TRAFFIC News to-go #17

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Ausgabe N°17 • September / Oktober 2011 • Jahrgang 2 • trafficnewstogo.de

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S. 6 Zeitgeschehen

Siebenundzwanzig Kim Frank war einmal sehr berühmt. Als jugendlicher Sänger der Band Echt feierte er in den 90er Jahren kaum vergleichbare Erfolge, er war ein großer, echter deutscher Popstar. Die Band trennte sich und Kim Frank geriet in Vergessenheit. Vor kurzem hat er einen Roman geschrieben, er heisst „27“ und handelt von einem ebenso alten Musiker, der Angst hat, denn er ist überzeugt, dass sein Tod unmittelbar bevorsteht: Dass er genauso jung stirbt wie die anderen, wie 1969 Brian Jones von den Rolling Stones, wie Jimi Hendrix, Janis Joplin, Jim Morrison und Kurt Cobain… von Timo Feldhaus S. 10 Revisited

Sehnsuchtsprojektionen vom Hindukusch Als das Telefon klingelt, rechne ich schon gar nicht mehr mit Daniel Richter. Das Sommerloch hat sämtliche Künstler verschluckt. Auch Richter, der sich mit Neo Rauch die Spitze des Olymps der zeitgenössischen deutschen Malerei teilt, ist bis zur Eröffnung seiner Ausstellung „10001nacht“ in der Kestnergesellschaft verreist. Er ruft vom Kopenhagener Flughafen aus an, kurz bevor er in den Flieger steigt… von Sabine Weier S. 21 Musik

Die Synästhesie-Galaxie Seit Ende Juli erscheint Björks aktuelles Album „Biophilia“ nach und nach als Serie von einzelnen Applikationen für das iPad. Entwickler Scott Snibbe berichtet, wie das Projekt zustande kam: „Biophilia“ erscheint nicht nur in Form von Musikstücken, sondern als Serie von Applikationen für das iPad, die stückweise bis etwa Ende September freigeschaltet werden. Scott Snibbe, Medienkünstler und Programmierer von iPad Apps aus San Francisco, war Teil des Entwicklerteams und verantwortlich für mehrere Apps des Albums… von Verena Dauerer S. 28 Kunst

Gespräch mit Francesca von Habsburg „ Jeder neue Schritt, den ich gemeinsam mit Janet Cardiff gehe, ist ein wichtiger Schritt und gewiss auch eine Würdigung der Arbeit der Stiftung – da alles mit ihr anfing. 1991 habe ich eine Ausstellung von ihr im P.S. 1 gesehen, vorher hatte ich weder von ihr gehört noch ihre Arbeit gesehen. Dann ging ich in diese wirklich große Ausstellung, in der ich Stunden verbrachte und die mich völlig aufsog. Eine absolut einzigartige Präsentation von Kunst – so eine Form der Übertragung hatte ich niemals zuvor erlebt… von Gunnar Luetzow

ZEITGESCHEHEN · HOCH ZU ROSS ¬ 06

ZEITGESCHEHEN · DER AUGUST IN DREI AKTEN ¬ 07

MEDIZIN KOLUMNE ¬ 08

SPORT HOPPE HOPPE HOPPE GARTEN ¬11 DAS WETTER · SFAX, KAIRO, DAMASKUS, LONDON ¬12 8-PAGE EDITORIAL · LEILA PAZOOKIS KLEINE POESIE DES KOPIERENS ¬13 MUSIK · DEBBIE HARRY  DON’T PANIC, PUNK IS BACK / TOGO BOUTIQUE ¬ 22 KUNST · DAHLIA SCHWEITZER IM BRIEFKONTAKT MIT CINDY SHERMAN ¬ 25 KUNST · BLAKE BOYD SPIELT MIT DEN IKONISCHEN DISNEY CHARAKTEREN ¬ 27

REVIEWS ¬ 29

ARROGANT BASTARD · THE HOODIE AND THE LYRICAL INTERVENTION ON A PAINTED CANVAS ¬ 30

ENGLISH APPENDIX ¬ 31

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Contributors

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Contributors

Marc Hairapetian

sabine weier

VU HOANG

Marc Hairapetian ist der SPIRIT, geboren wie François Truffaut am 6. Februar – allerdings 1968 in Frankfurt am Main mit armenischer Herkunft. Seit 1984 gibt er das Kulturmagazin SPIRIT – EIN LÄCHELN IM STURM heraus. Er schreibt für NZZ, FAZ, SZ, Cinema oder Spiegel-Online und ist Co-Autor von „Oskar Werner – Das Filmbuch“. Seine Biografie über Oskar Werner, „Genie zwischen Tag und Traum“, soll 2012 erscheinen. Interviewt hat er Jack Nicholson, Henry Kissinger, Richard Gere, Gregory Peck, Artur Brauner, aber auch Blondie Frontfrau Debbie Harry – zu finden in dieser Ausgabe.

Sabine Weier widmet sich als freie Autorin dem urbanen Kosmos und seinen Auswüchsen in den Bereichen Mode, Design, zeitgenössische Kunst und ihrem Spezialgebiet Film. Den Mythen dahinter geht sie für so unterschiedliche Magazine wie dienacht, Traffic News to-go, Zeit Online oder dem SchirnMag auf den Grund. Neue Erkenntnisse brachte das Gespräch mit Daniel Richter für diese Ausgabe. Wenn sie nicht darüber schreibt, macht sie selbst Design: Ihre Collage für ein CharityShirt des Eco Fashion Labels „Milde“ wurde dieses Jahr bei Create Berlin ausgestellt.

Vu Hoang ist seit 2009 als freier Kurator im Berliner Ausstellungswesen tätig. Nach einigen Aufenthalten in Italien und in den USA widmete er sich verstärkt seiner Leidenschaft, der zeitgenössischen Kunst, und arbeitete als Galerie Manager einer Berliner Galerie. Zu seinen jüngsten Projekten gehören die Dokumentation von „meinstein“, einem Kunstprojekt von Nadia Kaabi-Linke, und die Ausstellung „Lichtung“ von Alessandro Lupi, kuratiert für episkop Berlin. Seit 2004 unterrichtet Vu Hoang Deutsch als Fremdsprache und setzt sich im Bereich Erwachsenenbildung ein.

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Zeitgeschehen

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hoch zu ross von Thorsten Denkler Wir waren Generation MTV, Generation Golf, Generation Umhängetasche. Unpolitisch, konsumorientiert. Auf die Straße gingen wir zur Love-Parade. Unsere Freiheit ist in Gefahr, wenn der DSL-Anschluss streikt. Was also, im Namen eines Gottes, dessen Sohn wir für einen frühzeitlichen Popstar halten, gehen uns die Millionen von jungen Menschen an, die in Tel Aviv, Santiago de Chile, Madrid, Damaskus und Dakar, Tunis und Tripolis, Athen und Kairo für Freiheit, Menschenrechte und Chancengleichheit auf die Straße gehen, demonstrieren, kämpfen, bis aufs Blut? Es ist ganz einfach: Wir sind mitverantwortlich dafür, dass es ihnen so schlecht geht. Aber fühlen wir uns auch verantwortlich? In Deutschland spüren wir noch nicht diesen Groll, diese Wut. Dafür geht es uns noch nicht dreckig genug. Die Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland liegt bei knapp unter zehn Prozent. Mit Abstand einer der drei niedrigsten Werte in der Europäischen Union. Hier die Zahlen aus den europäischen Epizentren dieser neuen, weltumspannenden Jugendbewegung: Großbritannien: 19,6 Prozent. Frankreich: 23,3 Prozent. Spanien, 27 Prozent. Irland: 27,8 Prozent. Griechenland: 32,9 Prozent. In den arabischen Ländern Nordafrikas liegt sie bei etwa 30 Prozent. Trotz oft guter Ausbildung. Nix mit Generation Golf. Da wächst eine Generation ohne Hoffnung heran. Und das auch,

Erst das Fressen, dann die Moral. Wer Brecht unterschätzt, hat diese Bewegung nicht verstanden weil wir auf ihre Kosten leben. Schon beim Gesellschaftsspiel Monopoly wird das Gesetz des Kapitalismus schnell klar: Wer reich ist, wird immer reicher. Wer arm ist, wird das Spiel verlieren. Deutschland ist Exportweltmeister. Wir haben alle wichtigen Straßen und auf jeder steht ein Hotel. Keine Frage: Staaten wie Portugal, Spanien, Irland oder Griechenland haben das Spiel geradezu blauäugig mitgespielt, haben sich immer tiefer in die Schuldenfalle locken lassen. Es sind zum großen Teil Banken der großen westlichen Industrienationen, die diesen Ländern viel zu viel Geld zu viel zu günstigen Zinsen geliehen haben. Griechenland hat sogar bewusst seine Haushaltszahlen frisiert, um in den für die Zinshöhe wichtigen Ratings besser dazustehen. Wer sehen wollte, konnte sehen. Wer erlebt hat, dass in Griechenland praktisch nie eine Quittung ausgestellt wird, der kann erahnen, dass es mit der Steuerehrlichkeit der Bürger nicht allzu weit her ist. Ein Staat wird kaum in der Lage sein, Milliardenkredite zurückzuzahlen, wenn die Bürger keine Steuern zahlen. Einer, der den größeren Zusammenhang se-

hen wollte, war der ehemalige Bundespräsident Köhler als er das internationale Finanzsystem als Monster geißelte. Muss uns das nicht zu denken geben, dass wir uns lieber mit seinen Schwächen beschäftigt haben, anstatt dem ökonomischen Sachverstand des ExIWF Chefs Gehör zu schenken? Oder passte das nicht in den Kram? Deutschland und die anderen starken Euro-Länder haben lieber zugeschaut, statt endlich die Finanzsysteme zu regulieren. Es ging ja lange gut. Wir haben davon profitiert, verkaufen mehr Waren ins Ausland als wir importieren. Und: Wir verkaufen teuer und kaufen billig ein. Griechenland und viele andere haben miserabel gewirtschaftet, ja. Aber unser Schaden war das bisher nicht. Sie haben mit ihren Krediten viele deutsche High-Tech-Waren gekauft. Aber wer kauft, von Oliven-Öl und Feta-Käse mal abgesehen, griechische Produkte? Unser Wohlstand steht zu einem großen Teil auf dem Schuldenberg, den andere Staaten angehäuft haben. Wenn wir jetzt etwas abgeben, für griechische oder andere Schulden durch Bürgschaften geradestehen, tun wir dann nicht mehr, als für diesen Wohlstand sozusagen einen fairen

Preis zu bezahlen und letztlich diesen zu erhalten? Darüber sollten wir ganz grundsätzlich nachdenken: Wir kaufen eben unsere Golfs und Umhängetaschen, unsere iPhones und unseren Indienurlaub auf Kosten anderer. Die Armut in diesem Land hingegen ist relativ. Sie ist erträglich, weil Hungerlöhner aus Asien unsere Klamotten zusammennähen und spanische Bauern ihre Tomaten zum Teil unter dem Herstellungspreis an uns verhökern. Wer die Marktmacht hat, bestimmt den Preis und damit die Lebensqualität derer, die unsere Waren herstellen. Das muss beendet werden. Dafür gehen die jungen Menschen auf die Straße: Für gute Jobs und faire Bezahlung. Das vereint sie, trotz aller kulturellen und religiösen Unterschiede. In den arabischen Ländern kämpfen sie auch für ihre Freiheit. Ja. Der Wert der Freiheit aber wird auch daran gemessen werden, ob die Kinder der Revolution mit eigener Hände Arbeit genug Geld verdienen können, um Familien zu gründen. Ob sie genug verdienen, hängt auch davon ab, ob wir bereit sind, faire Preise zu bezahlen. Wir sind nicht für Misswirtschaft hier und Unterdrückung dort verantwortlich, aber wenn wir nun schon außenpolitisch versagt haben, sollten wir uns wenigstens für eine ausgewogenere Wirtschaftsordnung und Teilhabe einsetzen. Erst das Fressen, dann die Moral. Wer Brecht unterschätzt, hat diese Bewegung nicht verstanden. zeitgeschehen@trafficnewstogo.de


Zeitgeschehen

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sich Anfang des Jahres aktiv an schweren Krawallen gegen einen Neonazi-Aufmarsch beteiligt, in einem Kleintransporter Verdächtige aus der linken Szene aufgenommen und angeblich zu Gewalt gegenüber der Polizei aufgerufen. Der Wagen wurde jetzt erstmal beschlagnahmt, zusammen mit einem Computer, Unterlagen und einer Fahne des Hamburger Fußballclubs FC St. Pauli. Gilt die jetzt schon als Beweisstück für linksextreme Aktivitäten? Der Verein schickte jedenfalls gleich eine neue Flagge nach Jena.

POP 1,2,3

Polit-Pop

Der August in drei Akten

von Sabine Weier, Bremen Pop-Porno Deutschlands Charles Bukowski heißt Charlotte Roche. Schon in ihrem hypererfolgreichen Debüt „Feuchtgebiete“ regte sie mit pornografischen Szenen auf und offenbar an – gleich nach Erscheinen stürmte ihr zweiter Roman „Schoßgebete“ im August die Bestsellerlisten, noch im selben Monat ließ der Piper Verlag eine zweite Auflage drucken. Was ist Roches Erfolgsgeheimnis? Sie vermählt Pop mit Porno, und das bei so wenig sexy wirkenden Themen wie Sex in der

Ehe – darum dreht sich „Schoßgebete“ mit expliziten Szenen. Die Liaison wurde quer durch die Feuilletons gefeiert. Brach da etwa die Sehnsucht nach einem echten Popstar hervor? Schließlich blutet Deutschlands Popszene aus. Roche, deren Karriere einst beim Popmusik-Sender VIVA begann, ist ideal für eine derartige Rolle. Bei Alice Schwarzer kam Roches neuer Roman nicht so gut an. Sie wolle nur Geld machen. Na und? Hauptsache die Popkultur wiegt sich mal wieder zu einem neuen Beat. Charles Bukowski, Anaïs Nin, Henry Miller: Das ist doch alles viel zu lange her. Im September ist Roche erstmal auf Lesetour. Rock on!

