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23.2.2020

Erbacher gelingt in Michelstadt ein Klein-Kunst-Stück

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Von Gerhard Grünewald Redaktionsleiter Odenwälder Echo

Der Programmchef kocht selbst, heißt es im Michelstädter Kleinkunstkeller „Patat“, wo Vorsitzenderr Lothar Mertens jeden Künstler mit seinem Leibgericht bewirtet. (Fotos: Joaquim Ferreira)

MICHELSTADT - Kartoffeln lagern zwar nicht mehr unter dem mächtigen Gewölbe inmitten von Michelstadt, seit die Bauersfamilie Wind einst den gewerblichen Anbau der Erdäpfel aufgegeben hat. Doch der Keller steht wie vor Jahrhunderten im Dienste des Nährwerts, wenn auch anstelle der körperlichen seine geistige Form getreten ist: Mit einem abgewandelten Synonym seiner ehemaligen Füllung im Namen, hält er als „Patat“ statt üppiger Kohlehydrate feinen Witz, spitze Satire und inspirierende Musik bereit. Zu verdanken hat das Gemäuer dies dem gleichnamigen Kleinkunstverein, in dem sich rund 1000 Frauen und Männer aus ganz Südhessen der kultivierten Unterhaltung verschrieben haben – ein Rückhalt, der für ihre Bühne nun schon 25 Jahre lang trägt. „Du spinnst!“, habe die durchgängige Reaktion gelautet, als er um 1993 bei seinen Freunden mit seiner Idee von einem Kabarett in Michelstadt hausieren gegangen sei, erzählt „Patat“-Pionier und -Vorsitzender Lothar Mertens (72), um hinzuzufügen:

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„Aber fast alle haben noch im selben Atemzug gesagt, dass sie bei diesem Unfug selbstverständlich mit von der Partie sein wollten.“ Also kamen zwei Entwicklungen in Gang: die inhaltliche Aufstellung eines Kleinkunstvereins und die bauliche Vorbereitung des Kellers auf seine neuen Aufgaben. „Ohne den wäre unsere Bewegung wahrscheinlich gar nicht zustande gekommen“, geht Mertens zur Skizzierung der Anfänge über. Vom Jazz-Enthusiasmus zur Kabarett-Idee Als Prüfstatiker im Immobilienwesen zu Hause, hatte Mertens in den frühen Neunziger Jahren die schon der Lage nach für einen landwirtschaftlichen Betrieb nicht mehr zu gebrauchende Hofreite an der Erbacher Straße gekauft, um sie in ein Wohnanwesen umzubauen. „Im Zug der Transaktion bin ich erstmals auf das Gewölbe gestoßen – und da hat sich mir sofort das Bild von einem Kulturkeller aufgedrängt“, erklärt der Erbacher. Warum sollte bei der Investition nicht auch etwas für das Gemeinwohl abfallen, zumal die Belebung eines ansonsten nur schwer nutzbaren Gebäudeteils auch der Lebendigkeit des gesamten Anwesens zugutekommen würde?

Als Jazz-Enthusiast dachte Mertens dabei zunächst an ein authentisches Musiklokal dieses Genres, „aber das wäre wahrscheinlich zu speziell gewesen, um den gewünschten Zuspruch zu erreichen“. Also besann er sich einer weiteren Vorliebe, der für die Bühnensatire, fand die benötigten Mitstreiter und legte los. Für ihn selbst bedeutete das erst einmal harte Arbeit – und das im wörtlichen Sinn. Denn der Keller wollte geleert und entrümpelt sein. „Kartoffeln lagen da zwar nicht mehr herum, aber dafür ganze Jahrgänge von Mirabellen-Ernten“, erinnert sich der

