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ZEITGESCHEHEN S. 6
MODE S. 22
S.K. Hand-Druck: Mode als Zufallsspiel
Venezuela: Der paradiesische Traum gefangen im Alptraum
PORTRÄT S. 22
Honey Dijon x Comme des Garçons: Kompromisslose Zusammenarbeit
FEUILLETON S. 8
Athen und Epidaurus Festival: Eine Stadt wird zur Bühne DESIGN S. 10
BEAUTY S. 26
Schaufenster-Design: Bleib doch mal stehen! WETTER S. 12
Berlin, Paris, New York und Mailand 8 SEITEN MODE-EDITORIAL-SPREAD S. 13-20
Foto von TOBIAS WIRTH Stil von CHRISTINA VAN ZON
DIE
Nostalgie und Renaissance: Eine Auswahl an Parfums und Schönheitsprodukten KUNST S. 28
John Becks Im AntliTZ des SchädelapparaTZ: Nichts für leichte Gemüter ARROGANT BASTARD S.30
Slave to Fashion (English)
8 Seiten Mode-Editorial-Spread + Cover Foto von Tobias Wirth Stil von Christina Van Zon
MODE AUSGABE
ANNETTE GÖRTZ STORE BERLIN | MARKGRAFENSTRASSE 42 | GENDARMENMARKT
IMPRESSUM
Contributors
Foto: Martin Rojek
Tobias Wirth
Karolina Landowski Die freie Modejournalistin Karolina Landowski lebt und arbeitet in Düsseldorf und schreibt über alles Kreative – von Food bis Fashion. Dabei schlägt ihr Herz für Unkonventionelles. Als Trendexpertin hält sie Forecasts und berät Unternehmen in Kommunikation und Zeitgeist. Als passionierte Weltenbummlerin sammelt sie hübsche Orte und unvergessliche Geschichten. Ihre Faszination für Folklore und Volkskunst teilt Karolina mit der wunderbaren Schweizer Textilkünstlerin Sonnhild Kestler, welche sie für das aktuelle Heft portraitieren durfte. www.karolinalandowski.com
Seit nunmehr über acht Jahren ist Tobias Wirth als international tätiger Modefotograf erfolgreich und bereist die Welt immer auf der Suche nach neuer Inspiration und dem perfekten Motiv. Tobias lebt und arbeitet in Berlin sowie Paris und vereint durch seinen zeitlosen und trotzdem modernen fotografischen Stil die Ästhetik beider Städte. Seine visuelle Handschrift wissen Kunden und Magazine aus der ganzen Welt zu schätzen. Tobias hat in dieser Ausgabe das Modell Samira Mahboub fotografiert.
Vanessa Pecherski Im Homeoffice von Vanessa Pecherski türmen sich schätzungsweise rund 500 Modemagazine aus aller Welt – Tendenz steigend. Zu schmerzhaft wäre ein Abschied von diesen (hoffentlich, nein, sicher niemals aussterbenden) Kostbarkeiten, die die Modejournalistin verschlingt, aufbewahrt und mitgestaltet – leidenschaftlich, versiert und vorwärtsgewandt. So wie auch die gefeierte DJane und ebenfalls bekennende Magazin-Liebhaberin Honey Dijon, deren neuestem Projekt sich unsere Autorin in dieser ModeSpezialausgabe unter anderem widmet.
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SCHLUSSREDAKTION Lisa Hölzke
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MITARBEITER DIESER AUSGABE
photography/concept: Tobias Wirth @ Tobias Bosch Management styling: Christina Van Zon hair/make up: Chrissie Moissl model: Samira Mahboub @ Model Management Samira trägt: Hut: Großer elegantener schwarzer Hut mit Bändchenschnur, von Annette Görtz Bluse: Seiden–Bluse von französischem Label, von Jacquemus über matchesfashion.com
Kelley Frank, Robin Hartmann, Lisa Hölzke, Karolina Landowski, Mari Maeda, Tobias Wirth @ Tobias Bosch Management, Samira Mahboub @ Model Management, Chrissie Moissl, Yuji Oboshi, Vanessa Percherski, Raimar Stange, Jacques Stephens, D. Strauss, Christina Van Zon,
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No 69 - 2019
Michael Wolf
ISSN
1869-943 X
www.haffmansneumeister.com
ZEITGESCHEHEN
Das verlorene Paradies Ein traumhaftes Land in einer alptraumhaften S ituation, die sich immer weiter anspannt: Venezuela rutscht immer tiefer in die Krise. U nserem Autor tut das auch persönlich weh.
Wohl nicht viele Reisende kennen Venezuela aus eigener Erfahrung, sondern eher aus den Meldungen, die uns aus dem südamerikanischen Land erreichen. Fast täglich liest man mittlerweile Nachrichten über die neusten Possen von Noch-Präsident Nicolás Maduro, der mit seinem irrationalen Machterhaltungstrieb inzwischen nur noch für Fassungslosigkeit sorgt. Wenn es überhaupt etwas Positives an der jetzigen Situation gibt, dann ist es die Tatsache, dass die Ausmaße der Krise nun die ganze Welt auf das Land blicken lassen. Allerdings könnte bei den politisch weniger Interessierten nur allzu leicht der Eindruck entstehen, die Krise in dem an Öl so reichen Land wäre über Nacht entstanden. Denn viele wussten bislang nicht, dass Menschen schon seit Jahren in Massen aus dem Land fliehen, Supermärkte seit Langem leere Regale aufweisen und dass man mittlerweile fast nirgendwo mehr in Venezuela Lebensmittel kaufen kann – und wenn doch, dann zu den Preisen eines Monatslohnes oder mehr. Venezuela war einfach lange zu weit weg für die Menschen in Deutschland.
Eigentlich ein wunderbares Land…
Nicht jedoch für mich, denn in meinem Herzen wird Venezuela immer einen besonderen Platz haben: Ich verdanke dem Land meine ersten Backpacker-Erfahrungen, die ich 2013 vergleichsweise spät mit 30 Jahren machen durfte. Selber aus Berlin und damit aus einer Großstadt kommend, werde ich nie die Ankunft vergessen, bei der wir mit dem Auto meines Freundes Pablo etwa zwei Stunden bis zu ihm nach Hause brauchten, weil ein derart unerbittlicher Stau herrschte, dass fliegende Händler wie selbstverständlich zwischen den Autos ihre Waren verkauften und Artisten Kunststücke zum Zeitvertreib vorführten – das sei übrigens jeden Tag so, sagte Pablo damals.
Karibikflair und Piranha-Angeln
Meine erste Reise innerhalb des Landes führte mich auf die bei Touristen aus aller Welt einst sehr beliebte Karibik-Insel Isla Margarita, und ich erinnere mich an Traumstrände, selbst geangelten Fisch und eine sorglose Woche, an deren Ende ich vier Bücher gelesen hatte und so entspannt war, dass ich barfuß in den Flieger zurück einstieg. Vielen Menschen ging es auch damals schon nicht gut, aber sie machten das Beste aus der Situation und waren sehr freundlich und aufgeschlossen. Bei meiner nächsten Tour in die riesige und unberührte Fluss- und Sumpflandschaft der Llanos, die sich bis nach Kolumbien erstreckt, häuften sich dann bereits die Anzeichen für die Krise – ich sah sie damals jedoch nicht wirklich, war ich doch vollkommen geblendet von der majestätischen Natur Venezuelas. Wenn der Guide ein Essen zubereiten wollte und dann beiläufig bemerkte, er habe keine Milch oder keine Eier bekommen, dann war das eben so, man war ja schließlich auch mitten im Nirgendwo.
Die höchste Inflation der Welt
Von vielen bitteren Wahrheiten erfuhr ich dann im Laufe der Jahre via Facebook von meinem Freund Pablo, der ebenfalls Journalist ist. Für ihn und seine Familie wurde die Lage derart unerträglich, dass sie 2018 nach Costa Rica flüchteten, wo sie heute wieder ein ruhiges Leben führen können. Danach sehnen sich auch Millionen andere Venezolaner, die ihrem Heimatland den Rücken gekehrt haben, ja kehren mussten, um zu überleben. Denn irgendwann war es soweit, dass Mütter im Supermarkt eine Geburtsurkunde vorzeigen mussten, wenn sie Windeln für ihr Baby kaufen wollten – vorausgesetzt, es gab überhaupt welche. Sämtliche Waren wurden immer knapper und teurer, man musste für sie oft stundenlang anstehen – der Berufszweig der »Coleros« blühte auf, der professionellen Schlangesteher, die ihre Plätze in einer Warteschlange dann teuer verkaufen konnten. Geld holte man bald schon mit Schubkarren von der Bank ab, denn es verlor immer weiter an Wert; die Inflation in Venezuela ist längst die schlimmste auf der ganzen Welt. Am schwersten wiegt jedoch, dass schnell jegliche Opposition unterdrückt wurde, bereits Anfang 2014 starben bei studentischen Massenprotesten zahlreiche Menschen. Wie viele es bis heute sind, die unter dem MaduroRegime ihr Leben lassen mussten, kann man wohl nur schätzen.
