Uni:Press # 670 (Okt. 2012)

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SKRIPTORIUM UNI

Es gibt Studierende, die schreiben. Freiwillig. Und mehr als die obligatorischen Seminararbeiten. Alexander Macho hat sie aufgestöbert und bringt uns in einem Portrait die faszinierende Szene der schriftstellernden HochschülerInnen näher, die in kleinen Lokalen und Bars abseits des Mainstreams beheimatet ist. Mehr dazu auf Seite 26

ALGERIEN IM HERBST

Während alle Welt vom arabischen Frühling spricht, warten Algeriens Jugendliche auf eine bessere Zukunft. Sabine Helmberger berichtet von einer Generation, die mit Verlusten aufgewachsen ist und deren Träume über den Ozean in die Ferne schweifen. Seite 9

MAHLZEIT VOM MÜLL

6. K A R R I E R E F O R U M

Mehrere Tonnen unverkaufter Nahrung landen jeden Abend in den Mülltonnen von Salzburgs Supermarktketten. Eine Gruppe junger Studierender rückt Nacht für Nacht aus, um die kulinarischen Schätze zu heben. Christopher Spiegl hat die MülltaucherInnen auf ihren Streifzügen durch Salzburgs Mistkübel begleitet – und dabei so manchen Leckerbissen entdeckt. Seite 5

SALZBURG

Donnerstag, 8. November 2012, 9–16 Uhr

Residenz zu Salzburg, Residenzplatz 1, 5020 Salzburg

NR. 670 10/2012

Von Matthias Gruber

M

Eine Uni – tausend Welten Auch in Salzburgs Hörsälen kann man diese Vielfalt erleben: Polohemd und Perlohrring sitzen hier Schulter an Schulter mit Schmuddeljeans und Schirmkappe. Vom Seniorstudenten bis zur jungen Mutter; vom Bauernsohn bis zur Tochter aus besseren Kreisen: An der Uni treffen unterschiedliche Lebenswirklichkeiten aufeinander. Die Uni ist der Ort, an dem Parallelen sich kreuzen – und sei es nur für die Dauer einer Vorlesung. Die dabei entstehende Vielfalt an Lebensweisen und Ansichten in Salzburgs Hörsälen ist wertvoll. Sie sorgt dafür, dass die Universität eingebunden ist in gesellschaftliche Veränderungen und dass Forschung sensibel bleibt für die Fragen der Zeit.

Die Mär vom Grundrecht Wohnen von Sandra Bernhofer Wer nach der Wohnungsmarktsituation in Salzburg googelt, stößt auf Programme aller großen Parteien: „Wohnen muss leistbar bleiben“, heißt es bei der SPÖ; „Wir wollen unser eigenes Dach über dem Kopf“, tönt die JVP. Real sieht es anders aus – egal, ob Miete oder Eigentum: Wohnen ist in Salzburg so teuer wie noch nie. Obwohl die Einwohnerzahlen in der Stadt seit den 1970ern weitgehend stagnieren, wie das statistische Jahrbuch zeigt, und gleichzeitig munter gebaut wird – 524 Wohnungen waren es allein 2010 –, verzeichnen die offiziellen Listen jährlich 4000 Personen auf der Suche nach einem Heim. Die magische Mietpreisgrenze von 10 Euro pro Quadratmeter ist längst Vergangenheit; in der Mozartstadt liegt sie laut Arbeiterkammer derzeit brutto bei mehr als 13 Euro. Nur Innsbruck ist noch teurer. Die Wohnkosten schnellten seit 2000 um 39,5 Prozent hinauf, der Verbraucherpreisindex stieg im selben Zeitraum

Parallelgesellschaften Kaum ein anderer Begriff treibt den rechten PolitikerInnen im Lande so zuverlässig die Zornesröte ins Gesicht wie jener der Parallelgesellschaft. Was die selbsternannten RetterInnen des Abendlandes dabei jedoch übersehen: Das Wort ist zur politischen Kampffloskel gänzlich ungeeignet. © Luca Mack

an kennt das Horrorszenario aus hitzigen Stammtischdebatten im ganzen Land: Fremdländische Einwanderer würden inmitten der österreichischen Mehrheitsbevölkerung eine eigene und für andere unzugängliche Lebenswelt aufbauen. Doch damit nicht genug, denn einmal toleriert, würde sich die entstandene Parallelgesellschaft immer weiter ausdehnen, um schließlich die angestammte Lebensart vollständig zu verdrängen. So weit die Theorie, mit der die soziale Heimatpartei an den Bierbänken und Wahlurnen des Landes punktet. Doch so makellos die Lehre von der gefährlichen Parallelgesellschaft auch ins Weltbild der rechten Kreuzritter passen mag – sie hat doch einen gravierenden Schönheitsfehler: Jeder, der sich schon einmal vom Festspielhaus auf den Fußballplatz oder von der hippen Szenebar ins Simmeringer Beisl verirrt hat, weiß: Das gleichzeitige Bestehen unterschiedlicher Lebensweisen ist ein normales Phänomen und hat mit MigrantInnen erst einmal gar nichts zu tun. Die Lebenswelten um uns herum sind vielfältig und mit ihnen die Einstellungen, Werte und Normen der Menschen, denen wir begegnen. Nicht von einer Parallelgesellschaft müsste daher die Rede sein, sondern von zahllosen Parallelgesellschaften – nebeneinander, pausenlos.

Viele Stimmen – ein Interesse: it’s all about the money Doch das bunte Stimmengewirr bedeutet nicht, dass Salzburgs StudentInnen nichts weiter gemeinsam hätten als einen orangen Ausweis im Scheckkartenformat. Ob es ihnen bewusst ist oder nicht: StudentInnen sind genau wie Angestellte, UnternehmerInnen oder PensionistInnen eine Gruppe mit eigenen Interessen. Diese Interessen sind nicht zuletzt materieller Natur: StudentInnen benötigen ein zeitgemäßes Lernumfeld und sie benötigen Geld, um ihren Alltag bestreiten zu können. Beides ist für viele längst keine Selbstverständlichkeit mehr: Steigende Wohnkosten und sinkende Beihilfen machen den Studierenden das Leben schwer – das beweist auch die kürz-

lich veröffentlichte Studie zur sozialen Lage der StudentInnen. Der immer rauer werdende Wind bläst jenen am härtesten ins Gesicht, die es an der Hochschule ohnehin am schwersten haben: StudentInnen aus sogenannten Drittstaaten oder Kinder von ArbeiterInnen sind bereits jetzt eine Minderheit an der Universität. Durch den steigenden finanziellen Druck werden sie als erste aus den Hörsälen gedrängt. Die Folge dieser Entwicklungen wäre auf absehbare Zeit eine gesellschaftliche Verödung der Universität. Eine Hochschule, die nur für die oberen 10.000 leistbar ist, würde tatsächlich zur Parallelgesellschaft im negativen Sinne werden: isoliert, abgeschlossen und weit weg von der gesellschaftlichen Vielfalt, die eine Universität so dringend braucht.

um 25 Prozent. Damit müssen die SalzburgerInnen einen immer größeren Teil des Einkommens für die Miete hinblättern. Politisch bleibt es bei Phrasendrescherei: Die Zweitwohnsitzregelung greift nur unzureichend, Bauflächen, die für geförderte Mietwohnungen vorgesehen sind, sollen plötzlich zum Standort für Luxusimmobilien werden, wie es zuletzt beim Rehrl-Platz diskutiert wurde. Für Normalsterbliche wird das Leben in Salzburg zunehmend unerschwinglich. Besonders hart trifft es wieder einmal die Studierenden: Die Familienbeihilfe wurde gekürzt, die studen-

tische Selbstversicherung erhöht, die Studienbeihilfe seit 2001 nicht mehr an die Inflation angepasst. Der letzte Streich war die Einsparung der Bundesförderung für Wohnheime, die diesen Herbst schlagend wird. Trotz der Preissteigerung von rund zehn Prozent und Preisen von durchschnittlich 330 Euro für ein Einzelzimmer gibt es nach wie vor mehr BewerberInnen als Wohnheimplätze – schließlich sind private Anbieter noch teurer. Was es braucht, sind endlich wirksame Gesetze und eine Reform des Mietrechts, um Wohnen wieder zu dem zu machen, was es eigentlich ist: ein Grundrecht.

Labor der Lebensentwürfe Dass es sich lohnen könnte, für die Erhaltung des artenreichen Biotops Uni zu kämpfen, wollen wir euch in dieser Ausgabe der Uni:Press beweisen: Wir haben uns auf die Suche nach unterschiedlichen Subkulturen gemacht, die sich in und um die Uni Salzburg angesiedelt haben. Das Resultat dieser Suche ist ein Kaleidoskop an Lebensentwürfen und Fragen: Was sagt uns das nächtliche Plündern von Mülltonnen über eine Gesellschaft, die vergessen hat, was Hunger ist? Wie erobert sich die Jugend städtischen Freiraum? Ihr erfahrt es wie immer im Blattinneren.

Viel Spaß beim Lesen.

GESELLSCHAFTSSPLITTER

S. 1–7

UNI & SERVICE

S. 8–15

POLITIK

S. 16–20

KULTUR

S. 21–28

Das Radiomagazin der ÖH Salzburg informiert dich über die Arbeit der HochschülerInnenschaft und klärt dich über die Rechte der Studierenden auf. Hörsaal – dein Kompass im Uni-Dschungel! Jeden 3. Freitag im Monat um 18:00 Uhr auf der Radiofabrik.


