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Wie schön und entspannend darf ein Büro sein, Herr Teunen?

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CONTE T N

CONTE T N

Jan Teunen versteht sich als „Cultural Capital Producer“. Als solcher berät er Unternehmer und Unternehmen in Kulturfragen und unterstützt sie dabei, eine nachhaltige Unternehmenskultur zu entwickeln. Ein Gespräch über die Öffnung des Tiefenraums und die Erfindung der Zukunft.

Ein schlechtes Arbeitsumfeld führt zu Stress, Depressionen und Angst – alles leistungs- und kreativitätsmindernde Faktoren. Warum wird der Arbeitsumgebung trotzdem so wenig Beachtung geschenkt? Ein Schreibtisch, ein Drehstuhl, ein Computer. Alles darüber hinaus ist Schnickschnack, so das weit verbreitete Denken.

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Wer so denkt, muss hinnehmen, dass bis zu 40 Prozent der Personalkosten wirkungslos verpuffen und dass darüber hinaus die Lebensqualität vieler Menschen überschattet wird. In stimmigen Arbeitsräumen werden Menschen gut gestimmt, und sie gehen nach der Arbeit gut gestimmt auf die Welt zu. Der Welt kann nichts Besseres passieren.

In Ihrem Buch „Officina Humana“ charakterisieren Sie viele Büros als „seelenlose Räume“. Die meisten Büros seien reine Wirtschaftsräume, keine humanen Lebensräume. Was muss ein Büro aus Ihrer Sicht können, damit es zum Lebensraum wird?

Natürlich sind nicht alle Büros seelenlos, aber die meisten sind es, und das ist ein Problem. Das Büro muss alle vier Dimensionen des Menschen adressieren. Der Körper braucht eine stimmige physische Ergonomie, das Ich braucht Geborgenheit und Freiheit, der Geist Sinn, Sinnstiftung und Schönheit als Gegengewicht zu negativen Informationen, und, last but not least, die Seele, dieses einzige nicht organische Organ, über das wir Menschen verfügen, braucht Nahrung. Die Nahrung für die Seele heißt Spirit, und diesen Spirit gibt es ausschließlich in der Religion und in der Kunst.

„Büros müssen zu Gewächshäusern für Kreativität werden. Sie müssen mit Schönheit geflutet werden“, sagen Sie. Klingt toll. Für viele aber ist das Großraumbüro gelebte Realität, wo es an Privatsphäre mangelt und Lärm und Mobbing zu Hause sind. Wenn man dort arbeitende Menschen befragt, so fühlt sich dort kaum einer wohl. Warum gibt es diese Büros trotzdem noch?

Nat Rlich

JAN TEUNEN

Weil die Entscheidungen für ein solches Ambiente von „Rational Fools“ getroffen werden, so hat sie der Wirtschaftswissenschaftler und Nobelpreisträger Amartya Sen bezeichnet. Solche Entscheider verstehen nicht, dass es absolut töricht ist, an Arbeitsräumen zu sparen, wenn gewünscht ist, dass menschliches Potenzial sich dort entfaltet und co-kreative Prozesse gut ablaufen können. Diesen Entscheidern fehlen das Wissen und das Bewusstsein. Um diese informierte Unwissenheit zu beenden, habe ich gemeinsam mit Andreas Kulick und Christoph Quarch das Buch „Officina Humana“ verfasst.

Jetzt könnte ich sagen: Alles Quatsch. Sobald man eine inhaltlich sinnvolle Arbeit gefunden hat, ist das Umfeld nicht mehr so wichtig.

Dann antworte ich mit Viktor Frankl und seinem Sinnspruch: „Wer ein Warum zu leben hat, erträgt fast jedes Wie!“

Sie geben mir also recht?

Ja. Schauen Sie sich Start-Ups an, die in Garagen beginnen. Für junge Leute, die eine phantastische Idee haben und dafür brennen, ist das Umfeld nicht entscheidend. Aber alle anderen – man kennt die Zahlen des Gallup-Instituts, wonach nur 15 Prozent aller Beschäftigten mit Herz und Seele bei der Arbeit sind, aber 70 Prozent Dienst nach Vorschrift machen und 15 Prozent innerlich bereits gekündigt haben – brauchen ein kulturell aufgeladenes Umfeld, um sich selbst motivieren zu können.