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Pop-Pfarrer Apropos Gebet: Popstars sucht man auch gerne mal im christlichen Kontext. Man denke nur an Jesus, dessen Popstar-Qualitäten keiner bestreiten würde. Jena hat zum Beispiel einen beliebten evangelischen Jugendpfarrer. Im August sorgte er ordentlich für Aufsehen, oder vielmehr die sächsische Polizei, die im benachbarten Thüringen seine Dienstwohnung stürmte. Sie wirft Lothar König unter anderem „aufwieglerischen Landfriedensbruch“ vor. Er engagiert sich gegen die ostdeutsche Neonazi-Plage, was die sächsische Polizei offensichtlich nicht so gerne sieht: König habe

Wer ist der Popstar schlechthin? Barack Obama! Der US-Präsident erfreut sich in letzter Zeit allerdings nicht mehr derart großer Beliebtheit wie noch kurz nach seinem Amtsantritt. Das bestätigen aktuelle Umfrageergebnisse. Nur noch 39 Prozent der US-Amerikaner sind mit ihrem Präsidenten zufrieden. Ist ja gerade auch alles nicht so einfach. Demokraten und Republikaner zerfleischen sich und um die Wirtschaft ist es so schlecht bestellt, dass die Rating-Agentur Standard & Poor’s im August die Kreditwürdigkeit des Landes herabstufte und ein weltweites Raunen auslöste. Obama startete vorsorglich schon mal den Wahlkampf – für die Präsidentschaftswahlen im November 2012 und ließ sich in einem Hochglanzbus drei Tage lang durch Minnesota, Iowa und Illinois kutschieren, um allen zu versichern, er kümmere sich um die wirtschaftliche Zukunft der USA. Er schüttelte Hände von Farmern und Cowboys, trank Coke mit Veteranen, hielt zwischen Scheunen, Strohballen und Milchkühen Reden und wurde in Schulen von kreischenden Mädchen begrüßt. God Bless Pop.

siebenundzwanzig von Timo Feldhaus Kim Frank war einmal sehr berühmt. Als jugendlicher Sänger der Band Echt feierte er in den 90er Jahren kaum vergleichbare Erfolge, er war ein großer, echter deutscher Popstar. Die Band trennte sich und Kim Frank geriet in Vergessenheit. Vor kurzem hat er einen Roman geschrieben, er heisst „27“ und

handelt von einem ebenso alten Musiker, der Angst hat, denn er ist überzeugt, dass sein Tod unmittelbar bevorsteht: Dass er genauso jung stirbt wie die anderen, wie 1969 Brian Jones von den Rolling Stones, wie Jimi Hendrix, Janis Joplin, Jim Morrison und Kurt Cobain. Der Protagonist in dem Buch fürchtet, dass er diesem sagenhaften sogenannten „Club 27“ beitreten muss, dem Club der toten Popstars.

Kim Franks Buch ging unter, einfach weil es nicht besonders gut geschrieben war. Während der Stern der traurigen Sängerin Amy Winehouse nach ihrem Tod nur noch heller scheint. Auch sie starb im August mit 27 Jahren. In den letzten 10 Monaten wurde dieses Alter in gewisser Weise zu einem Zeichen des Abschieds des Pop von der Politik. Es ist verblüf-

fend, wie sich viele der weltweiten Aufstände und Revolutionen um Menschen mythisieren, die in diesem Alter sind: Im Dezember 2010 verbrannte sich der 26-jährige Mohamed Bouazizi, nachdem ihm die Polizei seine Einkäufe weggenommen und ihn misshandelt hatte. „Schluss mit der Armut! Schluss mit der Arbeitslosigkeit!“, hatte er noch geschrien und sich mit Benzin übergossen und angesteckt.


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Feuilleton

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Medical Nightlife So mancher Nachtschwärmer legt den Weg zwischen Kreuzberg und Tempelhofer Flugfeld während der Berlin Music Week mit einem zweirädrigen Gefährt zurück. Frohgestimmt wird dann auch mal ohne Beleuchtung über den Asphalt gebraust, und der ein oder andere ist dabei nicht nur von den Acts der beteiligten Musiker und Bands berauscht. Diese an sich für Gesundheit und Umwelt zu begrüßende Fahrradbegeisterung führt schon mal zu ungewollten Missgeschicken. Beim Klassiker „Bordsteinkante“ kommt es häufig zu Schürf-, Platz- und Schnittwunden. Bei heftigeren Fahrrad-Kollisionen sind selbst Arm- und Beinfrakturen nicht auszuschließen, und ohne Fahrradhelm drohen sogar ernsthafte Kopfverletzungen. In all diesen Fällen können und sollten sich Verunfallte umgehend in einer der Notfallstellen der Berliner Kliniken melden. Diese haben rund um die Uhr geöffnet. Darüber hinaus gibt es den gemeinnützigen Service „call a doc“, der unter 01805 – 321303 bei kleineren Blessuren aber auch komplizierten Fällen jederzeit mit Rat und Tat multilingual zur Seite steht. Auf deren Webseite sind Dienststellen mit einer guten notärztlichen Versorgung gelistet (www.calladoc.com). Der 24h-Service verbindet Hilfesuchende auch direkt mit den zuständigen Berliner Kliniken.

Wespenstiche, Prellungen, Schnittwunden Besonders zu empfehlen ist das Bundeswehrkrankenhaus in der Scharnhorststr. 13, deren Fachärzte eine kompetente medizinische Notversorgung mit freundlicher Betreuung gewährleisten können. Die Spätsommerabende im Park bei Grillfleisch und leckerem Alsterbier locken auch lästige Gäste in die Kreise der Chillenden. Wen dabei unverhofft eine Wespe in den Hals sticht, kann sich ins Unfallkrankenhaus Berlin in die Warener Str. 7 oder auch ins Krankenhaus am Friedrichshain gleich gegenüber dem Volkspark begeben. Lange Wartezeiten und dürftige Patientenbetreuung sind bei den Notdienststellen der Kliniken leider an der Tagesordnung.

Überdosierung Berliner Nächte gestalten sich häufig nicht nur lang, sondern haben schon so einige Rauschbegeisterte in die Versuchung mit ominösen Pflanzen- und Chemieerzeugnissen gebracht. Bei ungewollten Intoxikationen sollte am besten gleich der Berliner Giftnotruf – 030-19240 – um Rat gefragt werden. Kompetente Fachleute helfen dabei, einen klaren Kopf zu bewahren und haben schnelle Lösungen parat.

Zahnschmerzen Wer das Nachtleben unfallfrei überstanden hat, dann beim nachmittäglichen Brunch unverhofft einen Olivenkern erwischt, kann in Mitte am Checkpoint Charly bis 2.00 Uhr nachts beim Arztteam Hilfe holen. Auch die Charité Zahnklinik Süd hat eine Notfallstelle eingerichtet. Die privaten MEDECO Zahnkliniken sind an 365 Tagen – auch sonn- und feiertags – geöffnet. Die Notfallnummer der Zahnkliniken ist die 01805/63326. Diese Kliniken setzen jedoch eine Privatbehandlung voraus – schließen daher keine kassenärztliche Versorgung mit ein. von Julia Keesen

Das war in Tunesien und der Beginn des Arabischen Frühlings. Die Ursache der israelischen Protestbewegung folgte dem Aufruf der 25-jährigen Studentin Daphne Leef in Tel Aviv, die ihre Wohnung verloren hatte und im Juli kurzerhand ein Zelt auf dem glamourösen Rothschild-Boulevard aufstellte. Es sollten ihr einige folgen, sie schrien: „Rothschild ist unser Tahrir-Platz“. Einen Monat später Tottenham, Polizisten erschießen bei seiner Festnahme den 29-jährigen farbigen Familienvater Mark Duggan. Seine Familie bleibt viel zu lange ohne Auskunft, daraufhin zieht eine um ihre Zukunft betrogene Jugend plündernd durch englische Städte. Es wäre absurd, einen Zusammenhang zwischen dem Tod Mohamed Bouazizis und Mark Duggans herzustellen. Noch absurder wäre es, einen Zusammenhang zu den Toden von Janis Joplin, Kurt Cobain oder Amy Winehouse zu suchen. Im Grunde genommen geht es auch nicht darum, was sie verbindet, sondern was sie unterscheidet. Eigentlich bedeutet das 27. Jahr die Höchstform. Man merkt noch nicht, dass die Kräfte schwinden, man durchblickt die Dinge so wie

später nicht mehr und früher noch nie. Man ist nicht mehr naiv und noch nicht abgeklärt genug, um den Dingen, die die Welt und einen selbst darin ausmachen, direkt ins Auge zu sehen. Das Leben liegt nicht vor einem und es liegt auch nicht hinter einem, sondern man steckt mittendrin. In der immer schon Nekrophilie-fanatischen Popmusik ist dieses Alter wie kein anderes mit dem Tode verbunden. Live fast, die young, lieber rasch ausbrennen als langweilig dahinzudämmern. Die 27-jährigen Toten wurden im Nachhinein zu Genies verklärt. Nach Selbstmord, Überdosis und einem Cocktail aus Berühmtheit und Sucht bleibt ein Leben als Exzess und wunderbare Lieder. Sie waren alle gekommen um zu bleiben - und sehr früh zu gehen. Popstars sind unsterblich. Anstatt zu Ikonen zu werden, nachdem sie ihr Leben selbst beendeten, sind die Toten der weltweiten Revolutionen kleine Wellenschläge, die eine ganz große Welle einleiten, anstoßen und andere junge Menschen, die weltweit auf die Barrikaden gehen, animieren. Die berühmtesten Lieder des The-Doors-Sängers Jim Morrison hießen „When the Music’s Over“ und „The End“. Wenn die Musik auf-

hört, fängt die Politik an, und wo hier das Ende ist, beginnt mit dem Tod dort erst die ganze Geschichte, das neue Leben, das diesen Tod initiierte. An Jim, Jimi und Janis wurde die 68er Emanzipationsbewegung mit einem Soundtrack versehen und Pop zu Politik. Heute ist Pop scheintot. Der britische Musikjournalist Simon Reynolds hat in seinem Buch „Retromania“ vor kurzem beschrieben, wie sich die Popmusik in ihrer eigenen Retroschleife verfangen hat und nicht über sich selbst hinwegkommt. Der Tod der Popsängerin Amy Winehouse erscheint in diesem Licht furchtbar altmodisch. Ihr Tod war eigentlich so retro wie ihre Musik. Wie ihre gleichaltrigen Clubmitglieder lehnte sich auch Amy Winehouse auf ihre Art gegen das Establishment und die sogenannte ‚gute Gesellschaft‘ auf. Aber ihre Musik hatte keinen revolutionären Effekt mehr. Heutzutage braucht die revoltierende Jugend keine toten Musiker. „I Hate Myself and I Want to Die“, sang Kurt Cobain. Die weltweit aufbegehrenden jungen Leute, sie hassen das System und wollen leben.


Revisited

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Als das Telefon klingelt, rechne ich schon gar nicht mehr mit Daniel Richter. Das Sommerloch hat sämtliche Künstler verschluckt. Auch Richter, der sich mit Neo Rauch die Spitze des Olymps der zeitgenössischen deutschen Malerei teilt, ist bis zur Eröffnung seiner Ausstellung „10001nacht“ in der Kestnergesellschaft verreist. Er ruft vom Kopenhagener Flughafen aus an, kurz bevor er in den Flieger steigt.

Daniel Richter, Foto: Elfie Semotan

Sehnsuchtsprojektionen vom Hindukusch

Interview von Sabine Weier Du bist auf dem Weg in die Arktis. Ist das eine Art Selbstfindungstrip, eine Inspirationsreise oder einfach nur ein Ausflug raus aus dem urbanen Wahnsinn? Urbaner Wahnsinn? Was soll denn das sein? Kenne ich nicht. Ich wüsste auch nicht, in welcher deutschen Stadt ich den erfüllt finden sollte. Es ist tatsächlich eine Expeditionsreise. Einfach nur eine Forschungsreise, an der ich teilnehme. Eine geologisch-archäologische, klimaforschende Reise der Dänischen Akademie der Wissenschaften. Dieses Interesse hegst Du schon länger? Ich wurde eingeladen, dabei zu sein. Aber ich habe wie jeder andere auch Interesse daran, was eigentlich mit Mutter Erde los ist. Als ich die Bilder gesehen habe, die Du gerade für die Ausstellung in der Kestnergesellschaft gemalt hast, musste ich auch sofort an die Arktis denken. Gibt es da eine Parallele? Die gibt es insofern, dass die Bilder zu einem gewissen Teil in Gebirgen spielen und weiß sind. Sie sind reduziert auf Linie und Helligkeit, da denkt man natürlich an Schnee und Kälte und an die Arktis. Aber das ist Zufall. Du bist von Hamburg nach Berlin, wieder nach Hamburg und dann doch wieder zurück nach Berlin gezogen. Stimmt das so? Ja. Was hat Berlin, was Hamburg nicht hat? Hamburg hat mehr Geld und weniger Platz. Hamburg ist langweilig. In Berlin ist es nicht so langweilig, dafür ist es aber wahnsinnig hässlich. Wahnsinnig hässlich. Das gefällt mir aber. Von mir aus hätte man den Palast der

Republik ja schon aus ästhetischen Gründen stehen lassen müssen. Jetzt baut man da dieses erbärmliche alte Berliner Stadtschloss wieder nach. In Hamburg hast Du das von Künstlern besetzte Gängeviertel erfolgreich mitverteidigt. Auch in Berlin greift die Gentrifizierung um sich, Investoren erobern die Stadt und der Immobilienmarkt bestimmt, wo’s lang geht. Bist Du hier auch engagiert? Nein, bin ich nicht. Und dazu muss ich auch sagen, dass der Gentrifizierungsprozess in jeder Großstadt dazugehört. Genauso gehört es dazu, dass sich Leute dagegen wehren. Hamburg war eben ein Spezialfall, weil die ganze Innenstadt nur noch aus H&M, Zara, Wolford und Apple bestand. Es war ein gera-

dezu konservativ unterfütterter Protest. Das ist in der Form in Berlin gar nicht möglich. Leute, die aus Kreuzberg wegziehen müssen, weil es zu teuer wird, werden im Rest der Stadt überall billige Mieten finden. Das ist mir in Berlin also ehrlich gesagt egal. Du kommst aus dem linken Milieu, hast früher selbst Häuser besetzt. Jetzt bist Du berühmt und reich. Hat das nicht zu einer Art Schizophrenie geführt? Die gesamte Hamburger Subkultur, gerade die autonome, war praktisch in und um besetzte Häuser organisiert. Es gab einfach irre viel Verfall und Bedarf nach billigem Wohnraum. Zu einer Schizophrenie hat das nicht geführt, zumindest ist mir keine an mir aufgefallen. Gestern hatte ich auch noch keine

grauen Haare. Jetzt habe ich die ersten, aber das hat auch nicht dazu geführt, dass ich mich schlechter fühle. Kommen wir auf Deine Arbeit zu sprechen. Für die erste Ausgabe von Traffic hast du ein Interview gegeben und gesagt, ein Künstler wolle in einem Kunstwerk seine Gedanken umsetzen. Welche Gedanken bewegen Dich zurzeit? Habe ich das so gesagt? Wahrscheinlich wurde das verkürzt wiedergegeben. Gedanken sind ja meist Dinge, die, wenn sie zur Sprache kommen, eben zur Sprache kommen. Was mich zurzeit bewegt? In den vergangenen Jahren hat mich so eine Verzahnung aus romantischer Männermalerei, Heldentum, Taliban, Nomaden, Paschtunen, Scheherazade und so was interessiert. Eine Art paradigmatisches Bild, das mich selbst irgendwie antriggert. Andererseits ist das auch ein in der Öffentlichkeit präsenter Entwurf, wenn auch eher unterbewusst. Verschiedene romantische Klischees gehen durcheinander und prägen unsere Vorstellung von Helden und Opfern. Das ist aber eher so eine Ahnung als ein konkreter Gedanke. Konsumierst Du Medienbilder exzessiv? Die Medienrealität spiegelt sich ja schon stark in Deinem Werk wider. Also in dem neuen Werk spiegelt sie sich nicht mehr so wider. Aber klar, ich lese die Zeitung. Ich bin aber nicht der Typ, der Nachrichten im Internet konsumiert. Ich stehe auf Printmedien. Ich bin Buchleser. Ich glaube eigentlich nicht an die aktuelle Tagesmeldung. Welches Buch liest Du gerade? „Tragödie eines Volkes“ von Orlando Figes. Das ist eine Triologie über die Geschichte der Sowjetunion. Ein gutes Buch! Davor habe ich „Heldensuche“ von Michael Martens gelesen. Darin geht es darum, wie