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6. K A R R I E R E F O R U M SALZBURG

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n e t n e d u t S ! t h c gesu Donnerstag, 8. November 2012, 9–16 Uhr Residenz zu Salzburg Angrenzend an die Juridische Fakultät! Residenzplatz 1, 5020 Salzburg

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GESELLSCHAFTSSPLITTER

EDITORIAL

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© Christopher Spiegl

Offenlegung gemäß § 25 Mediengesetz

Liebe Leserin, lieber Leser! E

rstmals möchten wir alle neuen Studierenden herzlich in Salzburg willkommen heißen! Der Semesterstart bringt nicht nur für viele unserer LeserInnen einen neuen Lebensabschnitt, auch in der ÖH bleiben die Dinge in Bewegung. So hat Daniel Winter mit Juli Tobias Aigner im Vorsitzteam abgelöst, der vor kurzem seinen Auslandsdienst in New York begonnen hat. Auch einige andere Posten im Organisations-, Frauen- und Lehramtsreferat sind seit kurzem neu ausgeschrieben. Besonders bedanken möchten wir uns auch bei Mathias Gruber (Pressereferent) und Sandra Bernhofer (Chefredakteurin) die sich für die letzten U:P-Ausgaben verantwortlich zeigten. Beide scheiden mit dieser Ausgabe aus ihren Funktionen aus. Wir hoffen, dass

das das neue U:P-Team ihre professionelle und engagierte Arbeit fortsetzen wird. Unter ihrer Leitung erfuhr die U:P nicht nur eine deutliche optische sondern auch inhaltliche Aufwertung. Wir wünschen beiden alles Gute in ihrem weiterem Studienund Berufsleben! Auch nicht unerwähnt wollen wir lassen, dass es rund um einen Artikel zum Thema „Sex für Noten“ intern kontroversielle Diskussionen gab. Nach langem Abwägen wurde aus verschiedenen Gründen entschieden den Artikel in der vorliegenden Form nicht erscheinen zu lassen. Da es sich dabei aber grundsätzlich um ein spannendes Thema handelt wird dieses in der kommenden Ausgabe behandelt werden. Schwerpunktthema dieser Ausgabe sind

SN-STUDENTENABO

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„Parallelgesellschaften“ in Salzburg. Was sich noch alles an Essbarem im „Abfall“ von Supermärkten befindet, erkundete Christopher Spiegel auf S.5. Johannes Hofmann ging dem japanischen Kulturphänomen „Cosplay“, das im Zuge des Mangaund Anime-Booms auch bei uns immer öfter zu beobachten ist, nach (S.6). Kay-Michael Dankl untersuchte den Gehaltszettel der österreichischen RektorInnen (S.12), Julie Dalmoro das Verhältnis von Staat und Religion (S. 14). Diese und weitere spannende Geschichten warten auf den nächsten Seiten. Viel Spaß beim Lesen wünscht dein ÖH-Vorsitzteam Simon Hofbauer, Daniel Winter & Su Karrer

Impressum: Medieninhaberin: Hochschülerinnen- und Hochschülerschaft an der Paris Lodron Universität Salzburg (ÖH Salzburg), Kaigasse 28, 5020 Salzburg, www.oeh-salzburg.at, presse@oehsalzburg.at Herausgeber: Simon Hofbauer, Vorsitzender der ÖH Salzburg Chefredakteurin: Sandra Bernhofer Pressereferent: Matthias Gruber Layout: Luca Mack Lektorat: Harald Gschwandtner Anzeigen und Vertrieb: Bernhard Svacina, Sandra Bernhofer, Matthias Gruber MitarbeiterInnen an dieser Ausgabe: Sandra Bernhofer, Matthias Gruber, Melanie Berger, Johannes Hofmann, Lukas Uitz, Christopher Spiegl, Tabea Baur, Alexandra Metz, Kathrin Prünstinger, Christof Fellner, Jürgen Plank, Luft Fabrik, Alexander Macho Druckerei: OÖN Druckzentrum GmbH & Co KG, Medienpark 1, 4061 Pasching, www.nachrichten.at Auflage: 17.000 Blattlinie: (Grundlegende Richtung gemäß § 25, Absatz 4): Die Uni:Press ist ein Medium der Hochschülerinnen- und Hochschülerschaft an der Paris Lodron Universität Salzburg. Sie fungiert als Forum zur Förderung des kritischen Diskurses und der demokratischen Mitbestimmung an der Universität Salzburg. Sie vertritt ein Konzept emanzipatorischer, öffentlicher sowie frei zugänglicher Bildung. Zu den Themenschwerpunkten zählen insbesondere studienrelevante Informationen, Hochschul- und Gesellschaftspolitik sowie studentische Kultur und Lebensweise. Als Bindeglied zwischen Studierenden und Hochschülerinnen- und Hochschülerschaft strebt die Uni:Press im Sinne der Partizipation und der Förderung journalistischer Kompetenzen eine breite Beteiligung der Studierenden an der redaktionellen Arbeit an.


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GESELLSCHAFTSSPLITTER © Glenn Halog/Flickr

© Claire L. Evans

© Craig Fineburg/Flickr

KOPF / ZAHL

Von SpießerInnen und SandlerInnen Das Individuum versinkt im Mainstream, anders sein wird immer teurer und was war noch einmal Stil?

KOPF ZAHL Von Melanie Berger

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roße Brillen, dunkle Mäntel, schräge Frisuren, zu weite Hosen. Wer kennt sie nicht, die diversen Ausprägungen der äußerlichen Individualität. Die Grenzen des guten Geschmacks werden dabei allzu oft überschritten. Anders sein, um anders zu sein – das ist fast schon wieder ein Klischee. Der neuerdings im Trend liegende Massenindividualismus bereitet mir schwere Kopfschmerzen. Mädchen ohne Hosen, Männer mit langen Haaren und die unförmige Unisex-Alternativkleidung, die die TrägerInnen meist sehr uncharmant in Szene setzt. In der Gruppe der 13- bis 17-Jährigen mag das schön und gut sein, doch sobald man ein Auto lenken, eine Wohnung mieten und echter Arbeit nachgehen kann, sollte man verstehen, dass man sich vor allem lächerlich macht, anstatt sich abzuheben. Das Wort Mainstream ist zum Schimpfwort verkommen – wer will schon ein Schaf in einer Herde sein? Ich frage mich aber doch, ob überhaupt jemand darüber nachdenkt, dass dieser Begriff sich mit seinem Umfeld verändert. Ich plädiere dafür, die Augen zu öffnen für den wahren Mainstream: die zwanghafte Individualität. JedeR Zweite trägt eine Hipster-Brille, hat irgendein Fremdwort tätowiert und ein enorm ungewöhnliches Facebook-Foto, auf dem er einen Kopfstand auf einer alten orangen Couch macht und dabei eine RayBan trägt oder auf dem sie Chai-BubbleTea trinkt, während sie mit einem Poster im Hintergrund für die Rechte der Homosexuellen eintritt. Bevor das Foto hochgeladen wird, jagt man es noch einmal durch die Zeitmaschine Instagram. Man merke: Auch das Arschgeweih galt einmal als gewagt und anders. Natürlich lässt sich über Geschmack streiten und wer wirklich denkt, Leggings seien ein Ersatz für eine anständige Unterbekleidung oder Brillen ohne echte Gläser gar nicht lächerlich: Nur zu! Was dem Ganzen jedoch einen armseligen Anstrich

verleiht, ist die Tatsache, dass man sich diesen Trends nur hingibt, um Teil des neuen 08/15-‚Nicht-Mainstreams‘ zu sein. Was, wenn plötzlich Bluse und Sakko zur neuen Individualisten-Subkultur gereichen würden? Der Vorteil daran wäre, dass man so gekleidet auch guten Gewissens im echten, ernsten Leben herzeigbar ist. Was ist daraus geworden, eine eigene Persönlichkeit zu haben, anstatt sich den Instant-Charakter eines Kleidungsstils oder eines neuen Trends anzueignen? Eine selbst gestrickte Mütze mit Che Guevara darauf macht einen genauso wenig zur Rebellin wie der Träger einer Rosenkranzkette zum harten, aber gläubigen Kerl wird. Individualität soll kein Schimpfwort werden, dafür muss man aber mehr tun, als weiße Stoffschuhe, Timberlands oder schreckliche Farben zu tragen. Man muss sich damit beschäftigen, was für ein Mensch man sein will. Anders zu sein, nur um nicht wie alle zu sein, wird zum ansteckenden Massentrend. Irgendwann endet die Phase der unsagbaren Outfits aber und man wird erwachsen, hat einen Job und vielleicht eine Familie. Man fängt an, echte Hosen zu tragen, nimmt die Kappe im Büro ab, legt sich eine anständige Haarfarbe zu und schmeißt die bunt-gemusterten H&M-Fetzen und die schwarze Zimtstern-Jacke weg. Dann bleibt meist nur eine langweilige nackte Persönlichkeit übrig. Mainstream ist man dann, wenn die Kleidung das einzig ‚Individuelle‘ an einem ist.

