16.2.2020
Mit der Stadtpolizistin Renate Frieß auf Tour durch Erbach
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Die Erbacher Stadtpolizistin Renate Frieß. (Foto: Joaquim Ferreira)
ERBACH - Renate Frieß kennt die Schwächen der Autofahrer, denn nach 17 Jahren als Stadtpolizistin in Erbach ist sie fürs Leben geschult. „Hier haben wir wieder so einen“, murmelt sie, zückt ihr Handy und gibt die Daten des Fahrzeugs in eine App ein, weil es ohne Parkscheibe auf dem großen Platz an der Werner-von-Siemens-Straße steht. Doch der Halter kommt in letzter Sekunde angerannt, so hat er nochmal Glück und braucht die fälligen zehn Euro nicht zu zahlen: „Darf man hier etwa umsonst stehen?“, fragt er. „Nicht umsonst, aber kostenlos“, kontert die 58-jährige Michelstädterin und steckt das Handy wieder weg. Oft lässt sie mit sich reden, spricht mündliche Verwarnungen aus. „Hier geht’s ja nicht ums Abzocken, sondern es soll alles einigermaßen in geordneten Bahnen ablaufen“, erklärt sie. Wer sie kennt – und das sind viele im Odenwald – weiß, dass sie ihre Aufgabe ernst nimmt und im Zweifelsfall keinen verschont: weder Freunde noch Magistratsmitglieder. Andererseits darf ihr kein Bürgermeister dieser Welt vorschreiben, wie viele Knöllchen sie zu verteilen hat, erklärt Renate Frieß.
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Einnahmen von 129 648 Euro im Jahr 2019 Wie sich zeigt, hat sich die Stadtpolizistin längst den Respekt der Odenwälder Bevölkerung verschafft; bei ihrem Rundgang wird sie häufig offensiv gegrüßt, unfreundlich begegnet ihr an diesem kalten Vormittag niemand. „Ab und zu schimpft mal einer, das sei Geldmacherei“, sagt sie, aber diesen Vorwurf kann Bürgermeister Peter Traub widerlegen: Zwar habe die Stadtpolizei 129 648 Euro im Jahr 2019 eingenommen; die Aufwendungen übersteigen diesen Wert mit 231 487 Euro bei Weitem. Schließlich muss die Kommune ihr Personal, die Verwaltungskosten und ab und an auch für juristische Streitigkeiten bezahlen. „Ein Bürger meinte mal, er würde sich schämen, meine Arbeit zu machen“, erzählt Renate Frieß, „da antwortete ich, ich würde mich schämen, der Gesellschaft auf der Tasche zu liegen und nichts zu schaffen“. Der Odenwald ist keine heile Welt, wie die Frau in Uniform bei einer Zigarettenpause an den zugigen Bushaltestellen der Werner-vonSiemens-Straße demonstriert, wo sich regelmäßig ein paar Leute treffen, um gemeinsam Alkohol zu trinken und mit steigendem Pegel mitunter auch laut herumzupöbeln. Frieß kennt sie alle. „Der da ist ein ganz Ruhiger“, sagt sie und deutet mit dem Kinn auf einen der Stammgäste, „er kann aber unangenehm werden“. Ein anderer, der laut singt und bisweilen auf der Bank liegt, ist nun von der Straße weg und zurück bei seiner Frau.
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„Mit der Szene hier erlebe ich ein ewiges Katz-und-Maus-Spiel“, sagt die 58-Jährige: Jeder Mensch darf zwar grundsätzlich an der Haltestelle sitzen, aber nicht, um dort ungehemmt zu trinken. Dann könnte Frieß Platzverweise aussprechen. „Aber sobald sie mich sehen, sind die Flaschen versteckt.“ Manchmal macht sie klare, laute Ansagen, bisweilen auch quer über die Straße hinweg. Das hilft für den Moment. Und wenn es nicht hilft, ruft die Ordnungshüterin eine Streife der Polizei. Lösen lässt sich die Problematik so aber nicht – sie verlagert sich nur an andere Orte in der Stadt. Das weiß Renate Frieß. https://www.echo-online.de/lokales/odenwaldkreis/erbach/mit-der-stadtpolizistin-renate-friess-auf-tour-durch-erbach_21236868