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Von Robin Hartmann Über das Foto: Ein Demonstrant gerät in Brand, nachdem der Tank eines Polizei-Motorrads explodiert ist während der Zusammenstöße bei einem Protest gegen den venezolanischen Präsidenten Nicolas Maduro in Caracas. Venezuelas wütende Opposition versammelte sich am Mittwoch und schwörte riesige Straßenproteste gegen den Plan von Präsident Nicolas Maduro, die Verfassung neu zu schreiben, und beschuldigte ihn, trotz tödlicher Unruhen den Wahlen auszuweichen, um an der Macht zu bleiben. Foto © Juan Barreto
ZEITGESCHEHEN
Lieber hungernde Bürger als Machtverlust
Rückblickend erinnere ich mich, dass sich bereits während der zwei Monate meiner Reise die Situation für die Leute angespannt hatte, die hohe Inflation deutete sich bereits an, auf der Straße bekam ich achtmal mehr Tauschwert für mein Geld als am Bankautomaten. Irgendwann kurz vor meiner Abreise im Dezember 2013 hielt Präsident Maduro im Fernsehen eine Ansprache, in der er die Leute darum bat, die Weihnachtseinkäufe dieses Jahr doch bitte etwas früher zu machen, denn dem Staat fehlten Devisen. Pablo sagte Jahre später einmal mit Galgenhumor zu mir: »Für tausend Dollar fickst du das ganze Land.« Leider hat sich diese Tendenz in den folgenden Jahren nur verschlimmert, sich zur humanitären Katastrophe ausgewachsen. Das Land leidet unter einem Präsidenten, der dem eigenen Volk Hilfslieferungen vorenthält, aus Angst, er könne seine Autorität einbüßen. Der Millionen Bürger hungern lässt. Der blindwütig an seiner Macht festhält, und dadurch bereits unzählige Leben auf dem Gewissen hat. Wenn ich daran denke, dass unter der Situation auch Menschen leiden, die ich damals kennengelernt habe, die mit mir zusammen gereist sind und dazu beigetragen haben, dass ich eine unvergessliche Zeit hatte, tut mir die Situation noch mehr weh als ohnehin schon.
Von der Inspiration zur Inflation
Als ich das Land damals im Dezember 2013 verließ, habe ich immer gedacht, ich würde bald nach Venezuela zurückkehren, besonders nach dem wortwörtlichen Höhepunkt der Reise, meinem Trip zum höchsten Wasserfall der Welt, dem Salto Ángel, 978 Meter pure Naturgewalt. In der Gegend um den Wasserfall wurde einst Jurassic Park gedreht und Sir Arthur Conan Doyle ließ sich zu seinem berühmten Roman The Lost World inspirieren. In der Folgezeit war ich tatsächlich noch mehrmals in Südamerika, habe auch das einst so gefährliche Kolumbien zweimal bereist – doch jedes Mal, wenn ich jemandem von meinem Wunsch erzählte, nach Venezuela zurückzukehren, kamen als Reaktionen nichts als entsetzte Warnungen. Das schmerzt umso mehr, als jene, die solche Warnungen am lautesten aussprachen, ExilVenezolaner waren oder solche, die eben geflüchtet waren – Menschen also, die es wissen müssen, weil sie den Horror selbst durchlit-
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ten haben. Für mich ist es traurig, zu realisieren, dass ein Land, das immer einen festen Platz in meinem Herzen haben wird – für mich bis heute das schönste in ganz Südamerika –, für andere ein derartiger Schauplatz des Schreckens geworden ist. Für meinen Freund Pablo freut es mich natürlich, dass er mittlerweile wieder ein ruhiges Leben führen darf, doch an viele andere Menschen von damals denke ich immer wieder wehmütig zurück und frage mich, was wohl aus ihnen geworden ist.
Millionen Menschen leiden
Ich wünsche allen und dem Land als solchem nur das Beste und hoffe dass sich die Situation in Venezuela so bald wie möglich wieder normalisiert. Dazu müsste aber erst einmal Präsident Maduro abtreten bzw. abgesetzt werden und auch das immer noch mächtige Militär endlich von seinen Pfründen abrücken. Dass dies leider wenig wahrscheinlich ist, zeigt die Tatsache, dass sich genau diese Clique trotz der aktuellen Zustände immer weiter bereichert, während das Land als solches Tag für Tag Schulden im Millionenbereich anhäuft. Das ist das Bizarre: Während Millionen Menschen leiden, führt die Elite, die sogenannten »Enchufados« (zu Deutsch: »Angeschlossene«), immer noch ein Leben in Saus und Braus. Gegengewalt darf meiner Meinung nach keine Reaktion auf Gewalt sein, weswegen ich mich persönlich gegen eine militärische Intervention aus dem Ausland aussprechen würde, die die Krise vielleicht beenden könnte. Jedoch scheint eine friedliche Lösung in immer weitere Ferne zu rücken, selbst ein Bürgerkrieg ist längst nicht mehr auszuschließen. Nicht auszudenken, was passieren würde, machte Maduro tatsächlich seine Warnungen wahr und ließe Juan Guaidó verhaften, den selbsternannten und mittlerweile von zahlreichen Staaten weltweit anerkannten Gegenpräsidenten. Derweil haben die meisten internationalen Fluggesellschaften längst ihre Verbindungen nach Venezuela eingestellt und es kann sich wohl kaum jemand vorstellen, dass hier in absehbarer Zeit wieder Ruhe einkehren könnte – von der Möglichkeit, das Land irgendwann wieder als Tourist besuchen zu dürfen, ganz zu schweigen. Dabei war Venezuela einst für viele Reisende eine echte Inspiration und Ursprung für Abenteuer und Lebensfreude. Man kann sich nur von Herzen wünschen, dass es eines Tages wieder so wird.
FEUILLETON
Rendezvous mit der Antike Fehlt das Geld, sparen Politiker als Erstes bei der Kultur. Mit Beginn der griechischen Finanzkrise musste das prestigeträchtige Athen und Epidaurus Theater-Festival harte Kürzungen hinnehmen. Das Event gleich ganz abzublasen, traute man sich wohl nicht. Zu weit zurück reicht die Tradition. 1955 gegründet, entwickelte es sich rasch zum kulturellen Aushängeschild des Landes. Maria Callas, Luciano Pavarotti, Pina Bausch und die ersten Orchester der Welt traten hier auf.
Von Michael Wolf
Elena Karakouli Himmelweg Foto ©Evi Fylaktou
Glamour und Stars waren einmal Programm des Festivals, inzwischen gehört auch der Anblick eines Fixers dazu. Die Augen geschlossen, der Ausdruck entrückt, die Knie gekrümmt wiegt er seinen dürren Körper im Rhythmus eines Liedes, das nur er allein kennt. Die Schwerkraft zieht ihn Richtung Boden, aber er hat sie für den Moment vergessen; ihr Gesetz, wie so viele andere, gilt nicht in diesem Teil der Stadt nahe des Zentrums. Michális, Verkäufer der Straßenzeitung Shedia, führt durch ihn hindurch – vorbei an Suppenküchen, Zigarettenschmugg- lern und NGO-Zentren. Die Invisible Tour ist offizieller Programmpunkt des Festivals. Man wolle diesen Teil der Stadt nicht vor den Besuchern verstecken, erklärt der künstlerische Direktor Vangelis Theodoropoulos. Unter seiner Ägide hat sich das Festival zur Stadt hin geöffnet – auch aus der Not heraus. Zur Hochzeit der Krise fehlte den Athenern das Geld, die Eintrittskarten zu bezahlen. Das Festival drohte den Kontakt zur Stadt zu verlieren. Das Problem versucht man durch kostenlose Veranstaltungen zu lösen: Führungen, Vorträge, Kino, Ausstellungen. Weiterhin werden die antiken Spielstätten Epidaurus vor den Toren der Stadt und das Odeon des Herodes (erbaut 161 nach Christus) bespielt. 5 000 Zuschauer rutschen in Abendgarderobe auf den unbequemen Steinen herum. Die spanische Star-Truppe La Fura dels Baus verlegt Vincenzo Bellinis Oper Norma auf eine Plastikinsel in der nahen Zukunft, was nicht direkt einleuchtet, aber auch nicht weiter stört. Hier geht es weniger um die Kunst denn um das Event, das Rendezvous mit der Antike.
Elena Karakouli Himmelweg Foto ©Evelina Darzenta
Die Avantgarde findet derweil auf einem stillgelegten Fabrikgelände statt. Die große Herausforderung besteht darin, die riesigen Hallen zu füllen. Daran scheitert die freie Theatergruppe Little Orchestra krachend mit ihrer Inszenierung von Shakespeares Richard III. Eine quadratische Bühne haben sie in den Raum gestellt, einen Thron für den machtgierigen Intriganten. Rechts und links davon wäre noch genug Platz für Tennisfelder. Anstatt den Blick zu fokussieren, lässt Regisseur Christos Theodoridis sein Ensemble durch Raum und Handlung taumeln. Zu unentschlossen, zu klein wirkt das in diesem Raum, wie ein Spiel mit Bauklötzen, wenn doch Pflastersteine gefragt wären. Die blutige Spur des machtgierigen Schurken gerinnt auf dem Weg in die Ränge.
