TRAFFIC News to go #1

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AUSGABE 1

DEZEMBER 2009

JAHRGANG 01

NEWS TO GO

WHAT ARE YOU PLANNING TO DO TODAY TO MAKE THE WORLD A BETTER PLACE OR AT LEAST MAKE IT WORTHWHILE TO HANG IN THERE A BIT LONGER ?

ZEITGESCHEHEN

GESELLSCHAFT

06 JUNG UND LEIDER HARMLOS: UNSER ZWITSCHERNDER POLITIKERNACHWUCHS 08 DUBAI: LICHT AUS, STECKER RAUS – DAS ENDE EINER UTOPIE

KUNST

16 NICHT OHNE MEINE MUT TER. DIE BILDER DER ISABELLE GRAEFF

FIK TION

SPORT

26 ARAB DRIFTING

DAS WET TER

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12 DANIEL RICHTER ÜBER RECHTHABER, REVOLUTION UND ROMANTIK 15 K ASPERLE, DAS KROKODIL! DER AMERIK ANER RALPH MARTIN UND DIE DEUTSCHEN

ST YLE

32 LILY COLE ÜBER IHREN ERSTEN RICHTIGEN FILM 38 HOLLY-WHAT DER CELEBRITY-KNIGGE

ENGLISH TRANSL ATIONS 44 THE FALL OF A 7-STAR BABYLON. WRONG LIFE CANNOT BE LIVED RIGHTLY IN DUBAI 44 WATCH OUT FOR THE CROCODILE! THE AMERICAN WRITER RALPH MARTIN AND THE GERMANS

42 WEIHNACHTEN HOCH DREI BEI HELMUT KRAUSSER

40 KULTURNEWS

SCHAU MICH AN

DUBAI SPEED, DANIEL RICHTER, ISABELLE GRAEFF, LILY COLE, HELMUT KRAUSSER



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JAHRGANG 01 DEZEMBER 2009

Der Nachtsicht-Assistent von Mercedes-Benz. Mehr Informationen unter www.mercedes-benz.de

Mehr sehen, als die Scheinwerfer zeigen.

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TRUST NOBODY. YOU HAVE TO GET EVERYTHING ON PAPER.


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CONTRIBUTORS

JAHRGANG 01

Silke Hohmann, geboren 1972 in Frankfurt a. M. Studium Kommunikationsdesign in Würzburg, arbeitete für Fachmagazine und Tageszeitungen (die form, Frankfurter Rundschau, Frankfurter Allgemeine Zeitung, F.A.S.) in den Bereichen Architektur, Mode, Design und vor allem Kunst. Derzeit Redakteurin bei Monopol in Berlin. Ihr Schwerpunkt hier ist das Vorstellen junger Talente, aber auch die Faszination von alten Helden im Hintergrund, die erst spät von einem größeren Publikum entdeckt werden.

Andreas Rosenfelder, Jahrgang 1975, studierte in Köln Germanistik, Philosophie und Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft. Seit 2001 ist er Autor im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der F.A.S., er schreibt vor allem über Themen aus der Grauzone zwischen Theorie und Alltag. Von 2007 bis 2009 arbeitete er als Kulturreporter bei Vanity Fair in Berlin, 2008 erschien sein Buch „Digitale Paradiese“ im Verlag Kiepenheuer & Witsch.

Lydia Harder, 1982 in Apolda geboren, wuchs als Pfarrerstochter in sieben verschiedenen Orten in Thüringen und Sachsen-Anhalt auf. Sie studierte an der Universität der Künste in Berlin Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation, im Nebenfach Politologie und Soziologie. Seit 2005 arbeitet sie als Autorin für das Nachrichtenportal des Bundestags. Sie machte Praktika beim SPIEGEL in Hamburg und Jerusalem, bereiste den Nahen Osten und schreibt seit 2009 für den Politikteil der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der F.A.S.

Ralph Martin, geboren 1970 in Granville, Ohio, schreibt für mehrere amerikanische Zeitungen, darunter die New York Times und Gentelman’s Quarterly. 2003 zog er der Liebe wegen nach Deutschland, wie auch in seinem kürzlich bei Dumont erschienenen Buch „Ein Amerikaner in Berlin“ nachzulesen ist. Für Traffic schrieb er seine Erlebnisse als miserabel Deutsch sprechender Kasperle bei der Kita-Weihnachtsaufführung seiner kleinenTochter auf.

TRAFFIC NEWS TO-GO “Constituting a new read”

TNTG UG Torstraße 223 D -10115 Berlin http://trafficnewstogo.de

VERLEGER Jacques C. Stephens Co-VERLEGER Murat Suner CHEFREDAKTEURIN Ophelia Abeler DESIGN Doublestandards 8-PAGE-EDITOR Bruce Hamilton BILDREDAKTION Ivan Cottrell SCHLUSSREDAKTION Carlina Rossée

MITARBEITER DIESER AUSGABE Johannes Bonke, Alex de Brabant, Jan Friese, Henriette Gallus, Julie Gorkow, Lydia Harder, Silke Hohmann, Jan Joswig, Jost Kaiser, Michael Ladner, Ralph Martin, Dirk Peitz, Danijela Pilic, Chris Rehberger, Benedikt Reichenbach, Peter Richter, Andreas Rosenfelder, Tex Rubinowitz, Merten Sansovino, Uta Schwarz, Jörg Sundermeier, Christian Tjaben, Elvira Veselinovic, Andreas Vitt

Cover Foto: Alex de Brabant/COLORSTORM

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ZEITGESCHEHEN

AUSGABE 1

SIND SIE NICHT SÜSS D

as ödeste Genre dieses Jahres waren Berichte über Jungpolitiker, das Staunen über die „Nesthäkchen unter der Kuppel“. Zwar verjüngt sich die deutsche Politik schon seit Jahren. Aber so viele Berufsjugendliche wie in dieser Legislaturperiode gab es im Bundestag noch nie. Soviel elterlichen Stolz der Medien erst recht nicht. Es reicht schon aus, daß die neue Generation von Parteirekruten auf dem Diensthandy twittert, um sie zu „jungen Wilden“ zu erklären. Die Leitartikler suchen in den geschliffenen Lebensläufen verzweifelt nach Aufregendem. Bei der Anfang Dezember vereidigten Bundesfamilienministerin Kristina Köhler war das zum Beispiel ein Praktikum im Regionalteil einer Zeitung. Abenteuerlich. Oder es wird eine Äußerung aus der Abizeitung wiedergekäut: Köhler möchte die erste Frau sein, die Ehe, Kinder und Karriere unter einen Hut bringt. Herausragend. Die Grünen schicken inzwischen schon ihre Piercingbrigade vor. „Ein rothaariger Wildfang mit Ring in der Lippe“, heißt es bewundernd über eine Agnes Malczak, 24. Ihre erste Rede im Bundestag glich einem Schülervortrag, sie wurde hinterher sogar von Vizepräsidentin Petra Pau gelobt, weil sie nicht überzogen hat.

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EBEN NOCH SCHÜLERSPRECHER, JETZT SCHON VOLKSVERTRETER: POLITIKER UM DIE DREISSIG SIND DIE NEUEN STARS DER REPUBLIK. WER EIN GUTES SCHLAFMITTEL SUCHT, SOLLTE IHRE LEBENSLÄUFE LESEN.

VON LYDIA HARDER

Doch nirgendwo ist Jugend so ewig wie bei der FDP. Die hat vor dieser Wahl am meisten aus dem Jungbrunnen geschöpft. Heraus kam eine Reihe von Männern unter Dreißig, die alle irgendwie gleich aussehen, nämlich entsetzlich bieder. Der Allerjüngste, Florian Bernschneider, Jahrgang 1986, wird als „Shootingstar am Politikhimmel“ gefeiert. In den Interviews schuf sich der BWL-Student mit Anzug und Krawatte sein eigenes Klischee. Es stimme gar nicht, daß die jungen Liberalen alle Anzüge tragen und Jura studieren. Er, Bernschneider, sei „ein ganz normaler junger Mann, der auch mal in Braunschweig Kapuzenpulli und Jeans trägt“. Wenn es denn normal ist, keine Lebensminute zu verschwenden, niemals auszubrechen, und schon als Schülersprecher zu wissen, daß man professioneller Politiker werden will.

„Ich bin wirklich dabei :-) Wahnsinn!“ Bernschneiders Getwitter wird begeistert observiert, ist ja auch toll, all die Emoticons, alles so jugendlich: „Ich bin wirklich dabei :-) Wahnsinn!“ Und so witzig: „Merke: 12:30 Uhr ist eine schlechte Zeit für die BundestagsKantine; Riesenansturm auf Köfta und Bifteki.“

Überraschend sind da schon eher die Personalien der Linkspartei. Während die Älteren nur mit Stasi-Skandalen in die Zeitung kommen, haben die Jungen ihre eigene PR-Strategie. Julia Anastasia Bonk zum Beispiel, 23 Jahre alt, zog vor fünf Jahren in den Dresdner Landtag ein, damals quietschte die Bildzeitung vor Fassungslosigkeit über diese „sexy Sächsin“ mit ihrem „sinnlichen Sozialismus“. Ein Magazin für Jugendliche um die Dreißig bot ihr eine Kolumne an – und zog dann zurück, damit sich die Leserschaft angesichts des Erfolges dieser jungen Frau nicht schlecht fühlen mußte. Bonk bekam den Titel „Drogen-Jeanne-d‘Arc“, weil sie in einem Interview für die Freigabe sämtlicher Rauschmittel plädiert hatte. In ihrer Partei gibt es eine ganze Kohorte von rothaarigen Anwärterinnen auf den Titel einer neuen Rosa Luxemburg. Im Gegensatz zur liberalen Streberfraktion sitzen die Linken tatsächlich mit Kapuzenpulli im Bundestag. Aber auch sie floskeln und paragraphieren so, als hätten sie in ihrem Leben nie etwas anderes gemacht. Falls diese jungen Wilden mal durch eine bevorstehende Plenarrede um den Schlaf gebracht werden: dann sollen sie am besten ihre eigenen Interviews lesen.


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ZEITGESCHEHEN

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EINS, ZWEI, DREI ATTACKE Es war kein Killerspiel, aber trotzdem ein Spiel mit der Angst. Vor dem Schweizer Volksentscheid zum Minarettverbot hat die Partei der selbsternannten Heimatschützer, die SVP, ein Internetspiel für die Unentschlossenen gebastelt. „Minarett Attack“ hieß das dilettantisch aufgemachte Schießbudenspiel: In einer Alpenidylle wachsen massenhaft Gebetstürme aus dem Boden. Der Spieler ballert auf die Minarette, um die Invasion zu stoppen. Aber die lässt sich nicht aufhalten, schnell nehmen die Türme überhand. Ein metallisches Dröhnen vielstimmiger „Allahu Akbar“-Rufe setzt ein, das mit den romantisch in der Ferne verschwimmenden Gesängen des Orients überhaupt nichts gemein hat. Die Schweiz hat vier Minarette. Nicht einmal fünf Prozent der Schweizer bekennen sich zum Islam. Doch gerade die Abwesenheit des Sujets scheint der Propaganda ein leichtes Spiel zu bescheren. In Ostdeutschland wohnen ja auch kaum Ausländer, trotzdem gedeiht der Hass. Die Mehrheit, die eine winzige Minderheit zurückdrängen will, behauptet, von dieser verdrängt zu werden. Nach dem erfolgreichen Verbot sehen die Initiatoren die „Freiheitsrechte“ des Einzelnen gestärkt.

ÜBERGRIFF Hamburg, Ende Oktober. Eine Minderheit schlägt zu. Sogenannte Autonome gehen auf Besucher des Programmkinos „B-Movie“ los. Dort, im multikulturellen Viertel St. Pauli, sollte der Film „Warum Israel“ von Claude Lanzmann gezeigt werden. Lanzmann, Regisseur der großen Holocaustdokumentation „Shoa“, hat 1973 diesen melancholischen Film gedreht. Darin erzählen Juden aus ihrem Leben in Israel. Nahe beim Kino liegt das linksextreme Zentrum „B5“. Am Nachmittag knöpfen sich Mitglieder des Zentrums die Filmvorführung vor. Etwa dreißig Angreifer in Tarnkleidung

riegeln das Kino ab und errichten etwas, das sie einen „israelischen Checkpoint“ nennen. Sie tragen holzgeschnitzte Maschinengewehre, die sie auf die Kinogäste richten. Die Aktionisten fotografieren und filmen alle, die den Film sehen wollten, bespucken sie, schreien sie an: „Ihr Judenschweine“, „Schwuchteln“. Niemand wird von den linksfaschistischen „Grenztruppen“ ins Kino gelassen. Die Betreiber des „B-Movie“ sagen die Vorstellung ab. In einem Bekennerschreiben erklärt das Zentrum „B5“, man habe die „prozionistische Veranstaltung“ verhindern wollen: „Mit Leuten aus dem Viertel und politischen Organisationen über das B5-Spektrum hinaus konnten wir ihre Hetze stoppen.“ Es folgen nur wenige Berichte in der Presse.

RÄUMUNG Brunnenstraße 183. Zur Fortsetzung der Politik mit anderen Mittel kommt es Ende November. Ein besetztes Haus in Berlin-Mitte wird nach jahrelangem Streit von 600 Polizisten geräumt. Die finden, nachdem sie die Tür aufgeschnitten haben, anstatt der Besetzer ein paar Osteuropäer vor. Während der Aktion stehen vermummte Antifa-Kämpfer auf dem Dach und halten ihr Fähnlein in den Wind. Das soll heroisch aussehen. Vor zweieinhalb Jahren hat ein Passauer Arzt das verrottete Haus am Weinbergspark gekauft. Die Besetzer weigerten sich, auszuziehen. Schließlich bot ihnen der Besitzer das Haus an, falls ihm der Senat ein Alternativgrundstück stellt. Der Plan ist gescheitert. Nun sind Türen und Fenster vergittert. Auch der „Umsonstladen“ im Erdgeschoß ist geschlossen. Hier gab es viel Schrott, der aber nichts kostete. Die Räumung gilt als neuer Höhepunkt der Gentrifizierung. Auf Plakaten steht: „Wir sind ein Volk! Und ihr seid ein anderes. Ost-Berlin, 9. November 2009“. Oder: „Gegen die Verdrängung“. Die Übernahme des Stadtteils durch zahlungskräftige Zugezogene, ergo Schwaben, ist dem Alternativmilieu unerträglich. Wer am Prenzlauer Berg moderne Townhouses errichtet, kann mit einer farbenfrohen Fassade rechnen. Mittlerweile zündet der Widerstand sogar Autos an – als wollte man verhindern, daß der Besitzer eine Abwrackprämie bekommt. Lydia Harder

Foto: Timur Emek/DDP

DER HERBST IN DREI AKTEN

J’ACCUSE Vor 115 Jahren, am 22. Dezember 1894, fällen französische Richter das Urteil im Prozeß gegen Alfred Dreyfus. Ein Urteil, das drei Jahre später zur Dreyfus-Affäre wird, ein Urteil, das geschichtliche Bedeutung erlangt weit über die eigentliche Hauptperson hinaus. Und ein Urteil, dessen Konsequenzen noch heute inspirieren könnten. Der jüdische Hauptmann Dreyfus wird wegen Spionage unehrenhaft aus dem Militär entlassen und lebenslang auf die Teufelsinsel verbannt. Doch Dreyfus ist nicht schuldig. Seine Verurteilung steht schon fest, bevor er in den Gerichtssaal tritt. Nur ein Jude, so tönen hochrangige Militärs und die großen französischen Zeitungen unisono, konnte des Landesverrats überhaupt fähig sein. Hintergrund des Prozesses gegen Dreyfus ist ein Brief, der in der deutschen Botschaft in Paris aufgetaucht war,

in dem ein anonymer Schreiber die Übergabe geheimer französischer Schriftstücke anbot. Schnell wird Dreyfus als Schuldiger ausgemacht: er ist deutschstämmig, vor allem aber der einzige jüdische Hauptmann. Ein österreichischer Gerichtsreporter beobachtet den Prozeß und ist entsetzt über die antisemitische Hetze, die den Fall begleitet. Theodor Herzl steht in der Menschenmenge, die „Tod den Juden! Tod dem Hauptmann Dreyfus“ skandiert, als diesem öffentlich seine Militärabzeichen Tresse für Tresse abgerissen werden. Zurück in Österreich schreibt Herzl ein Buch. „Der Judenstaat“ ist der Grundstein des Zionismus. Herzl formuliert darin erstmals den Wunsch, den Juden eine Heimstätte zu geben. Während das Buch Juden dazu inspiriert, in Israel die ersten Kibbuzim zu bauen, wühlt der Fall Dreyfus Frankreich weiterhin auf.

Ein Jahr nach dem Prozeß tauchen Beweise auf, die auf den wirklichen Spion, den Major Ferdinand WalsinEsterhazy deuten. Als der Bruder von Alfred Dreyfus auf eine Wiederaufnahme des Prozesses drängt, werden auf Betreiben höchster Kreise Beweise gefälscht. Die Frage nach Schuld oder Unschuld Dreyfus´ wird Gesprächsstoff Nummer Eins und immer politischer geführt. Am 13. Januar 1898 veröffentlicht die Literaturzeitung L´Aurore einen offenen Brief des Schriftstellers Emile Zola. Der Brief trägt den Titel: J´accuse, Ich klage an. Zola greift darin den französischen Präsidenten persönlich an und fordert ihn auf, im Fall Dreyfus Stellung zu beziehen. Der Brief schlägt ein wie eine Bombe. Zola legt es darauf an, selbst angeklagt zu werden, damit der Fall Dreyfus während seines Prozesses wieder aufgerollt werden muß. Doch dazu kommt es nicht. Zwar wird

Zola angeklagt, doch beschränkt sich die Anklage auf die Punkte, die sich nicht mit Dreyfus auseinandersetzen. Doch Zola hat es geschafft, den Fall zur Affäre zu machen. Ein neuer Prozeß scheint unausweichlich und politisch geboten. Fünf Jahre nach seiner Verbannung akzeptiert Dreyfus eine Begnadigung, doch erst am 12. Juli 1906 wird er vollständig rehabilitiert. Louis Begley hat in „Why the Dreyfus-Affair Matters“ die Vorverurteilung der in Guantanamo Inhaftierten mit der im Fall Dreyfus verglichen. Ist die antiislamische Hetze und die Beugung internationalen Rechts unter Bush das Gleiche wie damals? Vielleicht ja. Und es gibt heute weitere Beispiele, auf die Journalisten aufmerksam machen sollten. Nehmen wir Zolas Mut als Vorbild. Uta Schwarz

BRUST RAUS Seit es die Bundeswehr gibt, muß sie mit zwei Mängeln umgehen: dem Mangel an Tradition und dem Mangel an Militanz. Der Mangel an Tradition ergibt sich aus der deutschen Geschichte: Was der Bundeswehr von der Wehrmacht blieb, sind ein paar Märsche, das Eiserne Kreuz als Firmenlogo, Uniform-Anleihen und die Männer des 20. Juli. Die zweite Bedingung, die sich die Bundesrepublik bei der Gründung der Bundeswehr selbst stellte: Soldaten sollten „Staatsbürger in Uniform“ sein, mit Betonung auf Bürger; Heldenmut, soldatische Tugenden – das sollte vorbei sein. Bürgertum (also Zivilität) und Armee sind aber eigentlich Gegensätze. Regelmäßig fliegen der Bundeswehr diese Widersprüche um die Ohren: eine Armee, die keine sein will, ohne Tradition und deshalb vermeintlich ohne Stolz, was einige in der Bundeswehr, nicht nur aus den unteren sozialen Schichten, offenbar stört. Dann taucht schon mal die stilisierte Palme an Bundeswehr-Jeeps in Afghanistan auf – das Logo des Afrika-Korps der Wehrmacht. Und auch jener Soldatenscherz, der die Bundeswehr jetzt wieder in die Schlagzeilen brachte, ist mit einer inneren Opposition gegen das alte, weiche, offensichtlich als unmännlich empfundene Selbstbild zu verstehen:

Wenn in Afghanistan T-Shirts auftauchen, bedruckt mit zerstörten Tankwagen und dem Bibel-Zitat „Du sollst nicht stehlen“, dann ist das vielleicht geschmackloser Landser-Humor - aber es ist eben auch Ausdruck eines Minderwertigkeitskomplexes gegenüber anderen Armeen. Das Problem ist weniger das T-Shirt, das sich martialischer gibt, als die Bundeswehr jemals sein wird. Das Problem ist eher, daß in einer Septembernacht ein Oberst der Bundeswehr gegen den Rat der Amerikaner einen Angriff befohlen hat, der in hohem Maße auch zivile Opfer kostete. Das T-Shirt ist eine Opposition gegen eine deutsche Gesellschaft, die glaubt, Kriege seien heutzutage mit Verfassungsgerichtsurteilen und Entschädigungszahlungen zu führen. Das T-Shirt sagt: Wir hier im Feld wissen, was los ist, und weil das so ist, dürfen wir darüber Witze machen. Es ist der Witz des verheizten Soldaten, eine Urfigur der Kriegsdarstellung von „Im Westen nichts Neues“ bis „Rambo“. Und: Krieg ist häßlich. So häßlich wie ein geschmackloses T-Shirt. Jost Kaiser

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IN DEN RUINEN DER ZUKUNFT V

ielleicht ist Kultur ja doch ein Zerfallsprodukt. Etwas, das immer erst am Ende entsteht, wenn die Konten leergeräumt sind, die Getränke alle und das Licht aus. Es gibt mehr Historienschinken über den Untergang Roms als über seine Gründung. Niemand würde sich für Atlantis interessieren, wäre es nicht im Meer versunken. So gesehen, müßte jetzt auch Dubai an der Reihe sein. Seltsamerweise gibt es aber noch keinen Roman, der in dieser wuchernden, künstlichen, sonderbaren Stadt am Persischen Golf spielt. Kein „Ulysses“, das den Tag eines jungen, britischen Investmentbankers rekonstruiert. Kein „Berlin Alexanderplatz“, das einen pakistanischen Bauarbeiter verfolgt. Dubai, vom westlichen Kulturbetrieb mit Skepsis und aus großer Ferne beobachtet, bleibt ein weißer Fleck auf der Landkarte der Literatur. Den großen Dubai-Roman hat auch Michael Schindhelm, der fast zwei Jahre lang als Kulturdirektor dort lebte, nicht geschrieben. Sein Buch ist eher eine Art Borderline-Tagebuch, das sich in der Grauzone zwischen Protokoll und Erfindung bewegt und vage auf seinen Erlebnissen basiert. Es heißt „Dubai Speed: Eine Erfahrung“ – und schon der Untertitel, der aus der Welt des alteuropäischen Denkens und der Bildungsromane stammt, ist eine Provokation. Denn daß man in synthetischen Welten keine authentischen Erfahrungen macht, gilt in Deutschland immer noch als gesichert.

