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Ausgabe N°30 • April / Mai 2013 • Jahrgang 5 • trafficnewstogo.de
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S. 6 Zeitgeschehen
Liv Tyler und Wim Wenders
Despotie des Glaubens
drehen Eis am Stiel und wir waren dabei. Warum das doch Kunst ist, und weshalb wir keine Angst vor dem Shitstorm haben müssen, erklärt uns bestens gelaunt: Sabine Weier
wenn der Opportunismus der Konservativen versagt S. 8 Feuilleton
Medizin DCDC2 ist nicht
der Bruder von R2D2, und Legastheniker sind nicht doof, sondern eher schlau. Unsere Kolumnistin Dr. Inge SchwengerHolst erklärt warum
Catherine Deneuve
Die Schöne des Tages in einem ungewöhnlich offenen Gespräch mit dem Filmkritiker Marc Hairapetian bei Mondschein
Wege zur
zeitgenössischen Kunst Wir folgen einem Kind.
S. 25 Kultur
Ende April beginnt das World Voices Festival in New York, ausgerichtet vom Autorenverband PEN. Festival Direktor
Unsere Londoner Autorin Kiki King führt uns. Geholfen haben ihre Erinnerungen mit ihrer Tochter in der Tate Modern und der Hayward Gallery
Jakab Orsos
sagt im Gespräch mit Sabine Weier, warum Literatur die demokratischste aller Künste ist
S. 9 Das Wetter
Tokyo, Wellington, Istanbul, New York – düster bis beständig. Raphaela Lucsok reist mit uns durch den urbanen Klimawandel
S. 26-27 Literatur
Rezensionen
Die Lieblinge der Juroren, die Neuerscheinungen dieses Frühjahrs.Interviews: Sabine Weier spricht mit
S. 10 Sport
Erst die Keule, dann die Zivisation: Wir verneigen uns vor dem
Hans Beltin über Gesichter. Alexander Nitzberg
Ringen -
und nehmen Abschied. Leider! Wissenswertes über unsere Evolution von David Pfeifer
erzählt Ralph Diesel warum er uns Lesern mehr zutraut als den Kritikern
S. 11 & 22 Kunst
Philomene Magers, Christoph Tannert, Alicia Kwade, Uta Grosenick führen uns duch das
S. 28-29 Mode
As Time Goes By
Gallery Weekend Berlin
Digitale Kunstmagazinmacherin Eva Kaczor hat sie für uns befragt S. 13-20 8-Page Editorial
Gallery Weekend Berlin Über über der aufregendste Rundgang des Jahres!
50 Galerien 60 Schauen
PRESS!
S. 23-24 Kultur
Thorsten Denkler über die
S. 12 & 21 Kunst
FREE
NEWS TO–GO
TRAFFIC n
– DIE JAGD – Ein kunstvolles Dossier über das mörderische Ereignis von Boston und viele offene Fragen von Uta Schwarz (Text) und Andreas Töpfer (Illustration)
20, 40, 60, 80 Jahre! Vier Marken, vier Stile, vier Geburtstage zusammengestellt und geschrieben von unserer Autorin und Stylistin Elçin Aiser S. 30 English Appendix
Arrogant Bastard by Adrian Stanley Thomas Eye Witness by Kiki King
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Contributors
Ausgabe N°30 • April / Mai 2013 • Jahrgang 5 • trafficnewstogo.de
© Daniella Midenge
Contributors
Eva Kaczor
Sabine Weier
Andreas Töpfer
Eva Kaczor hat ARTberlin.de ins Leben gerufen, um die oft verborgene Tür zur geheimnisvollen „Kunstszene“ ein Stück weit zu öffnen. Ihr Fokus ist immer die Persönlichkeit hinter der Kunst. Erklärtes Ziel ist es, ihren Gesprächspartner mit mindestens einer überraschenden Selbsterkenntnis zu verlassen. ARTberlin.de macht sie aus Liebe zur Kunstmetropole Berlin, Psychologie hat sie aus Neugier studiert und ihre Brötchen verdient sie als digitale Markenstrategin, die Marken mit Kunst und dem Netz verbindet.
Sabine Weier widmet sich als freie Autorin dem urbanen Kosmos und seinen Auswüchsen in den Bereichen Mode, Design, zeitgenössische Kunst und ihrem Spezialgebiet Film. Den Mythen dahinter geht sie für so unterschiedliche Magazine wie dienacht, Traffic News To-Go, Zeit Online oder dem SchirnMag auf den Grund. Wenn sie nicht darüber schreibt, macht sie selbst Design: Ihre Collage für ein Charity-Shirt des Eco Fashion Labels „Milde“ wurde dieses Jahr bei Create Berlin ausgestellt.
Andreas Töpfer lebt und arbeitet als Zeichner und Designer in Berlin. Er gestaltet die Bücher des von ihm mitgegründeten Verlags kookbooks und ist Hausillustrator und visueller Essayist des norwegischen Magazins Vagant. Er arbeitet u. a. für Verlage, Theater und wissenschaftliche Institutionen. Seine Arbeiten wurden mehrfach, u. a. mit dem deutschen Fotobuchpreis, ausgezeichnet. Zur Zeit zeigt die Galerie oqbo Berlin seine Zeichnungen.
TRAFFIC NEWS TO-GO “Constituting a new read” Inhalt/content
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Neu: NOMOS Ahoi! Souverän bei jedem Abenteuer, blendend in Form. Exquisite Manufakturarbeit in einem Gehäuse, das alles mitmacht, wasserdicht bis 200 Meter: Ahoi heißt die neue Uhr von NOMOS Glashütte, die das scheinbar Unvereinbare kombiniert. Rechtzeitig zum Sommer im Handel – jetzt vorzubestellen. www.nomos-store.com Weitere Informationen über NOMOS, Glashütte, über gute Uhren und unsere Fachhandelspartner finden Sie unter www.nomos-glashuette.com.
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Zeitgeschehen
Ausgabe N°30 • April / Mai 2013 • Jahrgang 5 • trafficnewstogo.de
Frankreich hat die Homo-Ehe nun endgültig beschlossen. Für die CDU und CSU ist die Gleichstellung keine beliebige Sachfrage. Es geht um fundamentale christliche Glaubenswerte. Dabei hat der Union ihr Opportunismus immer besser getan.
Despotie des Glaubens von Thorsten Denkler Bisher war ja auf die Union immer irgendwie Verlass. Trotz ihrer augenfälligen Trägheit. Ging es darum, gesellschaftliche Veränderungen nachzuvollziehen und sie in Politik umzumünzen, dann hat sie es irgendwann auch getan. Wenn auch lieber spät als früh. Die Umweltpolitik etwa. Die Grünen sind 1983, also vor ziemlich genau 30 Jahren, erstmals in den Bundestag eingezogen. Mit Strickpullis, Rauschebärten und Sonnenblumen auf dem Pult. Sie haben die Verantwortung gegenüber den natürlichen Ressourcen auf die politische Tagesordnung gesetzt. Helmut Kohl hat die Grünen immer bis auf das Messer bekämpft. Aber er hat erkannt, dass es Schnittmengen gibt zwischen dem christlichen Wort von der Bewahrung der Schöpfung und der grünen Nachhaltigkeit. Drei Jahre nach dem Einzug der Grünen in den Bundestag und fünf Wochen nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl gründete er das Bundesumweltministerium. Kanzlerin Angela Merkel hat es ähnlich gemacht. Kaum explodierten in Fukushima die Reaktoren, hat sie die Energiewende verkündet. Aus der Atompartei CDU hat sie über Nacht die Anti-Atom-Partei CDU gemacht. Die CDU
und CSU haben auch alle gültigen Mindestlöhne eingeführt in Deutschland – die ersten noch unter Kohl. Sie haben die Wehrpflicht quasi abgeschafft. Sie haben das Elterngeld eingeführt, was SPD und Grünen nicht gelungen ist. Es war der Opportunismus auf den in CDU und CSU immer Verlass war. Wichtiger als jede Ideologie war immer die Frage, ob die nächsten Wahlen mit der bestehenden Haltung noch zu gewinnen sind. Sie vergrätzt sogar ihre Stammwähler, wenn es darauf ankommt. Und steht heute mit gut 40 Prozent in den Umfragen als stärkste politische Kraft da. Sie hat sich sogar mit den eingetragenen Lebenspartnerschaften arrangiert. Bis auf einige wenige Verblendete würde heute niemand mehr in der CDU auf die Idee kommen, homosexuellen Paaren dieses Recht abspenstig zu machen. Die „Lesben und Schwulen in der Union“ (LSU), vor wenigen Jahren noch auf Parteitagen der CDU mit ihrem Infostand eher in der Nähe der Toiletten zu finden, präsentieren sich heute mitten im Geschehen. Und doch schafft es die Union nicht aus eigener Kraft die völlige Gleichstellung der HomoEhe mit der Hetero-Ehe zu vollziehen. Lieber legt sie sich mit dem Bundesverfassungsgericht an. „Wer schützt eigentlich die Verfassung vor den Verfassungsrichtern“, fragte Erika Stein-
bach. Und Norbert Geis von der CSU warf den Karlsruher Richtern vor, die würden mit ihren Urteilen die Verfassung ändern. Derartige Beschimpfungen gehörten bisher ausdrücklich nicht zu den bürgerlichen Tugenden, zu denen sich CDU und CSU ansonsten gerne bekennen. Die Gleichstellung der Homo-Ehe bringt die CDU offenbar an den Rand ihrer Opportunismusfähigkeit. In der Familienpolitik, der Energie-, der Umwelt- und der Verteidigungspolitik, überall konnte sie einst eiserne Grundsätze über Bord werfen. Und es hat ihr im Bund nicht mal geschadet. Jetzt aber ist der Kernbereich der Christdemokratie betroffen. Hier geht es nicht um die Sache, also ob Kinder in Homo-Ehen genauso glücklich und umsorgt aufwachsen können wie in Hetero-Ehen. Die Frage lässt sich mit einem klaren „ Ja“ leicht beantworten. Hier geht es um Glaubensfragen. Erkennbar wird das an der unbeholfenen Argumentation der Ehe-Verteidiger in der CDU. Katherina Reiche etwa treibt die Sorge um, es gehe um den Fortbestand der Gesellschaft, wenn Homo-Paare die gleichen Rechte haben können. Als wenn die Existenz zweier rechtlich gleichgestellter, schwuler Ehepartner auch nur im Ansatz verhindern könnte, dass die Hetero-Nachbarn Kinder bekommen. Absurd.
Die CDU hat sich immer als mehr verstanden als nur eine Partei, die Interessen bündelt und politisch vertritt. Sie war und ist auch Glaubensgemeinschaft, fest verwurzelt im katholisch/christlichen Milieu. Eine CDU, die widerstandslos das Adoptionsrecht vollständig für schwule Ehepaare öffnet, wäre wie eine katholische Kirche, die plötzlich die jungfräuliche Geburt Jesu Christi verneint und zugleich das Zöllibat abschafft. Undenkbar. Glaube aber, und das verkennen viele Parteigänger der CDU, ist ein schlechter Ratgeber, wenn es darum geht, den Interessenausgleich einer Gesellschaft zu organisieren. Glaube kann Politik unmöglich machen. Wo der Glaube regiert, ist die Despotie nicht weit. Das Bundesverfassungsgericht wird die Union wohl weiter vor sich her treiben, wird Urteil um Urteil zur Gleichstellung ergehen lassen, die die Union, solange sie regiert, in Gesetze gießen muss. Sie wird daran leiden. Ob sie daran zerbrechen wird, hängt davon ab, ob sie ihren Glauben Glauben sein lässt und zu ihrem gesunden Opportunismus zurückfindet.
zeitgeschehen@trafficnewstogo.de
STOCKHOLM (SCHWEDEN), 2009
DIE BEGLEITERIN Als ich nach einem Geschäftsessen in Stockholm in mein Hotel zurückkehrte, war Mitternacht vorbei, die Tür abgeschlossen – und der Schlüssel oben im Zimmer. Es war gegen null Grad, eine strenge Brise wehte. Trotz Wind und Wetter war mir wohl in meiner zweiten Haut – einer „Explorer“-Jacke von Victorinox. Sie weckte meine Lust, die Stadt zu entdecken. Ich marschierte durch das nächtliche Stockholm, genoss es, in der Ewigkeit der Nacht alle Zeit der Welt zu haben – und mir war angenehm warm dabei. Als der Tag anbrach, trat ich in ein kleines Café. Zufrieden hängte ich meine „Explorer“-Jacke über die Stuhllehne: Der Tag durfte kommen. Stefan Hartmann, November 2009 Victorinox-Produkte begleiten Sie – ein Leben lang. Was auch immer Sie damit erleben: Erzählen Sie es uns auf victorinox.com
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Feuilleton
von Dr. Inge Schwenger-Holst, Medizinerin, Unternehmerin und Vorsitzende des Vereins call a doc.
Das gesprochene Wort gilt …vor allem dann, wenn es beim schriftlichen schwächelt, wenn das rechte Schreiben schwer fällt oder vollständig der Kontrolle entgleist. Wie viele Kinder mit der Lese- und Rechtschreibschwäche Legasthenie geschlagen sind, ist nicht wirklich klar: Die Statistiken schwanken zwischen 2% und 10%. Immer noch ist die Ursache unklar, im Zuge des biogenetischen Hypes hat man sich u.a. auf das seit 2006 identifizierte Gen DCDC2 auf Chromosom 6 als einen wesentlichen Übeltäter geeinigt. Legt man den Legastheniker in die Magnetresonanzröhre, so sind unter Umständen nicht normale Aktivierungsmuster der Großhirnrinde auszumachen. Das Hinterhältige an der Störung ist, dass sie sich an keinerlei Regeln hält. Worte werden immer anders falsch geschrieben oder verdreht gelesen, Buchstaben ungewöhnlichen Lauten zugeordnet. Das Chaos im Kopf ist mit dem Intelligenzquotienten nicht korreliert, vielmehr wird Legasthenie gerade dann diagnostiziert, wenn die offensichtliche Schreib- und Leseschwäche mit einem eher überdurchschnittlichen IQ verbunden ist. Unabhängig aber von dem, was die Experten schlussendlich diagnostizieren: Die wesentlichen Weichen für die spätere Karriere als Schriftsteller werden vor und während der ersten zwei Schuljahre gestellt. Danach ist der Zug im Wesentlichen abgefahren. Sinnvolle Hilfen gibt es hier genauso viele wie umstrittene Praktiken. Sicher ist, dass ein möglichst stressfreier Umgang mit Schule und ihren Anforderungen, die Einschränkung des Fernsehers als Kleinkinderparkplatz und die kritische Prüfung mit Garantien verknüpfter Wundertherapien helfen, den richtigen Weg zu finden. Und natürlich gibt es Legastheniker-Karrieren: Jamie Oliver in der Küche und Albert Einstein mit E = mc2 haben ohne viele geschriebene Worte ihren Olymp gefunden. Für die, die jenseits dieser 2000 Zeichen Rat brauchen, stehen das Legasthenie-Zentrum Berlin — www.legasthenie-zentrum-berlin.de — und die Ärzte von calladoc zur Verfügung.
