Die permanente Diskriminierung armer Menschen, verständlich erklärt krautreporter.de/2171-wie-deutschland-seine-armen-permanent-diskriminiert-verstandlich-erklart von Rico Grimm
Deutschlands Unternehmen geht es hervorragend, immer mehr Menschen arbeiten, die Löhne steigen. Wenn wir es jetzt nicht schaffen, darüber zu sprechen, wie arme Menschen in Deutschland ständig benachteiligt werden, schaffen wir es wahrscheinlich nie. Deswegen beantworte ich hier die wichtigsten Fragen zur Verachtung der Armen. Der US-Amerikaner Warren Buffett hat bisher 65 Milliarden Euro durch findige Börsengeschäfte verdient. Er sagte einmal: „Es gibt einen Klassenkampf. Aber es ist meine Klasse, die reiche Klasse, die diesen Kampf führt – und wir gewinnen.” Buffett sagte das, weil er eine Ungerechtigkeit entdeckt hatte: Wenn man sein Geld mit Aktien verdient, muss man viel weniger Steuern zahlen, als wenn man es als Lehrer, Krankenschwester oder Müllmann tut. Das ist in den USA genauso wie in Deutschland. Aber wer kauft denn eher Aktien? Die, die es sich leisten können. Absolut. Deswegen ist diese Besteuerung auch doppelt unfair. Arme haben kein Geld, das sie „für sich arbeiten” lassen können. Deswegen haben sie dann auch von den niedrigen Steuern nichts. In der Tat unfair. Aber warum reden wir hier jetzt darüber? In unserer Gesellschaft werden viele Menschen immer wieder benachteiligt. Es ist fast so, als gebe es unsichtbare Gesetze, die besagen: Du bist schwarz, du darfst nicht Bundeskanzler werden. Du bist eine Frau, du darfst kein großes Unternehmen führen. Oder eben auch: Du bist arm, du darfst nicht mitreden, wie unsere Gesellschaft sein soll. Dass Schwarze benachteiligt werden oder Frauen, wird dank der Arbeit vieler engagierter Aktivisten immer mehr Deutschen bewusst, aber dass Menschen auch aufgrund ihrer sozialen Herkunft benachteiligt werden, wissen viele nicht (mehr). Dahinter steckt nicht unbedingt böser Wille. Wir sprechen einfach nicht genug darüber. Was bedeutet das: soziale Herkunft?
Grob gesagt richtet sich die soziale Herkunft nach zwei Dingen: dem Einkommen und dem Bildungsgrad der Eltern. Wenn die viel Geld verdienen oder einen Uni-Abschluss haben, dann wirkt sich das auch auf ihre Kinder aus. Ein Beispiel sind Sprachreisen: Wenn die Eltern mehr Geld haben, können ihre Kinder ein Schuljahr im Ausland verbringen, zum Beispiel in den USA. Dort können sie viele Freundschaften schließen und Englisch lernen. Kinder von Eltern, die nicht ganz so viel Geld haben, können das eher nicht. Sie sprechen dann auch später nicht so gut Englisch, wodurch es ihnen schwerer fallen kann, an der Universität zurechtzukommen oder beruflich aufzusteigen. Das ist mir als Beleg etwas zu wenig. Wir wissen inzwischen ziemlich viel, ziemlich sicher darüber, wie arme Menschen benachteiligt werden: Der letzte Punkt ist besonders niederträchtig. Frei nach dem Motto, „die Leute bekommen, was ihnen zusteht”, gibt es in Deutschland die weitverbreitete Ansicht, dass arme Menschen selbst schuld daran sind, dass sie arm sind und sich nicht „hochgearbeitet” haben. Dabei zeigen Untersuchungen, dass sich die „Elite” am liebsten aus der „Elite” rekrutiert (und Journalisten am liebsten aus der Mittelschicht). Es reicht nicht, einfach nur hart zu arbeiten. Auch