Kulturprogramm fürs 7-Sterne-Babylon Was Dubai angeht, so schienen hier schon die serienmäßig verfertigten Reportagen zu genügen: Die eine Hälfte der Journalisten bestaunte den architektonischen Wahnsinn der Wolkenkratzer, ließ sich in 7-Sterne-Hotels die goldenen Wasserhähne zeigen und kreiste mit dem Hubschrauber über im Meer aufgeschütteten Inseln. Die andere Hälfte besuchte indische Gastarbeiter in ihren Wohncontainern, filmte verschleierte Frauen und empörte sich über die unversteuerten Kapitalströme. Irgendwie beschworen all diese Berichte den Mythos von Babylon, der dekadenten Urstadt, die allzu hoch in den Himmel emporwachsen wollte und deren Fall nur die gerechte Strafe für ihren Hochmut war. In dieser Hinsicht ähnelt Michael Schindhelm der Stadt Dubai. In der Kulturlandschaft galt der studierte Diplomquantenchemiker, der ein paar Jahre lang Angela Merkels Zimmernachbar an der Berliner Akademie der Wissenschaften war, immer als Emporkömmling. Als er 2007, nach Stationen als Theaterintendant in Basel und als Operndirektor in Berlin, nach Dubai ging, schien sich dieses Klischee zu bewahrheiten – ein ostdeutscher Parvenü in einer neureichen Metropole, wo sich ein paar dahergelaufene Scheichs und Banker ein Kulturprogramm zusammenkaufen wollen.

Logik einer Fata Morgana Tatsächlich hat das mit dem Kulturprogramm überhaupt nicht geklappt. Gut zwei Jahre lang war Schindhelm in Dubai, gebaut hat er in diesem Zeitraum kein Theater, kein Museum, kein Opernhaus. Aber selbst wenn das Buch „Dubai Speed“ das einzige sein sollte, was bei diesem exotischen Engagement herauskam, war der Aufenthalt nicht umsonst. Denn nirgends sonst kann man die kafkaeske Logik dieser Stadt, die in jeder Hinsicht eine Erfindung darstellt, klarer einsehen. Wer will, kann die Art und Weise, wie sich Schindhelm zum Arbeitsmigranten stilisiert, verloren in einer gigantischen Kulturbaustelle, als Koketterie betrachten – und die Gegengeschichte vom hochbezahlten Manager erzählen, der in einer geldgeilen Kapitale das symbolische Kapital heranschaffen soll. Aber diese Geschichte ist falsch, und sie wird weder Schindhelm noch Dubai gerecht. Denn all die muslimischen Inder aus Südafrika, die Halbungarn von den Malediven und jordanischen Norweger, die das

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ES GIBT KEIN RICHTIGES LEBEN IM FALSCHEN DUBAI: DAS GLAUBT ZUMINDEST DER WESTEN. MICHAEL SCHINDHELM, DER ZWEI JAHRE DORT GELEBT HAT, WIDERLEGT ES MIT EINEM KLUGEN BUCH

VON ANDREAS ROSENFELDER

Buch bevölkern, sind tatsächlich moderne Nomaden, ganz gleich, ob sie auf dem Bau arbeiten oder für eine Bank. Und über Schindhelms Hoffnung, daß aus dieser kollektiven Entwurzelung mitten im Nahen Osten eines Tages eine neue, zivile Kultur herauswachsen könnte, kann man nur dann spotten, wenn man auch Amerika für ein geistloses Gebilde hält und vergessen hat, daß da, wo heute Berlin steht, noch vor ein paar Jahrhunderten nur Sand durch die Gegend flog.

Der Sand ist stärker Übrigens macht sich Schindhelm selbst die wenigsten Illusionen, allein schon deshalb, weil ihn die byzantinischen Machtstrukturen in Dubai oft genug zum bloßen Beobachten verdammen. Bei der Fahrt über eine versandete Straße überfällt ihn die Vorstellung, daß „Wind, Quarz und Sonnenenergie sich das Terrain zurückerobert haben, das eine ehrgeizige Investmentidee einmal beseelen wollte“. Beim Gang über die „nach frischer Farbe, Popcorn und geschäumter Milch“ riechenden Pseudo-Souks der Touristenresorts packt ihn eine Art barocker Weltekel: „Wenn man gerade aus den Ferien daheim im Harz kommt und dieses Paradies betritt, fragt man sich, was der Westen seinen Leuten eigentlich antut, daß sie sich in dieser Truman-Show so wohl fühlen (und einem selbst, daß es einen hierhin verschlagen hat).“ Immer wieder weht durch dieses Buch das Vanitas-Motiv, und Schindhelm hat einen scharfen Blick für die Leere, die in den kreditfinanzierten Immobilien sogar dann wohnt, wenn diese ausgebucht sind. Die Entwürfe der immergleichen Architekturbüros bezeichnet er als „seltsame Gebilde, nur deshalb an Gebäude erinnernd, weil wir uns dank ihrer Medienpräsenz an diese Formen gewöhnt haben“. Und die Bigotterie des Planungswesen in Dubai, an der auch das Opernhaus scheitern soll, durchschaut er ziemlich früh: „Man stellt Projekte vor, die vielleicht längst in Schubladen und Papierkörben verschwunden sind.“ Trotz alledem hat man nicht das Gefühl, daß Schindhelm in Dubai mehr ein Fremder ist, als er es etwa in Berlin war. Er ißt Kebab und Pommes auf Papptellern in der Shopping Mall, fährt nachts allein in die Wüste heraus, bleibt am Strand bei den Abwasserrohren stehen, die im Hochsommer den Dreck ins Meer pumpen, und beobachtet aus seinem kargen Büro ohne Drucker und Faxgerät den gefürchtetem Feierabendstau auf der Sheikh Zayed Road, diese tägliche Katastrophe im Leben der Stadtbewohner. „Es gibt keinen Rückzug mehr in die Illusion eines behüteten Zuhause“, notiert er an einer Stelle ins Tagebuch.

heißt es, „herrscht nicht der Herrscher, sondern der wabernde, deregulierte Hofstaat.“ Als wieder einmal der Server zusammenbricht, schweift Schindhelm, abgeschnitten vom Emailkonto, in Gedanken zu den pakistanischen Fischern ab, die er am Morgen mit ihrem Fang in den Hafen von Jumeirah zurückkehren sah. „Jetzt liegen sie für ein paar Stunden in ihren Tipis und Verschlägen aus Sperrholz und Pappe, bevor sie die Netze für die neue Fahrt am Abend rüsten und sich auf Garkochern Reiscurry zubereiten.“ Das klingt wie eine Romantisierung des Lebens der Wanderarbeiter, aber es ist eher das melancholische Eingeständnis, in der Kulturbürokratie weitaus weniger Ergebnisse präsentieren zu können.

Vorbei, die Truman-Show Es ist nicht so, daß Schindhelm die extreme Härte des Daseinskampfes in Dubai ausblendet. Er ist nur gelangweilt von den westlichen Besuchern und ihrer eintönigen „Fragerei nach Geld, Arbeitsbedingungen von Bauarbeitern oder Meinungsfreiheit“. Die Finanzkrise, die am Ende des Buchs über den Wüstenstaat hereinbricht, trifft die jungen Büromenschen, „die bei allem Lifestyle-Aufwand von der Hand in den Mund leben“ und als Arbeitslose sofort ihren Aufenthaltstitel verlieren, genauso wie die Bauarbeiter, die von entlegenen Rollfeldern in der Wüste nach Indien zurückgeflogen werden, wo meistens Schulden auf sie warten. „Die Moritat des Kapitalismus mag in diesen Tagen überall auf der Welt spielen“, heißt es am Ende, „aber wahrscheinlich nirgends so ehrlich und radikal wie hier.“ In seinem Buch zitiert Schindhelm, der jetzt 49 Jahre alt ist, einmal den DDR-Dramatiker Heiner Müller: „Wo ist heute der Morgen, den ich gestern sah?“ Als ich Schindhelm im Herbst auf der Buchmesse traf, war er wie immer auf der Durchreise. Er sprach leise und wirkte ein wenig gehetzt. Es gab Vertreter des Emirats in Frankfurt, die ihn bei seinen Auftritten beobachteten. Schindhelm hat seine Hochhauswohnung in Dubai aufgegeben, sein nächstes Projekt wartet in Hongkong, wo er hofft, mit Rem Koolhaas ein Opernhaus bauen zu können. In der Zwischenzeit wohnt er in Rom. „Nach dem Postmodernitätschaos von Dubai“, erzählt er, „hat mich die Sehnsucht nach der Ruine gepackt.“ Wer weiß, was aus den Ruinen von Dubai noch entsteht.

Fische fangen ist einfacher Immer wieder verweist Michael Schindhelm darauf, daß jede Stadt als Kunstgebilde beginnt – und nennt etwa Mannheim mit seiner durchnummerierten Quadratestadt oder Sankt Petersburg, das von Peter dem Großen aus dem Nichts der Sümpfe geschaffen wurde. Daß Dubais Aufstieg zur Kulturmetropole auf fast schon burleske Art scheitert, liegt nicht etwa an fehlenden Wurzeln, sondern an einem großen Mißverständnis: Die Emiratis glauben, westliche Hochkultur mit den Mitteln der Investmentbranche importieren und Schauspielhäuser wie Multiplexkinos betreiben zu können. In Deutschland berichten die Feuilletons über Schindhelms Vorhaben, in Dubai sind die Immobilienseiten zuständig. Von den absurden Hierarchien in Dubai hätte ein Ethnologe kaum besser erzählen können: Schindhelms Behörde steigt im Emirates Tower aus dem 4. in den 28. auf und wird später wieder in den 21. Stock hinabgestuft, es gibt mehrere Vorgesetzte, die identische Projekte von unterschiedlichen Leuten planen lassen, und aberwitzige Meetings, bei denen die Teilnehmer gleichzeitig telefonieren. „In einer absoluten Monarchie wie dieser“,

Michael Schindhelm Dubai Speed Eine Erfahrung dtv, 256 S., 16,90 EUR


Fotos: Aurore Belkin/ Arabianeye

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ROMANTIK, TALIBAN, HIPPIETUM. Der Künstler in seinem Atelier. Berlin-Mitte, wie es mittiger nicht geht. Es ist sein letzter Abend in diesen Räumen. Er räumt. Auf dem Tisch, neben einem Stapel Zeichnungen, stehen aus diesem Anlaß zwei Flaschen Champagner. An den Wänden hängen noch die Bilder der aktuellen Produktion, auf dem Fußboden liegen Perserteppiche. Es ist ein sehr, sehr schönes Atelier. Malerfürstenadäquat. Man kann sich das gar nicht vorstellen, daß hier bald Schluß sein soll. Kann man hier von einer Räumung sprechen – und was geht dann in einem vor, so als berühmtester Ex-Hausbesetzer Deutschlands? Nichts. NICHTS. Heißt Leben nicht unbehaust sein? Wo wird denn der Künstler dann malen? Erst einmal in Hamburg. Gründe? Private Gründe. Ich will irgendwann zurück nach Berlin, aber wenn ich das nächste Mal nach Berlin komme, werde ich mir was bauen, wo ich arbeiten kann, ohne daß daneben ein Club ist, eine Werbeagentur und all der andere Kram. Genau so etwas fördert der Künstler Daniel Richter aber mit der ganzen Kraft seiner Prominenz in Hamburg, wo er sich für die Besetzung des sogenannten Gängeviertels durch junge „Kreative“ engagiert: eine Künstlerkolonie. Das Gängeviertel ist ja nur drei Meter groß – oder vier. Und: die Gegend ist ja schon homogenisiert durch die immer wieder gleiche Bebauung, die als Mieter immer die gleichen Firmen und Geschäfte hat: Eine Mischung, bei der man nicht mehr weiß, ob man jetzt im Wiener Flughafen steht oder in der Hamburger Innenstadt oder im Einkaufszentrum Wandsbek; es sieht immer gleich aus, es ist immer ein Palmer’s da und Wolford und H&M und Rolex und Omega. Das ist der Horror. Auch daß die Logik dieser Monopolisierungstendenzen wirklich ästhetisch so abscheulich ist. Die tarnen sich noch nicht mal. Das ist so wie ein Zuhälter, der sich noch nicht mal mehr bemüht, die Frau betrunken zu machen, die er auf den Strich schicken will, sondern sie gleich zusammenschlägt. Du bist offiziell der „Schirmherr“ einer Besetzung gewesen, einer klassischen Hausbesetzung – das alte, proletarische Gängeviertel stand leer, sollte abgerissen und mit profitablen Immobilien ersetzt werden… Leute wie ich oder der Regisseur Fatih Akin stellen dafür eine Öffentlichkeit her, bis weit ins bürgerliche Lager hin, wo dann Leute stehen, die sagen: Wir können es auch nicht mehr aushalten und zwar – von mir aus – aus reinem Ästhetizismus, weil sie die Lüge am Leben erhalten wollen, daß die Stadt etwas ist, das mit uns spricht, das wir geprägt haben. Man darf auch nicht vergessen: All das ist ja lange gepflegt worden. In all diesen Häusern, in all diesen Bücherhallen und Handwerksläden und Werkstätten haben ja reale Leute gelebt, Generationen von Leuten, Leute, die irgendwie ein soziales Verhältnis herstellen, zur Arbeit, zur Kneipe, zu einem Viertel. Und

denen wird das alles wegradiert. Wenn es dann wenigstens für wirklich spektakuläre Bauten wäre. Wenn da an jeder Ecke Zaha Hadid bauen würde – von mir aus. Aber es ist immer die gleiche öde mittelmäßige funktionale Glas-Beton-Struktur, es ist nie zu hoch, nie zu niedrig, nie zu schön – fad.

WENN DIE AUS DEM RATHAUS EINEN PUFF MACHEN WOLLEN, DANN SOLLEN SIE DAS TUN. ICH BIN ABER DER AN SICHT, DASS DIE STADT AUCH DEN PENNERN UND DEN ILLEGALEN UND DEN ARMEN GEHÖRT. Aber geht es dabei darum, daß junge Künstler Räume brauchen, um arbeiten zu können? So lautet ja deren Argumentation. Oder geht es um den Erhalt heterogener Stadtquartiere, also letztlich: um Denkmalschutz? Es ist ja nicht zu trennen. Die Frage ist, wie sehr diejenigen, die in der Stadt leben, die Stadt mitdefinieren können. Oder wie sehr die Stadt eben nur von den Leuten definiert wird, die in den Finanzbehörden sitzen. Man kann natürlich sagen: Die Stadt gehört denen, denen die Häuser gehören, und wenn die aus dem Rathaus einen Puff machen wollen, dann sollen sie das tun. Ich bin aber der Ansicht, daß die Stadt auch den Pennern und den Illegalen und den Armen gehört. Und natürlich den Künstlern, gerade nach dieser Definition von Richard Florida – in ihrer besonderen Rolle als die eigentlichen Motoren der hochkapitalisierten Gesellschaft… haha.

DER KÜNSTLER DANIEL RICHTER ÜBER DIE RETTUNG DES HAMBURGER GÄNGEVIERTELS, DEN REVOLUTIONSFIMMEL DES KUNSTBETRIEBS, AGGRESSIVES BIEDERMEIER UND DARÜBER, WAS SCHIEF LÄUFT IN UNSEREN STÄDTEN, IN DER KUNST, IM LEBEN, BEI DER LINKEN…

Geldmangel und zweitens weil das eben unbürgerliches Terrain ist, in dem sie schalten und walten können, wie sie wollen, weil die Polizei da kein großes Interesse dran hat und das Bürgertum auch nicht, man kann da dann Drogenexperimente und Kommunenexperimente und selbstverwaltetes Wohnen oder eben Kunst machen. Und das ist mittlerweile transformiert in das Modell Kreative Klasse als – wie nennt man das: Zündfunken für die Rekapitalisierung der Städte.

fünfzig Jahren so gebaut worden ist: der lernt die alten Bauten ganz von alleine zu schätzen, und zwar nicht weil da Stuck ist, sondern weil die solider und wärmer und besser gebaut sind, also aus rein vernünftigen Gründen.

Wieso nennen die sich eigentlich tatsächlich selber „Kreative“? In jedem Bericht über das Gängeviertel steht: die Kreativen. Vor zehn Jahren noch waren „Kreative“, gerade in Hamburg, Leute mit Glatze und Stahlbrille und Werbeagentur. Eigentlich das genaue Gegenteil von den Künstlern. Genau. Ich habe neulich erst wieder so ein ödes Interview geben müssen, in dem ich auf den Unterschied zwischen Kreativität und künstlerischer Tätigkeit hingewiesen habe...

Wäre es vielleicht an der Zeit, solche konservierenden Momente von den Konservativen zu emanzipieren, statt sich reflexhaft davor zu verwahren, sobald etwas... … Nein...

Könntest du das ausnahmsweise auch für uns noch einmal tun? Der Kreative arbeitet produktorientiert, mit dem Wissen darum, daß dieses Produkt irgendeinen Minimalkonsens treffen muß, der an ein Objekt gebunden ist, und das nichts zu tun hat mit seiner eigenen künstlerischen Intention, die im großen und ganzen ja irgendwie romantisch oder dissident oder wahr ist. Der Künstler will ja seinen „Gedanken“ umsetzen in ein Kunstwerk, und dieses Kunstwerk hat erst einmal keine Funktion, außer der, Kunstwerk zu sein. Dieter Bohlen ist ein Kreativer und Ted Gaier von den Goldenen Zitronen ist ein Musiker.

Wissen diese künstlerisch kreativen Menschen denn, daß sie nur der Dünger sind? Gibt es da ein Bewußtsein dafür, daß es ihr Schicksal ist, den Boden zu bereiten für die FDP-Wähler, denen sie in ein paar Jahren oder Jahrzehnten ihre Altbauten werden überlassen müssen? Einverstanden, daß die Hausbesetzerbewegung die wichtigste konservative Bewegung Europas war, und die folgenreichste? Ist der amerikanische Soziologe Richard Florida Die Hausbesetzerbewegung? eigentlich der Karl Marx der von ihm selbst so genannten kreativen Klasse? Wenn erst einmal Man will erstens die sogenannten selbstbegenügend Leute Richard Florida gelesen haben, stimmten Räume besetzen, zweitens sind das erkennen sie sich endlich selbst in ihrer Macht aber auffällig oft Bauten aus dem 19. Jahrhunund sogar die hyperindividualistischsten Künst- dert. Man will da eine Bausubstanz erhalten, eine Substanz, die älter ist als man selbst, und in der lertypen finden dann vom Ich zum Wir? Das haben sie ja immer automatisch gemacht. Vielleicht deshalb vielleicht auch noch eine unbekannte, aufhaben wir da jetzt nur eine neue Phase. Überall da, wo regende Zukunft steckt. die industrielle Produktion dichtgemacht und verlagert Das mit der Zukunft wäre ja ein Argument dafür, daß worden ist, gibt es Gebäude, die übrig bleiben. Neu ist, es doch nicht nur konservativ ist. Aber der Grund, der daß da Künstler jetzt regelrecht angesiedelt werden von für das Besetzen von Altbauten spricht, ist, glaube ich, stadtplanerischer Seite. Klassisch ist das in allen Arbeiter- auch schlicht und ergreifend ein praktischer: Die Bausubvierteln in allen Metropolen der Welt immer so gewesen, stanz ist besser. Wer schon einmal in einem Neubau von daß da, wo eine bestimmte Form von Arbeit verschwin- so gefeierten Leuten wie Oswald Matias Ungers gestandet, auch die Anwohnerschaft verschwindet und die Lie- den hat, wo schon nach zwanzig Jahren die Fenster unter genschaften stehen leer. Und jetzt kommen eben Leute – ihrem Eigengewicht anfingen die Scharniere auszutreiob das nun in Soho der Fall gewesen ist oder in Hamburg ben und das Wasser durch die Decke kommt, wer diesen St. Pauli – und ziehen da ein, und zwar erst einmal aus ganzen öden Einfalts-Quatsch sieht, der in den letzten

... so ist auch „Manufactum“ mal entstanden... ... ja, aber es ist vernünftig. Es ist nicht konservativ. Konservativ ist: die gute alte Zeit zu ideologisieren, das Seideneinstecktuch...