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Kleinkunst-Pionier. Die mussten ebenso weggeschafft werden wie Hunderte von Eimern des ursprünglichen Naturbodens, der durch aus derselben Bausubstanz stammende Steinplatten ergänzt wurde: „Mit jeweils vier Leuten haben wir die Blöcke durch die Gegend geeselt“, beschreibt Mertens die Plackerei. Neben seiner inzwischen verstorbenen Frau Sylvia waren es befreundete Ehepaare wie die Weimars, Backöfers oder Schüsslers, die sich in die Eigenhilfe für die private Kellersanierungs-Maßnahme ein- und zugleich den Verein zum Laufen brachten. Dessen Finanzkraft reichte folglich bald für die Bezahlung der Innenausstattung: In den Kartoffelkeller hielten eine ansehnliche Bühne, neuzeitliche Licht- und Beschallungstechnik und eine auf 140 Plätze ausgelegte Bestuhlung Einzug. Das Wichtigste wiederum besorgte Mertens selbst, ohne diese Aufgabe je wieder aus der Hand zu geben: „Das Programm ist meine Sache“, stellt der Vorsitzende fest, der sich für diese Aufgabe genau im Fach umschaute: „Ich bin anfangs herumgereist und habe mir abgeguckt, wie das die etablierten Läden machen“, erzählt Mertens. Heinz Keller vom Darmstädter Halbneun-Theater sei einer von denen gewesen, die ihn besonders zuvorkommend mit jenen Tipps und Kontakten versorgt hätten, die bald jenes ausgewachsene Jahresprogramm ermöglichten, das die anfänglich improvisierten Vorstellungen ersetzte. „Dennoch war es großartig, als wir damals mit den Rathaus-Ramblers, unserer heimischen Jazzkapelle, rauschend Einweihung feierten“, sinniert Mertens, der mit seinen Patat-Gefährten bald Kleinkunst-Größen wie Matthias Belz, Ina Müller, Volker Pispers, Bülent Ceylan, Hagen Rether, Sebastian Pufpaff oder Harry Rowohlt zu Gast hatte. Wenn bis heute viele der Prominentesten wiederholt in Michelstadt gastieren, ist das nicht nur Verhandlungsgeschick und Charme des Programmdirektors geschuldet, sondern auch einer weiteren Eigenart des Patat-Gründers: Sein Kulturverständnis schließt eine vorzügliche Küche ein, auf die er sich sogar aktiv versteht. Also lässt er den Künstlern zu ihrer umständehalber eher kargen Gage einen Bonus in Naturalien zukommen: Zusammen mit wenigen ausgewählten Mitkönnern bekocht der Chef die Kabarettisten, Autoren, Schauspieler und Sänger nach deren eigenen Wünschen. „Da Liebe durch den Magen geht, haben wir uns so manch wichtige Verbindung geschaffen“, berichtet Mertens. Dabei scheint die Affinität zur Küche ein besonderes Kennzeichen der Branche zu sein. Denn gekocht wird auch bei der zweiten vereinsgetragenen Kleinkunstbühne im Odenwaldkreis, der „Alten Post“ in Brensbach. Und noch stärker als in Michelstadt schreiben Frauen und Männer wie Vorsitzender Reinhard Grimm hier die Vorgeschichte ihres Lokals fort. Denn wo heute kulturaffine Südhessen bis zu zweimal im Monat mit Kabarett und Musik Hof halten, bewirtete über Jahrhunderte hinweg ein Gasthaus sein Publikum. „Es war der heutige Eigentümer Bernd

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Lochschmidt, der nach dem Aus für die Wirtschaft die Idee hat, den öffentlichen Charakter und damit letztlich auch das historische Anwesen selbst mit einer Kleinkunstnutzung zu erhalten“, erklärt Grimm. Ähnlich wie „Patat“ funktioniert die „Alte Post“ in Brensbach Heute gehört dem dafür gebildeten Verein ein Kreis von gut 50 Mitgliedern an, dessen harter Kern von etwa einem halben Dutzend Freiwilligen gebildet wird. Die sorgen nicht nur für die Bewirtung, sondern stellen auch das Programm zusammen, was angesichts der beschränkten finanziellen Möglichkeiten vor allem Gespür für die passenden Partner voraussetzt. „Unser Marcus Schmidt hat hier glücklicherweise ein goldenes Händchen entwickelt“, lobt der Vorsitzende, der sich etwas mehr öffentliche Unterstützung für seinen Verein wünschen würde. „So geht es halt immer gerade so auf bei uns, und das birgt auch seine Schwierigkeiten und Risiken“, fasst Grimm zusammen. Das „Patat“ in Michelstadt ist da dank des kostenlos bereitstehenden Spielorts und seines weiten Mitgliederkreises bessergestellt – und das bedeutet Lothar Mertens viel: „Kleinkunst braucht Unabhängigkeit“, findet der Unternehmer, „wenn wir anfangen müssten, Amtsträger zu umgarnen, würde das den Anfang vom Ende einleiten.“ Mertens sieht seine Bühne denn auch nicht als Ersatz für das fast durchweg zum Erliegen gekommene klassische Theaterangebot der Kommunen, sondern als Sache für sich. „Was wir machen, wird so oder so gebraucht“, positioniert sich der Gründer selbstsicher. Aber stehen Nachfrage und Angebot dauerhaft auf sicheren Füßen? „Über kurz oder lang muss sich dafür schon etwas bewegen“, sagt Gils Dorignac (34), „denn die meisten Macher und Gäste gehören doch dem etwas gesetzteren Alter an.“ Zusammen mit Julian Etzel (35) und drei, vier Freunden bildet er die Thekenmannschaft, die für die neue Generation von Kartoffelkeller-Enthusiasten zählt und entschlossen ist, die gehobene Kleinkunst auch in der Michelstädter Jugend zu etablieren. „Zum Beispiel befördern wir ,Patat‘ nun auch auf Instagram, und wir bequatschen die Leute in unserem großen Bekanntenkreis“, erklärt Etzel. Den Vorsitzenden freut es, dass er für die Bewirtung und damit für den so wichtigen direkten Kontakt zum Publikum Nachwuchs gefunden hat, der bereit ist, sich ohne Entgelt die Abende um die Ohren zu schlagen – so wie das auch das zweite Freiwilligen-Team tut: die Techniker-Mannschaft, die neben altgedienten Tüftlern wie Werner Kassenbrock (67) auch Digital Natives wie Heiko Steiger (17) umfasst. „Das bringt uns unheimlich voran“, kommentiert Pionier Mertens und wundert sich ein bisschen über den Enthusiasmus des Nachwuchses. Julian Etzel aber weiß, warum junge Leute wie er mitmischen: „Man lernt hier jede Menge interessante Persönlichkeiten kennen“, lobt er, um dann auf das Privileg zu sprechen zu kommen, das die Helfer mit den Künstlern teilen: „Und man isst fantastisch.“

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