Woher kommen die vielen #Corona-Fälle aus dem Odenwaldkreis?

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Woher kommen die vielen Corona-Fälle aus dem Odenwaldkreis?

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Das Gesundheitszentrum des Odenwaldkreises in Erbach (hier der inzwischen streng kontrollierte Zugangsbereich) ist durch die Vielzahl erkannter Corona-Erkrankungen im Odenwaldkreis zu einem der deutschlandweiten Brennpunkte der medizinischen Versorgung von Corona-Patienten mit all ihren Belastungen für die Belegschaft geworden. Foto: Dirk Zengel

In kaum einer anderen Region Deutschlands sind in den vergangenen Tagen so viele Menschen mit einer nachgewiesenen Corona-Infektion gestorben wie im Odenwaldkreis, der zudem die höchste Quote an aktenkundigen Covid-19-Patienten für ganz Hessen aufweist. Beides wiederum steht in Beziehung zu einer ausgeprägten Ausbreitung der Infektion in die stationäre Altenpflege. Grund genug für eine detaillierte Anfrage dieser Zeitung an die Kreisverwaltung, wo bei Landrat Frank Matiaske und dem Leiter des Kreisgesundheitsamts, Ulrich Falk, die Fäden des Sonderstabs zur Bewältigung der Corona-Krise zusammenlaufen. Wie kommt es, dass im Odenwaldkreis die Zahl der Corona-Erkrankungen und Todesfälle weit über denen im restlichen Hessen liegt und tageweise sogar deutschlandweit vorne rangiert? Hier ist zuerst daran zu erinnern, dass der Odenwaldkreis als einziger hessischer Kreis an die beiden stark belasteten Bundesländer Bayern und Baden-Württemberg angrenzt. Dazu kommt als Besonderheit die Vielzahl von Erkrankungen in unseren Altenheimen. Das hat auch die Gesamt-Fallzahlen für das Kreisgebiet stark angehoben, weil bei uns Heimbewohner in den betroffenen Einrichtungen früh getestet wurden. Die Statistik weist aus, dass es im Odenwaldkreis überproportional viele Tests in höheren Altersgruppen

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gibt. Daraus schließen wir, dass es in anderen Landkreisen eine höhere Dunkelziffer gibt. Menschen, die dort versterben, ohne vorher getestet worden zu sein, tauchen in der Statistik nicht auf. Hat das Gesundheitsamt nach Auftreten der Fälle in den Altenheimen Ermittlungen dazu aufgenommen, wie das Virus dort eingeschleppt wurde? Wie das Virus in die Pflegeheime eingetragen wurde, lässt sich mittlerweile aufgrund der Virusverbreitung in der Bevölkerung so nicht nachverfolgen. Möglicherweise gab es eine Ansteckung über Kontaktpersonen, die zwar infiziert waren, aber keine Symptome zeigten. Das können theoretisch viele Personen gewesen sein, denn in einem Pflegeheim herrscht normalerweise reges Treiben. In Frage kommen können Angehörige und Besucher genauso wie Krankentransportdienste, zum Beispiel Taxen, Pflegepersonal oder auch Behandlungen bei Fachärzten außerhalb von Einrichtungen.

Weiterführende Links Coronavirus: Die Entwicklungen in Rheinland-Pfalz und Hessen Wäre der Kreis der Risikoträger nicht mit regelmäßigen Tests einzugrenzen gewesen und künftig einzugrenzen? Die immer wieder zu hörende Forderung nach einem durchgängigen Test für alle Bewohner und das ganze Pflegepersonal eines Heims hat keinen Sinn, denn ein Test ist immer nur eine Momentaufnahme. Jemand der heute negativ getestet aber schon infiziert wurde, kann erst morgen oder übermorgen im Test positiv werden. Ein solch symptomlos Infizierter meint aufgrund des negativen Testergebnisses, gesund zu sein und verbreitet jedoch das Virus maßgeblich. Lässt sich dennoch etwas darüber sagen, woher oder von wem Altenheime in besonderem Maße Infektionen drohen? Nein, da kommen alle bereits genannten Vorgänge gleichermaßen in Frage. Besondere Risikoträger sind im Allgemeinen jene, die zwar infiziert sind, aber keine Symptome zeigen. Deswegen sind die allgemein geltenden Kontaktbeschränkungen und Vorsichtsmaßnahmen ja so wichtig. Mit der zunehmenden Verbreitung des Virus in der Bevölkerung steigt auch die Ansteckungsgefahr. Wirken an den Nachforschungen und Konsequenzen auch weitere Stellen mit (Heimaufsicht des Landes Hessen, Sozialministerium, Robert-Koch-Institut)? Das Robert Koch-Institut ist insofern beteiligt, als sich das Gesundheitsamt beim Management eines Virus-Ausbruchs in einem Pflegeheim nach den Vorgaben des Instituts richtet. Über die Ausbrüche von Infektionen mit dem Corona-Virus werden sowohl die Heimaufsicht als auch das Sozialministerium informiert. Die Heimaufsicht

