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Ein scharfsinniger Vordenker und hoffnungsvoller Romantiker: der international erfolgreiche Berater und Autor Tim Leberecht.

„Ich bin neophil.“

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Er ist Mitgründer des House of Beautiful Business, Autor, Berater, TED-Talker und ein hoffnungsvoller Romantiker: Der Deutsch-Amerikaner Tim Leberecht liebt das Neue. Im Interview für das EDITION-Magazin spricht er darüber, warum Routine für ihn der Tod ist und warum es sich lohnt zu verlieren.

INTERVIEW: Martina Müllner-Seybold. FOTO: Darius Ramazani.

Sind Sie ein hoffnungsvoller oder ein hoffnungsloser Romantiker? Eine naheliegende Frage an Sie als Gründer der Business Romantic Society und Autor des Buches „The Business Romantic“.

Hoffnungsvoll, definitiv! Die Romantik lebt von der Hoffnung. Es gibt diesen schönen Satz im Business: Hoffnung ist keine Strategie. Der hat mich immer sehr genervt, denn Hoffnung kann die mächtigste Strategie überhaupt sein. Meiner Meinung nach ist Hoffnung zu machen eine der wichtigsten Führungskompetenzen. Insbesondere in einer Zeit wie heute. Die Vorstellung ist illusorisch, dass man immer die Antworten hat, alles weiß oder immer gleich eine detaillierte Strategie entwerfen kann – umso wichtiger, dass man ein Hope Maker ist. Das Hoffen ist eine romantische Idee durch und durch. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass es gar nicht so einfach ist, sich als Romantiker zu bekennen. Ich habe auch lange für mein Outing gebraucht. (Lacht.) Doch seither zieht sich diese Idee wie ein roter Faden durch mein Leben und Arbeiten. Auch das House of Beautiful Business ist ein solcher Ort, dessen Impact nicht alleine darin besteht, was dabei rauskommt, sondern vielmehr in dem Weg, den wir gemeinsam mit unseren Teilnehmern gehen.

Innovation und Lernen auf hohem Niveau ist ein bestimmendes Element in Ihrer Vita. Das House of Beautiful Business ist ein Ort, an dem sich kluge Köpfe aus aller Welt mit neuen Impulsen befeuern. Was treibt Sie in dieser Mission an?

Ich bin sehr neophil. Ich mag neue Sachen und ich liebe zum Beispiel den Moment, wenn man in eine Stadt kommt, in der man noch nie war und noch ganz orientierungslos alles Neue entdecken kann. Alles ist frisch, man verläuft sich ... Ich mag es einfach, die Welt neu zu entdecken, ob intellektuell oder buchstäblich. Ich habe große Sehnsucht danach, lebendig zu sein. Das Schlimmste für mich wäre Routine, das ist buchstäblich der Tod. Das House of Beautiful Business ist die Antithese zur Routine: Es setzt konstant neue Impulse, um uns selbst und unsere Community kontinuierlich zu überraschen.

In Ihrem neuesten Buch „Gegen die Diktatur der Gewinner“ sprechen Sie sich für ein humanistischeres Wirtschaftsmodell aus, das sich vom permanenten Erfolgsgebot verabschiedet. Wie lernt man zu verlieren, ohne ein Verlierer zu sein?

Das ist zugegeben sehr schwierig. Man muss lernen, sich hinzugeben, die Kontrolle zu verlieren. Es beginnt im Kleinen, sich am Stammtisch nicht immer behaupten zu müssen, auch mal nachzugeben, einfach ein Stück auf das Territorium des anderen zu gehen. Oder aufzugeben und das auch zu artikulieren: Ich gebe diesen Traum auf, ich gebe jetzt dieses Projekt auf, ich gebe diese Beziehung auf. Loslassen ist niemals einfach. Wie kann es gelingen? Sprache und Erfahrung sind essenziell, wie in jedem Change-Prozess. Mein Buch will einen Beitrag dazu leisten, das Vokabular rund ums Scheitern anders zu definieren. Dem

HOFFNUNG ZU MACHEN IST EINE DER WICHTIGSTEN FÜHRUNGSKOMPETENZEN.