... konservativ genannt werden muß? Es ist nicht konservativ. Es ist von mir aus konservativ, aber es ist eben auch vernünftig. Es ist allerdings auch vernünftig, Sachen modern und anders zu machen. Nehmen wir Kopenhagen: ein Musterbeispiel für die Umwandlung von einer klassischen Handels- und Hafenstadt in eine IT-Stadt unter besonderer Berücksichtigung der Integration der migrantischen Bevölkerung, der jungen kreativen Klasse, der Hausbesetzer und der Kiffer und Pipapo. Die Stadt Kopenhagen ist in den letzten fünfzehn Jahren einfach viel lebenswerter geworden. Lebenswert natürlich nur – Badiou wird sich darüber aufregen – innerhalb der Kategorien von Leben, die der Kapitalismus uns vorlebt, aber andere Kategorien haben wir im Moment eben nicht. Wir Nicht-Philosophen. Apropos Alain Badiou: Wie kommt es eigentlich, daß der neuerdings gerade unter Kunstbetriebsangehörigen so in Mode ist? Ausgerechnet so ein Maoist… ...der Trottel ist ein Trottel! Ich habe den hier bei einem Vortrag erlebt. Ein Mann, der über Kunst redet, und die einzigen Ideen, die er dazu hat, NUR anwenden kann auf Brecht und Schönberg – verkalkt. Und wieso hat der in den einschlägigen Buchhandlungen plötzlich mehr Regalmeter als Foucault? Ist ein Badiou-Bändchen auf dem Nachtschrank heute das, was früher mal das Che-Guevara-Poster war? Guevara ist eine entleerte Massenikone, Badiou stillt ein theoretisches Bedürfnis junger Eliten. Vielleicht ist er ja der letzte Chomsky? Warum lieben Teile des Kulturbetriebs diese Form von eiferndem Radikalismus so sehr? Weil sie glauben, daß die Revolution etwas ist, das einen zu einem überlegenen Moralisten macht, und von dieser Position aus kann man pissen auf den bürgerlichen Betrieb, den man verachtet, weil man sich von ihm ernähren läßt. Das sind Leute, die schon Hooliganismus fürchten als soziale Aktivität, wie wollen die denn eine Revolution durchstehen... und vor allem, wozu soll die gut sein? Dieses Blutbad? Das ist ja keine kulturelle Aktivität, eine Revolution ist die gewaltsame Inbesitznahme der Produktionsmittel, und das ist die Aneignung des öffentlichen Eigentums und des privaten Eigentums in Gesellschafts- und Staatsformen, die – soweit wir wissen – aus was für Gründen auch immer in weiten


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DIE SOLLEN EIN HANDWERK LERNEN, UND DAS HANDWERK IST: ZWÖLFTONKOMPOSITION ODER FILMSCHNITT. ODER EBEN DIE WELT VERÄNDERN, SCHLIESSLICH BRAUCHT SIE ES. ... erstmal ihr Handwerk lernen?... ... die sollen ein Handwerk lernen, und das Handwerk ist: Zwölftonkomposition oder Filmschnitt. Oder eben die Welt verändern, schließlich braucht sie es. Das Handwerk IST NICHT Gewehr laden und den Nachbarn erschießen. Weil: das ist das, was eine Revolution ist.

kriegen von den Leuten, die irgendwas mit Gentrification, Konzept und digitalen Medien machen; die müssen sich die ganze Zeit anhören: Ihr seid ja nur die öden Maler, ohne Diskurs und Theorie. Aber die Wahrheit ist: Als Maler werden sie genauso scheitern wie die anderen, nur die anderen können ihr Scheitern einfach viel besser verbergen, weil die anderen eben scheitern, indem sie zum Beispiel ein Buch von Richard Florida lesen, und dann machen sie eine Mischung aus Text, Performance, Collage und digitaler Nachbearbeitung daraus. Und das IST natürlich Kunst. aber: Wenn du die Frage stellst, warum das denn Kunst sein will – das ist der springende Punkt – dann bist du der Reaktionär.

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diesen Tälern zu hocken und einfach das ganz stur verteidigen, was wahrscheinlich noch nicht einmal verteidigenswert ist, einfach, weil man es ihnen nehmen will. Und daß wir jetzt als Karikaturen der Sowjetunion da auftauchen und so tun, als ob das eine riesige Leistung wäre, daß nun Frauen wählen dürfen – ich weiß nicht, warum ich das jetzt zynisch feiern soll, nachdem man ein entsetzliches Gemetzel unter all den Männern angerichtet hat, von denen man die Sowjetunion hat vertreiben lassen – und die Sowjetunion hat auch nichts anderes gemacht als eben das: Sie hat die Universitäten für die Frauen geöffnet.

Ich versuche jetzt einmal, aus Afghanistan eine Brücke zu schlagen ins Hamburger SchanzenHast du deswegen für deine letzte Ausstellung viertel… in Berlin in konzeptkünstlerhafter Geste Berg- ... eine Luftbrücke! kristalle signiert? Keine hundert Jahre nach Duchamp ist Daniel Richter Das Kundus von Deutschland... auf die Idee gekommen, wie witzig und originell das doch … ist das autonome Kulturzentrum „Rote Flora“!? wäre, und wie selbstreflektiert, wenn man ein siebeneinhalb Millionen... Die letzten Widerstandsnester der Autonomen scheinen im Hamburger Schanzenviertel und in Das hat sehr viele Leute sehr aufgeregt und sogar Berlin-Kreuzberg zu liegen. Nur mal so als Frage an empört… den ehemaligen Aktivisten: Was ist da los bei den ... siebeneinhalb Millionen... Linksradikalen? Wieso schmeißen die jetzt Farbeier auf das Kanzleramt? Was soll das bringen? Oft war zu hören: „Das hat der doch gar nicht sel- Was für einen Aufwand du betreiben mußt heutzutage, in Zeiten von Kameras und Überwachung, um drei Eier ber gemacht, warum signiert der denn das?“ ... ein siebeneinhalb Millionen Jahre altes Stück Stein aufs Kanzleramt zu schmeißen. Das ist lächerlich... nimmt und sagt: Das ist ja beeindruckend, wie Mutter Natur uns hier mit einem komplexen Werkbegriff und einer faszinierenden Schönheit überrascht. Ich weiß natürlich, daß dieses Kokettieren mit dem zwielichtigen Charakter des Ganzen etwas Infames hat und auch etwas tendenziell Verklärendes, weil es die Gefahr mit sich bringt, daß man sagt: Ja, hier ist die Erhabenheit der Natur, also das Romantische, und daneben steht die Kläglichkeit der Malerei.

Also Sennett statt Badiou?. Oder Luxemburg statt Thälmann… Wie bin ich überhaupt Muß das Romantische nicht auch vor den Rechten in die Lage gekommen, immer über diese Sachen zu reden? gerettet werden? Es gab in der Ausstellung viele recht kleinformatige Bilder, Wanderer im Nebel, Wir können es ja mal auf die Malerei übertra- Kämpfer im Schnee… gen. Malerei gilt auch immer als konservatives … die dann aussehen wie Paschtunen oder Taliban…. Medium, im Vergleich zu Video etwa, ganz egal wie progressiv das sein mag, was man innerhalb … und Schnee, der aussah wie die Flecktarnunider Malerei veranstaltet. formen beim Afghanistaneinsatz. Diese Debatte ist für mich völlig hinfällig. Harun Farocki Das ist alles miteinander verzahnt. Romantik, Taliban, als Videokünstler lacht doch auch über moralische Kunst, Hippietum. Ich beschäftige mich jetzt schon länger mit diesem Thema, mit der Beobachtung, daß Taliban und die per Video versucht, die Welt zu ändern. Man beschäftigt sich in erster Linie mit Bildern, und diese romantischen Kara-ben-Nemsi-Typen und die die Bilder finden eben statt in dem Medium, das du aus westliche Hippiekultur alle zusammengehören, die Proirgendeinem Grund gewählt hast oder das dich gewählt jektion von Freiheitsideen auf die Nomaden, das Tribalihat, und in diesem Medium kannst du die Grenzen ver- stische, der Stolz, das Unnahbare, das „Unverdorbene“, schieben, dehnen, analysieren, reflektieren, kannst alles die Gitarre, der Blues, der G.I., Platoon, Jimi Hendrix ausprobieren. Aber du kannst nur in diesem Medium und und Nusrat Fateh Ali Khan. an dem Medium gemessen werden. Deine Wirkung findet, falls sie stattfindet, auch außerhalb dieses Raumes Und deswegen werden da in den Bildern jetzt statt, aber das läßt ihre spezifische Mediumsimmanenz Gitarren in die Berge getragen? nicht verschwinden. Diese Debatte um „progressiv/kon- Als Zeichen von Frieden und Freiheit und Vergnügen, servativ“ ist idiotisch, und für die Studenten der Malerei was komplett mißverstanden wird von diesen Männern, ist es vor allem nervig, weil sie die ganze Zeit Anwürfe die seit dreihundert Jahren nichts anderes machen, als in

ATTAC – DA REDET HEUTE KEIN MENSCH MEHR DRÜBER, DAS HABEN DIESE LANGHAARIGEN SCHWACHKÖPFE AUCH HINGEKRIEGT. Autos anzünden in Berlin? Doof.

Was wäre eine weniger doofe Alternative? Zu Attac gehen? Attac war einmal die größte Bewegung für eine Veränderung in der westlichen Welt. VOR dem 11.9.2001! Attac – da redet heute kein Mensch mehr drüber, das haben diese langhaarigen Schwachköpfe auch hingekriegt. Was also tun, wenn man nicht einverstanden ist mit dem Stand der Dinge? Wohin mit dem Überschuß an Wut und Empörung über diese Welt? Gegen sich selbst richten. Daniel Richter zeigt in diesem Winter Ausstellungen in mehreren Städten Westeuropas. Seine Arbeiten zieren aber auch das Artwork des soeben in Richters Plattenlabel Buback erschienenen Albums „Die Erfindung der Nacht“ von den Goldenen Zitronen. Das Gespräch führte Peter Richter

Fotos: RIP

Teilen der Welt nicht nur gescheitert sind, sondern zu ganz, ganz unappetitlichen Folgen geführt haben. Die Hungernden dieser Welt haben ja wirklich das Recht aufzubegehren, es ist ja alles da, es wird alles massenweise produziert, es könnte alles besser sein und viel weniger schmutzig und beschissen, aber: Irgendwelche naiven Narren aus dem Kulturbetrieb, die Badiou lesen und Deleuze und Guattari nicht richtig verstehen und deren Praxis sich darauf beschränkt, in Akademieräumen anderen auf den SACK zu gehen, diese Leute sollen keine Revolution machen, die sollen Pinsel in die Hand nehmen und malen, und die sollen Theaterregie führen, und die sollen...

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SPEAK DEUTSCH, KASPERLE

VON RALPH MARTIN

W

Aus dem Amerikanischen von E. Veselinovic´

eihnachten in Deutschland war mir schon immer ein Rätsel. Als ich hierher zog, dachte ich, das Nachwende-Berlin würde vom Charakter her mitteleuropäisch sein, ein Ort der Mythen und dunklen Legenden. Menschen, die ich für einigermaßen vernünftig hielt, erzählten mir mit aufgeregter Stimme von den großen Weihnachtsmärkten in Nürnberg und Dresden. Die Version in meiner Nachbarschaft jedoch, am Alexanderplatz, war ein Haufen schäbiger hölzerner Glühweinbuden, von traurigen Menschen mit toten Augen bemannt. Wo war Mitteleuropa mit seiner dunklen Geschichte? Hierfür hatte ich New York verlassen, den riesigen glänzenden Weihnachtsbaum am Rockefeller Center, die läutenden Glocken, die Busfahrer, welche mir Frohe Weihnachten wünschten? Es spitzte sich zu, als ich eines Dezembermorgens meine Tochter Lulu in ihrer Kita im Prenzlauer Berg ablieferte. Ich war der einzige Vater in der überfüllten Garderobe, zwischen den effizienten, organisierten Kollwitzplatzfrauen, die alle aussahen, als ob sie erfolgreich jede Menge Yogasitzungen in ihr Berufsleben einbauten. Ich wich ihren Blicken aus, damit sie mich nicht ansprechen und meinen schrecklichen Mangel an Deutschkenntnissen offenlegen konnten. In meinem Unterfangen, die Yoga-Mütter zu meiden, bewegte ich mich auf einen Aushang an der Wand zu, auf dem Weihnachtsaktivitäten mit der Aufforderung zur elterlichen Teilnahme aufgelistet waren. Die Veranstaltungen beinhalteten Geschichtenerzählen, Basteln und Puppentheater. Nun ja, ich konnte keine deutschen Geschichten erzählen und Basteln konnte ich in keiner Sprache, aber ich dachte, ich könnte eine Handpuppe hochhalten, während jemand einen Text laut vorliest. Also trug ich meinen Namen in der Spalte ‚Kasperle‘ ein, was auch immer das bedeuten mochte. Die Vorstellung war am kommenden Freitag. Vielleicht, dachte ich, dürfte ich dann mit einigen der attraktiveren Kita-Müttern gemeinsam Puppentheater spielen. Vielleicht würden sie mich in ihre Yoga-Stunden einladen. Dies könnte ein völliger Neubeginn meines Soziallebens werden. „Schau mal“, sagte ich zu Lulu, während sie den anderen Kindern in den Aufenthaltsraum folgte. „Ich hab mich für die Weihnachtsvorstellung eingetragen“. Mit einer betont enthusiastischen Stimme fügte ich hinzu „Meinst du nicht, daß das ein großer Spaß wird?“ „Papi, sprich Deutsch wenn du in der Kita bist“, sagte sie. Ich verließ die Kita in heiterer Stimmung. Mein Leben hatte einen Sinn: Ich würde Kasperle sein, vor einem gefesselten Publikum, für ein paar Glanzmomente des Ruhms in Deutschland. Und so wurde Kasperle zur Obsession. Auf Wikipedia las ich, daß die Figur ein Cousin sowohl von Punch in England als auch von Guignol in Frankreich war, daß er ursprünglich aus Neapel stammte, wo eine Figur namens Pulcinella dunkle und blutige Rachegeschichten in dem harmlosen Puppentheater aufführte.

Max Jacob hatte im frühen 19. Jahrhundert eine kindgerechte deutsche Version geschaffen. Trotz der Jacobschen Säuberung war ich hochmotiviert – ich nahm an einem altertümlichen Ritual teil, welches das Siegel des romantischen Italiens trug. Wir hatten nichts Vergleichbares in Amerika. Als ich das ‚Skript‘ per Email bekam, konnte ich die Geschichte nicht verstehen, da sie 18 Seiten lang war - mit einfachem Zeilenabstand. Meine Einsätze waren alle gelb hervorgehoben. Sie machten mehr als die Hälfte des gesamten Stückes aus. Ich erwog, zurückzuschreiben, aber vielleicht war die Autorin eine empfindsame Künstlerin. Also beschloß ich, meine Zeilen zu lernen. Leider waren es Hunderte. Am Tag der Aufführung brachte ich Lulu mit einer gewissen Vorahnung in die Kita. „In ein paar Minuten“, sagte ich ihr beim Wegbringen, „werde ich im Puppenstück spielen. Das wird toll, oder?“ „Auf Deutsch“, sagte sie. „Papi, du mußt es auf Deutsch machen.“ Sie sah besorgt aus. Ich ging in den ‚Veranstaltungsraum‘, wo ich die Stückeschreiberin traf, eine Frau Anfang Vierzig mit strähnigem Haar und einer John-Lennon-Brille. Sie trug einen Blaumann und eine dicke Steppjacke in der überheizten Kita. „Okay, also, kannst du deinen Text?“ fragte sie mich. Ich fragte nicht, ob wir zusammen zum Yoga gehen würden. Vielmehr fühlte ich die Wände sich bedrohlich zusammenschieben. Auftritt war in zwanzig Minuten, während derer ich einen Blick in den Raum warf (groß), auf die Bühne (eine mit Teppich ausgelegte Fläche, eine Stufe über dem Boden wo die Kinder sitzen würden) und das ‚Theater‘ – eine Pappfassade mit einem quadratischen Loch in der Mitte und einem groben Vorhang. Die Kinder kamen pünktlich, und ich versteckte mich hinter dem Papptheater. Ich hörte meine Tochter inmitten der Kinder lachen, offensichtlich hatte sie vergessen, daß ich im Begriff war, sie zu blamieren. Nach einer kurzen Ansage der Stückeschreiberin legten wir los. Auf der ersten Dialogseite, wo Kasperle mit seinem Schlitten aufbricht, um Geschenke auszuliefern, verlor ich den Überblick. Ohne eine Ahnung, was ich da gerade sagte, fing ich an, die Worte so schnell ich konnte aufzusagen. „Lauter!“ schrieen die Kinder. Ich mußte so viele verschiedene Rollen spielen und so viel Text in meinem grausamen Deutsch aufsagen, daß die ganze Szene verschwamm. Irgendwie kamen wir mit der Szene vom Verschwinden des Geschenkeschlittens durch. Als Kasperle anfing, mit dem Krokodil zu diskutieren (Seite 5), lief mir bereits der Schweiß die Stirn hinunter. Der Schweiß lief auch der Stückeschreiberin durchs Gesicht, wie wir da so hinter unserem Papptheater kauerten und versuchten, unsere Handpuppen zum Tanzen zu bringen und uns gleichzeitig durch das riesige Skript zu manövrieren. Irgendein Rotzlöffel fing an, „Right-o“

auf Englisch zu brüllen. Dann kam der Streit zwischen dem Räuber und dem Krokodil, eigentlich sollte ich den Räuber spielen, hatte aber vergessen, die Puppen auszutauschen, so daß Kasperle die Zeilen des Räubers aufsagte. Die Kinder verloren langsam die Geduld, da sie offensichtlich auch kein Wort von meinem Gemurmel verstanden. „Lauter! Right-o!“, hallten die Rufe aus dem Publikum in meinen Ohren wider. Die Stückeschreiberin schob ihre Nickelbrille auf der verschwitzten Nase hoch, atmete tief durch und machte weiter. Endlich, auf Seite 10, als der Polizist zum Einsatz kam und ich unglücklicherweise die Räuberpuppe aufgesetzt hatte, versagten meine Augen. Ich schloß sie und blätterte einige Seiten im Skript weiter. Ich dachte, ich würde sterben, wenn ich weitermache, und die Kinder waren im Begriff zu meutern. „Das ist der wichtigste Teil!“ zischte mich die Autorin an und steckte ihren Finger an die Stelle, wo ich angefangen hatte. Ich sah für einen Moment auf, bevor ich wieder in meine höllische Rollenfolge abtauchte. Meine Arme taten weh vom Puppenhochhalten, mein Selbstbewußtsein war an seinem historischen Tiefpunkt angelangt, und ich wollte nur noch, daß dies alles möglichst schnell zu Ende geht. Aber Lulu stand neben dem Papptheater. „Kein Deutsch mehr, Papi“, sagte sie und zerstörte damit noch das letzte bißchen dramatischer Illusion. „Es ist nicht nett, so zu sprechen.“ „Aber es ist das Weihnachtsstück!“ zischte ich zurück. Unterdessen wurden die Geräusche aus dem Publikum bedrohlicher. Der Zauber war gebrochen: die Kinder, es waren mindestens vierzig, kamen auf die Bühne gerannt und zertrampelten das Theater auf meinem Kopf. Wie ich da so unter einem Haufen zappelnder, brüllender Ostberliner Gören lag, merkte ich plötzlich, daß ich wohl gerade so eine Art Erscheinung hatte: meine Seele schien zur Decke emporzusteigen und das Szenario von oben zu betrachten. Durch Kasperle hatte ich das Publikum angestachelt, die Bastille zu stürmen. Ich hatte Blut, Courage und Mysterium ins Theater zurückgebracht. Meine Erscheinung dauerte an, als ich zur Erde und in die zappelnde Kindermasse zurückkehrte. Mein Kopf ragte jetzt aus der ausgeschnittenen ‚Bühne‘ des Papptheaters heraus. Aber was hätte ich stattdessen jetzt in New York gemacht? Gegen Menschenmassen gekämpft, um ein Horrortaxi zu bekommen, staunend durch VersaceSchaufenster auf 8000 Dollar teure kniehohe Stiefel geglotzt oder darüber nachgedacht, wie bescheuert es ist, daß die Leute aus der ganzen Welt kommen um einen Baum vor dem Rockefeller Center anzuschauen. So oder so war es die Hölle, aber ich zog meine Version vor: ursprünglich, düster und lebendig. So wenig ich ihn auch verstand – Kasperle hatte mich mit meinem inneren Mitteleuropäer in Verbindung gebracht.