Von Johannes Hofmann

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a ist er mal wieder, der ewige Kampf zwischen Polohemd und T-Shirt, Gelfrisur und Dreadlocks, Sakko und Armyparka. Es ist keineswegs ein rein modischer, vielmehr geht es um Gesinnung. Die will schließlich ausgedrückt werden, nichts sagt so schön „Fuck the System“ wie die zerrissene Jeans und Doc-MartensStiefel. Und nichts so eindeutig „Hier kommt ein konservativer Aufsteiger“ wie ein Seidensticker-Hemd mit dezent gepunkteter Krawatte. Aber wer ist jetzt Mainstream und wer nicht? Schwer zu sagen. In den 70er Jahren konnte man anhand von üppiger Haarpracht, Jeansjacke und roten Sternen auf derselbigen relativ zielsicher die politische Haltung des Trägers erraten. Heute hängt das CheGuevara-Shirt gleich neben Arafats Kopfbedeckung und Armbändern mit orthodoxen Ikonen bei H&M und kaum einer weiß, was es einst damit auf sich hatte. Das Zauberwort heißt Massenindividualismus. Der macht ein paar Leute reich, viele Teenager verzweifelt und einen Teil der Gesellschaft seltsam uniform. Ein anderer Teil der Gesellschaft kann darüber natürlich nur schmunzeln. Schließlich bauen diese Menschen auf echte Werte, den Dreiteiler und die ÖVP. Kleider machen Leute, Wahlfreiheit gibt’s noch bei der Pastellschattierung des Pullunders und der Fließrichtung

des Scheitels, das war es dann aber auch. Denn schon Opa wusste, wer etwas Ordentliches werden will, muss auch ordentlich aussehen. Punkt. Bill Gates’ berühmter Fünf-Dollar-Haarschnitt und der Rollkragenpulli von Steve Jobs lassen erahnen, dass dies auch nicht die ganze Wahrheit sein kann. Da hätten wir also auf der einen Seite die von der Modeindustrie geknechteten, anders aussehenden Gleichen und auf der anderen Seite die der Tradition verpflichteten, gleich aussehenden Anderen. Schönes Schlamassel. Und wer hat jetzt noch Stil? Meiner Meinung nach derjenige, der das ganze Äußere weniger ernst nimmt. Jeder, der seine Dreadlocks trägt, weil er sich mit der Rastafari-Lebensweise identifiziert, auch wenn er deswegen so manchen Job nicht bekommt. Der Alt-Punk, der mit benieteter Anarcho-Lederjacke seine Tochter aus dem Kindergarten abholt, weil es ihm wirklich egal ist, was andere von ihm denken. Das Mädel im orangefarbenen Strickpulli ihrer Mutter, weil sie den mag, ohne zu wissen, was ein Hipster ist. Für mich heißt Stil, zu sich selbst stehen zu können, im Mickey-Mouse-Shirt genauso wie im Hugo-Boss-Anzug. Individualist ist man von Geburt an, ob man will oder nicht. Kleidung war, ist und bleibt ein Zeichen für gesellschaftliche Gruppen. Egal ob Punks, Jus-StudentInnen, SchriftstellerInnen, ManagerInnen, SkaterInnen, Nerds, Adelige oder Hippies: Wer den Dresscode knackt, darf meistens mitmachen. Wem egal ist, ob er mitmachen darf oder nicht, hat Selbstbewusstsein – und Selbstbewusstsein hat Stil, in allen gesellschaftlichen Gruppen. Farin Urlaub von den Ärzten trägt seit Jahrzehnten nur noch einfache schwarze Hosen und Hemden. Laut eigener Aussage sei es praktisch und gleichzeitig könne er so beweisen, dass man keine speziellen Klamotten brauche, um ein Rockstar zu sein. Wenn das mal kein Trend wird ...


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Mülltauchen in der Festspielzeit

© Christopher Spiegl

Fast so frisch wie aus Omis Biogarten, stammt aber aus der Biotonne.

Wohin die nicht mehr ganz frischen Lebensmittel im Supermarkt wandern? Wir ahnen es – und verdrängen es gerne: Unser Autor macht auf einem nächtlichen wastecooking-Trip zu den Mülltonnen Salzburgs überraschende Erfahrungen und neue Bekanntschaften. Von Christopher Spiegl

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alzburg in der Festspielzeit: Montag, 1 Uhr nachts. Ich arbeite gerade an meiner letzten Seminararbeit, will mir die letzte Koffein-Dröhnung zubereiten, als ich Lisa (21, Name geändert) mit Stirnlampe, Plastikhandschuhen und übergroßem Rucksack im Flur des menschenleeren StudentInnenheimes überrasche. Sichtlich frappiert – oder auch erschreckt von meiner zombiehaften Erscheinung – sagt sie zunächst gar nichts, also bleibt es mir überlassen zu fragen, was sie denn so treibt, zu dieser Stunde. Es stellt sich heraus, dass sie zur Initiative wastecooking gehört, die sich am 1. Mai 2012 in Salzburg konstituiert hat, und nun ‚einkaufen‘ geht. Ich weiß nicht, ob es meine oberflächliche Kenntnis von Mülltaucherinitiativen oder der Funken Idealismus in ihren Augen ist, der mich zur Neugierde antreibt. „Willst du nicht mitkommen? Ganz spontan?“, scheint sie meine Gedanken zu lesen; die Seminararbeit ist schon gestorben und meine Sachen sind schneller gepackt als ich denken kann. Während wir unsere Fahrräder nach Salzburg-Parsch manövrieren, erklärt mir Lisa ihre neue Leidenschaft und die Moti-

vation, die dahinter steckt. Fehlgeleitetes Konsumverhalten und damit verbundene Verschwendung, das Nicht-Bewusstsein in der Gesellschaft, aber auch der pure Kick bewegt sie dazu, nachts in die Mülltonnen einzutauchen. „Klar ist es auch ein politisches Zeichen, aber ich bin nicht sonderlich von irgendeiner Partei angetan … Vielmehr geht es mir um das Handeln und das Zeichen, das ich damit setze“, spricht die Pragmatikerin und steuert die erste Supermarktfiliale an. Die Mülltonnen sind von der Kreuzung her von allen Seiten einsehbar. PassantInnen und vorbeifahrende AutofahrerInnen können uns beobachten und mir wird mulmig zumute. Während ich noch mit mir kämpfe, hängt Lisa schon längst in der Mülltonne und stöbert was das Zeug hält. Als sie mir dann Gemüse – das besser aussieht als meines im Kühlschrank nach drei Tagen –, Chips (haltbar bis 2013) und etliche Molkereiprodukte (Mindesthaltbarkeitsdatum: der heutige Tag) mit einem breiten Grinsen unter die Nase hält, gibt es auch für mich kein Halten mehr. Unglaublich. Nach nur 15 Minuten sind unsere Rucksäcke zum Bersten voll. Wir machen sauber und uns auf den Heimweg. Ich mag den Adrena-

linrausch und schlage vor, mitten in der Altstadt in der neuen Luxusfiliale einer Supermarktkette (in welcher angeblich sogar die Namen von Festspielgästen von den Bediensteten auswendig gelernt werden mussten) einen Tauchgang zu absolvieren. Lisa sieht mich mit einem Lächeln an, das mir irgendwie den Eindruck gibt, als glaube sie, dass ich entweder gerade total verrückt geworden bin oder gerade eine mittelschwere Erleuchtung hatte. „Los geht’s!“, lautet ihr Kommando und wir radeln los. Angekommen bei der Luxusfiliale, reiße ich die Mülltonne auf und glaube, dass ich träume: Es riecht wie beim Bäcker! Brötchen, Semmeln und Croissants – alles, was das Herz begehrt! Als ich noch fassungslos dastehe, vermeldet Lisa von der nächsten Luxustonne fette Funde. Gemüse (frischer geht’s nicht!) und verschweißte Wurst- und Käsewaren mit heutigem Mindesthaltbarkeitsdatum. Plötzlich bemerken wir, dass sich ein Festspielpärchen in milieuspezifischer Aufmachung genähert hat. Der ältere Gentleman ist sichtlich angewidert, aber die Lady findet es toll, was wir hier machen. „Ich hab das schon mal im Fernsehen g’sehn! Echt super!“, sagt uns die Schminkmumie. Lisa

zögert nicht und bietet ihr Gemüse an, denn wir haben ja mehr als genug. Darauf entgegnet die kurzzeitige Sympathisantin, dass sie eigentlich mehr der Fleischessertyp sei. „Kein Problem, wir haben auch frischen Schinken!“, offeriert Lisa mit fröhlich-höflicher Stimmlage und erzielt damit dieselbe Wirkung auf die Festspielfreunde, wie wenn sie mit erhobenem Kruzifix Vampiren einen Bund Knoblauch anbieten würde. Verbale Äußerungen und tatsächliches Handeln könnten nicht unterschiedlicher sein. Gerade das Engagement und die konstruktive Kritik am System machen die MülltaucherInnen zu einer äußerst sympathischen Szene.

wastecooking wurde am 1. Mai 2012 vom Salzburger Filmemacher David Gross ins Leben gerufen und ist per Selbstdefinition „eine Gemeinschaft aus Filmemachern, Mülltauchern und Köchen, Piraten des Herds und Müll-Tonnen-Helden der Nacht!“ Was in Salzburg mit dem Dreh einiger Podcasts startete, nimmt mittlerweile richtig Fahrt auf. So wurde in jüngster Zeit auch beim Frequency in St. Pölten aufgekocht, Aktionen in anderen Städten sind in Planung. www.wastecooking.com

WAS GIBT´S IN SALZBURG FÜR 6 EURO? GROSSE GEFÜHLE, FANTASTISCHE WELTEN, IRRITIERENDE FRAGEN. Am StudentInnen-Mittwoch oder Last-Minute jeweils 30 Minuten vor Vorstellungsbeginn. Unipress_Okt12_90x410.indd 1

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Mondstein, flieg und sieg! ‚Hey, das kannst du doch auch!‘ Ich hab es ausprobiert, es hat mir gefallen und so bin ich mit der Szene in Berührung gekommen.

(lacht) Nein, ganz sicher nicht. Auch wenn es Leute gibt, die ihre Rollen schon sehr ernst nehmen.

Wie muss man sich die Szene in München vorstellen? Also früher lief eigentlich alles nur über das Animexx Forum. Da geht es hauptsächlich um Mangas, Cosplay, japanische Kultur und Musik wie Japanrock etc. Dort konnte man schnell Gleichgesinnte treffen. Mittlerweile gibt es auch andere Foren, aber Animexx bleibt mit über 600 Mitgliedern das größte.

Wie viel finanziellen und zeitlichen Aufwand steckst du in so ein Kostüm? Also das ist unterschiedlich und kommt aufs Kostüm an. Es reicht von zwei bis drei Tagen Arbeit bis auch schon mal drei Wochen. Je nach Material und Accessoires gehen die Kosten von 50 bis 250 Euro. Aber es gibt auch Leute, die machen Kostüme für 1000 Euro und mehr.

