragend gemeistert, wir

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sind absolut diszipliniert. Der Stubenarrest, den wir alle verordnet bekamen, der wird vielleicht auch noch ein Stückchen länger zu ertragen sein, wenn der eine oder andere zu zweit oder in der Familie auch mal wieder in ein Lokal einkehren darf. Viele Restaurants bieten derzeit Abhol- und Lieferdienste an. Ein Ausgleich – oder nur ein Tropfen auf den heißen Stein? Haumann: Wer in der Vergangenheit den Restaurantbetrieb um einen Lieferdienst ergänzt hatte, kann diese Nische sicherlich erweitern. Aber denen, die überhaupt keine Erfahrung im Lieferdienst haben, denen haben wir gesagt: Schuster, bleib bei deinen Leisten. Wir erleben im Moment ganz sicher die Kreativität und Vielfalt einer herausragenden Branche. Aber wir brauchen dringend die Heranführung zur Normalität. Kink: Das kann ich nur unterstreichen. Auf die Dauer reicht der Lieferservice nicht zum Überleben. Jedenfalls nicht bei denen, die das bislang noch nicht gemacht haben. Bei den meisten rechnet es sich betriebswirtschaftlich einfach nicht. Aber: Es ist natürlich Balsam auf die Seele. Es tut uns nämlich überhaupt nicht gut, dass wir keinen Kontakt mehr zu unseren Gästen haben. Unser Leben ist ja, „Hallo“ zu sagen: „Wie geht‘s Ihnen? Schön, dass Sie da sind!“. Das fällt ja alles gerade weg, das ist auch eine Belastung. Was ist mit Geschäftsreisenden und Arbeitnehmern im Home-Office? Dafür dürfen Hotels schon derzeit öffnen. Kink: Es gibt ja kaum noch Geschäftsreisen, das ist ja alles eingeschränkt. Vielleicht gibt es Kollegen in Frankfurt, wo das Angebot zum Home-Office im Hotel angenommen wird. Für uns ist das kein Geschäftsmodell, nicht mal marginal. Die Mehrwertsteuer für Speisen im Gastgewerbe wurde auf sieben Prozent gesenkt, von Juli 2020 bis Ende Juni 2021. Hilft das? Haumann: Das war ein erster, wichtiger Schritt. Aber das muss auch für Getränke gelten, denn die Kneipen und die Clubs in der Stadt leiden gerade sehr. Und die Befristung muss weg. Kink: Momentan haben wir ja gar kein Geschäft. Und auch nach einer Öffnung erwarten wir erstmal niedrige Umsätze wegen der geringeren Sitzkapazitäten. Und weil natürlich auch viele Veranstaltungen wegfallen, Geburtstage, Hochzeiten. Da brauche ich keinen Rechenschieber, dass die Steuerersparnis nicht viel helfen wird. Also klotzen statt kleckern? Haumann: Unbedingt. Wenn man jetzt über Rettungspakete nachdenkt, wäre es eine Möglichkeit, das mit der reduzierten Mehrwertsteuer zu kombinieren und den Beginn in die Vergangenheit zu legen. Und mit dem 1. Januar 2019 zu starten. Das hätte den Vorteil, dass alle, die die 19 Prozent für Getränke und Speisen gezahlt haben, die Differenz zurückerstattet bekämen. Wir hätten damit einen Rettungsschirm, der keinerlei weitere Anträge erforderlich machen würde, weil die entsprechenden Meldungen bei den Finanzämtern vorhanden sind. https://www.echo-online.de/panorama/aus-aller-welt/dehoga-chefs-wir-sind-die-branche-des-herzens_21612242

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Viele Mitarbeiter, die schon zu Normalzeiten wenig verdienen, bekommen Kurzarbeitergeld. Die zahlreichen Nebenjobber gehen ganz leer aus. Was passiert mit denen? Kink: Ja, und zum Kurzarbeitergeld gibt es auch kein Trinkgeld, das fällt ja auch weg. Die 450-Euro-Jobber tun uns wahnsinnig leid, weil diese Aushilfen ganz wichtige Mitarbeiter für uns sind. Haumann: Eine Folge der Corona-Krise muss sein, dass wir die Grenze bei den Minijobs von 450 auf 600 Euro anheben und an die Erhöhung des Mindestlohnes anpassen, damit die Mitarbeiter das nachholen können. Aber man muss die Politik auch mal loben: Innerhalb weniger Tage hat sie die Konditionen für Kurzarbeit derart verbessert, dass wir sie in der Gastronomie anwenden können. Die Hoffnung ist, dass nach der Krise der Urlaub in Deutschland boomt. Teilen Sie die Hoffnung? Kink: Ganz sicher wird wieder mehr in Deutschland gereist. Aber wie schnell steigt die Kurve an? Setzt sich die Altersgruppe von 50 bis 80 tatsächlich sofort ins Auto und fährt los? Ich glaube nicht. Deshalb brauchen wir einen ganz langen Atem. Wir müssen nicht nur die nächsten Wochen, sondern auch die nächsten Monate überleben. Haumann: Eben, was nutzt es uns, dass es in einem halben oder vielleicht im nächsten Jahr besser wird, wenn wir bis dahin einen Großteil unserer Gastgeber verloren haben? Wir müssen möglichst viele Betriebe dahin führen, dass sie noch Geld haben und ihre Mitarbeiter beschäftigen können, wenn der Boom tatsächlich kommt. Wieder im Biergarten sitzen, schön essen gehen oder einen Wellnessurlaub vor der Haustür – wann können wir das endlich wieder? Kink: Ich hoffe unbedingt, dass es ab Mitte Mai losgeht, dass wir ein Signal bekommen und die ersten Schritte tun können. Aber: Richtig unbeschwert werden wir uns wohl erst wieder im Biergarten treffen können, wenn wir einen Impfstoff haben. Haumann: Ich hoffe, dass wir uns an Pfingsten treffen können. Und ich hoffe, dass es das diesjährige Pfingsten ist.

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