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wiederum stellt aktuell ihre Erkenntnisse über den Gesundheitsstatus von Bewohnern und Pflegepersonal sowie die Aufnahme-Kapazitäten dem Corona-Verwaltungsstab im Landratsamt zur Verfügung. Er wird geleitet von Landrat Frank Matiaske; dem Stab gehören Vertreter alle relevanten Stellen der Verwaltung an. Gibt es gegebenenfalls schon Zwischenergebnisse oder endgültige Erkenntnisse? Da es regelrechte Nachforschungen aus den zuvor genannten Gründen nicht geben kann, liegen hierzu auch keine Erkenntnisse vor. Die Konsequenzen eines Ausbruchs führen zu einem strikten Krisenmanagement des Gesundheitsamts, das detailliert festlegt, wie und vor allem mit welchen Schutzmaßnahmen das Pflegepersonal in einem Pflegeheim arbeitet, muss und wie Bewohner sinnvoll voneinander getrennt werden können, sodass die Verbreitung des Virus so weit wie möglich eingedämmt werden kann - unter den Bewohnern, aber auch zwischen den Bewohnern und dem Personal. Gilt für alle Heime im vollen Umfang die beim ersten Fall getroffene Feststellung, dass nicht gegen Hygiene-Richtlinien und Sicherheitsverordnungen verstoßen wurde, hier vor allem auch im Hinblick auf Besuche und externe Dienstleistungen? Pflegeheime unterliegen einer mehrfachen Kontrolle: durch das Gesundheitsamt, den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) und die Heimaufsicht. Haben der MDK und die Heimaufsicht Beanstandungen, informieren sie das Gesundheitsamt. Das Gesundheitsamt hat keine Kenntnisse über Versäumnisse oder Verstöße in den fünf ganz oder teilweise unter Quarantäne stehenden Heimen. Wie steht es um die Ausstattung von Mitarbeitern der stationären Altenpflege mit Schutzausstattung (Masken, Anzüge) - sowohl im Blick auf den Zeitraum der vergangenen drei Wochen als auch in der Gegenwart? Für die Ausstattung mit Schutzmaterialien sind zunächst die Heim-Betreiber zuständig. Angesichts des Ausmaßes der Krise ist die Ausstattung nicht optimal. Der Odenwaldkreis hat allerdings gehandelt und über den Ärztlichen Leiter Rettungsdienst eine Zentrale Bewirtschaftung von Schutzmaterialien organisiert, sodass im Notfall auf Engpässe mit Schutzmaterialien in den vom Virus-Ausbruch betroffenen Heimen schnell reagiert werden kann. Im Blick sind dabei auch die nicht von einem Virus-Ausbruch betroffenen Alten- und Pflegeheime. Es gab bereits zwei Lieferungen von Materialien, die vom Bund und vom Land oder aus einer dieser Quellen kamen und über uns an Pflegeheime und ambulante Pflegedienste verteilt wurden. Eine dritte Lieferung ist avisiert, sie ist auch für die Jugend- und die Behindertenhilfe gedacht.

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Ist das Fehlen von Schutzmitteln gegebenenfalls auf eigene Versäumnisse der Einrichtungen (etwa bei der rechtzeitigen Bestellung von Masken) oder auf die nicht ausreichende Versorgungssicherung von oben (Bundesgesundheitsministerium, Kassenärztliche Vereinigung, Heimaufsicht oder vergleichbare Stellen) zurückzuführen? Wie gesagt: Für die Ausstattung mit Schutzmaterialien sind zunächst die Betreiber von Einrichtungen zuständig. Dasselbe gilt beispielsweise auch für Arztpraxen, Physio- oder Ergotherapeuten. Es gab und gibt keine Auflagen des Gesetzgebers zur Bevorratung von Schutzmaterialien. Eine solche Bevorratung über ein Normalmaß hinaus zu gewährleisten, ist angesichts der begrenzten Lagerkapazitäten und der limitierten Haltbarkeit, die auch für Schutzmaterialien mit einem festen Datum verbunden ist, zugegebenermaßen auch nicht einfach. Wie ist es um die Testung von Mitarbeitern der stationären Altenpflege für den Zeitraum der vergangenen drei Wochen sowie in der Gegenwart bestellt - und zwar sowohl mit Blick auf die Häuser mit Corona-Infektionen als auch mit Blick auf die nicht betroffenen Einrichtungen? Testungen werden aus den bereits genannten Gründen nicht flächendeckend durchgeführt, sondern anlassbezogen. Das heißt dann, wenn jemand Krankheitssymptome zeigt. Das Gesundheitsamt richtet sich hierbei ebenfalls nach den Vorgaben des Robert Koch-Instituts. Zeichnen sich nach Ihrem Dafürhalten ähnliche Risiken für die Behindertenwohnstätten im Kreis (Awo, Nieder-Ramstädter Heime) ab - und wie sieht es dort mit Schutzmitteln aus? Die Gefahr eines Virus-Eintrags ist auch für diese Einrichtungen nicht auszuschließen (Gleiches gilt im Übrigen für Firmen oder im häuslichen Umfeld). Der dringende Rat lautet, dass auch sie die gängigen Vorsichts- und Hygienemaßnahmen strikt einhalten. An dieser Stelle sei jedoch verdeutlicht, dass es sich bei diesen Einrichtungen der Behindertenhilfe um sogenannte Gemeinschaftseinrichtungen handelt. Daher müssen sie nicht den Hygiene-Standard einer medizinischen oder Pflege-Einrichtung sicherstellen. Natürlich gelten auch für diese Einrichtungen die Vorgaben des Infektionsschutzgesetzes. Dies würde bei einem Ausbruchsgeschehen zur Meldung des Ausbruchs an das Gesundheitsamt führen, welches dann gemeinsam mit der Einrichtung das Ausbruchsmanagement festlegen würde.

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