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Ein Odenwälder Kuhstall ohne Kühe

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Landwirt Reinhold Bert gibt die Viehhaltung auf und beklagt wie viele seiner Kollegen die ausufernde Bürokratie und immer neue Auflagen.

30. März 2023 – 16:27 Uhr

Sandra Breunig

Brensbach. Noch im letzten Jahr lief Landwirt Reinhold Bert in den Stall, um sich Milch für seinen ersten Kaffee zu holen, jetzt greift er wie die meisten Odenwälder nach dem Tetra-Pack im Kühlschrank. Rund 40 Milchkühe hatte der 61-Jährige einmal, um die er sich gemeinsam mit seinem Sohn kümmerte. Wenige Jahre ist es erst her, dass er für seine Tiere im Brensbacher Ortsteil Wallbach für 500.000 Euro einen artgerechten Stall mit Massagebürsten und einer modernen Kraftfutterstation baute. Nun wirft er das Handtuch. „Es gibt inzwischen so viele Vorschriften. Ich das verstehe das nicht mehr und will das nicht mehr“, so Bert. Künftig konzentriert er sich auf seine Pflanzen: 16 Hektar mit Mais und Getreide und 36 Hektar Grünland hat die Kleinfamilie zu bewirtschaften.

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“ Es war nicht einfach, diesen Weg zu gehen. ”

Getreide nur noch gut genug als Tierfutter

„Es war nicht einfach, diesen Weg zu gehen“, erklärt der Landwirt. Er habe sehr an seinen Kühen gehangen, habe jedem Tier einen Namen gegeben. „Irgendwann kam ich kaum noch hinterher, die Rechnungen zu bezahlen. Durch die hohen Energiekosten ist es noch schwerer geworden.“ Auch das „Drumherum“ sei abschreckend. Allein die neue Düngemittelverordnung, für die bis 2025 noch eine Übergangslösung gelte, verkompliziere die Arbeit. So darf die Düngung dann nur noch 170 Kilogramm Stickstoff enthalten, „weil zu hohe Nitratwerte im Grundwasser vermeintlich aus der Landwirtschaft stammen“, sagt Bert. „Damit das Getreide aber gut genug für Backwaren ist, brauche ich 240 Kilogramm. So reicht es nur als Futtergetreide.“ Dazu benötige er einen größeren Traktor und ein Güllefass mit Schleppschläuchen, um den Dünger „bodennah aufzubringen“. Die Aufrüstung würde ihn über 250.000 Euro kosten.

Auch der Hessische Bauernverband betont: „Viele politische Diskussionen, die derzeit in Brüssel geführt werden, sind für die landwirtschaftlichen Unternehmer nur schwer verständlich. Vorhaben wie der EU-Vorschlag zur Halbierung des Pflanzenschutzmitteleinsatzes (SUR) über ein Verbot in ‚sensiblen Gebieten‘ sind der völlig falsche Weg, denn das würde einen deutlichen Rückgang der Ernteerträge in Europa bedeuten und hätte drastische Einbußen der heimischen Produktion zu Gunsten einer wachsenden Importabhängigkeit zur Folge.“

Die letzten Erhebungen zum Odenwaldkreis betreffen das Jahr 2020. Damals gab es laut Bauernverband 419 landwirtschaftliche Betriebe mit einer Gesamtnutzfläche von 16.431 Hektar. „Die Weidetierhaltung ist im Landkreis mit 283 Betrieben am stärksten ausgeprägt. Hier

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dominieren besonders die Rinderaufzucht- und Rindermastbetriebe (100 Betriebe), die Schaf- und Ziegenaufzucht (95 Betriebe) und spezielle Milchviehbetriebe (80 Betriebe).“

“ Das Fördergeld ist Sterbegeld. ”

Reinhold Bert Brensbacher Landwirt

Allgemein stellt Bert fest: „Inzwischen nimmt die Bürokratie so viel Platz ein, dass man dafür eine eigene Stelle schaffen müsste.“ Da gehe es nicht nur um die Dokumentation, auch die Fördergelder müssen immer wieder neu beantragt werden. 20.000 Euro jährlich erhielt Bert zuletzt aus den europäischen Töpfen für Landwirte, bereits jetzt schätzt der Brensbacher jedoch die Kosten für Dünger, zusätzliche Futtermittel und Energie auf 100.000 Euro. „Da ist die Instandhaltung und Reparatur von Fahrzeugen und Sanierungen an den Gebäuden noch nicht eingerechnet.“ Hinzu kämen die ständig verschärften, „unberechenbaren“ Regeln im Naturschutz. Angesichts dieser Entwicklung ist sich Bert sicher: „Das Fördergeld ist Sterbegeld. Nur die großen Höfe im Odenwaldkreis werden überleben.“

Mit seiner Sichtweise steht er nicht allein, wie ganz aktuell beim jährlichen Treffen der Odenwälder Landwirte in Zell zu erleben war: „Die meisten von uns machen die Viehwirtschaft nur als Nebenerwerb”, erklärt etwa der Breitenbrunner Michael Saul. „Nach dem regulären Job geht es dann noch an den Computer bis spät in die Nacht, um den Papierkram zu erledigen.” Wenn er nicht noch einen Hauptjob mit einem regulären Einkommen hätte, könne er mit seinen rund 100 Tieren nicht überleben, sagt er – und viele Kollegen stimmen zu.

Zurück zu Reinhold Bert: Wenn er nicht mit Hof und Tieren aufgewachsen wäre, hätte er früher alles abgegeben, erst recht, nachdem seine Frau vor rund 15 Jahren starb. Vor den Kühen hat Bert 2020 bereits die Milchtankstelle aufgegeben, für die es immer wieder unangemeldete Kontrollbesuche gab. „Die geforderten Anpassungen am Gerät rentierten sich irgendwann nicht mehr.“

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Herkunftskennzeichnung würde helfen

Was er brauche, sei eine längere Planungssicherheit. „Alle zwei Jahre kommen gefühlt neue Regelungen, die oft völlig realitätsfern sind“, beklagt er. Darüber hinaus herrsche ein großer Preisdruck durch günstige landwirtschaftliche Produkte aus dem Ausland, ergänzt Sandra Koer von der Pressestelle des Bauernverbandes. „In anderen Ländern gelten allerdings deutlich niedrigere Standards, beispielsweise in Bezug auf das Tierwohl.“ Eine flächendeckende Haltungsform- und Herkunftskennzeichnung für Produkte aus der Tierhaltung sei überfällig, „sonst kommen wir beim Tierwohl nicht voran, und besonders die Schweinehaltung wird noch weiter ins Ausland verlagert“.

Wenn in Brensbach alle Kühe vom Hof sind, werde Bert sehen, inwieweit sich der Betrieb noch rentiert. Beim Verkauf der verbliebenen Tiere rechnet Bert mit einem Verlustgeschäft. Sein Sohn orientiere sich bereits anderweitig. „Wir werden uns in Zukunft auf den Verkauf von Heu, Silageballen und Feldfrüchten beschränken und behalten nur einige Rinder zur Mast.”

Dazu der Bauernverband: „Allgemein müssen sich die Rahmenbedingungen verbessern. Dazu zählen langfristige Regelungen und Vorgaben, damit Landwirte sich entsprechend vorbereiten, investieren und danach leben und arbeiten können. Im Odenwaldkreis gilt der eigene Schlachthof als Leuchtturm für die regionale Vermarktung. Den Bauern wird aktuell jedoch die Existenz erschwert und zum Teil genommen.“

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