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FORSCHEN Das Medium für Wissenschaft
Herbst 2018
Impressum Herausgeber Der Präsident der TU Darmstadt Redaktion Stabsstelle Kommunikation und Medien der TU Darmstadt: Jörg Feuck (Leitung, V.i.S.d.P.) Ulrike Albrecht (Grafik Design) Patrick Bal (Bildredaktion) Gestalterische Konzeption conclouso GmbH & Co. KG, Mainz Titelbild Katrin Binner Druck Druckerei Petzold, Darmstadt gedruckt auf 100 g/m² PlanoScript, FSC-zertifiziert Auflage 6.000 Nächste Ausgabe 15. Dezember 2018 Leserservice presse@pvw.tu-darmstadt.de ISSN 2196-1506
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_ 1 Chemie: Verblüffend einfach zu neuen Materialien _ 2 Informatik: Digitales Fischen nach Substanz im Internet _ 3 Abwassertechnik: Die Gefahren von Mikroplastik in Gewässern _ 4 Biologie: Produktion von Sexuallockstoffen stärkt den Pflanzenschutz
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Argumente aus dem Rauschen Strukturierte Entscheidungshilfe: Das Forschungsprojekt „ArgumenText“ am Fachgebiet Ubiquitous Knowledge Processing hat einen Weg gefunden, konkrete Pro- und Kontra-Argumente zu beliebigen Themen aus dem Rauschen des Internets zu filtern.
Digital Humanities an der TU Darmstadt Unter der Bezeichnung „Digital Humanities“ erschließen interdisziplinäre Kooperationen forschungsrelevante Ressourcen der Geistes- und Kulturwissenschaften mittels computergestützter Verfahren und machen sie digital verfügbar. Die TU Darmstadt setzt hier einen wichtigen Fokus. So ist das Fachgebiet Ubiquitous Knowledge Processing Teil des CEDIFOR (Centrum für Digitale Forschung in den Geistes-, Sozial- und Bildungswissenschaften). Das Centrum trägt dazu bei, eine Brücke zu schlagen zwischen geisteswissenschaftlichen Forschungsfragen und computerbasierten Methoden. CEDIFOR baut auf den Erfahrungen, der Expertise und der Infrastruktur des LOEWE-Schwerpunkts Digital Humanities auf, an dem die TU Darmstadt ebenfalls zentral beteiligt war.
_ Von Silke Paradowski Wer im Internet nach dem Suchbegriff „Nuclear Energy“ googelt, sieht sich rund 268 Millionen Treffern gegenüber: Erklärungen, Definitionen, Texten von Lobbyverbänden, Zeitungsartikeln, Anekdoten, Verschwörungstheorien. Wie kann jemand, der zum Beispiel als Investor echte Argumente für oder gegen Atomkraft als Entscheidungshilfe braucht, fündig werden? Das Projekt „ArgumenText“ am Fach gebiet Ubiquitous Knowledge Processing (UKP) des Fachbereichs Informatik der TU Darmstadt zielt darauf, konkrete Argumente aus großen und heterogenen Textmengen heraus zufiltern. Seit kurzem gibt es einen Demonstrator des Suchsystems, der sich auf Messen und vor Fachpublikum bereits bewährt hat. Wer zum Beispiel nach dem Thema „Nuclear Energy“ forscht, bekommt nach wenigen Sekunden knapp hundert Argumente für und gegen Atomkraft angezeigt – von verschiedensten InternetSei ten. Die bessere CO2-Bilanz und die Effizienz der atomaren Energiegewinnung sind hier ebenso aufgelistet wie die Giftigkeit und Gefährlichkeit der verwendeten Stoffe und die langen Zeiträume, in d enen radio aktive Abfälle ihre Umgebung verstrahlen. Die jeweiligen Quellen sind verlinkt.