Tim Leberecht

Verlieren eine andere Bedeutung zu geben, es positiv aufzuladen und es als etwas Zentrales unseres Menschseins zu begreifen. Entledigen wir uns des Diktats der Gewinner, wird es einfacher, sich hinzugeben, aufzugeben, nachzugeben. Denn, und das ist der zweite Punkt, die Erfahrung zeigt uns ja, dass sich die Geschichten vom Verlieren mit der Zeit auch wandeln. Zwei Jahre später kann eine Niederlage wie ein Sieg aussehen. Ich bin überzeugt, dass wir eine menschlichere Kultur schaffen, wenn wir diesen Aspekten als Führungskräfte Raum verschaffen.

Was macht Unternehmer fit für die momentanen Zeiten, den Paradigmenwechsel, die Transformation?

Man muss bilingual sein, zwei Sprachen sprechen, im übertragenen Sinne: in hybriden Arbeitswelten, die vor Ort und Remote sind, in der On- und Offlinewelt oder auf persönlicher Ebene, dass wir anerkennen, dass so gegensätzliche Wünsche wie Einkehr und Hedonismus gleichzeitig in einem wohnen. Als Führungskraft hat man die besondere Verantwortung, beiden Seiten gerecht zu werden, besonders jetzt nach der Pandemie, wo die Anspruchshaltung der Menschen gegenüber ihren Jobs noch einmal sehr gestiegen ist. Ich habe kürzlich gelesen, dass wir vor einem Rekord-Exit an Arbeitskräften stehen, weil Arbeitnehmer nicht mehr zufrieden sind und entweder bereits gekündigt haben oder innerhalb der nächsten sechs Monate kündigen wollen. Eine enorme Herausforderung! Umso wichtiger ist es als Führungskraft zu verstehen, dass heute zwei Welten ganz grundsätzlich miteinander ringen und man daher lernen muss, Unsicherheit und Mehrdeutigkeit auszuhalten. Das Allerwichtigste ist, damit klarzukommen, dass man auf manche Dinge keine Antwort hat. Wir sollten ehrlich zugeben, dass wir nicht treffsicher vorhersagen können, wie sich die Zukunft entwickeln wird. Diese Ehrlichkeit erzeugt Glaubwürdigkeit, wie man auf politischer Ebene zum Beispiel bei der neuseeländischen Premierministerin Jacinda Ardern oder bei Ada Colau, der Bürgermeisterin von Barcelona, oder anderen Führungskräften sieht. Sie sind mit ihrer Unklarheit im Reinen, sie wollen gar nicht so tun, als würden sie alles wissen. Das sind Führungsqualitäten, von denen ich überzeugt bin, dass sie auch künftig gefragt sind, denn die Komplexität wird bleiben.

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ZUR PERSON: Tim Leberecht ist ein international tätiger Berater und Autor sowie einer der leidenschaftlichsten und scharfsinnigsten Vordenker für einen neuen Humanismus vor dem Hintergrund von Digitalisierung, Automatisierung und Künstlicher Intelligenz. Er ist Mitgründer und Co-CEO des House of Beautiful Business, eines globalen Think Tanks, der Organisationen und Führungskräfte weltweit bei der Visionsentwicklung und bei strategischen Transformationen sowie bei der Gestaltung von menschlicheren Marken- und Unternehmenskulturen unterstützt. Zuvor war Leberecht Chief Marketing Officer von NBBJ, später war er in gleicher Position bei Frog Design in San Francisco. Leberecht ist Autor des internationalen Bestsellers „Business-Romantiker: Von der Sehnsucht nach einem anderen Wirtschaftsleben“ (2015), Mitherausgeber des Book of Beautiful Business (2019) und schreibt in Publikationen wie Harvard Business Review, Fast Company, Süddeutsche Zeitung oder Wired. Seine TED Talks wurden von mehr als 2,6 Millionen Menschen gesehen. Sein jüngstes Buch „Gegen die Diktatur der Gewinner“ erschien 2020 bei Droemer.

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