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Wie könnte die Zukunft der Arbeit aussehen, Herr Suzman?

Der britische Sozialanthropologe James Suzman hat ausgiebig Jäger- und Sammlerkulturen erforscht, vor allem die Kultur der Ju/’hoansi, eines indigenen Volkes im nördlichen Kalahari-Becken in Namibia. Das Ergebnis: Sie verfügen über eine weit bessere Work-Life-Balance als wir. Wie ist das möglich? Und was können wir tun?

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TEXT: Markus Deisenberger. FOTO: Chris Frazer-Smith.

Wir arbeiten ständig und zu viel. Die meisten Menschen verbringen mehr Zeit im Büro als mit ihren Kindern. Der Grund dafür, schreiben Sie in Ihrem aktuellen Buch, sei, dass wir in der Spirale konstanten Wachstums gefangen sind: Wirtschaft, Werte, Vermögen, das alles müsse ständig mehr werden. Was dagegen tun? Weniger konsumieren, weniger arbeiten und mehr genießen? Klingt doch einfach. Aber ist es das auch?

Nein, denn die Geschichte der Menschheit ist geprägt von dem Wissen, was eigentlich zu tun wäre, und dem Suchen nach Entschuldigungen, genau das nicht zu tun. Nehmen Sie den Klimawandel. Wir sind nicht gut darin, Dinge zu ändern. Das ist das eine. Das zweite Problem ist: Wir existieren nicht nur als Individuen, sondern auch als Teil von Institutionen, dem Steuer- und Pensionssystem etwa. Das alles müsste man von Grund auf ändern. Keine Kleinigkeit. Das anzugehen braucht politischen Mut.

Lange glaubte man in der Anthropologie, Jäger und Sammler hätten an der Schwelle zum Hungertod gelebt. Dann entdeckte man in den 1960ern: Unsere Steinzeit-Vorfahren arbeiteten weit weniger als wir, waren relativ gesund und wurden älter als die meisten Menschen, die ihnen nachfolgten. Beobachtungen, die sich mit Ihren bei den Ju/’hoansi gemachten decken. Ist das Steinzeitliche ein Erfolgsmodell, das wir 2021 kopieren sollten?

Da geht es weniger um Erfolg oder Misserfolg. Im Studium der Volkswirtschaft lernt man, dass unser System auf Knappheit beruht, dem Missverhältnis zwischen den unbegrenzten Bedürfnissen der Menschen und den zu ihrer Bedürfnisbefriedigung begrenzt zur Verfügung stehenden Gütern und Dienstleistungen. Wir denken also, wir seien Gefangene des Systems, Geiseln unserer unbegrenzten Bedürfnisse. Was uns diese Kulturen der Jäger und Sammler lehren können ist, dass es nicht der menschlichen Natur entspricht, sich durch Arbeit als Kampf gegen den drohenden Mangel zu definieren, sondern durch Kultur. Sie lehren uns, dass es möglich und an der Zeit ist, über einen anderen Zugang zu Arbeit nachzudenken und das als Basis für neue Kreativität zu nutzen. Ich weiß nicht, was die Lösung sein wird, aber es ist möglich, eine Wirtschaft aufzubauen, die nicht auf diesem Mangelgedanken beruht. Wenn wir akzeptiert hätten, dass es schlicht unmöglich ist zu fliegen, hätten wir auch nie eine Möglichkeit gefunden, es doch zu tun.

Warum fällt uns der Abschied von diesem Knappheitsprinzip so schwer?

Vielleicht kann mein Buch ja etwas bewegen. Vielleicht fangen Menschen an darüber nachzudenken, wie man zeitgenössische Ökonomie anders organisieren kann. Gershom Scholem sprach von „Plastic Hours“ als Perioden der Offenheit, in denen Wandel möglich ist. Es besteht die Hoffnung, dass uns die Pandemie in eine solche Phase bringt.

Wie bringen wir Politiker dazu, sich in die richtige Richtung zu bewegen?