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Anderes liegt bei Elena Karakoulis Inszenierung des Stücks Himmelweg im Argen. Der spanische Autor Juan Mayorga nimmt den Fall um das KZ Theresienstadt auf, in dem die Nazis den Propagandafilm Der Führer schenkt den Juden eine Stadt drehten, um die Weltöffentlichkeit über die Lebensverhältnisse in den Lagern zu täuschen. Im Stück zwingt der Lagerkommandant die Gefangenen zu einer zynischen Inszenierung, die einen Gesandten des Roten Kreuz überzeugen soll. Die wahre Geschichte ist es wert, auf dem Theater gezeigt zu werden. Aber bitte nicht, wie das hier geschieht. Endlos ziehen sich die Proben für die Inszenierung, immer wieder herrscht der Kommandant den vor Angst zitternden Juden an, er solle eine Verbindung zwischen seinem Text und seinen Gesten finden. Teils wirkt das Spiel wie eine Parodie auf Machtverhältnisse im Theater. Auf der leichten Schulter aber wiegt das historische Thema zu schwer. Regisseurin Karakouli versucht sich mit kitschiger Betroffenheit abzusichern. Das ist in seiner Klebrigkeit schon schwer erträglich, als ein junges Mädchen am Schluss Die Gedanken sind frei singt. Vollends fragwürdig wird das Unterfangen, als das Publikum nach dem Applaus in einen dritten Raum geführt wird, in dem Fotos aus Theresienstadt hängen und Schuhe in Vitrinen gestapelt sind: als wolle der Abend sich über ein historisches Verbrechen rechtfertigen, statt seine Energie darauf zu verwenden, der Geschichte gerecht zu werden. Tief hingegen zeigt sich der Blick, den die Gruppe Mapa Teatro in die Wirrungen der kolumbianischen Gesellschaft gewährt. Dicht, lebhaft, überfordernd und rhythmisch versiert erzählen sie in Los Incontados drei Episoden über das Verhältnis von Feiern und der Revolution in ihrem Land. Das Motto des Abends: »Wir müssen den Karneval beenden und jetzt mit der Revolution beginnen.« Aber immer kommt etwas dazwischen, ein immer neuer Eskapismus: sei es der Biedermeier, die Religion oder das Kokain. Das erzeugt Jubel seitens des Athener Publikums, vielleicht nicht zuletzt weil auch bei ihnen eine Verbindung zwischen Politik und der Feier gegeben ist. Es ist nicht üblich, sich neu zu registrieren, weshalb bei Wahlen die halbe Stadt an ihre Geburtsorte zurückkehrt und bei der Gelegenheit die Familie besucht und alte Freunde trifft. Die nächsten Wahlen sind schon ausgerufen. Die Revolution wird wohl wieder ausfallen, aber die Party steht fest.
FEUILLETON Shedia Invisible Tours Foto ©Alexandros Katsis
Das Festival drohte den Kontakt zur Stadt zu verlieren. Das versucht man durch kostenlose Veranstaltungen zu lösen: Führungen, Vorträge, Kino, Ausstellungen.
Shedia Invisible Tours Foto ©Alexandros Katsis
Elena Karakouli Himmelweg Foto ©Evi Fylaktou
Athens Epidaurus Festival Foto ©Stefanos
DESIGN
Schau einer an!
Große Wirkung, kleiner Einsatz
Filialisierung und
Produkte hervorheben, Impulskäufe auslösen, Bekanntheit steigern: Das Schaufengen den stationären ster erfüllt viele Aufgaben. Es ist eins der wichtigsten MarketingRetail, immer stärkere instrumente im Einzelhandel und gewinnt als KommunikationskaSignale zu setzen – nal sogar immer mehr an Bedeutung. Denn: Die wachsende Fidurch atmosphärisch lialisierung und der zunehmende Onlinehandel machen eine emobeeindruckende tionale Ansprache des Kunden zwingend notwendig. Und das Schaufenster. Schaufenster bietet viel Raum für Emotion und Präsentation. Es ist nicht weniger als eine Bühne, ein Offline-Schauplatz, ein plakativer Hingucker, der bestenfalls Bedürfnisse und Sehnsüchte weckt. Studien belegen, dass Kunden bereits nach drei bis fünf Sekunden über die positive oder negative Wahrnehmung einer Schaufenster-Inszenierung entscheiden. Es soll bestenfalls eine Story erzählen, emotional berühren und dabei verständlich sein. Als Imageträger des Geschäfts muss es den Kunden also ansprechen und begeistern – und das unmittelbar! Denn laut internationalen Studien erhöht sich die Laufgeschwindigkeit von Passanten in Großstädten immer mehr. Umso wichtiger ist es für Händler also, den Kundenlauf zu stoppen und Aufmerksamkeit mit Fernwirkung zu erzeugen. Dies gelingt über einen größeren Blickfang wie überdimensional große Elemente oder eine besonders auffällige Farbgestaltung,
die sofort ins Auge sticht. Denn der erste Eindruck zählt.
Onlinehandel zwin-
Information und Inspiration
Dass das Schaufenster nicht nur als Werbeträger und Kommunikationsmittel, sondern selbst im digitalen Zeitalter als Inspirationsquelle unschlagbar ist, zeigt eine Umfrage der österreichischen Frauenzeitschrift Woman, die auf dem DMI Fashion Day im Juni vorgestellt wurde. Laut ihr lassen sich 47,3 Prozent der befragten Verbraucherinnen durch das Schaufenster inspirieren. Damit liegt sein Einfluss weit vor dem von Freunden (37,5 Prozent), Modeprospekten (36,1 Prozent) oder Fashion Blogs (11,9 Prozent). Die Studie Erfolgsfaktor Schaufenster der Messe Frankfurt in Zusammenarbeit mit dem EHI Retail Institute beweist sogar, dass Schaufenster in Zukunft für den Einzelhandel noch mehr an Bedeutung gewinnen. Die Umfrage unter Fachhändlern, Filialisten sowie Waren- und Kaufhäusern legt nicht nur nahe, dass Differenzierung vom Wettbewerb für alle Befragten das A und O der Fenstergestaltung ist. Schaufenster informieren zwar über den Preis, die Produktpalette oder eine spezielle Ware und dadurch auch immer über das Ladengeschäft selbst. Doch die reine Warenpräsentation gehört schon lange der Vergangenheit an. Insgesamt, so die Ergebnisse der Studie, gibt es einen starken Trend zu aufwendigeren Inszenierungen am Point of Sale.
Von Karolina Landowski, Düsseldorf
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Da die Zukunftschancen für kleine stationäre Händler in der emotionalen Kundenansprache und nicht allein in der Sortimentsgestaltung liegen, ist eine Investition in Modernität und permanent wechselnde Präsentationen Pflicht. Ein Schaufenster kann und sollte die Persönlichkeit und Individualität eines Stores sichtbar nach außen transportieren. Und die Ansprüche der Kunden in Sachen Visual Merchandising steigen in einer instagramisierten Welt rapide. Experten empfehlen daher, Schaufenster mindestens alle vier Wochen neu zu gestalten, um für Attraktivität und Abwechslung zu sorgen. Dabei erfordert eine emotionale Gestaltung nicht zwingend ein großes Budget. Spannung, Überraschung und Frische können mit einfachen Stilmitteln erzielt werden wie leuchtenden Farben, überdimensionalen Objekten oder plakativen Mustern. Mit rund 80 Millionen Euro entsprechen die Ausgaben der Schaufenstergestaltung nur etwa zwei Prozent der Marketingkosten der schaufensterrelevanten Branchen im gesamten deutschen Einzelhandel, können aber einen unbezahlbaren Effekt generieren. In einer Untersuchung zur Analyse der Wirkungsweise von Schaufenstern klassifizierte man zwei Wirkungsebenen: die kognitive und die emotionale. Produkte, Preisgestaltung und Informationsgehalt unterstützen die Kaufentscheidung und wirken deshalb kognitiv. Beleuchtung, Farbgestaltung und Dekoration haben emotionale Effekte, die dominieren. Das kann ein Gefühl von Geborgenheit sein, der Wunsch nach Urlaub oder schlicht das Verlangen nach neuen Schuhen.