wenn das gerade die Politiker immer wieder beschwören. Der Komiker Will Rogers hat das mal schön auf den Punkt gebracht: „Wenn es eine Verbindung zwischen Reichtum und harter Arbeit gäbe, dann gäbe es eine Menge sehr reicher Holzfäller.” Zumal Diskriminierung auch dort zu spüren ist, wo doch der Schlüssel für den „Aufstieg” liegen soll. In der Schule. Was in der Erwachsenenwelt an Vorurteilen herumschwappt, überträgt sich direkt auf die Kinder. Es gibt eine Bildungsdiskriminierung. Was soll das sein? Eigentlich sollten ja alle die gleichen Chancen in der Schule haben, praktisch ist das nicht so. Kinder aus ärmeren Verhältnissen gehen nicht so oft aufs Gymnasium. Na ja, vielleicht haben sie schlechte Noten, und da gehören sie eben auch nicht aufs Gymnasium! Das ist ja das Schlimme: Selbst wenn diese Kinder Noten haben, die eigentlich ausreichen würden, lassen ihre Eltern sie manchmal nicht aufs Gymnasium, vielleicht, weil sie glauben, „dass das nicht das Richtige ist” oder die Kinder
früher selbst Geld verdienen sollen. Gleichzeitig neigen Lehrer bei Kindern aus den unteren Schichten eher dazu, eine Empfehlung für die Realschule oder die Hauptschule abzugeben, auch wenn die Schüler eigentlich aufs Gymnasium könnten. Eltern, die selbst auf dem Gymnasium waren und vielleicht sogar an einer Universität, tun sehr viel dafür, dass ihre Kinder diesen Weg auch gehen, denn sie haben ja selbst erlebt, wie wichtig das Abitur in Deutschland ist. Die sogenannte soziale Mobilität geht in Deutschland eher zurück, das heißt, dass es immer weniger Menschen schaffen, ihre eigene Schicht zu verlassen. Wenn es Menschen doch gelingt, dann begründen sie das sehr häufig mit ihrer eigenen Leistung. Dass sie vielleicht Vorteile hatten, die andere nicht hatten, geben sie oft nicht zu, vielleicht ist es ihnen auch gar nicht bewusst. Bekommen diese Menschen aber Kinder, tun sie sehr viel dafür, dass ihre Kinder Erfolg haben können. Sie bezahlen Nachhilfestunden, helfen bei der Auswahl der Universität und sprechen auch mal mit dem Lehrer. Ich will nicht sagen, dass das schlecht ist, überhaupt nicht! Aber wenn Leistung alleine wirklich wichtig wäre, müssten sie ihren Kindern einfach nur beibringen, fleißig zu sein. Der Rest käme ja dann automatisch von alleine. Darauf verlassen wollen sich die Eltern aber lieber nicht. Denn sie wissen: Das stimmt nicht. Was wir vermeiden wollen – darauf haben wir uns als Gesellschaft jedenfalls mal geeinigt – ist eine zu große Ungleichheit. Wenn also der Vorstand dreihundertmal so viel verdient wie der Arbeiter am Band. Oder für die eh schon Reichen die Steuern noch weiter gesenkt werden. Wir können uns sicher darüber streiten, ob es in Deutschland so schlimm ist wie in den USA oder in England oder vielleicht auch Russland. Aber dass die angeblich „höheren” Teile der Gesellschaft auf die angeblich „niederen” Schichten herabschauen, erleben wir immer wieder. Nicht nur im Alltag, auch in der Spitzenpolitik. Willst du weiterlesen? Krautreporter gibt es nur dank seiner Mitglieder. Du erhältst Zugang zu unseren Reportagen, Recherchen und Analysen, du verstehst besser, wie alles zusammenhängt, und vielleicht am wichtigsten: Du zeigst deine Unterstützung für unabhängigen, werbefreien Journalismus. 30 Tage gratis testen