26.6.2021
Wie Bürokratie Corona-Impfungen im Odenwaldkreis ausbremst
Wie Bürokratie Corona-Impfungen im Odenwaldkreis ausbremst echo-online.de/lokales/odenwaldkreis/odenwaldkreis/wie-burokratie-corona-impfungen-im-odenwaldkreisausbremst_23991357 25. Juni 2021
Von Katja Hink
Odenwaldkreis Freitag, 25.06.2021 - 16:53 Verwaltungsaufwand und kaum planbare CoronaImpfstoffzuteilung bremsen die Arztpraxen im Odenwald aus. Dazu kommt ein hoher Beratungsaufwand, da die Patienten verunsichert sind.
Der promovierte Internist Thomas Eisenhauer vom Ärztezentrum in Bad König impft eine Patientin. (Archivfoto: Dirk Zengel)
ODENWALDKREIS - Wer versucht, bei Hausarztpraxen telefonisch durchzukommen, der braucht Geduld. Manche haben bereits Ansagen geschaltet, um die Anliegen der Anrufer vorzusortieren, aber selbst damit ist die Erreichbarkeit nicht garantiert. Ein Grund sind die zahllosen Anfragen in Verbindung mit der Corona-Impfung. „Das Telefon klingelt ununterbrochen“, sagt der Allgemeinmediziner Bernhard Wagner, der gemeinsam mit Jan Bruun das Hausarztzentrum mit Standorten bei Beerfelden und in Erbach betreibt. Auch bei ihm werden die Anrufe nach Anliegen https://www.echo-online.de/lokales/odenwaldkreis/odenwaldkreis/wie-burokratie-corona-impfungen-im-odenwaldkreis-ausbremst_23991357
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vorgefiltert. Eigentlich gefällt dies dem Allgemeinmediziner überhaupt nicht, denn er ist der Meinung „wenn ich bei meinem Hausarzt anrufe, dann will ich persönlich mit der Praxis sprechen.“ Aber anders wissen er und die sieben Mitarbeiterinnen an den beiden Standorten nicht mehr, wie sie der Anrufflut Herr werden sollen. Den Anrufern gehe es darum, dass sie wegen der nahenden Urlaubszeit so schnell wie möglich gegen das Virus geimpft werden wollen und wie sie es vermeiden können, mit Astrazeneca geimpft zu werden. „Die Leute werden verunsichert“, sagt er mit Blick auf die Politik und die Diskussion um die Impfstoffe. Manche wollten auch ihren Termin verlegen und zeigten dann wenig Verständnis dafür, dass die Praxis nicht jederzeit impfen kann, was wiederum in der vorgegebenen Logistik begründet liegt.
Rigide Zuteilung von Impfstoff Seit April seien in dem Hausarztzentrum über 1000 Corona-Impfungen verabreicht worden, berichtet Wagner. Bereits im April hatte sich der Mediziner für die Schließung der Impfzentren ausgesprochen, allerdings unter der Voraussetzung, dass diese „überbordende Bürokratie“ abgebaut und die „Zuteilungsmentalität“ beim Impfstoff, die Wagner an Planwirtschaft denken lässt, beendet wird. „Wenn die Impfzentren zumachen und die Vergabementalität weiter so ist, dann schaffen wir Ärzte das nicht, das ist klar, dann können wir nichts anderes mehr tun“, betont Wagner mit Blick auf das jetzt angekündigte Ende der Impfzentren. Zwar würden die Ärzte dann den frei werdenden Impfstoff bekommen, aber auch die gesamte Bürokratie, die jetzt in den Impfzentren erledigt werde.
Verknüpfte Artikel Biontech-Impfstoff: Studie zu Langzeitfolgen heiß diskutiert Wird jede positive Corona-Probe auf Delta untersucht? „Der Odenwaldkreis könnte nachsteuern“ Odenwaldkreis: Baden am Marbachstausee ist nun erlaubt „Wir wären in der Lage, das zu schaffen, wenn wir die Mengen bekommen, wie wir sie wollen und an den Tagen, an denen wir sie brauchen, wenn wir in Eigenregie handeln können“, betont Wagner, der auch Vorsitzender des Bezirks Odenwald im Hausärzteverband ist. Und er weist noch auf ein weiteres Problem hin, das gegen eine Schließung der Impfzentren spricht: Nicht jeder habe einen Hausarzt. Aber die meisten Praxen impfen aus Kapazitätsgründen eben nur ihre eigenen Patienten. Die anderen hingen dann in der Luft.