Dafür werden die im Internet vorhandenen Texte mittels neuronaler Netze untersucht, als für das Suchthema relevant oder nicht relevant eingestuft und dann auf Argumente abgeklopft. „Hier werden nicht nur einzelne Wörter gesucht, auch grammatische Strukturen, Kontexte und Semantik werden berücksichtigt, um zu entscheiden, ob eine Aussage ein ,Argument‘ ist oder nicht und ob es auf der Prooder der Kontra-Seite steht“, erklärt Dr. Johannes Daxenberger, der im Team von Professorin Iryna Gurevych als einer der zwei Projektverantwortlichen an ArgumenText arbeitet. Die hinter ArgumenText liegenden Algorithmen entwickelt das Team im Fachgebiet selbst, aufbauend auf ersten Versuchen, die 2014 mit einem Korpus aus studentischen Aufsätzen starte ten. „Die Herausforderung war, ein System, das auf einer Sorte Text trainiert war, auf beliebige Textformen übertragbar zu ma chen“, sagt Dr. Christian Stab, der zweite Projektverantwortliche. „In wissenschaftlichen Texten wird zum Beispiel völlig anders argumentiert als in Sozialen Medien.“ Das Team operationalisierte verschiedene Modelle der Argumentationstheorie und brachte Computersystemen bei, diese Modelle zu nutzen. Zum Optimieren der Algorithmen griff das Team auf einen leistungsstarken Rechnerverbund zurück; für den laufenden Betrieb reicht nun eine kleinere Version, die die effiziente Indexierung von Internetbasierten Texten leisten kann.
„Auch grammatische Strukturen, Kontexte und Semantik werden berücksichtigt, um zu entscheiden, ob eine Aussage ein ,Argument‘ ist.“
Informationen Fachgebiet Ubiquitous Knowledge Processing Prof. Dr. Iryna Gurevych E-Mail: gurevych@ukp.informatik.tu-darmstadt.de Dr.-Ing. Johannes Daxenberger E-Mail: daxenberger@ukp.informatik.tu-darmstadt.de Dr.-Ing. Christian Stab E-Mail: stab@ukp.informatik.tu-darmstadt.de www.informatik.tu-darmstadt.de/ukp www.argumentext.de
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Der Demonstrator läuft stabil und ist seit kurzem öffentlich verfügbar. Das Projekt geht damit in die nächste Phase, in der konkret getestet wird, welche Anwendungen für die neue Technologie besonders vielversprechend sind. Hauptzielgruppen seien zunächst Entscheiderinnen und Entscheider aus der Wirtschaft, die bewerten müssten, ob sich
Abbildung: Katrin Binner
Dr. Johannes Daxenberger, Dr. Christian Stab und Dr. Tristan Miller (v.l.n.r.) entwickeln gemeinsam mit einem internationalen Forschungsteam neuen Methoden zur automatischen Erkennung von Argumenten in großen Textquellen.
der Einstieg in eine Innovation lohne, sowie Journalistinnen und Journalisten, die für Recherchen schnell und fundiert in Themen einsteigen müssten, erklärt Daxenberger. „Wir denken, dass das System in diesen Bereichen gewinnbringend zum Einsatz kommen könnte.“ Zur Validierung bereiten die beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler derzeit auch den Einsatz für deutschsprachige Texte vor. Im Moment spricht ArgumenText nämlich nur Englisch, arbeitet mit einem Korpus aus dem Jahr 2016 und funktioniert am besten mit Anfragen zu technischen Themen. Das soll sich bald ändern. Auch eine Echtzeitsuche über die ständig wachsende Zahl von Texten im Internet wird dann möglich sein. Derzeit sortiert der Algorithmus Aussagen danach, wie sicher sie als Argument gelten können. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler arbeiten
arauf hin, dass die Argumente später den Nutzed rinnen und Nutzern aggregiert, also nach Themen geordnet, präsentiert werden. „Das ist aus A n wendungsperspektive naheliegend, aus technischer Sicht allerdings nicht ganz trivial“, sagt Stab. Argu ment Mining, das Erkennen von sprachlichen Argumenten mit Mitteln der Informatik, werde in der Forschung der Digital Humanities immer wichtiger und sichtbarer, bilanzieren Daxenberger und Stab. Die TU war auf diesem Gebiet früh dabei. „Wir sind mit unserer Arbeitsgruppe gut und sichtbar etabliert“, sagt Professorin Iryna Gurevych, die Leiterin des UKP. Dafür arbeitet das Team am Fachgebiet interdisziplinär etwa mit dem TU-Fachbereich Gesellschafts- und Geschichtswissenschaften, aber auch mit anderen Hochschulen aus dem Verbund der Rhein-Main-Universitäten zusammen. _ Die Autorin ist Redakteurin in der Stabsstelle Kommunikation und Medien der TU Darmstadt.