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Revisited

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Strangers of Comfort, 2011 Öl auf Leinwand 200 x 300 cm Courtesy Contemporary Fine Arts, Berlin Foto: Jochen Littkemann Army of Traitors, 2011 Öl auf Leinwand 200 x 300 cm Courtesy Contemporary Fine Arts, Berlin Foto: Jochen Littkemann

WOW, 2011 Öl auf Leinwand 200 x 270 cm GoldStar Public Relations Courtesy Contemporary Fine Arts, Berlin Foto: Jochen Littkemann

Love is the Drug, 2011 Öl auf Leinwand 200 x 300 cm Courtesy Contemporary Fine Arts, Berlin Foto: Jochen Littkemann

Bilder oder Mythen sich im Öffentlichen etablieren. Das passt zu dem Themenbereich, der mich interessiert. Faszinieren Dich Helden? Nein, das ist eher ein Interesse. Eine Mischung aus Beobachtung und etwas, dass man als Teenager kennt. Spiderman, Superman und dann der Körperkult des Westens, der mit der Hippiehaftigkeit des Ostens zusammenprallt, also was die Körperbilder angeht. Die Taliban sehen aus wie Hippies und der durchschnittliche Soldat des Westens sieht mittlerweile aus, als ob er sich ästhetisch an Spiderman oder Thor orientieren würde. Ist Deine Form der Ästhetisierung eurozentristisch und medial vermittelter Bilder ein Angriff gegen die Art der Meinungsbildung, wie sie im Westen gepflegt wird? Das ist eine interessante Frage. Ein Angriff würde ich nicht sagen, aber vielleicht eine Korrektur. Man könnte schon sagen, dass ich meine Bilder in Anschlag gegen die ideologischen Bilder der Öffentlichkeit bringe.

Der Titel Deiner Ausstellung in der Kestnergesellschaft ist „10001nacht“. Der Ground Zero, der 11. September und der in der Folgezeit veränderte Orientalismus sollen da eine Rolle spielen – habe ich gelesen. Die reden alle ein Zeug! Das Bild verlässt das Atelier und schon stiftet es geistige Verwirrung. Man kann das sehen wie man will. Die Bilder werden da ja hängen. Es sind 19 verschiedene. Sie bilden einen Komplex, in dem Gebirge, Romantik, seismografische Bilder, Schatten, Weite und Ferne eine starke Rolle spielen. Formal liegt der Fokus auf dem Gegensatz von Weite und Ferne, dabei sind grell-bunte und sehr zurückhaltende, fast schwarz-weiße Bilder. Gemeinsam haben sie, dass alles in diesen irrealen Gebirgslandschaften stattfindet, mit Tälern und Schluchten, Auf- und Untersichten. Setzen sich die Bilder mit einer neuen Spielart des Orientalismus auseinander? Da sind schon Sehnsuchtsprojektionen drin, ob das jetzt Nepal oder Tibet ist, der Hindukusch, die Savanne, die Oase, der Harem, der Verschleierte, der edle Wilde oder

der unbeugsame Krieger mit Zottelbart ist. Oder auch der afghanische Teppich und das afghanische Opium. Das sind Sachen, in denen sich Popkultur, Märchen und Realität verzahnen. Die Hippiekultur ist eine komplette Adaption der Folklore des Maghreb und Arabiens. Die amerikanischen Hippies haben die indigenen Kulturen ästhetisch geplündert, die Europäer haben das mit der arabischen Kultur gemacht. Von der Kleidung und dem Drogenkonsum über Ornamente, Nasenringe und Henna bis hin zur Fetischisierung von allem, was so hängt, wie Teppiche oder Kaftane. All das hat ja schon die vergangenen 50 Jahre Ästhetik der Jugendkultur mitgeprägt. Im Gegensatz zu früher konzentrieren sich Deine aktuellen Arbeiten auf eine Handvoll Akteure in irrealen Landschaften. Keine Menschenmenge, keine Stadt. Macht sich da vielleicht eine Sehnsucht nach Ruhe bemerkbar? Nein, das ist keine Sehnsucht nach Ruhe. Das Malen als Akt, ob man jetzt Städte malt oder Tannenbäume, läuft immer gleich von der Hand, mit der gleichen Form von Konzent-

riertheit oder auch Unkonzentriertheit, unabhängig davon, was man malt. Wirst Du jetzt ganz zum Romantiker? Absolut nicht. Oder vielleicht doch? Ich bin total durcheinander. Deine neuen Bilder erwecken diesen Eindruck, zumindest bei mir. Dann ist das vielleicht bei allen anderen auch so. Und ich bin einfach der letzte, der es schnallt! Vieles läuft eben doch nicht so bewusst ab. Nicht zwangsläufig, aber ich bemühe mich zumindest, die Dinge bewusst ablaufen zu lassen. Ich fürchte, vieles hat mit der ureigenen Faszination des Malens zu tun und da geht es eben nicht um Ratio und Analyse, sondern um das Ungefähre und das, was einen selber antreibt, ohne dass man es begründen könnte. Romantiker. Hmmm, ich weiß nicht. Vielleicht? Da denke ich nicht drüber nach. Doch, jetzt schon! Die Ausstellung „10001nacht“ ist vom 4. September bis zum 6. November 2011 in der Kestnergesellschaft in Hannover zu sehen.


Sport

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HOPPE, HOPPE, HOPPEGARTEN! von Dr. Inge Schwenger-Holst Polopremiere auf der Rennbahn Hoppegarten. Hässliche Hüte, bonbonfarbene Kostümchen, Blondinen an der Seite grau melierter Herren in langweiligen Anzügen, untergewichtige Jockeys auf durchgeknallten Vierbeinern: Klischees, die uns Galopprennen als Sport aus der Welt von vorgestern erscheinen lassen. Dabei ist schon die Geschichte der Rennbahn in Berlin Hoppegarten atemberaubend – 1867 liefen dort die ersten Proberennen vor einer schnell zusammengezimmerten Holztribüne – 1913 war sie mit vier Bahnen, bis zu 40.000 Zuschauern und 1500 eingestallten Pferden zur wichtigsten Rennbahn Deutschlands geworden – heute ist sie die einzige vollständig von

privater Hand betriebene Galopprennbahn. Und es ist tatsächlich ein besonderes Flair, das aus Chantilly, Ascot oder Newmarket, das den Besucher sofort in seinen Bann zieht, wenn er die historischen Pforten des Geländes betritt und Richtung Sattelplatz oder Kaisertribüne wandelt. Der als konservativ geltende Pferdesport hat sich nun ein Herz gefasst und die Kampfsportart Polo erstmalig auf den teuren Turf eingeladen: Vom 09. Bis 11. September heißt es „Chukker“ und „Play“, wenn der Bucherer Polo Cup ausgetragen wird. Veranstalter und frischgebackener deutscher Meister im High Goal, der härtesten Spielklasse im Polo, Christopher Kirsch freut sich, dass das Turnier als Abschluss der German Polo Tour 2011 in Berlin stattfindet. Vier international besetzte Teams zeigen ei-

nem breiten Publikum, dass Pferde nicht nur schnell sind, wenn sie geradeaus und nebeneinander herlaufen. Beim schnellsten existierenden Teamsport (Eishockey ist dagegen Schneckenrennen) geht es zur Sache, man darf schwitzen, den anderen mit gekonntem Bodycheck vom Ball entfernen und den Ball gute 150m weit und bis zu 120km/h schnell über das Spielfeld prügeln, das problemlos 6 Fußballfelder aufnehmen kann. Wie beim Rennen kann man seine Favoriten lauthals anfeuern – „quiet“ ist der Sport weder auf dem Feld noch auf denTribünen. Und für alle, die angefixt sind, Geschwindigkeit lieben und keine Lust haben, nur am Spielfeldrand zu stehen: Es gibt auch eine „Polo – do it yourself „Variante”. Der Berliner Polo-Club von 1906,

sportlicher Partner des Turniers, hat sein ruhigstes Pferd gesattelt: „Woody“ ist aus 100% ungarischer Fichte und bringt regelmäßig Kindern ab 5 Jahren auf dem Berliner Clubgelände die ersten Schwünge mit dem Polostick bei. Workshops für Erwachsene und Jugendliche sind ebenfalls auf dem Programm. Außerdem lockt ein Asado mit dem inzwischen als Geheimtipp geltenden „La Fina“ Fleisch aus Uruguay. TRAFFIC hält für alle Leser vergünstigte Eintrittskarten für den Spieltag am Sonntag bereit (6,- statt 10,- Euro) und verlost 10x2 Freikarten. Einlass ist am Sonntag ab 12.00 Uhr, die Siegerehrung findet gegen 16.00 Uhr statt. Bitte mailen Sie Ihren Namen an: sport@trafficnewstogo.de


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Das Wetter

Ausgabe N°17 • September / Oktober 2011 • Jahrgang 2 • trafficnewstogo.de

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das wetter wetter@trafficnewstogo.de

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von Jeni Fulton

Sfax

Kairo

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Frische Brise 34° 44' N, 10° 45' O

Schwül 30° 3' N, 31° 14' O

Ein 22-jähriger tunesischer Rapper wagt als Einziger, Präsidenten Ben Ali anzuklagen: „Heute spreche ich für die Menschen/Gebeugt vom Gewicht des Unrechts/Herr President, Ihr Volk stirbt.“ Hamada Ben Amor, alias El Général, beschreibt die Gewalt, polizeiliche Willkür, die lebensunwürdigen Umstände der Bevölkerung, fasst Dinge in Worte, die sonst von Millionen verschwiegen werden. Sein Lied „Rais Lebled“ wird zur inoffiziellen Hymne der Jasmin-Revolution. Rasch verbreitete es sich, vorbei an der offiziellen Zensur, über Facebook und YouTube, die Revolution 2.0, mit dem Internet als Dynamit des Umbruchs. El Général wurde selbst zum Opfer des Präsidenten: wegen Staatsverhetzung inhaftiert kam er frei, mit der Auflage, keine aufrührerischen Lieder mehr zu veröffentlichen. Zu diesem Zeitpunkt wird „Rais Lebled“ bereits im Tahrir Square, Kairo, gesungen und befeuert den Arabischen Frühling von Bahrain bis Algerien.

Die Revolution wird viral: tausende Menschen besetzen im Januar den Hauptplatz Tahrir Square. Auf YouTube kursiert Free Egypt Rap. Der ägyptische Singer-Songwriter Essam lässt sich von den Slogans der Protestler zum Lied „Irhal“ (auf Deutsch: Geh‘) inspirieren. Der schlichte, direkte Text („Wir gehen nicht/Er muss gehen/Vereint/Wollen Wir Eins/Geh Geh Geh“) hallt über den Platz. Essams Lied ist in der Tradition von Woodie Guthries Folk-Protest geschrieben, die klaren Refrains werden von Menschen überall in Ägypten gesungen. Kurz darauf greifen die Unterstützer von Mubaraks Regime die Protestgruppen an, Essam selbst wird, wie tausende Andere, verletzt. Das Internet wird präventiv abgeschaltet. Unverzagt sind die Jugendlichen am nächsten Tag wieder da, singen weiter. Mubarak gibt am ersten Februar seinen Rücktritt bekannt.

Damaskus

London

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Gewitterig 33° 31' N, 36° 19' O

wolkig 51° 31' N, 0° 7' W

Unverblümt fordert Sänger Ibrahim Qashoush, den libyschen Präsidenten Bashar al-Assad auf zu gehen. „Ya Irhal Ya Bashar“ („Hau ab, Bashar“) singen die Protestler von Damaskus zu den mitreißenden Rhythmen eines traditionellen Tanzes. Daraufhin wird dem Sänger symbolträchtig die Kehle durchtrennt. Eine Warnung, wie sie deutlicher nicht sein könnte. Die Aufständischen lassen sich davon nicht einschüchtern, posten anonym „Biyan Raqam Wahid“ (Verlautbarung Nummer eins) auf YouTube. „Das syrische Volk wird nicht schwach werden/Es wird weiter vorangehen/Es revoltiert“, so der Text. Auf einmal ist der Mut da, das Regime direkt zu konfrontieren, lauthals den Sturz des Diktators zu fordern. Das Internet spielt eine tragende Rolle. Bashar schießt jedoch weiterhin auf seine Bevölkerung.

Die Stimmung in der Stadt schwelt nach den drastischen Sparmaßnahmen des Premiers David Camerons, welche die sozial Schwachen am härtesten treffen. Am 6. August kommt es zur Explosion. Fünf Tage plündern und brandstiften maskierte Demonstranten in kleinen mobilen Trupps, Blackberry Messenger dient als Kommunikationskanal. Mit Tahrir Square hat dies nichts gemein. Entsprechend anders der Sound, Grime und UK Funky, eine schnelle, bassgetriebene Mischung aus Dubstep, House und Soca, extatische Partymusik. Die Musik einer Generation die sich mangels Alternativen und Perspektiven ideologiebefreiten Hedonismus als Lebensart verschrieben hat. Protest im Format angezündeter Möbelhäuser und geklauter Nike-Turnschuhe. David Cameron ist noch immer im Amt.

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Allegories o f J u s t i ce

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L E IL A P A Z OO K IS K L E I N E P O E SI E D E S KOPIERENS von

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5 1 „Atelier eines Künstlers in Dafen (Shenzhen, China), der derzeit größten Werk

statt für kopierte Ölgemälde weltweit. Das gezeigte Gemälde kopiert der Maler

seit einem Jahr in Serie.“

2 „Ein Maler in seinem Studio, nachts um drei.“ 3 „Ein junger Maler, den ich schon auf meiner ersten Reise kennengelernt

habe. Bei meiner nächsten Reise interviewte ich ihn und seine Freunde, die

sich manchmal nachts in ihren Studios während der Arbeit gegenseitig

besuchen. Das ist aber eher die Ausnahme. Die meisten malen in der Regel

allein, während die Familie zu Hause fernsieht oder isst.“

4 „Beginn der Painting Competition im Ballsaal unseres Hotels war morgens um

zehn. Gemalt wurde anschließend sechs oder sieben Stunden lang.

