TRAFFIC News to-go #13 - All about books issue

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Ausgabe N°13 • März /April 2011 • Jahrgang 2 • trafficnewstogo.de

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Michel Houllebecq kommt nach Berlin Was hat man Michel Houellebecq nicht alles vorgeworfen! Man hat ihn als Rassisten, Frauenhasser, Hitler-Verharmloser und Reaktionär beschimpft, der zwar fernöstliche Bordelle preisen, aber den Islam verunglimpfen würde. Zudem wäre er auch noch stilistisch schwach. Seine zahlreichen Anhänger schert dies wenig: Der Mann mit dem schütteren Haar, der stets in seinem zum Markenzeichen gewordenen Parka zu versinken droht, ist der meistgelesene französische Schriftsteller seiner Generation… von Marc Hairapetian

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Contributors

Ausgabe N°13 • März /April 2011 • Jahrgang 2 • trafficnewstogo.de

Contributors

DR. Ulrich Gries

Jeanette Hepp

Jackie Hardt

Dr. Ulrich Gries, Jg. 1968, wuchs in Münster auf und lebt als Autor, Hochschuldozent und Unternehmer in Berlin. Hierher zog er 1998 zum Promotionsstudium. Parallel gründete er den Hollandradspezialisten „zweitrad.de“. 2005 erschien „Berlin per Rad entdecken“ im BVA. Seitdem hat er zahlreiche Vorträge zum Thema Fahrrad, Kultur und Tourismus gehalten. Von 2008 bis 2010 war er als Professor für Tourismus (WHV) tätig und ist bis heute Dozent an der HWR in Berlin. Im Mai eröffnet er in Berlin Mitte sein neuestes Projekt: Prêt-à-Vélo.

Trends nicht nur zu erkennen, sondern diese auch zu beeinflussen, ist Ziel der Arbeit von Jeanette Hepp. Mit Stationen in Berlin und New York hatte sie als Fashion Director für das internationale Kunst- und Modemagazin sleek die perfekte Plattform, ihr einzigartiges Auge für Stil und Mode als Tool für Fotostrecken und Konzepte zu nutzen. Nach fünf Jahren schlug sie einen neuen Weg ein und ist nun freie Beraterin für Modeunternehmen und -agenturen, und zudem PR-Verantwortliche für APROPOS The Concept Store. www.jeanettehepp.com

Jackie Hardt arbeitete international als Schauspielerin und Model, bevor sie erfolgreich selbst die Kamera in die Hand nahm. Hauptsächlich konzentrieren sich ihre photographischen Arbeiten auf Potraits, Beauty- und Modeaufnahmen. Ihre Werke wurden u. a. in Elle, Vanity Fair, Rolling Stone, Stern und Schön! veröffentlicht, sowie in Deutschland, Paris und London ausgestellt. Im April 2011 erscheint im Rahmen eines Charity Projekts im Kehrer Verlag ein Buch mit Portraits von ihr.

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T R A F F I C N E W S TO - G O AU S GA B E No.14

TH E ART I SS U E Coming in April – May


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Zeitgeschehen

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Die ausgesetzte

Republik von Torsten Denkler Politik muss mehrheitsfähig sein. So gesehen ist jede Wahl ein Stresstest für die Regierenden. Haben sie ihren Job gut gemacht? Die einzigen, die eine legitime Antwort darauf geben können sind die Wähler. Die Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland Pfalz waren nicht nur Stresstests für die jeweiligen Landesregierungen. Sie waren vor allem ein Stresstest für die schwarz-gelbe Regierungskoalition im Bund. Hier mussten sich Merkel und Westerwelle verantworten. Die Kanzlerin und ihr Vize, die Parteivorsitzenden von CDU und FDP. Die Antwort der Wähler ist eindeutig: Die können es nicht. Diese Position ist inzwischen mehrheitsfähig in Deutschland. Zu offensichtlich ist das Gemurkse, zu himmelschreiend der Dilettantismus, mit dem diese Bundesregierung zu Werke geht, als dass die Bürger darauf noch reinfallen würden. Statt zu führen, statt Visionen zu entwickeln, hat schwarz-gelb einfach alles ausgesetzt, was Probleme bereiten könnte. Die Wehrpflicht ausgesetzt, statt sie einfach abzuschaffen. Die Atomkraft per Moratorium ausgesetzt, statt die einzig richtige Antwort auf Fukushima zu

geben: Schnell raus aus dieser lebensfeindlichen Technologie, die keine Vorteile hat außer billigen Strom zu liefern. Selbst Steuersenkungen: Statt sie ehrlicherweise als unmöglich zu begraben und sich auf Steuervereinfachung zu konzentrieren: einfach ausgesetzt. Bis zu dem Tag, an dem es dafür „Spielräume“ gibt. Abgesehen davon, dass es die nicht geben kann, solange das Land einen Schuldenberg von bald 2 Billionen Euro vor sich her schiebt: Wer in diesem Land freut sich eigentlich über ein paar Euro mehr in der Tasche, wenn es nicht genügend Lehrer, Polizisten und Lebensmittelüberwacher gibt? Wenn die Straßen schlecht sind, die Kitas ab mittags zu und das Schwimmbad geschlossen ist? Merkel und Westerwelle sitzen nicht aus, sie setzen aus. Gut möglich, dass Merkel höchstselbst Karl Theodor zu Guttenberg den Tipp gegeben hat, mal eben seinen Doktortitel auszusetzen, bis die Lage geklärt ist. Zum Glück hat sich die Lage mit seinem Rücktritt dann sehr schnell geklärt. Es bleibt das Kernproblem dieser Regierung: Schon am Tag nach dem klaren und nicht min-

der überraschenden schwarz-gelben Wahlsieg 2009 war die Luft raus. Keiner der Beteiligten kann heute mit einem Satz erklären, warum ausgerechnet Union und FDP das Land regieren müssen. Themen gäbe es genug: Die Probleme, die sich aus dem demographischen Wandel ergeben, sind nicht im Ansatz geklärt. Die Einkommensunterschiede zwischen Ost und West, zwischen Frauen und Männern bestehen fort. Der Niedriglohnsektor ist so aufgebläht, dass manche Menschen drei Jobs brauchen um ein halbwegs auskömmliches Leben zu haben. Von den Problemen mit und um Hartz IV ganz zu schweigen. Stattdessen verlängert die Regierung ohne Not die Laufzeiten für Atomkraftwerke, was ihr jetzt zu Recht wieder vor die Füße fällt. Oder sie verabschiedet eine Gesundheitsreform, die als die gefühlte 128. in den vergangenen zehn Jahren keinen nachhaltigen Erfolg haben wird. In Wahrheit hat Merkel auch dieses Thema einfach nur ausgesetzt. Zu einem klaren Bekenntnis für oder gegen die Kopfpauschale war und ist sie nicht bereit. Dann lieber Mischmasch-Murks der versucht es allen recht zu machen, mit dem aber keinem geholfen ist.

Für den Weg des geringsten Widerstandes geben Merkel und Westerwelle sogar eherne Grundsätze ihrer Parteien auf. Eines der Dogmen war bisher: Das Westbündnis mit den ehemaligen Befreiern vom Nationalsozialismus USA, Frankreich und Großbritannien ist unantastbar. Und jetzt: Deutschland enthält sich im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, als es um die Resolution gegen Libyen geht. Statt an der Seite der drei Verbündeten steht Deutschland an der Seite von China, Russland und Brasilien. Alles nur, damit Außenminister Guido Westerwelle sich vor den Landtagswahlen als Friedensminister profilieren kann. Außenpolitik ist ausgesetzt. Eine Änderung dieser politischen Verweigerungshaltung der Bundesregierung ist nicht in Sicht. Schwarz-gelb werde wohl weiter vor sich hin erodieren, schrieb kürzlich Kurt Kister in der Süddeutschen Zeitung. Das allein müsste einen nicht bange machen. Dummerweise aber tragen Merkel und Westerwelle Verantwortung für das ganze Land. Wäre schön, wenn sie langsam anfingen, sie auch wahrzunehmen. zeitgeschehen@trafficnewstogo.de


Zeitgeschehen

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erwiesen hat, um unliebsame Sonnenkönige zu stürzen: Sie erkannte Gaddafi die Doktorwürde ab.

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Braucht Narrenkappen

Der März in drei Akten

von Greta Taubert, Leipzig Macht Narrenkappen Wenn sich ein Mann freiwillig verrückte Hüte aufsetzt, kann man davon ausgehen, dass er das auch braucht. Zum Beispiel um von der Verrücktheit im Kopf abzulenken. Bestes Beispiel dafür ist der Designer John Galliano. Mit seinen Federkappen, Kapitänsmützen, Zylindern, Kronen und Piratenhüten, die er nicht nur für andere schneidert, gilt der 50-Jährige als das letzte Enfant terrible in der Modeindustrie. Exzentrisch, fragil, fantasievoll. Vierzehn Jahre schneiderte Galliano für Dior zweistellige Umsatzsteigerungen. Jetzt hat sich der Paradiesvogel selbst abgeschossen. Ein Video tauchte auf von ihm. Da sitzt er – mit wolligem Schiffchen auf dem Kopf – in einer schummrigen Pariser Bar. In seinen Augen schwimmen die Drinks, in seinen Händen zit-

tert eine Zigarette. Er unterhält sich mit einem Ehepaar, das – wie man das offensichtlich bei leichtem Smalltalk mit betrunkenen Fremden heute so macht – eine Kamera aufgestellt hat. Galliano lallt: „Ich liebe Hitler“ und: „Menschen wie Sie, ihre Mütter und ihre Vorfahren sollten alle tot sein!“ Daraufhin war die ganze Celeb- und Design-Szene sehr schockiert und distanzierte sich von dem schwulen, aus einer Roma-Familie stammenden NS-Freund. Dass Sympathiebekundungen mit Hitler unbedingt zu vermeiden sind, ist doch nun wirklich schon unter der letzten Narrenkappe angekommen. Trägt Narrenkappen Sogar unter der von Libyens Diktator Muammar al-Gaddafi. Der trägt zwar auch ganz gern knallbunte Kostüme, erscheint zu Staatsempfängen in Highheels oder schminkt sich wie eine Barbie. Aber er hat zumindest in dem

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legendären Interview mit der Starjournalistin Oriana Fallaci 1979 eindeutig festgehalten: „Das Volk liebt mich, weil ich das Gegenteil von Hitler bin.“ Das kam gut an im Westen. Als er sich vor einigen Jahren dann sogar vom gefährlichen Terroristenunterstützer zum Terroristenkampf-Unterstützer wandelte, schüttelten sie ihm alle die Hand: Blair, Bush, Schröder. Jetzt schütteln sie in der westlichen Welt wieder alle den Kopf, weil Gaddafi eben noch immer genauso paranoid, grausam und egozentrisch ist wie eh und je. Jeden Tag töten angeheuerte Söldnertruppen dutzende Oppositionelle, tausende Libyer sind auf der Flucht, das Land versinkt im Chaos. Noch ist trotz NATOBeschluss umstritten, wie denn der „König der Könige Afrikas“ zu bezwingen sei. Da ist ausgerechnet die Universität Khartum aus dem Sudan mit einem Mittel vorgeprescht, dass sich zum Beispiel in Deutschland als wirksam

Wie schmerzhaft das sein muss, deswegen sein politisches Amt zu verlieren, hat die deutsche Öffentlichkeit ja hinreichend am Fall KT zu Guttenberg studieren dürfen. Dass es aber mindestens genauso schmerzhaft sein muss, einen Ministerposten anzutreten, zeigt die Besetzung des Innenministers mit HP Friedrich. Der CSU-Mann ohne Eigenschaften aus dem fränkischen Hof wollte eigentlich nur eine schöne Zeit als Landesgruppenchef in Berlin haben, als ihn ein Anruf von Horst Seehofer hochschreckte. Laut SPIEGEL lief das Gespräch etwa so ab: Horst: „Willst du Innenminister werden?“, HP: „Nein.“, Horst: „Musst du aber, sonst verliert die CSU ein Ministerium.“, HP: „Da würde ich erst gern meine Frau fragen.“, Horst: „Hier redet jetzt niemand mehr mit seiner Familie. Du machst das jetzt.“ Man weiß nicht, ob es letztlich der Familienrat war, der HP Friedrich gern wieder zuhause haben wollte und ihm deshalb zum politischen Harakiri geraten hat. Es dauerte jedenfalls nur genau 90 Minuten bis der eingesetzte – unter anderem für Integrationsfragen zuständige – Minister sich in den metaphorischen Führerbunker setzte. Er sagte, der Islam gehöre nicht zu Deutschland. Huuu, das war ein böser Schreck, der da durch Islamverbände, Opposition und vor allem durch den Präsidenten Christian Wulff gefahren ist, der ja noch im Oktober gesagt hat: Der Islam gehört zu Deutschland. Wie soll man denn die Kehrtwende jetzt verstehen? Hätte HP bei seiner Rede nicht wenigstens einen Hut aufsetzen können? Vielleicht von John Galliano?