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SELBSTVERSUCH MIT SCHRAMMEN SILKE HOHMANN ÜBER DIE KÜNSTLERIN ISABELLE GRAEFF

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uf dem Zementboden des Ateliers stehen Deckel von Zuckerdosen wie geduckte Pilze im Wald. Die Ansammlung einer aussterbenden Art in allen Größen und Farben. Mit Goldrand, Blümchen, Reliefs, in Rauchglas oder aus handbemaltem Porzellan. Immer mit dem obligatorischen Kugelknauf in der Mitte, diesem geheimen Zentrum des langsam erkaltenden Sonnensystems „Familie“. Die Objekte sind als Repäsentanten einer aussterbenden Tradition versammelt. So, wie sie Isabelle Graeff da auf ihrem Fußboden angeordnet hat, sehen sie glanzvoll und festlich aus, wie Schmuck auf einem Partydress. „Oder wie Pasties“, sagt die 33-jährige Künstlerin und meint verzierte, selbstklebende Hütchen für Brustwarzen. Donauwellen und Striptease? Der familiäre Sonntagskaffee als letzte Verlängerung der Nabelschnur? Oder: die Frau als ewige „Providerin“? Isabelle Graeff denkt in alle Richtungen. Es ist ein Versuch, die Arbeit ist noch nicht annähernd fertig. Aber es steht fest, daß sich hier jemand ernsthaft mit weiblichen Rollenmustern befasst, ohne den Humor zu verlieren. Isabelle Graeff ist drastisch. Ihre Assistentin ließ sie sich vor ihrer Videokamera in Pin-Up-Pose räkeln und dabei schreien wie einen Säugling – eine mehr als irritierende Verknüpfung widersprüchlicher Codes. Eine Freundin, die kurz zuvor ein Baby bekommen hatte, erzählt ihr in Strapsen von dem sich wandelnden Verhältnis zum eigenen Körper, wenn man Mutter wird. Zum Schluss gibt sie in diesem Film ihrem Kind die Brust, an der zuvor noch die kokette Burlesque-Quaste baumelte. Das geht irgendwie nicht. Die Frage ist natürlich, warum. „Kann ich sie im sexuellen Sinne anschauen?“, wollte Isabelle Graeff wissen. „Respektiere ich sie dann noch als Mutter?“ Oder ist es am Ende ebenfalls respektlos, dem Körper einer Mutter keine sexuelle Facette abgewinnen zu wollen?

Mit leichter Hand geht Isabelle Graeff dahin, wo es unangenehm wird – manchmal auch für sie selbst. Seit sie aufgehört hat zu malen – sie studierte bei Markus Lüpertz in Düsseldorf, ging dann aber an das St. Martin’s College in London – fotografiert die Künstlerin ihre eigene, sichtlich starke, schöne Mutter und sich selbst. Manchmal meint man das Knistern zwischen beiden zu hören. Liebevoll und stolz, aber auch dominant, übergriffig, einschüchternd, womöglich konkurrent. Im Krankenhaus, beim Shoppen, depressiv, zusammen im Bademantel lachend, nackt im Bett. Manchmal weiß man nicht, wer von beiden wer ist. Die Fotoserie, die immer weiter geht, ist ein sehr privates, aber zugleich seltsam allgemeingültiges Dokument. Es ist der Versuch, durch die Bilder diese Beziehung zu verstehen, ihrer Dynamik habhaft zu werden, sie zu kontollieren. Sogar, daß das scheitern muß, steckt in den Fotografien und macht sie noch schöner, wahrer und bewegender. Mutti sucht einem immer ganz andere Männer aus. Isabelle Graeff hat eine Videoarbeit mit dem Titel „Only You“ gemacht, bei der Pärchen beim leidenschaftlichen Knutschen im Bett gefilmt werden. Während die Männer variieren, ist die Frau immer sie selbst. Die Filme laufen alle gleichzeitig, nebeneinander. So hat man auch als Betrachter den direkten Vergleich. „Man ist danach relativ durcheinander“, beschreibt Isabelle Graeff das tête-à-tête mit den fast Fremden. „Aber ich wollte mir damit die romantische Idee austreiben.“ Die bei den Aufnahmen außerdem anwesende Kamerafrau sorgte zusätzlich für profesionelle Atmosphäre. Und machte es in der Situation nach dem Filmen leichter, wieder auseinander zu gehen. Denn viele Männer, stellte Graeff erstaunt fest, wollten danach gerne über ihre Probleme reden. Und genau das wollte sie ja nicht – eine wie auch immer geartete Beziehung anfangen. „Im Grunde haben die Menschen Angst vor Sexualität“, glaubt Isabelle Graeff. Sex bringt Bewegung in die Dinge, kann gefestigte Strukturen erschüttern, verspricht: alles könnte ganz anders sein. „Daher sollte man der Pornografie eigentlich dankbar sein.“ Vor allem, wenn man auf gefestigte Strukturen steht. Es gibt, findet sie, einen komischen Widerspruch in der aktuellen Körperkultur. „Man macht alles, um sexuell attraktiv zu sein“, attestiert Isabelle Graeff vielen Frauen, „aber nicht, um Sex zu haben!“ Jedes Werk ein Selbstversuch. Fast demütig klickte sich Isabelle Graeff durch Porno-Internetseiten und sammelte nackte Frauen in abstrusen Posen. „Bei Pornografie geht es um die Zerlegung des Körpers in funktionale Einheiten“, Isabelle Graeff hat dafür den Begriff „Sexkotelett“ gefunden. Eine häufig auftretende dieser industriegenormten Posen erfüllt den Zweck, Hintern und Gesicht der Dame auf dem Foto möglichst dicht nebeneinander zu bekommen. Isabelle Graeff collagiert die Frauen zu ornamentalen Rosetten und beklebt damit den Nachbau eines klassischen Kirchenfensters.

Das Erfrischende an ihren Standpunkten ist, daß sie Dinge wie Pornografie oder zum Beispiel Schönheitschirurgie keineswegs verteufelt, sondern nur mal ein paar Fragen dazu hätte. Auf einer Performance ließ sie Menschen mit Körpern, die nicht dem aktuellen Idealmaß entsprechen, in hautengen Ganzkörpertrikots über eine Kunstmesse laufen – die Linien auf ihren Anzügen waren mit Perlen gestickt und markierten die kritischen Zonen. Der Mensch, vom Schönheits-Chirurgen aufgeteilt in erwünschte und unerwünschte Partien: hier wurden die operativen Eingriffe mit Stickerei auf das Textil ausgelagert, trotzdem ist es eine Bloßstellung, sie zu zeigen. Können Zombies Objekte der Begierde sein?, fragt sich Isabelle Graeff. „Fine Cut“, so der Titel, ist eine beklemmende, aber auch lustige und auf schrullige Weise schöne Parade der Eitelkeiten. Wenn sie fotografiert, inszeniert Isabelle Graeff nie. Eher beiläufig entstehen die Situationen. Am See, im Hotelzimmer, auf der Wiese. Ihre Porträtfotografien von unbekleideten Freundinnen haben eine Intimität, die unschuldig ist und doch nicht naiv. „Man zeigt den Menschen, und warum nicht nackt?“ ist ihre Erklärung. Auch wenn sie Dinge fotografiert, glaubt Isabelle, zeige sie eigentlich die Menschen, denen die Dinge gehören. Es gibt ein Foto von Chanel-Handschuhen auf einer Kirchenbank, das Gebetbuch daneben. Das glitzernde ineinander verschlungene Doppel-C ist zu sehen, das Kreuz muß man sich denken. Zwei kompatible Glaubenssysteme, die aber auch subversiv gegeneinander einsetzbar sind. Es sind die Handschuhe ihrer Mutter. Isabelle Graeff geht es um die Fragen, die jeder hat: um Beziehungen, Macht, Vertrauen, Reflexe, Herkunft, Sex. Mit dem Unterschied, daß sie kurz innehält und Bilder davon macht. Oder Videofilme, Installationen aus Zuckerdosendeckeln und Kirchenfenster. Sie läßt Dinge aufeinander los, die man sonst tunlichst voneinander trennt, und schaut, was passiert. Im besten Fall gibt es Funkenschlag und ein paar Schrammen. Dabei ist Isabelle Graeff immer ihr erstes Versuchsobjekt. Eines ihrer bekanntesten Fotos entstand eines Sommers während der Biennale in Venedig. Vier Menschen schlafen zusammen auf engstem Raum, friedlich, wahrscheinlich nach einer Party. Die Sonne schickt ein zärtliches Licht durch den Vorhang und streut schöne Reflexe auf die unbekleideten Rücken. Obwohl es vier Leute zeigt, erzählt das Bild die Geschichte von fünf Menschen. Der schmale Spalt in der Mitte war die Stelle, an der Isabelle Graeff geschlafen hatte, bevor sie aufgestanden war und die Kamera geholt hatte.


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ARAB DRIFTING VON MERTEN SANSOVINO

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n der Wüste ist es, wie man weiß, etwas langweilig, was am vielen Sand liegt. Das gilt auch für Sport. Man kann auf Dünen schlecht Golf spielen, weil die Löcher zuwehen, Freeclimbing geht auch nicht, weil Dünen bekanntlich keine Steilwände haben, und wenn sie doch eine haben, ist sie so porös, daß der Kletterer nach wenigen gekonnten Griffen unter der Wand liegt. Polo spielen kann man auch nicht, weil Pferde keinen Allradantrieb haben – und so ist es kein Wunder, daß in den Emiraten und anderen sandigen Gegenden der Welt eine der aufregendsten neuen Sportarten der vergangenen Jahre entstand: so elegant wie Eiskunstlauf, so schnell wie Autorennen, so gefährlich wie ein klassisches Duell und entsprechend als neues sportliches Männlichkeitsritual der feminismustechnisch noch etwas unterentwickelten Golfregion nicht zu überbieten. Der neue Sport heißt Arab Drifting und wird von jungen Menschen praktiziert, die gern unerkannt bleiben wollen, die Dokumente ihrer Künste jedoch netterweise ins Internet stellen. Zum Arab

Drifting braucht man einen gutmotorisierten, frontgetriebenen Wagen mit einem möglichst schlechten Fahrwerk, also am besten einen alten Mitsubishi oder einen Hyundai. Man beschleunigt diesen Wagen auf einer leicht versandeten Wüstenschnellstraße auf 60 bis 90 Stundenkilometer, schlägt dann das Lenkrad heftig ein und zieht gegebenenfalls noch kurz die Handbremse, um den Wagen sooft wie möglich um die eigene Achse zu drehen, ohne von der Straße zu fliegen (was oft auch passiert, mit recht drastischen Folgen). Eine Alternative zur klassischen Pirouette auf vier Rädern ist es, möglichst lange quer zur Fahrbahn zu rutschen, ohne sich zu überschlagen. Könner drehen sich mitten im öffentlichen Verkehr, als sei das Auto ein Hammerwerfer, kurz bevor der den Hammer wegschleudert. Eine Untergruppe der Drifter läßt aus den Reifen ihrer Geländewagen einseitig die Luft, so daß ein Lenkradeinschlag bei 80km/h genügt, um den Wagen fast zum Kippen zu bringen, aber halt nur fast – so daß er zum Erstaunen der normal vorwärtsrollenden Verkehrsteil-

nehmer, die es am Golf durchaus auch gibt, auf zwei Rädern vorbeischießt, die Beifahrertür im 45-Grad-Winkel zur Fahrbahn. Gegen diese Künste verblassen die der klassischen europäischen und asiatischen Drifter, die ihr Heck sanft ausbrechen lassen und dann quer durch die Kurven treiben, vollkommen. Ein großartiger Film wie „Too fast too furios – Tokyo drift“, der diesem Straßensport gewidmet ist, verliert etwas an Glanz, wenn man einmal auf Youtube gesehen hat, was die arabische Welt hier zu bieten hat. Kein Wunder, daß es die ölfördernde Golfregion ist, die das europäische Ballett auf die Straße bringt, und beweist, daß Tänze auf vier breiten Rädern noch beeindruckender wirken als auf zwei dünnen Beinen. Die arabische Welt, vor allem die Saudis, beweisen mit Arab Drift, daß sie Wiege und Zentrum einer der Hochkulturen der Welt ist. Anders gesagt: Wer sowas kann, darf gern auch Minarette bauen.

Fotos: www.facebook.com/pages/Arab-Drifting

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DAS WETTER

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NASSKALT

FRISCH

HEISS

ST. MORITZ Saisonstart mit Champagner

BERLIN Duft- statt Schneedecke

NEW YORK Konzert unterm Baum

BUENOS AIRES Einen Eiskaffee, bitte

Wenn hier wirklich nur an 43 Tagen im Jahr nicht die Sonne scheint, braucht man sich über die tiefe Bräune mancher Gäste nicht weiter zu wundern. Die haben einfach zuviel Freizeit. Wir wollen auch mal in „St. Moriiiiiitz“ Champagner schon vorm Après-Ski trinken und empfehlen daher, eines der lustigen Turniere der Sportarten Eiscricket oder Schnee-Polo zu besuchen.

Mimose, Osmanthus, Tonkabohne, Hinokiholz – das soll es in Berlin geben? Ja. Schnee gibt es dafür noch keinen. Sonia Rykiels „Le Parfum“ ist destillierte Weltflucht, seine warme Aura ersetzt beinah die Heizung. Sollte das nicht reichen, kann man sich noch in die schöne neue Teestube „Si An Tra“ in der Rosenthaler Straße zurückziehen und in den Dunst schauen.

The same procedure as every year, und immer wieder wunderschön kitschig. Anfang November wurde der größte Weihnachtsbaum der Welt erleuchtet, und alle kamen und sangen sie. Aretha Franklin, Michael Bublé, Alicia Keys, Barry Manilow, Shakira. Dieses Jahr wird der Baum noch bis in die erste Januarwoche zu sehen sein – nichts wie hin! Außerdem ist Sale...

Wer sich auf der Südhalbkugel aufhält, hat in diesen Tagen ganz andere Sorgen: Wo finde ich ein schattiges Plätzchen? Möglichst mit Kaltgetränken. Das Gran Cafe Tortoni bietet beides und ist dazu ein historischer Ort – die gesamte argentinische Intelligenzija hat dort schon gesessen und Süßigkeiten gegessen. Lektüreempfehlung hierzu: Julio Cortazars Erzählungen.

©Robert Bšsch, Switzerland/www.robertboesch.ch

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DIESE SEITE IST FÜR IHREN HUND. BITTE HALTEN SIE DIE UMWELT SAUBER.



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LILY COLE IM FILMZIRKUS DAS KARUSSELL DER MODE DREHT SICH ABER BITTE MIT FLIEGE HELMUT KRAUSSER UND EIN ANDERES WEIHNACHTEN VIELLEICHT AUF ENGLISCH UND WO IST GUNNAR

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Fotos: Alex de Brabant/COLORSTORM

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„ES MUSS INTELLEKTUELL ERFÜLLEND SEIN“ VON JOHANNES BONKE

Das britische Model Lily Cole, 1988 in London geboren, wurde als Muse gefeierter Modefotografen, darunter Steven Meisel, Nick Knight oder Irving Penn berühmt. Jetzt, mit 21, beginnt sie ihre zweite Karriere als Schauspielerin. Anders als bei vielen anderen Models erweist sich dieser Schritt als vielversprechend: Der Regisseur Terry Gilliam (Fisher King, Fear and Loathing in Las Vegas, Brazil, Twelve Monkeys) verpflichtete sie für eine Rolle. In seinem neuen Film (Kinostart 7.1.2010), Das Kabinett des Dr. Parnassus, spielt Lily Cole ein Mitglied einer Wanderbühne, die das Publikum durch einen Zauberspiegel führt und auf diese Weise befähigt, seine Vorstellungskraft zu erforschen. Das visuelle Meisterstück zwang Cole, ihre bisher schwierigste schauspielerische Aufgabe zu bewältigen: Nachdem ihr Counterpart Heath Ledger nach der Hälfte der Produktion starb, mußte sie nicht nur mit dem Verlust eines guten Freundes fertigwerden, sondern auch mit dem geballten Können von Johnny Depp, Colin Farrell und Jude Law, die Ledgers Rolle als Akt des Tributs weiterspielten. Bei unserem Treffen vor der nordamerikanischen Premiere beim Toronto Film Festival begegnet uns Lily Cole als eine überraschend reife Frau. Ihre frühe Karriere und die dramatischen Ereignisse der Vergangenheit haben ihre Weltanschauung sichtbar geprägt. Lily, die fertige Version von Das Kabinett des Dr. Parnassus ist ein ziemliches Wunder: der Regisseur Terry Gilliam hat nicht nur ein Meisterwerk der Vorstellungskraft geschaffen, sondern ist auch in einer sehr kreativen Weise mit dem plötzlichen Tod Ihres lieben Mitschauspielers und Freundes Heath Ledger, der mitten in den Dreharbeiten verstarb, umgegangen. Was waren die Dreharbeiten für eine Erfahrung? Ich habe zwar eine begrenzte Erfahrung mit Filmen, kann aber sagen, daß es vom Anfang bis zum Ende ein einzigartiges Projekt war. Das Wort ‘Wunder’ beschreibt es ziemlich gut. Wie wurden Sie Teil davon? Ich wurde von der Casting-Chefin Irene Lamb für Rage, einen Film mit Sally Potter angesprochen, und das Casting für Terrys Film war eine Woche später, so daß sie mich weiterempfohlen hat. Sie waren als Model schon vor dem Film ziemlich berühmt – hat Ihnen das geholfen oder war es eher ein Hindernis? Das ist schwer auseinanderzuhalten: Leute können Vorur teile haben, die wahrscheinlich wenig hilfreich wären. Terry hatte keine, er war aufgeschlossen genug, mich aufgrund meiner Leistungen zu beurteilen. Was waren die schwierigsten Momente für Sie am Set zwischen diesen ganzen Superstars? Nach Heaths Tod war alles schrecklich, das ging aber allen so. Ich hatte keine Szenen mit Johnny oder Jude, aber mit Colin Farrell, und das war für alle schwierig, denn er spielte Heaths Rolle. Wie haben sie das hinbekommen? Haben Sie einfach vergessen oder gab es eine andere Art, mit dieser sonderbaren und traurigen Situation umzugehen? Wir haben einen Monat Auszeit genommen, danach kamen wir alle wieder zusammen und alle wußten, daß es für jeden von uns schwer war. Jeder hatte Heath geliebt. Wir alle wußten, wie talentiert und großzügig er war, der Verlust war sehr spürbar, besonders vor der Auszeit. Danach gab es ein gemeinsames Pflichtgefühl als Antriebskraft für unsere Arbeit.

Wie fühlen Sie sich bei dem Gedanken, daß die Premiere des Films in England stattfindet, an ihrem Wohnort London? Ich bin aufgeregt. Es war aus verschiedenen Gründen ein großer Teil meines Lebens und ich bin sehr gespannt, was meine Freunde und meine Familie dazu sagen. Schließlich wurde schon viel über den Film geredet in letzter Zeit.

ist. Aber jetzt bin ich es – ich hab wohl einfach Glück Es muß ganz schön schwierig für Sie sein, sich auf das Studium zu konzentrieren. Sie werden gehabt. bestimmt mit Angeboten überhäuft! Sie verdienen als Model sicher mehr Geld als für Ja, das ist es. Aber ich habe mir geschworen, daß ich das das Schauspielen, oder? zu Ende bringe, und außerdem schätze ich die GelegenWas genau finden Sie in der Schauspielerei, was heit, etwas lernen zu können. Sie als Model vermißt haben? Ja, das stimmt, aber Geld war nie mein Hauptanreiz. Viele Menschen sind vom Ruhm und der GelegenNatürlich ist es wichtig, aber ich würde jetzt nicht stud- heit, ein Star zu werden, so fasziniert, daß Sie ihre ieren, wenn mir das Geldverdienen wichtiger wäre. Ich Bildung vernachlässigen. Glauben Sie, daß das weiß nicht genau, was ich suche, aber es muß schöpferisch gefährlich sein kann? und intellektuell erfüllend sein. Ich glaube nicht, daß Schulbildung als eine Art langer Weg zum Erfolg zu betrachten ist. Ob der Weg zum Ich hörte, daß Sie auch Mitglied einer Umweltor- Erfolg lang oder kurz ist, entscheidet man selbst. Aber ganisation sind. Wie schaffen Sie das alles? ich glaube schon, daß es eine merkwürdige Besessenheit Das kostet nicht viel Zeit, da es hauptsächlich bedeutet, mit Prominenten und der ganzen Erfolgsidee gibt. Es sich bei bestimmten Events blicken zu lassen. Es paßt also kommt auf die Werte an, wenn man also studieren will zu meinem Tagesablauf. Es ist kein Vollzeitjob, aber ich oder tauchen oder zwei Jahre lang die Welt umsegeln, mache aus Zeitgründen auch nicht mehr so viel wie ich sollte man sich die Zeit dafür nehmen. gerne machen würde. Wenn jemand sie bitten würde, London zu verlasSie waren schon in einem sehr jungen Alter erfolg- sen und nach Hollywood zu gehen, um sich nach reich. Wem vertrauen Sie in dieser ganzen Ver- verschiedenen Rollen umzusehen – würden Sie rücktheit? es tun? Ich bin wirklich mit guten Freunden gesegnet und ver- Mein Freund lebt in L.A., so daß ich dort viel Zeit versuche, mich immer mit guten Menschen zu umgeben, bringe und ziemlich glücklich dabei bin. Es ist dort viel lockerer als in London. denen ich vertrauen kann.