Ihr eigenes Büro sehen Sie als Wunderkammer. Was muss ein Büro für Sie ganz persönlich können?

Das Wunderkammerkonzept kommt aus der Renaissance. Damals sind die Menschen noch nicht so viel in die Welt hinausgegangen, sondern sie haben die Welt zu sich ins Haus geholt, und diese Idee war für mein eigenes Büro eine große Inspiration. Ich brauche viel Kunst um mich, und das nicht aus Statuslüsternheit, sondern weil Kunst, das ist vorwiegend zeitgenössische Kunst, mein Lehrmeister ist und meinen Horizont erweitert. In meinem Büro gibt es auch eine Herrgottsecke mit einer Salvator-Mundi-Skulptur aus dem 17. Jahrhundert und einem Kruzifix aus der Barockzeit. Es gibt eine Vitrine mit Muscheln und natürlich extrem gut funktionierende und gestaltete Einrichtungsgegenstände. Es gibt hier nichts, was 08/15 ist. Mein Feind ist nicht derjenige, der das Auto vom Parkplatz klaut, mein Feind ist die Mittelmäßigkeit.

Eine Wunderkammer ist zuallererst ein Rückzugsort. Ein Rückzug bzw. eine Rückzugsmöglichkeit erschwert, oder verunmöglicht sogar, die Kontrolle. Welche Rolle spielt Vertrauen? Braucht es einen Vertrauensvorschuss seitens des Arbeitgebers?

„Die größte Ehre, die man einem Menschen antun kann, ist die, dass man zu ihm Vertrauen hat“: So sagt es der deutsche Dichter Matthias Claudius, und ich pflichte ihm bei. Übrigens ist die Qualität des Miteinanders im Büro Motivationstreiber Nummer zwei.

Nach Corona wollten viele gar nicht mehr aus dem Homeoffice ins Büro zurück. Dazu gibt es kontroverse Meinungen. Die einen sagen: Ist okay, solange die Arbeit erledigt wird. Die anderen sehen darin den Niedergang des sozialen Zusammenlebens. Wie sehen Sie das?

Im Büro werden nahezu alle Routinearbeiten von intelligenten Maschinen gemacht, und was für die Menschen bleibt, ist die gewollte Co-Kreation. Weil Nähe und Begegnung für Kreativität unabdingbare Voraussetzungen sind, sollte das Homeoffice nicht zum Regelfall werden.

Sein eigenes Büro (links oben) hat Jan Teunen wie eine Wunderkammer gestaltet: Ein Rückzugsraum, in dem er sich zeitlich unbegrenzt glücklich fühlen kann.

Das Büro muss alle vier Dimensionen des Menschen adressieren: Den Körper, das Ich, den Geist und die Seele. Nur dann ist motiviertes Arbeiten möglich (rechts unten).

Viele Arbeitgeber denken: Entspannen sollen die Mitarbeiter zu Hause. Im Büro wird gearbeitet, daher zählt nur eines: Funktionalität. Wie entspannend darf ein Büro sein?

Das Büro wurde im Mittelalter in einem Kloster erfunden, und zwar, um das Kostbare zu beschützen. Die Ordensleute haben eine wunderbare Methode, die wir auch im Büro übernehmen sollten. Und zwar: nach jeder Kreation – Rekreation. Die nennen das „Ora et labora“. Wer diese Methode anwendet, erhält seine Kreativität, weil so die rechte Gehirnhemisphäre nicht austrocknet, und Büros müssen so eingerichtet sein, dass es ein Rekreationsangebot gibt.

Das Büro soll als Gegengewicht zu negativen Informationen fungieren, sagen Sie. Das klingt nach einem Idyll. Kann es das überhaupt sein? Liegt es nicht in der Natur der Sache, dass eine gewisse Funktionalität die Eignung als Kulturraum ausschließt? Es ist nicht das Büro, sondern es ist die Schönheit, nach der der Mensch als Gegengewicht zu negativen Informationen logisch unbewusst sucht. Das Büro mit seiner Einrichtung ist für viele Menschen zu ihrer zweiten Natur geworden. Diese kann genauso eine schöne Natur sein wie die erste, vorausgesetzt, sie hat auch ihre Qualität. Eine Qualität, die sowohl eine funktionale wie auch eine poetische Beziehung ermöglicht.