Power und Positivität
Eine Chance für maximale Aufmerksamkeit bieten Powerfarben – allen voran die Trendfarbe Gelb! Entweder subtil als Highlight eingesetzt oder im plakativen Allover-Look, bei der gelbe Accessoires vor gelber Kulisse geradezu verschwimmen. Nicht die Ware steht bei diesen Gestaltungen im Vordergrund, sondern die Inszenierung selbst. Wie ein roter Faden zieht sich geometrisches Colour Blocking durch die aktuelle Schaufenstergestaltung von Premium- und Luxusmarken. Bei Hermès sorgen orangefarbene Metallfäden für einen kontrastreichen Blickfang, bei Dorothee Schumacher werden Sandaletten und Booties auf einem farbigen Patchwork aus Holzpanelen gezeigt. Böden genießen derzeit bei den Visual Merchandisern besonders viel Aufmerksamkeit: von kunstvollen Mosaiken über Teppiche in Signalgelb bis hin zu Belägen aus Hahnentritt und Tartan. Auch das Trendthema Botanik bleibt der Schaufenstergestaltung erhalten. Von vereinzelten Palmenblättern über eine komplette Pflanzenwand und KaktusAusstellung bis zur exotischen Dschungeltapete – Storechecks in Paris, London und Mailand zeigen, dass das Trendthema »Grün« seinen Zenit noch nicht erreicht hat.
DAS WETTER präsentiert neue Produkte und Erkenntnisse, die die Menschheit braucht
Von Vanessa Pecherski
Berlin
52° 31’′N, 13° 24’′O wolkig und neblig
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Paris
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48° 51’′N, 2° 21’′O stürmisch und regnerisch
New York
40° 43’′N, 74° 0’ W heiter bis sonnig
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Mailand
45° 27’ 45”″N, 9° 11’′11’’″O strahlender Sonnenschein
DIESEL
FENTY
LORO PIANA
FENDI
Es scheint wenig verwunderlich, dass die neueste Kollaboration der Inkubator-Plattform Diesel Red Tag zuletzt ausgerechnet in Berlin präsentiert worden ist – so herrlich »real« ist es doch nirgendwo anders, sagt man zumindest. Und wenn es in der Mode derzeit eine Symbolfigur gibt, die die Themen Jugendkultur, Denim, Authentizität und Streetwear regelrecht lebt, dann ist das zweifelsohne Gosha Rubchinskyi. Für seinen neuesten Coup macht die italienische Denim-Brand nun gemeinsame Sache mit GR-Uniforma, dem auf einem Multimedia-Projekt basierenden neuen Label des Moskauer Designers, welches im Mai für kurze Zeit im Pop-Up-Store in der Torstraße präsentiert wurde. Dort zu sehen: eine umfangreiche Kollektion, mit der Rubchinskyi Pseudo-Uniformen und Overalls für eine theoretische »Oper« entwickelt hat. Mit gewohnt brachialem Appeal, zum Ausdruck gebracht in radikalen Entwürfen und Performance. Bekannt für seine progressive und aufgeschlossene Firmenphilosophie, kündigte Diesel-Mastermind Renzo Rosso bereits eine Reihe globaler Initiativen, Kollaborationen und Projekte an. Wenn es soweit ist, wird das nächste Pop-Up sicher nicht weit weg sein.
Gekommen, um zu bleiben? Das ist eine Frage, die sich nicht nur im Kontext der Halbwertszeit von Pop-Up-Stores stellt, sondern vor allem kritisch im Kontext von Musikstars, die (leider immer wieder) Mode entwerfen. Im Falle von Robyn Rihanna Fenty allerdings sieht die Sache etwas anders, nämlich ganz und gar eindeutig aus. »Wie ich mich anziehe, hängt davon ab, wie ich mich in diesem Moment fühle«, kommentierte die Rekord-Musikerin beim Launch ihrer Modelinie Fenty im Pariser Stadtteil Marais, wo die gesamte Kollektion gezeigt und damit eine exklusive Vorschau auf die bevorstehende Markteinführung gegeben wurde. Furchtlos, nahbar, vielseitig und authentisch präsentiert sich der Stil der eigensinnigen Fashion-Ikone, deren Kollektion bravurös zwischen den Facetten Chefin und Partygirl, zwischen High und Low, zwischen Mann und Frau wandelt. Wenn Sie diese Zeilen lesen, wird auch der folgende Pop-Up im New Yorker Stadtteil SoHo nur noch wenige Tage geöffnet sein. Was aber garantiert bleibt, ist Rihannas unmissverständliches Bekenntnis zu sich selbst.
»Egal, wohin Sie gehen, es gibt immer mehr als einen Weg, dorthin zu gelangen«, so die Botschaft der aktuellen Digital-Kampagne The Rare Walk des italienischen Traditionshauses Loro Piana. Im dazugehörigen Videoclip demonstriert eine Reihe international renommierter Profitänzer genau das: wie unterschiedlich und dennoch gleich unsere Bewegungen, Wege und Ziele sind – die Choreografie tanzen sie selbstredend in den ikonischen weißen Sohlen von Loro Piana. Beim Betreten der farbenfrohen, 16 000 Quadratmeter großen Boutique an der 9th Avenue findet sich der Besucher inmitten eines temporären Einzelhandelerlebnisses wieder, in dem taktile Displays, ein Innengartenatrium und eine riesige, maßgefertigte Wildlederwand die typischen Schuhstile und eine Auswahl an speziellem Zubehör hervorheben. Die spitze Aussage und aufsehenerregende Aufmachung des Pop-Up-Stores wird zwar nicht mehr lange währen, glücklicherweise folgt und bleibt darin im November der erste handfeste Loro Piana-Laden im Big Apple. Mit der zunehmenden Anzahl von Luxusmarken in der Nachbarschaft könnte dieses Timing wohl kaum besser sein.
Wenn es etwas gibt, das die Menschheit heute immer noch genauso wenig braucht wie schlechtes Wetter, dann sind das Stereotypen. Vor allen Dingen in Zeiten, in denen das Patriarchat und die damit verbundenen Dogmata für Frauen, aber auch Männer völlig ins Wanken geraten. Oder haben Sie jüngst etwa einen Mann mit einer »Baguette«, nicht der Teigware, sondern der Handtaschen-Form, auf der Straße gesehen? Nein? Wie schade! Das italienische Modehaus Fendi nämlich stellt derzeit in einem Pop-Up-Store in der Via Montenapoleone die Herren-Kollektion H/W19/20 vor und damit auch die neuartigen Baguette-Modelle für Herren. Von Mini bis Maxi, in edlem Kokosnussoder Nerz- und Sattelleder üben sich die ikonischen Designs in grenzenloser Vielfalt und können entweder über der Schulter, von Hand oder als Gürteltasche getragen werden. So hat uns Karl Lagerfeld mit seiner letzten Kollektion für das Modehaus – progressiv, wie er war – nicht nur wunderschöne Leder-Accessoires für den Herren hinterlassen, sondern auch einen Denkanstoß in Sachen Mode, aber auch in Sachen Toleranz und Gleichberechtigung, die nicht nur für Frauen gilt. Noch bis September geöffnet – nichts wie hin!
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photography/concept:
TOBIAS WIRTH @ TOBIAS BOSCH MANAGEMENT styling:
CHRISTINA VAN ZON hair/make up:
CHRISSIE MOISSL model:
SAMIRA MAHBOUB @ MODEL MANAGEMENT
Denim Oberteil: Mit Puffärmel, von dänischem Label Ganni Patch-Rock: Aus Bio-Baumwolle und mulesingfreier Wolle und einer Kordel aus Baumwolle von Working Title.
MIND 13
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Kleid: Bow Maxi Dress aus leichter Wolle in Ivory, von Nobi Tala Weste: Schwarzes Plastron aus Nappaleder, von Nobi Talai Gürtel: Schwarzes Leder, von Annette Görtz Stiefel: Schwarzes Leder mit Gummiboden, von Dr. Martens
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Übergroßer Daunenmantel: Komplettes Outfit mit Blumenmuster, von Dries van Noten
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Pullover: Handgestrickter Wollpullover aus verschiedenen mulesing-freien Garnen aus Italien und Deutschland, von Working Title Hose: Weite Wollhose aus feiner Wolle aus einer vertikalen Produktion in Italien. Von der Erzeugung bis zum Weben wird alles In-House gemacht, von Working Title Schuhe: Schwarz-polierte Lederschuhe mit Gummiboden, von
Vagabond
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Blazer und Hose: von Ivy & Oak Schuhe: Sneaker, produziert in Brasilien. Die Marke verlässt sich auf eine transparente Herstellungskette. Weiß auf weißes Leder, von Veja V-10 EXTRA WHITE
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Hut: Großer elegantener schwarzer Hut mit Bändchenschnur, von Annette Görtz Bluse: Seiden-Bluse von französischem Label, von Jacquemus über matchesfashion.com
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Jacke: Schwarze Leder-Bikerjacke, von Essentiel Antwerp Kleid: Sunray Maxi Dress im kleinen Gingham Check mit Plissee-Falten-Rock aus leichter Wolle, von Nobi Talai Stiefel: Schwarzes Leder mit Gummiboden, von Dr. Martens Ring: von Pilgrim
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INTERNATIONAL TRADE FAIR FOR SUSTAINABLE TEXTILES
Green Fashion grows here 27. – 29. Juli 2019 MESSECENTER RHEIN-MAIN HOFHEIM-WALLAU INNATEX.DE
VERANSTALTER INNATEX:
MODE
»Ich mag es, wenn Stoff inStücke zerfällt« Wie ein folkloristisches Kaleidoskop wirken die Entwürfe der Schweizer Textilkünstlerin Sonnhild Kestler. Für ihre farbenfrohen Foulards, Teppiche und Kleider verwandelt sie naive Volkskunst in eine einzigartige Motivsprache.