Publikationen Stab, Christian and Daxenberger, Johannes and Stahlhut, Chris and Miller, Tristan and Schiller, Benjamin and Tauchmann, Christopher and Eger, Steffen and Gurevych, Iryna: ArgumenText: Searching for Arguments in Heterogeneous Sources. [Online-Edition: http:// www.aclweb.org/anthology/ N18-5005] In: Proceedings of the 2018 Conference of the North American Chapter of the Association for Computational Linguistics: System Demonstrations. [Conference or Workshop Item], 2018, New Orleans, Louisiana“
ArgumenText Das Projekt ArgumenText wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen des VIP+-Programms unter dem Förderkennzeichen 03VP02540 mit 1,5 Mio Euro gefördert. Unterstützt wird das Projekt durch ein spezielles An gebot des Dezernats Forschung und Transfer der TU Darmstadt. Mehrere Promotions- und Forschungsvorhaben sind mit dem Projekt verknüpft. ArgumenText läuft von 2017 bis 2020. Wer’s ausprobieren will: Der öffentliche Demonstrator findet sich unter www.argumentsearch.com.
Mikroplastik im Fluss
Abbildung: Katrin Binner
Immer mehr Kunststoffpartikel belasten die Umwelt. In den Fachgebieten Abwassertechnik und Abwasserwirtschaft untersuchen Forschungsteams, welchen Anteil die Industrie an der Verschmutzung mit Mikroplastik hat.
_ Von Uta Neubauer Kunststoffe sind aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Das hinterlässt Spuren in der Umwelt. Neben arglos weggeworfenen Tüten, Bechern und anderem Plastikmüll rückt die Verschmutzung mit Mikroplastik immer stärker in den Fokus. Die kleinen Informationen Fachgebiet Abwasserwirtschaft Teilchen wurden zuerst in Ozeanen entdeckt, dann fand man sie in Seen und Flüssen, schließlich auch in Prof. Dr. Susanne Lackner Böden. „Kunststoffpartikel sind überall“, sagt Luisa E-Mail: s.lackner@iwar.tu-darmstadt.de Barkmann, Doktorandin im Fachgebiet Abwassertechnik an der TU Darmstadt. In ihrer Masterarbeit Fachgebiet Abwassertechnik befasste sie sich mit Mikroplastik in kommunalen Prof. Dr.-Ing. Markus Engelhart Kläranlagen. Jetzt widmet sie sich industriellen Abwässern. Vor allem kunststoffproduzierende und E-Mail: m.engelhart@iwar.tu-verarbeitende Betriebe will sie in ihrer Doktorardarmstadt.de beit unter die Lupe nehmen: Auf welchen Stufen der www.iwar.tu-darmstadt.de Wertschöpfungskette und über welche Kanäle gelan-
Bestimmen Mikroplastik in industriellen Abwässern: Prof. Markus Engelhart, Prof. Susanne Lackner, Luisa Barkmann und Hajo Bitter.
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gen Plastikpartikel in die Umwelt? Und wie groß ist der Anteil der Industrie an der Gesamtbelastung überhaupt? Im Rahmen des Anfang des Jahres gestarteten Verbundprojektes EmiStop analysieren die Darmstädter Forschungsteams industrielle Abwässer, um deren Mikroplastikeinträge zu bilanzieren. Kein leichtes Unterfangen, denn schon die Probennahme sei eine Herausforderung, sagt Barkmann. Für jedes Unternehmen müsse sie sich eine individuelle Strategie überlegen, da die Betriebe sich nicht nur in ihren Produktionsprozessen unterscheiden, sondern auch in den Kanalsystemen und im Wassermanagement. Viele wissen gar nicht, wie viel Abwasser in einem bestimmten Bereich überhaupt anfällt. Und nicht nur in der Herstellung, vor allem auch beim
Weiterverarbeiten, Umfüllen und beim Transport von Kunststoffen gelangt Mikroplastik in die Umwelt.
zehn Mikrometer sind. Zudem dauert die Prozedur wegen der mühseligen Probenvorbereitung bis zu zwei Wochen.