Was genau fasziniert dich so an Japan? Absolut alles. Ich würde wahnsinnig gerne dorthin fliegen, aber das scheitert gerade am nötigen Kleingeld. Ich höre japanische Bands, versuche japanisch zu lernen, auch wenn das ziemlich schwierig ist, allein um lesen zu können, muss man 2000 Zeichen verstehen. Außerdem schwärme ich für japanische Küche.

Und was macht man damit, wenn das Stück oder Cosplay vorbei ist? Erst mal noch Fotoshootings und wenn es dann irgendwann so ausgelutscht ist, dass man es nicht mehr sehen kann, versucht man es zu verkaufen.

© Steffanie Schütz

Was unterscheidet deiner Meinung nach die japanische Kultur hauptsächlich von der europäischen? Wahrscheinlich die Geschichte und wie damit umgegangen wird. Ich meine, Japan ist eine einzige riesige moderne Metropole, aber trotzdem wird sehr viel Wert auf Traditionen und alte Rituale gelegt. Diese Vermischung von Alt und Neu fasziniert mich besonders.

Son Goku ist eigentlich Bürokaufmann, Sailor Merkur macht gerade ihre Ausbildung zur Erzieherin und Link studiert Psychologie, anstatt Hyrule zu retten: Einblicke in ein modernes Kulturphänomen. Von Johannes Hofmann

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ls der Manga- und Anime-Boom Mitte der 90er Jahre den deutschsprachigen Raum erreichte, hat er wohl einen Großteil unserer Generation gestreift. Nachmittags liefen auf RTL II Serien wie Sailormoon und Dragonball, nachts gab es auf MTV Cowboy Bebop und The Vision of Escaflowne. Spätestens nach der PokémonWelle konnte eigentlich keiner mehr behaupten, er hätte noch nie etwas von den japanischen Zeichentrickserien (Animes) gehört. Auch die von rechts nach links zu lesenden Mangas, auf denen die meisten Animes basieren, erfreuten sich immer größerer Beliebtheit. Die Bandbreite der Storys ist dabei nahezu unbegrenzt. Vom monsterfangenden Teenager über interstellare Kopfgeldjäger bis zur dämonentötenden, magischen Prinzessin ist alles dabei. Typisch für die Ästhetik der Animes ist dabei zum einen das europäische Aussehen sämtlicher ProtagonistInnen, das in Japan als Schönheitsideal gilt, zum anderen die überproportional großen Augen. Aufgrund zahlreicher begeisterter Fans haben sich die japanischen Kunstformen

Ran Mori im Interview Die 23-jährige Erzieherin Steffanie Schütz aus München macht seit fünf Jahren Cosplay, nennt sich Ran Mori und steht uns Rede und Antwort. Uni:Press: Wann bist du zum ersten Mal mit Mangas und Animes in Berührung gekommen? Steffi Schütz: Das war so mit zehn, elf Jahren. Ich hab Sailormoon auf RTL geschaut, aber ich wusste noch nicht, dass das ein Anime ist.

mittlerweile bei uns fest etabliert – sowohl im Nachmittagsprogramm als auch beim Comichändler.

The next level Die Begeisterung für Mangas und Animes nimmt mitunter faszinierende Formen an. Einigen Fans reicht es nämlich nicht, nur LeserInnen und ZuschauerInnen zu sein. Sie wollen sich in ihren Lieblingscharakter verwandeln, sich bewegen, agieren und aussehen wie er. Auch diese Aktivität wurde aus Japan übernommen und nennt sich Cosplay, abgeleitet vom englischen costume-play. Die CosplayerInnen wenden mitunter beträchtliche finanzielle und zeitliche Ressourcen auf, um ihr Kostüm dem Vorbild anzunähern, es gibt gewisse Regeln und Conventions, auf denen man sich trifft, um sich zu sehen und fotografiert zu werden. Doch was bewegt Menschen, sich so ein ungewöhnliches Hobby zu suchen? Sind CosplayerInnen ausschließlich japanophile ExzentrikerInnen mit Darstellungsdrang? Was arbeiten sie im ‚normalen‘ Leben und was meint die Öffentlichkeit dazu?

Wie bist du von da zum Cosplay gekommen? Mich hat die ganze Kultur um Mangas und Animes fasziniert. Ich habe mir immer mehr gekauft, auch Fachzeitschriften, und bin so nach und nach da reingewachsen. Mit Cosplay habe ich dann vor fünf Jahren angefangen. Gab es dazu ein bestimmtes Schlüsselerlebnis? In einer Fachzeitschrift habe ich ein Foto von einer Cosplayerin gesehen und mir gedacht:

Würdest du sagen, dass dieses Thema auch viele Mangas bestimmt? Ja schon, also vor allem, was die Symbolik angeht. Farben, Tiere und Namen haben oft eine tiefere Bedeutung, die Hinweise in der Geschichte geben, oder gar eine zweite erzählen. Was heißt Ran? Orchidee. Alles klar. Was bedeutet Cosplay für dich persönlich? Die Möglichkeit, sich immer wieder neu erfinden zu können und neue Sachen auszuprobieren. Nachdem ich auch in einer Showgruppe auftrete, bezieht sich das nicht nur auf das Äußerliche. Okay, wie funktioniert das dann bei euch? Castet ihr da richtig? Wie viele Leute seid ihr und wo tretet ihr auf? Also das ist unterschiedlich, in einer Tanzgruppe sind wir meistens so zwölf bis 15 Leute, wenn wir ein Manga oder Anime nachspielen auch schon mal 30. Die Rollen casten wir meistens unter uns, also wer halt auf was passt und auf was Lust hat. Das Stück entsteht dann in Gemeinschaftsarbeit. Manche können besser schauspielen, andere können besser Kostüme nähen oder kennen sich mit Licht und Sound aus. Da wird dann einfach zusammengeholfen. Aufgetreten wird meistens auf Conventions, da kann man sich bewerben. Je nach Örtlichkeit schauen da auch schon mal bis zu 500 Leute zu. Wow, nicht übel. Du sagtest vorhin, dass ihr Mangas nachspielt: Wie funktioniert das? Naja, man muss sich halt Szenen aussuchen, die man auch spielen kann, sich überlegen, wie man Magie darstellt oder Kampfszenen choreographiert. Wie genau fühlst du dich dabei? Ich schlüpfe halt zwei bis drei Tage in eine Rolle, aber ich steigere mich da jetzt nicht völlig rein. Es ist eigentlich, wie Freunde in Kostümen zu treffen und ein bisschen wie ein kleines Model zu sein. Das heißt, du stehst nicht stundenlang vorm Spiegel und schreist ‚Mondstein, flieg und sieg!‘?

Kaufen das Leute? Ich dachte, es sei ein Ehrenkodex, alles selber zu machen? Also gerade die Perücken werden schon gekauft. Aber der Rest meistens auch. Mit dem Ehrenkodex ist das so eine Sache, der gilt in Deutschland viel stärker als in Japan. Da ist es völlig okay, sich ein Kostüm zu kaufen. Also vielleicht eher deutsche Mentalität und weniger Cosplayregel. Was warst du denn schon alles? Puh, mal überlegen, Sailor Merkur, Ruffy und Robin aus One Piece, Ran Mori aus Conan, Menschenversion von Dragonir aus Pokémon Arielle, die Meerjungfrau … Arielle? Disney ist doch kein Anime? Also Cosplay ist nicht nur auf japanische Sachen beschränkt. Disney-Prinzessinnen sind sehr beliebt, aber auch Figuren aus Videospielen wie Tekken, Dead or Alive oder The Legend of Zelda.

„Es ist ein bisschen, wie ein kleines Model zu sein.“ (Steffanie Schütz, Erzieherin und Cosplayerin)

Welche Jobs haben die Cosplayer, die du kennst, so in der Regel? Also die Bandbreite ist relativ groß. Die meisten kommen schon aus dem Gestaltungsbereich, zum Beispiel Schneider, MakeupArtists, Designer, Grafikdesigner, aber es gibt auch genauso Elektriker oder Erzieherinnen wie mich. Wir haben auch Bäcker und einen Psychologiestudenten. Hast du das Gefühl, dass Cosplay am Wachsen ist? Also es werden immer mehr Leute. Auf der ersten Connichi (größte Anime-Convention im deutschsprachigen Raum) waren gerade mal 1500 Leute, vor zwei Wochen waren es schon 12.000. Definitiv am Wachsen. Wie reagieren die Menschen in der Öffentlichkeit so auf dich, wenn du als Sailor Merkur durch die Stadt spazierst? Das reicht von Leuten, die kopfschüttelnd vorbeigehen, bis hin zu Touristen, die unbedingt Bilder mit oder von mir machen wollen. Einer ist fast mal gegen eine Laterne gelaufen, weil er mich so angestarrt hat. Aber wenn man Cosplay macht, darf einen das alles nicht stören, es gehört halt einfach dazu.


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Critical Mass: besser miteinander als gegeneinander Es ist Freitagnachmittag, die Stadt versinkt im Verkehrschaos. Wie immer, wenn zu viele Autos gleichzeitig unterwegs sind. Doch plötzlich verstummt der Verkehrslärm. Aus der Ferne nähert sich ein Konzert aus Jubelschreien und Fahrradgeklingel. Schon rollt eine große Gruppe RadfahrerInnen mit Fahnen, Musik und geschmückten Fahrrädern vorbei – mitten auf der Straße. PassantInnen applaudieren.