Von Karolina Landowski, Düsseldorf
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m zweiten Stock einer ehemaligen Weberei im Industriegebiet von Höngg, direkt an der Limmat, liegt Sonnhild Kestlers Atelier und Druckerei. Es gleicht einer überbordenden Schatzkammer, in der sich kunterbunte Inspirationen stapeln: alte Bücher, schöne Dinge, Dekoratives aus aller Welt. Der große Drucktisch im Zentrum ist übersät von Bordüren, farbigen Streifen und Rosetten aus Papier. Seit den 90er Jahren kreiert Kestler hier unter dem eigenen Label S.K. Hand-Druck Stoffe und Foulards in aufwändigster Handarbeit. Ihre dynamischen, sehr grafischen Kompositionen werden von Hand entwickelt und von Hand in Kleinstserien gedruckt. Sonnhild Kestler übersetzt dabei folkloristische Referenzen in eine sehr eigenständige Ästhetik voller lebendiger Farben wie Kobaltblau, Zitronengelb und Hinduorange. »Ich verarbeite Geschichten. Erinnerungen. Was ich erlebe«, beschreibt Sonnhild Kestler ihre Enwtürfe. Fündig wird sie überall: in Geschäften, auf Märkten und vor allem auf Reisen. Sie experimentiert mit Motiven aus dem traditionellen europäischen Kunsthandwerk ebenso wie der Folklore Indiens, das sie mindestens einmal im Jahr besucht. »Reisen sind hilfreich, um zu sehen, was einen wirklich berührt oder mit Schönheit erfüllt«, sagt die 55-Jährige, die sich förmlich verliert in den Basaren Istanbuls, den Palästen Rajasthans, den Medresen Usbekistans. »Die Volkskunst des Nahen Ostens ist tief in mir verwurzelt, zusammen mit anderen Motiven, die ich im Laufe meines Lebens gesammelt habe«, fügt Kestler dazu. Dazu gehören skurrile, ungewöhnliche und vor allem verspielte Objekte: Spielsachen, Postkarten, Schmuck, Pompons, Perlen und farbenfrohe indische Masken.
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»Mir gefällt das Unbedarfte«
Sonnhild Kestler wurde 1963 in Deutschland geboren und wuchs in einem kleinen Dorf bei Baden auf. »Ich fühlte mich von Anfang an einfach zu Textilien hingezogen«, sagt die Designerin, die als Vierzehnjährige begann, sich mit Bastelmaterialien zu beschäftigen und Techniken wie Nähen und Sticken zu entdecken. Mit 17 Jahren kam sie schließlich nach Zürich, um Textildesign zu studieren. Nach ihrem Abschluss eröffnete sie ein Modegeschäft mit dem Designer Matthias Georg, wo sie ihre ersten Stücke verkaufte. Einige Jahre später lernte sie die Besitzer der Modeboutique Thema Selection kennen. Die Züricher Institution ist bis heute weltweit der einzige Ort, an dem man Sonnhild Kestlers handgefertigte Kleider, Kissen, Schals und Wohnaccessoires bewundern und erwerben kann – in einem farbenfrohen Shop-in-Shop. Das Entwerfen selbst ist für die Künstlerin immer auch ein Zufallsspiel. Kestler druckt Ornamente und mögliche Motive auf Papier, schneidet diese aus und arrangiert sie immer wieder neu zu aufwändigen Collagen. »Mir persönlich gefällt das Unbedarfte, das Zufällige, weil es lebendiger
MODE
duzieren zu lassen. Mittlerweile ist das Drucken ein wichtiger Bestandteil ihrer künstlerischen Arbeit. Indem sie selbst druckt, bleibt Kestler im künstlerischen Prozess unabhängig von anderen Meinungen. Je mehr Farben das Tuch, desto aufwändiger der Siebdruck. Kestler fertigt für jede Druckfarbe ein neues Sieb an und mischt die Textilfarben nach eigener Rezeptur. Am großen Drucktisch werden Seide oder Baumwolle aufgespannt und von Hand bedruckt: Mit jeder Farbe geht sie viermal über den Stoff, dann wird er trockengeföhnt. Jedes Motiv druckt sie auf maximal 50 Tücher. Nur größere Arbeiten lässt sie in der Schweizer Traditionsdruckerei Mitlödi anfertigen. Der handwerkliche Prozess gehört zu Kestlers Leben, nur das rasante Tempo der Neuzeit bedeutet in ihren Augen eine Zerreißprobe: »Man hat heutzutage für das Kunsthandwerk nicht mehr die Zeit, die es eigentlich bräuchte.« Alle Entwürfe Kestlers gehören in eine bestimme Zeit. Kein Tuch ihrer zahlreichen Editionen hat sie je wieder aufgelegt. »Das Jetzt steht immer dafür, was ich gerade zu sagen habe und was mich antreibt«, sagt die Künstlerin, die sich in ihrer Arbeit mit den universellen Fragen des Lebens beschäftigt. Warum sie dafür Stoff verwendet und nicht eine Leinwand, erklärt Sonnhild Kestler mit wenigen Worten: »Ein Tuch hat nie die Schwere eines Kunstwerks, sondern lebt von einer gewissen Leichtigkeit.« Ihr gefällt die Idee, dass ein Tuch auch kaputtgeht – dass man es gebraucht hat und dass man damit gelebt hat. »Ich mag es, wenn Stoff in Stücke zerfällt. Und ich möchte nichts für die Vitrine erschaffen«, sagt Sonnhild Kestler. Auch wenn ihre Tücher längst in Museen hängen, wecken sie vor allem am Körper ihrer Kundinnen lebendige Erinnerungen: an die Kindheit, an bestimmte Farben, Gefühle oder Ausflüge. Sie berühren.
wirkt«, sagt sie. Kestler ist etwa fasziniert von indischen Frauen, die morgens aufstehen und mit selbst gebastelten Pinseln ein Bild auf den Boden oder eine Wand malen: »Ein Bild«, so sagt sie, »das eigentlich ein Gebet ist, weil sie meditative Formen malen. Einfach nur ein Gebet, das später wieder zerfällt oder verstaubt«. Ähnlich meditativ ist auch Sonnhild Kestlers Arbeitsweise. Sie arbeitet allein, wandert barfuß über ihre langen Holzarbeitstische mit den bunten Papierkonstellationen, betrachtet die Ausschnitte von oben und passt ihre Platzierung während des Entwurfs immer wieder neu an. Der Prozess dauert über mehrere Tage, zuweilen sogar Wochen. Wie sie anschließend mit routinierten Bewegungen den Drucktisch bespannt, mit welcher Präzision sie die Schablonen auflegt, vergleicht sie selbst mit dem Atmen. Kestlers zeitintensiver, fast ritueller Prozess macht ihre Arbeit so außergewöhnlich.
