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16.6.2021

Eltern angeklagt - Säugling war mehr tot als lebendig

Eltern angeklagt - Säugling war mehr tot als lebendig echo-online.de/lokales/odenwaldkreis/odenwaldkreis/eltern-angeklagt-saugling-war-mehr-totals-lebendig_23920946 16. Juni 2021

Mittwoch, 16.06.2021 - 15:16 Wegen schwerer Kindesvernachlässigung muss sich ein Elternpaar aus dem Odenwald vor Gericht verantworten. Das Baby entkam 2018 nur knapp dem Tod. Von Jan Wüntscher

Blaulicht auf einem Rettunsgwagen. (Symbolfoto: Jörg Lantelme stock.adobe)

ODENWALDKREIS/DARMSTADT - Das Kind lebt und wächst heute in der Obhut einer Pflegefamilie bestens ver- und umsorgt auf. Angesichts des Schicksals, das es als Baby im Frühjahr erlitt, ist dies eine ebenso gute wie bemerkenswerte Nachricht. Denn mehr tot als lebendig musste es im Frühling vorletzten Jahres seinen leiblichen Eltern weggenommen werden – ein Geschehen, mit dessen nun fälliger Verhandlung vor dem Landgericht Darmstadt eine haarsträubende Geschichte entrollt wird.

Mangelhaft ernährt und versorgt

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Von einem „außergewöhnlichen Fall, bei dem um Weihnachten 2018 wohl die Anker weggebrochen sind“, sprach denn am Dienstag vor der 10. Großen Strafkammer in Darmstadt auch der psychiatrische Gutachter Peter Haag. Er bezog sich damit auf das Handeln der Angeklagten, eines unverheirateten Paares aus dem Odenwald, er 44 Jahre alt, sie drei Jahre jünger. Beide lebten zum Zeitpunkt des Geschehens mit ihrem Baby in ihrer Drei-Zimmer-Wohnung in Reichelsheim, die als verwahrlost beschrieben wird, haben aber auch Verbindungen ins benachbarte Lindenfels. Hier sollen sie das gemeinsame Baby bis zu seinem elften Lebensmonat mangelhaft ernährt und versorgt haben, sodass sein Leben am Schluss nur noch an einem seidenen Faden hing.

Mediziner waren schockiert Das hatten die Sanitäter des Roten Kreuzes derweil auf den ersten Blick erkannt, die Alarmroutine lief an. Neben Rettungswagen, Notarzt und Hubschrauber wurden vorsorglich auch Notfallseelsorger angefordert. Unmittelbar nach seiner Reanimierung wurde das Baby auf kürzestem Weg in eine Spezialklinik in Mannheim geflogen. Die Ärzte dort wollten nicht glauben, was sie sahen. Ein Notfallmediziner (57) erklärte dem Gericht: „Derart schwere Fälle sehen wir selten, meist sind die Kinder dann schon tot.“ Als völlig unverständlich empfanden die Spezialisten, die um das Leben des Kleinen kämpften, das Verhalten der Eltern. „Die schien das nicht wirklich zu berühren“, hatte schon einer der Rettungssanitäter ausgesagt, „sie waren mehr mit sich selbst beschäftigt. Mindestens sechs Monate lang müsse das Baby nicht ausreichend zu essen und zu trinken bekommen haben“, schätzten die Fachärzte.

Paar tauchte in Skandinavien unter Auch das sonstige Benehmen des Paars erstaunte und schockierte Behörden, Staatsanwaltschaft und Gericht gleichermaßen. Den Schilderungen zufolge gönnte man sich aufwendige Reisen, tauchte schließlich in Skandinavien unter. Deshalb lief eine internationale

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Fahndung an, in deren Verlauf das Duo in Schweden festgenommen und schließlich mithilfe eines deutschen Spezialkommandos zurückgebracht und in Haft genommen wurde. Dort befragte der forensische Sachverständige Haag die beiden. In seinem Gutachten fand der erfahrene Psychiater keinerlei Anhaltspunkte für seelische Störungen, die irgendwelche Einschränkungen der Straffähigkeit begründen könnten. Die 41-jährige Frau sei, so Haag, von durchschnittlicher Intelligenz, neige aber offenbar dazu, sich als Partner dominante Männer zu suchen. So wollte der Gutachter den 44-jährigen Lebensgefährten der Mutter von insgesamt drei Kindern allerdings nicht eindeutig einstufen. Er beschrieb den Angeklagten als narzisstischen Verlierertypen, der sich selbst allerdings für den Größten halte und sein eigentlich verpfuschtes Leben als Erfolgsgeschichte verkaufe. Zumindest bei seiner mitangeklagten Partnerin sei ihm dies wohl gelungen. Beide waren Schulkameraden, hatten bereits als Teenager eine erste Beziehung, die zunächst auseinandergegangen war. Er könne nicht ausschließen, dass die Frau ihrem Mann in gewissem Maße hörig sei, erklärte der Gutachter. In diese Richtung hatten sich im Zeugenstand die Eltern der 41-jährigen geäußert. Der Vater formulierte es besonders drastisch: „Er ist ihr böser Geist. Er hat sie in seinen dreckigen Klauen.“ Nach der Geburt des bedauernswerten Babys hatten die Eltern mit diesem, trotz seines lebensbedrohlichen Zustands, etliche große Reisen unternommen. Dem Gericht lagen aus den sozialen Medien unter anderem Aufnahmen von einem Kreuzfahrtschiff vor. Inwieweit diese echt sind und nicht nur Fotomontagen, die der Großmannssucht des Angeklagten entspringen, ließ sich nicht klären. Der Prozess soll am 22. Juni weitergehen und wird im weiteren Verlauf auch die absehbar abweichende Sicht der Eltern aufzeigen.

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