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ie Critical Mass – kurz CM – rollt seit 2009 an jedem letzten Freitag im Monat durch die Straßen von Salzburg. Für kurze Zeit erobern begeisterte RadfahrerInnen während einer gemeinsamen Runde die Straßen einer Stadt, die sonst dem KFZ-Verkehr vorbehalten sind, und provozieren. In unserem Lebensraum erscheint vielen das Auto als das beste Fortbewegungsmittel – dem entgegen stehen die eigenen Füße, das Fahrrad und die Öffis. Eine gesunde, zukunfts- und vor allem lebenswerte Stadt gründet auf gegenseitigem Respekt füreinander. Diese Achtung fordern die Teilnehmenden der CM insbesondere von den motorisierten VerkehrsteilnehmerInnen, vermitteln aber gleichzeitig Freude und den positiven Wert, den Bewegungsfreiheit am Fahrrad in der Stadt mit sich bringt.

Veränderung durch zivilen Ungehorsam Was hat eine nukleare Kernreaktion mit zivilem Ungehorsam gemeinsam? In beiden Fällen braucht es eine ‚kritische Masse‘, um einen bestimmten Effekt erzielen zu können. Der Unterschied dabei ist das Resultat. Während nukleare Reaktionen zer-

Die Renaissance der Critical Mass Nach Fahrten mit über 100 TeilnehmerInnen 2011 kam die Critical Mass im Laufe des Frühjahrs 2012 fast zum Stillstand – teilweise wetter-, teilweise motivationsbedingt. An ihrem Tiefpunkt kamen kaum zehn Leute zum monatlichen Treffpunkt am letzten Freitag um 17 Uhr vor dem Kongresshaus und die Ankündigung sowie Planung blieb bei einer Person hängen, die auch nur unregelmäßig Zeit hatte. Mit 10-20 RadfahrerInnen waren die Fahrten meist kurz und zum Teil auch gefährlich, da die ‚schützende Masse‘ fehlte. Schließlich fand Ende Juni 2012 eine groß angekündigte CM samt Plenum unter dem Motto ‚Lassen wir die Critical Mass sterben?‘ statt, in dem über ein Fortbestehen der CM in Salzburg diskutiert wurde. Die Antwort war beeindruckend: NICHT MIT UNS! Über 60 RadlerInnen fuhren bei einer äußerst munteren Radrunde mit, gut die Hälfte davon beteiligte sich am anschließenden Plenum im MARK. Seither bemühen sich wieder einige Leute mehr um die Critical Mass in Salzburg und engagieren sich für kreative Mottos und neue Ideen, die unsere kritische Masse bereichern sollen. Ende Juli sorgte die Critical Mass nicht nur auf den Straßen für Aufsehen, sondern auch bei den Gästen der Festspiele, als eine Gruppe von 50 RadfahrerInnen in Abendroben klingelnd und lachend am Festspielhaus vorbeifuhr. Es hagelte Beifall und Jubel vonseiten der PassantInnen und anderen RadlerInnen. Sogar einige AutofahrerInnen hupten der Masse aufmunternd zu. Musik aus dem Fahrradanhänger rundete eine super Radrunde ab.

© Lukas Uitz

Von Katharina Paulmichl und Lukas Uitz

und bewirkt weit mehr als Aggression gegenüber AutofahrerInnen.

stören, erreicht ziviler Ungehorsam Aufmerksamkeit und letztlich Veränderung. Durch unser zahlreiches Auftreten als kritische Masse suchen wir auf der Straße die friedliche Auseinandersetzung. Wir sind viele RadfahrerInnen, die versuchen, gemeinsam so gut wie möglich und unter Beachtung der Verkehrsregeln vorwärts zu kommen. Wir nehmen Rücksicht aufeinander und andere Verkehrsteilnehmende, aber nehmen uns auch selbstbewusst den Raum, den wir brauchen, wenn wir uns nicht an den Rand drängen lassen. Dabei gehen wir gewaltfrei vor und gefährden niemanden. Wir Radfahrende wollen einfach nur gemeinsam friedlich Radfahren und darauf aufmerksam machen, dass die

Die nächste Critical Mass findet am 26. Oktober um 17 Uhr vor dem Kongresshaus statt. Infos zur Critical Mass Salzburg gibt’s auf der offiziellen Website www.criticalmass.at oder über Facebook. Auf beiden Seiten kann rege diskutiert und mitgestaltet werden. Sucht uns und werdet fündig. Nur gemeinsam sind wir die kritische Masse, die auch Veränderung schafft. Reclaim the streets!

Straßen dieser Stadt nicht allein den AutofahrerInnen zuteil werden sollen. Im städtischen Nahverkehr ist das Fahrrad nach wie vor das effizienteste und vor allem umweltfreundlichste Verkehrsmittel – neben den eigenen Füßen natürlich. Deswegen richtet sich unser Blick auf die volle Anerkennung und Wertschätzung der RadfahrerInnen. Verkehr besteht nicht nur aus motorisierten Fahrzeugen, sondern aus jeder Form der Fortbewegung. Unser Ziel ist es, eine große Masse verschiedener Menschen zu erreichen und zum Mitfahren bei der Critical Mass zu ermutigen. Wir sind kein Verein oder irgendeine Organisation. Critical Mass ist keine angemeldete Demonstration, sondern einfach Verkehr. Es gibt keineN HauptverantwortlicheN, jedeR agiert eigenverantwortlich, wie sonst eben auch. Die Mitfahrenden bei der CM verbindet allein die Freude am Radfahren und der Wille, sich für kurze Zeit dem scheinbaren Grundgesetz im Straßenverkehr – dem Recht des Stärkeren – entgegen zu stellen. CM-Fahren heißt, zusammen Zeit zu verbringen und das Fahrrad gemeinsam hochleben zu lassen. Wir treten selbstbewusst und als Masse auf – denn ebendiese Masse ‚schützt‘ uns im Straßenverkehr

Die Bretter, die die Welt bedeuten Was sich die SchöpferInnen des Uniparks genau dabei gedacht haben, den gesamten Aufgangsbereich als riesige Betonrampe mit vielen Schrägen und Kanten zu designen, kann nur vermutet werden. Was es auch war – und bei allen Diskussionen zum Thema Behindertengerechtheit und zu fehlenden Fahrradstellplätzen der letzten Monate: Eine Gruppe ist mit dem Resultat höchst zufrieden. Von Johannes Hofmann

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s ist schon eine Weile her, dass ein paar Jungs in Kalifornien Rollen an ihre Surfbretter geschraubt und damit den Grundstein für eine Sportart gelegt haben, die in fünf Jahrzehnten immer wieder einmal in und out, aber niemals ganz weg war. Skateboarden ist dabei mehr als Sport, es hatte vielmehr schon immer den Status einer Subkultur. Kein Wunder,

wenn man sich den langen, steinigen Weg vom ersten Fuß auf dem Brett bis zum ersten gestandenen Trick vor Augen führt. Leichte bis mittlere Verletzungen sind so selbstverständlich wie die Fähigkeit, im Angesicht von Misserfolg und Frustration, in ständiger Wiederholung, locker bleiben zu können. Nicht jedermanns Sache, genauso wenig wie die Kosten für gebrochene Decks oder der halblegale Ruf der Szene. Von Konservativen gerne einmal in die ‚kif-

fender Leichtkrimineller, der mit seinem Brett unsere schöne Stadt verschandelt‘Schublade geworfen, hat man es auf den vier Rollen wohl nicht immer leicht. Nach dem Grund gefragt, warum man all dies auf sich nähme, gibt allerdings jeder Rollbrettfahrer und jede Rollbrettfahrerin die gleiche Antwort: Das Gefühl der absoluten Freiheit. Wenn man ihnen beim Fliegen zuschaut, kann man es ein wenig nachvollziehen.

© Johannes Hofmann

© Johannes Hofmann

Ein lichtdurchflutetes Beispiel postmoderner Betonarchitektur? Auch. Aber vor allem: der perfekte Skate-Spot.


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ERASMUS-ECKE

Erasmus-Ecke Der Sommer neigt sich dem Ende zu, und mit ihm die vorlesungsfreie Zeit. Deshalb stellen wir in dieser Ausgabe keine potentiellen Urlaubsziele vor, denn die würden uns nur unnötig schwermütig machen. Vielmehr stöbern wir in fremden Küchen – und sind dabei auf zwei exquisite Experimente aus den Küchen Polens und Ägyptens gestoßen. „Smacznego“ und „Bil hana we shifa“, wünschen euch unsere Erasmusstudentinnen Patrycja Góral und Nabila-Susanna Zahran! Von Anna Bramböck

Welcome to Austria! As a part of the Erasmus program, 54 international students decided to choose the University of Applied Sciences in Salzburg for their semester abroad. In this article you will find out why they have made this decision, what they think about the city of Mozart and how the FH Salzburg tries to support them.

Rezept 1: Barszcz czerwony Patrycja Góral (24) Heimatuniversität: Jagiellonian University Master-Studentin der Geographie „It is a traditional polish soup. You can eat it with croquettes, ravioli etc. This soup with ravioli is the traditional dish for Christmas Eve. I usually cook it with my friends in a dorm. And of course with my grandmother for Christmas Eve.“

Zubereitungszeit: 30 Minuten + 2 Stunden Garzeit Für 4 Personen Zutaten:

3 große Rote-Bete-Rüben 3 Blätter Lorbeer, 3 Körner Piment (=Nelkenpfeffer) 3 Knoblauchzehen 1 TL getrockneter Majoran 2 TL Zitronensaft Salz und Pfeffer Viel gemischtes Gemüse der Saison Zubereitung: Gemüse für die Suppe waschen und schälen. Zusammen mit Lorbeerblättern, Piment, Knoblauchzehen und Majoran in eine Schüssel mit ca. 1,5l Wasser und einem Brühwürfel geben. Geschälte und halbierte Rote Bete zugeben und auf schwacher Hitze zugedeckt 2 Stunden kochen. Nach Geschmack mit Salz und Pfeffer, Zitronensaft würzen, und/oder 1 Tl getrocknete Gewürze und fein gehacktes Gemüse zugeben. Einen Moment köcheln lassen, von der Hitze nehmen und etwas abkühlen lassen. Je nach Belieben kann noch etwas ungekochte und mit einer Küchenreibe fein geriebene Rote Bete zugegeben werden – das ergibt einen intensiveren Farbton.

