26 Kolumne
Der virale Effekt Text Myriam Hlatky Illustration Johanna Noack
Momentan heißt zusammenhalten, sich voneinander fernhalten. Doch was machen Distanzlehre, Home-Office und Social Distancing in Sachen Körperlichkeit, Dating und Liebe mit uns?
Was macht Corona mit … … unserem Körper? Während die einen ihr Fitness-Regime perfektionieren und neben einer Joggingrunde am frühen Morgen noch Muskelübungen zwischen den Zoom-Vorlesungen einschieben und das
… der Liebe?
Ganze mit einer Prise abendlichen Yogas abrunden,
Wer das Glück hat, die Ausgangsbeschrän-
nehmen die anderen nun täglich zehn statt drei
kungen mit seinem oder seiner Liebsten zu
Mahlzeiten zu sich – und fünf Kilo zu. Für mich
verbringen, dem mangelt es zumindest (hof-
gilt definitiv Letzteres. Was in Zeiten von Aus-
fentlich) nicht an Körperwärme. Wir ande-
gangsbeschränkungen, Isolation und digitalem
ren, weniger Glücklichen, laufen jedoch
Studieren das Richtige für uns, unsere
Gefahr, eine kurzzeitige Generation von
Körper und damit auch unsere Psyche
Kaspar Hausern zu werden. (Ja, Isola-
ist? Ganz simpel: Was immer sich gut
tion macht mich überdramatisch.)
anfühlt. Denn auch wenn unser Alltag in
Und obwohl Tinder weltweit eine
virenfreundlich angepasster Normalität
gesteigerte
Nutzung
verzeichnet,
weitergehen sollte, so ist die Umstellung
bleibt es vorerst bei Spaziergängen mit
durchaus ein Kraftakt. Nicht zuletzt da-
Sicherheitsabstand oder beim virtuellen
durch, dass wir ständig Energie dafür aufwenden müssen, die
Kennenlernen. Dass eine Pandemie auch Platz schaffen kann für kreatives Flirten,
körperliche Präsenz von Kom-
zeigt der amerikanische Fotograf Je-
militonen, Freunden und Fami-
remy Cohen (Instagram @jermco-
lie zu kompensieren. Eine Ex-
hen). Dieser dokumentiert im Netz
traportion Liebe für uns selbst ist also die beste Medizin.
… den Körpern der anderen?
seine innovativen und doch pandemiekonformen
Kennenlerntechniken:
Nachdem er einen Flirt auf die Ferne mit einer Nachbarin beginnt, die in seiner Nähe eine Dachterrasse besitzt, fliegt er ihr per Drohne
Der Fokus auf unseren Körper als Gefahr und potenziellen Viren-
seine Telefonnummer zu, organisiert eine Social Distancing-Band,
überträger verändert unser körperliches Miteinander. Gesichts-
die von den Dächern New Yorks den Namen seiner Angebeteten
masken, Händewaschen und Mindestabstand sind wichtig für die
singt, und organisiert ein gemeinsames Dinner per Videoanruf. Es
körperliche Gesundheit und mit Argusaugen beobachten wir, ob der
sind also nicht nur Bakterien, Viren und Gefahr in der Luft – son-
Mann vor uns an der Kasse seine Maske auch richtig trägt oder ob
dern auch Liebe. (Ja, Isolation macht mich kitschig.) Auch wenn für
die Frau in der Backwarenabteilung regelmäßig ihre Handschuhe
manche von uns der neue Alltag kein himmelweiter Unterschied
wechselt. Husten ist die neue Pestbeule. Körper werden zur Gefah-
zu ihrem normalen Alltag zu sein scheint, so verlangt die Umstel-
renquelle. Wie werden sich die Vorsichts- und Hygienemaßnahmen
lung dennoch Energie – mental und physisch. Doch wie der The-
darauf auswirken, wie wir uns in Post-Corona-Zeiten im physischen
rapeut einer guten Freundin in Anbetracht ihrer Überforderung
Ko-Existieren mit unseren Mitmenschen fühlen und verhalten?
und Einsamkeit treffenderweise erklärt hat: Was wir während die-
Studien zeigen, dass das Kontakt-Vermeiden auch Monate nach
ser weltweiten Pandemie praktizieren sollten, ist körperliche Dis-
Quarantänesituationen anhalten kann.
tanzierung – und nicht soziale. •