„konvertiert zu qwertz“ Sind wir noch zu retten? Ja, alles in Butter Von Carina Groh, Köln Es ist schön, Freunde zu haben. Entsetzlicherweise schafft es mich außerdem sehr. Dauernd haben sie Geburtstag, verändern aus überhaupt keinem Grund ihr Erscheinungsbild, ziehen mit irgendeinem neuen Lebenspartner zusammen oder gehen zum Arbeiten ins Ausland. Ohne

meine Kommunikationszentrale Internet hätte ich schwer an der sukzessiven Degeneration meines sozialen Umfeldes zu knabbern, weil mir aus irgendeinem Grund Zeit, Geduld und Energie fehlen, um offline am Ball zu bleiben. Zürich, New York, Berlin: Mir fehlt sowieso auch das Geld für regelmäßige Abstecher zu meinen Freunden. Weil ich einen Großteil also nicht einfach nach Hause einladen und ihnen Mandeltorte mit Brombeersoße servieren

kann, gibt es für mich keine Alternative und kein schlagendes Argument contra Facebook & Co. – alleine schon deswegen nicht, weil Freunde grauenhaft beleidigt sind und sie es auf den Tod nicht ausstehen können, wenn man ihren Geburtstag vergisst. Netterweise teilt mir das Soziale Netzwerk früh genug und bei Bedarf auch per SMS auf’s Handy mit, wann ich wem gratulieren muss. Zugegeben, entsetzlicherweise teilt mir eine

konspirative Gruppe von Nichtdenkern, denen meine Bedürfnisse zutiefst gleichgültig sind, weil sie nichts als Aufmerksamkeit haben wollen, auch mit, wann wer wo aufsteht und wieder schlafen geht, wer wann was gegessen hat und wohin er danach mit Auto, Bahn oder Flieger unterwegs ist. Aber mal ehrlich: Ein Mausklick und all diese Informationen werden verborgen und ausgeblendet. Genauso einfach werden „Freunde“ gelöscht … Weiter auf Seite 8

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Zeitgeschehen / Feuilleton

… und entfolgt, die ausschließlich ihre FarmVille- und Mafia Wars-Ergebnisse posten und sich bei Twitter bemüßigt fühlen, ihre Follower alle drei Minuten exakt über messerscharfe Alltagsbeobachtungen („Von draußen scheint die Sonne rein und ich muss jetzt zur Arbeit“) zu informieren. Ach ja, und wer Freundschaftsanfragen von unbekannten weißrussischen Philologinnen annimmt, ist selbst Schuld. Wer filtert und selektiert, bekommt nur Informationen von den Menschen, die ihm etwas bedeuten. Schön ist es, dass ich mit dem Freund in Amerika Kontakt halte und erfahre, dass er lachen muss, wenn die Mitarbeiter bei Starbucks schon wieder seinen Namen falsch auf den Pappbecher schreiben. Schön ist es zu verfolgen, wenn die Freundin in der Schweiz an Karneval Heimweh nach Köln hat oder endlich bedingungslos geliebt wird, ohne wochenlang verarscht zu werden. Schön ist es für den Freund in Amerika, dass er auch im vollbesetzten R-Train abends um sechs auf dem Weg nach Brooklyn auf dem iPad deutsche Zeitungen oder peinliche Bücher in der Öffentlichkeit lesen kann und die Freundin aus der Schweiz ihrer Oma auf dem iPad alle digitalisierten Kinderfotos zeigt. Aber das ist alles noch nicht das Beste. Wie sollte man sonst so unmittelbar und erfahren, dass die indische Metropole Bombay von schweren Terroranschlägen erschüttert wurde? Dass Demonstranten in Tunesien und Ägypten dabei sind, sich zu organisieren? Dass es in Japan nach einem heftigen Erdbeben schwere Störfälle in den Atomanlagen gibt? Gottlob sind wir so vernetzt, dass Botschaften und Augenzeugenberichte in Sekundenschnelle um die ganze Welt geschickt werden und einen öffentlichen virtuellen Raum schaffen, wo eine Kommunikation über Themen unter der neuen politischen Generation und Opposition stattfinden kann – die Dank neuer Medien alte Regime und Diktatoren stürzen kann. Noch Fragen? Eben. Nein, der Abgrund naht von Anne Hansen Liebe Frau Groh, Sie vergleichen leider Äpfel mit Birnen. Natürlich bin auch ich ein großer Verfechter der weltweiten Vernetzung und dankbar zum Beispiel dafür, dass wir im Minutentakt über die Ereignisse in Japan informiert werden können. Der Austausch wichtiger politischer und wirtschaftlicher Informationen steht außer Frage. Ich stelle vielmehr den Austausch von „hab Blähungen“ und „dann pups doch“ zur Diskussion. Warum um Himmels Willen muss ich das wissen? Ich befürchte, dass mir auf diese Frage niemand eine plausible Antwort geben kann. Deswegen werde ich gleich mal weiter machen mit den elementaren Fragen unserer Zeit. Als ich neulich eine Postkarte aus dem Urlaub verschickte, kam das einem Schlüsselerlebnis gleich. Bevor ich sie in den Postkasten steckte, betrachtete ich mein lyrisches Werk noch einmal und dachte nur noch: Gott bewahre. Meine Schrift sah irgendwie komisch aus. Nicht, dass sie irgendwann einmal richtig schön ausgesehen hätte, aber so krakelig war sie nun wirklich noch nie. Sie sah aus wie die Schrift eines Menschen, der manchmal aus einer „Times New Roman“ eine „Arial“ macht und diesem Akt enorme künstlerische Ausdruckskraft beimisst. Was war nur aus mir geworden? Halt, ich bin kein Einzelschicksal und frage deshalb für eine ganze Generation: Was wird bloß aus uns werden? Werden wir irgendwann gar nicht mehr schreiben können? Werden wir nur noch mit zwei Fingern über ein iPad wischen können? Werden wir unseren Enkelkindern unser E-Mail-Postfach zeigen, wenn sie nach Liebesbriefen ihrer Großeltern fragen? „Warte mal, der Opa hat mir mal so

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schön geschrieben damals. Ich guck mal alle Ordner durch, vielleicht finde ich die Mail noch irgendwo auf meiner Festplatte.“ Welch apokalyptische Vorstellung. Facebook, iPhone und iPad machen unsere Welt praktischer. Das stimmt. Wir werden rechtzeitig daran erinnert, wann unsere Freunde Geburtstag haben, wir können jederzeit auf dem Handy sehen, wo wir uns gerade befinden und dank des iPad kann Ihr Bekannter in New York in der überfüllten U-Bahn Zeitungen lesen. Wirklich praktisch. Aber ist „praktisch“ nicht das geweihte Ende der Romantik? Wäre es nicht viel schöner, einen Geburtstagskalender in der Küche hängen zu haben? Wäre es nicht viel kommunikativer, wenn man jemanden auf der Straße nach dem Weg fragt? Und ganz ehrlich: Wenn ich eine Zeitung lese, will ich das Papier in den Fingern spüren, ich will beim Blättern das Rascheln hören und wenn ich in der überfüllten U-Bahn das sperrige Teil meinem Nachbarn ins Gesicht drücke, werden wir beide lachen und uns in die Augen sehen. Das größte Übel allerdings sind meiner Meinung nach e-Books. Ist das eigentlich schon zum Unwort des Jahres gewählt worden? Wenn nein: Kann ich das bitte irgendwo einreichen? Nun, darum kümmere ich mich später. Jetzt geht es um die Frage, ob wir lesen um des Lesens Willen oder lesen, weil wir in möglichst kurzer Zeit möglichst viel Inhalt in unser Hirn pressen wollen. E-Books sind nämlich – da ist diese schreckliche Wort schon wieder – unwahrscheinlich praktisch. Aber muss das Lesen eines Buches praktisch sein? Ist es nicht vielmehr Teil von etwas Größerem? Wir gehen in die Buchhandlung, lassen uns von den verschiedenen Büchern inspirieren, wählen schließlich ein Exemplar aus, fahren mit den Fingern über den Einband, spüren das Gewicht in unserem Rucksack auf dem Nachhauseweg, um es dann voller Vorfreude auf dem Sofa feierlich auszupacken. Dann beginnt das Lesen. In aller Ruhe. So stelle ich mir das vor und so wird es hoffentlich noch lange sein. Kleiner Auftrag an alle Leser, um der digitalen Diktatur für einen kurzen Moment zu trotzen: Schreibt bitte morgen einen Brief an eine Person eurer Wahl. Verrückte Idee, oder? Aber man kann es ja mal ausprobieren. Die studierte Volkswirtin und ausgebildete Politik und Wirtschafts-Journalistin Carina Groh hat u. a. schon in der OnlineRedaktion der Financial Times Deutschland gearbeitet und führt quasi ein „Leben ohne Logout“. Das Schönste für sie ist es, über Dinge zu schreiben, die sie faszinieren. Um was es geht, entscheidet sich dabei täglich neu. Womit sie ihr Geld verdient? Als Selbstständige schreibt sie von Köln aus für überregionale Zeitungen und Branchenverlage genauso wie für kleine PR-Agenturen und manchmal sogar für Unternehmen, die Unterstützung für ihre Pressearbeit brauchen. Arbeits- und Lebensmotto: “If you don’t feel passionate, it’s better not to do things.” Anne Hansen wurde 1980 in Husum an der Nordsee geboren. Sie besuchte die Kölner Journalistenschule für Politik und Wirtschaft, studierte nebenbei VWL und Politik in Köln sowie Potsdam. Im Anschluss schrieb sie für Zeit, stern, Tagesspiegel, taz und German Times. Heute lebt sie als freie Autorin in Berlin. Im August 2010 erschien ihr Roman „Fräulein Jensen und die Liebe“ im Eichborn-Verlag.

Von Nichts Kommt Nichts

Es klingt fast nach einer Verschwörungstheorie, aber irgendwie hat die Idee von Georg Diez und Christopher Roth auch etwas Verlockendes an sich. Ihre These: Alle Krisen, mit denen wir heute zu kämpfen haben, sind vor 30 Jahren entstanden. „Von der Radikalisierung des Islam, über das Ende des Kommunismus - die Jahre 1980 und 1981 läuteten einen großen Paradigmenwechsel ein und die Auswirkungen davon spüren wir heute“, sagt Christopher Roth. Doch Diez und Roth geht es in ihrer Vergangenheitsbewältigung nicht nur um Krisen. Im Prinzip beziehen die beiden alle gesellschaftlichen Entwicklungen von heute auf die Ereignisse von damals. Wenn also Winfried Kretschmann der erste grüne Ministerpräsident wird, hilft ein Blick zurück: Vor 30 Jahren wurden die Grünen gegründet. „Ich kann schon keine Zeitung mehr lesen“, sagt Roth.

„Hinter jeder Nachricht sehe ich nur noch die Jahre 1980 und 1981.“ Er lacht. In zehn Bänden, die monatlich erschienen sind, haben sich der Künstler Roth und der Autor Diez gefragt, was eigentlich vor 30 Jahren passiert ist und die Welt von heute zudem gemacht hat, was sie ist. Zeitleisten, Interviews und Bilderstrecken zeigen eine umfangreiche Chronik. Auf eine Auflistung der Hits von damals wartet der Leser dagegen vergeblich. „Wir wollen keine RetroVeranstaltung machen“, sagt Roth. Der elfte und letzte Band wird am 7. April im Magazin-Laden „Do You Read Me?“ in Berlin Mitte vorgestellt. Die beiden Verschwörungstheoretiker stehen ab 18 Uhr für Rede und Antwort. Also, liebe Leser: Grabt euch bis dahin durch die Ereignisse vor 30 Jahren und versteht dann, warum heute die Sonne scheint oder so ähnlich. AH


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1980 2.1. Das sowjetische Militär startet eine Großoffensive in Afghanistan. 4.1. In New York schließt das Studio 54. Sylvester Stallone kauft den letzten Drink. 6.1. Die GPS Zeit-Epoche beginnt um 00:00 UTC. 13.1. In Karlsruhe werden Die Grünen gegründet. 8.2. „American Gigolo“ von Paul Schrader startet. 4.3. Robert Mugabe wird Premier von Simbabwe. 21.3. In Dallas wird auf J.R. Ewing geschossen. 24.3. Erzbischof Óscar Romero wird während des Abendmahls getötet. Der Auftakt des Bürgerkriegs in El Salvador. 1.4. Fidel Castro öffnet Kubas Gefängnisse und Psychiatrien und löst das Mariel boatlift aus, ei-nen Exodus von 125.000 Kubanern nach Florida. 1.4. Andy Warhol zeigt Joseph Beuys by Andy Warhol in Neapel. 24.4. Die Operation Eagle Claw zur Befreiung der amerikanischen Geiseln in Teheran wird zum Desaster für Jimmy Carter. 4.5. Staatspräsident Josip Broz Tito stirbt in Ljubljana, Jugoslawien. 18.5. Ian Curtis erhängt sich in der Küche seines Hauses. 18.5. Ausbruch des Mount St. Helens in Washington State. 18.5 „Sauve qui peut (la vie)“ von JeanLuc Godard startet. 1.6. CNN geht um 00:01 Uhr auf Sendung. 5.6. In Wimbledon schlägt Björn Borg John McEnroe. 2.8 Beim Anschlag von Bologna am Bahnhof Centrale sterben 85 Menschen, mehr als 200 werden verletzt. Neofaschisten der Nuclei Armati Rivoluzionari handel-ten im Auftrag des Geheimdienstes und der P2. 14.9. In der Danziger Lenin-Werft beginnen die Streiks und Solidarnocz wird gegründet. 22.9. Der Erste Golfkrieg zwischen Iran und Irak beginnt. 26.9. In München tötet eine Bombe auf dem Oktoberfest 13 Menschen. Der Täter Gundolf Köhler war Anhänger der Wehrsportgruppe Hoffmann. 26.9. David Bowie bringt „Scary Monsters“ heraus. 5.10. Helmut Schmidt ge-winnt die Bundestagswahl gegen Franz Josef Strauß. 4.11. Ronald Reagan gewinnt gegen US Präsident Jimmy Carter. 6.12. Mark David Chapman erschießt John Lennon in New York.

