17.6.2020
Reichelsheimer hält Mundschutz in Gaststätten für Hindernis
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Der Koch Martin Müller, der in Reichelsheim Gaststätten betreibt, schildert die momentanen Regeln für die Wirtshäuser als unpassend. Sie seien ungerecht im Vergleich zum Tourismus. Von Kirsten Sundermann
Martin Müller auf der Terrasse vor seinem Lokal „Esszimmer“ in Reichelsheim/Eberbacher Tal. (Foto: Kirsten Sundermann)
REICHELSHEIM - Bittere Worte findet der renommierte Koch und Restaurantbesitzer Martin Müller aus Reichelsheim im Hinblick auf die Vorgaben der hessischen Landesregierung, die der heimischen Gastronomie seit dem Ausbruch der Corona-Krise das Leben schwer machen. „Ich bin mit Leib und Seele dabei und würde meine Gäste furchtbar gern verwöhnen – aber ich darf’s nicht“ klagt er. In der Tat hat der gastronomische Lockdown den österreichischen Koch Martin Müller und seine Lebensgefährtin Simone Stock besonders hart getroffen. Die beiden haben sich erst vor wenigen Wochen in Reichelsheim etabliert und dort mit viel Enthusiasmus gleich zwei gastronomische Betriebe https://www.echo-online.de/lokales/odenwaldkreis/reichelsheim/reichelsheimer-halt-mundschutz-in-gaststatten-fur-hindernis_21818712
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übernommen, das Speiselokal „Ambiente“ in der gemeindeeigenen Reichenberghalle (Eröffnung: 20. Oktober 2019), und das Hotel „Landhaus Lortz“ im Reichelsheimer Ortsteil Eberbach (Eröffnung Anfang März 2020). Zu diesem weitläufigen Anwesen gehört auch das Gourmet-Restaurant „Esszimmer“, das am 12. März 2020 festlich eröffnet wurde – fünf Tage, bevor hessische Speiselokale aufgrund der Verordnung zur Bekämpfung des Corona-Virus komplett schließen mussten. Mittlerweile wurden die Auflagen zwar wieder gelockert und seit Ende Mai dürfen Gäste unter gewissen Einschränkungen in hessischen Lokalen wieder bewirtet werden. Aber nicht nur Müller ist mit den Vorgaben unzufrieden; auch seine Gäste würden sie nicht verstehen. Dass Hygiene sein muss, sehe er voll ein, meint er, und auch dass ein Abstand von 1,5 Metern von Mensch zu Mensch gewahrt sein soll. Aber die Sache mit dem Mundschutz, die will ihm nicht in den Kopf hinein. „Unseren Landrat und den Volker Bouffier – die würd’ ich ja gern mal einladen zu mir: Die sollen mir dann erklären, warum wir keinen Mundschutz brauchten, als die Epidemie ausgebrochen ist, und jetzt auf einmal ist er Pflicht.“ Mit Maske sei es ihm jedenfalls unmöglich, Gäste so zu betreuen, wie sie es von ihm gewohnt sind: Da fehle das „gewisse Etwas“, da könne er einfach keine professionelle WeinEmpfehlung oder Weinpräsentation machen. Auch andere Einschränkungen empfindet er als Hohn, wie den gewünschten Verzicht auf Tischdecken oder Stoffservietten. „Momentan servieren wir ein Gourmet-Menü wie ein Kantinen-Gedeck.“ Ein Gast habe das auch schon auf den Punkt gebracht: „Wie traurig ist das denn!“ Das Gefühl, dass im Umgang mit der Gastronomie und dem Tourismus mit zweierlei Maß gemessen wird, kann ihn zusätzlich auf die Palme bringen. „Wie wollen die in den Flugzeugen, die jetzt die Touristen wieder nach Mallorca bringen, eigentlich den Mindestabstand wahren?“ ist nur eine der Fragen, die ihn umtreiben. Noch mehr wurmt ihn der Gedanke daran, dass er als „Neu-Unternehmer“ nur mit einem Minimum an staatlicher Unterstützung rechnen kann. Im Rahmen der Corona-Soforthilfe erhielt er als „Kleinbetrieb mit wenig Personal“ zwar einen Zuschuss für die laufenden Betriebskosten, aber „der war schnell aufgebraucht“. Dabei hätten gerade Existenzgründer keine Polster zur Verfügung, da sie ja schließlich erst in ihr https://www.echo-online.de/lokales/odenwaldkreis/reichelsheim/reichelsheimer-halt-mundschutz-in-gaststatten-fur-hindernis_21818712
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neues Unternehmen investiert und oft große Schulden gemacht hätten – und dann „null Umsatz“ machen durften. Froh und dankbar ist er indes, dass sowohl die Gemeinde, als auch der Inhaber des Landhauses Lortz ihm bei der Bezahlung der Miete für die beiden Etablissements entgegengekommen sind. Aber: „Was die Regierung jetzt macht, ist aus meiner Sicht ganz einfach eine Verhöhnung der Gastronomie“, findet er. Denn es werden zwar derzeit sogenannte „Eckpunkte einer Überbrückungshilfe für kleine und mittelständische Unternehmen, die ihren Geschäftsbetrieb im Zuge der Coronakrise ganz oder zu wesentlichen Teilen einstellen müssen“ diskutiert. Wenn die Ende Juni verabschiedet werden, können entsprechende Betriebe für die Monate Juni, Juli und August eine finanzielle Unterstützung erwarten, wie Julius Wagner, Hauptgeschäftsführer des Hotel- und Gastronomieverbandes Dehoga Hessen bestätigte. Das Recht zur Antragsstellung haben jedoch nur Betriebe, deren Umsatz in den Monaten April und Mai 2020 zusammen genommen um mindestens 60 Prozent gegenüber April und Mai 2019 eingebrochen ist. Bei Unternehmen, die nach April 2019 gegründet wurden, sollen stattdessen die Monate November und Dezember 2019 zum Vergleich herangezogen werden. Doch was passiert mit Betrieben, die erst im März 2020 eröffnet wurden? Müller befürchtet nun, dass „Großbetriebe bis zu 150 000 Euro bekommen – und wir Neulinge uns mit einem knappen Tausender begnügen müssen“. Große Sorge hat er natürlich auch vor dem Herbst: „Wenn das Ganze dann noch mal passiert, dann schließen die einfach alles. Aber danach ist Deutschland bankrott, und Europa bankrott.“ Nach dem Lockdown war eine touristische Nutzung des Hotels „Landhaus Lortz“ mit seinen 23 Doppelzimmern und vier Appartements nicht mehr möglich, und auch die üblicherweise gegebene Auslastung durch Geschäftsreisende und Monteure ließ gewaltig nach. Immerhin konnte das Gastronomen-Paar die unfreiwillige Freizeit nutzen, um die Zimmer zu renovieren, die großzügige Terrasse (die zu Normalzeiten rund 50 Sitzplätze bietet) herzurichten und mit neuen Möbeln zu versehen. Inzwischen wird das Lokal – zumindest bei schönem Wetter an den Wochenenden – auch wieder gern aufgesucht. https://www.echo-online.de/lokales/odenwaldkreis/reichelsheim/reichelsheimer-halt-mundschutz-in-gaststatten-fur-hindernis_21818712
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