Ich fürchte, der Impuls dafür muss aus vielen Richtungen gleichzeitig kommen. Es braucht einen Wandel in der Philosophie von Politik. Es braucht die Einsicht, dass wir Probleme haben, von denen wir nicht wissen, wie wir sie lösen, und die Bereitschaft zu experimentieren, um zu einer Lösung zu kommen. Das Problem ist: Politiker werden für vier, fünf Jahre gewählt, haben deshalb einen kurzzeitigen Fokus. Überhaupt scheint es die Zeit der schnellen Lösungen zu sein: eine Mauer hochziehen, die EU verlassen ... Den globalen Herausforderungen aber ist mit schnellen Lösungen nicht beizukommen. Interessant ist auch, dass wir bei wissenschaftlichen Fragestellungen ganz anders handeln: Wir brauchen einen Impfstoff. Um den zu bekommen, müssen wir experimentieren. Gar keine Frage. Die gleiche Offenheit und Entschlossenheit zum Experiment würde ich mir auch für den ökonomischen Bereich wünschen.

Eine Oxford-Studie besagt, dass es in ca. 16 Jahren für die Hälfte aller Einwohner einer Industrienation wie Deutschland keine Jobs mehr geben wird. Neue Jobs würden dagegen deutlich zu wenige und dazu noch hochspezialisierte geschaffen. Wie damit umgehen? Ist das bedingungslose Grundeinkommen die Lösung?

Es könnte eine ganze Reihe von positiven Auswirkungen haben, ja. Es könnte nicht nur Armut beseitigen, es könnte unseren Sinn für Werte und Arbeit völlig neu kalibrieren. Ich bin sehr dafür, ein groß angelegtes Experiment in diese Richtung zu wagen, um daraus zu lernen. Konservative Kräfte gehen immer davon aus, dass Leute, die nichts zu tun haben, zu Faulenzern werden. Unsere eigene Geschichte lehrt uns aber, dass das nicht der Fall ist. Wir Menschen arbeiten ständig, sind kreativ. Fragt man Zehnjährige, was sie werden wollen, sagen sie mehrheitlich, sie wollen zur Polizei, Lehrer oder Arzt werden, Jobs also, die einen gesellschaftlichen Wert haben, nicht unbedingt einen monetären. Selten, dass einer Versicherungen verkaufen oder Broker werden möchte. Unsere Wirtschaft allerdings ist so organisiert, dass sie Zweige, die keine kommerziell verwertbaren Produkte herstellen, benachteiligt. So demotivieren wir Leute, Lehrer zu werden. Es gibt eine Menge Kids, die ursprünglich Lehrer werden wollten und dann Banker bei Goldman Sachs werden oder in einem unterbezahlten Job landen. Unser System ist schlecht darin, menschlichen Stärken einen Platz zuzuweisen. Es sollte Leute motivieren, kreativ zu werden, sozialer zu sein, oder auch sich vermehrt zu Hause um die Kinder zu kümmern. Wenn man das will, wird man in unserer Gesellschaft dafür bestraft, und glauben Sie mir: Als alleinerziehender Vater weiß ich, wovon ich spreche.

Auch viele Künstler finden sich in unterbezahlten Jobs wieder ...

Ja, in Amazon-Verpackungszentren oder dergleichen, weil sie von ihrer Kunst nicht leben können. Ich wäre sehr dafür, dass die alle mehr Zeit und Geld hätten, um ihre Kunst zu entwickeln. Ich will gar nicht daran denken, wie viel großartige Kunst uns vorenthalten wurde, weil die Künstler anstatt Kunst zu produzieren dort arbeiten mussten. Mit einem Grundeinkommen hätten solche Leute mehr Zeit und Muße, um an Dingen zu arbeiten, die einen Wert haben.

Die Ju/’hoansi, bei denen Sie immer wieder Zeit verbrachten, haben einen interessanten Brauch: Der erfolgreich von der Jagd zurückkehrende Jäger wird beschimpft und erniedrigt. So will man die Akkumulation von Macht verhindern. Ist soziale Gleichheit der Schlüssel zu einer glücklicheren Gesellschaft?