»Ich möchte nichts für die Vitrine erschaffen«
Für ihr Kunsthandwerk ist Sonnhild Kestler 2010 mit dem Schweizer Grand Prix Design ausgezeichnet worden. Ursprünglich war die Textilkünstlerin gezwungen, selbst zu drucken, weil ihr schlicht das Geld fehlte, auswärts pro-
Deutschland
23. August 2019 Apparel Textile Sourcing Sheraton Montreal Airport Hotel 555 Boulevard McMillan Montreal, Quebec H9P 1B7, Canada
16. - 17. Juli 2019 View Premium Selection Munich MVG Museum Ständlerstr. 2, 81549, München 03. - 05. September 2019 Munich Fabric Start Lilienthalallee 40 & 29, 80939, München 11. - 13. September 2019 Apparel Textile Sourcing Estrel Berlin - Hotel & Congress Center Sonnenallee 225, 12057 Berlin
Vereinigte Staaten & Kanada
12. - 14. Mai 2020 Techtextil North America 3200 Windy Hill Road, Suite 500 West, Atlanta, Georgia 30339 Erwartet Oktober 2019 Premiere Vision Pier 94 711 12th Avenue New York, NY 10019
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Italien
09. - 11. Juli 2019 Milano Unica Rho Fiera Milano Strada Statale Sempione, 28, 20017 Rho Milano, Italy 03. - 04. December 2019 Denim Première Vision Première Vision Italia Via Caradosso, 10 20123 Milano – Italy 28. - 29. Oktober 2020 Comocrea Viale Roosevelt, 15 - 22100 Como (CO), Italy
Frankreich
17. - 19. September 2019 Première Vision Maison de la Mutualité, 24 Rue Saint-Victor, 75005 Paris 18. - 20. Januar 2020 Interfiliere Paris Expo – Porte de Versailles – Pavillon 1 1 Place de la Porte de Versailles, 75015 Paris
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PORTRÄT
HONEY DIJON
In der Mode gilt derzeit kaum ein anderes Beweis für die Redundanz von Grenzen, von Gesetz als so sicher wie jenes, dass doppelt Vorurteilen und Schubladendenke. besser hält. Während Popstars für LuxusIm Chicago der 80er Jahre aufgewachsen, marken entwerfen, Newcomer-Designer den galten Musik, Mode und Kunst als ihre WelLook von Traditionshäusern aufwirbeln und ten, weil sie »solch ein Sonderling war«, wie von Vanessa Pecherski Streetwear ganz selbstverständlich in die Haute sie gegenüber dem VICE-Magazin erwähnt. Couture einzieht, bahnt sich derzeit abseits des Diese Kunstformen seien ihr Ausweg, ihre Mainstreams eine überaus vielversprechende Ausbildung und ihre Schule gewesen, dank Zusammenarbeit an. welcher sie sich (u. a. mit-hilfe von HouseAuf der einen Seite: Honey Dijon – interLegende Derrick Carter) zu einer der wenigen national gefeierte DJane, selbstbewusste echten Underground-DJs mauserte, die heute Repräsentantin der Trans- und People of Colwie kaum eine Zweite in der Fashionbranche our-Community und nicht zuletzt Liebling verankert ist. der Modewelt. Auf der anderen Seite: Commes des Garçons – eine Marke, »Als farbige Transfrau hätte ich nie gedacht, dass dies möglich ist. Vielen Dank bekannt für den konsequenten Gegenentwurf zu der kollektiv-kommerziellen an @adrianjoffe @commedesgarcons, dass ich meine Kultur, Gemeinschaft und Marschrichtung der Mode-branche – avantgardistisch, stilprägend und vielLiebe zur House-Musik repräsentieren darf. Ich fühle mich wirklich geehrt«, schichtig. brachte Dijon ihre Wertschätzung über die Zusammenarbeit auf Instagram Im Fall dieser Zusammenarbeit ist anstatt eines kurzweiligen Marketing-Stunts zum Ausdruck. allerdings gleich eine handfeste Kollektion geplant. Und zwar mit dem unVoraussichtlich ab Herbst startet Honey F-ing Dijon mit, wie sollte es anders missverständlichen Namen Honey F-ing Dijon, der einmal mehr verdeutlicht, sein, DJ-Bags und T-Shirts, von denen man erahnen kann, dass sie weitwarum das Tête-à-Tête dieser beiden Kulturaus mehr als austauschbare It-Pieces sein Kreateure so vielversprechend ist: Beide eint werden. Sie werden kreiert und repräsenein Bekenntnis zur polarisierenden Komprotiert von einer Frau, die sich den gesellmisslosigkeit, das sie mitunter in eine Außenschaftlichen Hürden stellt, die unsere seiterposition drängt. Jene vertreten sowohl Gegenwart stark prägen – von einer SymDijon als auch Rei Kawakubo für Comme des bolfigur dafür, wie jene überwunden werden Garçons nicht nur felsenfest, sondern schaffen (können). In einem Interview mit SSense es sogar, sie zu ihrem jeweils stärksten Kapital sagte sie in jüngerer Vergangenheit: »Es ist zu etablieren. witzig, wie Leute, die diese Veränderung Honey Dijon – der Name allein scheint ein die Veränderung nur sehr selten Gemeinsam anders: der kreative Tenor hinter dieser Zusam- bewirken, Widerspruch in sich und konserviert dennoch erleben.« Auf Dijon wird dies gewiss nicht bravourös, was diese Frau ist: ein lebender zutreffen. menarbeit ist so zeitgemäSS wie vielversprechend.
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COMME DES GARÇONS 24
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ALEXA CHUNG X BARBOUR
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BROOKS ENGLAND Sparhill Shell, beschichteter Nylon- und Cordura-Rucksack 190 Euro via Mr Porter
Maison Kitsuné x ADER Error Logo-Embroidered Rucksack aus bedrucktem Leinenstoff 235 Euro via Mr Porter
Gucci Rucksack mit Gurtband und Nyloneinfassung 980 Euro via Mr Porter
Für Label-Gründerin Alexa Chung ist die Barbour-Jacke ein lebenslanger Begleiter: Als Kind ritt sie damit durch die regnerischen Felder von Hampshire; als Erwachsene trägt sie sie jedes Jahr beim legendären Glastonbury-Festival.
Die Barbour by ALEXACHUNG-Kollektion vereint die gemeinsame Leidenschaft beider Marken für die Natur. Sie umfasst sieben Jackenmodelle, drei Taschen und einen Regenhut. Inspirationsquelle waren Barbours legendäre Archivstücke, die bis ins Jahr 1910 zurückreichen. Während des Designprozesses verbrachte Alexa Chung viel Zeit in South Shields, um das Barbour-Archiv zu erforschen und Ideen für die Kollektion zu sammeln. Die ersten drei Modelle aus der Barbour by ALEXACHUNG-Kollektion, die BarbourWachsjacke Patch, die Barbour-Wachsjacke Edith und das Barbour-Cape Pip, sind ab dem 10. Juni 2019 weltweit in ausgewählten Stores und auf alexachung.com sowie barbour.com erhältlich. Die Wachsjacke Patch ist eine modische Neuinterpretation des beliebten Herrenmodells Beaufort und vereint alle Eigenschaften, für die die Marke Barbour steht. Die gedeckten Farben sind von Barbours klassischen Wachsjacken inspiriert und verleihen der Patchwork- Jacke ein Gefühl von Sentimentalität und Nostalgie. Als Inspirationsquelle für die Wachsjacke Edith diente eines der beliebtesten BarbourModelle: das Beaufort-Jacket. Charakteristische Details wie zahlreiche Taschen und der traditionelle Cordkragen verleihen der oversized geschnittenen Damenjacke einen unverwechselbaren Look. Das wasserfeste Regencape Pip ist ein idealer Begleiter für Festivals und Outdoor-Abenteuer jeglicher Art. Das Jackenmodell Pip ist eine Neuinterpretation eines Archivstücks, das erstmals im Jahr 1973 auf den Markt gebracht wurde. Das funktionale und zugleich stylische Regencape verfügt über eine Schnürung an der Vorderseite und eine großzügige Fronttasche mit gebrandeten Druckknöpfen – ideal, um Smartphone, Snacks und weitere Festival-Essentials zu verstauen. Ab August 2019 sind vier weitere Modelle und zusätzliche Accessoires auf barbour.com sowie alexachung.com und in ausgewählten Stores erhältlich. fp
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Paul Wilkinson, Global Marketing & Commercial Director bei Barbour, über die Kollektion: Wir freuen uns sehr über diese einzigartige Kooperation mit ALEXACHUNG, bei der Barbours klassische Looks mit dem modischen Style und Charme, der ALEXACHUNG auszeichnet, verschmilzt. Die Kollektion ist funktional und stylisch und eignet sich perfekt für Festivals und jegliche Outdoor-Abenteuer.
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TO-GO BOUTIQUE
BEAUTY
by Kelley Frank
Slide into summer
D A M E N
The new Oreo If anyone could make Birkenstock’s fashionable, it would be Rick Owens. It’s the postapocalyptic designers second collaboration with one of Germany’s staple exports. The second wave coined “Rotterdam” features extended rubberized black logo velcro straps that shout “BIRKENSTOCK” and milk-colored upper straps that reposition and replace the classic metal closure with a squeeze buckle one. The designer adds a bit of his gothic grunge and glamor to a shoe mostly reserved for comfort concerned tourists. Contrary to the average Birkenstock sole, the Rotterdam collections matches the cork sole to the footbed. The toe remains round as do the four-layer footbeds composed of a soft suede, double-layered jute fibers, all set upon a shock absorbent sole. Rick Owens x Birkenstock Birkenstock 385 Euro
Openface Icecream
Also known as a bread baser, bread platter or tartine, this style of sandwich is the norm de core in many European countries; in the U.S. not so much. But imagine removing the bottom cookie of a favorite American summer treat, the icecream sandwich, and voliá, you have this shoe! Basic in design, but sturdy in construction, the white 50mm rubber-soled platform sandal can match most of your wardrobe. The lightweight makes them easy to wear all day, anywhere. The pliant black leather will keep them on your feet and velcro is hidden in a nifty way giving the black closure easy access for putting them on or taking them off. Fun and funky, they’ll keep you on trend, but most importantly, comfortable. Westport leather platform slingback sandals Vince via Net-a-Porter 225 Euro
Im Uhrzeigersinn von oben rechts: In Fiore - Fleur Vibrante Solution, 155 €. Ex Nihilo - Viper Green, 194 €. Tom Ford - Jasmin Rouge, 280 €. Louis Vuitton - Le Jour Se Lève, 210 €. Editions de Parfums Frédéric Malle Superstitious Hair Mist, 190 €.