1981 20.1. Ronald Reagan wird vereidigt, 6 Minuten später läßt der Iran die 52 US-Geiseln nach 444 Tagen frei. 25.1. In Peking wird die Viererban-de um die Witwe Mao Zedongs zum Tode verurteilt. 30.1. Großdemo gegen Atomkraftwerke in Brokdorf. 23.2. In Spanien wird der 23-F-Putsch niedergeschlagen. 25.2. Brian Eno & David Byrne: „My Life In The Bush Of Ghosts“. 17.3. In Arezzo wird die Mitgliederliste der P2-Freimaurerloge gefunden. Nummer 1816 ist Silvio Berlusconi. 30.3. John Hinckley Jr. schießt auf Ronald Reagan um Jodie Foster zu beeindrucken. 2.4. „Christiane F.– Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ startet. 10.4. Der zu 14 Jahren Haft verurteilte IRATerrorist Bobby Sands wird ins britische Unterhaus gewählt. 5.5. Nach dem Hungertod von Sands brechen schwere Unruhen aus. 10.5. François Mitterrand besiegt Valéry Giscard d’ Estaing knapp und wird Präsident. 11.5. Auf dem Weg nach Jamaika stirbt der 36-jährige Bob Marley. 13.5. Auf dem Petersplatz schießt Mehmet Ali Agca auf Papst Johannes Paul II. 26.5 Kraftwerk: Computerwelt. 4.6. „Hello America“ von J. G. Ballard wird veröffentlicht. 7.6. Operation Opera: Ein israelisches F-16A Geschwader bombardiert und beschädigt den Osirak-Atomreaktor im Irak schwer. 20.6. In Teheran jagen Sicherheitskräfte Präsident Abul-Hasan Banisadr. 25.6. Die DDR-Volkskammer bestätigt Erich Honecker als Staatsratsvorsitzenden. 26.6. MfS Hauptmann Dr. Teske wird wegen ‚Vorbereitung der Republikflucht‘ hinge-richtet. 5.7. In Wimbledon schlägt John McEn-roe Björn Borg. 29.7. Lady Diana Spencer und Prinz Charles heiraten. 1.8. MTV startet mit „Video Killed the Radio Star“. 12.8. Der IBM PC 5150 mit Intel 8088 Prozessor kommt auf den Markt. 6.10. In Kairo wird Anwar as-Sadat, vom Ägyptischen Dschihad während einer Militärpa-rade getötet. Hosni Mubarak wird Präsident. 10.10. The Human League veröffentlicht „Dare“. 16.11. Luke und Laura heiraten in „General Hospital“. 25.11. Heaven 17 veröffentlicht „Penthouse and Pavement“. 13.12. General Jaruzelski verhängt das Kriegsrecht in Polen.

Feuilleton

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Das Wetter

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das wetter

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alexandria

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Berlin

heiss

frühlingshaft

31° 12' 0" N / 29° 55' 0" E

52° 30' 2" N / 13° 23' 56" E

Aristoteles, Archimedes und Euklid strickten hier fleißig am abendländischen Kulturmuster, heute schiebt man in der Bibliothek von Alexandria die globale digitale Revolution an – gerade mal 100 Meter von dort entfernt, wo vor 2.300 Jahren die Mutter aller Bibliotheken geschätzte 700.000 Schriftrollen von unschätzbarem Wert hütete. Angestellte Philologen nahmen den Bestand der hellenistischen, ägyptischen und asiatischen Kultur auf und begründeten den Klassiker-Kanon, der noch heute auf dem Lehrplan steht. Kulturaustausch, vor allem unter arabischen und westlichen Gesellschaften, ist auch zwischen den neuen Granitwänden Thema, nur lagern die Werke hier vor allem digital. Im weltweit größten Lesesaal blättern Besucher an großen Touchscreen-Monitoren in der Sprache ihrer Wahl. Regen Kulturaustausch pflegten einst auch Caesar und Cleopatra, er verhalf ihr sogar zum alexandrinischen Thron. Dumm nur, dass er dabei versehentlich den berühmtesten Think Tank der Welt in Brand steckte und in großen Teilen zerstörte.

Zwischen gläsernen Neuronen lässt sich hier wunderbar Byzantinistik und Slawistik studieren oder auch Architekturfotografie betreiben. Die Rede ist vom „Berlin Brain“, der Philologischen Bibliothek der Freien Universität Berlin, deren Form der Anatomie des Gehirns gleicht: Die gläserne Fassade schützt das Innere wie eine Schädeldecke, über einem großzügigem Atrium teilen wellenförmige Leseterrassen den Raum in zwei Hemisphären. Blob-Architektur nennt sich der organische Stil, den Sir Norman Foster hier mit einem Paradebeispiel versorgt hat. Die schon von Antoni Gaudí antizipierten fließenden und biomorphen Formen dieses Stils beruhen auf komplexen mathematischen Berechnungen und finden erst seit den 1990er Jahren dank moderner Software Eingang in die Stadtbilder der Welt. Architektur-Guru Foster und sein Team des Londoner Büros Foster + Partners sind für unzählige Glanzstücke verantwortlich, unter anderem für die Glaskuppel über dem Reichstag und die Londoner City Hall.

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amsterdam

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london trocken 51° 30' 26" N / 0° 7' 39" W

Verstaubte Nerd-Bude? Dieses Image ist längst passé. Bibliotheken bieten der zeitgenössischen Architektur Raum, um sich auszutoben und urbane Einöden mit neuen kreativen Impulsen zu beseelen. So geschehen im Fall der Openbare Bibliotheek in Amsterdam (OBA), mit 28.500 Quadratmetern die größte öffentliche Bibliothek Europas. Der niederländische Architekt Jo Coenen entwirft mit seinen Objekten gleich eine neue urbane Philosophie. Seine Werke absorbieren und reflektieren ihre Umgebung und integrieren sie in einen Diskurs aus Form und Material. Mit der OBA geht Coenen noch einen Schritt weiter: Sie soll die architektonische Zukunft rund um den Bau antizipieren. Eine abstrakte halboffene geometrische Hülle aus Naturstein und ein dazu in leichter Rotation ausgerichteter Hauptbau aus Glas und Holz mimen das Objektorakel. Große Fensterflächen sorgen für Austausch zwischen drinnen und draußen und lassen viel Licht in den futuristisch ausgestalteten Innenraum.

Manche lesen in Bibliotheken Geschichte, andere schreiben sie dort. Karl Marx verfasste in der Library of the British Museum seine scharfsinnige Kapitalismus-Analyse „Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie“ und gab der internationalen Linken für alle Zeiten Futter. Er muss in den 1860er und 1870er Jahren viel Zeit unter der legendären Kuppel des runden Lesesaals verbracht haben, die wie eine gigantische Krone über den Köpfen der streng ausgewählten Besucher schwebte, darunter auch Lenin, Bram Stoker und Sir Arthur Conan Doyle. Bis die in Marx’ Hauptwerk vorhergesagte völlige Selbstzerstörung des kapitalistischen Systems eintritt, ist voraussichtlich noch etwas Zeit. Gut, denn um das „Kapital“ in seiner Gänze zu konsumieren, muss man sich durch über 4.000 Seiten beißen. Derzeit beherbergt der Lesesaal Ausstellungen, ab 2012 ist er wieder zum Verweilen, Lesen und Sinnieren freigegeben. Vielleicht lohnt es sich ja, einen Stift einzupacken. SW

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© hmilad

Sonnig 52° 22' 23" N / 4° 53' 32" E

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Ausgabe N°13 • März /April 2011 • Jahrgang 2 • trafficnewstogo.de

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Road to Nowhere Per Rad durch die Großstadt

von Ulrich Gries David Byrne, ehemaliger Frontmann der legendären Talking Heads, ist ein Flaneur auf zwei Rädern. Seit den frühen 80ern bewegt er sich vorzugsweise per Rad durch seine Heimatstadt New York City und viele andere Großstädte der Welt. Vor zwei Jahren veröffentlichte er seine „Bicycle Diaries“ als Buch. Er berichtet darin über teils skurrile Erlebnisse aus der Sattelperspektive, philosophiert über den Charakter von Rom, Istanbul oder Berlin und stellt visionäre Stadtentfaltungsmöglichkeiten vor. Er sieht eine gewisse Ziellosigkeit als Voraussetzung für seine Entdeckungsfahrten. Auch ich gebe in Berlin dem Zufall gerne eine Chance und lasse mich auf dem Rad durch die Stadt treiben. Auf diese Weise habe ich schon wunderbare Erlebnisse gehabt. Empfehlens-

wert sind vor allem Nebenstrecken, kleine Straßen und Uferwege. Ich bevorzuge dafür ein robustes Rad ohne übertriebene Technik. Breite Reifen und eine simple 3 Gangschaltung reichen völlig aus. Wichtig ist eine aufrechte

falls seinen Reiz - Berlin ist voller Kanäle, Seen und Flussläufe. Ideal sind Uferwege, auf denen man z. B. der Spree oder der Panke folgen kann. Mit jeder Biegung verändern sich die Umgebung und die Stimmung. An

Sitzposition, die es ermöglicht, über die parkenden Autos zu blicken. Diese Perspektive hat viele Vorteile. Sie schafft eine mitunter gesunde Distanz und lässt doch Nähe zu. Gerüche, Geräusche und Stimmungen sind direkt wahrnehmbar. So duftet Kreuzberg anders als Mitte und Charlottenburg, nur die Ausdünstung aus den Berliner U-Bahn-Schächten erscheint mir überall gleich. Als grobe Leitund Flanierlinien dienen mir die geographischen Nervenbahnen der Stadt. Das können Straßen sein oder auch Grenzlinien wie der ehemalige Mauerstreifen. Wasser hat eben-

der Panke werden gerade neue Townhouses gebaut, während keine zwei Minuten weiter Berlins alte Industriekultur langsam in sich zusammen fällt. Das Eigenleben der Kieze und ihrer Bewohner überträgt sich schnell auf den aufmerksamen Beobachter. Ein Indiz für den Wandel ist übrigens auch die Art der im Gebrauch befindlichen Fahrräder. Prenzlauer Berg und Mitte sind Hollandradhochburgen, während in Charlottenburg das funktionale Trekkingbike vorherrscht. In Kreuzberg und Neukölln sind die Räder wie ihre Fahrer stark individualisiert. Schnelle, urbane Gefährte

sind hier besonders beliebt. Neben der bewussten Ziellosigkeit führt auch ein antizyklisches Verhalten zu neuen Perspektiven. Wer sonntagmorgens um halb neun durch die Innenstadtbezirke fährt, hat die Straßen für sich allein. Die letzten Nachtschwärmer sind verschwunden, die Sonntagsfrühstücker noch nicht unterwegs. Der Klangteppich ist gedämpft und es herrscht für kurze Zeit so etwas wie Ruhe. Wenn am nächsten Werktag der Verkehr wieder brummt, zieht es mich oft raus aus der Stadt. Auf dem ehemaligen Mauerstreifen Richtung Norden wechseln ehemaliger Osten und Westen sich im Zickzack ab. Berlin geht plötzlich ohne Vorwarnung von Stadt in Land über. Ohne Pufferzone öffnen sich weite Felder und der Himmel hat plötzlich Cinemascope-Format. Doch direkt hinter mir lockt die Stadt.


„Ich bin ein Surfer. Leider Gottes, denn meine Konzentrationsbereitschaft für Inhalte, die mich nicht hundertprozentig interessieren, nimmt von Tag zu Tag ab. Stoße ich im Internet auf etwas, das mich nicht tangiert, klicke ich es weg und google Neues. So etwas geht mit einem Buch nicht.“

Welche Romanfigur wärst Du gerne? Tatsächlich habe ich mal eine Romanfigur verkörpert: Ayse aus „Die Wolke“, ein kleines Mädchen, das einen Super-Gau überlebt.

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Von Verena Schulemann „Ein Buch muss die Axt sein, für das gefrorene Meer in uns“, beschreibt Franz Kafka die Kraft der Gedanken, die das gelesene Wort entfalten kann. Noch nie war Lesestoff so einfach, so günstig zu beschaffen wie heute und täglich wächst das Angebot. Schon lange sind Bücher keine Luxusware mehr. Mit ein paar Mausklicks -– legal oder illegal – besorgt sich der geneigte Leser seinen neuen Stoff zu Hause. Obwohl oft totgesagt, ist es offensichtlich: Die Welt liest. Wenn auch immer weniger auf Papier, sondern immer mehr am Bildschirm, auf dem iPad, dem Handy – aber immer mit Begeisterung. Lesen Sie mal, was acht kluge, coole Köpfe zum Thema zu sagen haben.

Lieblingsbuch? „Die drei ???“ als Hörbuch. Nach der dritten Folge haben wir unsere Band benannt.

Claire Oelkers ist Moderatorin (MTV), Schauspielerin und Sängerin der Band Karpatenhund. Im November 2009 posierte die Tochter einer Philippinerin für den Playboy, der sie auf's Cover nahm. Songs unter: www.karpatenhund.com

Chapter VI

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Dave Lojek ist Regisseur und hat weit über 100 Kurzfilme gedreht, produziert und teilweise geschrieben. Seine Filme laufen auf zahlreichen Filmfestivals europaweit (z.B. „Flussaufwärts“ am 19.3. auf dem Landesfestival Berlin/Brandburg). Er ist Organisator des Nachwuchs-Filmworkshops Kinokabarett Berlin. Mehr unter: www.apeiron-films.de und www.vimeo.com/apeiron

Welche Romanfigur wärst Du gerne? Keine. Weder leide ich besonders gerne, noch erlebe ich viele Abenteuer oder haben böse Motivationen.