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In Ihren Augen Warum Kinder auf ihre Bücher aufpassen oder wir unseren Intellekt nicht brauchen Interview von Kiki King, London Übersetzung aus dem Englischen von Lilian-Astrid Geese (S.30) Es war für mich eine Frage des Stolzes und ein Aspekt meiner Jugendlichkeit, den ich betonen wollte: Zeitgenössische Kunst war nicht meins. Da wo Kunst schocken und Ehrfurcht gebietend sein sollte, blieb ich entschlossen unerschrocken und ehrfurchtslos. Nicht, dass ich mich ihr nicht genug ausgesetzt hätte: Als Nachwuchskolumnistin mehrerer führenden Tageszeitungen in London wurde ich zu jeder Vernissage eingeladen. Es waren die frühen 2000er Jahre, und die Londoner Kunstszene boomte. Ich reiste ins tiefste Hackney, um in Gemeinschaftsateliers warmen Wodka aus Plastikbechern zu schlürfen, genoss wesentlich besseren Champagner in den ersten Halycon-Tagen des White Cube in Hoxton, verplemperte so manchen Abend rauchend vor der Saatchi Gallery, als diese noch in St John’s Wood residierte, und auch später an der South Bank. Ich besuchte die Pressenächte des Turner Prize und vertrieb mir die Zeit mit noch mehr kostenlosem Alkohol, nachdem ich meinen Blick auffällig genug in Richtung der ausgestellten Arbeiten hatte schweifen lassen. „Leute, sie unterrichten PR an der Goldsmith!“, tönte ich, und wedelte mit meiner Zigarette jedem vor der Nase herum, der mir erzählen wollte, dass vergammeltes Obst, schmutzige Betten und wild gestapelte Würfel eine Bedeutung hätten. Ich erkannte darin keinen Sinn, und nichts konnte einen Tag toppen, den ich vor Guernica verbrachte, vor RothkoRot schwelgte oder mich der eleganten Schönheit eines guten altmodischen Millais hingab. Eine Ausnahme war der Turner-Prize-Gewinner und töpfernde Transvestit Grayson Perry. Irgendwie schien er mir in seinem opulent aufgetragenen Makeup, seiner mädchenhaft-fließenden Satin-Partyrobe und den
Blümchensocken der einzig echte Mensch im Raum zu sein. Er kreierte tatsächliche Dinge, die man anfassen und festhalten konnte, und die wirklich schön waren. Irgendwann fand seine Frau, dass sie mich mochte, und wir gingen gemeinsam etwas trinken. Ich gebe zu, dass ich mir an jenem Abend meine übliche gelangweilte Skepsis angesichts der modernen Londoner Kunstszene verkniff. Zehn Jahre später sehe ich die Dinge anders. Ein Kind hat mich radikalisiert. Wie alle korrekten Eltern heutiger Zeit gehe ich mit meinen Kindern in Museen und Galerien. Ich habe das Glück, in einer der großartigsten Städte der Welt zu leben, wo der der Eintritt in Museen frei ist und es faszinierende Kunst gibt. Wie alle Eltern weiß ich aber auch, dass in den Augen eines Kindes ein Impressionist nicht mit einer schrägen Installation mithalten kann. Mir öffnete die Damien Hirst Retrospektive der Tate Modern 2012 die Augen. Während sich die Erwachsenen bemühten, angesichts der aufgeschnittenen Leiber nicht allzu entsetzt zu wirken, war meine Tochter von den Eingeweiden hin und weg. Der Geruch des faulenden Bullenschädels mit seinen Fliegenschwärmen fand sie alles andere als gruselig. „Kommt das Blut aus dem Kopf von dem Tier?“ fragte sie mit ihrer lauten, hellen Kinderstimme, und starrte das Exponat ungeniert an. Ich sah eine ältere Dame erblassen. Vermutlich war sie empört, dass wir unsere Tochter diesem Gemetzel aussetzten. Den großen Aschenbecher voll stinkender Zigarettenkippen kommentierte Maya höchst verärgert: „Wir müssen ein Foto machen und es Ivan schicken. Das ist schrecklich!“ Ihr geliebter Onkel Ivan raucht, was für sie ein echtes Dilemma ist, folgt sie doch sonst loyal ihrer Mutter, die Rauchen „ekelhaft“ findet. Die mit Juwelen geschmückten Totenköpfe und Kästchen mit glitzernden Pillen begeisterten sie. Noch Wochen später zeichnete sie sie, gewissenhaft die Muster der bunten
Schmetterlinge kopierend, auf jede Fläche, die sich ihr bot. Sie war voll Ehrfurcht, und sie riss mich mit. Ich sah Hirsts Werke ohne den Zynismus, den ich mir in meinen Zwanzigern so sorgfältig konstruiert hatte. Wunder und Faszination durch die Augen eines Kindes zu sehen inspiriert und befreit. Ich habe jene intellektuellen Fesseln abgeworfen, jenen Charakterzug, von dem ich dachte, dass er mich von den anderen unterscheidet und zu einer individualistischen und aufmüpfigen Persönlichkeit macht. Ich bin heute frei, die Kunst, die mich umgibt, wieder zu genießen. Auch von einer Ausstellung zeitgenössischer chinesischer Kunst in der Hayward Gallery wurde Mayas Fantasie angeregt. „Früher haben sie in China Bücher verbrannt“, erzählt sie feierlich. „Ich habe welche gesehen. Ich passe auf meine Bücher auf.“ Dies ist ihr Kommentar zu einem Haufen Asche im Zentrum eines Raumes, der die Bücherverbrennung auf dem Tiananmen-Platz symbolisieren soll. „Wenn du rot und blau mischst, kriegst du lila - selbst wenn es im Zimmer hell ist“, sagte sie, nachdem wir, eine Gruppe von Eltern und Kindern, einen kurzen Vormittag mit einer Installation des venezolanischen Künstlers Carlos Cruz Diez verbracht hatten. Sie ist Teil der fantastisch populären Light Show, die noch bis Mai in der Hayward Gallery gezeigt wird: Drei rein weiße Räume werden von grünem, blauen und rotem Licht angestrahlt. Die Kinder - und ihre Eltern - waren begeistert. Wenn Sie also, wie ich, Kunst auf die alte Art mögen, mit Farbe, Leinwand und meist einem großen, universellen, revolutionären Thema, nehmen Sie sich ein Kind, das unbeeinflusst und unvoreingenommen, von keiner Meinung oder Erziehung gesteuert ist, und gehen sie in die nächstgelegene moderne Kunstschau. Und sehen Sie dort, wie die Fantasie angeregt wird. Es könnte Ihre sein.
Das Wetter
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das wetter von Raphaela Lucsok wetter@trafficnewstogo.de
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Tokyo
Wellington
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35° 41' 22.22'' N, 139° 41' 30.12'' E
41° 17' 20'' S, 174° 46' 38'' E
U-Bahn – Düster
Flugzeug – Sonne am Horizont
Ain’t no sunshine when she’s gone, könnte – mit ein bisschen Fantasie – ja auch von einer U-Bahn handeln. Unterirdische Tunnel, Orientierungslosigkeit und vage Ansagen, welche den Wartenden Hoffnung schenken sollen – oft vergebens. Anders in Tokio. Eine Stadt, die ohnehin nur in Superlativen zu beschreiben ist, wäre nicht vollständig ohne das längste, sicherste und sauberste U-BahnNetzwerk. 290 Kilometer Fahrtstrecke ziehen sich durch Tokios Untergrund und obwohl täglich mehr als sieben Millionen die U-Bahn benutzen, ist es doch blitzsauber. Lediglich die überfüllten Wägen sind ein Minuspunkt – doch trotz Menschengedränge und –gestopfe, ist die Metro in Tokio stets pünktlich. Anders als deutsche Fahrgäste, können Japaner also nicht and she’s always gone too long hinzufügen.
Wer meine, er bräuchte mal Abstand von Deutschland, der buche am besten den nächsten Flieger nach Wellington. Die neuseeländische Hauptstadt ist (von Deutschland) sogar weiter entfernt als Antarktika und damit die geographisch gesehen, weit entfernteste Stadt von Berlin. Direktflüge aus Europa gibt es kaum und so darf man sich auf mindestens drei Mal Umsteigen und insgesamt 34 Stunden Reisezeit gefasst machen. Wellington ist aber jede Mühe und jeden Cent wert: grandioses Essen, eine vielfältige Landschaft und der rauschende Pazifik vor der Tür. Als die windigste Stadt der Welt (wobei Chicago da ein Wörtchen mitzureden hätte), haben hier vor allem sämtliche Segelsportarten ihr Zuhause. Aber auch Schafe streicheln wirkt sich positiv auf das Gemüt aus, ebenso wie der erstklassige Bio-Wein der Region.
Brooklyn
Istanbul
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40° 41' 34'' N, 73° 59' 25'' W
41° 0' 49'' N, 28° 57' 18'' E
Fähre – Wechselhaft
Orient Express Zug – Beständig
Müssen in anderen Städten die jeweiligen Wetterkonditionen als Small Talk herhalten, so plaudert man in Brooklyn gerne mal über die voranschreitende Gentrifizierung. Natürlich ist dies kein neues Phänomen, doch nur die wenigsten würden zugeben, dass die Gentrifizierung nicht erst nach ihrem Einzug in die Region, sondern schon 1814 begann. In diesem Jahr wurde die Fährverbindung zwischen Brooklyn und Manhattan etabliert, was einen großen Aufschwung für den Arbeitsmarkt bedeutete. Noch immer pilgern Brooklynites im Sommer mit dem nun modernisierten Wassertaxi zu ihren Jobs in Downtown New York. Keine Brücke, keine Subway-Verbindung konnte an der Beliebtheit der Fulton Ferry bislang etwas ändern – und ähnlich, wie die Debatte über Gentrifizierung, ist auch beim Fährberieb kein Ende abzusehen.
Nur noch wenige beherrschen die Kunst des Reisens – und damit ist nicht ein möglichst elegantes Entladen sämtlicher Elektronikartikel am Security Checkpoint gemeint, sondern die Begabung, seine sich während der Reise ändernde Umgebung wahrzunehmen und, ohne mit alten Floskeln nerven zu wollen, den Weg als das Ziel zu sehen. Das geht natürlich auch nicht so einfach aus 10.000 m Höhe, doch wer in den Genuss von viel Zeit (und nicht irrelevanten Summen Geld) kommt, dem sei zu einer Zugreise geraten. Zwar gibt es den ursprünglichen Orient Express von 1883 mit der ikonischen Strecke Paris – Istanbul nicht mehr, doch Luxus und Glamour steht bei dem nun deutlich erweiterten Reiseunternehmen immer noch im Vordergrund. Zwar ist man inzwischen modernisiert, doch ein Hauch von Nostalgie bleibt haften – gleiches gilt für Istanbul.
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Sport
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Ringe ohne Ringen von David Pfeifer Nehmen wir mal an, Sie werden angegriffen. Weglaufen geht nicht, Sie stehen in einer Ecke. Die natürliche Reaktion: Sie versuchen den Gegner zu überwinden, ohne sich selber zu schaden. Sie versuchen seine Arme zu blockieren, seine Aktionen zu unterbinden. Oder Sie nehmen den Angreifer in den Schwitzkasten. Am besten versuchen Sie, ihn zu Boden zu drücken. Mit anderen Worten: Sie ringen. Ringen ist nicht nur eine der ältesten olympischen Disziplinen, bereits in der Antike im Programm des Wettbewerbs, sondern die erste Form der kontrollierten körperlichen Auseinandersetzung. Die Mutter aller Kampfsportarten. Bevor es Ringen gab, hat man sich mit der Keule auf den Kopf gehauen. Erst seitdem Regeln eingeführt wurden, erlaubte und unerlaubte Aktionen, Griffe, eine Benennung der Attacken, setzte so etwas wie Zivilisation ein. Durch Technik, Taktik und Richter wird dem Kampf der rohe Kern genommen, der Vernichtungswille in Bahnen gelenkt und der Verstand über die Instinkte gesetzt.
Das olympische Komitee hat Ringen auf die Streichliste gesetzt. Damit geht nicht nur eine Ära zu Ende, sondern ein Stück Evolution.