Was ist Ihrer Meinung nach der Grund, daß der Film so viel Aufmerksamkeit bekommt? Leider hat die Tatsache, daß es Heaths letzter Film ist, sicher eine große Anziehungskraft auf die Neugier vieler Leute. Aber auf lange Sicht wird man den Film als das würdigen, was er meiner Meinung nach ist – ein großartiges Sie haben mit 14 angefangen zu modeln. Wer hat Werk von Terry. Sie entdeckt? Was haben Sie seitdem gemacht? Modeln sie wie- Ich lief durch Soho in London, als ein Model-Scout mich der oder drehen sie einen anderen Film? ansprach und mir seine Karte gab. Ich ging hin und bin Ich studiere in England und habe letzten Monat eine bis heute bei derselben Agentur. kleine Sache mit Roland Joffé gemacht (There Be Dragons). Aber ich habe mir auch eine kleine Pause gegönnt. Wie schwer ist es, so jung mit dem Modeln anzufangen im Vergleich zu einem normalen TeenagWas spielen Sie da? erleben? Ich bin ein vergewaltigtes Mädchen in einem psychia- Ich hatte keine andere Erfahrung als Vierzehn-, Fünfzehnoder Sechzehnjährige, so daß mir der Vergleich fehlt. Aber trischen Krankenhaus. ich glaube nicht, daß ich mich davon einschüchtern lassen Das ist bestimmt sehr schwierig? habe. Es gibt Aspekte der Modeindustrie, die ich sehr hart Ja, es war aber nur für kurze Zeit und ich fand es faszinie- fand, aber die Aussicht, arbeiten und viel reisen zu könrend, jemanden zu spielen, der so anders ist als ich. nen, fand ich immer sehr aufregend. Das Leben hat mich ziemlich schnell erwachsen werden lassen. Wollen Sie die Model-Karriere zugunsten einer richtigen Schauspielkarriere aufgeben oder planen Als Sie Ihre Model-Karriere begannen, waren Sie Sie, beides zu verbinden? da sehr besorgt um Ihr Aussehen und Ihr Gewicht? Vom praktischen Standpunkt her hatte ich einfach gar Sind Sie da jetzt entspannter? keine Zeit mehr, so viel zu modeln wie früher. Während Ja, ich glaube, das hat mich sehr beschäftigt, da Körperder Dreharbeiten habe ich für sechs Monate ganz aufge- lichkeit so wichtig ist. Jetzt beim Studium bedeutet hört und jetzt studiere ich, das hat Priorität. Mir macht das nicht mehr so viel, aber ich habe immer einen sehr das Schauspielen definitiv mehr Spaß, sollte sich also die gesunden Lebensstil gehabt, was mir natürlich entgeGelegenheit bieten, werde ich dem mehr Zeit widmen. genkommt. Hatten Sie Schauspielerfahrung, bevor Sie Model wurden? Ja, ich habe viel gespielt, zu Hause und in der Schule und ich mochte es sehr. Aber dann begann die ModelKarriere und ich war zu beschäftigt. Außerdem habe ich eingesehen, daß dieser Jugendtraum, dieses ‘O, ich will Schauspielerin werden’, professionell sehr unrealistisch

Würden Sie gerne mal zusammen arbeiten? Ja, sehr gerne. Was würden Sie sonst noch gerne machen in Ihrem Leben? Vieles. Eines der Dinge, die ich am Schauspiel so mag, ist die Möglichkeit, so viele verschiedene Rollen zu spielen. Man weiß, ob man zum Tanzen aufgefordert wird, zum Singen oder dazu, eine Bibliothekarin zu spielen. Man kann da überall mal einen Fuß in die Tür setzen. Ich glaube, ich finde meinen eigenen Weg. Ich mag es, Dinge herzustellen – ob das nun Filme sind oder ein paar schlechte Zeichnungen nur für mich selbst, ich mag es einfach.

Würden Sie gerne etwas Bedeutendes in der Modeindustrie machen, zum Beispiel Ihr eigenes Label, oder eine Kollektion? Nein, das glaube ich nicht. Auch wenn ich während der Modenschauen nicht arbeite, die Modeindustrie ist so verflochten mit der Filmindustrie, daß ich sicher jederzeit wieder diesen Leuten über den Weg laufe, was schön ist. Ich bringe eine Kollektion heraus, aber das ist kein Versuch, Designerin zu werden. Ich unterstütze nur eine ethisch sehr engagierte Designerin in London. Sie rettet Schafe aus Schlachthäusern und macht Woll- und Ist es manchmal ein Nachteil, schön zu sein? An Kaschmirkleidung. Eine Freundin und ich hatten diese der Uni zum Beispiel? lustige innovative Idee, mit ihr zu arbeiten, aber das heißt Ich sehe an der Uni gar nicht immer schön aus. Ehrlich auf keinen Fall, daß ich irgendwelche Ambitionen als gesagt denke ich da gar nicht drüber nach. Ich gehe da Designerin hätte. hin, um zu lernen und interessante Leute zu treffen. Meine Erscheinung spielt da keine so große Rolle.


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Strickjacke: LaLa Berlin Tasche: Hecking

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KARUSSELL

Strickm端tze: starstyling


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Strickschal: Hecking Lederjacke: Firma

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Wollmantel: einhundert Ledertasche: Firma Fotograph: C. Steinhausen Model: Isabella@Izaio Fashion: Bruce Hamilton


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MACH DIE FLIEGE

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Sie wissen nicht, wie man eine Fliege bindet? Ihnen fällt auch gar nicht ein, wieso Sie das wissen sollten? Weil Ihnen noch viel weniger einfällt, wann und wozu Sie je dazu verdonnert werden könnten, eine Fliege tragen zu müssen. Und wenn, wenn der Fall doch eintreten sollte, sagen wir, zu einem Kostümfest, dann kann man sich ja eine dieser an Gummistrapsen befestigten Propeller im entsprechenden Kostümverleih ausleihen? Nein. Nein, nein, nein. So geht das nicht. Fragen Sie Jan-Henrik M. Scheper-Stuke. Der junge Mann von der Berliner Krawattenmanufaktur Edsor Kronen, die in ihrer hundertjährigen Geschichte ausschließlich Selbstbinder-Schleifen angeboten hat, kann Ihnen das erklären. Es fängt schon einmal damit an, daß „Fliege-tragen-müssen“ die grundfalsche Einstellung ist. Dürfen. Seien Sie froh, wenn Sie mal die Gelegenheit haben, eine Fliege tragen zu dürfen. Ihr Leben ist so armselig, keine Bälle, keine Gönner, die Einladungen zu Soiréen mit Dresscode „white tie“ verschicken? Egal. Jan-Henrik beweist Ihnen gerne, daß man eine Fliege auch täglich tragen kann. Aber eben: Selbstgebunden. Sie tragen doch auch keine vorgebundenen Krawatten, nicht? Oder gar vorgefaltete Einstecktücher? Also. Oder doch? Essen Sie Carpaccio aus der Packung? Nein, nicht doch. Wer nicht wie reingeprügelt in seinen Anzug aussehen will, der pappt sich keine Instant-Accessoires an die Brust. Das Selbstbinden ist die Konzentrationsübung der Herrengarderobe, wer durchhält, wird reich belohnt.Jan-Henrik macht es vor, er macht es jeden Morgen, es dauert mit ein wenig Übung 7, 8 Minuten und es sieht den ganzen Tag lang prachtvoll aus. Obwohl „der ganze Tag“ den harten Arbeitstag als Juniorchef von Edsor Kronen meint und er abends manchmal nur noch erschöpft ins Bett fällt. Und wenn es soweit ist: Fast ebenso wichtig wie das Binden ist das nonchalante Lösen der Fliege. Nichts ist so sexy wie mit jamesbondartig aufgeknöpftem Hemd herumzufläzen, rechts und links die offenen Fliegenenden auf der Brust. Jan Joswig

HOLLYWHAT

DER CELEBRITY-KNIGGE. DIESMAL: DAS COMEBACK - WIE MAN ES RICHTIG ANSTELLT Ein paar Dinge waren früher wirklich besser: Comebacks zum Beispiel. Im fernen Jahr 1984 traten eine mir bis dahin unbekannte Frau, ihre fabelhafte Perücke und ihr Lied „What’s Love got to do with it“ in mein Teenager-Bewußtsein, und meine Umgebung faselte von einem „fulminanten Comeback“. Ich nicht: Ich wußte gar nicht, daß sie, Tina Turner, überhaupt weg gewesen war, und ich wußte auch nicht, was fulminant hieß. Doch ich mochte das Lied, die Perücke und Turners Geschichte: Als sie sich Mitte der 70er entschlossen hatte, ihren prügelnden, drogenabhängigen Mann zu verlassen, hatte sie 36 Cent in der Tasche und eine Tankstellenkarte. Sie versteckte sich bei Freunden, schnorrte Lebensmittel und fand Trost im Buddhismus. Als sie dann nach über zehn Jahren wieder auftauchte, stieg sie wie der Phönix, der mythische Vogel, aus der Asche. Das Comeback ist nichts anderes als ein moderner Mythos, und wenn die Geschichte dazu stimmt, gönnt die ganze Welt einem den Erfolg. Man sollte sich kurz einmal die Bedeutung von Comeback vor Augen führen: Es bedeutet Rückkehr. Zurückkehren kann aber nur der, der mal weg gewesen ist, und sich nicht etwa wie Robbie Williams drei Jahre lang eine Wampe angefressen und dann wieder angefangen hat zu arbeiten, weil er

sonst beim Golfen vor Langeweile gestorben wäre. Das, was Robbie Williams 2009 vollbracht hat, war kein Comeback - er hat einfach wieder ein Album aufgenommen, so wie es irgendwann zu erwarten war. Man freut sich zwar, daß er wieder da ist, und auch daß er jetzt eine Freundin hat, doch ein Comeback ist das nicht. Bei Whitney Houston, dem anderen viel besprochenen Comeback des letzten Jahres, verhält es sich schon etwas anders, denn sie war lange genug weg, und zwar da, von wo aus man ein Comeback am besten startet: in der Drogenhölle. Die Hölle, durch die man ging (kann auch wahlweise aus Alkohol, Pillen, Sex- oder Spielsucht bestehen) ist eine wichtige Voraussetzung für ein Comeback. Man muß nämlich, um ein Comeback richtig zu vermarkten, von „der Hölle“ erzählen können, und zwar unter Schluchzern und Tränen, am besten bei „Oprah“. Allerdings lassen Houstons holprige Auftritte und verwirrte Verfassung darauf schließen, daß sie entweder immer noch in den Abgrund starrt, oder aber daß ihr die Crackpfeife einen dauerhaften Schaden zugefügt hat. Das Schlimmste an Houstons halbgarem Comeback ist ihre Stimme, für die man sie früher lieben mußte: Sie ist weg, und das, was sie heute singt, ist nicht besonders gut.

Das Publikum liebt den Star, der mal am Boden war und zurückkommt, denn er verkörpert Hoffnung, Stärke und die Illusion, daß sich alles (also auch das eigene Schicksal) zum Besseren wenden kann und daß es nie zu spät ist. John Travolta war ein dicklicher, Hüften schwingender has-been (auch eine gute Comeback-Voraussetzung), als er mit der Rolle des Vincent Vega in Quentin Tarantinos „Pulp Fiction“ überraschend Kultstatus erlangte. Das war 1994. Sein Kultstatus ist längst wieder verloren, doch gerade darin schwingt wieder die Hoffnung, daß er es noch einmal schaffen könnte - wie ein echter has-been-Phönix aus der Asche. Danijela Pilic


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MEIN NEUER Ein Spritzer Zitrone, ein Rosenblatt und ein Hauch Moschus – fertig ist der langweilige Allerweltsduft. Was nützen das schönste Chanel-Outfit oder der Maßanzug aus der Savile Row, wenn man in der U-Bahn oder im Wartezimmer genauso riecht wie all die anderen, die dort sitzend in den Magazinen blättern, in denen eben jene „Trendparfums“ vorgestellt werden? Ein Teufelskreis, denn woher soll man erfahren, daß es ein anderes Duftuniversum gibt? Wir helfen gern. Die Suche nach einem ausgefallenen Duftliebling, den man fast (!) ganz für sich alleine hat, lohnt sich. Glücklicherweise gibt es unter den etwa 500 Neuerscheinungen jedes Jahr immer ein paar Ausnahmetalente mit ungewöhnlich feinen Nuancen. Man muß sie nur finden und dann vor allem schnell zuschlagen, denn sie werden nur selektiv vertrieben und sind oft limitiert. Hier eine Auswahl von wirklich exquisiten und phantasievollen Parfums. Julie Gorkow

PARIS, PARIS Pure Nostalgie: Rosenduft als Hauptessenz, der Flacon erinnert an die ersten Parfumfläschchen, verziert mit einer Kordel. Ganz anders jedoch das Testresultat: ein berauschender Mix von Süßholz, schwarzer Pflaume, Safran, Eichenmoos – und eben Rose. Intensiv, nur in Maßen aufsprühen! Secrets de Rose von Parfums de Rosine 50ml ca. 75 € http://www.ausliebezumduft.de/

MÄNNERLIEBLING

HALLUZINOGEN

DUFTSTAR

GENTLEWOMAN

Parfum-Nerds kennen ihre Website: die Jungs von www. ausliebezumduft.de haben sich zum 10jährigen Firmenjubiläum einfach selber beschenkt und sich ihren eigenen Duft „No.1“ vom Parfumeur Marc vom Ende entwerfen lassen. Mit zum Beispiel Ingwer, Leder und Gewürzen. Spicy! No. 1 von Marc vom Ende 100ml, ca. 100 € www.ausliebezumduft.de

Literweise tranken Feingeister wie Oscar Wilde und Edgar Allan Poe Absinth, in der Hoffnung, daß der hochprozentige Kräuterlikör ihre Kreativität befeuern würde. Irrationale Sinneserfahrungen soll auch der gleichnamige Duft wecken, der natürlich aus Wermut und krautigen Noten besteht. Für Männer und Frauen! Absinth von Nasomatto 30ml, ca. 98 € www.thedifferentscent.de

Das Besondere an den Düften von Humiecki & Graef: Sie setzen bei der Kombination der Essenzen nicht auf die klassische Duftpyramide, sondern auf die Form eines Sterns, so daß sich der Duft dauerhaft und harmonisch entwickeln kann. Auch bei ihrem „Neuen“ namens Clemency (Gnade) ist das so. Anmutig und warm – ausprobieren! Clemency von Humiecki & Graef 100ml, ca. 149 € www.parfuemerie-brueckner.com

Eine Hommage an Audrey Hepburn vom englischen Parfum-Guru Oliver Creed. Im schwarzen, schweren Flacon, der an Audreys kleines Schwarzes aus „Frühstück bei Tiffany“ erinnern soll, steckt ein süßliches Elixier aus Veilchen- und Nelken-Nuancen und Zedernholz. Unvergeßlich gut! Love in Black von Creed 75ml, ca. 125 € www.douglas.de

MADE IN ITALY

TAUSENDUNDEINE NACHT

KÖNIGSKIND

EIN COLT FÜR ALLE FÄLLE

Eine kleine Traditionsmanufaktur in Norditalien präsentiert ihren jüngsten Parfum-Sproß: „Kid Mohair“. Der Duft mit den Essenzen aus Kaschmirwolle und Seide ist der Großmutter des Unternehmens gewidmet, die aus einer jahrhundertealten Wolldynastie stammt. Mango und Mandarine, Rose und rosa Pfeffer geben dem femininen Duft eine besondere Eleganz. Potential zum Klassiker! Kid Mohair von Acqua di Biella 100ml, ca. 120 € www.KaDeWe.de

Ein Duft mit Geschichte: Lalibela ist nach der gleichnamigen heiligen Stadt in Äthiopien benannt, deren zwölf Kirchen ein Engel in nur einer Nacht erbaut haben soll. Engelsgleich ist auch die Komposition der Nuancen dieses orientalischen Duftes: Jasmin, Kokos, Patchouli, Vanille und Weihrauch. Für Freunde von süßlich-balsamischen Noten! Lalibela von Memo 30ml, ca. 68 € www.ludwigbeck.com

Direkt aus unserer Lieblingsstadt und vom ehemaligen Hoflieferanten der Royals: Das Geschenkset vom Londoner Dufthaus Penhaligon’s namens „Malabah“ mit Duftkerze und Parfum, verpackt in einer entzückenden Schachtel. Duft und Kerze verströmen eine würziges Aroma von grünem Koriander, Earl Grey Tee und Zitrusnoten. Klar, das beste Geschenk! „Malabah“ Set von Penhaligon’s Preis auf Anfrage www.departmentstore-quartier206.com

Die fünfte Kreation des Kultlabels, aber der erste maskuline Duft – für Frauen. Inspiration diesmal: Calamity Jane, das erste Cowgirl, das so schießen, reiten und trinken konnte wie Billy The Kid & Co. Duftet männlich und weiblich zugleich nach Ambra, Iris und Moschus. Verrucht wie Lou Doillon, Testimonial der Kampagne. Für Frauen, die sich trauen! Calamity J von Juliette has a gun 50ml, ca. 68 € www.parfumdreams.de


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KULTURNEWS

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VORBILD UND NACHHALL

EINE MEILE DAVIS

WORTE OHNE LIEDER

Das ewige Wunder der Popmusik ist, wie aus einer im jugendlichen Übermut gemachten Behauptung eine unbestreitbare Wahrheit wird - relevante Musik zur Zeit. Nehmen wir diese drei blutjungen, schick angezogenen Männer aus Manchester, sie haben ihre Band Delphic genannt: Sie sagen, sie lieben Tarkovsky-Filme, Rothko-Gemälde und die Bücher von Joyce, Camus, Kafka, Sartre; und daß sie fürs neue Manchester gern das wären, was Joy Division fürs alte gewesen sei. Man könnte sich nun fragen, ob man mit Anfang Zwanzig wirklich all das verstanden haben kann, was man da so als Einfluß zitiert; auch um zu wissen, welch fatalen Anspruch man damit formuliert. Aber das sind die falschen Fragen. An Popmusik muß man glauben. Delphics Debütalbum „Acolyte“ macht es einem leicht mit dem Glauben: So smart und verzweifelt schön hat eine Band schon länger nicht mehr elektronische Popmusik gespielt. Das Einzige, an dem Delphic wirklich scheitern könnten, ist wohl ihr Ehrgeiz. Der macht einen entweder kaputt. Oder zur nächsten Stadionband mit überdimensioniertem Ego. DP Delphic: Acolyte. Kitsuné/Cooperative Music/Universal

Mir fallen kaum Künstler ein, von denen man sich eine derartig umfangreiche Sammlung zulegen sollte, immerhin 52 Alben auf 70 CDs. Aber Miles Davis läßt sich ohnehin mit niemandem vergleichen. Die über 40 Jahre dauernde Karriere des Trompeters und Bandleaders ist gleichzeitig eine Stilgeschichte des Jazz vom Be Bop, Hard Bop und Cool Jazz bis zu pan-afrikanisch inspirierter psychedelischer Fusion-Musik, die heute noch zeitgemäß klingt. Miles war der „Prince Of Darkness“, der „Dark Magus“, der den Jazz gleich mehrmals neu erfunden hat. Dabei hat er so ziemlich jeden berühmten Musiker der nachfolgenden Generationen als Zögling großgemacht und Jahrhundert-Platten hinterlassen wie „Kind Of Blue“ und „Bitches Brew“. Der in dieser Box zusammengebrachte große Teil seines Werkes entspricht dem Speichervolumen eines mittelgroßen iPods - eine Playlist für die Ewigkeit. Dazu gibt es 250 Seiten Booklet, eine DVD und Repliken der Originalcover: Eine massive Würdigung des Meisters und Visionärs. CT Miles Davis: The Complete Columbia Album Collection (Box). Sony Music, 165 €