Erste Proben haben die Darmstädter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kürzlich in einem Betrieb genommen, der Kunststoffgra nulate herstellt. Wie viele große Chemieunternehmen sitzt er aus logistischen Gründen an einem Fluss. Solche Standorte könnten zur Mikroplastik belastung von Gewässern beitragen, wenn bei spielsweise Oberflächenwasser unbehandelt in den Fluss gelange, erläutert Barkmanns Dok tor vater Professor Markus Engelhart. So schwemmt im ungünstigsten Fall der Regen Kunststoffteilchen, die etwa beim Umfüllen in Transportfahrzeuge auf dem Boden landen, direkt in umliegende Gewässer. Auch solche Eintragswege werden die EmiStop-Teams untersuchen.
Deutlich schneller, aber weniger genau sind Verfahren, die Luisa Barkmann für eine erste Abschätzung prüft: Sie bestimmt sogenannte S ummenparameter, die nicht den Gehalt einer einzigen Substanz, sondern einer Gruppe verwandter Verbindungen angeben. In der Umweltanalytik werden zum Beispiel organische Schadstoffe, die Chlor, Brom oder Iod enthalten, standardmäßig gemeinsam als Sum men parameter erfasst. Diesen Wert müssen Betriebe ohnehin messen, bevor sie Abwässer in Flüsse einleiten. Ist er erhöht und liegt zusätzlich eine Partikelbelastung vor, deutet das auf eine Verschmutzung mit dem chlorhaltigen Kunststoff PVC hin. „Das ist zwar keine genaue Quantifizierung, aber die Unternehmen bekommen einen schnellen Hinweis auf eine Mikroplastikbelastung“, sagt Engelhart.
„Wir wollen Unternehmen Hilfsmittel bereitstellen, damit sie schnell auf ungewollte Ereignisse reagieren können.“
Konkrete Handlungsempfehlungen könne man erst geben, wenn die Belastung analytisch erfasst sei, unterstreicht Professorin S usanne Lackner, Leiterin des Fachgebiets Abwasserwirtschaft und ebenfalls Partnerin von EmiStop. Der Nachweis von Mikroplastik in Wasserproben war lange eine Schwachstelle, die Daten lage entsprechend dürftig. Seit einigen Jahren kommt hier vor allem ein auf wendiges spektroskopisches Verfahren, die RamanMikrospektros kopie, zum Einsatz. Diese Technik verwendet auch das Institut für Umwelt- und Verfahrenstechnik der Hochschule RheinMain in R üsselsheim, das sich ebenfalls an EmiStop beteiligt.
Dem Titel EmiStop entsprechend wollen die beteiligten Forscher nicht nur Nachweisverfahren entwickeln und Einträge bilanzieren, sondern die industriellen Emissionen von Mikroplastik stoppen. Projektpartner EnviroChemie aus Roßdorf, keine zehn Autominuten von der TU Darmstadt entfernt, testet bereits Flockungsmittel, die Mikroplastik aus Abwässern entfernen. Doch wie wirksam ist das Trennverfahren? Reicht es aus oder sind Filter effektiver? Für die Bewertung von Abscheidetechniken entwickelt Doktorand Bitter einen Test mit Modell partikeln: Den zu reinigenden Abwässern sollen magnetische Kunststoffteilchen als Tracer zugegeben Hajo Bitter, Doktorand in Lackners Gruppe, wie - werden. Ihr Gehalt vor und nach der Behandlung derum verfeinert eine Methode namens dyna - lässt sich mit einer magnetischen Waage messen – mischer Differenzkalorimetrie. Sie ist in der Qua und das sensitiver als mit der dynamischen Differenzlitätssicherung von reinen Kunststoffen etabliert, kalorimetrie und zugleich schneller, da die langwiemuss den komplexer zusammengesetzten Abwasser- rige Probenvorbereitung entfällt. Die Modellpartikel proben aber angepasst werden. Partikel größer als bestehen aus Kunststoff mit eingeschlossenem