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Viel lieber geht sie ohnehin ihrer Hauptaufgabe nach und kümmert sich um den ruhenden Verkehr in der gesamten Innenstadt und, wenn sie gerufen wird, auch in den Stadtteilen. Bei ihrem Gang durch die Brückenstraße ärgert sie sich: „Jetzt muss ich durchgreifen!“ Zwei Autos parken im eingeschränkten Halteverbot, wo die Fahrbahn ohnehin schon so eng ist. „Hier herrscht immer viel Verkehr, da weichen die anderen dann auf den gegenüberliegenden Bürgersteig aus und gefährden die Fußgänger da vorne auf dem Zebrastreifen.“ Sie zückt ihr Handy und tippt – damit werden 20 Euro pro Fahrzeughalter fällig. Ein Dritter, der zwar auf dem richtigen Platz steht, aber die Parkscheibe großzügig um zwei Stunden vorgestellt hat, wird mit zehn Euro zur Kasse gebeten. Zettel steckt die Stadtpolizistin nicht unter den Scheibenwischer, was die Sache für sie erleichtert: „Früher sind mir die Leute mit dem Zettel durch die ganze Stadt nachgerannt oder haben sie einfach ans Nachbarauto gesteckt.“ Diese Zeiten sind vorbei. Sie selbst musste noch nie wegen Falschparkens bezahlen, wohl aber, weil sie zu schnell war. „Mein Gott, das ist menschlich“, findet Renate Frieß. Ihren Humor hat die Michelstädterin mit Einsatzgebiet im feindlichen Ausland nie verloren, weshalb ihr Herz auch der Fastnacht gehört. Dort stand sie schon in der Bütt, sitzt im Frauenelferrat und spielt im Fanfarenzug des CV Ulk Trompete. Auch kann sie mit der Querflöte und dem Klavier umgehen und hat als Kind in Chören gesungen. Beruflich sah sie sich zunächst als Fachverkäuferin für Uhren und Schmuck. Doch früh bekam sie mit ihrem Mann zwei Kinder, da wollte Renate Frieß nicht mehr voll arbeiten und ging zur Firma Rowenta in den Schichtdienst. Zur Stadt Erbach wechselte sie als Reinigungskraft, doch sobald die Stelle bei der Stadtpolizei ausgeschrieben war, fiel die Wahl auf die resolute Odenwälderin. Heute arbeitet sie dort zusammen mit drei Kollegen auf dreieinhalb Stellen.
Die Erbacher Stadtpolizei soll Verstärkung erhalten Bürgermeister Traub würde die Stadtpolizei gern verstärken; zwei weitere Stellen sind im Haushaltsentwurf für 2020 bereits vorgesehen, mit einem Beschluss des Parlaments rechnet er Anfang März. Ein https://www.echo-online.de/lokales/odenwaldkreis/erbach/mit-der-stadtpolizistin-renate-friess-auf-tour-durch-erbach_21236868
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positives Votum vorausgesetzt, könnten die neuen Ordnungshüter zum Jahresbeginn 2021 einsatzfähig sein. „Ich erhoffe mir von ihnen eine engmaschigere Kontrolldichte“, sagt Traub, denn nur dann würden die Spielregeln in der Stadt annähernd eingehalten. Außerdem verspricht er sich mehr Sicherheit für die Ordnungshüter selbst, die künftig lieber im Tandem losziehen sollten. „Denn das Klima wird rauer, und die Beschimpfungen der Stadtpolizisten haben zugenommen.“ Doch Renate Frieß mag ihren Beruf, auch weil er so vielseitig ist. Wenn Touristen nicht weiter wissen, erklärt sie, „wer der Kerl auf dem Sockel vorm Schloss ist“, und wo es in Erbach ein gutes Eis gibt. Liegt Müll herum, der illegal entsorgt wurde, ist auch das eine Aufgabe für die Michelstädterin. Und wenn die Kollegen der Kriminalpolizei zu einem Haus gerufen werden, in dem festzustellen ist, wie viele Menschen darin leben, kommt Frieß ebenfalls hinzu. Dann erlebt sie schon mal mit, „dass offiziell 20 gemeldet, aber zehn von ihnen nicht mehr da sind. Statt ihrer sind fünf neue gekommen, von denen aber auf dem Amt niemand etwas weiß.“ Die Menschen kommen als billige Arbeitskräfte, sagt sie, und zeigt ihre Kritik an dieser gesellschaftlichen Entwicklung. Bei Einsätzen wie diesen trägt Renate Frieß eine schusssichere Weste, zum Glück hat sie die bisher nie gebraucht. Denn wirklich schlimme Erfahrungen musste sie im Dienst nicht machen. Es sind eher skurrile Begegnungen, die sie umtreiben wie die mit einem Mann, weit über 80 Jahre alt, der sein Auto so in der Hauptstraße abgestellt hatte, dass kein anderes Fahrzeug mehr durchkam. „Da mache ich auch Halterermittlungen“, sagt die 58-Jährige, die dazu gern ihre Ortskenntnis nutzt und umliegende Arztpraxen abklappert. „Tatsächlich saß der Senior seelenruhig beim Doktor“, erzählt sie, „und hatte keine Ahnung, was da draußen vor sich ging“. Sie nahm ihn mit. Da ließ sie dann mal nicht mit sich reden. Dieser Artikel wurde ursprünglich am 15.02.2020 um 03:00 Uhr publiziert.
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