„Das Buch als Kulturgut braucht sich nicht zu fürchten vor e-Books. Lesen ist das Aufsaugen von Text mit den Augen, egal ob sie über Bildschirme oder bedrucktes Papier huschen.“

Lieblingsbuch? „The Lord of the Rings“ von J.R.R. Tolkien. Taschenbuch, 34,95 Euro, Klett-Cotta, Erscheinungsdatum: Januar 2004


Stefanie Hanssen ist Inhaberin von „Frau Tonis Parfum“ in Berlin und Agentur-Chefin von „gronewald werbung + pr“, einer Agentur für Tourismus- und Stadtmarketing. Mehr unter: www.gronewald.com und www.frau-tonis-parfum.com

Welche Romanfigur wärst Du gerne? Ildiko aus dem wunderbaren Buch „Tauben fliegen auf“ von Melinda Nadj Abonji. Gelassen das Leben (er-)leben und dabei einen Blick für das Wesentliche haben.

„Lesen heißt, sich Zeit nehmen. Ohne das Papier von Tagesspiegel und Süddeutsche Zeitung geht es bei mir nicht!“

Lieblingsbuch? T.C. Boyles „Wassermusik“. Taschenbuch, 9,95 Euro, rororo, Erscheinungsdatum: 2. Juli 1990


„Ich fand die Zeiten, in denen Geschäftsleute mit großen Zeitungen in Cafés saßen, viel schöner als heute mit ihren Laptops und Kopfhörern. Surfen macht es schwieriger, das Lesen zu genießen, es ist nicht gemütlich.“

Welche Romanfigur wärst Du gerne? Alexis Zorbas, weil er sein Leben nach seine Regeln gelebt und es genossen hat.

Lieblingsbuch? „Pygmalion“ von G.B. Shaw über den ewigen Wunsch des menschlichen Wesens, immer etwas anderes oder etwas besseres zu sein. Taschenbuch, 6,00 Euro, Suhrkamp Verlag, Erscheinungsdatum: 25. Dezember 1989

Eszter Harazdy ist Opernsängerin aus Budapest, entstammt einer berühmten ungarischen Künstlerfamilie und hat die Musik schon als Säugling mit der Muttermilch aufgesogen, als sie ihre Mutter regelmäßig zu den Bühnenproben mitnahm. Ester spielt Klavier auf Konzertniveau und spricht vier Sprachen fließend.

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„Das Internet ist möglicherwiese spannender als jedes vorgedruckte Buch. Welche Fülle an Informationen steckt da drin...“

Welche Romanfigur wärst Du gerne? Oskar Matzerath aus „Die Blechtrommel“ von Günter Grass.

Lieblingsbuch? Niccolo Machiavelli „Der Fürst“. EUR 6,50, Insel Verlag, Erscheinungsdatum: 26. August 1997

Damian Foik ist Crossmedia-Produzent und Video-Journalist (DJV) und Spezialist für audio-visuelle Kommunikation und Social Media, er ist stellvertretender Vorstand in der Freien Medialen Stiftung Berlin und spricht fünf Sprachen.

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Sigurd Larsen ist Architekt und Möbeldesigner aus Kopenhagen, der auf Nachhaltigkeit und die Ästhetik hochwertiger Materialien setzt. Er gestaltet Showrooms (z.B. für K-MB Markenkommunikation, Berlin), Shops (Workaholic, Berlin) und Häuser (z.B. Sustainable House, Kopenhagen). Mehr unter: www.sigurdlarsen.eu

Welche Romanfigur wärst Du gerne? –

„Beim Lesen finde ich viel Inspiration für meine Arbeit.“

Lieblingsbuch? Die Autobiographie „The Imperfect Man“ von Jørgen Leth. Der Filmemacher spielt wie kein anderer mit der dänischen Sprache und legt den Fokus auf Details in Alltagssituationen und thematisiert unsere Gewohnheiten.


Tom Schlüter ist Redakteur und Aktivist für nachhaltige Lebenstile, Technologien und Unternehmungen. Sein jüngstes Projekt ist die Videoplattform Greencasting, auf der Menschen ihre nachhaltigen Projekte vorstellen. Siehe auch: www.greencasting.de

Welche Romanfigur wärst Du gerne? König Alobar aus „PanAroma“ von Tim Robbins! Mehrere Hundert Jahre Zeit haben, um alle Kulturen der Welt kennen zu lernen.

„Wer keine Zeit zum Lesen hat, hat keine Zeit zum Träumen! Die Buchstaben auf dem Papier werden zu Bildern und Geschichten im Kopf, dazu braucht es viel Ruhe und Entspannung.“

Lieblingsbuch? „Freund der Erde“ von T.C. Boyle. Taschenbuch, 9,90 Euro, Deutscher Taschenbuch Verlag, Erscheinungsdatum: 1. März 2003


„Ein Buch fesselt mich mehr als ein Film. Am tollsten ist es, sich Romanfiguren vorzustellen: Wie sie aussehen, wie sie sprechen – das sieht man mal, was die Fantasie alles kann!“

Welche Romanfigur wärst Du gerne? Käpt'n Blaubär, denn die Abenteuer, die er erlebt, sind der Hammer.

Fotograf: Jackie Hardt www.jackiehardt.com Fotoassistenz: Lennard Rühle, Anja Koeppel Haare & Make-Up: Monique Rauchmann, Nude Agency Stylist: Valerie Oster, Nude Agency Produktion: i like productions Studio: Konsum Studio Models: Damian Folk, Stefanie Hanssen, Eszter Harazdy, Sigurt Larsen, Dave Lojek, Wibke Noack, Claire Oelkers, Tom Schlüter Alle Bücher erhältlich bei Thalia, Berlin im Alexa

Lieblingsbuch? „Das kleine Arschloch“ von Walter Moers. EUR 12,95, Eichborn, Erscheinungsdatum: 1990

Wibke Noack ist Allround-Gestalterin. Sie ist gelernte Floristin, Dekorateurin und Schneiderin mit einem Faible für Design der 1950er bis 1960er Jahre. Sie lebt wie der berühmte Hauptmann in Köpenick.

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Vielleicht lag es an den fehlenden Kindern, aber es kommt mir so vor, als sei meine Erika an keinem einzigen Tag in den fünfzig Jahren, die nach diesem Vormittag im Februar kamen, gealtert. Ihre Wangen blieben so rot, wie sie es auf der Flucht geworden sind, und wurden mit den Jahren nur weicher, und Flaum bildete sich auf ihnen, über den ich gern strich. Wie von innen her wurde meine Erika weicher und zarter und sogar etwas kleiner. Ihr Lachen wurde heller und ihr Schlaf tiefer, so kommt es mir vor. Und mit den Jahrzehnten wurde sie wieder das junge Mädchen, das sie ganz zu Anfang gewesen ist, als ich sie kennen gelernt habe, lange bevor wir hierher gekommen sind. Sie ist mir zweimal verloren gegangen. Einmal auf dem Weg von Wölfelsgrund bis hierher. Es war Februar, wir gingen zu Fuß und froren. Ein Anderer als ich, in einer Sprache, die ich nicht kann, soll das beschreiben. Aber ein Teil von ihr muss auf dem Weg verloren gegangen sein. Das war das erste Mal. Das zweite Mal war vor einem Jahr im Dezember. Da ist sie mir völlig verloren gegangen, mit Haut und Haar. Als mir das endlich aufging, habe ich mir die Arme am Türpfosten aufgeschlagen, obwohl die Tür

Nachts vor dem Einschlafen lag sie auf dem Rücken, das Federbett bis unters Kinn gezogen, die Hände flach auf ihrem Bauch, und ich lag auf der Seite, den Kopf in eine Hand gestützt, und mit der anderen habe ich ihre geröteten Wangen gestreichelt. Erzähl mir etwas von dir, hat sie manchmal gesagt und gewusst, dass ich nicht Nein sagen würde zu meiner Erika. Aber weil sie mich doch auswendig kannte, sie wirklich alles über meine kurzen Tage in diesen langen Jahren wusste, habe ich ihr lieber von den Bodenschichten unter unserem Haus erzählt, das ich nach der Flucht für sie gebaut hatte und dass wir beide nicht mehr verlassen wollten, so war es jedenfalls abgemacht. Ich begann immer direkt unter dem Keller, während sie es sich bequem machte, ihr Kopfkissen zurechtschob und die Hände wieder zurück auf den Bauch legte. Darunter kommt die Auffüllung, erklärte ich leise. Alles, was da nicht hingehört, liegt unter uns verborgen. Kellergeschosse zerbombter Gebäude tragen unseren Keller, breite Schichten aus Ziegelbruch, Beton und Hausmüll, Holz- und Kohlevorräte früherer Bewohner, hier und da ihre Knochen, und an dieser Stelle beeilte ich mich, zum Auelehm überzugehen, der wie Thunfisch in der Dose in feine, feuchte Schichten geblättert liegt und Einschlüsse uralter Kiefern birgt. An der Stelle mit dem Thunfisch kniff Erika die Augen zusammen und lachte vor sich hin, und ich lachte auch, aber schon erzählte ich weiter, dass ein solches hellgelbes Stück Kiefernholz, wenn es durch einen Zufall der Weltgeschichte ans Tageslicht gerät, binnen einer halben Stunde vollkommen schwarz wird, und alles Leuchten von unter der Erde ist dahin. Manchmal sprach ich statt vom Auelehm auch vom Geschiebelehm oder vom Geschiebemergel, es gibt so viele verschiedene Wörter für so wenige Dinge auf der Erde oder darin, aber Erika hörte sich jeden Begriff an und fragte nach seiner genauen Bedeutung, und erst dann, wenn ihr alles klar vor Augen stand, stiegen wir tiefer hinunter und erreichten den Schotter der mächtigen Flüsse der Eiszeit. Quartäre Sande und Kiese fanden wir, manchmal fossile Stämme uralter Bäume dazwischen, und ungefähr hier fing Erikas Atem an, gleichmäßig zu gehen, aber sie hörte immer noch aufmerksam zu. Ich nahm sie mit in die tiefe, reiche Schicht der Braunkohle und unter unseren Federbetten wurde es wärmer, Erikas Hände rutschten langsam von ihrem Bauch. Sie atmete in tiefen Zügen, und gemeinsam stiegen wir hinab ins Tertiär zu den Quarziten, gelegentlich trafen wir auf Monolithe aus dunklem, harten Stein ohne gültige Klassifizierung und Erika lag still auf dem Rücken und fragte nicht mehr nach, öffnete nur ganz leicht den Mund. Wenn ich bei den Höhenzügen der flüssigen Felsen weit unter den tiefsten Braunkohleschichten angelangt war, dem unmerklich sich vorwärts schiebenden Gebirge unter uns, schlief sie so traumlos und tief, wie eigentlich nur Kinder schlafen.

Die Feiertage verbrachte ich auf dem Sofa neben Erikas angestammten Platz, oder am Küchentisch neben Erikas unbesetztem Stuhl, oder auf dem Bett neben Erikas gefalteter Zudecke. Ich ließ die Heizkörper voll aufgedreht, auch in der Nacht. Ich rührte mich so selten wie möglich. Ich bewegte nicht einmal die Hände. Von Zeit zu Zeit kam jemand und brachte mir das Essen, wischte alle Böden oder wusch die Wäsche, aber ich schaute nicht hin und beantwortete keine Fragen, ich wollte keine Kondolenzen. Ich hörte dem Bollern der Heizkörper zu. Mit den Augen verfolgte ich das verschwommene Sonnenlicht über alle Wände bis zu seinem vollständigen Verschwinden. Einige Tage habe ich so verbracht. Es gäbe mehr zu sagen, aber ich weiß nicht, welche Wörter ich dafür nehmen sollte. Als Epiphanias vorbei war, stand ich auf.

Rote Wangen hatte Erika. Rote Wangen im Sommer und rote Wangen im Winter, morgens und abends und auch noch im Schlaf. Rote Wangen, wenn ich sie ansah und rote Wangen, wenn ich es nicht tat, fünfzig lange Jahre lang hatte sie die. Immer sah Erika aus, als sei sie gerade von draußen hereingekommen, von einem Spaziergang durch den Stadtpark, und auf dem Heimweg ein Stück gerannt, um schneller zu mir zu gelangen und mit einem verhaltenen Lachen in meine Arme zu fallen. Selbst als sie nicht mehr rennen konnte, sah Erika noch so aus, und auch dann noch, als sie das Haus, das ich uns gebaut hatte, einfach verließ. Während der letzten fünfzehn Jahre verschwamm sie zusehends vor meinen Augen, sobald ich ihr nahe kam, um ihr übers Gesicht zu streichen. Ich bin zum Augenarzt gegangen und habe mir eine Gleitsichtbrille verschreiben lassen, und die half ein bisschen, aber mir wurde schwindlig, sobald ich sie trug, also ließ ich sie im Etui. Erika verschwamm vor meinen Augen, als ginge die Unschärfe von ihr selbst aus und nicht von mir, von einer Eigenart ihres Charakters, die sich im Älterwerden nach außen kehrte. Sie wurde von den Rändern her durchsichtig und mehr und mehr eins mit den Zimmern unseres Hauses. Ich nahm das so hin und betrachtete sie nur von weitem, wenn sie langsam durch die Zimmer ging und die Blumen goss; oder wenn sie auf dem Sofa saß, mit leicht gebeugtem Rücken und dem Kopf über einem Buch; oder wenn sie mit geröteten Wangen über einem Kreuzworträtsel am Küchentisch saß und ab und zu den Kopf hob, um mich nach dem Namen eines Flusses oder einer längst vergangenen Epoche der Erdgeschichte zu fragen. Aber als wir beide jünger waren, da habe ich mich manchmal so nah vor sie hingestellt, dass ich ihren Atem hören konnte. Ich sah dann, wie sich ihre Brust unmerklich hob und senkte, als müsste sie nie damit aufhören. Ich habe mich in die zarten Blutgefäße vertieft, die sich über ihre Wangen zogen, ich kannte ihr Muster auswendig. Sie hatten die Farbe von Heidekraut, und davon hatten wir viel in Wölfelsgrund, wo wir jeden Sonntag zusammen durch die Wälder gestreift waren, Arm in Arm und das Laufen war ganz aus freien Stücken und fiel uns leicht. Wirklich, meine Erika ist in ihrem Leben genug gelaufen, und ich immer neben ihr her. Hinter dem Ortsausgang in Richtung Schneeberg stand in handhohen Büscheln das Heidekraut. Noch im November, wenn alle Blätter von den Bäumen verschwunden waren, leuchtete es zwischen Moos und Laub. Wenn ich meine Erika daran erinnerte, dass wir das Heidekraut in Wölfelsgrund immer Erika nannten und ihr dabei neckend über die Wangen strich, drehte sie den Kopf zur Seite und sagte in einem Tonfall, als müsse sie sich verteidigen: Der Winter war zu kalt, ich kann ja nichts dafür!