Rezept 2: Koshari Nabila-Susanna Zahran (19) Anglistik, Amerikanistik und Psychologie/ Philosophie Uni Salzburg „Koshari, ein ägyptisches Gericht, ist eine Mischung aus Nudeln, Reis, Linsen, Kichererbsen und schmeckt einfach richtig gut! Es ist eines meiner Lieblingsgerichte, da es mich an die Zeit erinnert, in der ich zwei Jahre in Kairo gelebt habe. Jedes Mal, wenn ich dieses Gericht esse, habe ich sozusagen ein Déjà-vu-Erlebnis! Kochen ist nicht eine meiner Leidenschaften, doch Koshari ist ein Gericht, das man leicht und schnell zubereiten kann. Also sehr empfehlenswert!“

Zubereitungszeit: ca. 25 Minuten + 20 Minuten Garzeit Für 4 Personen Zutaten:

1 Tasse braune Linsen 1 Tasse Rundkornreis 1 Tasse kleine Nudeln ½ Tasse Kichererbsen 1 EL Butter 1 Dose geschälte Tomaten Tomatenmark 5 Knoblauchzehen, fein geschnitten Salz, Pfeffer, Chili 1 Packung fertige Röstzwiebeln Zubereitung: Die Linsen, den Reis und die Nudeln separat gar kochen. Die geschälten Tomaten pürieren und mit dem Tomatenmark etwas einkochen lassen, mit Salz, Pfeffer und Chili pikant abschmecken. Die fein gehackten Knoblauchzehen in der Butter braten, bis sie leicht braun werden. Den gebratenen Knoblauch in die Tomatensauce rühren. Jeder nimmt sich von jeder Zutat auf seinen Teller, gibt Röstzwiebeln darüber und anschließend die Tomatensauce. Alles wird gut vermengt und heiß gegessen.

By Kerstin Hofer Maria Gultiano; studying Tourism in Western Australia Janus Lee; studying graphic design in New Zealand Joe Bogan; studying business management in the UK Jani Lamaanen; studying Forest Products Technology in Finland Why did you choose Salzburg for your semester abroad? Maria: I chose Salzburg for a number of reasons. I wanted to go to Europe, and because many people from my home university chose to go to the UK, I decided I wanted to go somewhere different. I've also wanted to learn German for a while now, so a German speaking country seemed perfect. Janus: I’ve always wanted to study or visit places with rich histories, especially Europe. I chose Salzburg because the place is famous for its music, history and colourful culture. How did you imagine Salzburg to be like before your arrival? Joe: To be the living embodiment of a cliché the first I knew about Salzburg was as a ten year old child partaking in a primary school musical production of “The Sound of Music”; as when I saw the name of the city on my option, images of Edelweiss, greenery and Lederhosen instantly came to fruition. What is your opinion about the Welcome Week? Maria: I found the Welcome Week really fun and helpful. When I first got here I didn’t know a lot about the Fachhochschule, so the Welcome Week answered a lot of my questions. It also gave me the chance to meet the other incoming students, which made things a lot easier as now I have lots of other people I can talk to. What expectations do you have of your stay in Austria?

Jani: Well, what I want to do is learning the German language and meeting Austrian people. When the winter comes, I will go snowboarding in the Alps. Joe: My hopes for Salzburg are primarily based around the culture it has to offer, this means interacting with it as much as possible. In my observations at home I have noticed that many exchange students eventually exist in a social bubble consisting solely of foreigners; I hope to avoid this by studying the German language and via tandem learning in which foreign students are paired up with a German speaking counterpart. What impressions have you made so far? Jani: Salzburg is the most beautiful and romantic city I have ever lived in so far. The culture is interesting and there are many possibilities to do in your free time. I’m looking forward to see how Salzburg will be when the university starts and when other students will be there. Janus: It’s a lovely little city, quite similar to New Zealand, but the city centre is much more interesting. I love the old town and the shops, it has a strong sense of history and everything just amazes me. Have you already recognized some similarities between Austria and your home country? Maria: I think Austria and Australia are very different. But the Austrian people remind me of home a little bit. They seem more openminded and helpful than in other places in Europe. They’re not as loud or boisterous as Australians, but we're open-minded and helpful too. Joe: Being from a European country myself it was going to be a given that I would encounter some similarities between Austria and the United Kingdom; as an example for both cultures beer is a prominent part. Austria is famed for its beer halls and breweries whilst in the UK the centre of many communities is the local pub.


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„Hey, wenigstens haben wir Frieden!“ Es ist kühl und windig. Die Sonne sinkt ins Meer. Die Kamera schwenkt zu den drei jungen Männern, die am Pier zurückbleiben. Sie haben den Kragen hochgeschlagen und die Hände in den Hosentaschen. So schauen sie sehnsüchtig der Sonne nach, die tagtäglich nach Spanien wandert.

Von Sabine Helmberger Die eben beschriebene Szene stammt aus einem Film, den meine algerischen StudentInnen im Rahmen des Kurses ‚Mündliche Kompetenz‘ gedreht haben. Im Rahmen einer Veranstaltung zum selbst gewählten Thema ‚illegale Emigration‘ präsentieren sie ihn – in einem Hörsaal mit zerbrochenen Fenstern und bröckelnden Wänden. Für ihren Film haben die StudentInnen auf Deutsch Interviews geführt. Nun, bei der Vorführung, beginnt Wissam zu weinen und verlässt den Hörsaal. Ihre Mutter hat Algerien mit dem Schiff verlassen, aber sie kam nie in Europa an. Die anderen bleiben sitzen. In Gedanken aber sind sie weit weg. Wahrscheinlich bei den vielen Namenlosen, die für sie einmal FreundInnen, NachbarInnen und Verwandte waren. 80 Prozent der EmigrantInnen schaffen es laut Statistik nicht ans andere Ufer. Die eine oder der andere aus ‚meiner‘ Klasse wird vermutlich auch versuchen, ‚aufs Boot‘ zu kommen. Die Hogra treibt sie an. Dieses Wort vereint Hoffnungslosigkeit, ohnmächtige Energie und Wut, weil eine wirtschaftspolitisch machtvolle Elite ihr Leben bestimmt und sich auf Kosten der Bevölkerungsmehrheit bereichert. „Je vote, tu votes, il vote, nous votons, vous votez, ils profitent“, hat Fatima bei den letzten Parlamentswahlen über Facebook ge-

postet: „Ich wähle, du wählst, er wählt, wir wählen, ihr wählt, sie profitieren.“ Die Demokratie wird mit Füßen getreten und die Ressourcen für die junge und nächste Generation werden schon heute verschleudert. Auf so manche Parallele zwischen Algerien und Europa bin ich gestoßen – ist das eine davon? Vor allem die Jugend Algeriens wirkt müde. Es fehlt an Wohnungen, Jobs und Perspektiven. 9000 arbeitslose AkademikerInnen fügen sich jedes Jahr ein in das Heer der Arbeitslosen. Für junge Frauen ist ihr Aussehen oft ein besseres Erfolgsrezept als ihre Ausbildung. Sie studieren trotzdem. Das Studium ist gratis und es gibt eine finanzielle Unterstützung – 13 Euro pro Monat. Wer einen Master machen will, hat es trotzdem schwer. Um aufgenommen zu werden, braucht man entweder Beziehungen, verkauft seine Seele an den zuständigen Professor oder kann sich die Aufnahme ins Studium durch Bestechungsgelder erkaufen. Seit der Unabhängigkeit von Frankreich 1962 explodiert die Bevölkerung Algeriens. „Wie ein Altenheim“ komme ihr Österreich vor, hat Barbara Wally im Vergleich zum Jemen gemeint. Für Algerien gilt Ähnliches, aber die algerische Jugend hat resigniert. Während die Älteren noch die Aufbruchsstimmung nach der Unabhängigkeit in Erinnerung haben, lehnen die Jungen untätig an

Ramadan in Algerien

Datteln, Milch und Stromausfall „Adhan, Adhan“ rufen sie aufgeregt und laufen heim. Eben noch haben sich die algerischen Kinder beim Pinagat-Spiel gegenseitig Murmeln abgeluchst. Jetzt wird alles rasch eingepackt, erbeutete Murmeln und kleine Schwestern, und in wenigen Minuten sind die Straßen in der ganzen Stadt wie leergefegt. Die Geschäfte sind geschlossen, die Busse stehen still, selbst die Vögel sind ruhig. Einige Väter, die zu spät zur Patisserie oder zur Bäckerei kommen, hasten heim. Ich erwarte diesen Moment seit 30 Tagen auch heute wieder sehnsüchtig, zum letzten Mal – „Alhamdullilah“ („Gott sei Dank“). Mit ihrem Geschrei kündigen die Kinder Iftar – das tägliche Fastenbrechen – an und die Familie versammelt sich um den Tisch. In der Küche stapelt sich das Geschirr – seit 15 Uhr gibt es kein Wasser –, aber man ist nicht überrascht, sondern vorbereitet. Mit Milch, Datteln, Fernsehen und dem stillen „Bismillah“ („Im Namen Gottes“)

beginnt Iftar – und letztes Jahr täglich mit Stromausfall. Dieses Jahr ist es besser: „Bouteflika hat so viel für dieses Land getan“ – warum nicht auch das. Bis zum Einschlafen wird immer wieder ein Happen gegessen und zum Suhoor, dem Essen vor dem morgendlichen Muezzinruf gegen etwa vier Uhr, werden die Reste vom Iftar ausgepackt, einiges wird gegessen, noch mehr wird weggeworfen. In den letzten Tagen des Ramadan, vor dem Fest Aid AlKebir sind die Straßen voller Menschen. Sonderangebote, bunte Kleidung für Kinder, importierte schicke H&M-Ware, marokkanische Schuhe, fette und zuckrige Lebensmittel. Konsum wohin man schaut. Hektisches Hupen und stumme Menschen in den illegalen Baracken am Rande der Stadt. Bedrückende Armut und beklemmender Überfluss. Kapitalismus ungeschminkt. Keine Glocken und kein Schnee aber dennoch fühle ich mich wie zu Hause vor Weihnachten.