Kann man jemanden ernstnehmen, der sich Janie J. Jones nennen läßt, und sei es auch nur von alten Säcken? Jemanden, der selbst ein alter Sack ist und auftritt, noch dazu rockend? Ja, kann man. Muß man sogar. Janie Jones ist Peter Hein. Peter Hein ist Dichter, spätberufen. Und Sänger der Fehlfarben und zwei, drei anderer Bands, frühberufen. Er war der geniale Sänger eines rhythmischen Nichtsingens. Später sang er dann doch. Schade. Aber die Texte wurden besser. Trotz solcher frühen Zeilen wie „Paul ist tot, kein Freispiel drin“ wurden sie besser. Obwohl das auch schon eine wunderbare Zeile ist. Und der Dichter, der mehr konnte als Songtexte, entdeckte sich spät, in seinen „Wegbeschreibungen“, die er im sehr feinen Lilienfeld Verlag veröffentlichte unter dem Titel „Geht so“. Dort sind nun die Songtexte erschienen, die bekannten und die weniger bekannten, und sie brauchen nicht unbedingt Musik. Im besten Fall ist der Rhythmus zwingend, bringt die Texte von allein in Bewegung. Das liest man gern, auch ohne Musik. Und ohne Gesang. Lyrik eben. JS Peter Hein: Die Songtexte 1979-2009. Lilienfeld Verlag, Düsseldorf 2009, 240 Seiten, 19,90 €

KAMERA AB “Well, there’s always been a struggle between art and commerce, and now I’m telling you, art is getting its ass kicked!” Aaron Sorking, Produzent der Erfolgsserie „The West Wing“, die am häufigsten in einem Jahr geehrte amerikanische Fernsehserie der Geschichte, wagt sich an das Medium selbst. In der von 2006-2007 in den USA gezeigten Serie „Studio 60 on the Sunset Strip“ geht es um viel mehr als um eine late-night Comedy-Show: Themen sind der Niedergang des nordamerikanischen Fernsehens, uninspirierte Autoren und frustrierte Schauspieler, mutlose Sketche, immer und immer wieder gespielt, sich auf das Phänomen der Besserung durch Wiederholung verlassend. Produzent und Chefautor Wes Mendell (Judd Hirsch) steht am Anfang dieser Serie am Ende seiner Karriere: Er ist desillusioniert und müde und wird von NBC dazu gezwungen, seinen Eröffnungssketch Crazy Christians zu streichen und durch einen schlechten Verwechslungs-Sketch über George Bush und George Plimpton zu ersetzen. Daraufhin unterbricht dieser die Live Show und fordert die Zuschauer vor laufenden Kameras dazu auf abzuschalten, denn „TV is making us mean, and it’s making us bitchy, it’s making us cheap punks. That’s not who we are.“ Natürlich ist dies das offizielle Ende Mendells, der von der neuen, unkonventionellen Präsidentin des NBC Jordan McDeere (Amanda Peet) zwar entlassen, aber durch seine Zöglinge Matt Albie (Matthew Perry) und Danny Tripp (Bradley Whitford) ersetzt wird – in der Hoffnung, dass diese „Studio 60“ retten und zu neuem Erfolg führen mögen. Sketche wie Science Schmience oder Crazy Christians sind nur einer der wirklich vielen erfreulichen Teile dieser außergewöhnlich klugen und mutigen Serie, deren schnelle Single-Camera in den engen Gängen des Backstage-Bereiches des Studio

60 herausfordernd und aufregend ist. Und jede Menge Stars statten der Show in der Show einen Besuch ab: Felicity Huffman, John Goodman, Lauren Graham und viele mehr. „Studio 60 on the Sunset Strip“ lief in den USA aufgrund von einbrechenden Quoten nur ein knappes Jahr und in Deutschland überhaupt nicht, abgesehen vom Abosender FOX. Dieses Schicksal teilt die Serie mit vielen anderen großartigen Shows aus den USA, wie auch „The West Wing“ oder „Curb your Enthusiasm“ von und mit Larry David, der bereits mit Seinfeld einen unfaßbaren Erfolg feierte. Warum diese Shows in Deutschland nicht laufen, bleibt ein Rätsel. Es mag daran liegen, daß sie überhaupt gar nicht erst die sogenannten Gremien und Menschen, die sich „Unterhaltungschef “ nennen, passieren. Und wenn, dann werden sie auf Anraten eben jener sogenannten Gremien und Unterhaltungschefs schlecht synchronisiert, jeder spezifische Sound der Figuren entstellend kopiert, jeder Wortwitz falsch übersetzt und zielsicher getötet. Wes Mandell behält leider recht: „Art is getting its ass kicked!“ Das schlaue Publikum besorgt sich jetzt die DVD-Box bei amazon.co.uk und lacht sich eins auf dem Sofa. Henriette Gallus

KAMERA DRAN

Motiven. Ron Galella hat die Celebritykultur, wie wir sie heute kennen, quasi erfunden. Seit den 60er Jahren verfolgt er berühmte Persönlichkeiten und setzt den inszenierten Bildern der PR-Agenturen andere Bilder entgegen. Sozusagen Glamour vérité. Es gehe ihm um den flüchtigen Moment, in dem ein Star (für Galella etwas anderes als „Celebrity Trash“ à la Hilton, Lohan, Spears) sein wahres Charisma entblößt. Dabei sind Galellas Bilder handwerklich und ästhetisch immer eine Teleobjektiv-Reichweite entfernt vom grobkörnigen Oben-Ohne und Cellulitis-Müll der heutigen Gossipmedien. Christian Tjaben

Italo-amerikanischer geht nicht: Als der Sender HBO die Drehorte für die „Sopranos“ casten ließ, war auch das Haus des Fotografen Ron Galella in New Jersey als Kulisse im Gespräch. Die pseudo-klassischen Säulen und Amorstatuen am Eingang plus ein plüschrosa Kinderzimmer, das hätte schon zu Tony Soprano gepaßt. Zum Schluß fehlte ein Swimmingpool im Garten, um die Fernsehproduzenten zu überzeugen. Im Garten der Galellas befindet sich stattdessen eine Spiellandschaft für zwei Hasen, die dort inzwischen begraben liegen und die ehemals im rosa Zimmerchen gewohnt haben. Ein Pool und tatsächliche Kinder, das hätte nicht zu Ron Galella gepaßt. Der berüchtigte Ur-Paparazzo war einer vom wilden Schlag. In sei- Ron Galella: Viva L’Italia nem toughen Berufsleben geschah vieles, das sich heute 200 Seiten, 250 Abbildungen, 55US$ liest wie eine nette Anekdote: Von Marlon Brando ver- www.powerhousebooks.com prügelt (Kieferbruch), von Jackie Kennedy verklagt (einstweilige Verfügung), von Andy Warhol verehrt (es gibt schlimmeres). Gallela wurde durchaus von den Stars benutzt, die ihn zwar immer wieder wie eine Schmeißfliege abzuwehren suchten, aber, wenn es zum Thema Selbstdarstellung kam, sehr gern auf seine Bilder zurückgriffen: weil sie sich von ihm eben doch am besten getroffen fühlten. Bevor Ende Januar „Smash His Camera“, ein Dokumentarfilm über ihn, auf dem Sundance-Filmfestival läuft, bietet dieses Buch eine weitere Facette des umtriebigen Bildermachers. „Viva L’Italia“ ist nach „Disco Years“ und „No Pictures“ das dritte Galella Buch, das im New Yorker PowerHouse Books Verlag erscheint. Waren es zuvor seine legendären Studio 54 Bilder und Fotos, auf denen berühmte Menschen sich dagegen verwehren, fotographiert zu werden, ist diesmal die Herkunft der Protagonisten verbindendes Element des Materials. Italienische Italiener wie Fellini, Monica Belluci und die Versaces und amerikanische Italiener wie Sinatra, De Niro, di Caprio und die Coppolas finden sich auf über 250 s/w


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FIKTION

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DEZEMBER 2009

JAHRGANG 01

AUS: EINSAMKEIT UND SEX UND MITLEID VON HELMUT KRAUSSER 1 Die Spelunke am Viktoriapark machte um neunzehn Uhr dicht. Vincent fragte die Kellnerin, ob sie Familie habe, auf die sie sich freue. Die Kellnerin verneinte, aber man komme in ihrem Beruf selten genug zu einem ungestörten Fernsehabend. Es hätte Lokale gegeben, wenigstens ein paar türkische Kneipen, denen Weihnachten vollkommen egal war. Vincent spürte aber wenig Lust, sich zu betrinken. Später am Abend konnten sich noch Kundinnen melden, das war an Weihnachten gar nichts ungewöhnliches, meist zeigten die sich dann über die Maßen spendabel. Die Aussicht, auf irgendeiner Sammelstelle für melancholische Einzelgänger hinzudämmern, seine Einsamkeit zur Schau zu stellen, widerte Vincent an, und er überquerte die Straße, mit hochgeschlagenem Mantelkragen. Schneeregen fiel; im Standlicht eines Autos wirkten die Flocken wie Schwärme winziger Vögel, leuchteten auf, bevor sie am Boden zerschmolzen. Das Treppenhaus roch muffig. Vincent nahm drei Stufen auf einmal. Die Tür zu seiner Wohnung war nicht abgesperrt, er litt unter der Phobie, seine Schlüssel zu verlieren, wenn er nachts durchs Viertel zog. Das Risiko eines Einbruchs schien ihm deswegen nicht höher, im Gegenteil. Offene Türen und in der Diele brennendes Licht, glaubte er, würden Diebe verunsichern. Vincent hängte den feuchten Mantel über die Heizung, zog sich komplett aus und ließ heißes Wasser in die Wanne. Aus dem Radio dudelte Musik in den Flur. It was a very good year. Vincent runzelte die Stirn, ging ins Schlafzimmer und stellte die Anlage ab, obwohl er SinatraSchnulzen mochte. Er tunkte einen Finger in die halbvollgelaufene Wanne. Das Wasser war noch zu heiß. Zeit für eine Zigarette, am Küchentisch, mit Blick hinaus auf den Schnee, darin, im grauen Gewusel, die Spiegelung seines muskulösen, gut trainierten Oberkörpers. So gut war das Jahr nicht gewesen, nein. Vincent suchte Zigaretten, fand nirgends welche, nicht einmal in den Innentaschen seiner beiden Sakkos, wo er sonst fast immer fündig geworden war, und er wurde wütend bei dem Gedanken, sich erneut anzuziehen und welche am Automaten holen zu müssen. Warum ist es nur so schwer, fragte er sich, mal ein paar Stangen auf Vorrat zu kaufen? Und warum eigentlich spielt der Klassiksender an Weihnachten einen Sinatra-Song? Er fühlte sich plötzlich, von einer Sekunde auf die andere, unwohl in seiner Nacktheit, ohne Gründe dafür nennen zu können. Die Heizung lief auf höchster Stufe, die Rolläden waren sämtlich herabgelassen, jetzt auch der in der Küche. Er ging ins Bad, prüfte erneut die Temperatur des Wassers. Irgendetwas hielt ihn davon ab, in die Wanne zu steigen. Ihm war, als würde sich, im unteren linken Eck seines Sichtfelds, etwas gerührt haben, eine ganz winzige Bewegung, wie der Hauch eines Schattens, der über eine nur etwas weniger dunkle Fläche hinweghuscht. Vincent drehte sich um, trat auf den halbdunklen Flur, sah nach links, zur Wohnungstür, sah nach rechts - und etwas prallte mit ihm zusammen, wollte an ihm vorbei, stieß ihn mit zwei Fäusten zu Boden. Aus einem Reflex heraus griff er zu, bekam Haare zu fassen, spürte, wie das Mädchen zutrat und um sich schlug. Er krallte sich an ihr fest, brachte sie zum Stolpern, keine Sekunde später lag er auf ihr. Sie war nicht allzu kräftig. Ein Mädchen um die neunzehn, zwanzig, vielleicht jünger, in Jeans und Baseballjacke. Er hielt ihre Handgelenke fest, sie wandte das Gesicht von ihm ab, sagte nichts, schrie nicht, selbst das Zerren und Treten gab sie auf und lag bald wie ohnmächtig unter ihm. Strähniges, vermutlich dunkelblondes Haar. Allzuviel war in dem Licht, das aus Küche und Bad in den Flur drang, nicht zu erkennen. Vincent hätte sie gern losgelassen, aber jetzt erst, viel zu spät, bekam er Angst. Was, wenn sie bewaffnet war? Fixerin vielleicht, auf Turkey, vom Entzug jeder Hemmung beraubt - oder eins der Biester von den Straßengangs, die im Hinterhof mit Schmetterlingsmessern herumspielten - nun zitterte ihr Kopf, das Zittern lief durch ihren

schlanken Hals und setzte sich in den Schultern fort. Leises Schluchzen war zu hören. Trotz der Umstände kam sich Vincent brutal vor, so nackt und schwer auf ihr zu liegen. Und was, wenn sie - man mußte an vieles denken - besonders durchtrieben war und begann, um Hilfe zu schreien, sie würde vergewaltigt? Die Situation gefiel ihm weniger und weniger, er überlegte, die Einbrecherin laufen zu lassen, sie einfach loszulassen und hinter ihr die Tür zu verrammeln. Aber - und das wog als Einwand schwer - sie konnte im Schlafzimmerschrank die Geldbörse gefunden haben! Schwer verdientes Geld, auf das Vincent nicht verzichten mochte. So vergingen drei, fast vier Minuten, ohne Entschluß, ohne Worte. Das Mädchen heulte. Er lockerte seinen Griff, aber nur leicht, gerade so viel, um die Kontrolle zu behalten, ohne ihr weh tun zu müssen. „Wer bist du?“ fragte er - zugleich kam ihm die Frage albern vor, unsinnig. Was sollte sie darauf sagen? Irgendeinen Namen? „Hast du was mitgehen lassen? Gibs her, dann kannst du abhaun!“ Endlich sah ihn das Mädchen an. Nein, sie war eine junge Frau, kein Mädchen mehr. Ihr Gesicht, soviel konnte man auch bei schwacher Beleuchtung erkennen, strotzte vor Dreck. Es mußte Wochen her sein, seit sie sich zum letzten Mal die Haare gewaschen hatte. Viel Schwarz lag unter jenen ihrer Fingernägel, die nicht völlig abgekaut waren. Auch roch sie nach altem Schweiß und feuchtem Leder. Unwillkürlich, angeekelt, ließ er sie los. Ohne sich darüber klar zu sein, was seine Einschätzung der Situation verändert haben konnte, fühlte er, daß keine echte, ernstzunehmende Gefahr von ihr ausging. „Ich hab nix geklaut! Nur‘n paar Zigaretten...“ Vincent rückte von ihr ab, setzte sich zwischen sie und die Wohnungstür, im Schneidersitz, die Hände auf den Boden gestemmt, bereit, notfalls aufzuspringen und sie abzufangen. Das Mädchen, jetzt wirkte sie doch wieder wie ein Mädchen, weinte nicht mehr, blickte ihn unschlüssig an, in einer Mischung aus Lethargie und Angst. Dann stierte sie auf seinen Penis, der halbsteif pendelte, was ihm peinlich war. Er legte eine Hand auf die sich anbahnende, ebenso unwillkommene wie schwer zu erklärende Erektion und deutete mit der anderen nach rechts, in Richtung des schaumgekrönten Wassers. „Du könntest echt mal ein Bad brauchen.“ „Hä?“ Es klang nach einem schläfrig-verständnislosen Hä, das sich auf den Arm genommen glaubte. Vincent hingegen spürte das angenehme, fast euphorische Gefühl, einer verworrenen Sachlage langsam Herr zu werden, mit jedem Wort, das genug Atem fand, um sich vom Gedanken in eine Äußerung zu verwandeln. „Ich mach dir nen Vorschlag: Du gehst da hinein, nimmst ein Bad, du darfst auch absperren. Derweil durchsuch ich deine Sachen. Danach kannst du dich anziehn und gehn.“ „Ich hab nix geklaut...“ wiederholte das Mädchen müde, senkte dabei den Kopf, als sähe sie, wenn auch widerstrebend, ein, daß ihren Worten schwer zu trauen sei. „Das werd ich dann feststellen.“ „Wenn ich ins Bad geh - holst du die Bullen?“ „Nein. Versprochen.“ Sie zögerte, fuhr sich mit den Fingern kreuz und quer durchs Gesicht, als müsse sie sich erst allerhand Zweifel und schlechte Erfahrungen aus der Haut reiben. Vincents Augen hatten sich inzwischen an die Düsternis gewöhnt, und was er sah, begann ihm zu gefallen. „Guck weg!“ Sie stand auf und zog sich aus, warf schnell ihre Sachen von sich sie trug drei Paar dicke Socken übereinander - bis sie in Slip und BH vor ihm stand, die Arme vor der Brust gekreuzt. Ihr Körper - Einstichstellen waren auf den ersten Blick nirgends zu entdecken - sah abgemagert, doch nicht grundkrank aus. Ihre Haut besaß sogar gewissen Reiz, hatte sich unter dem Dreck etwas jugendlich Gesundes bewahrt, ein wenig Glanz auf Schultern

und Oberschenkeln, und soviel Restbräune vom letzten Sommer, daß man sie für eine Halbmulattin hätte halten können. „Okay so?“ Sie stellte die Frage fast beiläufig, als würde sie mit einem Arzt reden. Vincent nickte. Das Mädchen gehorchte und ging ins Bad. Er hörte, wie sich der Schlüssel im Schloß drehte. Sollte er nun wirklich diese schmierigen, schmutzstarrenden Klamotten durchsuchen? Er fand es plötzlich penibel und nicht korrekt - obwohl, sie hatte schließlich bei ihm eingebrochen! Er überlegte hin und her, ließ die Kleider unberührt liegen, lief ins Schlafzimmer, die Geldbörse war noch da und auch voll, na also - und wenn das Mädchen sonst etwas hatte mitgehen lassen - was konnte das wert sein? Nur auf die Zigaretten - wenigstens auf die Hälfte der Zigaretten - würde er bestehen. Hastig zog Vincent eine Turnhose an, holte aus der Küche einen Aschenbecher und setzte sich, gegenüber der Badtür, an die Wand. Lange saß er so da. Rauchte. „Hast du Hunger?“ Keine Antwort. Er wiederholte die Frage, lauter, glaubte, ein schwaches Nein zu hören. „Bestimmt nicht?“ „Hab deinen Kühlschrank geplündert!“ Vincent mußte schmunzeln. Was konnte sein unterversorgter Kühlschrank einem Besucher zu bieten gehabt haben? „Trinkst‘n Glas Sekt mit?“ Es dauerte eine halbe Minute, bis sie Antwort gab. „Ja.“ Diese schlichte, auf jedes Ornament verzichtende Antwort gefiel ihm sehr. Machte ihn beinahe glücklich. Er hätte nicht sagen können, warum. Vincent stand auf, ging zum Radio, holte den Schnulzensender zurück, es lief ausgerechnet Strangers in the Night und er legte zwei Flaschen AldiNord-Champagner, die sonst für verklemmte Kundinnnen bestimmt waren, ins Gefrierfach. Danach setzte er sich vor die Badezimmertür und wartete auf den Moment, da die junge Frau, das Mädchen, wie auch immer, herauskommen würde. Es würde, glaubte er, ein Moment von Aura und Bedeutung sein.

2 Ekki saß im Nachtmar und wollte nicht nach Hause. Er hatte keine lebenden Verwandten auf dieser Welt und obgleich er sich wie in jedem Jahr bemühte, Weihnachten so gut es ging zu ignorieren, gelang es ihm immer weniger. Er hatte nie geheiratet, noch wissentlich ein Kind gezeugt, seine einzige Schwester war vor Monaten an Hautkrebs gestorben, mit dreiundfünfzig. Er selbst war drei Jahre jünger und wenigstens bei guter Gesundheit. Er rief sich das immer wieder in Erinnerung. Wenigstens bei guter Gesundheit. Ekki, der frühpensionierte Lateinlehrer, wäre gerne in einen drei Tage dauernden Tiefschlaf verfallen, bis Weihnachten endlich vorbei war. Die Einsamkeit wühlte in seinem Körper, sie manifestierte sich als beinahe physischer Schmerz, als würden winzige Fische mit messerscharfen Zähnen an seinen Muskeln nagen und aus seinem Blut die rote Farbe trinken. So in etwa fühlte es sich an, aber er war bei fast bester Gesundheit, zweifelsohne. Er hätte vielleicht, dachte er sich, wie tausendmal am Tag, gegen die Zwangspensionierung aufbegehren sollen. Andererseits waren ihm die Schüler ohnehin alle auf die Nerven gegangen und letztlich mußte er sich froh schätzen, relativ glimpflich aus jener Sache oder Situation oder Scheiße - wie immer man es nennen wollte - herausgekommen zu sein. Er konnte die Sache/Situation/Scheiße noch nicht einmal jemandem erzählen, das war das Schlimmste, denn niemand kannte ihn so gut, um ganz sicher zu sein, daß Ekki die Wahrheit sagte, daß er unschuldig war, daß er keiner Kreatur auf Erden je ein Leid zugefügt hatte, wenigstens nicht bewußt. Aus der Jukebox heraus sang Bob Marley: I shot the sheriff, but I didn’t shoot no deputy. Ekkehard Nölten hatte weder Sheriffs noch Deputys erschossen. Nix und niemanden. Aber im Leben, dachte er sich, gibt es, anders als im alten Rom, keinen Mund der Wahrheit, der Lügnern die Hand abreißt.


