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Wie sucht man nach etwas, von dem man nicht weiß, wie es aussieht und ob es sich überhaupt finden lässt?
by UCM Verlag
Florian Reindl ist Teilchenphysiker. Im italienischen Untergrundlabor Gran Sasso, 1.400 Meter tief im Berg gleichen Namens gelegen, sucht er nach dunkler Materie, der großen Unbekannten des Universums. Ein Gespräch über kalte Kristalle und Knochenarbeit.
JEDER SCHRITT IST AUFWENDIG, SCHNELL, SCHNELL GEHT NICHTS.
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Könnte man sagen, das größte Dilemma Ihrer Arbeit ist, dass Sie nach etwas suchen, von dem man nicht weiß, wie es aussieht und welche Masse es hat?
Genau. Aus astronomischen Beobachtungen wissen wir, dass es die dunkle Materie geben muss, und dieser Verdacht erhärtete sich über die letzten Jahrzehnte immer mehr. Aber wie genau sie aufgebaut ist, ist in großem Rahmen eher unbekannt. Und es gibt viele Möglichkeiten, wie sie aussehen könnte ...
Die eine Theorie, weshalb es dunkle Materie geben muss, ist die: Ähnlich wie im Planetensystem die Planeten um die Sonne, rotieren auch die Sterne um das Zentrum der Galaxie. Aufgrund ihrer hohen Geschwindigkeit müssten sie eigentlich aus der Galaxie herausgeschleudert werden. Daraus schließt man, dass es einen Anteil dunkler, das heißt nicht sichtbarer Materie geben muss, der die Sterne anzieht und in ihrer stabilen Bahn hält. Stimmt das so? Ja. Das ist eine sehr illustrative Beobachtung, aus der man schließt, dass es mehr Masse geben muss als sichtbar ist. Es gibt aber noch eine ganze Reihe anderer Beobachtungen, die alle zu dem gleichen Ergebnis führen: Dass es im Universum ungefähr fünfmal so viel Materie geben muss, als sichtbar ist.
Wie gesichert ist dieses Wissen?
Das hängt ein wenig davon ab, wen Sie fragen. Dass es so etwas wie dunkle Materie gibt, ist sehr gesichert. Aber natürlich: Solange man nicht die Existenz eines Teilchens nachgewiesen hat, bleibt immer ein Rest Unsicherheit. Aber wir haben Beobachtungen auf verschiedensten astronomischen Skalen – Galaxien, Galaxienhaufen bis hin zum kosmischen Mikrowellenhintergrund, der vom ganzen Universum kommt –, alle bieten eine konsistente Erklärung: dass da mehr Masse sein muss. Irgendetwas muss also sein.
Gibt es alternative Erklärungsversuche?
Ja. es gibt eine alternative Idee. Die MOND-Hypothese (Modified Newtonian Dynamics) postuliert, dass das Gravitationsgesetz auf größeren Skalen nicht mehr gilt, dass die Gravitation sich irgendwie anders verhält, die Kraft also stärker wird, was erklären soll, weshalb die Sterne auf ihren Bahnen gehalten werden. Aber derartige Theorien sind mittlerweile sehr unpopulär geworden, weil sie es einfach nicht schaffen, alle Beobachtungen, die wir machen, zu erklären. Wenn man die alle erklären will, muss man einfach davon ausgehen, dass es eine weitere Materieform gibt.
Sie arbeiten am Gran Sasso, im größten Untergrundlabor dieser Art weltweit. Wie kann man sich diese Suche praktisch vorstellen? Am Gran Sasso gibt es eine Vielzahl von Experimenten. Nicht alle, aber viele davon beschäftigen sich mit dunkler Materie. Bei der Suche geht es darum nachzuweisen, dass Teilchen der dunklen Materie mit bekannter Materie wechselwirken. Man stellt einen Kristall hin, im Falle von CRESST II ist das Calciumwolframat; diesen Kristall kühlt man auf ein hundertstel Grad über dem absoluten Nullpunkt ab. Wenn ein solches Teilchen im Kristall wechselwirkt, bewirkt das eine Streuung am Atomkern – ähnlich wie beim Billard. Da das Atom in einem Gitter eingebunden ist, werden die Nachbaratome weggedrückt und der ganze Kristall fängt an zu schwingen. Die Temperaturerhöhung kann man messen, und daraus kann man Rückschlüsse ziehen, wie viel Energie das dunkle Materieteilchen im Kristall deponiert hat. Als zweite Eigenschaft senden die Kristalle Licht aus. Am Ende bekommt man für jede Wechselwirkung im Kristall zwei Signale: ein Wärmesignal und ein Lichtsignal.
Das klingt zu einfach. Welche Probleme gibt es?
Wir können dem Detektor nicht verbieten, auf bekannte Teilchen zu reagieren: auf Elektronen, Alphateilchen, Gammateilchen, die deutlich mehr Licht produzieren, als dunkle Materieteilchen produzieren sollten. Weil man beides beobachtet, kann man genau zwischen ihnen unterscheiden. Und das Tieftemperatur-Verfahren ist nur eine von vielen Technologien. Weil wir die Masse und die Geschwindigkeitsverteilung der Dunkle-Materie-Teilchen nicht kennen, müssen wir breit aufgestellt sein. Wenn es weniger gibt, sind sie schwerer, und die beim Stoß übertragene Energie ist größer. Eine große Kugel beim Billard erzeugt mehr Energie als ein Tennisball. Es gibt also viele Unsicherheiten, wie dieses Signal aussehen soll, und so gibt es auch viele unterschiedliche Verfahren.
Aber eine Wechselwirkung mit dunkler Materie wurde bislang noch nicht beobachtet, oder?