The essence of Beauty Im Uhrzeigersinn von oben rechts: Strangelove NYC - Silence the Sea, 420 €.
Kataifi
Le Labo - Another 13, 155 €. Editions de Parfums Frédéric Malle - Musc Ravageur, 135 €. Malbrum Parfums - Shameless Seducer, 140 €. Nasomatto - Baraonda, 118 €. Stora Skuggan - Fantôme de Maules, 120 €.
These sandals are some of the most authentic you can find. Many a millennia ago, the ancient Greeks created a simple silhouette fashioned from wood and leather that we still use today. The old saying goes “If ain’t broke, don’t fix it.” So why would we? Satria’s Ancient Greek Sandals are made from chemical-free, naturally tanned leather that will comfortably wear in quickly, and age to perfection. Each pair is still handmade by artisans in Greece, using the same techniques of their forefathers. The many straps keep your feet in tight, for a secure yet comfortable all-day wear. The brand’s signature golden winged buckles pay homage to Hermés, messenger of the Gods, and the shoemaker who crafted his flying sandals. Ancient Greek Sandals Satria via Net-a-Porter 170 Euro
M Ä N N E R
Black Olive Harcha Tassel Tales put a unique spin, pun intended, on up-cycling. Started by three sisters at the epoch of sustainability, responsible living, environmental awareness, and women’s empowerment — the brand is more than art for art’s sake. Through their output, they seek to bring to enterprise to the sometimes disenfranchised. They not only want to empower the creators of their clothing but also the women who adorn them. The shoes are constructed of vintage rugs making each slipper one of a kind. The design is a tribute to the babouche, actually a french word for the Moroccan slipper. The tassels are handmade, by the Al Kawtar women’s collective. Paying homage to their origin, the slippers are handcrafted in the souks of Marrakech and finished off with chrome-free leather. Babouche Slippers - Desert Deux Tassel Tales 149 Euro
still lifes
Von Mari Maeda und Yuji Oboshi, New York 26
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BEAUTY D A M E N
D A M E N
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ERMÉS: Hermès Parfumeurin Christine Nagel komponierte einen sanften und einprägsamen Duft, dessen Nostalgie nie traurig wirkt, der eine Renaissance verspricht und ein Gefühl von Ewigkeit in sich trägt. Hermés - Un Jardin Sur La Lagune, 100ml, 111,50 €
Unten von links nach rechts: Sans [ceuticals] - pH & Glanz-Korrektor, 24,90 €. Sisley - Serum für die Kopfhaut, 150 €. Ouai - Blitz-Spray, 25 €. Kérastase - Wellen-Wasser, 20 €. Oribe - Mystify Restyling Spray, 47 €.
Oben von links nach rechts: Estée Lauder- Advanced Night Repair Complex, 55€. Sisley-Paris Ecological Compound, 135 €.
YSL - Rouge Pur Couture Lipstick in No.19, 25 €. Coco Chanel - Coco, 116 €. Lancôme - Dual Finish Foundation, 35 €. Essie - Blanc, 8 €.
U N I S E X
A
D A M E N
ER Accord No. 05: White Pepper ist eine Herausforderung für die Parfümerie. Ein einzigartiges, intensives Parfum, das sofort Aufmerksamkeit fordert. Es ist ein klassisches FougèreParfum, das durch AER einen modernen Touch erhalten hat. AER - Accord No. 05: White Pepper, 30ml, 120 €
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KUNST
Mit Serienmördern in spielerischer Interaktion Von Raimar Stange John Bock zählt längst zu den international renommiertesten Performance-ARTisten, jetzt ist er mit seiner Einzelausstellung Im AntliTZ
des SchädelapparaTZ im Neuen Berliner John Bock, der zu den Künstlern der legendären 1990er Generation Berlin gehört, zu der u. a. Thomas Demand, Monica Bonvicini und Olafur Eliasson, Michel Majerus, Rirkrit Tiravanija und Angela Bulloch zählten, wurde bereits vor zwei Jahren mit seiner Einzelausstellung Im Moloch der Wesenspräsenz in der Berlinischen Galerie in der Spreemetropole geehrt, jetzt überzeugt er mit seiner von Kathrin Becker kuratierten Show im Neuen Berliner Kunstverein, die einen schrägen, wenn man so will »polymorph-perversen« Mix aus Installation, Video und vor allem Performance in den Mittelpunkt des künstlerischen Geschehens rückt. Bekannt geworden ist Bock durch eine multimediale Kunst, die auf Performances des Künstlers beruhen, in der er immer wieder selbst im Zentrum eines so destruktiven wie gleichzeitig humoristischen Geschehens steht. Da werden Körper deformiert, Alltagsgegenstände fangen an zu tanzen, Zitate aus Horrorfilmen sind mehr oder weniger dilettantisch, aber umso lustvoller nachgestellt und auch die künstlerisch-psychotische Welt eines Hermann Nitsch wird hier des Öfteren zitiert. Gleichzeitig bezieht sich Bock in seinen Filmen und Videos u. a. auf die Grammatik des Heimatfilms, auf Joseph Beuys und den Daten seiner eigenen Biographie. Klingt verwirrend? Ja, ist es, Gott sei dank! Jetzt hat John Bock für seine Show Im AntliTZ des SchädelapparaTZ im nahezu verdunkelten Hauptraum des Neuen Berliner Kunstvereins ein schwarzes, nach oben ragendes und vergittertes Gerüst installiert, sozusagen einen vertikalen Turmbau (zu Babel) als Bühne, auf dem dann fünf Performer, es handelt sich um den Künstler selbst und vier professionelle Tänzer, eine irritierende, auf den ersten Blick schwer verständliche, aber dennoch präzise choreographierte Aufführung darbieten. Wie an einem alpinen Berg scheinen sich die fünf schwarzgekleideten Männer an diesem vergitterten, nach oben spitz zulaufenden Metallkeil angeseilt
Kunstverein zu sehen.
zu haben. Künstlerische Objekte werden von ihnen in dieses gehängt, rätselhafte Objekte, die dann von den Performern, als wären sie übereifrige Jedi-Ritter aus dem cineastischen Star Wars-Universum von George Lucas, mit Leuchtstäben traktiert werden. Gleichzeitig trägt John Bock dazu einen Text vor, genauer: Ausschnitte aus dem 35 000 Worte langen Manifest des berühmtberüchtigten Unabombers Theodore Kaczynski, einem ehemaligen Mathematik-Professor, der zwischen 1978 und 1995 in den USA drei Menschen mit Briefbomben getötet hat, weitere 23 wurden zum Teil schwer verletzt. Anschließend wurden diese künstlerischen Aktionen
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rund um den Metallkeil von John Bock zu einem Film verarbetet, der seit dem 25. Juni ebenfalls in seiner Ausstellung zu sehen ist. Auch die übrige Ausstellungsfläche im Erdgeschoss des Neuen Berliner Kunstvereins, jetzt durch enge Gänge und zwei weitere Ausstellungsräume labyrinthisch zu einem »Leibraum« (John Bock) gegliedert, ist im fast schon beängstigenden Dunkel gehalten. So stellen sich beim Besucher klammheimlich Gefühle einer bedrohlichen Klaustrophobie ein. U. a. ein karges, hellbraun gestrichenes Zimmer mit Bett und davorstehendem Schachspiel ist in diesem für Bock typischen Setting zu sehen, ein Körpertorso aus Silikon, ein vergitterter Raumteiler, außerdem bastelt da irgendwo ein verlottert anmutender Mann mit Wattestäbchen stoisch vor sich hin. Auch dieses verstörende Environment bezieht sich u. a. auf den Serienmörder Theodore Kacynski und seine Biographie, aber auch auf die Lebensweise des legendären Serienmörders Fritz Haarmann, der in den 1920er Jahren als Vampir von Hannover 24 junge Männer umgebracht, mit einem Beil zerstückelt und verzehrt hat. 1925 wurde Fritz Haarmann, dem damals sogar frivole Schlagertexte gewidmet waren – »Warte, warte nur ein Weilchen, bald kommt Haarmann auch zu dir mit dem kleinen Hackebeilchen« –, von der Justiz hingerichtet. Sicherlich hat sich John Bock mit dieser Ausstellung nicht »neu erfunden«, doch die komplex-aggressive, wenn man so will »mörderische« Semantik und gleichzeitige erratische Undurchdringlichkeit seiner beeindruckenden Performance und wohlkalkulierten Installationen schützt den Berliner Künstler dennoch bisher davor, eine »Karaokeversion seiner selbst« zu werden – ein leidvolles Schicksal, das manch seiner Generation Berlin–Genossen längst ereilt hat. Nichts für sanfte Gemüter ist Im AntliTZ des SchädelapparaTZ, aber sicherlich eine Kunstausstellung, wie sie auch im Kunstmekka Berlin nicht alle Tage zu sehen ist.