Ich habe die Aktion zusammen mit Mr. Huang organisiert, dem Gründer des

Künstlerdorfs, und seinem Assistenten. Es war auch nicht das erste Mal, dass

ein vergleichbarer Wettbewerb dort stattfand; der einzige Unterschied war

wohl, dass der Auftraggeber eine Künstlerin und nicht die chinesische

Regierung war.“

5 „Unter den Teilnehmern waren übrigens auch zwei Kinder, die den ganzen

Tag mit gleicher Mühe und Akribie malten wie die Erwachsenen.“

6 „Während des gesamten Wettbewerbs standen die Teilnehmer, außer zum

Mittagessen, nicht auf. Mr. Huang fragte uns vor Beginn des Wettbewerbs,

ob wir nur gute Maler zum Wettbewerb zulassen wollten oder jeden, der sich

dazu bereit erklärte. Ich entschied mich für die letztere Option, damit auch

diese Art Competition im Wettbewerb Ausdruck findet. Natürlich waren

dadurch auch Anfänger unter den Malern.“

Alle Bilder mit freundlicher Genehmigung von Leila Pazooki und Galerie Christian Hosp 6


M a d e i n C h i n a – d a s L a b e l i s t s o w o h l i n d e r Te x t i l i n d u s t r i e a l s a u c h a u f d e m Te c h n i k m a r k t e i n w e l t b e k a n n t e s K e n n z e i c h e n f ü r B i l l i g w a r e u n d o f t u n v e r h o h l e n e s K o p i e r e n a n d e r e r, m e i s t w e s t l i c h e r P r o d u k t e . Vo r a l l e m s t e h t C h i n a a l s ‚ W e r k b a n k ‘ d e r W e l t j e d o c h f ü r d o r t h i n a u s g e l a g e r t e M a s s e n p r o d u k t i o n u n d Niedrigstlöhne, siehe Apples Hauptzulieferer Foxconn. Auch auf dem Markt für Kunstreproduktionen ist ‚Made in China‘ durch das ehemalige Fischerdörfchen Dafen in der Nähe Hongkongs seit einigen Jahren ein Begriff, da von dort aus unzählige, kleine Werkstätten, ungelernte Kopisten – immer häufiger aber auch ausgebildete Maler – Ketten wie IKEA und W a l m a r t m i t Va n G o g h s , K l i m t s u n d M o n e t s b e l i e f e r n . D a f e n s G e s a m t a n t e i l a m W e l t m a r k t l i e g t b e i g e schätzten 50%. I n i h r e r j ü n g s t e n B e r l i n e r E i n z e l a u s s t e l l u n g F a i r Tr a d e s e t z t s i c h d i e i r a n i s c h - s t ä m m i g e K ü n s t l e r i n Leila Pazooki mit der Präsentation und Konsumtion von Kultur auseinander und zeigt in einer fast museal inszenierten Werkschau die Spannungen zwischen dem Massenmarkt und künstlerischer Authentizität, eine Quasi-Dichotomie, die in den letzten Jahrzehnten besonders in den neuen aufstrebenden Wirtschaftsländern wie Indien und China zu beobachten ist. Auf einer Reise nach China rief Pazooki, vom Fleiß und der Genauigkeit der dortigen Maler beeindruckt, einen Wettbewerb aus, bei dem Hundert von ihnen ein Gemälde innerhalb von sechs Stunden kopieren sollten: Eben Cranachs „Allegorie der Gerechtigkeit“ von 1537. Diese Reproduktionen bilden eines der w e s e n t l i c h e n E l e m e n t e v o n F a i r Tr a d e , e i n e r b e e i n d r u c k e n d e n A u s s t e l l u n g , d i e d i e E i n z i g a r t i g k e i t j e d e s einzelnen Malers ‚hinter‘ dem Original reflektiert und zur Schau stellt, genauso aber auch Fragen zur Authentizität und Präsentation von Kultur insgesamt aufwirft: Keine in Dafen angefertigte Cranach-Kopie, in Serie nebeneinander gehängt, gleicht ganz der anderen – die detailgetreue Nachbildung des Saales 17a der National Gallery als auratischem Ort kultureller Wertproduktion allerdings, wie er sich auch in Pazook i s F a i r Tr a d e b e f i n d e t , g l e i c h t s e i n e m L o n d o n e r O r i g i n a l s e h r w o h l .




L e i l a P a z o o k i i m G e s p r ä c h m i t Vu H o a n g

L e i l a , D e i n e l e t z t e S o l o - S h o w „ F a i r Tr a d e “ hat international sehr guten Anklang gefunden. Wa s h a t D i c h z u d e m P r o j e k t i n s p i r i e r t ? Nun, ich habe eigentlich Malerei studiert und h a t t e d e n g r o ß e n Tr a u m , v o n m e i n e r M a l e r e i zu leben. Vieles von meinem Projekt kommt aus der Nostalgie des Malens. Ich habe damals in Te h e r a n g e l e b t . D o r t w u r d e m i r v o n e i n e r a m e r i k a n i s c h e n A g e n t u r d e r Vo r s c h l a g g e m a c h t , auf Auftrag Reproduktionen von Kunstwerken herzustellen. Ich habe es sogar versucht, jedoch waren meine Kopien entweder zu ‚kreativ‘ für sie oder einfach nicht gut genug. Vo r e i n e m J a h r, a u f d e r S h a n g h a i A r t F a i r, habe ich dann von einem Künstlerdorf in der Nähe von Hongkong erfahren. Du sprichst von Dafen, richtig? Wie bist Du mit den Einwohnern dort in Kontakt gekommen? Ich habe über Freunde und Bekannte einer Internetbekanntschaft Kontakt zu jemandem bekommen, der in Dafen lebt. Die Gespräche mit ihm haben mich dann so sehr fasziniert, dass ich beschlossen habe, dorthin zu fahren. Dafen ist ja als Künstlerdorf sehr bekannt. Wie kann man sich die Produktionsstätten dort vorstellen? Es gibt dort überall kleine Studios. Du kannst sie Dir wie kleine Läden vorstellen, in die man reingucken kann. Die Maler sitzen in ihren winzigen Ateliers und malen die ganze Nacht durch. Wenn man nachts durch die Straßen geht, sieht man in den dunklen Straßen hell erleuchtete Fenster – ein fast schon romantischer Anblick. Die Maler fangen mit ihrer Arbeit erst am späten Nachmittag an, weil es zu der Zeit etwas ruhiger auf den Straßen ist. Das fand ich sehr interessant, vor allem weil es sich trotz der Fließbandarbeit nicht um eine Fabrik oder Firma mit festen Arbeitszeiten handelt. Können die Maler von ihrer Kunst leben? Durchschnittlich verdient ein solcher Auftragsmal e r n i c h t m e h r a l s e i n n o r m a l e r H o t e l a n g e s t e l l t e r. A b e r e s g i b t n a t ü r l i c h a u c h M a l e r, d i e v i e l w e niger verdienen – da reicht es gerade mal zum Leben. Kann man die Maler als Künstler bezeichnen oder ist es für sie einfach nur ein Job? Das ist schwer zu sagen, und es ist auch eine Problematik, die ich in meinem Werk thematisiere: Die Arbeit der Kopisten ist unserer Idee, wie oder was ein Künstler sein soll, sehr fern. Natürlich ist es für die meisten von ihnen nur ein Beruf, aber letzten Endes habe ich mich dazu entschieden, ihre Rolle nicht zu definieren oder darüber zu werten. Es gibt viele, die auch selbst kreativ schaffend arbeiten, für andere ist es lediglich ein Beruf, der seine eigenen Anforderungen stellt. Ist ihre Arbeit mit einem handwerklichen Beruf zu vergleichen? Kunst hat schon immer eine handwerkliche Seite gehabt. Mit der Zeit ist genau dies aber in den Hintergrund getreten. Mit der Globalisierung, der Massenproduktionen, mit den wirtschaftlichen Ve r ä n d e r u n g e n h a t s i c h a u c h d e r B e g r i f f d e s Künstlers geändert, jedoch war seit jeher d a s H a n d w e r k l i c h e s e h r w i c h t i g f ü r d e n K ü n s t l e r.

Wer kauft diese Reproduktionen? Gibt es einen Markt dafür? To u r i s t e n o d e r k l e i n e r e F i r m e n . J e d o c h a u c h g r ö ß e r e Firmen, die gerne Duplikate englischer Meisterwerke h a b e n w o l l e n . Wa l m a r t i s t e i n e r d e r g r ö ß t e n K u n d e n v o n M r. H u a n g , d e m G r ü n d e r d e s K ü n s t l e r d o r f s . W i e s t e h s t D u z u e i n e r s o l c h e n Ve r m a r k t u n g von Kultur? Mir ist durch das Projekt bewusst geworden, wie Kultur und vor allem auch der Mensch ausgeschlachtet werden. Durch die Massenproduktion geht der Charakter der Einzigartigkeit verloren. Wa s w a r f ü r d i c h b e s o n d e r s w i c h t i g b e i d e m Projekt? Die Interviews mit den Malern und die Lebensgeschichten der Menschen. Ich sehe den Kontakt mit den Künstlern und den Wettbewerb mit der anschließenden Ausstellung als Gesamtprojekt. Es war natürlich sehr ironisch, dass das zu reproduzierende Bild Lucas Cranachs „Allegory of J u s t i c e “ w a r. M e i n e S e l b s t k r i t i k f ä n g t e r s t d o r t an, wo ich als Künstlerin ein Bild in Auftrag gebe und mit dieser Aktion Kritik äußere. Inwiefern spielten die Lebensgeschichten der Kopisten eine Rolle? Mich faszinierte besonders die Geschichte oder Handschrift des Anonymen. Durch die Massenproduktion gibt es immer eine Anonymität. Bei dem Projekt ging es mir vor allem um diesen Widerspruch, der in den Reproduktionen liegt. Der Mal e r, d e r s o t u t , a l s w ä r e e r e i n a n d e r e r. Der Gemälde-Installation hast Du eine Reproduktion des Saales 17a der Londoner National Gallery gegenübergestellt. J a , d e r G r u n d d a f ü r w a r, d a s s i c h n i c h t a n d e r s konnte als an eine Art von Autopsie der Kultur zu denken. Ich wollte den Prozess und die Instrumente darlegen, um das zu zeigen, was durch Ausbeutung und Massenproduktion entsteht. Die Nachbildung ist wie eine Art Kuchenstück, das man herausgeschnitten hat, um zu sehen, was in dem Kuchen drin ist. Inwiefern Autopsie der Kultur? Es ist das Darlegen, Aufschneiden, Sezieren, was mich interessiert hat. Das Mittel des Sezierens genauso sichtbar zu machen wie das Sezierte an sich. Die Arbeit in Dafen zeigt, wie Kunst und im weiteren Sinne Kultur an uns verkauft wird. Der Wunsch danach, etwas Authentisches zu besitzen oder zu bewahren, wie das Museum es tut, ist etwas dem Menschen inhärentes. Genauso aber a u c h n u r e i n e n Te i l v o n e t w a s z u b e s i t z e n , w i e e b e n e i n e R e p r o d u k t i o n e i n e s Va n G o g h s o d e r anderen weltberühmten Malers. Kultur also als etwas, das man mit einem bestimmten Marktwert nach Hause tragen möchte w i e e i n e Tr o p h ä e ? Da, wo Kultur verkauft wird, geht es um Politik, weil sich das Werk und die Handlung auf der Welt positionieren. Mein Wunsch war es, eine kleine Poesie abzubilden, bei der der Betrachter einen Maler vor sich sieht und gleichzeitig in der R e p r o d u k t i o n d e r N a t i o n a l G a l l e r y, e i n e m a r t i f i ziellen, toten Raum, eine schwarze Kritik sieht. Kultur ist das, was auf der Straße passiert. Die Werke haben nicht den Wert des Geschehens.


1 „Die schon fast absurde Idee, einen Raum der National Gallery detailgetreu

in einer eigenen Ausstellung zu reproduzieren, kam mir, als die Unterstützung

für mein Projekt durch die National Gallery immer ungewisser wurde. Genau

in der Nacht, in der die endgültige Absage kam, entdeckte ich die hier ausge-

stellten Bilder zufällig zu Schwarzmarktpreisen (ca. 40 Euro pro Bild) im Inter-

net, was weit unter den Preisen der Drucke der National Gallery selbst liegt.

Der sehr unromantische Prozess der Zusammenarbeit mit Unbekannten über

das Internet (das Preise verhandeln und vergleichen), sowie die Verhandlun-

gen mit dem Museum sind für mich wichtiger Bestandteil des Projekts und

damit auch der Ausstellung“.

2 „Von außen sollte der Saal als sichtbare Fälschung zu erkennen sein. Für

mich ist der Widerspruch Teil kultureller Wertschätzung, so widersprüchlich

das auch klingt“.

3 „Das Streben nach Perfektion, hier wiedergegeben durch die Nachbildung des

Ausstellungsraums, ist eine Art Parodie der Kultur als Grenze. In der Insze-

nierung war der Raum auch von oben einsehbar, eine Sicht, die man in

der National Gallery nicht hat. Der Besucher wird dadurch zum Voyeur und

betrachtet die anderen Ausstellungsbesucher wie Tiere im Zoo. Auch in

dieser Installation spielt die Geschichte des Kopisten eine wichtige Rolle:

Neben jedem Gemälde ist eine Kurzbiografie des Kopisten zu lesen“.