AUSGABE 1

DEZEMBER 2009

FIKTION 43

JAHRGANG 01

Eine fiese kleine Göre von kaum dreizehn Jahren, die von ihm eine Fünf verpaßt bekam, hatte gewisse Gerüchte über ihn gestreut, aus Rache, weil sie jener völlig gerechtfertigten, eigentlich sogar noch zu milden Fünf wegen eine Ehrenrunde drehen sollte. Widerliche, ganz widerliche Angelegenheit. Keine Beweise, nicht einmal Anhaltspunkte für irgendeine Verfehlung gab es. Aber das Gör war sich bewußt gewesen, noch nicht strafmündig zu sein. Sie konnte in aller Seelenruhe, ohne Angst vor irgendeiner Konsequenz, alles behaupten, und Ekki, als Lehrer untadelig, litt - das hatte damit an sich ja überhaupt nichts zu tun unter einem geringen, wirklich ganz geringen Alkoholproblem. Die Kollegen aus der Lehrerschaft, diese Arschlöcher, waren sämtlich von ihm abgerückt - jener brutale, unglaubliche Akt kollektiver Illoyalität traf ihn schwer. Bis dahin hatte er zumindest vermutet, Freunde zu haben, wenngleich er konkret keine Namen hätte nennen können. Eine absurde Komödie folgte. Der Schuldirektor kehrte, in einem diplomatischen Husarenstück, die Sache unter den Teppich, wurde mit den Eltern einig, das Gör bekam statt der Fünf eine Gnadenvier ins Zeugnis, lachte sich in die Faust, während Ekki mit mehr oder minder verblümten Worten gebeten wurde, sich lieber mal vom Acker zu machen. Die Schatten des Vorgefallenen würden eine pädagogische Tätigkeit zu sehr belasten. Ach, Scheiße. Aus Wut, einzig aus Wut über diese Niedertracht, über all die Ekelhaftigkeit der Welt, hatte er sich gefügt. Fast ohne Widerstand zu leisten. Die einzige gangbare Alternative wäre eine Strafversetzung gewesen. Dergleichen hätte er nur als noch größere Niederlage empfunden. Ein wenig hatte er sich aufs Rentnerdasein sogar gefreut. Zwei Jahre war das nun her. Seitdem hatte er oft darüber nachgedacht, sich an dieser miesen kleinen Lügnerin zu rächen, und an ihren beschissenen Eltern, am besten an der ganzen gottverfluchten Familie, aber ihm war kein Weg eingefallen, auf dem er am Ende sich selbst nicht am meisten geschadet hätte. Eben verließ der vorletzte Gast, ein junger, abstoßend gutaussehender Mann das Lokal, und Ekki saß nun allein am Tresen. Er bat die Kellnerin, eine Schwarze, fast in seinem Alter, vielleicht ein paar Jahre jünger, das ließ sich bei dunkelhäutigen dicken Menschen so schwer sagen - um ein letztes Bier. Sie meinte, kopfschüttelnd, das sei jetzt aber wirklich das allerletzte, und er müsse es schnell trinken, es würde ihn hoffentlich nicht stören, wenn sie derweil die Stühle auf die Tische hebe, irgendwann wolle auch sie in den Feierabend. „Hast du Familie?“ Ekki maßte sich aus einer Laune heraus das Du an, aber das taten hier so viele andere auch. Die Kellnerin schien sich daran nicht zu stören. Daßelbe sei sie seltsamerweise eben bereits gefragt worden. Diesmal antwortete sie etwas ausführlicher. „Hier nicht. Drüben in den Staaten. Zwei Brüder, ein paar Cousins, etliche Neffen und Nichten.“ „Wie lange warst du schon nicht mehr dort? In den Staaten?“ „Ewig.“ „Wie heißt du?“ „Minnie.“ „Und richtig?“ „Minnie.“ „Das ist keine Abkürzung für was?“ „Nee. Reicht dir das nicht?“ Minnie stellte Ekki das Bier hin, eine Flasche, denn der Zapfhahn war schon abgesperrt. „Danke.“ „Und du? Du hast keine Familie?“ „Nein. Doch. Ne Schwester. Liegt nebenan auf dem Matthäikirchhof. Sie ging gern braungebrannt durchs Leben. Ist ihr zum Verhängnis geworden. Hautkrebs.“ „Scheiße.“ „Geh bloß nie ins Solarium!“ Minnie schwieg und verzog nur den Mund, wie über einen mißlungenen Scherz, obwohl der Scherz so schlimm nicht war, eher banal harmlos, jedenfalls nicht rassistisch gemeint, nein. Sie wuchtete einen Stuhl nach dem anderen auf die Tische und wischte den Boden, nur dort, wo es nötig war. „Ich heiße Ekkehard.“ „Und richtig?“ „Ekki. So hat mich immer nur meine Schwester genannt. Und meine Skatbrüder. Du kannst mich auch so nennen.“ „Dann mach ich das.“ „Wie sieht dein Abendprogramm denn aus? Brätste nen Truthahn?“ „Truthahn? Wie kommste denn darauf?“ „Ach, nein, das ist das Erntedankfest, wenns bei euch Truthahn gibt. Verzeihung! Die neue Welt ist meine ja nicht.“ Minnie fand den leicht korpulenten, altmodisch gekleideten, aber stets sauber rasierten Mann ganz nett. Sie glaubte, denn sie hatte ihn oft beobachtet, daß er sich seine Ausgaben gut überlegen mußte, dennoch gab er immer Trinkgeld, sagte auch jedesmal Dankeschön, wenn man ihm ein Getränk brachte. „Bei mir gibts heute Schwarzwälderkirschtorte. Eiskalt, mit heißem Tee. Danach vielleicht noch ein paar Royal-Cauldron-Chips.“ „Was sind denn Royal-Cauldron-Chips?“ „Die sind gut. Sind’n bißchen teurer. Für Feiertage.“ „Aha.“

Eine Pause entstand. Minnie hielt inne und sah zu, wie ihr letzter Gast den halben Inhalt der Bierflasche in sich hineinstürzte, so als wolle er sich aus Rücksicht schnell verabschieden, um niemandem zur Last zu fallen. „Was machst du denn so?“ „Ich war Lateinlehrer.“ „Jetzt nicht mehr?“ „Nein.“ „Du könntest doch Nachhilfestunden geben.“ Ekki fand den Vorschlag irgendwie eigenartig. Daran hatte er nie gedacht. Er schüttelte den Kopf, langsam, mit Aplomb, als müsse er seine Entscheidung bekräftigen. „Nein. Weißt du, Minnie, die Schüler mochten mich nicht. Die Schüler konnten Latein nicht leiden und ließen es immer an mir aus. Davon hab ich die Nase voll. Latein ist ein so wunderbares Fach. Man kann soviel lernen, und immer kam ich mir vor wie... wie ein Eisschrankvertreter in Grönland. Verstehst du?“ Minnie stützte sich auf einem der Tische ab, lehnte den Wischmob an die Wand und sah Ekki in die Augen. „Nein. Weißt du, in Grönland braucht man Eisschränke ganz dringend. Da sind es manchmal schon im März fünfzehn Grad plus, wenn es dann keinen Eisschrank gibt, verderben die Vorräte alle. Und es gibt nicht an jedem Eck nen Supermarkt, wo man mal schnell was nachkaufen kann. Das war ein schlechter Vergleich!“ Ekki machte ein erstauntes Gesicht und mußte lächeln. Er trank sein Bier aus und legte einen Fünfer auf den Tisch. „Stimmt so!“ „Nein, Ekki, drei Bier, das macht Sieben Zwanzig.“ „Oh! Tut mir leid.“ Er legte noch ein paar Münzen nach. „Ist schon okay. Was lernt man denn im Latein-Unterricht so Wunderbares?“ „Ach ja... Willst du das wirklich wissen?“ „Solang ich hier den Boden wische, kannst du mir gern noch was erzählen. Wenn du Lust hast.“ Ekki winkte erst ab, dann kam ihm die Geste des Abwinkens arrogant vor. „Naja, das Römische Reich, weißt du, da kann man furchtbar viel von lernen, die hatten erst Könige, dann eine Republik, dann Diktatoren, dann Kaiser, dynastische Kaiser und Soldatenkaiser... Und Marionettenkaiser... Ist ein Sinnbild für Macht und Verfall. Wie alles anfängt, in Kraft und Größe, dann endet, in Hybris und ... äh, naja.“ „Aha.“ „Die hatten alles. Man hat das Gefühl, alles, was es gibt, gabs schon mal, im Römischen Reich. Und diese Sprache! Aber ich geh jetzt besser...“ „Wie du meinst, Ekki. Wenn du glaubst, ich bin zu blöd, daß du mir was Lateinisches erzählst...“ „Wie bitte?“ Ekki sah leicht verstört drein. „Nein, das wollte ich nicht zum Ausdruck bringen, ich dachte, ich texte dich hier zu, und du willst deinen heiligen Feierabend und Torte...“ „Ich hab nie Latein gehabt. Kannst du dir ja wohl denken.“ „Ja?“ Ekki wußte nicht recht, wie er diese Auskunft einordnen sollte. „Dann erzähl mir halt was!“ Minnies Tonfall wirkte auffordernd genug, daß er ihren Wunsch ernstzunehmen beschloß. Ekki überlegte. Endlich erzählte er um des Datums willen eine anfangs noch betuliche Weihnachtsgeschichte. Wie der Kaiser Tiberius alles Volk im Riesenreich habe schätzen lassen, nach der langen Pax Augusta, ein Begriff, den er erklären mußte, so kamen sie ins Reden, meist redete Ekki, und Minnie stellte ab und an Zwischenfragen. Kaiser Tiberius sei ein fieser Despot gewesen, der erfolglose Astrologen von einer Brücke stürzen ließ und sich im Swimmingpool mit Knaben amüsierte, die er seine Elritzen nannte, ob sie wisse, wieso? Diese Drecksau, kommentierte Minnie, als Ekki ihr gesagt hatte, wieso. Und Ekki durfte für lau noch zwei Bier trinken, während der Laden schon abgesperrt war. Beinahe hätte Minnie ihm angeboten, mit zu ihr nach Hause zu kommen, aber sie hätte danach nichts weiter anzubieten gehabt, außer dem, von dem sie aus nicht nachvollziehbaren Gründen annahm, daß er darauf keinen Wert legen würde, Tee und Schwarzwälder Kirschtorte. Das, worauf er, wie sie dachte, eher Wert legen würde, war sie zu geben nicht bereit. Als sie sich trennten, auf der Monumentenstraße, als wässriger Schnee in ihre Krägen drang und einen schnellen Abschied anmahnte, fanden beide, daß der Abend bis dahin überraschend kurzweilig verlaufen war. Und Minnie sagte, sie wolle unbedingt bald noch mehr von jenem Caligula hören, der es mit seiner Schwester und nem Pferd getrieben habe und abends an der lukullischen Tafel Leute rein aus sportlicher Neugier (wer schafft wieviele in welch kurzer Zeit) köpfen ließ. Das sei zwar ziemlich krass, eigentlich zu heftig für ihr Gemüt, interessiere sie aber durchaus. Sie stamme aus Louisiana, da kenne man solche Geschichten nicht. Das mache nichts, meinte Ekki und sagte etwas über Louisiana und Napoleon, woraufhin Minnie nickte und grinste, ja beinahe lachte, unter dem vage geahnten Zwang, etwas Witzartiges verstanden haben zu müssen. Nicht alles, doch immerhin etwas war gut in jenem Moment.

und leblos empfanden, schneller herumzubringen glaubten. Beide kochten so gut wie nie, und wenn doch, dann ganz einfache Gerichte, viel lieber gingen sie ins Restaurant oder ließen sich etwas ins Haus liefern. Julia König, fast vierzig, stand als Managerin einer bekannten Unternehmungsberatung kurz davor, zur Teilhaberin aufzusteigen. Uwe, ihr zehn Jahre jüngerer Gatte, hatte es bislang nur zum Marktleiter bei Karstadt gebracht, doch zusammen verfügte das kinderlose Paar über ein Bruttoeinkommen von gut neuntausend Euro im Monat. Die Königs lebten in einem Charlottenburger Wohlstand, den sie selbst als bescheiden eingestuft hätten. Regelmäßig am ersten Weihnachtsfeiertag fuhren sie auf eine Wellnessfarm an der Ostsee, gönnten sich Sauna, Dampfbad und Fangopackungen, Maniküre, Pediküre, Massagen und kleinere kosmetische Hautbehandlungen. Am Abend zuvor jedoch bereiteten sie, das einzige Mal im ganzen Jahr, gemeinsam ihr Abendessen zu. Sushi. Sie kochten den Reis, breiteten die Algenmatten aus, strichen den abgekühlten Reis auf, zerteilten den rohen Fisch und das blanchierte Gemüse in mundgerechte Stücke und rollten aus alledem halbmeterlange Zylinder, die sie dann mit sündteuren und angsterregend scharfen japanischen Messern exakt portionierten. Dies nahm Zeit in Anspruch, wollte das Ergebnis optisch befriedigend ausfallen. Eine Arbeit, die immer Spaß gemacht und deren Ertrag meist auch geschmeckt hatte. An diesem Abend war irgendetwas anders. Uwe bemerkte es zuerst, ohne gleich sagen zu können, woran es genau lag. Julia stand mit einem jener angsterregend scharfen japanischen Messer vor dem Küchentisch und, statt Fisch und sonstiges Meeresgetier mit gezielten Schnitten in eine ästhetische Form zu bringen, stierte sie ins Leere und naschte eines jener Gurkenstückchen, die zuvor Uwe in eine ästhetische Form gebracht hatte. „Denkst du über was nach?“ „Ja.“ „Was denn?“ „Wir müssen uns trennen.“ „Was?“ „Trennen. Wir. Uns.“ Julia sagte diese Worte ohne sichtliche Erregung. Uwe glaubte an einen Scherz, oder an einen jener regelmäßig einmal pro Monat stattfindenden hysterischen Schübe, aber es war grade nicht so weit und Julia wirkte alles andere als hysterisch. „Warum sagst du so etwas?“ Julia gönnte ihm einen kurzen Blick, sah dann zur Decke und zuckte mit den Schultern. „Ich habe mich eben gefragt, wie ich mich besser fühlen könnte, als ich mich fühle. Und das Ergebnis war, daß ich mich besser fühlen würde, wenn du nicht hier wärst.“ „Es ist Heiligabend, Schatz, da sollte man so etwas nicht sagen.“ Uwe tat beleidigt, er hoffte insgeheim, die Angelegenheit würde sich bald von selbst erledigen, wenn er einfach schwieg und weiter Reis auf Algenmatten strich. „Du tätest mir einen Gefallen, wenn du jetzt gehen würdest.“ „Wie bitte?“ „Wenn du gehen würdest. Nimm dir ein Hotelzimmer, geh von mir aus in den Puff, es gibt in Berlin bestimmt Puffs, die an Heiligabend aufhaben, nicht? Mach dir eine schöne Zeit.“ „Was wirfst du mir denn vor?“ „Ich werfe dir doch gar nichts vor. Wir können künftig zueinander ganz nett sein. Wenn du jetzt gehst.“ „Und wenn ich das nicht tue?“ Uwe König sah seine Frau an und begriff mit jeder Sekunde etwas deutlicher, daß Julia es ernst meinte. Warum sie sich, wollte er wissen, ausgerechnet diesen Abend ausgesucht habe, um so ein Theater mit ihm anzustellen. „Welcher Abend wäre denn besser geeignet?“ Julia stand da, mit einem sonderbar eingefrorenen Lächeln, starrte auf den toten Fisch, hielt das Messer in der Hand, und vielleicht war es wirklich jener zigfach gefaltete Stahl gewesen, der sie auf den Gedanken gebracht hatte, ein Schnitt sei zu machen. Und der tote Fisch - Julia hätte selbst nicht sagen können, was da zusammengekommen war, aber sie hatte, endlich, was ihr schon seit Wochen auf der Seele lag, über die Zunge gebracht, sie fühlte sich wohl und leicht, ihre Haut schien zu prickeln, etwas war neu und anders. Besser. Sie hätte ihren Seelenzustand vage mit einer sonderbaren Ergriffenheit umschreiben können, wie sie Menschen manchmal in der Kirche oder in der Oper empfinden. Uwe nahm Mantel und Schal und ging, mit weiten, aufstampfenden Schritten zur Tür, ohne jeden weiteren Kommentar, wie um seine Frau für ihre grobe Unhöflichkeit zu bestrafen. Als er auf der Straße stand, immer noch etwas benommen, dachte er lange und ernsthaft darüber nach, Julias Rat zu befolgen und sich vom nächsten Taxifahrer zu einer einschlägigen Adresse kutschieren zu lassen. Stattdessen spazierte er ziellos durch Nacht und Schneeregen, mietete in einem Hotel am Kudamm ein Zimmer, trank die Minibar leer und stierte stundenlang auf sein Handy, in der Hoffnung, eine SMS würde die Situation entscheidend verändern. Gegen fünf Uhr morgens schlief er schwer betrunken ein.

3 Julia und Uwe König hatten sich während ihrer nun bald sechs Jahre dauernden Ehe für den Weihnachtsabend eine Art Zeremonie erarbeitet, mit deren Hilfe sie jene Stunden, die sie übereinstimmend als zu still und dunkel

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ENGLISH TRANSLATIONS

AUSGABE 1

DEZEMBER 2009

RUINS OF THE FUTURE

SPEAK DEUTSCH, KASPERLE

Wrong life cannot be lived rightly in Dubai. At least that’s what people in the West think. Michael Schindhelm, who lived there for two years, refutes this in his new book.