Allgemeinmediziner: Pandemie ist ein Regierungsproblem
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„Pandemie ist immer ein Regierungsproblem“, betont Wagner. Aber die Probleme, die sich daraus ergeben, die wolle die Politik nicht angehen, kritisiert er. Die Politik müsste vielmehr alles tun, um die Reibungsverluste abzuschaffen. „Aber aus Berlin hört man nichts“, zeigt sich Wagner durchaus verärgert. „Unter diesen Voraussetzungen schaffen wir das nicht“, betont er. Zumal es nicht die Frage sei, ob die Mediziner im Herbst gegen Corona impfen werden, „wir werden impfen müssen“, ist er sich sicher. Ähnlich sieht dies der promovierte Allgemeinmediziner Michael Schiener aus einer Michelstädter Gemeinschaftspraxis mit sechs Ärzten. Auch er sieht einen hohen bürokratischen Aufwand und beklagt die umständliche Impfstoffzuteilung, bei der die Praxen nie wissen, ob sie die bestellte Menge auch bekommen – was wiederum zur Folge habe, dass Impftermine mit großem Aufwand umorganisiert werden müssen. Er fügt aber noch einen weiteren Aspekt hinzu: Die Vergütung liege derzeit bei 20 Euro pro Impfung, und das sei wirtschaftlich für die Praxen kaum darstellbar. Wenn die Vergütung höher wäre, Schiener nennt 35 bis 40 Euro, dann wäre es möglich, beispielsweise noch zusätzliches Personal zu engagieren und die Impfzeiten auszuweiten. Die Ärzte wollen impfen und sie können mit Bürokratie umgehen, betont er, das sei das Kerngeschäft einer Arztpraxis. „Wir impfen, auch wenn die Bedingungen nicht so sind, wie wir uns das wünschen. Schließlich sind wir alle froh, wenn die Pandemie vorbei ist“, betont Schiener. In seiner Praxis seien seit April rund 1500 Dosen verimpft worden. Zu Beginn hatten sie Impfaktionen, inzwischen gibt es feste Termine mittwochs am Abend und freitags ab 11 Uhr, schildert Schiener. Auch hier werden die eigenen Patienten geimpft. Derzeit seien sie noch bei der dritten Priorisierungsgruppe. Wenn die Bedingungen stimmen würden, so der Mediziner, und sie das Impfen „über alle Schultern verteilen“, dann könnten sie pro Woche gut 150 Patienten impfen. Er betont: „Wir machen das gerne, wir haben Corona gut gemeistert.“ Aber Schiener sieht auch die Gefahr, dass im Herbst die Impfzentren geschlossen werden, sich für die niedergelassenen Ärzte aber nichts ändern wird, weder am Aufwand, noch an der Impfstoffzuteilung oder an der Honorierung. Wenn dann noch die Grippeimpfung komme, dann werde die Bereitschaft, gegen Corona zu impfen, sinken, befürchtet Schiener.
Zwischenzeitlich muss gegen Grippe geimpft werden „Wir ziehen das jetzt durch bis September, dann sehen wir, wie es weitergeht“, sagt Thomas Eisenhauer, promovierter Internist und Mitgründer des Bad Königer Ärztezentrums mit Dependance in Fränkisch-Crumbach mit Blick auf die von Bund und Land angekündigte Schließung der Impfzentren. Er hofft, dass die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt, die Auffrischungsimpfung erst nach zwölf https://www.echo-online.de/lokales/odenwaldkreis/odenwaldkreis/wie-burokratie-corona-impfungen-im-odenwaldkreis-ausbremst_23991357
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Monaten zu verabreichen, denn ab Januar könnten die Corona-Impfungen in der Praxis fortgesetzt werden. Dazwischen werde die Zeit für die Grippeimpfung gebraucht, die ab Oktober beginnt. Im vergangenen Jahr seien in der Praxis 2200 Grippeimpfungen verabreicht worden. Die Grippeimpfung könne zwar sozusagen im Vorbeigehen gegeben werden, aber Corona- und Grippeimpfung parallel laufen zu lassen, das „könnte schwierig werden“, so der Mediziner. Denn der logistische Aufwand für die Corona-Impfung sei ungleich höher als für die Grippeimpfung, die fertig zubereitet geliefert wird. Für Biontech beispielsweise müssen sechs bis sieben Patienten zusammenkommen, damit kein Impfstoff verfällt. Zusätzlich führe die Praxis von Anfang an eine Nachrückerliste mit Personen, die schnell herbeitelefoniert werden können, sollte jemand den Impftermin nicht wahrnehmen. Dazu kommen Diskussionen mit Patienten über den Impfstoff und den Impftermin und vieles mehr, „das Telefonaufkommen ist sehr hoch“, gibt Eisenhauer zu. Das wirke sich auch bei ihm auf die Erreichbarkeit aus, obwohl in Bad König drei und in Fränkisch-Crumbach zwei Mitarbeiterinnen ausschließlich Telefondienst machten. In dieser Woche werden im Ärztezentrum noch Zweitimpfungen mit Astrazeneca verabreicht, informiert der Mediziner. Erstimpfungen gebe es so gut wie keine. Aufgrund des Quartalswechsels und der deswegen anfallenden Verwaltungsarbeiten werde vom 28. Juni bis 7. Juli nicht geimpft.
Bis zu 600 Impfungen an einem Tag Inzwischen entfallen zwei Drittel auf Zweitimpfungen, führt Eisenhauer weiter aus. Das Ärztezentrum verfüge an den beiden Standorten Bad König und FränkischCrumbach über 14 Ärzte und zahlreiche Helferinnen und könne, wenn sie komplett besetzt sind, bis zu 600 Impfungen an einem Tag verabreichen: 150 an einem Nachmittag in Fränkisch-Crumbach und rund 400 in Bad König. Inzwischen seien aber ohnehin fast alle ihrer Patienten mit dem Vakzin versorgt. Menschen, die keine Patienten der Praxis sind, wurden nur in Einzelfällen geimpft. Auch wer einen Termin im Impfzentrum hatte, dem wurde geraten, den Termin dort wahrzunehmen. „Alles andere ist nicht leistbar.“
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