Alle Bilder mit freundlicher Genehmigung von Leila Pazooki und Galerie Christian Hosp 1

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Ausgabe N°17 • September / Oktober 2011 • Jahrgang 2 • trafficnewstogo.de

Musik

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Die Synästhesie-Galaxie Interview von Verena Dauerer Seit Ende Juli erscheint Björks aktuelles Album „Biophilia“ nach und nach als Serie von einzelnen Applikationen für das iPhone und iPad. Entwickler Scott Snibbe berichtet, wie das Projekt zustande kam: „Biophilia“, das neue Album von Pop-Musikerin Björk, erscheint nicht nur in Form von Musikstücken, sondern als Serie von Applikationen für das iPhone und iPad, die stückweise bis etwa Ende September freigeschaltet werden. Scott Snibbe, Medienkünstler und Programmierer von iPad Apps aus San Francisco, beschäftigt sich seit Ende der 80er Jahre mit interaktiven Sound-Programmen. Bei „Biophilia“ war er Teil des Entwicklerteams und verantwortlich für mehrere Apps des Albums. Sie haben früher mit Musikern wie Brian Eno und Laurie Anderson zusammengearbeitet. Was ist der Unterschied zu einem Projekt auf dem iPad? Eigentlich ist das ziemlich ähnlich. In den 90er Jahren habe ich mit beiden an Konzepten für musikalische Video Games gearbeitet. Wir waren kurz vor einem Vertragsabschluss mit Sony als Vertrieb, aber die Zeit war einfach noch nicht reif. Als nun das iPad auf den Markt kam, war das wie eine Offenbarung. Eine Offenbarung? Inwiefern? Ich wollte nie, dass meine interaktive Kunst in der elitären Welt der Museen und Galerien zurückbleibt. Sie sollte für jeden zugänglich sein. Vor dem iPad gab es für mich aber keinen Weg, ein größeres Publikum zu erreichen und auch nach vielen Ausstellungen hat mich das immer noch frustriert. Björks Projekt ist das erste von mir, das eine popkulturelle Masse anspricht. Und ihre Fans haben sehr wohl verstanden, dass Technologie ein Kanal für Emotionen und Inhalte sein kann. Warum ist ausgerechnet das iPad das ideale

Wenn Björk Musik anhört, so erzählte sie, sieht sie den Rhythmus als einen eckigen Tunnel und den Takt als Tunnelseiten. [...] Ändert sich die musikalische Struktur, verändert sich auch der Tunnel. Sie hat „Crystalline“ als App also nach ihrem eigenen synästhetischen Erleben designt. Medium für ein Musikalbum? Wenn es um Computer geht, ist das iPad wahrscheinlich das intuitivste Interface mit der größten Nutzerfreundlichkeit – weil man es einfach nur berühren muss. Das Betriebssystem auf dem iPad funktioniert von seiner Struktur her wie ein Film, bei dem der Nutzer zwischen den Szenen hin- und herschneidet oder den Kanal wechselt. Der Bildausschnitt ist perfekt, um mit Kunst oder Musik ausgefüllt zu werden. Das Innovative am iPad ist deshalb sein filmähnliches Interface. Beim ersten Track des Albums, Crystalline, schwebt der User durch einen Tunnel voller Polygone, die Vibrafon-Klänge von sich geben. Wie ist dieses Musik-Game aufgebaut? Bei dem Game App sammelt der Nutzer die Kristalle in einer bestimmten Reihenfolge von den Wänden, um verschiedene Teile des Songs freischalten zu können. Bei jeder Tunnelverzweigung kann sich der Nutzer für eine Abzweigung entscheiden, erhält so Zugang zu einem weiteren Teil des Songs und kann sich dadurch seine eigenen Versionen des Tracks zusammenstellen. Also Musik intuitiv auf visuelle Weise generieren, ohne groß den technischen Unterbau verstehen zu müssen? Als Musiker hat man dieses wunderbare kreative

Gefühl beim Komponieren oder Performen ganz in der Musik aufzugehen und die Zeit dabei zu vergessen. Björk, und ich genauso mit meinen eigenen Applikationen, wollen jedem normalen User das Gefühl vermitteln, wie sich das für den Künstler anfühlt: etwas zu kreieren, zusammen mit Leuten etwas zu erschaffen, ohne erst jahrelang ein Instrument erlernen zu müssen. Synästhesie scheint ein übergeordnetes Thema bei „Biophilia“ zu sein. Erinnert das nicht auch an Ihre eigene OscilloScoopApplikation für das iPad, mit der der User Sounds ‚malen‘ kann? Ja, Crystalline ist ein gutes Beispiel dafür. Bevor wir damit angefangen haben, beschrieb Björk es als eine Art, wie sie Musik wahrnimmt. Wenn sie Musik anhört, so erzählte sie, sieht sie den Rhythmus als einen eckigen Tunnel und den Takt als Tunnelseiten. Vier Takte stellen etwa vier Tunnelseiten dar. Ändert sich die musikalische Struktur, verändert sich auch der Tunnel. Sie hat Crystalline als App also nach ihrem eigenen synästhetischen Erleben designt. Wie gestaltete sich nun die Zusammenarbeit mit Björk? Als wir uns das erste Mal im Juni vor einem Jahr trafen, ist sie jeden Track durchgegangen und hat das Konzept und den Erzählbogen

genau erklärt. Die Umsetzung hat sie dann ganz uns überlassen. Es war als hätte sie ein Drehbuch geschrieben und als Regisseurin Anweisungen gegeben. Wir, die Programmierer, haben den Film dann sozusagen umgesetzt. Wie war die Teamarbeit für „Biophilia“? Wir sind sechs Entwickler, jeder von uns programmiert ein bis drei Apps des Albums. Manche arbeiten ganz unabhängig und werden nur ab und an von Björk in die richtige Richtung gelenkt, manche verarbeiten das komplette Design von M/M, einem Designstudio aus Paris. Wir teilen uns eine Menge der Codes und helfen uns gegenseitig bei der Fertigstellung. Und was war Ihr Part? Ich habe an der Mantel-Applikation Cosmogeny gerabeitet, das ist die Hauptapplikation und das Menüsystem für alle weiteren Apps des Albums. Cosmogeny ist eine dreidimensionale Galaxie, in deren Sternenkonstellationen der User navigieren kann, um dort weitere Apps zu erschließen. Weitere im Album enthaltene Apps von mir sind die Tracks Virus und Thunderbolt. Wie wurde dieses Hauptmenü als Galaxie entwickelt? Zunächst hatte M/M die Idee für das Look and Feel und die Navigation. Von meinem Studio kam die Umsetzung für die Interaktion. Sie sollte so intuitiv wie möglich sein, die Bewegungen und Animationen sehr flüssig und verständlich. Es sind die Details, wie sich Objekte bewegen oder auf den User reagieren. Da sind die Entscheidungen immer sehr subtil. Diese machen aber den Unterschied aus, ob das Interface umständlich und frustrierend oder einfach und angenehm zu bedienen ist. Wie haben Sie das umgesetzt? Mit der Auszeichnungssprache HTML5? Nein, wir programmieren alles mit C++ und Objective-C. Es gibt keinen anderen Weg für diese interaktive Umsetzung, zumindest im Moment noch nicht.


Musik

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The Riptide Beirut is not only gracing Berlin with its presence during Music Week (see them live during Music Week, September 10th at Flughafen Tempelhof) but also with a new album. The Riptide comes beautifully packaged, tactually weighing in your hands. This is an album worth owning and not just downloading. EUR 12,95

Debbie, mit „Panic of Girls“ ist nun nach achtjähriger Schöpfungspause das neunte Blondie-Studioalbum erschienen. Hast Du Dich nach Deinem letzten Soloalbum wieder nach der Band gesehnt?

DON’T PANIC, PUNK IS BACK

Laxman The Laxman promises to relax and vitalise your brain and energy and offers support for relaxation, meditation and sleep. One of its best features allows you to upload your own music and audiobooks to zone out to the brightly colors within the goggles. EUR 499 www.mylaxman.de

Field, by Rainer Kohlberger Rainer Kohlberger won the ZKM App Art Award with this application. ‘Field’ converts the light and sound input of your iPhone/iPad camera in real-time, generating a constructed grid that is composed of brightness saturation and interpreted colors. This image then produces sound. EUR 1,59

Interview von Marc Hairapetian Du kennst doch das Sprichwort: „Alte Liebe rostet nicht.“ Blondie war niemals nur ich, sondern Blondie ist immer eine Band, in der wir alle unser kreatives Potential einfließen ließen und nun wieder lassen. Einige meiner Solo-Alben waren sehr erfolgreich wie „Rockbird“ mit der Single „French Kissin‘ in the USA“. Bei „Def, Dumb and Blonde“ hat ja auch Chris Stein mitgemacht und mich auf meiner Tournee begleitet. Blondie ist immer dann zur Stelle, wenn wir meinen, dass wir musikalisch etwas zu sagen haben. Das ist nun Anno 2011 wieder der Fall. Das Album „Panic of Girls“ ist sehr geradlinig und bietet modernen Punk. Man hat den Eindruck, dass es direkt an Eure großen Erfolge wie „Plastic Letters“ oder „Parallel Lines“ anknüpft. Danke, das ist das größte Kompliment, das Du mir machen kannst! Wir wollten bei aller Liebe für gute Arrangements auf Firlefanz verzichten und einfach gute Popsongs aufnehmen. Vielleicht ist uns das auch gelungen.

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Mit Deinem ehemaligen Lebensgefährten, Gitarrist Chris Stein, und Schlagzeuger Clem Burke, der seit seinem 18. Lebensjahr bei Blondie spielt, sind zwei Gründungsmitglieder dabei. Warum nicht die anderen? Das musst Du sie fragen! Nigel Harrison ist als Bassist von The Grabs sehr eingespannt, mit Keyboarder Jimmi Destri hatten wir Anfang des neuen Jahrtausends, als er bei unserem Comeback noch dabei war, einige künstlerische Differenzen und zu Gary Valentine, der literarische Ambitionen hat, gab es längere Zeit keinen Kontakt. Das ist schade, müssen wir aber akzeptieren. Knitted Cardigan CLOSED delivers once again. The cardigan is a staple piece that will keep you warm throughout the long winter; doubling as outerwear for those rare, sunny days and a cozy blanket on those horrendous icy ones. EUR 219 www.closed.com

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Für Gitarrist Chris Stein, der an einer lebensgefährlichen Hautkrankheit litt, hast Du Anfang der 1980er Jahre Deine Karriere eine Zeit lang zurückgestellt. Ich bin keine Mutter Theresa des Rock. Wenn man jemanden liebt, ist es verständlich, dass man sich um ihn kümmert. Auch wenn wir kein Paar mehr sind, werde ich Chris immer in Liebe verbunden sein. Ich habe mich sehr gefreut, dass er auf seine alten Tage noch Vater geworden ist. Bedauerst Du nicht, dass Du selbst nie Mutter geworden bist? Deswegen habe ich ja den neuen Song „Mother“ geschrieben. Im Ernst: Bei so vielen Jahren auf der Überholspur des Rock ‘n‘ Roll hätte ich für die Erziehung eines Kindes keine Zeit gehabt. Nun ist es so spät - und ich bin gerne Leihtante für die Kinder meiner Freunde. Wie fühlt sich das an, wenn man mit mittlerweile 66 Jahren von jungen Männern (und Mädchen) als StilIkone verehrt wird?

Blondie Foto: F. Scott Schafer

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In Anlehnung an den Song des „normannischen Kleiderschranks“ Curd Jürgens sage ich: „66 - und kein bisschen leise.“ Sollte ich lügen? Das fühlt sich natürlich gut an.

Was hörst Du selbst für Musik? Viel Filmmusik. Ich liebe Fellinis Stammkomponisten Nino Rota. Chris und ich haben einmal vor langer Zeit eine musikalische Hommage an ihn im „La Dolce Vita“-Stil gemacht. Ich höre auch neue, junge Bands. Lady Gaga ist manchmal gaga, aber einige Songs sind cool. Sie ist ihr eigenes Kunstprodukt. Schade auch um Amy Winehouse. Sie war wirklich die beste weiße Soulsängerin. Ich mag auch deutsche Bands wie Fehlfarben, Der Plan und die Merricks, obwohl ich ihre Texte nicht verstehe. Du hast mir doch einmal ein Tape mit ihnen aufgenommen. Ab und zu fahnde ich nach ihnen bei YouTube. Aber bis auf Fehlfarben habe ich keine neuen Songs gefunden. In John Waters Teen-Komödie „Hairspray“ als überkandidelte Mutter einer angehenden Schönheitskönigin oder in David Cronenbergs Science-Fiction-Film „Videodrome“ als Sadomaso-Sexopfer warst Du auch als Schauspielerin großartig. Sieht man Dich bald wieder auf der Kinoleinwand? Nach „Elegy oder die Kunst zu lieben“ habe ich noch zwei Kurzfilme, „The Mistery of Claywoman“ und „Pipe Dreams“ gemacht, die wohl auf Festivals laufen werden. Was ist Dein Lieblings-Blondie-Album? Ich sage jetzt absichtlich nicht das aktuelle, obwohl es gut ist. Das Beste ist „Autoamerican“ von 1980, weil es sehr abwechslungsreich und gut produziert ist. Mit „Rapture“, dem ersten kommerziell erfolgreichen weißen Rap, und „Angels on the Balcony“, das mit provozierenden Dissonanzen anfängt und dann in eine Hymne mündet, die wiederum mit surf-artigen Breaks den Rhythmus wechselt, enthält es auch meine zwei Lieblingssongs. Warum gibst Du eigentlich nur so selten Interviews? Weil ich von Natur aus nicht sehr gesprächig bin und häufig dumme Fragen gestellt bekomme. Was war die Dümmste? „Welche Farbe hat Dein Lippenstift?“ fragte mich eine Reporterin der deutschen Zeitschrift Bravo, nachdem ich mir mit ihm gerade die Lippen nachgezogen hatte... Du hast wilde Zeiten erlebt, auch Drogen konsumiert. Wie sieht das jetzt aus? Ich kann Dir eines versichern: Sex ist jetzt meine einzige Droge...!