by Ralph Martin

By Andreas Rosenfelder Perhaps culture is actually the product of decay. It’s something that really first emerges at the end, after all accounts have been closed, glasses emptied and lights dimmed. There are many more pages devoted to the fall of Rome than to its foundation. Nobody would care about Atlantis, if it hadn’t sunken into the sea. In light of this, it’s time for Dubai to get in line. Curiously there has yet to be a book that takes place in this peculiar, synthetic and ever proliferating city on the Persian Gulf. No “Ulysses”, which reconstructs a day in the life of a young British investment banker. No “Berlin Alexanderplatz”, which follows the life of a Pakistani construction worker. Dubai, which is skeptically observed from afar by the Western cultural establishment, remains uncharted on the map of world literature. Michael Schindhelm, who lived there for almost two years as cultural director, didn’t write the great Dubai novel. His book is more like a kind of borderline diary, which moves within the grey zone between journal entry and fiction, and is loosely based on his own experiences. It’s called “Dubai Speed: Eine Erfahrung“ (Dubai Speed: an Account) – and it’s subtitle, which originates from the old European concept of the Bildungsroman, is a provocation. Because you can’t have authentic experiences in synthetic worlds – this is still a guarded belief in Germany. Culture program for 7-Star Babylon Concerning Dubai, the plethora of contrived reportages seems to have sufficed. Half of the journalists marveled at the architectural insanity of the skyscrapers, were shown the golden faucets in 7-star hotels and circled the manmade islands in the sea from the view of a helicopter. The other half visited the Indian guest workers in their living containers, filmed shrouded women and expressed outrage over the influx of untaxed capital. These reports burdened themselves with the myth of Babylon: the decadent ancient city that wanted to build up to heaven and whose demise was the righteous punishment for their arrogance. In this respect, Michael Schindhelm is similar to the city of Dubai. The learned quantum chemist, who worked for a few years next door to Angela Markel at the Berliner Akademie der Wissenschaft, was regarded as a parvenu among the cultural milieu. In 2007, after being stationed as theater director in Basel and opera director in Berlin, he went to Dubai. He apparently fit into the cliché – an East German, self-made man in a nouveau riche metropolis, where a few random sheiks and bankers wanted, with open checkbooks, to build a culture program. Logic of a Fata Morgana The cultural program never actually worked out. Schindhelm was in Dubai for a good two years and, during this period, he didn’t build a single theater, museum or opera house. But even if the book „Dubai Speed“ was the only thing that came out of this exotic charge, it wasn’t for nothing. Because you won’t be able to see the Kafkaesque logic of this city clearly, which presents contrivance in every aspect, anywhere else. Whoever wishes can consider the manner in which Schindhelm stylizes himself as an immigrant worker, lost in a giant cultural construction site, as coquetry – but can also recount in the opposite story of the highly paid manager, who’s supposed to generate symbolic capital in this gold-rich capitol. But this story is falsified and does justice neither to Schindhelm nor Dubai. Because all of the Muslim Indians from South Africa, the half-Hungarians from Maldivian and the Jordanian-Norwegians, who populate the book, are actually modern nomads, regardless of whether they work in construction or in a bank. And you can only scoff at Schindhelm’s hope that this collective uprooting in the middle of the Near East could one day grow into a civilized culture, if you believe America to be an insipid entity and forgot that, a few hundred years ago, sand washed over the area where Berlin stands today. The sand is stronger In fact, Schindhelm himself creates the fewest illusions. Perhaps because the Byzantine power structures in Dubai often doomed him to merely observe. While driving on a sandy street he had the idea that “wind, quarz and solar energy have regained control of the terrain that an ambitious investment idea once wanted to enliven.” While walking around

the pseudo-souqs in the tourist resorts, reeking of “fresh paint, popcorn and frothed milk,” he is overcome by a kind of Baroque disgust of the world: “Coming back from my vacation in the Harz and entering this paradise, I asked myself, what does the West actually do to people that makes us feel good in this Truman-Show environment (and what the West has done to itself, that people end up here). This vanitas motif continuously flows throughout the book. And Schindhelm has a good eye for the emptiness that resides in real estate financed on credit after they’re abandoned. He characterizes the designs of the repetitive architectural offices as “strange entities, which only remind us of buildings because media presence has familiarized us with their forms.” And he saw through the bigotry of the planning apparatus in Dubai, which supposedly caused the failure of the opera house, early on: “You propose projects that may have long ago disappeared into filing cabinets or ended up in the trash.” In spite of all this, you don’t get the feeling that Schindhelm was more of a foreigner in Dubai than he was in Berlin. He eats kebab and fries on paper plates in the shopping mall; drives alone out into the desert at night; stands on the beach near the sewage pipes, which pump waste into the sea in the middle of summer; and he looks out from his sparse office (lacking printer and fax machine) onto the rush hour traffic on Sheik Zayed Road, a daily catastrophe in the lives of city dwellers. Catching fish is easier Michael Schindhelm constantly points out that every city begins as an artistic idea – and names Mannheim’s numbered square blocks or St. Petersburg, which was created out of blunt nothingness by Peter the Great for reference. The fact that Dubai’s rise to a cultural metropolis has failed in almost burlesque fashion isn’t because of its lack of roots, it’s because of a big misunderstanding. The Emiratis believe they can import Western high culture by using their investment strategies – that theaters can be erected the same way multiplex cinemas can. In Germany, Schindhelm’s projects are reported in the Feuilletons; in Dubai the real estate pages are responsible. An anthropologist could hardly describe the absurd hierarchy in Dubai any better. Schindhelm’s agency moved from the 4th to the 28th floor in Emirates Tower and will be later demoted to the 21st. There are several superiors who are planning identical projects with different people and ludicrous meetings, in which multiple attendants talk on their mobiles simultaneously. “In an absolute monarchy like this one,” he says, “the ruler doesn’t rule, but rather the fickle, deregulated royal court.” When his server crashes yet again, Schindhelm wanders back, cut-off from his email account, into thoughts of the Pakistani fishermen, who he saw in the morning returning to the Jumeirah harbor with their catch. “Now they will lie down in their tipis for a few hours, spar with driftwood and cardboard and prepare rice curry on gas cookers, before they assemble their nets for night fishing.” It sounds like he’s romanticizing the life of migrant workers, but it’s more like a melancholic confession about not to be able to yield such results in the cultural bureaucracy. It isn’t as if Schildhelm suppressed the extreme existential hardships of living in Dubai. He’s just bored of Western journalists with their monotonous “questions about money, working conditions at the construction sites and freedom of opinion.” The financial crisis, which washes over the desert city at the end of the book, effects young professionals, “who live on a day to day bases” and immediately loose their visas when they become unemployed. Similarly, immigrant construction workers are simply flown back to India on rollout runways in the desert; for the most part, they return to face heavy debts. “The song of sorrow can be played all over the world these days,” he says in the end, “however, never so brutally honest and radical as here.” In his book, Schildhelm (who is now 49) quotes the East German playwright Heiner Müller: „Wo ist heute der Morgen, den ich gestern sah?“ (Where is the morning today, that I saw yesterday?) When I met Schildhelm this autumn at the Frankfurt book fair, he was, as always, just passing through. He spoke softly and seemed a bit agitated. There were representatives of the Emirates there who were watching him during his appearances. Schildhelm has given up his high-rise apartment in a Dubai. His next project awaits him in Hong Kong, where he hopes to build an opera house with Rem Koolhaas. In the meantime he lives in Rome. “After the postmodern chaos of Dubai, he felt a yearning for ancient ruins. Who knows what will become of the ruins of Dubai. Translated from German by Michael Ladner

Christmas in Germany has always been a mystery to me. When I moved here I thought that post-reunification Berlin would be Central European in character, the place of myth and dark legend. People I considered reasonably sophisticated told me in excited voices about the great Christmas markets in Nürnberg and in Dresden. But the version near my house, on Alexanderplatz, was a bunch of shabby wooden glühwein stalls manned by dead-eyed, sad people. Where was the mystery? Where was Central Europe and its dark history? For this I had left New York, the huge glowing tree at Rockefeller Center, the ringing bells, the bus drivers wishing me a Merry Christmas? It came to a head as I was dropping my daughter Lulu off at her Prenzlauer Berg Kita one December morning last year. I was the only father in the crowded coatroom amongst the efficient, put-together Kollwitzplatz women, who all looked like they managed to include lots of Yoga sessions in their professional lives. No dark mystery there. I avoided meeting their eyes, lest they speak to me and expose my terrible lack of command of the German language. In my quest to avoid the Yoga Moms, I gravitated towards a poster on the wall listing activities that parents could participate in during Christmas time. The activities included storytelling, Basteln and puppet theater. Now, I couldn’t tell German stories and I couldn’t Basteln in any language, but I thought I could hold up a puppet while people read texts out loud. So I put my name down in the blank next to ‘Kasperle’, whatever that meant. The performance was the following Friday. Maybe, I thought, I would get to do puppetry with some of the more attractive Kita mothers. Maybe they would invite me to their Yoga classes. This could be a whole new beginning for my social life. “Look”, I said to Lulu, as she was following the other children into her classroom. “I signed up for the Christmas play.” In a voice of forced enthusiasm, I added, “Won’t that be fun?” “Papi, speak Deutsch when you’re at the Kita”, she said. I left the Kita in a buoyant mood. My life had a purpose: I was going to be Kasperle, in front of a captive audience, for a few shining moments of fame in Germany. Not bad for a semiemployed freelance writer. And so Kasperle became an obsession. On Wikipedia, I got lost in the series of characters – a robber, a policeman, a crocodile. I read that the character was a cousin of Punch in England and the Guignol theater in France, that it originally came from Naples, where a character named Pulcinella enacted dark and bloody revenge stories in the innocuous puppet theater. Max Jacob had created a child-friendly version for German children in the early 19th century, purging the Brothers Grimm from Kasperle’s repertoire. In spite of the sanitization performed by Jacob, I was greatly encouraged – I was participating in an ancient ritual that had the stamp of Romantic Italy on it. We didn’t have anything like this in America. When I got the “script” via email, I couldn’t understand the story, because it was 18 pages long, single-spaced. My parts were all highlit in yellow. They comprised more than half the entire play. I thought of writing back, but perhaps the playwright was a sensitive artiste. I didn’t want to get disinvited from her yoga class, so I just tried to learn my lines. Unfortunately, I had hundreds of them. The day of the play, I brought Lulu to Kita with a sense of foreboding. “In a few minutes,”, I said to her as I dropped her off. “I’m going to be in the puppet play. That’ll be fun, right?” “Auf Deutsch”, she said. “Papi, you have to do it in Deutsch.” She looked worried. I went to the ‘activity room’, where I met the playwright, a woman in her early 40s with stringy hair and John Lennonstyle wire-rim glasses. She was wearing workingman’s overalls and a heavy quilted jacket in the overheated Kita. She looked damp. “Okay, so do you know your lines?” she asked me. I didn’t ask whether we could go to yoga together. I felt, rather, the walls starting to close in on me. Showtime was in twenty minutes, during which I checked out the room (big), the stage (a carpeted area one step up from the floor where the children would sit), and the “theater” – a cardboard façade with a square cut in the middle and a crude curtain attached. The children duly arrived and I hid behind the theater. I heard my daughter amongst them laughing, apparently having forgotten that I was about to embarrass her. After a short announcement by the stringy-haired playwright, we were off. On the first page of dialogue, where Kasperle sets out on his sleigh with some presents to deliver to someone, I got lost. With no idea what I was saying, I started to just pronounce the words as fast as I could. “Lauter!” screamed the children. I had to play so many different characters and say so many words in my horrible German that the whole scene went into a blur. Somehow, we progressed through the disappearance of the sleigh full of presents. As Kasperle started arguing with the crocodile (page 5), sweat started running down my face. Sweat also ran down the face of the stringy-haired playwright, as we

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crouched behind the cardboard theater and tried to make our hand-puppets dance while navigating the immense script. One brat kept yelling “Right-o!” in English. Then the robber and the crocodile had an argument; I was supposed to play the robber, but forgot to switch puppets, so Kasperle was saying the robber’s lines. The children were losing patience, obviously not understanding a word of what I mumbled. “Lauter! Right-o!” came ringing in my ears from the audience. The playwright pushed her glasses up her sweaty nose, took a deep breath and went on. Finally, on page 10, when the policeman had inserted himself and I had, by accident, put on the robber puppet instead, my eyes failed me. I closed them and turned several pages of the script over. I thought I might die if I continued, and the children were about to mutiny. “That’s the most important part!” hissed the playwright to me and stuck her finger back where I had started. I looked up for a moment before diving back into my hellish series of roles. My arms were sore from holding puppets aloft, my sense of self-confidence was at an all-time low, and all I wanted was for this to be over. But Lulu was standing beside the cardboard theater. “No more Deutsch, Papi”, she said, breaking whatever was left of the dramatic illusion we had been maintaining. “It’s not nice to speak that way.” “But it’s the Christmas play!” I hissed back. Thenoisesfrom the audience were growing menacing, however. The spell was broken: the children came rushing towards the stage, forty of them at least, toppling the theater on my head. As I lay there, under a mass of squirming, shouting East Berlin urchins, I felt that I must be having some kind of epiphany: my soul seemed to float up and observe the scene from the ceiling. Via Kasperle, I had incited the audience to storm the Bastille. I had brought back blood and guts and mystery to the theater. My epiphany continued as I came back to earth and the squirming mass of children around me. My head was now sticking out of the cutout “stage” area of the theater. But what would I have been doing in New York anyway? I knew: Fighting crowds to get a terrifying taxi, looking in wonder through the window of Versace at $8,000 knee-high boots, thinking how stupid it was that people came from around the world to look at a tree at Rockefeller Center. Either way it was hell, but this the version I preferred: primal, darkly alive. Little as I understood him, Kasperle had put me in touch with my inner Central European.


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DEZEMBER 2009

ENGLISH TRANSLATIONS 45

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“LIFE MADE ME GROW UP QUITE FAST” British model Lily Cole, born 1988 in London, rose to fame by being the muse for acclaimed fashion icons such as Steven Meisel, Craig McDean, Nick Knight or Irving Penn. Now, at the age of 21, she is entering her second career as an actress. Unlike many other models, this creative step shows great promise since her latest commitments involve acclaimed filmmakers such as Terry Gilliam (Fisher King, Fear and Loathing in Las Vegas, Brazil, Twelve Monkeys). In his latest fantasy film, The Imaginarium of Dr. Parnassus, Lily Cole plays a member of a traveling theatre troupe that takes their audience through a magical mirror, enabling them to explore their imaginations. The visual masterpiece not only received highest acclaim at its world premiere in Cannes, but also forced newcomer Cole to face her most difficult acting task to date: after Hollywood actor Heath Ledger died half way through production, she not only had to cope with the loss of a dear friend, but also had to keep up with the combined acting skills of superstars Johnny Depp, Colin Farrell and Jude Law, who replaced Ledger on set in a spontaneous act of tribute. As we meet Lily Cole before the North American premiere at the Toronto Film Festival, she comes across as a surprisingly mature women. Her early career and the dramatic incidents from the past left an obvious mark on her profound outlook on life. by Johannes Bonke Lily, to look at the final version of The Imaginarium of Dr. Parnassus is quite a miracle: director Terry Gilliam not only created a masterpiece of imagination, but also dealt in a very creative way with the sudden death of your dear co-actor and friend Heath Ledger who died in the middle of production. What was the shooting experience like? I have such limited experience with films but I don’t need that much experience to realize that it’s a very unique project from the beginning. I love the word miracle, thank you. It’s a nice way to describe it. How did you become a part of it? I was approached by the casting director Irene Lamb to do a film with Sally Potter called Rage and she was casting Terry’s film a few weeks later. So she recommended that I meet Terry. You were quite famous and well-known as a model before this film – did that help you in a way or was it more of a drawback? It is hard to discern: in some ways people can have preconceptions that probably wouldn’t help. Terry’s open-minded enough not to have these preconceptions, just to meet me and audition me on myself and my merits. I am sure in some ways it helps. I think it can work either way depending on how it’s perceived by the director and casting director. What were the most difficult moments for you on set among all these superstars? Whatever we had to shoot after Heath’s death was terrifying for me. But everyone felt the same. I had no scenes with Johnny or Jude, but playing against Colin Farrell was a bizarre thing. He was playing Heath’s part and we all had a hard time doing it. How did you get through it? Did you just have to forget about it or was there another way to deal with that weird and sad situation? There was a month that we had off and I think that from my point-of-view, it was the fact that we all came back together and there was this collective spirit: we all knew that it was hard for everybody. Everybody loved Heath on the set and everybody loved Heath in general. But everyone really knew he was such a talented, generous spirit and before the break there was a real sense of loss. Then everyone came back together and there was a sense of duty and commitment and we all worked together on it. How do you feel about this film premiering in England, your hometown London where you live? I am excited. I am excited for my friends. It was a big part of my life doing it for lots of reasons and I am excited foremost for my friends and family to see it. I mean, the movie got a big buzz lately. What do you think is the real reason that the movie gets that much attention? I think to a large part unfortunately, the fact that it’s Heath’s last movie will be a big pull and a curiosity for a lot of people. But in the long term the biggest testament of the film will be that it’s appreciated as a film and a piece of Terry’s work – and I think a really good piece of Terry’s work. The fans of Terry’s films and other people will enjoy it on those merits.

What have you done since? Have you been modeling again or are you shooting another movie? I am studying in England so I finished that and then I did a small thing with Roland Joffé (There Be Dragons) last month but I was taking some time off. What are you playing in this one? I am a girl, I am a rape victim in a mental institution. Isn’t that very tough to play? Yes. I did it for such a short time that it was like in and out but it’s fascinating to play something that’s so distant from myself. Are you planning to give up modeling and start a real acting career or do you want to combine those two jobs? From a practical point-of-view I just haven’t had enough time to be modeling as much as I used to. When we were filming this it stopped all together for six months and now I am studying so I am doing that, I am prioritizing that. I do definitely prefer and enjoy acting a lot more, so given the right opportunities I’ll continue to put more time into that. Had you had any acting experiences before you became a model? Before I started modeling for sure. I used to act a lot: all amateur until I was sixteen at home or in school, and I loved it. But then I started modeling and I was so busy doing that career and staying in school as well that it wasn’t on my agenda. I also grew up enough to realize that your dream – a child’s dream of, oh, I want to be an actress – was professionally very unrealistic. But then here I am now. I just got lucky enough, it came to me. On the one hand acting is of course fulfilling on the other hand you are super well-established in the fashion business and you could earn quite a lot of money just by continuing to do what you do. Surely you get paid more for your modeling jobs than for your film roles, right? Yes, that is true. What is it that acting gives you that you were always seeking in modeling that you can find more in the film business? Money has never been my primary incentive it’s obviously important but I wouldn’t be studying right now when I could be making more money if it was more important. I don’t know what exactly I am searching for but it’s something that’s creatively or intellectually fulfilling, or where I feel like I am contributing. Modeling has given me an amazing opportunity to meet people and travel but as the actual physical activity, I don’t find modeling that rewarding or fulfilling. How do you handle filming, homework and all the rest? This year has been okay just because I put modeling in the background. I can’t speak of the next two years because I really don’t know if it’s going to work or not. I’ll kind of weigh that up as the situations arise you know. What are you doing to relax? Not enough right now. And if you got some free time? Are you a very sporty girl? Do you like to read, or dance? No sports. But dancing is high up there and then with school and work, my head is so physically and intellectually working a lot of the time, that just lying in bed having nothing to do for a week is my idea of relaxing, you know? I also heard you are part of some environmental organization. And then you do acting and modeling. How do you manage to do all that stuff? A lot of it doesn’t take a lot of time because it’s more like going to an event and speaking at it or writing something. So I can fit it in with my daily life. It’s not a full time job commitment but I definitely don’t do as much now as I’d probably like to do and I have done in the past, just because I’m very busy. You became successful at a very early age. Who do you trust in all this craziness? I am really blessed, I have really good friends and I kind of collected good people who work around me that I trust. So I just try and surround myself with them. But especially in the fashion business once you are on the top there are a lot of bloodsuckers around. Yeah but they kiss your ass as much as they suck your blood. You started modeling when you were fourteen. Who discovered you? I was walking in Soho, in London and a guy who worked for my agency came after me and gave me a card and I went in and I’m still at the same agency.

How hard is it to start modeling so young in comparison to living a life as a normal teenager? I had no other experience of being fourteen, fifteen and sixteen so I can’t really compare it. But I don’t think I was daunted by it. There are aspects of the industry that I did find quite tough, but the prospect of working and going abroad – I was always just very excited by it. Life made me grow up quite fast. When you started your career as a model were you very concerned about your weight and look all the time? And do you relax more about all that now? Yes, I guess I was a bit more concerned because your physicality is so important all the time and now I am in school it’s less important but I’ve never been over-intimidated by it and I’ve always lived a fairly healthy lifestyle just from the point of view of health and I feel better when I actually exercise and eat well, so it’s quite handy. Is it sometimes a handicap being beautiful? At school for example? I don’t look very beautiful most of the time at school. I don’t even think about it to be honest. I just go study, learn and meet some interesting people and my appearance really doesn’t factor into it for me. It must be hard to focus on your studies. You must be inundated with offers! Yes, it is. But I made this commitment so far, I know the reasons why and so I am committed to finishing this year and then as I said, I’ll reassess it because I do want to finish it and I’m interested in learning and it’s a good opportunity to learn. A lot of people are fascinated by fame and being a celebrity and choose the shortcut to success. They don’t build themselves up with education anymore. Don’t you think that can be dangerous? I don’t think going to school should be done as like a long road to success. Whether it is a short route or a long route if you want to be successful you just have to choose one or the other path. But I do think there is a weird obsession with celebrities and the whole idea of success. It has its own values but they are also very different values in why you’d want to study or dive or sail around the world for two years or whatever you choose to do, take your time. It seems to be a big difference being a celebrity in the model scene than being a movie star because you are much more exposed through the roles that you play and people want to know more about you as a person. A model can hide better behind her beauty and her looks. How would you define that difference? I think from that point of view modeling is a lot more attractive because people don’t really know your voice, they don’t know your story. I really love that sense of being anonymous and the privacy. But I guess that’s the price you pay or the deal with the devil if you want to act. When you’re making films, which I enjoy more- you’re giving that aspect of yourself. If someone asked you to leave London and to go to Hollywood to try to find different roles – would you do it? My boyfriend actually lives in L.A. so I am spending a lot of time there and quite happy doing it. It’s a lot mellower than London. Would you like to work together one day? I’d love to. Which other things would you like to do in your life? A lot. One of the things I like about acting is that chance that you can play so many of those roles. You know whether you get asked to dance, or sing or to play a librarian, you try all these things. You can put your toe in all these things. I don’t know I think I’ll find my own way. I just like making things: whether films or doing some bad drawing, for myself I just like doing that. Would you like to do something with fashion down the line, like your own label, a collection or something else with design? No, I don’t think so. Even if I don’t work during the catwalk shows or whatever, that industry is so intertwined with the movie industry that I am sure I will still run into those people, which is nice. I am launching a line but it’s not like me trying to be a designer it’s just supporting a very ethical designer in London. She rescues sheep from slaughter houses and makes wool and cashmere garments. And so me and a friend have this fun novelty idea of working with her on a project, but it’s not by any means some designer aspiration that I have.


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TEX RUBINOWITZ

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5. SEPTEMBER 2009 – 14. FEBRUAR 2010 WWW.HAMBURGERBAHNHOF.DE, WWW.SMB.MUSEUM / HBF


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