Short Story

Von Almut Sandig sind zuletzt erschienen: 2010 der Geschichtenband „Flamingos“ und soeben der Gedichtband „Dickicht“.

Trotzdem nahm ich jeden Sonnabend die Plastiktüte mit den Handschuhen und der Handharke darin und machte mich auf den Weg zum Südfriedhof. Am Eingang kaufte ich immer einen Strauß Schnittblumen, immer habe ich daran gedacht. Aber das ohne jede Überzeugung, meine Erika hätte etwas davon, wenn ich die schönen Blumen auf das Grab zwischen das Heidekraut steckte, wo sie verwelkten, bis ich sie eine Woche später entsorgen würde. Meine Erika war an keinem Ort abwesender als in ihrem Grab. Aber es musste eben gemacht werden. Hinter dem Grabstein steht eine hohe, schlanke Lärche, wie es auch in Wölfelsgrund Lärchen gegeben hat. Ich lege oft den Kopf in den Nacken, um in ihre Krone hinein zu schauen, die sich zwischen den umstehenden Bäumen im Wind wiegt. Sie bewegt sich immer etwas mehr als die Bäume um sie herum, als müsse sie sich gegen eine Gewalt wehren, die nur ihr angetan würde und niemandem sonst, nicht den Eichen und nicht den Kastanien und nicht den Linden in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft, nur dieser hohen, biegsamen Lärche über mir. Wenn ich dann meinen Kopf senke und auf das kleine, leuchtende Heidekraut herunter schaue, dann kommt es vor, dass ich wie angewurzelt stehen bleibe, mit steifem Nacken und rotem Gesicht, als sei ich selber ein Baum, als könne ich einfach hier stehen bleiben wie einer, der immer hier stand und nie seine Füße bewegt hat. In diesem kurzen, überhitzten Moment bin ich vollkommen davon überzeugt, dass mein liebes Mädchen an meiner Seite ist, sogar hier.

Ich ging durch alle Zimmer, so wie meine Erika das gemacht hatte, und goss die Pflanzen. Oder ich sah nach, ob es sonst etwas gäbe, das ich machen könnte. Ein Türscharnier war zu ölen, die Heizstände im Keller mussten kontrolliert werden, irgendwann holte ich den Staubsauger und machte mich über alle Teppiche her, und jeden Morgen wusch ich das Geschirr ab, auch wenn es jetzt nicht mehr viel war. Ich hätte das stundenlang machen mögen, denn es war so eine klare, schöne Arbeit mit Ergebnissen, aber kaum hatte ich mit meinen drei Tellern und Tassen begonnen, war ich auch schon wieder fertig, und also ließ ich den Abwasch nicht stehen, sondern trocknete ihn ab und stellte alles wieder in den Hängeschrank. Und es gab immer etwas aufzuräumen. Im ganzen Haus gerieten Kleinigkeiten in Unordnung, als trieben die Zimmer ihr Spiel mit mir. Einmal fand ich ein Badehandtuch mitten auf dem Küchentisch, es war tropfnass. Ein anderes Mal wäre ich fast über die Tageszeitung gestolpert, die zerfleddert auf dem Teppich lag, ich konnte mich nicht entsinnen, sie an diesem Tag schon aus dem Briefkasten geholt zu haben. Ein drittes Mal verschwand meine Tasse, in der ich eben erst frischen Nescafé aufgebrüht hatte. Alle Zimmer suchte ich ab, sie war wie vom Erdboden verschluckt. Irgendwann entdeckte ich sie auf dem Nachttisch neben unserem Bett, in dem ich niemals Nescafé trinke, aber die Tasse war schon halbleer. Mich wunderte, wie das kam, ich hatte doch immer alles an seinen Platz zurück gestellt. Jeden Mittag kam ein junger Mann mit unglaublich langen Haaren und brachte mir das Mittagessen. Aber auch er hat nichts verstellt. Er stand nur mitten in der Küche herum und mir im Weg, während ich den Tisch deckte, und hat Allgemeinplätze auf mich losgelassen. Er schrie mir ins Ohr, weil er mich für schwerhörig hielt. Ich höre sehr gut, aber ich habe ihm nicht auf seine Allgemeinplätze geantwortet, ich hatte keine Lust, meine Zeit zu verplempern, sollte er sich doch mit Anderen austauschen. Wenn er leise und erleichtert die Tür hinter sich zuzog, war ich allein mit dem Geräusch des Bestecks auf meinem Teller. Jeden Dienstag kam eine Frau vom Roten Kreuz und wischte die Fußböden und das Bad, aber mir wäre lieber gewesen, sie hätte das nicht gemacht. Es war doch alles mein eigener Dreck. Wenn sie meine Laken wechselte, setzte ich mich ins Wohnzimmer neben Erikas Platz und blätterte so lange in der Tageszeitung, bis ich hörte, dass sie auch damit fertig war und ihre Jacke vom Haken nahm. Aber auch sie hat keine Gegenstände verstellt. Sie verließ unser Haus, wie sie es betreten hatte, nur dass es dann sauber war und frisch gelüftet. Und dennoch verschwand mein Brillenetui und tauchte auf der obersten Treppenstufe zum Keller wieder auf. Oder lagen benutzte Taschentücher herum, die mir nicht gehörten. Oder Wurstreste auf dem Wohnzimmertisch, obwohl ich immer in der Küche aß, immer. Erst vor fünf Tagen betrat ich das Schlafzimmer und fand unseren Kleiderschrank weit offen stehen. Einer von Erikas Winterpullovern, der mit den roten Blumen darauf, lag ausgebreitet auf dem Bett, als habe sie ihn sich selbst herausgelegt. Darum habe ich mich nicht auf ihren Platz auf dem Sofa gesetzt. Ich habe mich nie in ihre Hälfte unseres Bettes gelegt, ganz gleich, wie sehr ich mich danach gesehnt habe, mein Gesicht in ihrem Kissen zu vergraben. Erika war von den Rändern her durchsichtig geworden und schließlich ganz vor meinen Augen verschwommen, aber sie war immer an meiner Seite geblieben, immer, und jedes Jahr kam es mir vor, als sei sie wieder ein bisschen kleiner und jünger geworden. Da fiel es schwer zu glauben, sie sei nicht mehr da, nur weil ich sie nicht mehr sehen konnte. Es war eine Frage der Erfahrung, nicht davon auszugehen, dass auf die Augen eines alten Mannes noch Verlass sei.

zum Stationszimmer sperrangelweit offen stand. Sie lag darin, obwohl sie doch eigentlich im Haus liegen sollte, das ich uns gebaut hatte und über das wir immer gescherzt hatten: Steht der Frost vor der Tür, dann bleiben wir drin und machen nicht auf.

WEIT UNTER UNS DIE FLÜSSIGEN FELSEN (Auszug) von Ulrike Almut Sandig

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„Fashion fades, style is eternal.“ Yves Saint Laurent

von Jeanette Hepp, Köln Corona No. 3 Typewriter Ernest Hemingway received this typewriter on his 22nd Birthday. 600,000 machines built and sold for 30 years. 430 Euro. www.mytypewriter.com/coronasmith-corona.aspx

Nein, das ist kein erneuter Ratgeber über Trends oder One Shots, aufstrebenden Designern oder Momentaufnahmen – und in der nächsten Saison ist alles wieder verschwunden. Wir sprechen hier von Stil, zeitlosem Stil. Und die folgenden drei Designer verkörpern diesen auf ihre individuelle Art. Roksanda Ilincic

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„Eleganz ist, umwerfend auszusehen, ohne dass der Eindruck dabei entstünde, man hätte zu viel daran gearbeitet.“ Die Entwürfe der in Belgrad geborenen Designerin Roksanda Ilincic sind der Inbegriff müheloser Eleganz. Schon in jungen Jahren entwickelte sie ein Auge für die Mode. Dabei verfolgte sie eines Tages sogar den Plan, die Garderobe ihrer Mutter zu individualisieren – mit zum Teil desaströsen Folgen: von den beiderseits heißgeliebten Yves Saint Laurent-Teilen blieb wenig übrig. Heute ist ihre modeverliebte Mutter gnadenloseste Kritikerin der kunstvoll drapierten Kleider. YSL, Kate Bush, slawische Folklore, das Haus voller Pierrot-Puppen und Keramikaffen, die sie auf den Londoner Märkten findet, Besuche von Galerien und Museen – all das findet Einfluss auf Ilincics Arbeit. Seit ihrem Kollektionsdebut 2005 in London überzeugt sie mit minutiös ausgeführten, femininen Schnitten neben Amerikas First Lady Michelle Obama eine Riege internationaler Stars: Tilda Swinton, Margherita Missoni, Kate Hudson, Chloë Sevigny und auch Gwyneth Paltrow. Hakaan Februar 2010: Wochenlang stand der Name des türkischen Designers Hakaan Yıldırım unbemerkt und unkommentiert auf dem offiziellen Ablaufplan der Londoner Fashion Week, wo er seine Kollektion erstmals internationalem Publikum präsentieren sollte. Erst 48 Stunden vor Beginn brach der Hype um seine Person aus – mit einem Mal wurde er als „Star der Woche“ gehandelt. Selbst Carine Roitfeld, ExChefredakteurin der französischen VOGUE, flog unerwartet ein, um einzig seine Show zu besuchen. Neben Topmodel Natalia Vodianova defilierte Lara Stone exklusiv über den Laufsteg, Kate Moss saß in der ersten Reihe. Nachvollziehbar, dass Hakaan es vom einem bis dato noch unbekannten Designer mit einem Mal auf die internationale Beobachtungsliste schaffte. „Markenmacherin“ und mächtigste PR-Frau am Modehimmel Karla Otto nahm ihn unter ihre Fittiche und holte ihn nach Paris. Hakaan zeigt seit jeher ein unbestreitbares Gespür für Schnitt und Proportion mit dem Schwerpunkt auf skulpturale Formen und monochromatische Entwürfe, die dem Körper mehr Kontur geben.

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aquilano.Rimondi Wären sie als Designer nicht erfolgreich geworden, so würden wir Tommaso Aquilano jetzt als Koch und Roberto Rimondi als Botaniker antreffen. So bodenständig diese Aussage, so bodenständig sind sie tatsächlich auch selbst: Aquilanos Tante aus Apulien buk Kekse, die vor ihrer letzten Show in Mailand verteilt wurden. Parallel zur eigenen seit 2005 erfolgreichen Linie verantworten Aquilano und Rimondi die Damenkollektionen von Gianfranco Ferrè. Aquilano traf bereits im Alter von 23 Jahren in Rom auf Ferrè als er backstage die Schneemaschine bediente. Mäßig erfolgreich, denn anstatt auf dem Laufsteg, landete der Schnee durch eine Fehlausrichtung der Windmaschine auf ihm selbst. Dies sollte allerdings kein Hindernis sein, Jahre später anspruchsvolle Kollektionen für das Haus zu entwerfen. Aquilano.Rimondi selbst distanziert sich von saisonaler Mode und denkt mit großer Hingabe einen Schritt weiter. Präzise Schnitte, feminine Silhouetten und feinste Luxusstoffe prägen ihren unverwechselbaren Look.

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Die Messe der Kleinen Verreckten aus Léon Bloy »Blutschweiß«

Für Mme Henriette l’Huillier »Warum bist Du so traurig meine Seele, und warum verwirrst Du mich?« Als der Feldgeistliche mit diesen Worten die Messe begann, riss eine Kanonenkugel ihm den Kopf ab, den man niemals wiederfand. Das weiße Messgewand von Mariä Opferung, das für diesen 21. November, den Tag von Marias Tempelgang , liturgisch vorgeschrieben war, wurde zum roten Messgewand der Märtyrer. Der priesterliche Rumpf stand noch einen Moment still, verlor dann in der furchterregenden Geste mechanisch nach oben ausgestreckter Arme, die der fliehenden Seele nachgriff en, das Gleichgewicht und rollte bis vor die erste Reihe der jungen Freiwilligen, die sich gerade darauf vorbereiteten, der Messe in ihren kleinen, mit Goldschnitt verzierten und in schwarzes Saffianleder gebundenen Messbüchern zu folgen. Es schien, als würde ein großer, in Bleiweiß getränkter Pinsel über die Gesichter dieser inbrünstigen Jünglinge hinwegfahren. Einer von ihnen, ein hübscher Kerl von 19 Jahren, der Messdiener war und den das Blut des Priesters überschwemmte, fiel in Ohnmacht. Es waren Krieger ohne Erfahrung, die bei ihren Müttern niemals etwas Vergleichbares gesehen hatten. Vor einem Monat hatten sie sich voller Enthusiasmus freiwillig gemeldet, unter einem Anführer, dessen berühmter Name sämtliche Heldentaten des Vendée- Feldzugs beschwor, und sie hatten – tapfere Kinder, die sie waren – geschworen, ihre Waffen nicht eher niederzule-

gen, bis der legitime König auf seinem Thron sitzen würde. Denn dass dies eintreten würde, war ganz und gar unzweifelhaft! Die Patres hatten ihnen so viele unwiderlegbare und ausführliche Prophetien über jenen großen Monarchen und jenen bewundernswerten Papst, die gemeinsam über den ganzen Erdball herrschen sollten, vorgelesen, dass es wahrhaft schwierig war, diese beiden nicht in der doppelten Grandezza von Pius IX. und dem Comte de Chambord wiederzuerkennen.