Nein, mit einer Ausnahme: das Experiment DAMA, jetzt DAMA/LIBRA, auch am Gran Sasso. Die daran beteiligten Wissenschaftler behaupten, seit Ende der 1990er Jahre ein Dunkle-Materie-Signal zu messen. DAMA arbeitet mit Natriumiodid-Kristallen, alle anderen Experimente verwenden andere Materialien. Genau da setzt nun das Projekt COSINUS an: Indem es auch Natriumiodid als Material verwendet und es mit der Tieftemperatur-Technologie von CRESST kombiniert, soll das Signal bestätigt oder widerlegt werden.
Wie sieht Ihre Arbeit aus?
Hauptsächlich besteht sie aus Datenanalyse und -simulation. So eine Messung dauert mindestens ein Jahr. Man muss sich die Daten genau anschauen, sie bereinigen, die Energie rekonstruieren, statistische Methoden anwenden ...
Das klingt nach Knochenarbeit. Das ist sehr viel Arbeit. Jeder Detektor ist ein bisschen anders, man muss neue Algorithmen entwickeln. Die Hauptarbeit ist in der Analyse der Daten beheimatet. Erst ganz am Ende dieser Kette hat man dann das Ergebnis.
Welche Rolle spielt der Faktor Zeit?
Eine große. Es gibt eine Vielzahl parallel laufender Experimente, was zu einer gewissen Konkurrenzsituation führt. Die Experimente pushen sich gegenseitig. Man hat nicht viel Zeit, seine Messungen zu machen. Andererseits dauert es einfach ein oder mehrere Jahre. Je seltener etwas passiert, umso länger muss man auf das Ereignis warten, bis es denn passiert. Jeder Schritt ist aufwendig. Schnell, schnell geht nichts.
Wann wird es erste Ergebnisse geben?
Ab Oktober geht es mit dem Aufbau des Detektors los. Wir hoffen, 2023 mit der Messung anfangen zu können. Ein Jahr lang werden wir messen. 2024 wird es daher vielleicht schon erste Ergebnisse geben.
Mit Ergebnissen von Grundlagenforschung, wie Sie sie betreiben, ist es ja so eine Sache. Wenn man wüsste, was dabei rauskommt, müsste man es nicht machen. Haben Sie dennoch eine Idee, eine Hoffnung?
Das COSINUS-Projekt ist insofern schön, als wir wissen: Wenn der Detektor so gut wird, wie wir das angedacht haben, dann werden wir auf jeden Fall das DAMA-Signal verifizieren können. Das heißt, entweder messen wir’s und können bestätigen, dass es von dunkler Materie kommt, oder eben nicht. Ein Ergebnis ist, wenn wir die Performance erreichen, also garantiert.
Florian Reindl wurde in München geboren und hat dort an der TU und danach am Max-Planck-Institut studiert. Seit September 2017 ist er am Institut für Hochenergiephysik der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Atominstitut der TU Wien, beschäftigt.
Seit über zehn Jahren ist er Teil des Projekts CRESST am Gran Sasso. Daneben hat er auch am Projekt CUORE mitgewirkt, und nun ist er ebenfalls am COSINUS-Experiment federführend beteiligt, dessen Sprecher er auch ist.
Dennoch besteht ein erheblicher Teil der wissenschaftlichen Veröffentlichungen in diesem Fach darin, möglichst präzise zu beschreiben, unter welchen speziellen Bedingungen die Forscher welches Phänomen nicht gemessen haben. Ist das nicht frustrierend?
Manchmal ist das sehr frustrierend. Das Ziel ist natürlich, ein Signal zu messen, aber man weiß nicht, ob man auf dem richtigen Weg ist. Aber etwas nicht zu messen ist halt auch ein Ergebnis. Mit jeder Verbesserung, die man am Detektor vornimmt, schließt man wieder Raum aus, wo das Teilchen nicht ist. Man verschiebt immer wieder die Sensitivität des Experiments. Auch solche kleinen Schritte erzeugen eine gewisse Zufriedenheit.
Wie bleiben Sie locker?
Indem ich auf das Ziel fokussiere, das da ist: irgendwann die dunkle Materie zu messen.
Was würde sich für uns Menschen und für unsere Sicht auf das Universum verändern, wenn Sie in den kommenden Jahren tatsächlich dunkle Materie messen?
Viel. Zunächst einmal, weil es von der dunklen Materie fünfmal mehr gibt als von der gewöhnlichen. Unser Standardmodell der Teilchenphysik funktioniert, alle Messungen beruhen darauf, aber es gibt ein paar Punkte, die das Standardmodell nicht erklären kann. Keines der Teilchen, die es im Standardmodell gibt, kann dunkle Materie erklären. Es wird also eine große Erweiterung des Modells geben. Der einfachste Fall wäre: Die dunkle Materie ist aus anderen Teilchen aufgebaut, und zu jedem bekannten Teilchen gibt es aus Symmetriegründen ein unbekanntes. Eine schöne Theorie, aber es kann auch ganz anders sein. Es kann auch die Tür zu einer völlig neuen Physik aufstoßen.
GEBOREN AUS DER KUNSTFERTIGKEIT: CAPOSPALLA NENNEN DIE ITALIENER IHRE PARADEDISZIPLIN, DIE KONFEKTION. DIE IMMER, ALLEN TRADITIONEN ZUM TRO TZ, DYNAMISCH UND WENDIG GEBLIEBEN IST. DENN GENAU SO HÄLT MAN DAS ALTE JUNG – INDEM MAN NIEMALS KONSERVIERT, SONDERN IMMER NEU INTERPRETIERT.