Gleichheit ist von großem Nutzen. Während viele Ökonomen immer noch behaupten, wir wären angetrieben von unseren grenzenlosen Bedürfnissen, bin ich eher davon überzeugt, dass wir genauso viel haben wollen wie unsere Nächsten. Wenn alle meine Nachbarn einen Porsche fahren, will ich halt auch einen. So pushen wir uns ständig gegenseitig hoch, was letztlich zur sozialen und ökologischen Korrosion führt. Diese Gefahr haben die Ju/’hoansi erkannt. Nehmen Sie die Instagram-Kultur, wo man sich ständig mit seinem perfekten Leben präsentiert. Das füttert dieses Anspruchsdenken. Dazu kommt: Wer heute in Aktien investiert, schaut nach Assets. Der Profit aber kommt zu großen Teilen aus fossiler Energie und

ES IST AN DER ZEIT, ÜBER EINEN ANDEREN ZUGANG ZU ARBEIT NACHZUDENKEN UND DAS ALS BASIS FÜR NEUE KREATIVITÄT ZU NUTZEN.

James Suzman

Automation, nur ein kleiner Anteil von menschlicher Arbeit. Und: Statistisch gesehen verlief die Entwicklung der Einnahmen während der letzten Jahrzehnte flach, während der Wert globaler Ökonomien rasant angestiegen ist, was nur den Schluss zulässt, dass das Geld in die Hände weniger geflossen ist. Die Kluft zwischen den Superreichen und allen anderen ist also noch größer geworden. Da hilft nur eine substanzielle Vermögensteuer, die gegen diese Akkumulation vorgeht.

Der Klimawandel hat die Menschheit einst in die Agrikultur und damit in die vorausplanende Ökonomie gezwungen. Könnte uns nicht der jetzige Klimawandel in eine neue, uns bislang unbekannte Form des Wirtschaftens zwingen?

Absolut. Wir sind fähig, Dinge anders zu organisieren, und vielleicht ist der Klimawandel die Ursache, die uns dazu zwingt, es auch endlich zu tun. Ich hoffe, es wird eine weit nachhaltigere Zukunft sein, in der wir mit unseren Ressourcen sorgsamer umgehen und unsere Zeit besser nutzen. Wenn wir über den schonenden Umgang mit Energie sprechen, müssen wir nämlich auch unsere eigene, die menschliche Energie mitdenken. Vielleicht war ja die Corona-Krise das, was wir gebraucht haben, um uns in die richtige Richtung zu pushen. Wenn man sich die Geschichte anschaut, so erkennt man, dass alle großen sozialen Revolutionen nach Krisen stattgefunden haben. Die 1920er Jahre, als die Spanische Grippe überwunden war, waren eine Zeit der großen technologischen Revolutionen, und die Idee der öffentlichen Wohlfahrt ist ohne den Schock des Zweiten Weltkrieges kaum vorstellbar.

Sind Sie optimistisch?

Nein, aber hoffnungsfroh. Ich glaube, es wird einen wirklichen Schock brauchen, um uns in eine neue Form des Wirtschaftens zu bewegen. Wie die Herzattacke, die den Raucher dazu zwingt, endlich aufzuhören.

Haben Sie Ihre nächste Reise zu den Ju/’hoansi bereits geplant?

Ja, sicher. Ich breche schon bald auf. Es ist wie eine Verwandtschaft. Tausende Tanten und Onkel, die man einmal im Jahr besucht.

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ZUR PERSON: James Suzman (* 1970) ist Anthropologe und Autor zahlreicher Bücher. Zuletzt erschien: „Sie nannten es Arbeit. Eine andere Geschichte der Menschheit“. Weil er als Wissenschaftler nicht genug Geld verdiente, um seine Familie zu ernähren, unternahm er einen „Exkurs in die Privatwirtschaft“ und arbeitete sieben Jahre für eine Diamantenmine. Eine Arbeit, zu der er nie wieder zurückkehren möchte. Auf einer persönlichen Ebene bedeutet Arbeit für ihn, „dass ich verloren und unzufrieden bin, wenn ich keine habe. Es gibt immer ein nächstes Projekt.“ Er verwendet allerdings einen großen Teil seiner Zeit dafür, herauszufinden, welche Arbeit ihn mit Befriedigung erfüllt.

BUCH-TIPP: James Suzman: „Sie nannten es Arbeit. Eine andere Geschichte der Menschheit“ Aus dem Englischen von Karl Heinz Siber Verlag C. H. Beck, München 2021 398 Seiten, 26,95 Euro

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