13.1.2020
Tourismus: Hängt die Pfalz den Odenwald ab? - Nachrichten aus der Metropolregion Rhein-Neckar - RNZ
Hängt die Pfalz den Odenwald ab? rnz.de/nachrichten/metropolregion_artikel,-tourismus-haengt-die-pfalz-den-odenwald-ab-_arid,491990.html
Von Micha Hörnle Die Pfalz und der Odenwald liegen sich gegenüber – und doch trennen sie Welten. Während der Pfalz-Tourismus – trotz Hochstraßen- und Rheinbrückensperrungen – durch die Decke geht, sieht es im Odenwald eher mau aus. RNZ-Reporter Micha Hörnle begab sich auf Spurensuche und recherchierte, was an dem viel zitierten Satz "Die Pfalz ist voll und der Odenwald leer" dran ist. > Das Wirtschaftswunder Das sind wirklich paradiesische Zustände, gastronomisch gesehen: In einem stillen Seitental im Pfälzer Wald gibt es drei Gasthäuser, die alle noch offen sind: Wer vom Winzerdorf Sankt Martin die Totenkopfstraße in Richtung Elmstein fährt, dann Richtung Iggelbach abbiegt und dem Wegweiser "Stilles Tal/Hornesselwiese" folgt, dem bietet sich nicht nur die absolute Waldeinsamkeit, sondern überraschend viel Gastronomie: In der "Hornesselwiese" hat Gabriele Metzger-Kuß zwar nur noch mittwochs, samstags und sonntags geöffnet – aber das liegt mehr an den fehlenden Arbeitskräften als am mangelnden Zuspruch.
Sankt Martin.
Ihr Erfolgsrezept, schließlich kommen die Gäste aus der gesamten Metropolregion: "Man muss gut sein und dem Gast etwas bieten." Und so gibt es nicht nur Natur pur, sondern auch Tierwanderungen mit den hauseigenen Alpakas. Wer den Grobsbach bergan entlangwandert, kommt
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nach 800 Metern an eine weitere Wirtschaft ("Stilles Tal"), und nach vier Kilometern wartet auf der Kuppe der "Taubensuhl", von dort sind es zur nächsten Ortschaft Eußerthal sechs Kilometer. > Die einstige Perle Noch immer nennt sich Lindenfels die "Perle des Odenwalds", doch davon ist wenig übrig geblieben: Noch bis vor 25 Jahren reihte sich ein Café nach dem anderen in der Burgstraße, die von der B47 zur größten Attraktion des Städtchens führt, der Ruine mit fantastischem Blick über das Weschnitztal nach Weinheim. Heute gibt es hier bis auf ein Eis-Café keine Gastronomie mehr, die alten Kaffeehäuser und Gaststätten sind verlassen oder abgerissen. Michael Helbig ist seit sieben Jahren Lindenfelser Bürgermeister und weiß natürlich um die Misere: "Das hat viele Gründe: Die Wirte und Hoteliers haben wenig investiert. Duschen auf dem Gang, das geht heute gar nicht mehr. Unserem Kurbetrieb machten die Gesundheitsreformen ab den späten Achtzigerjahren den Garaus." Lindenfels Zu allem Unglück machte auch im Sommer 2016 das Luisenkrankenhaus dicht. Und schließlich will kaum einer mehr in der Gastronomie arbeiten, so Helbig: wenig Lohn, unattraktive Arbeitszeiten. Und doch weiß Helbig: "Wir haben schon Potenzial, immerhin haben wir ein Tagescafé. Aber die Entwicklung ist schwierig, wenn nicht alle an einem Strang ziehen." Lindenfels hat sowieso wenig Einflussmöglichkeiten, aber wie so viele Kommunen im hessischen Odenwald ist das Städtchen praktisch pleite, weil es kaum Gewerbe gibt. Und das schlägt auch aufs Gemüt: "Der Bürgerstolz ist schon ein bisschen angeknabbert", sagt Helbig. Aber es gibt auch wieder erste Lichtblicke: "Wir wollen nun den sanften Tourismus bei uns fördern, also den Wanderkurzurlaub", so der Bürgermeister. Auch deshalb soll an der Burg ein Fachwerkhaus gebaut werden, das ein Bistro beherbergt. > Die Touristiker https://www.rnz.de/nachrichten/metropolregion_artikel,-tourismus-haengt-die-pfalz-den-odenwald-ab-_arid,491990.html
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Kornelia Horn von Odenwald-Tourismus ist regelmäßig sauer, wenn man ihr etwas vom "leeren Odenwald" vorheult. "Ich habe das oft als Vorurteil gehört, aber dieser Eindruck ist sehr subjektiv." Denn, so Horn: "Wir stehen nicht schlecht da. Unser Gästeaufkommen ist ziemlich gleich geblieben, es gab keinen Rückgang." Tatsächlich erleben manche Orte einen gewaltigen Ansturm, wie beispielsweise das Felsenmeer im Lautertal, nicht weit von Lindenfels entfernt: "Da kann man fast schon von ,Overtourism’ sprechen." Auch in Michelstadt sei viel los, allerdings nennt auch sie die Zustände in Lindenfels "drastisch".