Sie waren sich ihres Erfolgs sicher und überraschten anfangs – die meisten mit einem ziemlich großen Vermögen auf dem Buckel – mit ihren Ansichten und ihren Extravaganzen die etwas altbackenen und weniger begüterten Kameraden, deren Uniformen sie sich zu eigen machten: kleiner schwarzer Hut mit schwarzer Feder an der Seite, dunkelblaue Hose mit hellblauer Borte, Jacke und Gürtel. Da die Preußen wie Wanzen zerquetscht und wie Hasen zur Strecke gebracht werden sollten und der Krieg von nun an ohnehin mehr

In diesem Punkt stimmten die Zeugnisse überein, vom Bischof Amadeus und dem Seligen Théolophrius aus dem 12. Jahrhundert bis zum Einsiedler von Orval und dem ehrwürdigen Exegeten Holzhauser, die in ihren Behauptungen von den jüngsten Sehern bestätigt wurden. Sie waren also aus den Provinzen des Westens eingetroffen und sangen dabei so entschieden jenen dithyrambischen Brocken, den ich zu ihrer Glorifizierung vor dem Vergessen retten konnte:

einer amüsanten Treibjagd mit Halt in jedem Schloss gleichen sollte, kann man sich vorstellen, wie weit die mütterliche Fürsorge und der stolze Geschmack eines jeden gingen, um aus diesem bescheidenen Geschirr etwas Aufgeschäumtes zu machen. Im Bataillon gab es ungefähr sechzig solcher Kinder, denen die Autorität einiger Grobiane vom ersten Tag an den ungerechten Beinamen »Kleine Verreckte« verordnete.

Il est écrit que deux grands hommes, L’auguste bandeau sur le front, Dans la nuit des temps où nous sommes, En Occident apparaitront: L’un, d’une sainteté sublime, Doit, dans la nouvelle Solyme, Glorifi er la vérité; Par son audace et sa prudence, L’autre, sur le trone de France, Etonnera l’humanité.

Nach einem kurzen Moment der Bestürzung und des Schreckens warfen sie sich zitternd auf ihre Waffen. Man hatte ihnen am Morgen zwar gesagt, dass der Feind in der Nähe sei, und gerade weil sie einen Kampf erwarteten, hatten sie vorab um diese Messe gebeten, wie die klassischen Helden unter Sobieski. Aber sie dachten, dass ihnen dafür mehr Zeit bleiben würde, und da sie vom Krieg bisher nicht mehr gesehen hatten als das provinzielle Durcheinander bei der Rekrutierung und

bei der Mobilmachung, ließ die Ankunft des tödlichen Geschosses, das außerdem von einer recht lebhaften Schießerei begleitet wurde, ihnen das Herz gewaltig höher schlagen. Es gab Gründe genug, anzunehmen, dass diese Kanonenkugel nicht eigentlich für sie bestimmt gewesen war, denn die Preußen hatten keine Ursache, ihre Anwesenheit in dieser Ecke des Waldes zu vermuten, in der sie seit zwei Tagen lagerten. Der Kampf begann mit größter Wahrscheinlichkeit drei oder vier Kilometer weiter vorne, auf der Straße nach Pithiviers. Dort sollten robuste Truppen stehen, die dazu in der Lage waren, Widerstand zu leisten. Dies alles erklärte ihnen der Hauptmann und er gab ihnen den Befehl, sich bereitzuhalten. Dieser Hauptmann war ein altgedienter Haudegen, ein ehemaliger Marineoffizier, angenehm im Umgang und sehr leutselig; ihm war es eine Freude, so guterzogene junge Leute anzuführen. Der Tod des Feldgeistlichen hatte auch ihn schwer getroffen. Er war mit ihm entfernt verwandt. Unter Tränen wickelte er ihn mit den eigenen, zitternden Händen in eine Zeltbahn und ließ ihn zur Ambulanz abtransportieren, in Erwartung eines den Umständen entsprechenden, mehr oder weniger prunkvollen Begräbnisses. »Herr Hauptmann«, sagte dann der junge Marquis Enguerrand de Bellefontaine, ein prächtiger, zweiundzwanzigjähriger Kerl, der bestimmt nicht die Physiognomie eines Verreckten hatte, mit bemerkenswerter Festigkeit, »der Tod unseres verehrten Geistlichen hat uns


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© Heidi Sill/ Mathes&Seitz

um die Messe gebracht. Meine Kameraden und ich sind bereit, unser Leben zu opfern, und wir werden wie Edelmänner marschieren, sobald man uns das befiehlt. Aber denken sie nicht auch, dass es grausam wäre, dieses dort vorbereitet zu haben, wenn unsere Untätigkeit sich auch nur eine Stunde fortsetzen sollte?« Er zeigte auf den Missionarsaltar, der aus Kantinenböcken bestand und mit einem wertvollen Tuch bedeckt war. Man hatte die symbolischen Stufen ebenso wenig vergessen wie die Kerzen: Zwei Kerzen von Etoile oder Phénix waren rechts und links in Chassepot-Gewehre eingepflanzt. Ein großes, im Boden verankertes Kreuz aus zwei dürren Baumstämmen überragte das Ganze. Schließlich formte das dichte Laubwerk der umstehenden Bäume ein Dach, das die umliegende Erde bedeckte und in seiner spätherbstlichen Farbenpracht wie ein anmutiger, uralter Wandteppich wirkte. Dem Anfragenden wurde auf eigenes Risiko die Erlaubnis gewährt, den Pfarrverweser des nächsten Ortes zu holen, von dort also, wo das Gefecht stattfand, und ein glücklicherweise zur Verfügung stehender Wagen trug ihn auf der Stelle davon. Sein Eifer muss unerhört gewesen sein, denn keine halbe Stunde war verstrichen, dass man ihn im Schweinsgalopp zurückkehren sah, den Geistlichen im Schlepptau. Letzterer war – Gott sei Dank! – ein junger Priester, dazu befähigt, seine Schlachtenmesse rasch und ohne Stammeln zu erledigen.

Er hatte mit Ruhe das Schicksal desjenigen, den er ersetzen sollte, vernommen: »Mein lieber Junge«, antwortete er schlicht dem Boten, »ob im Krieg oder im Frieden, die Messe wird immer in Anwesenheit des Feindes gefeiert.« Allerdings hatte er sein schwarzes Ornat angelegt und wollte keine andere als die Totenmesse sprechen. Man vernahm weiterhin die Geräusche des Kampfes, der offensichtlich näherrückte. Die Messe wurde ohne ein Wimpernzucken ener-

Kampf. Es schien, als greife der Feind von allen Seiten zugleich an. Man hatte es für unbedenklich gehalten, die jungen Leute bis zur letzten Minute aufzusparen, die daher in Wirklichkeit die Nachhut bildeten, solange man nicht eingekreist sein würde. Genau dies war man aber seit einigen Augenblicken, und die heftigsten Attacken dieses breitgefächerten Angriff s galten ihnen ganz allein. »In Schützenreihe?« Ach, dieser wackere Kommandant!

gisch fortgeführt. Als der Zelebrant, der mit sehr hoher Stimme betete, jene Worte des Offertoriums aussprach: Ne cadant in obscurum , wurde einer der Zuhörer aus der ersten Reihe von einer Kugel ins Bein getroffen, woraufhin er mit liturgischer Genauigkeit, ohne die Andacht seiner Kameraden auch nur mit einem Schrei zu stören, zu Boden fiel. Als sei dieser Sturz ein Signal gewesen, erschien in derselben Sekunde der Kommandant mit erhobenem Säbel: »Meine jungen Freunde«, rief er, »ich störe die Feier nur ungern, Gott wird es mir aber sicher nicht übel nehmen, wenn ich meine Pflicht tue. Hauptmann, in Schützenreihe nach links. Die Preußen werden in unser Lager gedrängt und werden versuchen, von hier in den Wald zu kommen.« Ein schreckliches Gewehrknattern unterstrich diese letzten Worte. Alle anderen Kompanien waren in ihren Stellungen und bereits im

Diese Novizen mussten den Tod nicht suchen. Sie hatten keine dreißig Schritte getan, als das Hereinbrechen einer ungeheuren Masse, die die Atmosphäre zu verschieben schien, sie dazu zwang, sich bis zum Lager zurückzuziehen, wo sie instinktiv einen Kreis formten, dessen geometrisches Zentrum der Altar bildete. Der Priester setzte seine Messe mit der Ruhe der Heiligen fort. Wie man weiß, darf der Offiziant sich ab einem bestimmten Moment unter keinen Umständen mehr unterbrechen. Unter theologischen Gesichtspunkten gibt es keine höhere Gewalt – es sei denn, sie käme von Gott! –, die ihn von der absoluten Notwendigkeit, die unaussprechliche Handlung zu vollziehen, befreite. Dies wussten die armen Kinder und sie entschlossen sich ohne große Worte dazu, sich töten zu lassen, nicht für Frankreich, nicht für den König, nicht einmal für die Engel und die Heiligen im Himmel, sondern einzig und al-

lein dafür, dass diese Messe vollendet werden könne. Es geschah also etwas zugleich Furchtbares und Schönes. Sie ließen sich tatsächlich alle auf der Stelle und in genau der Zeit abschlachten, die dazu nötig war, die schmutzigen Häretiker das wahre Opfer nicht unterbrechen zu lassen. Dieses Gemetzel wurde aber auch nicht verschenkt. Die Preußen mussten es teuer bezahlen, denn die Jünglinge kämpften, als seien sie mehr als Menschen, und man erzählte, dass der grässliche Herzog von Mecklenburg, der Frauen mit Kanonen belagern ließ, bei der Nachricht von der Tat der kleinen Verreckten geschluchzt haben soll. Sie hatten der Messe wie früher folgen wollen, wie damals bei den Patres, um sich auf den Tod vorzubereiten, der »kommt, ohne dass man ihn erwartet«. Sie folgten ihr noch ruhiger und aufmerksamer, während sie die Störenfriede des Altarraumes abschlachteten und von ihnen abgeschlachtet wurden. Die hübschen schwarzen Messbücher – wer weiß, was aus ihnen geworden ist! – wechselten sicherlich ebenso die Farbe wie der wertvolle Kaschmir und die Federn von Geiern oder tropischen Vögeln, die ihre kleinen Hüte so ruhmreich schmückten. Und als sich der Priester nach vollendeter Messe umwandte, um seine Zuhörer bei der Entlassung zu segnen, sah er sich der bleichen Stirn der Sieger gegenüber, bis auf Augenhöhe verrammelt von einem Berg Sterbender und Toter.