Nanofünf Millimeter – die per Definition nicht zur Mikro- Eisenoxid. Ihre Dichte lässt sich modifizieren, soplastik zählen – entfernen die Forscher zunächst mit dass sie verschiedene Plastiksorten nachahmen einem Sieb, dann zerstören sie organische Sub- können. Die Darmstädter Wissenschaftler ent stanzen durch eine chemische Behandlung mit wickeln die Teilchen in Kooperation mit dem Projekt Oxidationsmitteln, die Kunststoffe nicht angreifen. partner BS-Partikel aus Mainz. Mineralische Bestandteile wie Sand trennen sie schließlich mit einer speziellen Aufschwemm - Kurzum: EmiStop schlägt einen weiten Bogen technik ab. Die so isolierten Kunststoffpartikel von der Mikroplastik-Analytik über die Massenwerden in einem winzigen Tiegel mit einer vorge bilanzierung bis zu emissionsmindernden Maßgebenen Heizrate bis auf fast 300 Grad Celsius nahmen. Er spüre ein deutliches Interesse der erhitzt. Das Gerät zeichnet die Wärmeströme in Industrie, sagt Engelhart und betont: „Wir wollen die Abhängigkeit der Temperatur auf, wobei ein leerer Unternehmen nicht an den Pranger stellen, sondern Tiegel als Referenz dient. Peaks im Diagramm, die ihnen Hilfsmittel zur Hand geben, damit sie schnell an den Schmelzpunkten der enthaltenen Kunststoffe auf ungewollte Ereignisse reagieren können.“ _ auftreten, geben sowohl Aufschluss über die Plastiksorten als auch über deren Konzentrationen. Sechs Die Autorin ist Wissenschaftsjournalistin und gängige Kunststoffe messen die Wissenschaftler promovierte Chemikerin. bislang auf diese Weise. Sie erfassen mit der Methode allerdings nur Kunststoffpartikel, die größer als
Projekt EmiStop Das Verbundprojekt EmiStop ist Teil der Initiative „Plastik in der Umwelt“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF). Als einziges von insgesamt 18 Projekten beschäftigt sich EmiStop mit industriellen Abwässern. Über die Laufzeit von Anfang 2018 bis Ende 2020 erhält EmiStop vom BMBF Fördermittel in Höhe von insgesamt 1,83 Millionen Euro. Neben der TU Darmstadt beteiligen sich die Hochschule RheinMain sowie der Anlagenbauer EnviroChemie, der Partikelhersteller BS-Partikel und das Beratungsunternehmen inter 3 an EmiStop. Weitere Informationen: www.emistop.de
Der Trick mit dem Insektenparfüm Ein Team der TU Darmstadt wird in den kommenden Jahren Sexuallockstoffe wichtiger Schadinsekten in Pflanzen herstellen und für den Pflanzenschutz nutzbar machen. _ Von Hildegard Kaulen Wer sich schon einmal um eine Bepflanzung gekümmert hat, egal ob auf dem Feld, im Garten oder auf der Fensterbank, weiß, wie gnadenlos Schädlinge Gewächsen zusetzen können. Die Übeltäter sind schnell ausgemacht. Viren, Bakterien, Pilze und Insekten vernichten ganze Ernten und profitieren zudem vom Klimawandel, weil sie sich in warmen Sommern stärker ausbreiten und in milden Wintern weniger Schaden nehmen. Derzeit werden diese Schädlinge vor allem mit Pestiziden bekämpft. Allerdings dezimieren diese Substanzen auch die Nützlinge, sie mindern die Artenvielfalt und belasten Böden und Grundwasser. Der Bedarf nach nachhaltigen und umweltverträglichen Lösungen ist groß.
Spritzmittel verwendet. Allerdings ist die Herstellung dieser Produkte sehr kostspielig. Das liegt daran, dass ihre chemische Struktur kompliziert ist. Viele Synthesen sind aufwendig und vieles ist auch technisch gar nicht machbar. Daher wollen Warzecha und seine Kollegen die Pheromone von Pflanzen herstellen lassen.