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Liebe Cindy Sherman, von Dahlia Schweitzer, Los Angeles Übersetzung aus dem Englischen von Lilian-Astrid Geese Originalversion auf Seite 31 Wir sind uns nie persönlich begegnet, doch im Herbst 1997 schrieb ich Cindy Sherman einen Brief. Sherman ist eine der größten Fotografinnen der Gegenwart. Sie ist berühmt, und sie kennt mich nicht. Trotzdem schrieb ich ihr. Denn ich wusste nicht, was ich mit meinem Leben anfangen sollte und wollte die für meine Karriere wichtigste Frau fragen, was ich tun könnte. „Liebe Ms. Sherman. Sagen Sie mir, was ich mit meinem Leben anfangen soll“, schrieb ich. Na ja, vielleicht nicht ganz so altklug, doch so gefühlt und gemeint. Cindy Sherman antwortete mir, und ein Briefwechsel folgte. Sie gab mir Tipps und erzählte von Office Killer, dem einzigen Film, den sie je gemacht hat. Office Killer ist eine düstere Komödie, in der es um Tod, Technologie und Kommunikation geht. Mit Bildern aus dem Leben Amerikas in den späten 1990er Jahren

Sagen Sie mir, was ich mit meinem Leben anfangen soll ist Shermans Film ein bissiger Kommentar zum gesellschaftlichen Wandel jener von AIDS und Computern geprägten modernen Welt. Doch Office Killer floppte, trotz sensationeller Bilder und viel Humor. Nach nur wenigen Vorstellungen verschwand Shermans cineastisches Projekt aus den Kinos und lebte fortan nur noch in der Erinnerung der treusten Sherman-Fans weiter. Was war geschehen? Warum wurde der einzige Film einer so bedeutenden Künstlerin ignoriert? Wieso sahen - und sehen - die Kritiker ihn nicht als eine andere Möglichkeit, Shermans endlos enigmatische Fotografien zu entschlüsseln? Ein Teil des Problems ist, dass der Film in keine Schublade passt. Trotz zahlreicher Leichen ist es kein Gruselfilm. Und er ist auf den ersten Blick auch keine Komödie. Die Beziehungen

zwischen den Frauen – alle Hauptpersonen der Geschichte sind weiblich – erinnern an alte Joan Crawford-Filme, Produktionen aus einer Zeit, in der The Women (1939), Mildred Pierce (1945) oder Whatever happened to Baby Jane (1962) die komplexe Dynamik im Verhältnis von Frauen untereinander und ihren Kampf um Männer, Macht und Unabhängigkeit thematisierten, und Männerrollen in der Geschichte eher nachrangig waren. Die Intensität einiger Szenen in Office Killer, nicht zuletzt die Beziehung zwischen Dorine, der Protagonistin, und ihrer Mutter, spricht für das Genre des Melodrams, während das Licht in vielen Szenen an den Film Noir erinnert, und die exzessive Absurdität des Geschehens in Richtung Comedy strebt. Gleichzeitig schocken die

entsetzlichen Morde und der Verfall. Es scheint, als habe Sherman alle cinematografischen Elemente, die ihre Fotografien inspirieren, aufgegriffen und zu einem Film zusammengefügt. Durch den Einsatz einer überwiegend weiblichen Besetzung erreicht die auf typischen Frauenkonflikten – mit weiblicher Aggressivität, Konkurrenz, Rollenmodellen und Schönheit – aufbauende Spannung ebenfalls albtraumhafte Dimensionen. Und doch ist dieser Film alles andere als ein typischer Horrorfilm, nicht nur, weil der Killer eine Frau ist. Denn es geht nicht um die Zahl der Toten, sondern um das, was Dorine mit ihnen macht – und die Tatsache, dass die Körper ihrer Opfer in ihrer Wahrnehmung lebendig bleiben. Im Rahmen von Sparmaßnahmen wird Dorines Arbeitsplatz in der Redaktion gestrichen. Die Lektorin der Zeitschrift „Constant Consumer“ soll künftig zuhause arbeiten. Dorine ist verzweifelt. Doch ein tödlicher Stromschlag öffnet ihr die Augen: Sie kann das Büro einfach mit nach Hause nehmen. Sie beginnt, einen Kollegen nach dem anderen zu eliminieren.


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Die Leichen stapeln sich. Als Opfer wählt sie bewusst diejenigen, die sie irgendwann einmal gekränkt haben. In Rückblenden zeigt Sherman, dass auch Dorines Vater durch die Hand seiner Tochter starb. Auch er hatte sich nicht so verhalten, wie sie es wünschte. Allerdings beseitigt Dorine die Leichen nicht. Der wahre Horror ist, dass sie sie pflegt, klaffende Wunden und Verwesung abdeckt, mit Glasreiniger als Desinfektionsmittel besprüht, und die Kadaver gemeinsam und ordentlich vor dem laufenden Fernseher arrangiert. Erst nachdem alle ausersehenen Opfer ihr Schicksal ereilt hat, macht sich Dorine auf den Weg, dem Sonnenuntergang entgegen. Sie ist bereit, sich eine andere Arbeit zu suchen und neue Freunde in einer anderen Stadt zu finden. Shermans Frauen sind außergewöhnlich starke und geradezu aggressive Charaktere, sowohl in Office Killer als auch in ihren Bildern. Es sind nicht die Männer, die Shermans Welt beherrschen. Dies reflektiert selbst ihre Modefotogra-

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fie, in der sich die Frauen mit unterschwelliger, an Feindseligkeit grenzender Aggressivität den Mustern konventioneller Weiblichkeit und jeglicher Glamourerwartung verweigern. Das traditionelle Rollenbild lässt die Frauen in Shermans Werk ebenso kalt, wie die Mode, die sie präsentieren. Sie respektieren nur ihre eigenen Regeln. Sie unterwerfen sich nicht. An Berührung haben sie kein Interesse. Und auch wenn hier und da das reizvolle ‚kleine Biest‘ aufglimmt, ist der Blick dieser Frauen niemals kokett oder einladend. In ihrem Grimm sind sie das ewig feindselige Feminine. Office Killer ergänzt diese Sichtweise um eine weitere Perspektive, und doch herrscht zu ihm universelles Schweigen. Als hätte sich der Sherman-Diskurs mit ihren „Untitled Film Stills“ etabliert, sodass danach nur noch Variationen der gleichen Ideen formuliert und Figuren der Künstlerin als passive Opfer der Medien und des männlichen Blicks gesehen werden konnten. Wenn es nicht konveniert,

und das geschieht allzu oft, wird Office Killer schlicht aus ihrem Werk herausgefiltert. Als ich an Sherman schrieb, damit sie mir sagte, was ich mit meinem Leben anfangen sollte, wollte ich eigentlich von ihr wissen, was ich mit meinem Körper machen könnte, mit seinen physischen Gliedern und den Teilen, aus denen das Ich besteht, das ich werden möchte und das ich verstehen will. Shermans Fotografien sind eine Enzyklopädie der Körpersprache, doch diese Sprache gründet nicht im Realismus. Ihre Bilder sind niemals Schnappschüsse. Sie sind immer inszeniert und sorgsam arrangiert. Jede Geste, jedes Objekt ist bedeutungsvoll. Ihre Kompositionen und Sujets hinterfragen durch das an Dioramen erinnernde Ambiente jedes einzelnen Szenarios Klischees und angelerntes Verhalten. Sie legt die Risse unter der Oberfläche offen, indem sie das Alltagsleben aus dem Gleichgewicht kippt, wie Office Killer exzellent zeigt. Ihr Film und ihre Fotografien wollen die Aufmerksam-

keit auf das lenken, was nicht passt, auf die Bruchstellen, und die Isolation, die diesen Momenten innewohnt. Sherman subvertiert die Bedeutung des Frauseins in der heutigen Welt. Sie weist gängige Definitionen zurück und setzt die Spannung zwischen dem Künstlichen und dem Realen, dem Performativen und dem Selbst kreativ um. In ihren Projekten geht es nicht einfach um Stereotypie, sondern um die ästhetische Exploration des Bildes, der Frau, des Genres, des Körpers und des Raums, und um die Komplizierung der Codes, mit denen wir unser Leben leben. Vielleicht müssen Sie Office Killer sehen, um das zu verstehen? Nun, dann schauen Sie sich den Film an. Es ist ein köstliches Opfer, das man gern bringt, um die legendäre Künstlerin noch mehr zu schätzen. Vielleicht schreiben auch Sie dann einen Brief an Cindy Sherman. Wobei ich nicht versprechen kann, dass sie antworten wird.


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Blake Boyd von Prof. Ginette Bone, New Orleans Übersetzung aus dem Englischen von Lilian-Astrid Geese Originalversion auf Seite 31 Der Konzeptkünstler Blake Boyd arbeitet mit Ton, Blattgold, (eigenem) Blut, Wein (Chateauneuf-du-Pape) und vielen anderen Medien in den Genres Malerei, Bildhauerei, InstantFotografie (Fotoautomat und Polaroid), Video und ortspezifischen Installationen. Aus ihnen entwickelte er auch, in einem über zwanzigjährigen Prozess, seine beiden zweiundzwanzigteiligen Liebesopern, die er in einer Reihe kleinerer, kammermusikalischer Inszenierungen thematisch ergänzte und erweiterte. In Slidell, Louisiana, einer Kleinstadt in den Bayous am See gegenüber von New Orleans geboren, ließ sich Boyd auf seinem Weg in die Stadt von populären Radioklängen begleiten, um dann in New Orleans in den originären Sound of the City einzutauchen. Über das Warhol Factory Mitglied Billy Name kam er schließlich zur Klassik: Name verdankt er seinen ersten Opernbesuch: „Madame Butterfly“ im Royal Opera House, Covent Garden, London, und die Liebe zur klassischen Komposition. Boyds Installationen sind von der Musik Beethovens und der Beatles inspiriert. Die Operntitel „Fidelio“ und „Romantika“ verweisen auf Beethoven, dessen einzige Oper der „Fidelio“ ist, und Goethe, die Väter der „Romantik“, deren Werke Befreiungsschläge von traditionell klassischen Strukturen waren. Einige Boyd-Arbeiten sind eine Hommage an Alben und Songs der Beatles; sie heißen „Something“, „Here Comes the Sun“ oder „The Long and Winding Road“. Referenzen an andere Popkünstler offenbaren „The End“, „Hard Luck Woman“ und „Destroyer“. Boyd spielt auch auf Disney an, eine Reminiszenz an die Ikonen seiner Kindheit und Jugend. An Boyds erstem Geburtstag 1971 eröffnete die Disney World. Einige seiner Verwandten fanden dort Arbeit. Boyds künstlerisches Werk ist von immenser medialer Vielfalt geprägt, mit der er die Bildwelt immer wieder neu interpretiert. Mit Poliment- und Wasservergoldung greift er bekannte Verfahren der Renaissance auf, und kommentiert so die kulturellen Werte unserer Zeit durch den Vergleich mit dem Pop, den er zu wertvoller Ikonografie erhöht. Boyds fotografische Mentoren sind Billy Name und Andres Serrano. Dabei kombiniert er die ungestellten Aufnahmen Names mit Serranos Studioportraits. Aktuell konzentriert er sich in seinen Fotoprojekten auf thematische, doku-

mentarische Portraitkollektionen bedeutender Persönlichkeiten der Zeitgeschichte. „Louisiana Cereal“, seine Serie aus Louisiana nach Hurricane Katrina, versammelt Bilder von Dr. John, Allen Toussaint, Irma Thomas und zahlreichen anderen Musikern. Weitere Reihen zeigen Doug Yule von Velvet Underground und Moby. Billy Name fotografierte für Warhols Factory und entwarf Cover für Velvet Underground. Die Bilder Serranos zieren die Hüllen der Metallica-Alben „Load“ und „Reload“. Soeben fertiggestellt ist Boyds Artwork für das aktuelle Album der Heavy Metal Band aus New Orleans, die die Gründungsmitglieder der Formation in einer Parodie des Designs für den Soundtrack von „Heavy Metal“ zeigt. Boyds Kunstausstellungen sind als Multimedia-Installationen konzipiert, wie beispielsweise „A New Hope“, eine Installation auf drei Galerien im letzten Akt der Oper „Romantika“. Boyd kombiniert in dieser Arbeit die Figuren aus Schneewittchen und Alice im Wunderland mit KISS und anderen Rock ’n’ Roll Ikonen. Peter Criss wird als „Prince Charming“ in einem überdimensionalen Tonportrait neu interpretiert. In „Destroyer“, einer gigantischen Renaissance-Produktion mit Darth Vader, Alice und Schneewittchen, spielt der Künstler selbst die Rolle von Johannes dem Täufer. In der gleichen Galerie befindet sich ein Nachbau eines Bühnenbilds von Mike Douglas, in dem 1974 Gene Simmons auftrat. Boyd ergänzt ein Schlagzeug von KISS und eine Lichtskulptur. Auf einem Monitor am seitlichen Bühnenrand läuft das Endlos-Loop eines Videos, in dem Boyd als Peter Criss verkleidet zu einem KISS Soundtrack die Drums spielt. Die zweite Galerie ist mit Tontafeln ausgelegt, auf denen Blutflecken – das Blut des Künstlers – die Texte von acht KISS-Songs buchstabieren. Sie sind in Bronze gerahmt und mit Abgüssen moderner Ikonen verziert. Das Blut ist Referenz an die Dichter des 19. Jahrhunderts, die mit ihrem eigenen Blut Liebesbriefe schrieben. Die Tontafeln erinnern an alte, steingemeißelte Schriften und sind Boyds Beitrag zur Auseinandersetzung mit der Rolle der Popkultur in unserer Gesellschaft. Der Rundgang endet in der dritten Galerie. Dort erinnert ein großes Cibachrome-Foto an die Tradition des Drogengebrauchs, der nicht zuletzt mit Musikern assoziiert wird. Beethoven schnupfte, und die Droge war vielen Rockstars Inspiration und Untergang. Eine Schnupftabakdose aus dem 18. Jahrhundert und ein silberner Salzlöffel liegen auf einer Marmorplatte, auf die Boyd neben zwei Linien Kokain sorgsam „Schneewittchen“ schrieb. Das Stillleben mit dem Titel „Great Expectations - Sweet Pain“ erinnert an den zeitlosen, zarten Faden, der die treibende und zugleich zerstörerische Kraft kreativer Künste ist.


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Kunst

HAMBURG | SOMMER 2011

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gültig ab 1. Mai 2011

gespräch mit francesca von habsburg

DER RESTAURANT-LIEFERSERVICE FÜR QUALITÄT, QUALITÄT, VIELFALT VIELFALT&&GENUSS GENUSS

Janet Cardiff & George Bures Miller Installation view: Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof, Berlin 2009 Foto: Roman März © Courtesy the artists, Galerie Barbara Weiss, Berlin, Luhring Augustine, New York

Interview von Gunnar Lützow

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Ein Schwerpunkt der Arbeit Ihrer Stiftung TBA 21 ist die interdisziplinäre Arbeit, wie sie beispielsweise zwischen Kunst und Musik in der Arbeit „The Murder of Crows“ von Cardiff / Miller stattfindet. Welche Bedeutung hat dieses spezielle, von Ihnen geförderte Werk für Sie? Jeder neue Schritt, den ich gemeinsam mit Janet Cardiff gehe, ist ein wichtiger Schritt und gewiss auch eine Würdigung der Arbeit der Stiftung – da alles mit ihr anfing. 1991 habe ich eine Ausstellung von ihr im P.S. 1 gesehen, vorher hatte ich weder von ihr gehört noch ihre Arbeit gesehen. Dann ging ich in diese wirklich große Ausstellung, in der ich Stunden verbrachte und die mich völlig aufsog. Eine absolut einzigartige Präsentation von Kunst – so eine Form der Übertragung hatte ich niemals zuvor erlebt. Also versuchte ich daraufhin, eine Arbeit zu erwerben. Ich versuchte alles mögliche, um etwas herauszubekommen und damals wusste ich noch nicht einmal, bei welcher Galerie sie ist. Doch es dauerte einige Jahre, bevor ich endlich eine Arbeit bekommen sollte. Die aktuelle Arbeit ist so bedeutend für mich, da es das erste Mal ist, dass wir Janet mit einer Arbeit wie dieser Klanginstallation beauftragt haben. Das hat auch damit zu tun, wie TBA 21 entstanden ist: Nachdem mich ihre Weise, mit diesem neuen Medium der Klänge, Geschichten und Erzählweisen umzugehen, dermaßen fasziniert hatte, wollte ich zuerst „The Forty Part Motet“ kaufen, was schon ausverkauft war. Dann wollte ich „Dark Pool“, eine unglaubliche Arbeit – und auch einzigar-

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tig, da es ihre erste Zusammenarbeit mit George Bures Miller war, der sich absolut weigerte, diese Arbeit zu verkaufen. Wahrscheinlich werden sie es nie verkaufen. Die dritte Arbeit von ihnen, die mir sehr gefiel, war „To Touch“ – und auch darüber gab es keine Einigung. Wie sind sie dann doch zusammengekommen? Ich fuhr schließlich nach Berlin, lud Janet zum Essen ein und fragte sie, ob ich die Arbeit kaufen könnte – doch sie wollte lieber an eine Institution verkaufen, da solche Arbeiten oft in den Lagern von Privatsammlern verschwinden und nie wieder gesehen werden. So eilte ich nach Wien zurück, um TBA 21 zu schaffen. Drei Wochen später kam ich zurück nach Berlin und sagte ihr: „Janet, ich habe eine Stiftung!“ In der Zwischenzeit hatte ich bei einem Sponsoren-Dinner in Wien, wo ich damals niemanden kannte, meine zukünftige Kuratorin kennengelernt – eine außergewöhnliche Kette von Ereignissen, die sich spontan ergeben und organisch entwickelt hat. Mit dem Ergebnis, dass wir Janet die erste Ausstellung und ein Buch über ihre Arbeit anbieten konnten. So entstand 2002 die Stiftung – und am Ende dieser langen Konversation hieß es: Vielleicht können wir „To Touch“ kaufen. Seit damals haben wir viel zusammengearbeitet: Ausstellungen gemacht, das Buch in den USA präsentiert – ein langer Prozess. Aber ich wollte immer eine Klanginstallation von Janet haben, und als vor einigen Jahren die Arbeit an „The Murder of Crows“ begann, wollten wir ein Teil dieses Prozesses sein, da es auch mehr und mehr zum Inhalt der Stiftung wurde, Künstlern bei der Umsetzung ansonsten unrealisierbarer Projekte zu helfen.