Felsenmeer Lautertal.
Auf der linken Seite des Rheins lockt man gezielt Wellnesstouristen – wie beispielsweise auch der Schwarzwald. Neben der Südpfalz-Therme in Bad Bergzabern haben in der ansonsten eher menschenleeren Westpfalz, in Dahn, gleich zwei moderne große Hotels den Kampf um die Wellnessgäste aufgenommen: Das "Felsenland" und der "Pfalzblick", "die überbieten sich gegenseitig", freut sich Tobias Knauf von der Pfalz-Touristik. Er kann über seine Region nur Gutes berichten: "Der Tourismus hat in den letzten zehn Jahren einen massiven Zuwachs erlebt: bei den Tagesgästen und den Übernachtungen um 25 Prozent." Mit knapp fünf Millionen Übernachtungen zählt die Pfalz doppelt so viel wie der Odenwald – wo die Zahlen seit Jahren stagnieren (aber immerhin nicht zurückgehen). Mit Wellness hat man es auf der anderen Rheinseite nicht so – wenn man einmal von der Odenwald-Therme in Bad König absieht: "Wir haben eher Familienbetriebe in der Gastronomie, und die sind oft zu klein, um in großangelegte Wellnesslandschaften zu investieren", sagt Horn. Und, auch das gehört zur Wahrheit: Nicht alle Teile der Pfalz sind touristisch aufgeblüht, Pfalz-Experte Knauf sieht zum Beispiel im Leiningerland, der Gegend um Grünstadt, "noch Luft nach oben". https://www.rnz.de/nachrichten/metropolregion_artikel,-tourismus-haengt-die-pfalz-den-odenwald-ab-_arid,491990.html
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Besonders beliebt, und fast schon eine Art "Marke" sind im Odenwald hingegen die Urlaubsbauernhöfe, von denen es 40 gibt. Cheftouristikerin Horn sagt: "Die Stärke des Odenwalds liegt in der Entschleunigung und der Entspannung. Gerade im bayerischen Odenwald kann man noch die Stille erleben."
Neuleinigen.