„Pheromone können sehr gezielt zur Verwirrung und zum Weglocken einzelner Arten eingesetzt werden.“
Hier setzt das europäische SUSPHIRE-Projekt an, hinter dem ein Konsortium aus England, Spanien, Slowenien und der Bundesrepublik steht. Von deutscher Seite sind drei Professoren der TU Darmstadt beteiligt: Heribert Warzecha, Professor für Pflanzen-Biotechnologie, Andreas Jürgens, Professor für Chemische Pflanzenökologie, und Alfred Nordmann, Professor für Philosophie. Das Projekt verfolgt ehrgeizige Ziele. Motten, Wollläuse und Co sollen in Zukunft nicht mehr durch Insektizide getötet werden, sondern durch den unorthodoxen Gebrauch von Sexuallock stoffen an ihrer Fortpflanzung gehindert werden. Normalerweise laden Insektenweibchen die Männchen mit solchen Sexuallockstoffen, die auch Pheromone genannt werden, zur Paarung ein. Warzecha und seine Kollegen werden Pflanzen durch Gentransfer so verändern, dass sie ebenfalls Pheromone bilden. Das wird die Männchen derart verwirren, dass sie das knappe Zeitfenster für die Paarung verpassen und keine Nachkommen zeugen werden. „Dadurch, dass jede Insektenart ihr eigenes Parfüm zur Vorbereitung der Paarung synthetisiert, können Pheromone sehr gezielt zur Ver wirrung und zum Weglocken einzelner Arten eingesetzt werden“, erklärt Professor Warzecha im Gespräch. „Ein solches Parfüm besteht mitunter aus einem einzigen Pheromon, mitunter aus mehreren P heromonen, aber es funktioniert imInformationen mer nur für eine Art, nicht für andere SpeziFachbereich Biologie es“, so der pharmazeuPlant Biotechnology and Metabolic tische Biologe weiter. Engineering Pheromone werden derProf. Dr. Heribert Warzecha zeit schon in Form von E-Mail: warzecha@bio.tu-darmstadt.de Pheromonfallen oder als https://bit.ly/2P7nLEY
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Pflanzen werden seit geraumer Zeit zur Produktion komplexer Proteine oder Substanzen verwendet, weil sie ein nachwachsender Rohstoff sind und ihre Kultur an die jeweiligen Bedingungen angepasst werden kann. Das macht sie zu perfekten Biofabriken. Mit den richtigen Bauanleitungen im Genom synthetisieren sie selbst die kompliziertesten Moleküle und brauchen dafür nur einen gedeihlichen Standort mit genügend Wasser, Sonnenlicht und Kohlendioxid. Heute werden bereits eine ganze Reihe technischer Enzyme in Pflanzen produziert, aber auch Kosmetika und ein Medikament gegen eine seltene Erkrankung.
Dass Pflanzen auch Insekten-Pheromone bilden können, ist schon vor einigen Jahren von den spanischen Projektpartnern und anderen Arbeitsgruppen gezeigt worden. Professor Diego Orzaez und seine Kollegen von der Universität Valencia haben die Gene für die Synthese von Motten-Pheromonen in Tabak eingeschleust. Sie konnten zeigen, dass die gebildeten Phero mone tatsächlich funktionieren und Motten anlocken. Allerdings werden diese Sexuallockstoffe noch nicht an die Luft abgegeben, sondern bleiben noch in den Pflanzenzellen. Das Konsortium wird zeitnah Lösungen entwickeln. Weil die Mottenmännchen die Pheromon-produzierende Tabakpflanze wegen der Lockstoffe für ein Weibchen halten, hat man dieser Pflanze den Namen „Sexy Plant“ gegeben. Sie ist ein erster wichtiger Prototyp. „Wir wissen durch diese Ergebnisse, dass das Konzept prinzipiell funktioniert“, sagt Professor Warzecha. „Im Englischen heißt das „Proof of Concept“. Wir können Pflanzen also in der Tat so ausstatten, dass sie sich selbst vor Insekten schützen und dadurch einen relevanten landwirtschaftlichen Mehrwert haben.“ Warzecha und seine Kollegen verfolgen zwei grundsätzliche Strategien. Es geht ihnen zum einen darum, Insekten-Pheromone oder deren Vorstufen kostengünstig herzustellen, um mit den isolierten Substanzen Pheromonfallen zu bestücken oder sie als Spritzmittel zu verwenden. Das würde die Produktionskosten für solche Produkte erheblich senken und ihren Einsatz deutlich rentabler machen. Das langfristige Ziel des Konsortiums ist allerdings, die Pheromonproduzierenden Pflanzen zusammen mit den Nutzpflanzen aufs Feld
Abbildung: Katrin Binner
Teil des interdisziplinären Projektteams: Andreas Jürgens, Janine Gondolf, Heribert Warzecha (v.l.)