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Bitte nennen Sie uns ein Beispiel für eines dieser Projekte. Wir haben mit Matthew Ritchie einen großen, skulpturalen Pavillon entwickelt, der eher ein Anti-Pavillon ist. Gemeinsam mit Aranda/Lasch Architekten, New York, und Arup entstand dieses perfekte Amphitheater für zeitgenössische Komposition, für das wir dann auch Werke in Auftrag gegeben haben. Ein großartiges schwarzes Gebäude aus diesen auf abstrakte Weise verbundenen Tetraedern, das parallel dazu auch über eine eigene Klangarchitektur verfügt, die die von den kalifornischen Meyer Sound Laboratories entwickelte Raumklangtechnologie verwendet. Durch die Arbeit unserer verschiedenen Kuratoren wie Bryce Dessner, der in der Band „The National“ spielt, sind wir dann auch auf jemanden wie Lee Ranaldo gekommen, während wir über unseren europäischen Kurator Florian Hecker mehr auf elektronische Musik gestoßen sind. Das Ergebnis kann man sich übrigens auch auf YouTube ansehen! Dazu ist der Pavillon modular, d.h. man kan ihn ab- und wieder aufbauen, und an jedem neuen Ort können neue Klänge geschaffen werden. Derzeit arbeiten wir mit Russel Haswell an neuen Werken – und da wir pro Jahr vier oder fünf davon in Auftrag geben, werden wir am Ende auch eine ganze Reihe von Werken neuer Musik geschaffen haben. Wie intensiv erleben Sie die Arbeit mit den Künstlern? „The Murder of Crows“ ist, wie viele von Janets Arbeiten, stark autobiographisch. Ich bewundere ihre Fähigkeit, ihr Innerstes wahrzunehmen und es mit anderen so zu teilen, als wäre es ein großes Geheimnis – mit Tausenden! Ich finde viele ihrer Träume angsteinflößend und sie verbindet sie in ihrer Arbeit mit den Erfahrungen, die sie als Weltreisende macht. Ein Teil der Arbeit wurde in Nepal konzipiert, wo sie ein Baby adoptiert hat. Dort sind wir vor eineinhalb Jahren gemeinsam hingefahren, und während sie auf die Adoptionspapiere wartete, sind wir wandern gegangen und haben hoch in den Bergen ein ganz besonderes Kloster besucht – das war auch Teil des Ganzen. Als wir das Kloster verließen und einer Prozession folgten, die einen der hoch verehrten Mönche, einst Lehrer des Dalai Lama, zu seinem Hubschrauber brachte, flogen so viele Krähen über unseren Köpfen, dass es gespenstisch war. Janet rief: „Sieh nur, die Krähen!“

– es war ein absolut verzauberter Augenblick, den ich mit ihr zusammen erleben durfte. Interessant ist bei der Frage, wie sie auf diese Arbeit kam, auch Goya. Mein Vater, dessen Sammlung sich zum Großteil in Spanien befindet, war ein großer Goya-Sammler. Und natürlich Hitchcock und die Frage der Angst, von der man nie weiß, woher sie gerade kommt. Man lebt mit der Angst, versucht mit ihr klarzukommen, doch manchmal überwältigt sie einen. Man kann nicht schlafen oder träumt davon. Das trägt jeder von uns in sich und es ist extrem mutig, seine Ängste zu zeigen. Das mag ich an Janets Arbeit, man erhält den Eindruck, mehr zu erfahren, als man eigentlich erfahren sollte. Dennoch erhält man bei Janet sehr selten Einsicht in den eigentlichen Schaffensprozess – sie hält sich sehr bedeckt. Aber jeder nimmt die Arbeit anders war – als ich die Ausstellung mit einem Freund besuchte und wir uns im Auto auf dem Weg zum Flughafen darüber unterhielten, hatte er ganz andere Erinnerungen als ich. Wie hat sich Ihr persönliches Verhältnis zur Kunst entwickelt und worin besteht Ihre Rolle als Mäzenatin? Die gegenwärtige Avantgarde interessiert mich von Anfang an. Deswegen habe ich ja die Stiftung gegründet. Vorher hatte ich Malerei gesammelt, in einer Galerie in London gearbeitet, dort die erste Ausstellung von Keith Haring organisiert, auch Basquiat kannte ich gut. Doch eine Stiftung gründen, um diese Arbeiten zusammenzubringen? Mich interessiert die Arbeit mit einer Organisation, die sich um die Bewahrung zeitgenössischer Arbeiten kümmert – das ist ja ein einziger Morast aus Technologie, der auch gepflegt und restauriert werden will. Dazu Ausstellungen, Leihgaben, hin und her und so weiter. Unglaublich. Wir beschäftigen vier Mitarbeiter, die sich nur darum kümmern. Das muss man ernst nehmen, denn eigentlich gehört einem als Sammler gar nichts – schließlich ist die eigene Lebenszeit kürzer als die eines jeden Kunstwerks. Man ist eigentlich nur da, um sich um das verdammte Zeug zu kümmern. Man zahlt für das Privileg, sich die nächsten fünfzig Jahre darum kümmern zu dürfen – und dann macht es wer anders. Eine enorme Verantwortung, die um so aufregender wird, je direkter man mit den Künstlern zusammenarbeitet und sie

Reviews

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motiviert weiterzudenken. Doch genauso muss man wissen, wann man sich rauszuhalten hat. Der kreative Prozess ist unantastbar – der gehört ihnen. Wenn sich rumspricht, dass man als Stiftung da Einfluss nimmt, spricht sich das herum und keiner wird sich mehr an einen wenden. In der Produktion lernt man diesen schmalen Grat sehr genau kennen. Dennoch ist die Stiftung ein unglaublich spannender Ort, der auch meine eigene Kreativität befördert. Da meine Familie schon seit vier Generationen sammelt, interessiert mich die reine Anhäufung von Besitztümern nicht sonderlich. Wem gehört was? Das kennen wir schon, der Streit zwischen dem Museum in Madrid und den Familienmitglieder – ein Alptraum, den ich nicht reproduzieren möchte. Was sehen Sie jenseits der Gegenwart – für sich, Ihre Arbeit und die Gesellschaft? Die Zukunft gehört der Wissensproduktion. Ich habe mich immer für verschiedene Wissensbereiche und interdisziplinäre Ansätze interessiert. Da wird der Prozess der Auftragsvergabe dann kompliziert, aber auch aufregend: Matthew Ritchies „Morning Line“ beispielsweise vereint Kunst, Architektur, Wissenschaft, Theorie, Kosmologie, Musik, Performance – das alles zusammen ist fantastisch. Eine Welt für sich, die ihr eigenes Leben entwickelt. Ich mag Projekte mit offenem Ausgang. Ein Bild ist eine klare Sache. Die Farbe trocknet, fertig ist das Bild. Doch jedesmal, wenn beispielswiese eine Arbeit wie „The Murder of Crows“ installiert wird, ist sie aufgrund der neuen Räumlichkeiten anders. Das ist das faszinierende an diesen Arbeiten. Wohin gehen sie? Welche Bedeutung entwickeln bestimmte Teile? Manches bedeutet anfangs mehr und später weniger – dazu interessiert mich die Zeitbezogenheit vieler Arbeiten. So wird eine endlose Neugierde zur Grundlage meiner Arbeit und der Arbeit meiner Stiftung. Wer als Sammler nicht zugeben kann, dass er so viel Gewinn aus den Arbeiten zieht, hat wahrscheinlich einfach nur zu viel Geld und die falschen Ideen. Ich glaube zwar, dass eine ganze Menge Geld in der letzten Dekade einen positiven Einfluss auf die Kunstwelt hatte – doch das knappere Geld in der derzeitigen Situation könnte einen noch viel positiveren Effekt haben, weil man sich jetzt wieder auf die Inhalte konzentrieren muss.

Unhörbar Die unhörbaren Töne von Braun & Braun

Stimmbilder Voiceprints von Trevor Wishart

Was an der Kunst ist eigentlich Kunst? Kosmas von Wolfgang Müller

Ernst Scheibenweg ist von der Behörde zur Auflösung überflüssiger wissenschaftlicher Einrichtungen damit beauftragt, das „Institut für Unhörbare Töne“ zu prüfen. Diese Töne nimmt man nur mit dem Fühlohr wahr. Und das will geschult werden. Die Apparate zur Sensibilisierung werden zur Falle für die Behörde. Scheibenweg ist der Erste einer Reihe von „Destruktern“, die während der Prüfung plötzlich kündigen und ihr Leben weiterhin am Institut verbringen, einer plötzlich keimenden Einsicht folgend. Ein immer größeres Aufgebot der Behörde soll dem Institut beikommen, mit immer geschickteren Mitteln. Auf der einen Seite stehen die, die der Pflichterfüllung ergeben sind, auf der anderen die, die der menschlichen Sensibilität verpflichtet sind. Dem technischen Fortschritt zum Wohle des Menschen steht die rückschrittliche Struktur der Verwaltung gegenüber. Nicht umsonst wurden die Bücher des DDR-Schriftsteller-Paares Braun & Braun verboten. Was in der Literatur „das Nichtgesagte, das Ausgesparte, das zwischen den Zeilen Sichtbare“ ist, ist in der Musik das Unhörbare. Im digitalen Zeitalter nun werden unhörbare Töne mit psychoakustischen Verfahren eliminiert. Der Roman ist daher nicht allein Utopie, die die DDR zwischen den Zeilen beschreibt. Er beschreibt das menschliche Empfindungsvermögen. Die Zeile zwischen den Zwischenzeilen besagt, dass eine Sensibilisierung an sich nottut – und wie sie über Wahrnehmung, Töne und Musik erfolgt. Leider kaum mehr wahrgenommen.

Der britische Klangkünstler Trevor Wishart experimentiert hauptsächlich mit menschlichen Stimmen, aber auch mit Tierlauten, natürlichen und künstlich erzeugten Tönen. In den 80ern arbeitete er analog, schnitt, überblendete, wie auf „Red Bird”. So brillant, dass akustisch kaum ein Unterschied besteht zu seinen späteren Computerverfremdungen, wie auf Voiceprints. Hier zeigt er fünf Arbeiten. Die erste, „Two Women“, basiert auf den Stimmen von Thatcher und Lady Di, „American Triptych“ auf denen von Luther King, Neil Armstrong und Elvis. Wishart extrahiert hier mit Echoeffekten und elektronischer Verzerrung das Wesenhafte aus den Stimmen, ihre positiven oder negativen Bedeutungen für Gesellschaft und Kultur: Ikonen werden Collagen ihrer selbst. Im Persönlichen bleibt „Anna’s Magic Garden“ mit der Stimme seiner Tochter, was kindliches Drängen wie auch Spielerisches herausarbeitet. Bei „Blue Tulips“ erzählt eine 70-Jährige von einem wiederkehrenden Traum mit blauen Tulpen, die sie stören. Satz- und Wortsegmente werden verkürzt, gedehnt und rhythmisiert, wieder neu modelliert: Ein Traumbild entsteht. Bei „Tongues of Fire“ist Wisharts eigene Stimme der Ausgang zu einer 25-minütigen Klangerzählung. Betritt man Trevor Wisharts Klangbilder, so wähnt man sich auf einer phantastischen Wanderung, bei der Natur und Kultur, Imaginäres, Bekanntes und Fremdes miteinander verwoben sind. Das Spiel mit der Wahrnehmung ist vereinnahmend, wird magisch und verführend. Die Töne sind ebenso flüchtig wie sie im Gedächtnis haften bleiben.

Gleich vorneweg: Hinten im Buch befinden sich Zeichnungen von Max Müller. Die waren ausgestellt und sind ausverkauft. Größtenteils. Echte Käufer. Der Käufer von Damien Hirsts Hai in Kosmas ist nicht echt: Aloysius Tong hat zu viel Geld und noch mehr Langeweile. Sein Psycho-Coach rät ihm zum Kunstkauf, so gerät er bald an den Hai. Als der ihm in der nahen Zukunft im Büro wegfault, ist er entsetzt, kann sich jedoch nicht von ihm lösen. Die Chance, ihn zu verkaufen, ist mittlerweile gering, Hirst ist nicht mehr gefragt. Noch ein paar hundert Jahre später ist alles Archäologie und rätselhaft. Wie Hirst auf den Hai kam, die Darstellung Charles Saatchis und Gunther von Hagens, ist auch nicht so ganz wirklichkeitsgetreu. Aber manchmal doch. So ist das ganze Buch. Wenn man so will: So ist die ganze Kunst. Manches ist echt, manches nicht. Aber immer kostet es etwas. Ziemlich viel sogar. Das kann man sich gar nicht leisten. Wolfgang Müller hat einen satirischen Roman geschrieben. Er beschreibt Manipulationen und Absprachen in der Kunstszene. Ironisch. Das wächst sich aus und wird bald zynisch. Man kommt an eine Grenze, fragt sich, was er überhaupt gut findet. Doch er zeichnet lediglich den Griff des Kapitalismus in die Kunst nach. Nach eigener Auskunft findet Müller sehr vieles sehr gut. Als sich Tong am Ende nicht mehr an den Namen Damien erinnert, nennt er ihn kurzerhand „Kosmas“. Das scheint nicht allein Ironie zu sein. Der Roman ist benannt nach Cosmas. Dieser brach mit seinem Bruder Damian (beides Heilige) wegen einer materiellen Verfehlung.