Die Überlegenheit des Geistes beweist eines der bekanntesten Sportfotos der Geschichte. Bei den olympischen Spielen 1972 in München trat der Deutsche Wilfried Dietrich im griechischrömischen Stil gegen den US-Amerikaner Chris Taylor an. Beide kämpften im Superschwergewicht, wie in allen Kampfsportarten die höchste Gewichtsklasse, ohne Begrenzung. Für Dietrich waren es bereits die 5. Spiele, er war immer noch ein starker 100-Kilo-Mann, aber bereits 38 Jahre alt, kaputtes Knie, sein Haar wurde schütter. Und ihm Gegenüber stand dieser Taylor, 22 Jahre jung, 1,96 Meter groß, knapp 200 Kilo schwer, unüberwindbar. Taylor lehnte sich meistens auf seine Gegner und wenn sie unter ihm zusammenbrachen, fixierte er sie auf dem Boden, bis er seinen Punkt bekam. Er war so
mächtig, dass Dietrich nur Zeige- und Ringfinger zusammen bekam, als er den Mann umfasste. Aber dann drückte Dietrich sich nach hinten, nutze die Wucht des Gegners, um ihn auf sich zu ziehen und fällte ihn mit einem Überwurf. Das berühmte Foto zeigt Dietrich über Kopf, den Koloss, der hilflos über ihn fliegt, fest umschlossen, Dietrich scheint zu lächeln. Die Legende von David gegen Goliath fand in diesem Moment ihre Wiedergänger. Nun hat das olympische Komitee beschlossen, Ringen aus dem Programm zu nehmen. Das sorgte weltweit für Aufruhr, vor allem aber in den Ringer-Nationen USA und Iran, die zumindest in dieser Frage ausnahmsweise mal auf Schulterschluss gingen. Für einen Moment blitzte da die Macht des histori-
schen olympischen Geistes auf. Aber an der Entscheidung scheint wohl nicht mehr viel zu rütteln zu sein, weil beispielsweise die Disziplinen Sportklettern, Squash und Wakeboard in den Wettbewerb drängen. Das klingt zwar arg nach Mode, nach Quoten-Hörigkeit und Populismus, aber bei einem Multi-MilliardenDollar-Unternehmen wie den olympischen Spielen sollte man nicht allzu naiv auf Traditionen und Kultur hoffen. Es subventioniert ja auch niemand die Höhlenmalerei. Man wird die olympische Hymne umtexten müssen, in der es noch heißt: „beim Laufen, Ringen und beim Weitwurf“. Das könnte eventuell David Guetta übernehmen. Was aus dem Ringen wird? Es wird unbedeutender werden, weniger Geld wird in die Trainingseinrichtungen fließen und vielleicht wird es irgendwann sogar aussterben. Aber es bleibt bewahrt in unserer Evolutionsbiografie, kurz nach dem aufrechten Gang und dem Laufen. Ringen ist das, was wir tun, wenn wir nicht geschlagen werden wollen. Der erste kluge Kampf der Menschheit. sport@trafficnewstogo.de
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Kunst
GALLERY WEEKEND BERLIN 2013 Vom 26. bis 28. April 2013 findet zum neunten Mal das Gallery Weekend Berlin statt. Dass Konzept, Kunst in den eigenen Galerieräumen zu präsentieren, ist mittlerweile in der internationalen Kunstszene zu einer bedeutenden PlatTform avanciert. 51 Galerien haben sich in diesem Jahr zu einem selektiven Galerierundgang zusammengeschlossen. Auch eine Vielzahl weiterer Berliner Galerien, die nicht offiziell teilnehmen, sind während der drei Tage zugänglich. In Kooperation mit ARTBERLIN.DE haben wir vier Kenner der internationalen und insbesondere Berliner Kunstszene befragt: Eine Künstlerin, eine Galeristin, einen Kurator, eine Verlegerin.
© Jens Liebchen
© Graeme Vaughan
von Eva Kaczor
Philomene Magers
Christoph Tannert
Galeristin, Sprüth Magers Berlin London
Kurator, Künstlerischer Leiter, Künstlerhaus Bethanien
Drei persönliche Highlights: Auf welche Openings / Happenings freust du dich besonders? Ich freue mich natürlich sehr auf unsere Ausstellungen, neue Bilder und Skulpturen von George Condo, eine richtige Retrospektive mit Neon-Arbeiten von Joseph Kosuth aus den letzten fünfzig Jahren und die letzten Bilder, die Richard Artschwager vor seinem Tod gemalt hat. Drei Ausstellungen, die mir besonders wichtig sind und sehr schön werden. Dann die Oscar Tuazon-Ausstellung im Schinkel Pavillon, die Haubrockprojects in der alten DDR-Ministerfahrbereitschaft. Davon habe ich bisher nur Fotos gesehen, aber das könnte wirklich sehr schön werden. Ausserdem die Party von Gigiotto del Vecchio im Berghain zu seinem Galeriejubiläum. Er ist ein wunderbarer Galerist und Kurator!
1. Annette Messager + Alina Szapocznikow: North oft he future, Galerie Isabella Czarnowska, Rudi-Dutschke-Str. 26. Erstmalig werden Werke beider bedeutender Künstlerinnen, die im Paris der 1960er Jahre miteinander befreundet waren, in einer gemeinsamen Ausstellung präsentiert. 2. Monica Bonvicini: Disegni, Johann König, Dessauer Str. 6-7. Es gibt kaum eine Künstlerin der Gegenwart, die aus Härte und konzeptioneller Klugheit innere Monumentalität in derartig skulpturalem Ausmaß zu schaffen versteht, wie Bonvicini. Das muss man sich erst mal trauen. 3. Roey Heifetz: The Teacher’s Nap, Künstlerhaus Bethanien Berlin, Kottbusser Str. 10. Aufschäumendes Nachtschwarz figürlicher Handzeichnungen gegen die lustlahme Helligkeit kunsthistorischer Aufklärung. Das hat Biss.
Interessantester Künstler im Moment und warum? Interessantester Künstler kann ich nicht sagen. Es gibt so viele tolle!
Tue Greenfort / Ästhetische Vorschläge für eine Kunst am Schnittpunkt von Kultur und Natur müssen nicht zwangsläufig in Soziokitsch ausarten.
Wohin abends zum Essen und Feiern? Restaurant MARQUÈS, Berlin-Kreuzberg, Graefestr. 92
Die beste und schrecklichste Erinnerung an vergangene Gallery Weekends? Beste Erinnerung: Das wunderbare Essen im Gleisdreieck vor drei Jahren. Schrecklichste Erinnerung: Das überfüllte Essen in der Nationalgalerie vor vier Jahren. Wir werden besser!
Beste Erinnerung: Katerina Sedá bei Arratia Beer / Die Schatten der sozialistischen Diktatur in Osteuropa lichten sich nur im Zeitlupentempo. Schrecklichste Erinnerung: Treffen sich zwei Event-Hopper mit Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom ...
Gibt es etwas, das du am Gallery Weekend vermisst? Mehr Zeit!
Politiker-Führungen und Beamten-Coaching.
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37. Aurel Scheibler Curt Stenvert Schöneberger Ufer 71 10785 Berlin
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Erschütterungen.
Die zwei Explosionen an der Ziellinie des Boston Marathon am 15. April 2013 haben unmittelbare und weitreichende Folgen: Drei Tote und 170 Verletzte. Angst. Hilflosigkeit. Manische Erklärungsversuche. Und: Jagdfieber. Das Beben der Bomben setzt sich in einer noch nie dagewesenen Verschränkung von Medien und Polizeikräften fort, breitet sich
in Wellen im globalen Netz aus, erfasst jeden und geht in eine beispiellose Suche nach den „Marathon-Bombern“ über. Fährten werden aufgenommen und verfolgt, jedes Räuspern des Polizeifunks von Boston wird transkribiert. Die Welt liest in Echtzeit mit, kommentiert, wirft Fragen auf, stellt neue Zusammenhänge her. Es ist auch eine Jagd nach Bildern und Informationen. Aber wer sagt was? Welche
Informationen sind richtig, welche hat sich jemand an seinem Schreibtisch twitternd ausgedacht? Es ist keine kühl ausgeführte Jagd. Sie bordet geradezu über vor Emotionen. Vier Tage dauert die Jagd an. Dann ist einer der Verdächtigen tot und der andere liegt mit durchschossener Zunge im Krankenhaus. Geblieben ist vor allem eines: Verwirrung und Misstrauen.
Die Meute.
"Heute sind wir alle Bostoner", sagt Commander James E. Koutz, Vorsitzender der größten Kriegsveteranenorganisation Amerikas am Tag nach dem Marathon. Nein, sind wir nicht. Wären wir Bostoner gewesen,dann hätten wir Mitgefühl für die Opfer des Anschlags gezeigt, wären traurig gewesen, hätten innegehalten. Aber wir sind Blut-
hunde geworden. Eine Meute, die Spuren aufnimmt, sie anderen zubellt, bis alle mit gefletschten Zähnen loslaufen. Und zwar medial loslaufen, denn physisch können wir nicht. Boston ist lahmgelegt, 9000 Polizisten, FBI-Agenten und unterstützende Armee patrouillieren die Stadt. Gouverneur Deval
Patrick lässt über das Fernsehen und via Twitter mitteilen, dass keine U-Bahnen fahren, die Schulen geschlossen bleiben, kurz, dass es kein öffentliches Leben mehr in Boston gibt. Bis auf Weiteres. Also bleiben die Bostoner zuhause und wir anderen, die wir an Twitter, reddit oder dem Fernseher hängen, sind weit weg und jagen doch mit.
nach, vermengt mit „echten“ Versatzstücken aus Polizeivideos, Augenzeugenberichten und Audiomitschnitten von Schusswechseln. Wir decodieren. Und alles ist plötzlich ein Code für irgendetwas. Alltägliche Gegenstände laden wir mit Bedeutung auf. Ein Schnellkochtopf.
Eine weiße Mütze. Ein schwarzer Rucksack. Das muss etwas zu bedeuten haben. Es muss etwas - uns etwas - sagen über die Täter. Das Datum, Patriotsday und Steuertag in den USA, das hat doch sicher etwas zu bedeuten?
Puzzleteile. Es ist wie ein klassischer Whodunnit, ein Krimi, bei dem der Leser bis zu den letzten Seiten im Dunkeln tappt und aufgefordert ist zu erraten, wer der Täter war. Nur dieser Whodunnit passiert in Echtzeit und es gibt keinen allwissenden Erzähler. Ein vielköpfiges Wesen geht im Internet Spuren
Die Hetzjagd ist zuende, das Lauern und Einkreisen beginnt.
Man weiSS nicht, ob man sich in einem Videospiel, in Afghanistan oder in Boston befindet. Alles sieht gleich aus, es ist surreal.
Spekulationen.
Die Männer auf dem ersten unscharfen Videostill. Das sind sie die "Marathon-Bomber". Suspect 1 und Suspect 2. In den Kommentaren von reddit, gawker, der New York Times, wird spekuliert. Sie sähen "braun" aus oder „nach dem Nahen Osten“, „irgendwie muslimisch“. Nein, „weiß“ sehen sie aus, sagen andere. Es sei doch egal, welche Hautfarbe sie hätten oder welcher Religion sie angehörten, schreiben andere, aber böse sähen sie aus, pure evil. Wenige schreiben oder reden über „Verdächtige“, schnell werden aus Suspect 1 und Suspect 2 „Bomber“ oder „Täter“. Das ist gefährlich, weil es weder Aufgabe der Polizei noch der von Tausenden Internetbenutzern ist, jemanden zu richten. In den frühen Morgenstunden des 19. April spielt das aber keine Rolle mehr, denn Ideen und Ereignisse überschlagen sich. Auf reddit, einer Internetnewsseite, auf
der registrierte User Nachrichten posten und bewerten und damit die Wichtigkeit der News selbst beeinflussen können, wird schon die ganze Nacht darüber spekuliert, dass ein gewisser Sunil Tripathi, ein seit dem 15. März vermisster Bostoner Student, eine Rolle bei dem Anschlag gespielt haben könnte. Um 2 Uhr 42 Minuten Ortszeit taucht auf Twitter eine Nachricht auf: Die Verdächtigen seien identifiziert, Mike Mulugeta und Sunil Tripathi. So habe es der Twitterer gerade über Polizeifunk gehört. Was nicht stimmt. Die Nachricht wird tausende Male weitergegeben. Bis sie irgendwann tatsächlich auf dem Polizeifunk landet, dort wiederholt wird und eine Wichtig- und Richtigkeit erlangt, die gänzlich falsch ist. Denn Sunil Tripathi hat mit dem Marathon-Anschlag nichts zu tun und einen Mike Mulugeta gibt es
gar nicht. Erst fünf Stunden später, um 7 Uhr 47 Minuten werden die richtigen Namen der Verdächtigen genannt. Auf NBC, einer Fernsehstation. Vieles stimmt nicht, was in dieser Nacht in den Medien erzählt wird. Egal ob neue oder alte Medien. Einen 7/11 Laden sollen die beiden Verdächtigen überfallen haben. Das stimmt nicht. Das Foto, das die New York Post am Morgen druckt, zeigt unter der Überschrift „Bag Men“ zwei Unschuldige, die Zeitung muss sich einen Tag später entschuldigen.Wer sagt was? Welche Informationen stimmen noch? Die Jagd auf die Attentäter ist zu einer Jagd nach Wissensvorsprung geworden. Am ehrlichsten bringt es ein Versehen auf den Punkt: Auf NBC hört man irgendwann einen Lokalreporter. Er sagt: „I don't know shit!“
Lauern auf die Wahrheit.
Die Hetzjagd ist zuende, das Lauern und Einkreisen beginnt. 9000 Polizisten haben die Verdächtigen in Watertown ausgemacht. Weil keiner etwas Genaues weiß, wird Worten nicht mehr vertraut. Echtzeitaufnahmen, Videos und Fotos sollen die Wahrheit zeigen. Was passiert? Doch auch diese Bilder trügen oder lassen unterschiedliche Schlüsse zu.
Man weiß nicht, ob man sich in einem Videospiel, in Afghanistan oder in Boston befindet. Alles sieht gleich aus, es ist surreal. Die Bilder der Polizei in ihren martialischen Uniformen. Sie hat die zwei Verdächtigen eingekreist, in Watertown. Es gibt Videos, auf denen man sehen kann, wie das Auto der Verdächtigen beschossen wird.
260 Patronenhülsen liegen danach auf der Straße. Hat die Polizei so viele Schüsse abgegeben? Ein Verdächtiger ist danach tot. Auch davon gibt es ein Bild im Netz. Von dem Toten und seinen Wunden. Kann es auch ein Zuviel an Informationen geben?
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Warum wurde das Video veröffentlicht? Fragen beantwortet es keine.
Eine Million Fragen.
Die Männer auf dem ersten unscharfen Videostill. Drei Minuten dauert das Video, das die Po- minimal, als ein Roboter die Plane vom lizei veröffentlicht. Drei Minuten, in de- Boot hebt. Warum wurde das Video veröffentnen man das Wärmebild eines Mannes sieht, licht? Fragen beantwortet es keine. der in einem Boot liegt. Er bewegt sich „It's over“, heißt es auf NBC, als der
zweite Verdächtige schwerverletzt geschnappt wird. Aber eigentlich fängt es gerade erst an.