zu bringen. Dann müssten die Pheromone nicht mehr isoliert werden, sondern könnten von den Pflanzen direkt in die Umgebung abgegeben werden. Derzeit unterliegen solche Anwendungen mit gentechnisch veränderten Pflanzen allerdings einer strengen Regulierung. „Wir werden für die Produktion der Pheromone keine Futter- oder Lebensmittelpflanzen verwenden, sondern Tabak und könnten die Pflanzen auch in speziellen Containern aufs Feld bringen“, sagt Warzecha. „Wir werden in den kommenden Jahren mit den Behörden ausloten, was möglich ist und was nicht. Das SUSPHIRE Projekt wird sich auch mit Fragen verantwortungsvoller Forschung und den ökonomischen Konsequenzen dieser Arbeit befassen“. Warzecha und seine Kollegen suchen derzeit auch intensiv nach den Pheromonen der Wollläuse, insbesondere der Zitrusschmierlaus. Diese Läuse ruinieren viele Anpflanzungen, indem sie die Zitruspflanzen mit einer wachsartigen Substanz überziehen. Bevor Warzecha und seine Kollegen allerdings die Pheromone der Zitrusschmierlaus in Pflanzen produzieren können, müssen sie die Gene dafür kennen, damit sie die
entsprechenden Bauanleitungen in den Pflanzen hinterlegen können. „Zur Identifizierung der Pheromon-Gene werden wir sämtliche Botenribonukleinsäuren, die von befruchten und unbefruchteten Weibchen gebildet werden, miteinander vergleichen. In dem Pool der von den unbefruchteten Weibchen gebildeten Ribonukleinsäuren müsste sich auch die Blaupause für die Pheromone befinden. Wir werden das Gen dann mit passenden Steuerungselementen in Tabakpflanzen transferieren. Dann müssen wir schauen, ob genügend Pheromone gebildet werden und ob dies auch zur rechten Zeit und am rechten Ort geschieht“, so Warzecha weiter. Er und seine Kollegen hoffen, auf diese Weise eine ganze Palette an Pheromonen in Pflanzen produzieren und für bestimmte Anwendungen maßschneidern zu können. Der Bedarf ist groß. Der Weltmarkt für Insektizide soll 2022 bei 17,5 Milliarden Euro liegen. Die Konzepte des Konsortiums sind deutlich umweltverträglicher. _ Die Autorin ist Wissenschaftsjournalistin und promovierte Biologin.
Supermaterialien aus der Mikrowelle
Nachwuchsgruppenleiterin Dr. Christina Birkel
Mit unkonventionellen Methoden stellen Christina Birkel und ihre Mitarbeiter im Fachbereich Chemie der TU Darmstadt metallische Keramiken und neue Materialien für die Energieversorgung der Zukunft her.
„Um die Jahrtausendwende gab es einen richtigen MAX-PhasenAufschwung“, erklärt Birkel. Kein Wunder, denn die Materialien sind kratzfest, hochtemperaturstabil und in vielen Fällen oxidationsresistent wie eine Keramik, leiten aber Strom und besitzen teils außergewöhnliche magnetische Eigenschaften. Sie werden daher auch als metallische Keramiken bezeichnet. Ähnlich Tonmineralen besitzen MAX-Phasen einen lamellenartigen Aufbau aus alternierenden A- und M-X-M-Schichten. Während Forscher weltweit, vor allem in den USA, Eigenschaften und Einsatzmöglichkeiten von MAX-Phasen untersuchen, beschäftigt sich Birkel mit deren Herstellung. Mit der Synthese im Mikrowellenofen hat sie einen besonders simplen Weg perfektioniert: Die pulverisierten Metalle und reiner Kohlenstoff in Form von Graphitpulver werden dafür unter Luftausschluss vermischt und zu einer Tablette gepresst. Die Tablette schließen die Chemiker in eine Quartzglasampulle ein, die sie in einen Tiegel mit Graphitgranulat stecken und in das MikrowellenGerät stellen. Graphit nimmt die Energie der Mikrowellenstrahlung besonders gut auf und sorgt dafür, dass die Tablette über 1300 Grad heiß wird – bei derart hohen Temperaturen bilden sich MAX-Phasen. Damit ist Birkel aber nicht am Ziel. Denn noch zukunftsträchtiger als die metallischen Keramiken sind die aus ihnen erstmals im Jahr 2011 hergestellten MXene. Ihr Name deutet es an: Ein MXen ist eine MAXPhase ohne A-Schichten. Sie wurden mit Flusssäure entfernt. Die Pro zedur erfordert zwar höchste Vorsicht – Flusssäure wirkt extrem ätzend –, erfüllt ihren Zweck aber bestens, wie sich im Elektronenmikroskop zeigt: „Die Schichtstruktur der MAX-Phasen weitet sich auf und sieht dann aus wie ein aufgefächertes Buch.