der Wand, trinken Kaffee und träumen von einem unabhängigen, selbstbestimmten Leben. Eine abgehobene Elite, die vom Glanz der Vergangenheit lebt, regiert das Land. Europa ist wichtiger Handelspartner dieser Elite und hält dankend die Hand auf. Das schwarze Gold der Wüste fällt im großen Stil dem piston [fr.] zum Opfer, der Freunderlwirtschaft und Korruption. Nach dem Prinzip ‚teile und herrsche‘ werden die Massen auch hier ruhig gehalten. Mittel gibt es genug. 60 Prozent der Jobs sind im öffentlichen Sektor. 1,5 Millionen Menschen allein sind ‚Sicherheitskräfte‘, die der Elite im Ernstfall die bestehende Ordnung absichern. Alle andere werden alle gefühlten 100 Meter an den Straßenkontrollen daran erinnert, dass Algerien ein sehr ‚sicheres‘ Land ist. Schon in den Zeiten der Euphorie der 60er und 70er Jahre haben sich algerische Machthaber des Militärs bedient. Nach dem Wahlsieg der Islamisten in den 90er Jahren entspann sich ein grausamer Bürgerkrieg zwischen Militär und Islamisten, der das Land fast zehn Jahre in Atem hielt. „Wenn jemand an der Tür geklopft hat, hat mein Vater das Gewehr geholt“, erzählt der heute 22-jährige Halim aus Oran. Die Beendigung des Terrors wird Abdelaziz Bouteflika, dem aktuellen Präsidenten, auf die Fahnen geheftet. Fragen, warum dieser blutige Konflikt so lange

gedauert hat, wohin viele Menschen spurlos verschwunden sind oder wer davon profitiert hat, werden nicht gestellt. Man will die Vergangenheit ruhen lassen. Auch das eine Parallele zu meiner Heimat Österreich? Aber die Nachwirkungen sind im kollektiven Bewusstsein Algeriens spürbar. Als sich in den umliegenden arabischen Ländern die ersten Spannungen abzeichneten, wurden vom algerischen Staat Sozialleistungen erhöht. Bouteflika hat in einer Fernsehansprache seinen Rücktritt angeboten. Ob das Angebot ernst gemeint war, sei dahingestellt, aber die Macht kumuliert sich in Algerien auch nicht in der Person des Präsidenten, sondern verteilt sich auf einen Apparat aus Militär und nationalen Eliten. Zwar rückt etwa alle sechs Stunden in Algerien die Polizei aus, um Demonstrationen aufzulösen, aber „eine Revolution will hier niemand“, erklärt mir Mohamed (28, Anwalt), der als Taxifahrer sein Geld verdient. „Weißt du, ich hasse diese Frage. ‚Warum habt ihr keinen arabischen Frühling?‘ Das haben auch Männer von Al Kaida gefragt. Sie benützen junge Männer. Gewalt, Mord, Angst, Menschen, die auf der Flucht sind, Familien, die auseinander gerissen werden. Das ist es doch, was sich hinter dieser schönen Fassade des ‚Frühlings‘ versteckt. Und schau, was jetzt in anderen Ländern passiert! Wir haben endlich Frieden, alhamdullilah.“

Ausbildung: Modul „Deutsch als Fremdsprache/Zweitsprache“ Mit dem aktuellen Semester erweitert der FB Germanistik sein Angebot für DaF-/DaZ-Interessierte. Die bisherige Praxisfelderweiterung DaF wird ausgeweitet auf 24 ECTS. Die Anmeldung erfolgt über PlusOnline. Das Angebot richtet sich primär, aber nicht ausschließlich, an Sprach- und Lehramtsstudierende. Nach erfolgreicher Absolvierung des Moduls gibt es verschiedenste Möglichkeiten, mittels Praktika (Interkulturelles Praktikum, Deutschkurse mit AsylwerberInnen/Flüchtlingen u.Ä.) Erfahrungen zu sammeln. Über 50 Länder stehen für jene zur Wahl, die sich für ein 3- bis 5-monatiges Auslandspraktikum entscheiden. Neben Santiago (Chile), Stellenbosch (Südafrika) oder Sydney (Australien) finden sich auch viele „ExotInnen“ wie Baku (Aserbaidschan), Chakassien (Abakan) oder Ulan Bator (Mongolei). Weitere Infos gibt´s auf der Homepage des Fachbereichs Germanistik.

Gewinnspiel: Recherchiere im Internet, beantworte die folgende Frage und gewinne algerisches Parfüm! Welche traditionelle Speise wird in Algerien üblicherweise am Freitag zubereitet? Ein Tipp: Die Speise wird gedämpft :)

„They have jobs because they understand and we smoke but we will regret. They taught their children the perfection and we learnt the arts of fighting.“ [Übers. aus dem Algerischen] aus „Fikoum Amenna“ by Democratoz (algerische Reggaeband)


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Stereotype Me Mitte September wurde die Studierendensozialerhebung 2011 veröffentlicht. Das Ergebnis: Mehr Studierende, die mehr arbeiten, mehr für ihre Wohnung zahlen und dafür weniger Geld zur Verfügung haben. Der statistische Studierende: Stereotyp Susi

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usi beginnt gleich nachdem sie die AHS-Matura abgeschlossen hat ein Studium an einer Universität. Entweder Susis Vater oder Mutter haben zumindest die Reifeprüfung abgeschlossen. Sie kommt aus der gehobenen Mittelschicht. Susi wusste schon vor Abschluss der Schule, dass sie gerne Psychologie studieren will, vor allem weil das Fach sie interessiert. Stereotyp Susi studiert an ihrer Wunschuni und hat sich über den von ihr gewählten Zweig schon bestens informiert. Sie wohnt anfangs noch zuhause und wird von Stereotyp Mama und Stereotyp Papa finanziert. Susi zieht jedoch irgendwann aus, arbeitet exakt 19,8 Stunden die Woche und verdient dabei 670 Euro. Das meiste gibt sie für Wohnung und Essen aus. Stereotyp Susi ist laut der Erhebung eine typische Studienanfängerin und wird dann zu einer typischen Studierenden. Die Studierendensozialerhebung 2011 teilt sich nämlich in zwei Bände. In Band eins wird der Hochschulzugang und die soziale Situation von StudienanfängerInnen behandelt. In Band zwei geht es um die soziale Lage aller Studierenden. Die Erhebung besteht aus einer umfassenden Online-Befragung an Universitäten, Fachhochschulen (FH) und Pädagogischen Hochschulen (PH). An der aktuellen Studie haben sich 44.000 Studierende beteiligt. Seit den 1970ern gibt es die Studierendensozialerhebung regelmäßig.

AnfängerInnen: Frauen, Schichten und Geld Obwohl Österreich erst im September wieder von der OECD eine zu niedrige AkademikerInnenquote bescheinigt wurde, zeigt die neue IHS-Studie, dass es einen Positivtrend bei den StudienanfängernInnen gibt. In den letzten 15 Jahren hat sich laut den Untersuchungen die Zahl der StudienanfängerInnen mehr als verdoppelt. Im Wintersemester 2010/11 begannen 53.000 junge Menschen eine Ausbildung an einer österreichischen Hochschule. Dieses Plus bezieht sich auf Universitäten, Fachhochschulen, aber auch auf Pädagogische Hochschulen. Inzwischen treten 47 Prozent aller Menschen eines Altersjahrgangs ein Studium an einer Hochschule an. Vor fünf Jahren lag dieser Wert noch bei 34 Prozent. Hier wird der enorme Zuwachs an Studierenden erneut deutlich. Die Untersuchung zeigt auch, dass 56 Prozent aller StudienanfängerInnen Frauen sind. An den PHs sind weibliche Studierende gar mit 77 Prozent aller AnfängerInnen vertreten. Der Annahme, dass vor allem Kinder aus Akademikerfamilien eine Hochschulausbildung genießen, werden die Ergebnisse der Studie nicht ganz gerecht. Die Eltern von 42 Prozent aller AnfängerInnen haben weder Hochschulabschluss noch Matura, bei weiteren 34 Prozent hat lediglich ein Elternteil die Matura. Dennoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind ein Studium antritt, zweieinhalb Mal höher, wenn ein Elternteil zumindest über die Matura verfügt, als wenn dies nicht der Fall ist. Das Ranking sieht folgendermaßen aus: Kinder von selbständigen Angestellten sitzen eher in Hörsälen als Kinder von LandwirtInnen. Am wenigsten oft findet man ArbeiterIn-

nenkinder an der Hochschule. Wenn man Anfang Oktober durch die heiligen Hallen und Hörsäle schreitet, kommen 28 Prozent von zuhause und 24 Prozent aus ihrer neuen, aufregenden WG. Die Miete bezahlen sie mit einem Anteil des durchschnittlichen Budgets von 850 Euro. 39 Prozent der StudienanfängerInnen arbeiten für einen Teil dieser Geldmittel (Verdienst etwa 205 Euro). Im Schnitt werden die 21-jährigen StudienanfängerInnen (Durchschnittsalter bei direktem Studienantritt) zu zwei Dritteln von den Eltern finanziert. Das meiste Geld wird für Miete und Essen ausgegeben. Die Studi-AnfängerInnen sind im Schnitt 33 Stunden pro Woche mit Tätigkeiten für die Hochschule beschäftigt.