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34. Galeria Plan B Ciprian Muresan Potsdamer Strasse 77-87 (2Nd Backyard, Building G) 10785 Berlin
47. Galerie Barbara Weiss Ayse Erkmen Kohlfurter Strasse 41/43 10999 Berlin 48. Wentrup Nevin Aladag (Solo)
Tempelhofer Ufer 22 10963 Berlin 49. Kunsthandel Wolfgang Werner Medardo Rosso & Gotthard Graubner Fasanenstrasse 72 10719 Berlin 50. Barbara Wein Schöneberger Ufer 65 3Th Floor 10785 Berlin 51. Zak | Branicka Valie Export Lindenstrasse 35 D-10969 Berlin
Kunst
Ausgabe N°30 • April / Mai 2013 • Jahrgang 5 • trafficnewstogo.de
© Fabrice Seixas
© Joachim Baldauf
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Uta Grosenick
Alicia Kwade
Verlegerin, DISTANZ Verlag
Künstlerin
Drei persönliche Highlights: Auf welche Openings / Happenings freust du dich besonders? Sehr gespannt bin ich auf die neuen Räume von Sabine Schmidt mit ihrer Galerie PSM in der Köpenicker Straße 126. Dann freue ich mich auf die sehr speziellen Arbeiten von Nick Mauss bei Galerie NEU in ihrem Space MD72 am Mehringdamm. Außerdem kann ich es kaum erwarten Alicja Kwades Ausstellung in der noch nicht umgebauten Kirche St. Agnes von Johann König zu sehen.
Habe mich noch nicht wirklich erkundigt, was alles stattfindet. Ich entscheide das immer sehr kurzfristig und spontan.
Interessantester Künstler im Moment und warum? Die rumänisch-deutsche Künstlerin Anca Munteanu Rimnic. Sie hat in den letzten Jahren ein unglaublich vielschichtiges, kraftvolles Werk aus Skulpturen, Fotos und Film-Performances geschaffen, das sich durch eigenwillige Ideen und eine ganz eigene Sprache auszeichnet. Es thematisiert ständiges Fernweh, Unsicherheit, Zerrissenheit und extreme Sehnsüchte.
Oh, das kann ich nicht sagen. Das wechselt.
Wohin abends zum Essen und Feiern? Zum Gallery Weekend erscheinen mehrere Bücher bei DISTANZ: Die ersten Monografien von Sara Sizer und Agata Madejska, ein Überblicksband zu zeitgenössischer indonesischer Kunst „Sip! – Indonesian Art Today“ und ein Künstlerbuch von George Condo. Dementsprechend feiere ich mit den Künstlern und ihren Galerien in Mitte und Kreuzberg. Allerdings nicht nur abends, sondern auch schon beim Brunch.
Themroc ist toll im Sommer! Draussen sitzen, während die Torstrasse rauscht. In Kreuzberg Chez Michel, sehr nett wie bei dem französischem Onkel zu Hause, und natürlich das Grill und Pauly Saal. Les Valseuse, überschaubare Karte, und alles ist wahnsinnig lecker, draussen sitzen besonders schön und natürlich: die spektakulären Tresor Ausstellungen im Restaurant, das ist wirklich etwas besonderes – zur Zeit mit einer Arbeit von Gregor Hildebrandt.
Die beste und schrecklichste Erinnerung an vergangene Gallery Weekends? Ich habe seit dem ersten Gallery Weekend 2005 – als ich noch in Köln lebte – noch keines verpasst. Das Beste ist die Mischung aus sehr spannender Kunst in den jungen und renommierten Berliner Galerien und sehr interessanten Menschen, die man beim Eröffnungsempfang, unterwegs und auf den Dinner-Parties trifft. Das Schrecklichste ist jedes Mal das Gefühl am Sonntagabend, dass ich wieder nicht alles gesehen und geschafft habe.
Die habe ich wohl verdrängt.
Gibt es etwas, das du am Gallery Weekend vermisst? Nö, eigentlich nichts.
Nein.
Kultur
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© Donata Wenders
Ausgabe N°30 • April / Mai 2013 • Jahrgang 5 • trafficnewstogo.de
Wim, Liv und Eis am Stiel von Sabine Weier Als Regisseur Wim Wenders im April in Berlin sein neuestes Werk „Every Kiss Tells A Story“ vorstellte, liefen die Journalisten mit Eis am Stiel umher. Und das an einem der letzten kühlen Tage im gefühlt längsten Winter, den die Stadt je erlebt hat. Denn Wenders’ neuer Film ist inspiriert vom neuesten Produkt des deutschen Speiseeisherstellers Langnese. Inspiriert heißt in diesem Kontext natürlich vor allem finanziert. Und das Budget für die Markteinführung der limitierten Edition einer Produktserie namens „Magnum 5 Kisses“ schien hoch gewesen zu sein. Denn Wenders durfte Hollywoodstar Liv Tyler nach Berlin einfliegen lassen, um mit ihr im historischen Tanzlokal Clärchens Ballhaus an zwei Tagen einen Film zu drehen und mit ihr im White Trash eine Nacht lang zur Musik ihrer kalifornischen Lieblingsband The Growlers durchzutanzen. Sie habe schon immer mal mit Wenders arbeiten wollen, erzählte sie bei der Pressekonferenz. Und Wenders sei von ihr begeistert gewesen, seit er sie in Bernardo Bertoluccis Film „Gefühl und Verführung“ von 1996 gesehen habe. Berlin liebe sie ohnehin, gestand Tyler, hier passiere so viel und die Leute seien so toll gekleidet. Die Lokalpresse freute sich. Reporter der Berliner Zeitung erwischten die New Yorkerin sogar beim Rauchen, draußen in der Kälte, vor Clärchens Ballhaus in der Auguststraße. Sehr scheint die Kälte Tyler nicht gestört zu haben. Beim Dreh aß sie nämlich Eis. Als sie es probiert habe, habe sie sogar für ein paar Sekunden die Augen schließen müssen, so lecker sei es gewesen, erzählte sie den Journalisten,
Andy Warhol hätte am neuesten Werk von Wim Wenders durchaus Gefallen gefunden. Ein Kommentar, kein Advertorial. denen es wohl nicht ganz so ging, denn sie hatten die Augen alle offen. Wim Wenders wirkte zwischen der Schmollmündigen und dem ganzen Eiscreme-Brimborium etwas blass. Beharrlich sprach er von seinem „Kurzfilm“ und nicht etwa von seinem „Werbefilm“, wie aber die Journalisten später schrieben. Wortklauberei. Künstlerisch gesehen kann man Wenders da nichts anlasten. Im Gegenteil. Andy Warhol zum Beispiel hätte an Wenders’ SchwarzweißStreifen richtig Gefallen gefunden. Marken wie Brillo, Burger King oder Coca Cola platzierte Warhol in seinen Werken ganz ohne finanzielle Zuwendungen. In den 60ern, als neue Kameras und Videotechnik auf den Markt kamen, hätte er die bildende Kunst am liebsten hingeschmissen, um mit Freunden in seiner New Yorker Factory nur noch experimentelle Filme zu machen. Eine hübsche Frau, ein Kuss, ein MarkenEis-am-Stiel und alles schnell abgedreht: ganz im Warholschen Sinne. Tatsächlich drehte der Pop-Papst 1963 einen Film mit dem Titel „Kiss“. 50 Minuten lang küssen sich Paare in Großaufnahme, mal Mann und Frau, mal zwei Männer, mal leidenschaftlich, mal mechanisch. Heute ist die zarte Verschmelzung von Kunst und Kommerz weiter ausgeprägt als Warhol es sich je hätte träumen lassen. Freilich, Wenders’ Kurzfilm, Werbefilm, viraler Spot oder wie auch immer man diese bewegten Bilder nennen will, ist narrativer, stilisierter,
inszenierter als Warhols „Kiss“. Tyler wandelt durch das Tanzlokal und schwelgt, angeregt von einem Lippenstift-Kussmund, den sie an einem Spiegel findet, in Erinnerungen an vergangene Küsse. Es ist eben Kunst auf ihre Weise, „durchzogen von Karamellsauce, verfeinert mit Karamellstückchen und umhüllt von knackiger Milchschokolade“. (Diese Textpassage wurde aus der Produktbeschreibung der Sorte „First Kiss“ übernommen, die Tyler und Wenders in ihrem Film interpretieren, weitere Sorten sind „Loving Kiss“, „Passionate Kiss“, „Flirty Kiss“ und „Stolen Kiss“. Im Lauf des Jahres werden sie nach und nach auf den Markt geworfen, um die über 30 Sorten, die es laut Hersteller bisher im deutschen Handel gibt, zu ergänzen, und um die Storymaschine im Kopf des Konsumenten anzuwerfen. Und wer könnte da besser auf die Sprünge helfen als Wenders, der große Geschichtenerzähler.) Nach Pressevorführung und Dinner im schicken Berliner Restaurant Pantry entschied sich das Gros der Journalisten dafür, „Magnum“, „Langnese“ oder „Magnum 5 Kisses“ in ihren Berichten nur am Rande oder gar nicht zu erwähnen, sondern sich auf die ersten Küsse zu konzentrieren, die Liv Tyler im zarten Alter von 13 oder 14 Jahren, sie wusste es nicht mehr so genau, und Wim Wenders mit 16 Jahren irgendwelchen Unbekannten gaben. Die virale Maschinerie lief wie geschmiert. Und wenn der
Film nach der Premiere in Cannes am 17. Mai dann nicht nur in Kinos, sondern auch online läuft, werden bestimmt auch nur einige User, die sich mit der romantischen Annäherung von Kunst und Kommerz noch nicht so ganz angefreundet haben, stinkig. Wie der, der sich auf der Webseite des Magazins Vice im unabhängigen redaktionellen Bereich wähnte, sich einen Clip zu einem Projekt von Wim Wenders mit jungen Berliner Kreativen ansah und an Inhalt und Machart dann feststellte, dass es sich hier um irgendeine Art von Werbung des Sponsors Samsung handeln musste, dessen nagelneuen Tablet-Computer die Kreativen nutzten, um Berlin zu „recreaten“. Der User tippte daraufhin einen bissigen Kommentar mit dem Stinkefinger, wie er anmerkte, unter den Beitrag. Zum Glück ist das hier eine Printausgabe, ein Medium, das keinen Shitstorm kennt. Sonst würde man vielleicht auch fuchsteufelswilde Kommentare ausspucken, weil wir hier immer wieder „Magnum“ und „Langnese“ und „Magnum 5 Kisses“ schreiben. Wir tun dies aus freien Stücken, ist doch super aufgegangen, die PR-Strategie, das muss man auch mal schreiben. Kunst darf auch Kunst sein, wenn sie in einen kommerziellen Rahmen eingebettet ist. Ein bisschen angekratzt kommt höchstens Wim Wenders aus der Sache raus, denn so cool wie Andy Warhols „Kiss“ ist seine Arbeit nicht geworden. Die zauberhafte Liv Tyler ist über jeden Peinlichkeitsverdacht erhaben. Schade nur, aber gar nicht peinlich, dass sie sich nun doch nicht zutraute, anlässlich des Gallery Weekends Berlin mit uns über bildende Kunst zu sprechen.
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Kultur
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von Marc Hairapetian „Sie ist so schön, dass ein Film, in dem sie spielt, auch ohne Geschichte auskommt“, sagte Regisseur François Truffaut einmal über sie: Catherine Deneuve, der weibliche Weltstar. Hinreißend schön und erotisch, aber auch unnahbar. Die unterkühlte Variante zu Sexbombe Brigitte Bardot. Dennoch war die junge Catherine bereits 1965 nackt im Playboy zu sehen. Nach ihrem Ebenbild wurde 20 Jahre später eine Büste der französischen Nationalfigur Marianne geschaffen. Sie hat Chansons (u. a. von Serge Gainsbourg) gesungen und Filmpreise gewonnen wie andere Briefmarken sammeln, darunter befindet sich sogar eine Oscar-Nominierung (1993 für „Indochine“). Doch ihr Kampf gegen die Todesstrafe und die Genitalverstümmelung von Mädchen ist ihr wichtiger. Unfassbar, dass die gebürtige Pariserin am 22. Oktober bereits 70 Jahre alt wird, denn sie sieht um mindestens eine Dekade jünger aus. Selten gibt sie Interviews und wenn, dann finden sich darin nur Allgemeinplätze von sich. Voilà, verehrte Leser, lernen Sie jetzt die Deneuve von einer anderen, offeneren Seite kennen! Madame Deneuve, in Ihrem neusten Film „Elle s’en va“, den Sie bei der Berlinale präsentierten, spielen Sie die ehemalige Miss Bretagne 1969 und jetzige Restaurantbesitzerin Betty, die Ihrem Alltagstrott entfliehen will. Was hat Sie an dieser Silver-AgeKomödie gereizt? Catherine Deneuve: Mich hat vor allem die Zusammenarbeit mit Regisseurin Emmanuelle Bercot, die auch das Drehbuch geschrieben hat, gereizt. Sie ist ebenfalls Schauspielerin und versteht wie „wir“ ticken. In langen Gesprächen hat sie mich überzeugt, den Part der Betty, die denkt, ihre besten Tage liegen bereits hinter ihr, anzunehmen. Als sie nach dem Zigrarettenholen ihren Enkel, den sie lange nicht gesehen hat, mit dem Auto abholen will, gerät sie in allerhand Abenteuer, verbringt sogar eine Nacht mit einem jüngeren Mann. Sie realisiert, dass noch einiges vor ihr liegt. Das hat mir gefallen. Wenn ich Ihnen eine persönliche Fage stellen darf: Wie kommen Sie selbst mit dem Älterwerden zurecht? Deneuve: Nun, ich würde lügen, wenn ich sagte, ich hätte damit gar keine Probleme. Es ist nicht leicht für eine Frau, älter zu werden - erst recht nicht für eine Schauspielerin. Doch die Gedanken darüber dürfen nicht zur Obsession werden - man muss sich im Griff haben. Es ist auch schade, dass man manche Rollen, die man gerne spielen würde, nicht mehr angeboten bekommt. Umso besser, dann in einem Film zu spielen wie „Elle s’en va“. Rauchen Sie privat eigentlich auch soviel wie im Film? Deneuve: Ja, ich gebe es zu, es ist mein schlimmstes Laster und nicht „Die Jagd auf Männer“ wie der gleichnamige Film von Edouard Molinaro lautet, in dem ich mit meiner leider jung verstorbenen Schwester Françoise Dorléac zusammenspielte. Rauchen die Frauen in Deutschland nicht mehr soviel? Zumindest weniger in Restaurants oder Clubs, weil es dort mittlerweile ein Rauchverbot gibt. Deneuve: Sie sollen sich einfach darüber hinwegsetzen! Man wird sie doch nicht gleich einsperren. Kleine Laster machen einen Menschen erst interessant. Welche Erinnerungen haben Sie an ihre Schwester Françoise Dorléac, die 1967 mit nur 25 Jahren bei einem Verkehrsunfall in der Nähe von Nizza ums Leben kam? Deneuve: Sehr innige, auch sehr private. Um ehrlich zu sein, war sie talentierter als ich. In François Truffauts Ehebetrugsdrama „Die süße Haut“ war sie als junge Stewardess, die sich mit einem verheirateten Schriftsteller einlässt, wirklich hinreißend. Sie war die Sonne, ich der Mond. Ihr Lachen wirkte ansteckend. Würde sie heute noch leben, sie wäre viel bekannter, als ich es werden durfte. Die Rolle der Betty hat Ihnen Emmanuelle Bercot auf den Leib geschrieben. Ist Ihnen das am liebsten oder eifern sie filmisch lieber Literaturfiguren nach? Deneuve: Es kommt immer aufs Drehbuch an, doch was gibt es Schöneres, als eine lieb gewonnene Romanfigur selbst auf der Leinwand zu verkörpern? Das ist ein Privileg. Und selbst eine meiner bis heute bekanntesten Rollen - die sadomasochistische Edelprostituierte Séverine Sérizy in „Belle de Jour - Schöne des Tages“ war eine Romanfigur. Viele dachten, Luis Buñuel hätte sie extra für mich geschrieben. Dabei war sie dem gleichnamigen Buch von Joseph Kessel aus dem Jahr 1928 entlehnt. Was lesen Sie selbst gerne?