“ Teilweise lösen sich die einInformationen zelnen Schichten voneinander. Anorganische Festkörperchemie Dr. Christina Birkel E-Mail: birkel@ac.chemie.tudarmstadt.de www.chemie.tu-darmstadt.de/ nachwuchsgruppe-birkel
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Der Begriff MXen mit der Endung „en“ deutet eine gewisse Ähnlichkeit zu Graphen an, dem aus reinen Kohlenstoffschichten bestehenden Wundermaterial. Für MXene werden
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Abbildung: Katrin Binner
_ Von Uta Neubauer Der Mikrowellenofen im Labor von Christina Birkel, Nachwuchsgruppenleiterin an der TU Darmstadt, ist nicht nur größer und deutlich teurer als das übliche Haushaltsgerät, sondern zudem leistungsstärker und feuer- und explosionsgeschützt. Den Drehteller und dessen Kunststoffhalterung hat Birkel entfernen lassen. „Das wäre alles geschmolzen“, sagt sie. Die Chemikerin nutzt den Ofen für die Synthese von Substanzen, die Fachleute als MAX-Phasen bezeichnen. M steht für ein Übergangsmetall, etwa für Titan oder Vanadium, A für ein Hauptgruppenelement – meist Aluminium – und X für Kohlenstoff, seltener auch Stickstoff. Rund 70 derartige Verbindungen sind bislang bekannt.
ebenfalls vielfältige Anwendungen vom Batteriematerial bis zur Wasserreinigung diskutiert. Erst kürzlich haben Birkel und ihre Kollegen ein neues MXen hergestellt. Es besteht aus Vanadium-KohlenstoffSchichten und eignet sich als Katalysator für die Wasserstoffbildung bei der Elektrolyse von Wasser, wie die Gruppe von Ulrike Kramm, Assistenzprofessorin an der TU Darmstadt, zeigte. Die Wasserelektrolyse gewinnt immer mehr an Bedeutung, denn mit ihr lässt sich überschüssig erzeugter Solar- oder Windstrom in Form von Wasserstoff speichern. Für die katalytische Wirkung der MXene spielen Hydroxylgruppen (aus Sauerstoff und Wasserstoff) sowie Sauerstoff- und Fluoratome, die während der Flusssäure-Behandlung an die Schichten binden, eine Rolle. Die genauen Mechanismen untersuchen die Darmstädter Forscher derzeit, auch mit dem Ziel, die Eigenschaften der MXene zu optimieren. Über die Hydroxylgruppen ließen sich zum Beispiel organische Moleküle an die Schichten koppeln. „Nach dem Lego-Prinzip sind so viele neue MXene denkbar“, erklärt Birkel. Gut 20 sind erst bekannt. Ein ausbaufähigeres Forschungsgebiet hätte sich die angehende Chemieprofessorin nicht aussuchen können. _ Die Autorin ist Wissenschaftsjournalistin und promovierte Chemikerin. Ausgezeichnete Forscherin Christina Birkel ist seit 2013 Nachwuchsgruppenleiterin an der TU Darmstadt und wird seit 2017 im Rahmen des TU-Programms Athene Young Investigator gefördert. 2017 erhielt sie einen mit 80.000 Euro dotierten Exploration Grant der Boehringer Ingelheim Stiftung. Aktuelle Publikationen M. H. Tran et al., Adding a New Member to the MXene Family: Syn thesis, Structure and Electrocatalytic Activity for the Hydrogen Evolution Reaction of V4C3Tx , ACS Appl. Energy Mater. 2018, DOI: 10.1021/ acsaem.8b00652 C. M. Hamm et al., Structural, magnetic and electrical transport properties of non-conventionally prepared MAX phases V2 AlC and (VMn)2 AlC, Mater. Chem. Front. 2018, 483-490, DOI 10.1039/C7QM00488E