Johann Braun, Günter Braun „Die unhörbaren Töne“ Suhrkamp – Frankfurt am Main, 1984 131 Seiten – Über Antiquariate oder Internet

Trevor Wishart „Voiceprints“ EMF – Electronic Music Foundation Ltd. USA, 2000 16,- Euro

Wolfgang Müller „Kosmas“ Verbrecher Verlag, Berlin, 2011 192 Seiten 21,- Euro


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English Appendix

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It’s a Character’s World Zwischen Spielzeug, Mode und Skulptur ist ein hybrides Genre gewachsen

von Sabine Weier, Bremen „Characters“ aus dem Grafikdesign, japanischen Animes und Comics erobern Galerien und Laufstege. Sie sind von Hand gezeichnet oder digital gestaltet und haben in den vergangenen Jahren fernab von Race, Class, Gender und ästhetischen Konventionen eine neue Figürlichkeit geformt. Die kuriosen Gestalten inspirieren Designer wie Rai Kawakubo und Issey Miyake, die schon vor über 20 Jahren konträr zu den von der Fashion-Industrie diktierten Idealen außergewöhnliche Mode schufen. Der Import aus der Illustrationsszene ist äußerst fruchtbar. „Not a Toy – Fashioning Radical Characters“ zeigt avantgardistische Körperhüllen, die sich am visuellen Vokabular der „Characters“ bedienen und den menschlichen Körper zur Projektionsfläche eines verspielten Designkosmos machen, der die Fantasie beflügelt und Befreiung propagiert. Die im Berliner Pictoplasma-Verlag

erschienene Publikation präsentiert neben aktuellen Kreationen der japanischen Pioniere exzentrische Stücke von Talenten der internationalen Fashion-Avantgarde, etwa von Maison Martin Margiela oder Hussein Chalayan, und stellt Arbeiten junger Künstler vor, die noch zu entdecken sind – zum Beispiel die amorphen knallgelben Ballon-Skulpturen von Hans Hemmert, in denen Menschen stecken, damit herumspringen oder Vespa fahren, oder die aus Leder, Socken, Muscheln, Schnürsenkeln und anderen Materialien gefertigten, skurrilen Masken von Shin Murayama. Das Ergebnis ist eine fabelhafte Freak-Show und die erste Dokumentation eines neuen Genres zwischen Spielzeug, Mode und Skulptur. Hrsg.: Vassilis Zidianakis „Not a Toy – Fashioning Radical Characters“ Pictoplasma Publishing, Berlin, 2011 352 Seiten, 49,50 Euro Cover: Pyuupiru, Mercury/Planetaria, 2001, Foto: Masayuki Yoshinaga

ARROGANT BASTARD

by Adrian Stanley Thomas, New York City THE HOODIE AND THE LYRICAL INTERVENTION ON A PAINTED CANVAS Over the past weeks, the world has watched in dismay as London grappled with civil unrest in the form of looting, mayhem and violence. I had to keep reminding myself that I was looking at video of destruction in the same circumference as my beloved royal family. Did you know that Charles has an organic farm? Since I know everything about most things that are important to people who do important things, the latest insanity outbreak calls for my expert observations; wouldn’t you agree? Shall I tell you the cause of these callous and reprehensible acts of violence? Well, I have looked at all the footage, listened to countless hours of interviews

and come up with a plausible explanation. After careful analysis of cultural differences and social assimilation quirks and all the rest, I have concluded this; those kids are crazy! As one who holds a special appreciation for the home of the Queen, parliament, the wonderful records I’ve bought in Piccadilly Square, I must speak out in favor of those who have a voice, as well as, summer homes, and investment portfolios. The latest events are diabolical in the name of everything that is diabolical! I have been too lenient with my critiques. These misfits have gotten off easy in my verbal tirades. Do not fear my friends, this London episode has given vigor to the microphone. But how do I display my anger? What venue do I use to relay the message that I will not stand for such destruction? I am glad you have asked. The only way for me to retaliate against these folks is with creativity to the 11th degree.

I believe it to be my responsibility to bring these developments to your attention, to be that vector that some of you don’t even know that you need. Let’s just say that I have anointed myself as the sheriff on duty to highlight the scorpions of mischief, but to also be a cavernous lexicon, located not in the abyss of desperate malfeasance, but instead the logical voice where you, (as my disciples), come to sip from the trough of a kinetic nucleus. This nucleus harbors sensitivity, understanding, and a newly built penitentiary for idiots. The activities in London are a prime example of a society becoming distracted by the abstract nuances of graffiti and music. It’s entertainment I’m telling you! As a result, we have just witnessed a regurgitation of our Tasmanian humanity with those on the outside yet again trying to place the miscreants into a capsule of shame without connecting the DNA sequence

that links all of us who are residents in the zoo. Since I and no one else have recognized the culprit in all this craziness, the up coming Berlin Music Week and the ABC Art festival will be my opportunity to shake up the fall season. My art show will encompass a spectacular canvas lacquered with a gold hoodie with marvelous etchings. The hoodie will have an alarm on it. I don’t trust any of you. There will be liner notes on sheepskin below the canvas with cute references to the history of sneakers and headphones. And for the music, there will be a rap (now that rap is mainstream) comprised of investment bankers, hotel maids, and soccer players. My response to the malicious acts of our fellow humans will have a transformative affect at both festivals. A call for civil protest, celebration, and wonder focused on my artistic integrity. For those of you who don’t know what all of this is, it’s called “Avant-Garde”.


Ausgabe N°17 • September / Oktober 2011 • Jahrgang 2 • trafficnewstogo.de

Dear Cindy Sherman by Dahlia Schweitzer, Los Angeles German version on page 25 In the fall of 1997, I wrote to Cindy Sherman. I didn’t know her, of course. She is, after all, one of the greatest living photographers. But I wrote to her, anyway, since I didn’t know what to do with my life, and I figured I might as well ask the person most relevant to my career what I should do next. “Dear Ms. Sherman, Tell me what to do with my life,” I wrote. Not quite as precociously, but that was the sentiment. She wrote back. We exchanged several letters in which she advised me what to do and told me about Office Killer. Office Killer was her movie, her only movie – a black comedy about bodies, death, technology, and communication. A slice of life about America in the late 1990s, it offers a biting commentary on changes wrought on our society as a result of AIDS, computers, and modern life. Despite its sensational imagery and humor, the movie failed. It was briefly shown in theaters, before being banished to the memories of only the most devout Sherman fans. Why? Why would the only movie of such a significant artist be ignored? And why would critics not seize this movie as yet another opportunity to grapple with interpreting Sherman’s endlessly enigmatic photographs? Part of the problem is that the movie doesn’t fit neatly in a box. It’s not really a horror film, despite all the dead bodies. It’s not obviously funny. The relationships between the women (all the main characters are female) more closely echo a Joan Crawford-led women’s picture from an earlier era, where the films, from The Women (1939) to Mildred Pierce (1945) and Whatever Happened to Baby Jane (1962), explore the complicated interpersonal dynamics between women and their struggles for men, power, and independence, the roles of the men often an afterthought in the narrative. The intensity of some of the scenes in Office Killer, the relationship between Dorine, the protagonist, and her mother, support the film’s placement in the category of melodrama, whereas the lighting in many of the scenes is reminiscent of film noir, and the high strung absurdity is comedic. The killings and decay are horrific. It’s as if Sherman took all the cinematic elements that inspired her photographs and rolled them into one film. The use of a predominantly female cast, with tensions built on typical female-to-female conflict – notions of female aggression, competition, role-play, beauty –are amped up to nightmarish levels. This film is far from a typical horror vehicle, and not only because the killer is a woman. What’s relevant is not that the bodies accumulate, but what Dorine does to the bodies after they’re dead – and the very fact that she doesn’t see the bodies as dead. When Dorine’s job as copyeditor for Constant Consumer magazine is turned into an at-home position during a downsizing, she doesn't know how to cope. After an accidental electrocution does away with the office sleaze, Dorine realizes she can just move the office home with her. The bodies begin to pile up as, one by one, she picks off her former colleagues, intentionally targeting those who, for whatever reason, have offended her. Sherman soon reveals to us, via flashback, that Dorine’s father also died by her hand following his own inappropriate behavior. Don’t think that these bodies are brought up and merely dumped! The camp horror comes in as Dorine tends to them, taping over the gaping holes and decomposition, spraying glass cleaner as a general disinfectant, neatly arranging the bodies so they can all watch television together. Only when her work is done, when the appropriate victims have met their fate, does Dorine drive off into the sunset, ready to find other work, and other friends, in a new city.

Never has it been more clear that Sherman’s women are characters of curious strength and aggression, both in Office Killer and in her photographs. This is not a world in which men have the upper hand. Even Sherman's fashion series photographs are aggressive, her women’s refusal to mimic conventions of femininity and expected glamour a sign of latent aggression bordering on hostility. These are women who don’t give a fuck, and they don’t give a fuck in couture. They’re not going to play by your rules, they’re not going to toe the line, and they’ve got no interest in being touched. Despite the minx appeal of some of Sherman’s images, there is not one coquettish, come-hither glance. Their femininity is grimly hostile. Yet, despite the additional perspective to be gained by inserting Office Killer into this dialogue, it’s not mentioned. There is a universal silence on the topic. It’s as if the discourse on Sherman was established with her Untitled Film Stills, and all we have done since then is expand on the same ideas, seeing Sherman’s characters as passive victims of media and the male gaze. When it’s inconvenient, which it often is, Office Killer is simply excised from her body of work. When I wrote to Sherman, asking her to tell me what to do with my life, I was actually asking for her to tell me what to do with my body, what to do with the physical limbs and parts that compose the me I want to become and was struggling to understand. Sherman’s photographs are an encyclopedia of body language, but the language is not based on realism. Her photographs are never snapshots. They are always performed and elaborately arranged. Each gesture, each object, is loaded with meaning. She makes you question stereotype and learned behavior through her compositions and subjects, through the diorama-like environments she creates for each scenario. She exposes the ruptures under the surface by taking everyday life and shifting it off kilter, and this is explicitly clear in Office Killer. Her film, and her photographs, work for the attention they bring to that which does not fit, to the exact point of the tear, and to the isolation inherent to that moment. Sherman is subverting what it means to be a woman in the contemporary world, defying definition, pulling at the tension between the artificial and the real, the performative and the self. Her work isn’t simply about stereotypes, but about aesthetic explorations of image, women, genre, bodies, and space, about complicating the code with which we live our lives. And if it takes a viewing of Office Killer to make this clear, then treat yourself. It’s a delightful sacrifice to make in order to gain a deeper appreciation of this legendary artist. Maybe after that, you can write Sherman a letter, too. I just can’t promise she will answer.

Blake Boyd by Prof. Ginette Bone, New Orleans German version on page 27 Blake Boyd is a conceptual artist who works in various mediums including paintings in clay, gold leaf, blood (his own), wine (Chateauneuf-du-Pape), sculpture, instant photography (photo booth and Polaroid), video and site-specific installation. Collectively all of the mediums are components of the two, twentytwo part, love themed Operas that Boyd has been developing for over twenty years. He is also working on a collection of Chamber Music, smaller shows whose themes complement and support the Operas. Boyd was born in Slidell, Louisiana, a small town in the bayous across the lake from New Orleans. He grew up with popular music on the radio driving into the city where he was

surrounded by the music of New Orleans. Warhol Factory member Billy Name deepened Boyd’s love of Classical music and introduced Boyd to opera, seeing his first performance, Madame Butterfly, at The Royal Opera House, Covent Garden, London. The music of Beethoven and The Beatles finds its way into the art and influences each of the installments. The Opera titles “Fidelio” and “Romantika” acknowledge Beethoven and Goethe, the fathers of the ‘Romantic Era’, breaking free from traditional Classical structure with their works. Beethoven’s one and only opera is ‘Fidelio’. Boyd’s titles for individual works pay homage to Beatles albums and lyrics for example “Something”, “Here Comes the Sun”, “The Long and Winding Road” Titles also acknowledge other pop artists “The End”, “Hard Luck Woman” and “Destroyer” The direct reference to Disney pervading the artist’s imagery is reverence to the domestic icons of Boyd’s youth, his family members worked at Disney World, which opened in 1971 on Boyd’s first birthday. Boyd reinterprets the imagery through different media working with a medium dominant during the Renaissance, bole and water gilding, elevating pop similes to venerated iconography, a comment on contemporary cultural values. Boyd’s mentors in photography are Billy Name and Andres Serrano. Combining the candid shots of Name with the studio portraiture of Serrano, Boyd’s current photography projects are thematic documentary collections of portraits of contemporary personalities. Musicians feature strongly in the post Katrina Louisiana series, ‘Louisiana Cereal.’, including Dr. John, Allen Toussaint and Irma Thomas. Other collections include Doug Yule from the Velvet Underground and Moby. Billy Name was Warhol’s Factory photographer and produced cover artwork for the Velvet Underground. Serrano images are the cover art for Metallica’s albums ‘Load’ and ‘Reload’. Boyd has just completed the cover artwork for the latest release from New Orleans heavy metal band Supagroup. He depicts the band’s founding members in a parody of the artwork for the movie, ‘Heavy Metal’, soundtrack. Boyd’s art exhibitions are conceived as multimedia installations. For example, the last act of the “Romantika” opera, Boyd’s three gallery installation “A New Hope”, brings together the characters from Snow White, Alice in Wonderland and rock’n roll icons “KISS”. Here Peter Criss is reinterpreted as “Prince Charming” in an oversize portrait in clay, he also appears as John the Baptist in a large Renaissance composition including Darth Vader, Alice and Snow White, “Destroyer”. This gallery also recreates the ‘Mike Douglas’ stage set (where Gene Simmons appeared 1974) with the KISS drum kit and flashing light sculpture. A monitor to the side of the stage plays a continuous loop video of the artist, dressed as Peter Criss, playing the drums to a Kiss soundtrack. The second gallery is lined with clay tablets stained with the artist’s blood spelling out the lyrics from eight of KISS’ numbers and framed in bronze, decorated with casts of contemporary icons. The blood makes reference to the poets of the nineteenth century who wrote love letters in their own blood. The clay tablets recall ancient scriptures carved in stone. Here Boyd is looking at the role of pop culture in contemporary society. This procession concludes in the third gallery with a large cibachrome photograph referring to the age-old substance use associated with musicians. Beethoven indulged in snuff and drug abuse has been the inspiration and demise of many rock and roll stars. An eighteenth century snuffbox and silver salt spoon sit on a marble slab where ‘Snow White’ is delicately spelled out alongside two lines of cocaine. This piece is titled “Great Expectations - Sweet Pain.” In this still life Boyd captures the timeless, tenuous, thread that has both fuelled and destroyed creativity in the Arts.

English Appendix

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