Jenseits des Elfenbeinturms Die Schöne des Tages bei Mondschein: Interview mit Catherine Deneuve
Deneuve: Vielleicht glauben Sie es mir nicht, aber ich liebe Science-Fiction-Romane von Isaac Asimov, Ray Bradbury, Brian W. Aldiss oder Arthur C. Clarke. Für Verfilmungen ihrer Geschichten hat mich leider nie ein Regisseur angefragt. Ich hätte auch gerne mit Stanley Kubrick, dessen Filme „2001: Odyssee im Weltraum“ und „Uhrwerk Orange“ ich liebe, zusammengearbeitet, doch das ist leider nicht mehr möglich. Ich mag auch Comics wie „Tim und Struppi“. Oder die vom Pärchen „Valerian und Veronique“, das durch die Zeiten reist. Da sind Sie erstaunt, was? Da hätte wohl Roger Vadim Sie und nicht Jane Fonda für „Barbarella“ besetzen sollen. Deneuve: Ganz genau (lacht). Jane ist fast ein ähnlicher Typ wie ich. Am besten ist die Szene, in der sie von der Sexmaschine zu Tode gefoltert werden soll, aber einen Orgasmus nach dem anderen bekommt, sodass schließlich die Sexmaschine ihren Geist aufgibt - und nicht Barbarella. Wie sieht es denn mit französischen Literaturklassikern aus, zum Beispiel Molière? Deneuve: Das ist sehr gut, aber manchmal ein bisschen schematisch wie bei „Der eingebildete Kranke“. Mir sind deutsche Klassiker lieber, natürlich Goethe und Schiller. Und ich liebe Stefan Zweig, Hugo von Hofmannsthal und Arthur Schnitzler. Die haben die Psychologie von uns Frauen gut verstanden. Für die damalige Zeit war es sehr erotisch, was sie schrieben - und vor allem stilistisch superbe. 2006 ist auch in Deutschland Ihr Filmtagebuch „In meinem Schatten“ über die Dreharbeiten zu „Dancer in the Dark“ und „Indochine“ erschienen. Schreiben Sie nur Filmtagebücher oder auch privates Tagebuch? Deneuve: Seit meiner Kindheit halte ich meine Gedanken und Gefühle fest. Ich kann die handbeschriebenen Bände nicht mehr zählen. Natürlich mache ich es nicht, um mir literarische Meriten zu erwerben. Vieles möchte ich auch nicht an die Öffentlichkeit geben. Doch bei Filmtagebüchern denke ich, ist es an sich kein Problem. An Klatsch und Tratsch war mir nicht gelegen, sondern eher an einer Auseinandersetzung mit
dem Medium Film, die Zusammenarbeit mit Regisseuren wie Lars von Trier und Régis Wargnier, sowie historischen Zusammenhängen. Durch die Dreharbeiten bei „Indochine“ habe ich eine Menge gelernt über diesen Krieg von 1946 bis 1954 und der „Gegner“ von einst, ist mir ans Herz gewachsen: Ich habe großen Respekt, ja sogar Bewunderung für das heroische Volk der Vietnamesen, die ihre Unabhängigkeit erringen konnten. Das dunkle Kapitel des Kolonialzeitalters ist längst beendet, doch man darf es nicht vergessen. Ich finde es auch gut, dass in Frankreich und Deutschland ein neuer Film über diese Epoche gezeigt wird, der Zweiteiler „Saigon - Der Sommer, die Liebe, der Krieg“. Meine persönlichen politischen Empfindungen wollte ich auch in dem Filmtagebuch festhalten. Können Sie sich vorstellen selbst einen Roman zu schreiben? Deneuve: Vorstellen kann ich mir vieles, doch ich glaube, dazu fehlen mir Talent und Ausdauer. Wir Schauspieler leben doch von den Geschichten der anderen, die wir für die Leinwand beleben sollen. Sie haben soviel in Ihrem Leben erreicht - werden nicht nur von Ihren alten Anhängern vergöttert, sondern haben auch Verehrer in der jungen Generation. Macht Sie das glücklich und sind Sie glücklich? Deneuve: Ersteres macht mich selbstverständlich glücklich. Den zweiten Teil kann ich nicht mit „ja“ beantworten, da Glück immer nur aus Momenten besteht. Man kann also glückliche Momente erleben - in der Arbeit und privat. Doch das ist kein Dauerzustand. Vielleicht ist es sogar gut, denn sonst würde man diese kostbaren Momente weniger zu schätzen wissen. In der Öffentlichkeit existiert das Bild der schönen, aber unnahbaren Diva. Ich erlebe Sie ganz anders, nämlich als sehr offen und herzlich. Deneuve: Manchmal muss man sich einen Schutzpanzer anlegen, doch wenn mich jemand charmant und kompetent befragt, antworte ich gerne. Kommunikation ist doch etwas sehr wertvolles - wir lernen auch vom Gegenüber. Gute Fragen können einen inspirieren. Im Elfenbeinturm wurde noch keine gute Schauspielerin geboren.
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Literatur
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Der Autorenverband PEN setzt sich weltweit für verfolgte Schriftsteller und freie Meinungsäußerung ein. In New York richtet er jährlich das World Voices Festival aus, bei dem über 100 Autoren lesen, diskutieren und über Zensur und die literarische Produktion in ihren Ländern berichten. Wir sprachen mit dem künstlerischen Leiter Laszlo Jakab Orsos über das Programm in diesem Jahr.
Literatur ist die demokratischste aller Künste aktuellen Stand der Demokratie gestellt. Warum dient Demokratie der Menschheit nicht so, wie sie es eigentlich sollte? Was müssen wir ändern, um diese an sich doch wunderbare Idee zum Funktionieren zu bringen? Glauben wir überhaupt noch an Demokratie? Die Antworten sind unglaublich spannend! Junge Journalisten des New Yorker Magazins „ Jacobin“ lesen sie beim Festival vor. Wie es sich für eine gute Demokratie gehört, werden die Texte auch in Buchform zu einem erschwinglichen Preis erhältlich sein.
von Sabine Weier Beim World Voices Festival 2013 soll sich alles um Mut in Kunst, Politik und Leben drehen. Kann Literatur mit Mut mehr erreichen als Politik? Wer etwas erreichen will, muss etwas aufs Spiel setzen. Zum Beispiel die persönliche Sicherheit. Literatur kann mit gutem Beispiel vorangehen und zu mutigem Handeln inspirieren. Mutige Taten aus der Politik oder anderen Bereichen können aber dieselbe Funktion erfüllen. Berichte von US-Generälen zu Folter von politischen Gefangenen in Guantánamo Bay haben zum Beispiel dazu beigetragen, dass Untersuchungen eingeleitet wurden. Das war mutig. Texte wie diese sind aus unserer Sicht genauso bedeutend wie Romane.
Neben hochkarätigen Intellektuellen sind auch Quereinsteiger mit von der Partie: Taxifahrer lesen aus ihren Debütwerken. Was hat es damit auf sich? Literatur ist die demokratischste aller Künste. Jeder kann Geschichten erzählen. Wir führen Workshops mit New Yorker Taxifahrern durch, sie schreiben, lesen die Ergebnisse beim Festival vor und sprechen über ihre Erfahrung. Letztes Jahr haben wir das Projekt mit Kindermädchen und Gebäudereinigern gemacht. Die Ergebnisse waren einfach fantastisch!
Das ist ein sehr weit gefasster Literaturbegriff. Literatur findet man an unerwarteten Orten. Das ist kein hermetisch abgeriegeltes Betätigungsfeld für eine Gruppe Auserwählter. Jeder, der den Mut besitzt, aus seiner Komfortzone herauszutreten und Dinge zu hinterfragen, kann Kunst produzieren. Dieser Mut ist Voraussetzung für gute Kunst. Das World Voices Festival konzentriert sich auf Regionen, in denen politisch gerade viel im Umbruch ist, 2013 stehen etwa Burma, Haiti und Südafrika im Mittelpunkt. Welche Erkenntnisse lassen sich bei der Auseinandersetzung mit Literatur aus diesen Regionen gewinnen? Im Zentrum steht für uns immer die Frage, wie Literatur inspirieren und Visionen für die Zukunft liefern kann, gerade angesichts schmerzhafter Erfahrungen wie die, die Menschen seit dem schweren Erdbeben in Haiti machen. Außerdem können wir über Romane und Gedichte aus diesen Regionen viel tiefer in die Lebenswirklichkeit der Menschen eintauchen. In Südafrika entstehen zum Beispiel unglaublich viele Kriminalromane, die Einblick in Korruption und Rassismus geben. Vergangenes Jahr haben wir uns mit China und Russland auseinandergesetzt, spannende Zusammenhänge entdeckt und auch Erkenntnisse über uns selbst gewonnen. Wir im Westen neigen zu einer sehr naiven Sicht auf diese Regionen. Wir denken, mit ein bisschen philanthropischer Unterstützung leisten wir einen tollen Beitrag. Solche Sicht- und Denkweisen wollen wir ändern. Judith Butler moderiert ein Panel zu palästinensischer Literatur. Welche Rolle spielt Literatur im Nahost-Konflikt? Auch hier ist die wichtigste Aufgabe von Literatur, zu inspirieren. Aber sie spiegelt auch das Hier und Jetzt. Mit dem Blick auf die besetzten Palästinenser-Gebiete aus Künstlersicht erfahren wir aus erster Hand mehr über die Krise. Für die Autoren ist es unmöglich, nicht politisch zu sein. Sobald sie über ihr Leben und ihre Arbeit sprechen, wird es politisch. Man kann nicht über wilde Blumen auf einer Wiese schreiben, wenn
Jakab Orsos, Direktor des PEN World Voices Festivals of International Literature, Foto: Beowulf Sheehan
auf dieser Wiese Menschen umgebracht werden. Man muss schreiben, dass Menschen auf einer Wiese mit wunderschönen wilden Blumen umgebracht werden. Das wird ganz automatisch zur Geschichte, denn es ist ja die Geschichte des Lebens dieser Autoren. Kunst wurde in den vergangenen Jahren aber fast überall stark politisiert. Künstler spielen heute auch eine wichtige Rolle auf der politischen Bühne.
Das World Voices Festival findet vom 29. April bis zum 5. Mai 2013 in New York City statt. Teilnehmer: Paul Auster, Judith Butler, Eduardo Galeano, Joy Harjo, Aleksandar Hemon, Jamaica Kincaid, Ursula Krechel, Fran Lebowitz, Claudio Magris, Pierre Michon, Téa Obreht, Salman Rushdie, Sapphire, Charles Simic, Naomi Wolf und viele mehr.
Die Politisierung der Kunst ist aus ihrer Sicht also ein universales zeitgenössisches Phänomen? Ja. Es gibt immer mehr Missstände in der Politik, viele Krisen haben sich in der jüngeren Vergangenheit zugespitzt. Politik ist heute weitgehend desaströs. Künstler reagieren darauf und das müssen sie auch. Denn Kunst ist nur relevant, wenn sie sich mit diesen Problemen auseinandersetzt. Für das „Invisible Symposium“ haben Sie ein paar der wichtigsten Künstler und Philosophen, etwa Ai Weiwei, Julia Kristeva und Chantal Mouffe, um ihre Meinung zum Stand der Demokratie gebeten. Was ist das für ein Projekt? Es ist ein experimentelles Projekt, das so ähnlich schon einmal von einer ungarischen Bewegung umgesetzt wurde. 1947, also noch bevor die Sowjetunion Ungarn ganz im Griff hatte, riefen einige Künstler Kollegen, Philosophen und Autoren dazu auf, Fragen zur Beziehung von Politik und Kunst schriftlich zu beantworten. Diese Idee haben wir aufgegriffen und 16 Intellektuellen und Künstlern auf der ganzen Welt Fragen zum
PEN World Voices Festivals of International Literature
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Kultur / Literatur
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Im Nachgang zur Leipziger Buchmesse sprachen unsere Autoren Sabine Weier und Ralph Diesel mit dem Autor Hans Belting, dem Übersetzer Alexander Nitzberg und stellen die Lieblinge der Jury vor.