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Ausgabe N°13 • März /April 2011 • Jahrgang 2 • trafficnewstogo.de von Sabine Weier und Sebastian Hoff, Bremen/Hannover Im März bringt die Leipziger Buchmesse wieder Protagonisten des Literaturmarktes zusammen und krönt geniale Neuerscheinungen und Übersetzungen. Sieben Kritiker haben sich in den vergangenen Wochen durch 15 nominierte Bücher gelesen, um die Gewinner des Preises der Leipziger Buchmesse zu küren. Themen auf der Liste: Sex, Drugs, Politics – eben wie im richtigen Leben. Wir stellen die Meisterwerke vor und legen sie in letzter Zeit unter die Medienlupe geratenen Persönlichkeiten ans Herz. Wir gratulieren auch den Preisträgern Clemens J. Setz, Henning Ritter und Barbara Conrad zu ihren Auszeichnungen. Empfehlung für: Radiohead „Fatrasien“ Autor: anonym, Übersetzt von: Ralp Dutli Nominiert in der Kategorie: Übersetzung Es kann durchaus inspirierend sein, mal ins tiefste Mittelalter zu greifen und einen surrealistischen Sprach-Rabatz wie die „Fatrasien“ hervorzukramen: Sich reimende Verse besingen Unmögliches, Unvernünftiges, Abstruses und Karnevaleskes und schlagen damit einen beängstigend modernen Ton an. Genau das Richtige für die britische Kultband Radiohead, die gerade mit „King of Limbs“ wieder ein preisverdächtiges Album voller eigenartig anmutender Poesie veröffentlicht hat. Empfehlung für: Kim Jong-un „Die Liebe zur Zeit des Mahlstädter Kindes“ Autor: Clemens J. Setz Nominiert in der Kategorie: Belletristik Nach „Söhne und Planeten“ und „Die Frequenzen“ legt der junge Erfolgsautor Setz nun einen Band mit fabelhaften Erzählungen vor. Das könnte etwas für Kim Jong-un sein, Sohn und designierter Nachfolger von Kim Jong-il. Zum einen dürfte er sich mit dem Mahlstädter Kind, einer Statue, die Dorfbewohner tagsüber loben und nachts verprügeln, innerlich recht verbunden fühlen. Vor allem aber findet der heranreifende nordkoreanische Diktator in der Gattung der kurzen Erzählung eine mundgerechte Literaturform für seinen engen Terminplan. Empfehlung für: die Königin von England „Kream Korner“ Autorin: Anna Katharina Fröhlich Nominiert in der Kategorie: Belletristik Sehr amused wäre sicherlich Queen Elizabeth II., wenn sie in Fröhlichs Roman läse und eine Anleitung zur Flucht aus dem faden Luxus hin zu exotischen Träumen in der alten Kronkolonie entdeckte. Gelangweilt vom Leben auf einem südfranzösischen Landgut begibt sich die Protagonistin nach Indien, um dort Freunde ihrer Tante zu besuchen. Der reiche Sikh-Clan bezirzt sie mit Prunk und Charme, doch schließlich lächelt sich ein Rikschafahrer in das Leben der Hauptfigur. Empfehlung für: Julian Assange „Verlernen“ Autorin: Marie Louise Knott Nominiert in der Kategorie: Sachbuch / Essayistik „Verlernen“ heißt, altes Denken über Bord zu werfen, um besser zu verstehen. Knott skizziert unter diesem Titel Hannah Arendts Kampf gegen den kollektiven Selbstbetrug und erinnert daran, wie wichtig es sein kann, in der Ratlosigkeit einen Anstoß zur Veränderung zu entdecken und aus Fragen Waffen zu schmieden. Beste Lektüre für Julian Assange, der mit WikiLeaks einen wichtigen Beitrag zum Verlernen geleistet hat und in London auf seine Auslieferung an Schweden wartet. Empfehlung für: Helene Hegemann und Karl-Theodor zu Guttenberg „Notizhefte“ Autor: Henning Ritter Nominiert in der Kategorie: Sachbuch / Essayistik Bei Rotwein und Weichkäse sollten sich Ex-Verteidigungsminister zu Guttenberg und die im vergangenen Jahr selbst in Leipzig nominierte Hegemann gegenseitig aus den Notizheften vorlesen. Gemeinsam entführt in die europäische Kulturgeschichte, zu Rousseau und Montesquieu, Nietzsche und Canetti, würden die zwei ganz neue Quellen erschließen! Kurz und kürzer, als Essay oder Aphorismus, eignet sich Henning Ritter ausgezeichnet zum häppchenhaften plagiieren nebenbei, zum Beispiel im Rahmen zwangloser Privatpartys. Empfehlung für: Guido Westerwelle „Gott und die Krokodile“ Autorin: Andrea Böhm, Nominiert in der Kategorie: Sachbuch / Essayistik

In Afrika wurde Außenminister Westerwelle bislang eher selten gesehen. Was er dabei im Kongo alles verpasst, kann er jetzt aber bei Böhm nachlesen. In ihrem Reiseband begnügt sich die ZeitRedakteurin nicht mit Landschafts- und Sittenbeschreibungen nach Kolonialherrenart. Vielmehr berichtet sie von Menschen und erzählt in Porträts und Schicksalen aus der bewegten Geschichte des Landes. Details und lebendige Eindrücke machen den Alltag im Kongo erlebbar. Empfehlung für: Richie Hawtin „Seerücken“ Autor: Peter Stamm Nominiert in der Kategorie: Belletristik Einfach, lakonisch, wesentlich: So erzählt der geniale Peter Stamm von Lebensgeschichten auf der Ersatzbank. „Seerücken“ beleuchtet in eindringlichen Variationen verpasste Lebensentwürfe, so minimalistisch und konzentriert, dass sie bisweilen an Fotografien oder Skizzen erinnern. Richie Hawtin, Label-Chef, DJ und Meister der elektronischen Reduktion dürfte sich an diesem Stil erfreuen, auch wenn er selbst zu den Spielmachern der Szene gehört.

WER DAS LESEN SOLL

Ein satirischer Blick auf die Leipziger Shortlist Empfehlung für: Natalie Portman „Unter dieser furchterregenden Sonne“ Autor: Carlos Busqued, Übersetzt von: Dagmar Ploetz Nominiert in der Kategorie: Übersetzung Die Rolle der Psycho-Ballerina in „Black Swan“ hat Natalie Portman ja gerade einen Oscar beschert. Viel Vergnügen dürfte ihr also Carlos Busqueds Erstlingswerk mit nicht minder halluzinogenen Szenen bescheren. Der ständig kiffende Cetarti macht sich auf den Weg in die argentinische Provinz, um die Leichen von Mutter und Bruder zu bestatten. Rausch, Korruption und die hässliche Vergangenheit einer Nation verschwimmen zum aronofskyesken, perfekt durchkomponierten Horrortrip. Empfehlung für: John Galliano „Die Panikmacher. Die deutsche Angst vor dem Islam.“ Autor: Patrick Bahners Nominiert in der Kategorie: Sachbuch / Essayistik Eine Angst geht um in Europa, die Angst vor dem Islam. F.A.Z.Feuilleton-Chef Bahners räumt auf, zumindest in Deutschland. Menschen mit islamischer Glaubenszugehörigkeit haben hier dank öffentlicher Personen wie Alice Schwarzer und Thilo Sarrazin nichts mehr zu lachen. Stardesigner John Galliano hält es eher mit dem Antisemitismus. Bei Dior wurde er gerade gefeuert, weil er öffentlich Juden angriff. Falls er mit einem deutschen Modehaus liebäugelt, sollte er hier mal reinschauen, dann weiß er gleich, womit er sonst noch ins Fettnäpfchen tritt.

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Empfehlung für: Silvio Berlusconi „Anständig Essen. Ein Selbstversuch.“ Autorin: Karen Duve Nominiert in der Kategorie: Sachbuch / Essayistik Karen Duve will’s wissen: Biologisch-organisch, vegetarisch, vegan, frutarisch – welche Ernährungsweise ist die moralischste? Je zwei Monate testet sie die Diäten, um sich dann dauerhaft für eine zu entscheiden. In Sachen Gewissensbiss könnte sich der italienische Regierungschef Silvio Berlusconi inspirieren lassen, ihm wird gerade wegen Steuerbetrug, Korruption, Amtsmissbrauch und Förderung der Prostitution der Prozess gemacht. Wir empfehlen: Die Human-Rights-Pizza, davor die Moral-OfThe-Story-Is?-Spaghetti. Empfehlung für: Kai Diekmann „Tschick“ Autor: Wolfgang Herrndorf Nominiert in der Kategorie: Belletristik „Zwei 14-jährige Jungs klauen ein Auto und fahren herum“, das schien Herrndorf der beste Stoff für ein Jugendbuch im gegenwärtigen Deutschland zu sein. Mittelklasse-Maik trifft auf Tschick mit Migrationshintergrund, der sich ein kurzes Stück schwarzes Isolierband unter die Nase klebt, um am Steuer älter auszusehen. Was bei Herrndorf Integrationsromantik und feine Politsatire geworden ist, klänge im BILD-Jargon eher so: „Autoklauender Russe mit Hitlerbart entführt Manager-Sohn“. Chefredakteur Diekmann könnte sich etwas abschreiben. Empfehlung für: Daniel Richter & Jonathan Meese „Ein Produktionsroman (Zwei Produktionsromane)“ Autor: Péter Esterházy Nominiert in der Kategorie: Belletristik Schon die Idee, ein ausgestorbenes kommunistisches Genre zu parodieren, aus der Zeit, in der russische Autoren das Leben der Arbeiterklasse schönzuschreiben hatten, kommt literarisch ziemlich subversiv daher. Aber die Parodie in einem zweiten Band zu begleiten, der dokumentarisch von den persönlichen Produktionsverhältnissen des Autor-„Meisters“ berichtet und seine Gedanken zum Roman skizziert – das ist postmoderne Anarchie. Man möge sie in einer transmedialen Inszenierung dekonstruieren, unbedingt mit digitalem Bühnenbild von DanielRichter und Jonathan Meese. Empfehlung für: Gaddafi „Krieg und Frieden“ Autor: Lew Tolstoi, Übersetzt von: Barbara Conrad Nominiert in der Kategorie: Belletristik Herr Gaddafi, was haben Sie eigentlich gegen Frieden? Zugegeben, es ist nicht einfach. Tolstoi brauchte 250 Personen und zahlreiche Handlungsstränge, um zwischen den Polen Krieg und Frieden ein grandioses Stück Literaturgeschichte zu verorten. Aber es hat sich gelohnt, was diverse Adaptionen in der Oper, im Film, in Hörspielen und jetzt diese frisch gedruckte Neuübersetzung belegen. Und überhaupt, Herr Gaddafi, das Aufgeben zieht jede Menge freie Zeit nach sich, dann könnten Sie sich auch mal „Krieg und Frieden“ auf rund 2.200 Seiten gönnen. Empfehlung für: Mark Zuckerberg „Mein Name ist Legion“ Autor: António Lobo Antunes Nominiert in der Kategorie: Belletristik Die Jugend in Zeiten der globalisierten Moderne hat viele Gesichter. Die einen leben am urbanen Rand der Gesellschaft, wo sie rauben und töten, wie die schwer kriminelle Jugendgang in Antunes’ Sozialdrama. Die anderen machen Millionengeschäfte, verstricken sich in Datenschutzskandale und gleiten in die Einsamkeit ab, wie Facebook-Gründer Mark Zuckerberg. Fragt sich, welche Perspektive desaströser ist? Eine analoge Auseinandersetzung mit dem Leben anderer könnte Zuckerbergs Horizont ungemein erweitern. Empfehlung für: Liu Xiaobo „Der alte König in seinem Exil“ Autor: Arno Geiger Nominiert in der Kategorie: Belletristik Mit dem Porträt seines an Alzheimer erkrankten und doch witzig und charmant gebliebenen Vaters hat Arno Geiger auch ein Buch über die Würde des Menschen geschrieben. Seine Botschaft: Das Leben ist es immer wert, gelebt zu werden. Damit könnte Geiger auch dem Schriftsteller und Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo Mut machen. Bei der Leipziger Buchmesse erinnert am 20. März eine Lesung daran, dass er nach wie vor wegen Kritik an der chinesischen Führung in Haft sitzt.


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Skandalautor und Moralist: Michel Houellebecq kommt nach Berlin

Freundschaft zum eigenen Ich

© Philippe Matsas Flammarion

von Marc Hairapetian Was hat man Michel Houellebecq nicht alles vorgeworfen! Man hat ihn als Rassisten, Frauenhasser, Hitler-Verharmloser und Reaktionär beschimpft, der zwar fernöstliche Bordelle preisen, aber den Islam verunglimpfen würde. Zudem wäre er auch noch stilistisch schwach. Seine zahlreichen Anhänger schert dies wenig: Der Mann mit dem schütteren Haar, der stets in seinem zum Markenzeichen gewordenen Parka zu versinken droht, ist der meistgelesene französische Schriftsteller seiner Generation. Mit seinem neuesten Roman „Karte und Gebiet“ hat der sogenannte Skandalautor nun wirklich alle verblüfft, ob Freund oder Feind, Literaturkenner oder Mainstreamkonsument: Das einstige Enfant terrible

verzichtet weitgehend auf alle Provokationen und überrascht vielmehr mit einer Zartheit, die man ihm kaum zugetraut hätte. Zudem beweist er Mut zur Selbstironie: Im Schlussteil beschreibt er seinen eigenen Tod - und der ist alles andere als friedlich. Zerteilt von einem Laserschneider findet ihn die Polizei im Haus seiner Kindheit, in das er sich als zahm gewordene „alte Schildkröte“ zurück verkrochen hat. Hauptfigur ist allerdings der Maler Jed Martin, der mit einer Ausstellung auf Grundlage von Michelin-Karten reich und berühmt wird, und in dessen Werk sich Houellebecqs eigene Ästhetik spiegelt („Die Karte ist wichtiger als das Territorium“), weswegen beide auch rein menschlich betrachtet näher zusammen rücken. Martin schließt also nicht nur Freundschaft mit Houellebecq. Der zuvor ewig unglücklich scheinende Houellebecq schließt sie also auch als Nebenfigur in seinem eigenen Roman mit sich selbst. Ein wirklich gelungener Kunstkniff! Diese

Freundschaft zum eigenen Ich zieht sich durch den gesamten Band. Der beleidigte Unterton seiner anderen Werke fehlt weitestgehend. Wer sein Mörder ist, soll an dieser Stelle nicht verraten werden. Nur eines vorweg: Es ist nicht Martin. Der wie alle männlichen HouellebecqProtagonisten sozial isolierte Künstler hat andere Baustellen: die zu kurze Beziehung zur schönen Russin Olga und den Tod des Vaters, der sich in der Zürcher Euthanasie-Anstalt Dignitas umbringen lässt. Überhaupt ist Houellebecq, der die 50 mittlerweile überschritten hat, diesmal vom Sterben so besessen wie einst vom Sex. Und das ist natürlich preiswürdiger als die minutiöse Schilderung eines ungehemmten Stelldicheins in einem Thai-Massagesalon. Sein Berliner Publikum wird der auf Réunion geborene Moralist im Wolfspelz - pardon: Parka! - darüber hinaus am 6. April ein zweites Mal verblüffen - und zwar durch eigene Präsenz! Im Kino Babylon an der Rosa-Luxemburg-Straße

liest er ab 20 Uhr aus dem französischen Original von „Karte und Gebiet“. Die deutsche Übersetzung trägt der ehemalige Intendant des Berliner Ensembles und jetzige Burg-Schauspieler Martin Wuttke vor, der den „Tatort“-Kommissar genauso zu geben vermag wie den Führer in Tarantinos „Inglorious Basterds“. Ein spannender Abend steht auch mit einem milder gewordenen Houellebecq bevor. Man darf jedenfalls gespannt sein, ob er sich zur Plagiatsbehauptung äußern wird. Das Online-Magazine „Slate“ schreibt nämlich, er habe eine Erläuterung zur Hausfliege von Wikipedia abgeschrieben. So unverbindlich wie der ehemalige Verteidigungsminister zu Guttenberg würde sich ein Houellebecq, wie wir ihn kennen und schätzen, bestimmt nicht heraus reden. Wie dem auch sei: „Karte und Gebiet“ schreit förmlich nach einer Verfilmung, die dann allerdings hoffentlich nicht so schwach ausfallen wird wie Oskars Roehlers Adaption von „Elementarteilchen“.