Die Firma Microsoft hat gemeinsam mit Universitäten das sogenannte Workplace-Advantage-Konzept entworfen, das die Mitarbeiterstruktur jedes Standortes auf Basis von fünf Kategorien – vom Resident (fixer Arbeitsplatz, ständig im Büro) bis hin zum Nomaden (kaum im Büro) – analysiert und daraus das maßgeschneiderte Raumprogramm ableitet. Offen, dann wieder geschlossen, dann wieder modular. Was halten Sie davon? Ein Schritt in die richtige Richtung?

Das ist ein sehr kluges Konzept, sollte aber nicht dazu genutzt werden, Fläche zu verdichten. Der Raum, der so gespart wird, sollte bestehen bleiben, um dort zum Beispiel kulturelle Aktivitäten stattfinden zu lassen. Bei dm, einem meiner Kunden, gibt es Theaterwerkstätten für „Lernlinge“, wie sie dort heißen. Bei anderen Kunden finden Kunstausstellungen statt, oder ein Künstler kommt ins Unternehmen und stellt sein Werk vor.

Sie beraten große Unternehmen. Wie offen geht man mit Ihren Vorschlägen dort um? Welche Widerstände gilt es zu überwinden?

Als Cultural Capital Producer helfe ich Unternehmen dabei, sich weiter zu kultivieren. Ich kümmere mich um Dinge, die nicht in den Bilanzen ausgewiesen sind. Das sind die drei Ws: Werte, Wissen und Wirken. Zu diesem Wirken gehört die wirksame Kommunikation. Da ich von außen in Unternehmen komme, gibt es manchmal seitens der Teams Widerstände. Schon Machiavelli wusste, dass einer sich nicht hervortun sollte als jemand, der das Neue möchte, denn er hat alle gegen sich, die von der alten Situation profitieren, und die Zweifler

Jan Teunen (*1950) ist Geschäftsführer der Teunen Konzepte GmbH. Er unterstützt seine Kunden darin, ihr kulturelles Kapital und ihre Wirtschaftskraft zu mehren, entwickelt individuelle und kreative Konzepte für eine wirkungsvolle Kommunikation und begleitet ihre Realisierung in Zusammenarbeit mit erstklassigen Partnern. Zu seinen Kunden gehören: x+bricks, dm drogerie markt, Brückner Architekten, combine Consulting, Lufthansa, RhönSprudel, Ratisbona und Villeroy & Boch. Er ist Kuratoriumsmitglied der Stiftung Beethoven-Haus in Bonn und der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle, wo er eine Professur für Designmarketing innehat. Jan Teunen ist verheiratet, hat zwei Kinder und lebt und arbeitet seit 1977 auf Schloss Johannisberg im Rheingau. www.teunen-konzepte.de glauben das Gute erst, wenn sie es sehen. Für viele, die im Tagesgeschäft sind, stellt jede Neuausrichtung, jede Veränderung eine Zusatzbelastung dar. Aber Führungskräfte haben die Aufgabe, ein Unternehmen zu erneuern, und Manager haben die Aufgabe, die Komplexität zu handhaben. Ich muss mit den Visionären arbeiten, um gemeinsam Zukunft zu erfinden.

„Wo die Seele singt: Über Kunst in Unternehmen“, so heißt eines Ihrer Bücher. Man solle „Büros mit Kunst fluten“, liest man darin. In vielen Büros zählt es zum guten Ton, dass teure moderne Kunst an den Wänden hängt. Reicht das?

Kunst am Arbeitsplatz ist wichtig für den eingangs erwähnten Spirit. Man muss allerdings wissen, was man betrachtet, um es zu erkennen. Deswegen ist es die Aufgabe der Arbeitgeber, den Tiefenraum zu öffnen, damit Mitarbeiter an die Nahrung herankommen können. Wir sind Naturwesen. Alles Natürliche nehmen wir von innen nach außen wahr. Wir werden uns nicht darüber streiten, ob die aufgehende Sonne schön ist oder nicht. Wir sind alle ergriffen, wenn wir das erleben. Alles Kulturelle nehmen wir aber von außen nach innen wahr. Um es zu verstehen, braucht es Information.

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