LESESTOFF FÜRS GANZE JAHR
Sachbuch / Essayistik von Sabine Weier Tabu-Morde in Nazideutschland, Nachkriegsliteratur, die erste Kulturgeschichte des Gesichts, ein anthropologischer Blick auf die Art, wie wir Menschen gehen, nämlich aufrecht, und ein Versuch, die Krise zu verstehen: Die Themen der nominierten Sachbücher für den Preis der Leipziger Buchmesse lasen sich als abwechslungsreiche Liste. Die der Autoren war weniger bunt, vertreten war fast ausschließlich die graue Eminenz der deutschen Geisteswissenschaft. Ein wenig aus der Reihe tanzte lediglich Literaturkritiker Helmut Böttiger, der mit 57 Jahren mit Abstand der Jüngste unter den nominierten Männern war – bei der Preisverleihung im März wurde er dann auch gekrönt. In der Kategorie Belletristik hingegen hatte die Nominierung zweier ganz junger Autorinnen überrascht. Ob die Jury hier alte Klischees bediente oder die Leipziger Shortlist Symptom der Auswahlkriterien deutscher Verlage war, sei dahin gestellt. Hier soll es um Inhalte gehen. Und die sind so divers wie interessant. Mit den Euthanasiemorden im Dritten Reich schlägt Politik- und Geschichtswissenschaftler Götz Aly ein tabuisiertes Kapitel der deutschen Geschichte auf. Die Nazis brachten 200.000 als psychisch krank geltende Deutsche um. Nur wenige der Angehörigen retteten die Opfer aus den Anstalten vor dem Tod, obwohl das möglich war. Warum? Aly befragt Betroffene, wühlt gut gehütete Familiengeheimnisse auf und stößt auf erschreckende Rechtfertigungen. Doch der Autor malt nicht schwarzweiß. Es gehe nicht um die SS-Schergen auf der einen und die Opfer auf der anderen Seite, sagte er im März bei der Vorstellung der nominierten Sachbücher im Roten Salon der Volksbühne in Berlin. Es gehe um das breite Feld dazwischen, um Menschen, die zermürbt vom Krieg waren. Und schließlich sei da noch, was sich keiner zu sagen traue: Kinder, Eltern, Brüder oder Schwestern mit Behinderung können zur Last werden. Aly hat selbst eine behinderte Tochter. Eine schwer vorstellbare Belastung sei das, es gebe plötzlich Todeswünsche, wenn das Kind hohes Fieber habe. Daran, dass der Massenmord an behinderten Menschen in Nazideutschland ein schreckliches Verbrechen war, lässt er keine Zweifel aufkommen. Doch Aly wagt den Blick auf Angehörige als die Belasteten und bahnt sich so einen Weg durch tabuisiertes Gebiet. In die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg und in eine literarische Epoche nimmt uns Preisträger Helmut Böttiger in seinem Buch über die Gruppe 47 mit. Sie definierte sich weniger über einen Stil als über ein Ritual: Ein Autor las in der Gruppe einen Text vor und musste sich der Kritik stellen. Dabei hatte er die Klappe zu halten. Fast ironisch mutet es an, dass der deutsche Literaturbetrieb mit der konstitutiven Rolle des Berufskritikers in diesem Ritual wurzelt. Ein weltweit einzigartiges Phänomen sei das, erklärte Böttiger im Roten Salon. Marcel Reich-Ranicki ist einer von diesen Kritikern, deren Karrieren sich in der Gruppe 47 formten. Die Klappe hielten die Autoren nicht für immer, Martin Walser rechnete 2002 in seinem Roman „Tod eines Kritikers“ auf Schriftstellerart mit dem übermächtigen Reich-Ranicki ab. Bei den Treffen der Autoren ging es vor allem um die Frage, wie denn eine neue deutsche Literatur aussehen könne. Nach 1945 ist das auch eine politische Frage. Die Gruppe 47 sei ein erheblicher Teil
des Demokratisierungsprozesses der jungen BRD gewesen, sagte Böttiger, sie habe sich im Adenauerstaat zur Opposition entwickelt. Die Autoren selbst seien unbedeutend gewesen, hätten im etablierten Literaturbetrieb nicht Fuß fassen können. Erst mit Günter Grass’ Roman „Die Blechtrommel“, den er bei einem der Treffen in den späten 1950ern vorstellt, sei der Befreiungsschlag gekommen. Die Gruppe 47 hatte ihre Sprache gefunden. Verleger strömten ab jetzt zu den Treffen, die Erfolgsgeschichte begann. Die Erfolgsgeschichte des Menschen beginnt mehrere Zeitalter früher: mit dem aufrechten Gang. Philosoph Kurt Bayertz erkundet das menschliche Alleinstellungsmerkmal in einem Streifzug durch zweieinhalbtausend Jahre Geistesgeschichte und zieht Denker wie Plato, Petrarca, Calvin, Montaigne, Rousseau, La Mettrie, Baudelaire oder Schopenhauer heran, um das anthropozentrische Motiv, das wie kein anderes das Selbstbild des Menschen prägt, unter die Lupe zu nehmen. Über zehn Jahre hat es gedauert, den Stoff für dieses umfassende Projekt zusammenzutragen. Seinen Ausgangspunkt nimmt Bayertz bei Ovid. Zu Beginn seiner „Metamorphosen“ reproduziert dieser den Schöpfungsmythos der Antike, in dem Prometheus nach dem Vorbild der Götter die Erde und alle Wesen formt und nur dem Menschen ermöglicht, „sein Gesicht stolz zu den Sternen zu erheben“. Stolz, ja überheblich hat der aufrechte Gang den Menschen gemacht, ihm das vermeintliche Recht zugewiesen, die Erde zu unterjochen. Da ist man versucht, die Volkskrankheit Rückenleiden als Strafe zu verstehen. Noch zu erforschen ist, wie der aufrechte Gang den krisengeschüttelten „demokratischen Kapitalismus“ prägt, wie der Soziologe Wolfgang Streeck das in der westlichen Welt verbreitete Wirtschaftssystem nennt. Um die gegenwärtige Krise zu verstehen, müsse man sie nicht als Ereignis, sondern als Epochenstruktur begreifen, erklärte Streeck in Berlin. Und die Epoche falle klar mit der Demokratisierung Europas nach dem Zweiten Weltkrieg zusammen. Die Krise könne man nicht isoliert begreifen, so die These, denn sie sei eine Folge der neoliberalen Transformationen der vergangenen Jahrzehnte. Was in den 1970er Jahren noch wunderbar zu funktionieren schien, fing mit dem Aufbau der Staatsschulden in den 1980er Jahren an zu wackeln und spitzte sich mit der zunehmenden Privatverschuldung in den 1990er Jahren schließlich zu. Es habe sich nur um gekaufte Zeit gehandelt. Das Ergebnis sei eine Krise neuen Typs, mahnte Streeck, „für jeden Kopf, den wir der Hydra abschlagen, wachsen zwei nach.“ Als Soziologe begreife er die Ökonomie als Handlungssystem. Damit sei es aber leider auch unvorhersehbar. Ob wir also auf zwei Beinen den Weg aus der Krise finden, bleibt abzuwarten. Bis wir wirklich mehr wissen, können wir die Leipziger Shortlist sicher in aller Ruhe abarbeiten.
Belletristik von Ralph Diesel Die Jury tat diesmal einen Reigen zwischenmenschlicher Beziehungen auf. Willem, der Held aus dem Roman „Kronhardt“, wächst im Kapitalismus auf, Mutter und Stiefvater unterhalten eine Maschinenstickerei in Bremen. Er hält gegen deren Werte und zieht blank mit dem System: Wald und Drogen. Als das ‚andere‘ System zusammenbricht, steht die Tür zu seiner Vergangenheit offen: er entdeckt das Leben seines
leiblichen Vaters, der ermordet wurde. Die „Brüder & Schwestern“ im nächsten Roman wachsen im ‚anderen‘ System auf, Vater ist Direktor einer SED-Druckerei. Alle ungleich in Charakter und Überzeugung, sucht jeder sein individuelles Durchkommen im Sozialismus. Aus wie viel verschiedenen Leben das Leben sich zusammensetzt, zeichnet David Wagner in seinem Roman - eben: „Leben“ - nach. Hier ist der Vater jung, er hat eine versagende Leber, geht der Familie aber nicht verloren, da sich ein Spenderorgan findet. Was sein Leben ausmacht, macht er an den Menschen fest, die ihm begegnen, auch am Unbekannten, dem Spender. Dann die beiden heranwachsenden Mädchen in „Nachhinein“. Sie verbindet eine Freundschaft, die familiären Umstände trennen sie jedoch: hier schön, da schrecklich. Die emotionale Kluft wird stückweise tiefer, das Verhältnis spitzt sich zu. Es eskaliert. Soweit sind alles Familienstücke, alles Individuen, niemand kommt vor dem Anderen davon, schon gar nicht vor sich selber. Alle zutiefst gebunden, alle zutiefst drin im Geschehen. Nur eine ist außen vor: Maria aus dem Roman „Der Winter tut den Fischen gut“. Sie ist das Einzelwesen in diesem Reigen, nimmt kaum mehr teil, ist arbeitslos. Ihr Leben läuft wie ein fremder Mensch an ihr vorbei. Scheinbar ausgesondert ist sie, doch so geraten aus ihrer Perspektive unsere gesellschaftlichen Absonderlichkeiten in den Blick. Eine interessante, eine äußerst verdichtete Auswahl. Steht für sich und bleibt unkommentiert.
Übersetzung Die Übersetzungen holen da schon weiter aus, nicht nur über die Grenzen, sondern auch über die Zeiten hinweg. Und das gleich in mehrfacher Hinsicht: angefangen mit einem Manuskript aus dem Jahr 1234, das nun, zwei Jahre nach seinem Fund, von der Entdeckerin übersetzt vorliegt. 1001 Nacht wird ergänzt durch „101 Nacht“. Das allein ist schon sensationell. Mit der harten Realität geht es weiter: „Der Archipel der Schlaflosigkeit“ umfasst die Diktatur in Portugal Ende 20er bis Mitte 70er Jahre, versinnbildlicht in einem Großgrundbesitzer und seiner Familie. Wahrhaft „gewaltiges“ Spätwerk des portugiesischen Autors. Ezra Pounds Zuspruch zum Faschismus konnte seinem Stellenwert als der lyrische Neuerer nichts abtragen. Unerreichbar, doch in dieser Übersetzung mit dem größtmöglichen Näherungswert, nicht nur in der Sprache, auch im Werkumfang, an den dichterischen Zenit. Eine maßgebliche Arbeit an den „Cantos“. - Zum „Meister & Margarita“ siehe das Interview - . In „Briefsteller“ geht die schreibende Kraft nicht nur über Kulturen, sondern auch über Zeiten und die Geschichte hinweg. Die Briefeschreiberin erhält in der Jetztzeit Russlands Briefe von ihrem Liebhaber aus dem Jahr 1900, vom Boxeraufstand in China. Auch nach seinem Tod noch schicken sie sich Briefe. Ein zeitliches und kulturelles Über-Setzen, dem nur noch die Übersetzung fehlt(e). Die Jury wählte kraftvolle und äußerst dynamische Werke und deren übersetzerische Kulturleistungen aus. Dem gegenüber das belletristische „Deutschlandpaket mit österreichischer Einzelerscheinung“. Glanzvoller Fokus. Lange nicht gehabt. Wirklich lange.
Ausgabe N°30 • April / Mai 2013 • Jahrgang 5 • trafficnewstogo.de
Die Leser sollten sich mehr zutrauen – Sie, nicht die Kritiker, sollten die Bücher beurteilen Alexander Nitzberg erzählt vom jahrelangen Prozess, die Übersetzung eines Buches zu vollenden: Wie es ist, auch wieder von vorne zu beginnen, aber irgendwann eben damit abzuschließen. Er gibt uns einen faszinierenden Einblick in diesen Mikrokosmos, erklärt, warum er, selbst Dichter, nicht leichtfertig an die poetische Freiheit des Übersetzens glaubt. Und, dass weder er noch der Schriftsteller in Trance geraten müssen, um uns Leser in Trance zu versetzen. Eine Reise durch die Zeit von Homer über Bulgakow und Oscar Wilde bis heute, an deren Ende wir uns als Leser mehr zutrauen. Denn in der Theorie lässt sich nahezu alles herleiten, aber schließlich ist jedes Buch, jede Übersetzung eine Welt für sich - nämlich unsere eigene.