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Die Andere Seite Berichte aus dem Großraum des Phantastischen

Aus dem Archiv: Architektur der Entgrenzung

Körper und Geheimnis

„Das Haus. House of Leaves“ von Mark Z. Danielewski

„Das Holzschiff“ von Hans Henny Jahnn

Ein Haus stellt seine Bewohner vor immer neue Herausforderungen. Räume tauchen aus dem Nichts auf, verschwinden, kommen wieder, größer, kleiner, der Garten expandiert. Die unmöglichen Passagen durch das bewegliche Labyrinth werden von verschiedenen Personen dokumentiert. Zampanó, der verstorbene Bewohner, hinterlässt geschriebene Fragmente. Der verstörende Film über das Anwesen, „Der Navidson Record“, taucht auf. Dagegen unauffindbar das Haus. Doch einmal drin, verliert man sich in einer fremden Logik. Die Erzählungen decken sich nicht, sind diffus und paranoisch. Das Buch sammelt dies, es ist ein Archiv des Unwahrscheinlichen. Der Vernunft fern ändern, analog zum Geschehen, die Seiten die Gestalt, Schrift steht kopf, quer, Typografien wechseln. Die oft ausufernden Fußnoten verweisen auf echte wie inexistente Quellen. Derart unterschiedslos verdrängt Spekulation allmählich Wissen. Bis nichts mehr messbar, bis die Logik in den Tiefen des Hirns verschwindet. Des Autors eindrückliche Warnung: „Das hier ist nicht für euch.“

Die Lais wurde nach alter Art ganz aus Holz gebaut. Auftrag und Ziel des Schiffes sind unbekannt, die Ladung ist so rätselhaft wie der Reeder, selbst der Kapitän ist nicht unterrichtet. Seine Tochter Ellena reist mit. Als vor Abfahrt bei einem unklaren Streit die Mannschaft ausgetauscht wird, schleicht sich ihr Verlobter, Gustav Anias Horn, als blinder Passagier ein. Nicht allein die Ungereimtheiten schrecken, auch Hohlräume und falsche Wände. Auf See verlangen er und die abergläubischen Matrosen Erklärungen, die verweigert werden. Ellena verschwindet. Bald wahnsinnig, brechen sie den geheimnisvollen Schiffsbauch auf. In Jahnns tief geschichtetem Kulturbegriff ist das Verborgene bedeutend, etwas, „das von Zeit zu Zeit das Kommando an sich nimmt“. Dies bildet Mythos und ist übermächtig, kein noch so massiver Aufklärungsdrang kommt dem bei. Der Mensch bleibt der Welt ausgeliefert. Erst nach Fertigstellung des Romans wurde das Werk „Fluß ohne Ufer“ konzipiert. Doch eigenständig bildet „Das Holzschiff“ dessen ersten Teil. Hans Henny Jahnn „Das Holzschiff“ (1949), aus: Fluß ohne Ufer (1949 - 1950, Epilog 1961) Suhrkamp, Frankfurt am Main, 2000

Alban Nikolai Herbst „Die Fenster von Sainte Chapelle“, Kulturmaschinen Verlag, Berlin, 2011

Zoran Zivkovi  c „Der unmögliche Roman“ Aus dem Serbischen von Margit Jugo und Astrid Philippsen DuMont, Köln, 2011

Mark Z. Danielewski „Das Haus . House of Leaves“ Original: „House of Leaves“ Pantheon Books, New York 2000 Aus dem Amerikanischen von Christa Schuenke, Mitarbeit Olaf Schenk Klett-Cotta, Stuttgart, 2007

14,90 Euro

24,99 Euro

29,95 Euro

46,00 Euro

von Ralf Diesel Die kritische Realität

Die Bosheit der Alternativen

„Die Fenster von Sainte Chapelle“ von Alban Nikolai Herbst

„Der unmögliche Roman“ von Zoran Zivkovi  c

Ein Autor wird nach Paris beordert, um einen Roman zu schreiben. Nicht irgendeinen, nicht für irgendwen. Undurchsichtig der geschlechtsindifferente Auftraggeber, „Der Gräfin“. Ebenso die motorradfahrende Jenny, die ihn abholt. Die Hauptfigur namens Alban Nikolai Herbst flaniert durch Paris und durch die Fragen, wer wer ist, was was ist. Es wird ein Marsch durch die Realitäten. Entnervt forciert er die Suche nach den Hintergründen. Ein Schlag auf den Kopf bei einem mysteriösen Boot bringt ihn, doch nicht seine Suche zu Fall. Unter Paris tut sich ein Abgrund auf. Herbst treibt sein zentrales Thema, das Ich, in kulturelle Ursubstanzen. Doch griffig, gar körperlich. Die Fenster von Sainte Chapelle sind ganz Mythos wie Physik. Der Mensch drängt nach Erkenntnis, wird zugleich vom nicht Erkennbaren in die Enge getrieben. Es kriselt, wird zunehmend kritisch. „Das Fürchterlichste war, dass ich auch von mir nichts gewusst habe“, sagt Jenny. Der Roman schwingt um fehlende Begriffe, um Vermögen und Unvermögen, der Sprache der Dinge habhaft zu werden.

Der Teufel schenkt Zeit, Gott Vergessen. Literarische Figuren klopfen an die Tür ihres Schöpfers - überall fallen Versprechen in das bisherige Leben. Doch jedes Versprechen zeitigt eine endlose Schleife aus neuen Pros und Contras: Der Mann, der den Tod seiner Geliebten in einer Zeitreise abwenden kann, ist sein alternatives Leben lang von Traurigkeit geschlagen. Ein hilfloser Lehrer spielt seinen autistischen Schülern Musik vor, er endet hilflos angesichts des ungeheuerlichen Ergebnisses. Was zutage tritt, erschüttert: Man hat keine Wahl. Gott persönlich erklärt enttäuschend, seine Gnade bestehe nicht darin, ein schönes Leben zu schaffen. Zivkovi  c räsonierende Geschichten stellen in fließender Sprache das Leben als vertrackt und zugleich einfach dar, ähnlich Fabeln. Das Phantastische klemmt Routinen ein und blockiert. Kategorisch werden Lektionen erteilt. Doch die Gemeinheit, die goutiert wird, liegt in einer anderen Ausweglosigkeit: Irgendwann reißt das Gewohnte das Leben ein.

Zurzeit nicht als einzelner Roman veröffentlicht, als solcher aber antiquarisch erhältlich.


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English Appendix

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Do you need your frames to see or to be seen?

Arrogant bastard

THE ID vs. THE YOGA MASTER by Adrian Stanley Thomas, New York City

Framed Landmarks A frame is intended to enhance the subject and make it easier to display or protect it. Some are more conventional than others, as they vary in shape, form and size. Since almost anything can be framed then surely this must also have an impact on cultural framing. During the 19th century, a young America was aiming to solidify the principles of democracy upon which the country was founded. As such, American artists and craftsmen looked to the first democracy ancient Greece - in creating art and architecture. One of the most important frame designs of the early 19th century is the Sully frame, named after the painter Thomas Sully whose works were often housed in a simple style. However, during the Renaissance period the Medici family enjoyed displaying more lavish and luxurious frames on the walls of their estates. So if we’re not framing art or photographs, we are constantly reframing ourselves. Be it through fashion or acquiring new knowledge, we are always trying to capture the right aest-

hetic of our personalities and images in order to preserve it within a frame. Glasses are another significant kind of frames; they can be a major part of one’s personal image and expression. Who remembers John Lennon without his trade-mark glasses? Audrey Hepburn was also renowned for her iconic style by wearing Ray-Ban Wayfarers, which became very popular during the 1950s and 1960s. Through the paradigm of globalization it has become a challenge to always strive for an individual, creative and unique style. The iconic brand has been exposing individual personalities around the globe capturing the style of each person behind a giant frame which was placed in front of famous landmarks. Of course Ray-Ban was also seeking in Berlin and the unique photos of Berliners can be found on the website, framed. So hopefully when James Franco is wearing his Wayfarers he won’t be framed as James Dean although the similarity is uncanny.

From time to time there are epic battles of intellect and power. In any confrontation, sides are chosen and wagers made to predict the outcome and secure bragging rights to embarrass the losers. In a world that endorses sacrifice, sloth and conservative family values simultaneously, it was only a matter of time before the nexus of the universe entertained the heavy weight match between the “Id” and the “Yoga Master”. Before you disavow this as frivolity, let’s look closely at the build-up of what could be the most anticipated duel of the modern world. Because the (id, ego, and super-ego) are tethered for eternity by Freud’s model of the psyche, we can surely lay any discontent with his theories of conscious enjoyment and moral guilt with the messenger; or can we? Whether or not you believe that our ids of distinction would run reckless if not for the ego and super-ego, it is without a doubt that there is a battle for sanity that happens within a curious mind that questions purpose and moral judgment. Since our kind has walked this earth, we have challenged the boundaries of right and wrong, sunlight and snow, dictatorship and Utopia only to make proclamations in the written word, while killing and enslaving as a business on the other. However vile or morose the onslaught has been throughout the world by democratic nations, dictatorships, or socialist regimes, it can’t be denied that this aggressive collective of cormorants are responsible for the very luxuries you enjoy today. Isn’t that perplexing to ponder? We chastise the forefather in his wickedness and mischief, but tip our hats at his holiday. I tell you now that the id is the culprit. What else could hold our innate passions and desires so strongly without regard for collateral snickering? I like this id. I do. But ladies and gentlemen, there’s someone among us who seeks to destroy our pleasure. Someone intent on that collective kindness principle, not the “Pleasure Principle”, if there was a time for us to collaborate, this is it. I’m worried because there’s talk that more and more countries will want democracy and equal pay. Would you believe cell phones and com-

puters have also been discussed? It’s because of this fear that we must censure these “Equality” measures before things get out of hand. The proliferation of narcotics, oil for your car, and cheap clothes should really come before human rights, wouldn’t you agree? See, I’ve become accustomed to these things. I believe that this should certainly account for something. If I already have it, then my voluptuary instincts are working properly. My id has rights! The inherited basic drives and instinctual passions that have been nurtured over the years are specific about what pleasure is and how to obtain it. STOP YOUR TALKING THIS INSTANT! THIS IS THE YOGA MASTER SPEAKING. OUR WORLD IS A DECENT WORLD. YES, THERE HAVE BEEN WARS AND KILLING FOR NO REASON, BUT THE HUMAN IS BASICALLY A GOOD PERSON AND A FEW WARS HERE AND THERE REALLY ARE NOT A PROBLEM. I apologize for the interruption. That was the Yoga Master. He tends to interrupt on occasion now without asking for permission to speak. I have yet to see him physically, I just hear his voice. As you can hear, it’s a guy. Even though most yoga people are women, leave it to a guy to get ridiculous. For some reason, the Yoga Master wants to fight my id. He doesn’t like the articles that I’ve been writing. He’s a little upset that I might be promoting selfish pleasure and all the rest. I tried to negotiate with him, but without success. My only hope is that we combine our ids all over the world, a global (Id). Just think of it, a zillion ids against one Yoga Master. Do you know what he wants to do? He wants everybody to solve their problems and promote peace through yoga. The last thing that I want is millions of people walking around with little rolled up mats and smiling at me. YOGA IS RELAXING. I know that Yoga Master, but so is vodka and frolicking with a pretty girl. Even though I think I could take this fool. He may have tricks up his sleeve and no one wants a crazy Yoga Master with reinforcements on their case. If there are any brave people out there who are not afraid of a physical confrontation, please let me know. I won’t promise you that it’ll be easy. It may become very violent. It’s possible that blood may be shed. However, ask yourself the question, do I want yoga or vodka?



orion datum

neu: orion mit unverschämt großem datum. Selbst der Gast am Nebentisch sieht jetzt, ob die Tantiemen fällig sind oder endlich die Ferien beginnen. Daher heißt das neue Datum Fernsehdatum. Der patentierte NOMOS-Mechanismus ließ die ganze Uhr leicht wachsen. So wirkt sie noch flacher, schöner – und unverschämt elegant. 1800 Euro. Berlin: Christ KaDeWe, Lorenz; Hamburg: Becker; Lübeck: Mahlberg; Braunschweig: Jauns; Düsseldorf: Blome; Dortmund: Rüschenbeck; Münster: Oeding-Erdel; Köln: Berghoff, Kaufhold; Bonn: Hild; Koblenz: Hofacker; Darmstadt: Techel; Wiesbaden: Stoess; Stuttgart: Pietsch; Ludwigsburg: Hunke; München: Bucherer, Fridrich, Kiefer, Hieber; Augsburg: Bauer & Bauer; Ulm: Scheuble; Bamberg: Triebel; Dresden: Leicht. Und überall bei Wempe. www.nomos-store.com und www.nomos-glashuette.com


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