> Der (fehlende) Wein Niemand sagt es so deutlich, aber die größte Schwäche des Odenwalds ist der fehlende Wein: Die Bergstraße gibt es als Weinanbaugebiet nur in Hessen – die badische Bergstraße gehört seit 1971 zu Baden. Somit halbierte sich die Weinanbaufläche mit dem Namen "Bergstraße" um fast die Hälfte. Die Region ist flächenmäßig das kleinste Weinanbaugebiet Deutschlands. Und, fast schlimmer noch: Das Neckartal fällt fast völlig für den Weinbau aus, wenn man einmal von der kleinen "Insel" der Burg Hornberg in Neckarzimmern absieht. Ganz anders dagegen in der Pfalz, sie ist praktisch ein Synonym für den Wein (und dazu noch Deutschlands zweitgrößtes Anbaugebiet). Vor allem gelang die Übertragung des positiven Images der Weinstraße auf die restliche Pfalz. Touristiker Knauf spricht von der "Strahlkraft des Weins": "Oft wird erst der Wein entdeckt, dann die Landschaft. Man erarbeitet sich also die Pfalz vom Wein her." Und so gibt es in aller Regel auch in den Lokalen der westlichen Pfalz eine sehr ordentliche Weinkarte. Da kann Odenwald-Vermarkterin Horn nur die Segel streichen: "Die Bergstraße ist zur Pfalz kein Vergleich, da zu klein." Aber auch sie weiß: "Weinlandschaften sind generell sehr beliebt." Kleiner Trost für sie: Seit einem Jahr bewirbt sie den Odenwald und die Bergstraße gemeinsam. > Die Genussregion
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Während die Pfalz momentan bei der Kombination "Natur und Genuss" punktet, tut sich der Odenwald schwer – trotz gelegentlicher Versuche, eine regionale Küche zu etablieren. Vor allem die kulinarische Versorgung der jährlich 20 Millionen Tagestouristen ist eher lückenhaft, während es in der Pfalz ein dichtes Netz an Hütten gibt; im Odenwald ist nur die Stiefelhütte bei Siedelsbrunn ganzjährig bewirtschaftet. Touristikerin Horn will das nicht so stehen lassen: "Wir haben solche Angebote auch, nur wir nennen sie nicht Hütten." Und doch: Selbst in der Gastronomie liegt die Pfalz, zumindest an der Weinstraße, deutlich vor den rechtsrheinischen Nachbarn – auch wenn man es vielleicht nicht ganz so übertreiben muss wie Kallstadt: Das 1200Einwohner-Dorf bei Bad Dürkheim zählt 21 (!) Lokale. Wie schaffen es die Wirtschaften zu überleben? Vielleicht sind Pfälzer geselliger als Odenwälder. Knauf meint: "Das ist tief in den Leuten drin, in die Wirtschaft zu gehen. Nur von den Touristen können nur ganz wenige Betriebe leben." > Die Ursprünglichkeit Das heutige Glück der Pfalz ist ihre einstige Armut: Bis auf das Zentrum Ludwigshafen wurde sie längst nicht in dem Maße industrialisiert wie die Bergstraße, die von Darmstadt bis Heidelberg im Grund eine Kette von mittelgroßen Städten ist – während an der Weinstraße die Dörfer dominieren. Dort hat sich eine gewisse Ursprünglichkeit gehalten, die es im wohlhabenderen und industrialisierten Baden und Südhessen so nicht mehr gibt. Was nichts daran ändert, dass es auch rechtsrheinisch einige besonders hübsche Altstädte gibt – wie Weinheim, Heppenheim, Michelstadt und Erbach. Unter den Dörfern sticht der Lindenfelser Ortsteil Schlierbach mit seinen vielen Fachwerkhäusern heraus; und in dem 600Einwohner-Dörfchen gibt es sogar drei Lokale und ein Café. > Das Image Während man den Pfälzern eine starke Identität nachsagt, fehlt die bei den Odenwäldern – auch wenn manche Autos der Aufkleber "Ich bin ein Odenwälder" ziert. Der war vor sechs Jahren eine Reaktion auf einen Zeitungsartikel über die angebliche "Odenwald-Hölle". Die Odenwälder https://www.rnz.de/nachrichten/metropolregion_artikel,-tourismus-haengt-die-pfalz-den-odenwald-ab-_arid,491990.html
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haben vor allem zwei Probleme: Ihre Region ist auf drei Bundesländer aufgeteilt, und sie leiden unter dem Eindruck, dass der Tourismus in ihrer Region schwächelt. Das regt Touristikerin Horn auf: "Ich erlebe so oft diese subjektive Wahrnehmung, dass alles woanders besser läuft. Die Odenwälder haben eine negative Einstellung zu sich. Das muss sich ändern. Sie sollen stolz auf sich werden!" Nun plant sie eine ImageKampagne – zur Hebung des angekratzten Selbstwertgefühls.
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