von Ralph Diesel Ist eine Übersetzung nicht grundsätzlich zum Scheitern verurteilt? Und wenn, was würden Sie am ehesten sagen, woran Sie gescheitert sind? Und was haben Sie an der vorherigen Übersetzung verbessert? Na ja, mit derselben Berechtigung könnte man behaupten, unser ganzes Leben sei zum Scheitern verurteilt. Das wäre wahrlich kein motivierendes Ziel, um fünf Jahre lang an einer Übersetzung zu arbeiten. Natürlich will ich nicht scheitern, sondern im Gegenteil etwas erschaffen. In einer neuen Sprache. Etwas Bleibendes. Die Tragik ist dabei allerdings, dass Übersetzungen gewöhnlich eine kürzere Lebenszeit haben, als die Originale. Aber gilt das auch wirklich immer? Wie schaut es zum Beispiel aus, wenn die Übersetzung selbst inspiriert und nicht einfach nur eine reine Routine ist? Ich jedenfalls lese Homer viel lieber in der zweihundert Jahre alten Übersetzung von Johann Heinrich Voß, als in einer zeitgenössischen. Sie erscheint mir einfach viel kunstvoller. Und das Alter ihrer Sprache passt zu Homer weit besser, als die Sprache von heute. Doch zurück zu Ihrer Frage: Die Übersetzung ist langsam, prozessmäßig gewachsen. Nach meiner Entscheidung, Bulgakows Roman aus der Sprache der russischen Moderne in die Sprache der deutschen Moderne zu übersetzen, habe ich erst einmal viel experimentiert, um zu erkennen, wie weit ich überhaupt gehen kann. Und je weiter ich kam, umso mutiger wurde ich und musste anschließend die ganze erste Hälfte überarbeiten, um sie an den inzwischen erprobten Stil anzupassen. Vielleicht hätte der Text noch eine oder zwei solcher Schichten benötigt? Wer weiß? Vielleicht würden dann die besonders dramatischen Stellen noch kühner klingen? Vielleicht auch nicht. Nach zwei oder drei weiteren Jahren. Doch so lässt sich ein Werk auch zu Tode übersetzen. Dann ist es doch gut, anzuhalten und sich zu sagen: Ich habe alles gegeben, was zu geben ich in der Lage war. Im Übrigen verbessere ich nur sehr selten alte Übersetzungen. Wenn ich mit ihnen unzufrieden bin und neue Möglichkeiten sehe, die mir damals verborgen blieben, dann übersetze ich die Werke lieber neu. Doch manche empfinde ich als vollendet, zum Beispiel meine Übersetzungen der Sonette von Edmund Spenser. Da möchte ich nicht eine Silbe daran verändern. Auch in zwanzig Jahren nicht. Haben Sie vielleicht wegen einiger Stellen dem Autor gegenüber ein schlechtes Gewissen? Welche eventuell unumgänglichen Lücken im Übersetzen sehen sie als tragisch an? Warum fragen wir nicht einmal umgekehrt den Autor: Ob er nicht wegen einiger Stellen ein schlechtes Gewissen dem Übersetzer gegenüber hat? Denn M&M ist kein wirklich abgeschlossenes Werk, es hat sehr viele Unebenheiten und, wie ich meine, nicht nur bewusste. Der Übersetzer, der tief in den Text eindringt, bemerkt sie viel eher als der Leser und muss mit ihnen verzweifelt ringen. Das Tragische sind nicht so sehr die unumgänglichen Lücken, als vielmehr das manchmal unumgängliche Füllen dieser Lücken. Was achten Sie am meisten – an Bulgakow sowie an M&M? Seine nicht nachlassende Energie. Er ist immer sprungbereit, niemals lauwarm. Seine Sprache ist nie gefällig. Das fordert heraus, das verlangt geradezu nach einer Konfrontation, einem Kräftemessen. Ich hasse das von den Feuilletonisten mit Anhauch ausgesprochene Wort »einfühlsam übersetzt«. An-
gesichts der Bulgakowschen Sprache klingt das beinahe wie blanker Hohn. Denn hier darf richtig zugepackt werden. Es ist ein Kampf mit harten Bandagen. Keine philologischen Streicheleinheiten. Und aus dieser widerborstigen Sprache gelingt es Bulgakow mit diesem Roman, eine eigene Welt entstehen zu lassen. Einen Kosmos. Etwas, wo man bis heute ausländische Touristen hindurchführt und ihnen erklärt: Hier hat Margarita gewohnt, dort ist Berlioz überfahren worden. Gut schreiben können viele, aber einen lebenden Mythos erschaffen...
Kultur / Literatur
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Gesicht schlägt Cyberface Mit Faces legt Hans Belting die erste Kulturgeschichte des Gesichts vor, damit war er für den Preis der Leipziger Buchmesse 2013 nominiert. Wir sprachen mit dem Kunsthistoriker über Close-ups, Pop-Porträts und Cyberfaces.
von Sabine Weier Ihr „vorläufig abgeschlossenes“ Lektorat, wie stark arbeitet das noch in Ihnen? Ich habe, wie bereits gesagt, irgendwann einen Punkt gesetzt. Ich halte nichts von Werken, die nie zu einem Ende kommen. Das ist ungesund. Erst wenn etwas fertig ist, wird es überhaupt als Ganzes erkennbar, bekommt es überhaupt eine Form. Ich betrachte die Übersetzung also als abgeschlossen und kann seitdem wieder ruhig schlafen. Es sei denn, ich arbeite an etwas Neuem. Wenn ich mich verständlich ausdrücke: Trieb die Arbeit an der Übersetzung Sie eher aus dem Schlaf oder transportierte sie Sie eher aus der Realität? Anders gefragt: Wie viel Mühe kostete es Sie, die Fäden in der Hand zu halten? Ein Schriftsteller und auch ein Übersetzer müssen nicht selbst in Trance geraten, um Trance literarisch darzustellen. Sie müssen jedoch die Kunstgriffe beherrschen, um den Leser in Trance versetzen zu können. Ich war also beim Arbeiten durchaus hellwach. Manchmal fast schon zu wach. Die Diskussion um Übersetzungen ist eine unter Spezialisten – Sehen Sie das auch so? Die Leser sollten sich mehr zutrauen. Sie, nicht die Kritiker, sollten die Bücher beurteilen. Dazu müssen sie auch nicht unbedingt die Ausgangssprache kennen. Mit etwas Fingerspitzengefühl sind sie in der Lage, sehr viel mehr zu bemerken, als sie ahnen. Oscar Wilde sagte einmal: »Ich kann alles beweisen!« Auch ein Spezialist kann das. Für jede noch so abwegige übersetzerische Entscheidung lassen sich auf der Ebene der Theorie die passenden Argumente finden. Wenn es den Konjunktiv nicht gibt im Russischen, kann er im Deutschen nicht eine Entsprechung eines Duktus‘ sein? Natürlich verwende ich in meiner Übersetzung auch den Konjunktiv. Zum Beispiel, wenn Woland spricht, der sich ja meistens vornehm auszudrücken pflegt. Nur in der indirekten Rede wirkt er aus meiner Sicht problematisch. Weil die entsprechenden Sätze auf Russisch eben überhaupt nicht indirekt klingen. Der Konjunktiv würde dort eine wesentlich größere Distanz schaffen, als es vom Autor intendiert ist. Bei der Übersetzung eines Romans aus dem 19. Jahrhundert würde ich an solchen Stellen aus Gründen der Korrektheit vermutlich den Konjunktiv benutzen. Aber die Moderne arbeitet gerne mit viel größerer Unmittelbarkeit und besitzt zahlreiche Techniken, um sie zu erzeugen, mithin zu erzwingen. Wo haben Sie sich mehr poetische Freiheit herausgenommen, bei M&M, Daniil Charms, den Futuristen oder vielleicht bei, wie es in der neuen Übersetzung heißt, „Das hündische Herz“? Ich glaube nicht an die poetische Freiheit in diesem Sinne. Poesie bedeutet auch immer Bindung. Was dem flüchtig Lesenden als Freiheit erscheint, ist oft das Resultat eines harten Kampfes. Eines Ringens um den treffenden Ausdruck. Nichts wäre einfacher, als den Text einfach Wort für Wort zu übersetzen. Doch genau das wäre vermutlich die größte Entstellung des Originals. Der Sinn fließt hinter und zwischen den Wörtern. Ihn herauszufinden und wiederzugeben, ist die Mühe des Übersetzers. Dieses Ringen verlief in meiner Arbeit oft auf ganz unterschiedliche Weise, unter jeweils neuen Prämissen. Manches wirkt freier, anderes strenger. Aber meistens trügt der Schein. Hinter jeder Lösung steckt ja doch ein Kalkül. Die literaturhistorische Relevanz ist unbestritten. In welchen Punkten sehen Sie M&M heute als relevant? Wir haben uns angewöhnt, alle Diktaturen und Ideologien stets wertend zu betrachten. Und merken oft nicht, dass diese Wertung selbst ideologisch-diktatorisch ist. Im Roman verhält es sich sehr viel komplexer. Die Kategorien von Gut und Böse laufen ineinander, wechseln die Seiten, sind auf seltsame Weise diffus. Das Buch wird zu voreilig als Satire bezeichnet, was uns die tröstende Möglichkeit gibt, uns selber als die Guten darin zu sehen, welche über die Bösen lachen. Doch vielleicht ist es ja genau umgekehrt? Vielleicht sind wir es, die verlacht werden?
Ob gemalt, geschnitzt oder in Stein gehauen: Gesichter wirken. Warum sind wir so von uns selbst fasziniert? Uns ziehen vor allem die Gesichter der anderen in den Bann. Erst durch den Blicktausch nehmen wir auch unser Gesicht wahr. Was uns fasziniert, ist im Grunde also unser Selbst im Gesicht des Gegenübers. Das ist auch Thema in Ingmar Bergmans „Persona“. Einige Schlüsselszenen daraus analysieren Sie im Kapitel zum Kino. In Close-ups entfalten Gesichter ihre größte Wirkung. Oder ist das ein Mythos? Zumindest für die Moderne scheint das Kino das naheliegendste Beispiel für eine Kulturgeschichte des Gesichts zu sein. Die Geschichte des Kinogesichts ist von gegenläufigen Entwicklungen geprägt. Sergei Eisenstein etwa hat einen drastischen Kurswechsel unternommen, als er in Filmen wie „Panzerkreuzer Potemkin“ Hollywood-Stargesichtern mit dem kollektiven, anonymen Gesicht der Arbeiter- und Bauernwelt frontal widersprach. In Bergmans „Persona“ ist das Gesicht nicht nur Motiv, sondern Thema. Der Dialog zwischen den beiden Frauen ist sehr ungleich. Eine ist stumm, und die andere versucht, sie zum sprechen zu bringen. Sie scheitert schließlich am mimisch überlegenen stummen Gesicht. „Persona“ ist übrigens ein Begriff aus dem antiken griechischen Theater und bezeichnet die Maske, die Schauspieler trugen. Der Bezug zur Maske ist zentral für Ihre Geschichte des Gesichts. Ich wollte ein Klischee beseitigen, nämlich dass Gesichter wahr sind und Masken falsch. Das ist eine kulturell eingeübte Differenz. Das Gesicht selbst wird immer wieder zur Maske und kann sich verstellen, wie eben das des Schauspielers. Dekonstruiert der Maler Francis Bacon dieses Klischee, wenn er Gesichter auf seinen Bildern regelrecht mit dem Pinsel zerstört? Francis Bacon geht davon aus, dass jedes abgebildete Gesicht ein stillgelegtes ist, also eine Maske. Er versucht, es zu entfesseln, ihm Schreie zu entlocken. Er will das Leben zeigen, das dem Abbild fehlt, das nur dem Gesicht selber zukommt. Sie schreiben, die europäische Kultur habe im neuzeitlichen Porträt eine Maske erfunden, die im Kulturvergleich einzigartig ist. Wie lässt sich das verstehen? Im Gegensatz zu anderen Kulturen haben sich die Europäer nach der Antike weitgehend von der Maske verabschiedet. Die Porträts der frühen Neuzeit sind eine typisch europäische Erfindung. Sie ermöglichen eine besondere Form der Selbstinszenierung, sind im Prinzip also gesellschaftliche Rollenmasken. Sie haben sich auch mit dem Gesicht von Mao Tse-tung beschäftigt. Es wurde millionenfach gedruckt, Andy Warhol hat es zur Popikone stilisiert. Welche Erkenntnisse haben Sie gewonnen? Für mich war es überraschend zu sehen, wie genau die Staatsikone Chinas und das Popidol Andy Warhols mit dem gleichen Gesicht genaue Abbilder ihrer jeweiligen Gesellschaften sind, einmal Abbild der parteibeherrschten Volksrepublik China und einmal Abbild der Warenwelt des Kapitalismus, die Warhol in seinen bunten Mediengesichtern spiegelt. Im Epilog setzen Sie sich mit dem Cyberface auseinander. Dieses Gesicht sei nur noch Bild, nicht mehr Abbild, schreiben Sie. Ist das bei Ikonen, also den Heiligenbildern, die sie an anderer Stelle anführen, nicht ähnlich? Die Ikone sollte ein Abbild von etwas sein, das die Gläubigen nicht oder noch nicht sehen können. Denken Sie an das Leichentuch von Turin, das ist eine Art Fotografie lange vor ihrer Erfindung. Die Forderung nach Ähnlichkeit war also da, das wurde auf das bürgerliche Porträt übertragen. Beim Cyberface fehlt jede Referenz, es kann frei komponiert werden. Wird das Gesicht mit zunehmender Digitalisierung an Bedeutung verlieren? Ich glaube, dass es wesentlich an Bedeutung gewinnen wird. Wenn so viele Cyberfaces im Umlauf sind, wird das Verlangen nach echten Gesichtern wieder größer.
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Mode
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As Time Goes By von Elçin Aiser
DIVORZIO ALL'ITALIANA CLUTCH Parisian designer Olympia Le Tan makes embroidered book bags that are de jour for every fashionable bookworm about town. Although, 'Divorce Italian Style' is actually a film, a comedy about a married Sicilian Baron in love with his cousin and plotting a crime of passion to do away with his wife; very chic nonetheless. 625.00 Euro from www.olympialetan.com
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Carhartt leder Gürtel über Frontline Shop, Hose Mustang Jeans Scabal Strickjacke, Vans Bootfahren Schuhe
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jähriges Jubiläum MYKITA 'BRANDON' GLASSES My Dad always told me to marry someone quiet and boring; Colonal Brandon is no charismatic Mr. Darcy but ever calm and practical he gets the girl in the end, and yes I do realise I'm mixing my Jane Austen novels here, but periodic romance fiction is not really my cup of tea. 389 Euro from www.mykita.com
The Pen BAND RING WITH RULER ENGRAVING If rules are made to be broken, then as a rule we should do our best. Rule-istically this rhodiated silver ring from MFP MAN and is less suited to literary types as it is to mathematical ones, but I am featuring it anyway AND making up words in the literary issue. Rule-y baddass. £135 from www.mariafrancescapepe.com
To-Go Boutique Literary looks by M illicent Bystander
AL CORO Ohrringe Love & Peace, Diesel Black Gold Jacke, Hermés Frühling Schal ic! Berlin Lundi Sonnenbrille, TODs Fahren Schuhe, Hose See by Chloe
40 Jähriges Jubiläum Blazer von McNeal, Krawatte und Schuhe von Tommy Hilfiger The Design Hotel Book, Weekender von Aigner, Hose von Pepe jeans
20
jähriges Jubiläum Armreifen von Gucci, Brille von Jimmy Choo Hose und Shirt von Filippa-K, Olympia Le-Tan Clutch „Moby Dick“
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Mode
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Wenn im Juli wieder die Berliner Fashion Week brummt, setzen vor allem die Bread & Butter und die Premium die Streetwear Trends fürs kommende Jahr. Was wir jetzt schon sagen können: Jeans regiert noch immer die Modewelt, und ist der Stoff, der schon so einigen Marken zu langjährigem Erfolg verholfen hat. Selbst Labels, die eher auf teure It-Bags setzen, können nicht mehr ohne. Wie die Zeit vergeht... irgendwer hat immer Geburtstag, aber nicht jeder einen runden. 20, 40, 60, 80 - wir wünschen schon mal Vieren alles Gute!