YOKO ONO
»Auch dieses verstörende Environment bezieht sich u. a. auf den Serienmörder Theodore Kacynski und seine Biographie, aber auch auf die Lebensweise des legendären Serienmörders Fritz Haarmann, der in den 1920er Jahren als Vampir von Hannover 24 junge Männer umgebracht, mit einem Beil zerstückelt und verzehrt hat.«
YOKO ONO PEACE is POWER 04.04.–07.07.2019 Ein zentrales Thema im Leben, Denken und Schaffen der japanisch-amerikanischen Künstlerin Yoko Ono (*1933) ist das Kräfteverhältnis zwischen Krieg und Frieden, wobei ihre Haltung eindeutig ist: »Free you – Free me – Free us – Free them«, so hat sie es selbst vor wenigen Jahren zusammengefasst. Mit PEACE is POWER zeigt die mittlerweile 86-jährige Künstlerin fünf Jahre nach ihrer Retrospektive in der Schirn Kunsthalle Frankfurt nun im Museum der bildenden Künste (MdbK) ihre bislang umfangreichste Werkschau in Deutschland. Yoko Ono ist eine der einflussreichste und gleichzeitig umstrittensten Künstlerinnen unserer Zeit. Sie gilt als Pionierin von künstlerischer Performance und Konzeptkunst sowie als eine der herausragenden Wegbereiterinnen der US-amerikanischen Fluxus-Bewegung. Schon 1961 zeigte sie in einer Ausstellung statt Bildern und Objekten ausschließlich Anleitungen. Diesen »Instructions« kommt ein besonderer Stellenwert in der Leipziger Ausstellung zu, auch weil sie nach wie vor der künstlerischen Haltung Yoko Onos entsprechen: »Wenn man die Anleitung liest, erhält man schon eine Vorstellung des Bildes, also warum noch ein Bild produzieren?«
Eine Anleitung für ihr eigenes Leben ist undenkbar: Yoko Onos japanische Wurzeln, die Prägung in den 60er Jahren in New York und ihr späteres Leben in London – ein Leben zwischen fernöstlicher Tradition, amerikanischem Freiheitsstreben und Commonwealth; mehr Diversität ist fast undenkbar. Diesem reichen Erfahrungsschatz haben Yoko Onos Arbeiten ihre Sensibilität, Klarheit und Tiefe zu verdanken – ohne Rebellion und Kritik auszugrenzen. Denn ihre Wertschätzung des Lebens ist existentiell. Ihr Glaube an die Kraft des menschlichen Geistes, der die Welt verändern kann, scheint unzerstörbar. Und ihre Überzeugung, dass alles im Universum miteinander verbunden ist, beeinflusst ihr Leben ebenso wie ihre Kunst, in der sie kontinuierlich die natürlichen Elemente wie Luft, Wasser, Erde und Feuer zitiert. Yoko Ono ignoriert Grenzen und setzt neue Maßstäbe in Bezug auf unser Leben und unseren Blick auf die Kunst – und macht die Utopie von einer besseren Welt denkbar. Die 71 gezeigten Arbeiten und Werkreihen in Leipzig hat die Künstlerin gemeinsam mit ihrem langjährigen Freund und Kurator Jon Hendricks sowie Alfred Weidinger ausgewählt. In den Räumen des MdbK findet die Werkschau die ideale Präsentationsfläche: Die minimalistische Sprache und die gewaltigen Volumina des von den Berliner Architekten Hufnagel, Pütz und Rafaelian geplanten und 2004 eröffneten Museums bieten mit 15 Galerien und drei tageslichtdurchfluteten Terrassen sowie einem Hof auf 2 250 Quadratmetern den idealen Rahmen für die Werke von Yoko Ono – weit, licht und luzide. Yoko Ono hat sich im Laufe ihres Schaffens in unterschiedlichen Medien artikuliert. Ihre künstlerischen Anliegen hat sie in Installationen, Filmen, FluxusArbeiten, Performances und, sehr selten gezeigten, Zeichnungen verarbeitet. Zentralen Werke aus diesen Gattungen sind in PEACE is POWER zu sehen. Für das Museum ist es eine besondere Freude, dass zwei ihrer frühen Performances zur Eröffnung im MdbK noch einmal augeführt werden. Mdbk
Öffnungszeiten/Eintritt Di und Do–So 10–18 Uhr, Mi 12–20 Uhr, Mo geschlossen Museum der bildenden Künste Leipzig Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Tel.: 0341/21 69 99 14 E-Mail: mdbk@leipzig.de, www.mdbk.de | # MdbKLeipzig
musik dieser tage
ARROGANT BASTARD
MONTAG
Pixx »Small Mercies« 13 Tracks Staff Track: »Disgrace«
DIENSTAG
Prince »Originals« 15 Tracks Staff Track: »Sex Shooter«
MITTWOCH
Madonna »Madame X« 15 Tracks Staff Track: »Future feat. Quavo«
DONNERSTAG
Billie Eilish »When We All Fall Asleep, Where Do We Go?«
14 Tracks Staff Track: »bad guy«
FREITAG
SAINt JHN »Collection One excl. Staff Track« 13 Tracks Staff Track: »White Parents Are Gonna Hate This«
SAMSTAG
Sysdemes »Youth« 4 Tracks Staff Track: »Prime, Pulse«
SONNTAG
Gloria Gaynor »Testimony« 10 Tracks Staff Track: »Amazing Grace«
Slave to Fashion
I
t is a weird thing when artists in any medium find themselves rich. The “creative” almost always start out attempting to position themselves as anti-establishment figures and, if any success is garnered by this charade, then they must find a way to continue that pose even as they start appearing on grant boards and the dais of cable television celebrity roasts. As a legendary group of musicians once put it, what were once vices are now are habits, and could a human exhibit a greater vice upon one’s moral behavior than a credit rating?
So how does an artist continue to convince the hoi polloi to relate to them when they are flying off to a
cigarette twixt index and middle finger. It suggests an elegance out of step with the tasteless, inspired glam of the time (which is to say, Roxy’s raison d’être) and it was considered, at the time, a conceptual joke, and a successful one.
But maybe he didn’t get his own and now it has been inverted. The senior Ferry covers whatever insults age has given him in designer duds while his audience — whose age, despite Roxy’s following among the Art Youth, mostly approached his own — was in their Schlager finest of home box perms, gently stretched cotton shirts and government issued reading glasses. Where once his following was anti-establishment, now it merely an acknowledgment of the loss of ambition. Where once there was a shared rejection the past, now everyone is the past, and if Ferry is to say, “Horseman, pass by”, he’d rather take the road less traveled because the toll is too high. Of course, to make his real money, Ferry had to pay a price beyond his average fan’s consideration: He married into it. But divorce can offer dividends, too — take a look at another classic rocker in the news. Bob Dylan paid his first ex-wife thirty-six million dollars in 1970’s to keep her mouth shut after their split, and she’s been mum ever since. Maybe someone can pay her thirty-seven million dollars to open it. Dylan, footage of whose late 1970’s Rolling Thunder roadshow has now been turned into a Netflix mockumentary by Martin Scorsese, is approaching his eightieth year still sporting a rocker’s leather jacket, which makes a certain amount of sense, as he is fond of his Harley(s), less so that he still likes long scarves, risking an Isadora Duncan situation. Dylan’s fashion choices in the film favored a certain theater-inlife, dressing like a Sergio Leone wanderer in kabuki make-up which, come to think of it, you could probably get away with in the Seventies (and also in the Eighties, once Ronald Reagan closed down your mental hospital), even as his audience was already leaning toward leisurewear and, eventually, the disco balls that would go with it. No wonder Dylan eventually found God: For once, clothes didn’t make the man. Today’s artists such as Kanye West, on the other hand, touch the hem of his garment for a reason closer to the Ferry aesthetic: He’s the ultimate designer.
Bob Dylan paid his first exwife thirty-six million dollars in 1970’s to keep her mouth shut after their split, and she’s been mum ever since. Maybe someone can pay her thirtyseven million dollars to open it. tax haven every other weekend. Well, irony is a helpful tool: slowly shift from the thrift store flannel and t-shirts of authenticity to the fake glamour nod of thrift store tuxedoes, then wait half-a-year and: BAM, it’s A Bathing Ape t-shirts. Really, the tuxedo itself is such a loosely floating signifier, that it can be used to dictate any stage of sincerity, hitting up both the aspirational dreams of your working-class followers while massaging the nouveau riche suspicions of your new peers amongst the aristocratic set. I was thinking of this while attending a solo performance by 73 year-old Bryan Ferry, late of Roxy Music, a band that began as arch ironists, ascending (or descending) by career’s end into lush romanticism. During his youth, Ferry would wear designer clothes as a type of costume, plus the occasional admiral’s uniform, but by the time he hit middle-age and embraced languidity, it was designer suits all the way. The cover of his 1974 solo album Another Time, Another Place, has him standing poolside, white tux, black tie, holding a
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D O O F E H T R O F S E EY
The Story of Food in Photography 08.06.—07.09.19
C/O Berlin Foundation . Amerika Haus Hardenbergstr. 22–24 . 10623 Berlin Täglich 11:00–20:00 . www.co-berlin.org
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