MUSTANG ist ein urdeutsches Unternehmen, was Meilensteine in der Denimgeschichte gesetzt hat. Ausschlaggebend war der feuchtfröhliche Tausch von 6 Flaschen Schnaps gegen 6 original US-Jeans. Diese verhalfen der Marke zur Entwicklung der ersten europäischen Damenjeans, Cordhose und sogar weltweit ersten Stretchjeans. Chapeau! Trotz seiner deutschen Herkunft symbolisiert Mustang nach wie vor den "American Way of Life" und setzt auf ehrliche Denim-Philosophie mit Schlagwörtern wie Freiheit, Natürlichkeit, Kraft, Sex-Appeal und Unabhängigkeit. Hauptinspirationsquelle sind urbane Cowboys und Rock 'n' Roll. Musik hat für das Traditionsunternehmen schon immer eine große Rolle gespielt. Angefangen mit einem eigenen Plattenlabel namens Jupiter Records Ende der 70er sowie Sponsoring vieler namenhaften Bands, Festivals und TV Music Channels.
BARACUTA ist eine Textilfabrik aus Manchester, denen es gelungen ist, den meistkopierten Klassiker der Modegeschichte zu kreieren und den Look von Stilikonen wie Steve McQueen, Elvis Presley und Frank Sinatra zu prägen: Ein schlichter Blouson namens G9 oder auch Harringtonjacke genannt. Bereits 1937 in Manchester geboren, gehört die Jacke zum wichtigsten Bestandteil der britischen Subkultur. Genau dies zeigt die aktuelle Werbekampagne namens „SYNONYMOUS & ANTONYMS“, die völlig gegensätzliche Charaktäre wie z.B. Punks, Mods oder Nerds mit ihrer persönlichen und heiß geliebten Harringtonjacke präsentiert.
Chloè wurde 1952 von einer jungen Dame namens Gaby Aghion gegründet Gegnerin des strengen Looks der 50er Jahre und von überteuerten Haute Couture Kleidern. Ihr Ziel, eine weibliche Pret-à-porter Kollektion aus weichen, fließenden und hochwertigen Stoffen zu schaffen. Der Erfolg kommt sehr schnell und als der junge Karl Lagergeld 1963 zum Chefdesigner ernannt wird, avanciert das Haus den Modeolymp. Nach knapp 20 Jahren verlässt er leider im Streit das Unternehmen, was der Marke Schaden zufügt. 1997 wird Chloé von Stella McCartney erfolgreich wiederbelebt. Stella trägt Privat am liebsten Jeans integriert auch fast in jede ihrer Kollektionen das robuste Material und zaubert daraus die hippsten Kreationen der Saison. Und für den kleineren Geldbeutel gibt es seit 2001 die erschwinglichere Zweitlinie See by Chloé.
TIMELESS ICON Lady Di verdient nicht nur den Titel "Königin der Herzen" sondern auch "Stilikone der Herzen". Dies würdigt der italienische Verlag Electa in Kooperation mit dem italienischen Luxusunternehmen Tod's mit einem Bildband namens 'Timeless Icon". How comes? In den 90iger Jahren gehörten die 'Gommino Loafers' und die 'D-Bag' von Tod's, im Gegensatz zu Prinz Charles, zu den Lieblingsbegleitern Dianas und begleiteten sie zu ihren wichtigsten Staatsbesuchen und Charity Events. Und dies nicht, weil sie im Vergleich zu der heutigen Prominenz von dem italienischen Label ausgestattet wurde, sondern dafür bekannt war ihrem persönlichen Stil treu zu bleiben. Ein Stil, der bis heute nicht nur von Schwiegertochter Kate nachgeahmt wird.
PEPE JEANS wurde 1973 auf dem hippen Londoner Portobello Market von den aus Indien stammenden Brüdern Shah gegründet. Sie hatten die innovative Idee die klassische Jeans mit ungewöhnlichen Details zu personalisieren und sind somit auf eine begehrte Marktlücke gestoßen. Als dann auch noch einige Jahre später kein geringerer als Modefotograf Bruce Weber für die Werbekampagne engagiert wurde und Models wie Bridget Hall und Kate Moss ablichtet, wuchs unaufhörlich der Bekanntheitsgrad und das 'coole' Image der Marke. Und wer kennt nicht das berühmte schwarz/weiß Kampagnenfoto von Kate Moss in einer Latzhose-übrigens ihr überhaupt erster großer Werbejob. Die Liste der Testimonials ist lang und so manch Celebrity hat seinen Bekanntheitsgrad Pepe Jeans zu verdanken also eine Hand wäscht erfolgreich die andere. Marktstrategie par excellence! Typisch für die in mittlerweile 60 Länder erfolgreich vertretene Denim Brand sind verspielte farbenfrohe Ethno und Vintage Einflüsse. Und was für ein Ritterschlag: Seit 2007 arbeitet Pepe Jeans mit den begehrten Andy Warhol All Over Prints zusammen.
THE DESIGN HOTELS BOOK ANNIVERSARY EDITION anlässlich seines 20. jährigen Jubiläums in elegantem Leineneinband ein weiterer Grund um die Korken knallen zu lassen. Gezeigt werden auf ca. 800 Seiten die weltweit aussergewöhnlichsten Hotels sowie Macher und Architekten, die dahinter stecken und ihre Träume von extravagantem Design in die Realität umsetzten konnten. In detaillierten Einzelportraits in Zusammenarbeit mit internationalen Journalisten und renommierten Fotografen werden mehr als 230 Hotels vorgestellt. Ein inspirierendes Nachschlagewerk voller fantastischer Interior und Corporate Designs. Zusätzliche gibt es bereichernde und spannende Ausblicke auf die Zukunft der Hotel und Luxusbranche. Für besondere Liebhaber gibt es als Erweiterung des Coffee Table Books eine limitierte Edition in XXL-Format mit eigenem Tisch und Stuhl von den finnischen Designermarken Artek und Alvar Aalte.
Filippa K gehört mit Abstand zu den begehrtesten Labels aus Skandinavien. Die Gründerin Filippa Knutsson setzt von der erste Stunde an auf tragbare Mode aus hochwertigen Materialien mit langer Lebensdauer. Sie vereint kontinentalen Geschmack mit schwedischer Stilreinheit. Und das alles auch noch ökologisch korrekt, da sie auf umweltbelastende Chemikalien und Farben verzichtet. Die Jeanshose mit super Passform und hohem Stretchanteil ist ein wichtiges Fundament und eines der ersten Produkte des Hauses. Und trendige Girls mussten in den 90igern mindesten eine knackige Stretchjeans von Filippa K. besitzen. Gott sei Dank Schweden ist nicht mehr nur für Möbeldesign von Ikea bekannt sondern auch für wahnsinnig gute Klamotten.
OLYMPIA LE-TAN's MOBY DICK CLUTCH Die junge französiche Designerin mit britischen und vietnamischen Wurzeln war ursprünglich DJ und Stylistin und Part der berühmten La Clique des Parisers In Lokals Le Baron. Ihre ersten Erfahrungen im Bereich Design sammelte sie bei Chanel und Balmain. Seit 2009 entwirft sie extravagante Taschen und Minaudières indem sie zwei ihrer großen Leidenschaften und Hobbys vereint: Sticken und Literatur sprich sie stickt auf Filz Buchcover von literarischen Klassikern wie unseres Favoriten Melvilles Moby Dick. Ihre Taschen sind alle von Hand gefertigt und dadurch natürlich Unikate. Diese kleinen Kunstwerke waren sogar der Stoff für einen in Cannes erst aufgeführten Kurzfilm von Spike Jonze und Simon Cahn namens 'Mourir Auprès des Tois'.
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English Appendix
Arrogant bastard
INCOMPLETE THOUGHTS… by Adrian Stanley Thomas, New York City With an attempt to find meaning in my latest travails, that being of the relationship variety, I thought it best to look towards a form of expression that can say so much in the fewest amount of words, poetry. Now let me be clear before the story begins, poetry has its place in the galaxy of artistic expression. Perhaps it may be the gravity of the situation regarding my girlfriend and myself. Maybe I should wait a bit before trying to ease my sadness and anger over a breakup. Anyway, we decided to just be friends, so I wanted to process the moment by looking at some poetry to gain perspective. To somehow learn from this experience and become
a better person, so I can teach others how to develop valuable relationships for the future. I may be looking at a career as a counselor at some point? My diatribes every month are very instructive and can surely be quality advice for all of you. Well, because being single is different than having a girlfriend, I wanted guidance. I picked up a book on poems, love poems to be exact. I’m not going to tell you the names of the authors that I read; it really doesn’t matter. My issue with this particular form of expression is that it seems incomplete. In my desire to gain perspective and feel some sort of comfort in my moment of distress, poetry left me wanting more. Does that make sense? Ralph Waldo Emerson, Walt Whitman, Henry Wadsworth Longfellow, I was thinking that I’d be able to extrapolate some insight from
these guys on women. They were not helpful at all. I was hoping to find some poems on why a woman doesn’t understand it when I say “I’ll call you later” that could mean anytime during the day or night. It doesn’t necessarily mean within the hour. I didn’t find any poems on the validity of the male perspective. They were offering words on blossoms, sunsets, and far away mountains that shimmer in the setting sun. How is this going to provide me any kind of help with a woman? I’m dealing with real issues here. I’m right and she’s wrong. It’s very simple. I’m not interested in listening to Iambic Pentameter or trees bristling in the sunlight. I’m looking for ammunition. As you can see, the break-up is not sitting well with me. So now I need to vent and I was hoping that I could find solace in a poem.
I was very wrong. n order to write an Arrogant column, I think that I need to be single. It feels more appropriate. A relationship can make you forget about perspective. I started to sound too soft. As I’ve been looking over my recent columns, I DON’T KNOW WHO THAT IS!!! Who’s been writing those words? Clearly everything that I say is right and there’s just no arguing that point. But unfortunately, during the course of my relationship, I started to write complimentary things about people and the world. This is out of character. It’s not acceptable. Well, all I can say is that I apologize to those of you who had to read all of those articles that were soft. There won’t be any of that anymore. From now on, it’s hard all the way. I’m writing from a viscous point of view. The single life is for the brave.
Eye Witness by Kiki King, London German version on page 8 I used to consider it a point of pride, a specific part of my youthful character I deemed worthy of flaunting: I just didn't do contemporary art. If it was supposed to shock and awe, I was determined to remain decidedly un-awed and unshocked. This was not for lack of exposure. As a junior reporter on several of London's top diary columns I was invited to every gallery opening going. It was the early 2000's and the London art scene was booming. I trekked into deepest Hackney to drink warm vodka out of plastic cups in collective studios, drank much better Champagne in the early halycon days of Hoxtons White Cube and squandered many an evening smoking outside the Saatchi Gallery when it was still in St. John's Wood and in its later home on the South Bank. I attended the Turner Prize press evenings, and whiled away more of the free booze after conspicuously casting an eye in the general direction of the art on display. “They're teaching PR at Goldsmith's, people!” I'd exclaim, waving my cigarette in the face of anyone who tried to tell me that rotting fruit,
dirty beds and jumbles of stacked cubes actually meant anything. I found no meaning, and nothing could beat a good day spent in front of Guernica, wallowing in Rothko red or swimming in the delicate beauty of some good, oldfashioned Millais. The exception was Turner-prize-winning, crossdressing potter Grayson Perry. Somehow, in his garishly-applied make-up and girlish satin flouncy party dress and frilly socks, he seemed to me to be the only real person in the room. And he made actual items you could touch and hold and which were of real beauty. His wife decided she liked me one evening and we went out drinking. That evening, I think it is safe to admit, I withheld my usual eye-rolling ennui of the London contemporary art scene. A decade on, and my views have changed. I have been radicalised by a child. Like any righton, modern parent, I take my children to museums and galleries. I am lucky we live in one of the world's greatest cities for free museums and amazing art, but as any parent will know, there is no way the Impressionists can match a wacky installation in the eyes of a child. The Damien Hirst retrospective at the Tate
Modern in 2012 was my eye-opener. As adults tried not to look aghast at the splayed open corpses, my daughter was mesmerized by the innards. The smell of the rotting bull's head, clustered with flies did not remotely upset her. “Is that blood coming from that animal's head?”she asked, staring intently, in her loud, clear childish voice. I saw an older woman blanche slightly, probably appalled we had brought our daughter to witness this carnage. His huge ashtray filled with stinking cigarette butts rendered her indignant;“We have to take a photo and send it to Ivan. It's horrible.”Ivan, her beloved uncle, smokes, a dilemma which confounds our daughter who loyally follows her mother's dictat that smoking is “disgusting”. She was transfixed by the bejeweled skulls and cases of shiny pills. For weeks afterwards her drawings were of patterns of colourful butterflies, meticulously repeated across any surface available. She was in awe, and I was drawn in along with her. I saw his work without the careful cynicism I had worked so hard to construct throughout my twenties. To see wonder and enchantment through the eyes of a child is both inspiring and liberating. I have removed these intellectual
shackles, this character trait I thought made me different, quirky and irreverent. I am free to just enjoy the art around me again. An exhibition of contemporary Chinese art at the Hayward Gallery still sets Maya's imagination on fire. “They burned books in China once,”she'll tell you solemnly. “I saw some. I look after my books.” This in reference to a pile of ash in the centre of a room, symbolic of the book-burning of Tiananmen Square. “When you mix red and blue, you get purple– even if it is light in a room,”she'll say. This was after a morning spent racing through an installation by Venezuelan artist Carlos Cruz Diez, part of the fantastically popular Light Show, still showing at the Hayward Gallery till May this year. His three perfectly white rooms, each bathed in green, blue and red light had children– and their parents–in raptures. So if, like me, you prefer your art old, involving paint and canvas and usually a great universal, revolutionary theme; grab a kid. Take a child unsullied by influence and opinion and education and head for your nearest contemporary art show. And watch imaginations spark. It might even be yours.
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artek.fi
Alvar Aalto, 1933