Schulabschluss als Faktor für Studienerfolg Zurzeit gibt es 315.000 ordentliche Studierende an den Hochschulen in Österreich. Mit 84 Prozent besucht eine große Mehrheit davon eine Universität. 54 Prozent dieser 315.000 sind Frauen (merke – die 56 Prozent im oberen Teil beziehen sich auf StudienanfängerInnen). Nach 16 Semestern haben nur 44 Prozent ihr Studium abgeschlossen, 29 Prozent verlassen die Universität vorzeitig und 27 Prozent sind lange nach Ablauf der Mindeststudienzeit noch immer ohne Titel inskribiert. Studentinnen sind gefährdeter für einen frühen Studienabbruch als ihre männlichen Kollegen. Im dritten Semester haben 13 Prozent aller Frauen und nur 10 Prozent aller Männer ihr Studium abgebrochen. Die Studentinnen, die bleiben, sind jedoch im Schnitt schneller und erfolgreicher im Stu-

dium als ihre männlichen Studienkollegen. Auch der Bildungsgrad der Eltern trägt zur Abbruchswahrscheinlichkeit bei. Kinder aus Familien, in denen die Eltern nur über einen Pflichtschul- oder Lehrabschluss verfügen, brechen das Studium in den ersten drei Semestern doppelt so oft ab, als das bei AkademikerInnenkindern der Fall ist. Auch die Wahrscheinlichkeit, die Ausbildung an der Hochschule erfolgreich abzuschließen, ist bei diesen Studierenden höher (Anm: besonders von diesem Phänomen betroffen sind die Rechtswissenschaften). Noch stärker als von der sozialen Herkunft hängt der Studienerfolg jedoch von der Schulvorbildung ab. HAK-MaturantInnen weisen mit 50 Prozent die höchste Erfolgsquote auf, danach folgen AHS- und BHS-AbsolventInnen mit 45 beziehungsweise 40 Prozent. Menschen mit Studienberechtigungsprüfung oder ExternistInnenmatura weisen lediglich eine Erfolgsquote von 30 Prozent auf. Mehr als die Hälfte der Studierenden wohnt nach einer gewissen Zeit in einer WG oder einem eigenen Haushalt. Das Elternhaus wird als dominanter Wohnsitz abgelöst. Fürs Wohnen bezahlen die Studis im Schnitt 350 Euro im Monat. Die Wohnungskosten sind im Vergleich zur Studierendensozialerhebung 2009 um ganze sieben Prozent gestiegen. Den Wiener StudentInnen kommt das Dach über dem Kopf mit 360 Euro am teuersten. Neben mehr Geld brauchen Studierende 2011 auch mehr Zeit für die Hochschularbeit als noch vor drei Jahren. Die Anwesenheitszeiten in den Lehrveranstaltungen haben sich nicht merklich verändert, jedoch ist der Zeitaufwand für das Selbststudium seit der letzten Erhebung gestiegen und auch die Erwerbstätigkeit nahm im Durchschnitt

etwa eine halbe Stunde pro Woche zu. Mit Arbeiten, Anwesenheit und Vorbereitungen für die Universität kommt für die Studierenden ein Arbeitspensum von etwa 43,6 Stunden pro Woche zusammen (plus eine Stunde gegenüber 2009). 63 Prozent aller Studierenden arbeiten neben dem Studium. Das liegt im europäischen Durchschnitt. Die Erwerbstätigkeit unter StudentInnen ist seit 2006 kontinuierlich angestiegen. Damals waren mit 58 Prozent noch um fünf Prozent weniger Studis erwerbstätig. Der Anstieg entfällt vor allem auf jene, die das ganze Semester hindurch arbeiten. Auch die Stundenanzahl, die in Arbeit investiert wird, stieg um eineinhalb Stunden. Mit dem Job werden pro Monat etwa 670 Euro erwirtschaftet (bei 20 Stunden Arbeit pro Woche). 80 Prozent der arbeitenden StudentInnen geben finanzielle Notwendigkeit als einen Grund an. StudentInnen aus niedrigeren Schichten nennen diese Begründung weit häufiger als ihre KollegInnen aus höheren Schichten. Eine große Problematik stellt die Vereinbarkeit mit dem Studium dar: Während die Erwerbsquote unter den Studierenden steigt, gibt die Hälfte (52 Prozent) der arbeitenden Studis an, Probleme mit der Vereinbarkeit von Job und Studium zu haben. Am öftesten berichten UniversitätsstudentInnen von diesen Schwierigkeiten. Österreichs Studierende erwirtschaften im Schnitt 42 Prozent ihres Budgets selbst. Die Familie wurde als Hauptgeldquelle abgelöst. Jedoch schaut trotz eines höheren Arbeits pensums am Ende für die jungen Menschen oft nicht mehr heraus. Im Vergleich zu 2009 ging das zur Verfügung stehende Geld real um zwei Prozent zurück (mit Inflation um drei Prozent).

© Barney O´Fair (pixelio)

Von Melanie Berger


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Mut zur Angst – (Selbst-)Hilfe für Studierende Studium, Job, Lebensplanung – der alltägliche Druck auf Studierende ist hoch. Für jene, die mit Angstgefühlen und Panikattacken zu kämpfen haben, scheinen diese Herausforderungen oft nicht zu bewältigen. Das gemeinsame Gespräch mit anderen Betroffenen kann eine Hilfe sein.

Vom gesellschaftspolitischen Referat der ÖH Salzburg „Angst macht, was unbegreiflich ist“, beschreibt eine Figur aus Anton Tschechows Angst: Sieben Geschichten von der Liebe dieses unheimliche Gefühl, das wir alle kennen, aber nicht immer konkret beschreiben, geschweige denn die Ursache benennen können. Dabei ist Angst grundsätzlich ein notwendiger und eigentlich gesunder Affekt, der neben Freude, Wut oder Scham lebensbegleitend als individueller Entwicklungsmotor wirkt. Die meisten Angstgefühle, die wir objektiv als „grundlos“ einschätzen, wie eben Prüfungsängste oder Lampenfieber, sind zumindest in unserer eigenen retrospektiven Wahrnehmung „eh ok“, solange sie uns dabei helfen, die beängstigende Situation zu meistern. Angst steigert nämlich die Aufmerksamkeit und Leistungsfähigkeit, dient der Risikoeinschätzung und wird als angemessen erfahren, solange sie kontrollierbar bleibt

und mit positiven Erfahrungen – wie einer erfolgreich absolvierten Klausur – verbunden wird. Angst ist lebenslanges Lernen, das vom sozialen und kulturellen Kontext geprägt wird. Deswegen haben Angstgefühle, die mit besonders schmerzlichen Erlebnissen aus der Kindheit oder Jugend zusammenhängen, auf Dauer Einfluss auf unsere Selbst-, Fremd- und Alltagswahrnehmung. Besonders problematisch werden die Ängste dann, wenn sie die Betroffenen tiefgreifend beherrschen und eine ‚normale‘ Alltagsbewältigung unmöglich wird.

Angst vor der Angst Von Angststörungen wird gesprochen, wenn Angstgefühle plötzlich und ohne erkennbaren Grund ausbrechen (Panikattacken) oder sich in einem dauerhaften Angstempfinden manifestieren. Diese Ängste werden ganz unterschiedlich erlebt und sind das schmerzhafte Echo auf oft unbewusst wahrgenommene Be-

MITTWOCH AUSSER BETRIEB

drohungen, deren Ursachen individuell und sehr vielfältig sind. Sie führen zu körperlichen und seelischen Reaktionen, wie Herzrasen, Schwindel, Zittern oder stark reduzierter Belastbarkeit, welche die Betroffenen in allen Lebensbereichen massiv beeinträchtigen. Die enge Umgebung, Familie, Freunde, StudienkollegInnen und Lehrende sind oft hilflos und wehren die Konfrontation mit der oder dem Betroffenen ab. Gerade im Universitätsalltag, der von Stress und Leistungsdruck geprägt ist, haben diffuse Ängste, aber auch spontan auftretende Angstattacken keinen Platz, werden ins Lächerliche gezogen, verschwiegen und viele Betroffene allein gelassen.

Mut zur Angst – Gemeinsam stark Die Mut zur Angst-Selbsthilfegruppe wurde im Sommersemester 2011 vom Gesellschaftspolitischen Referat ins Leben gerufen, um von Angst und Panik Betroffenen einen geschützten Ort zum gegenseitigen Kennen-

lernen und Erfahrungsaustausch zu bieten. Gleichzeitig ist die Etablierung dieser Anlaufstelle aber auch ein wichtiger Schritt hin zur Enttabuisierung dieses Themas im universitären Raum. Mittlerweile trifft sich die Gruppe mindestens monatlich in den ÖH-Räumen und es wurde ein Online-Forum ins Leben gerufen, um auch jenen eine Plattform zu bieten, die den Weg zur Selbsthilfegruppe noch nicht schaffen oder lieber über ihre Sorgen schreiben. Geleitet wird die Gruppe von einer erfahrenen Mitarbeiterin des Referats; dass Stillschweigen über die besprochenen Erfahrungen gewahrt wird, ist selbstverständlich. Die Termine, an denen sich die Gruppe im kommenden Wintersemester treffen wird, sowie alle wichtigen Infos, unsere Kontaktdaten sowie den Link zum Seelenkummer-Forum findet ihr auf der ÖH-Homepage unter den Schwerpunkten des Gesellschaftspolitischen Referats. Oder ihr schreibt an mutzurangst@oeh-salzburg.at.

3 1 / 2 1 OCH IT T W N E N MTER 12/13 IN T N S E E S T U DINTERSEM IM W

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12 UNI & SERVICE Bücher gehen an die Börse Auf der neuen ÖH-Bücherbörse können Studierende alte Bücher loswerden oder benötigte Literatur günstig erwerben. 100 Prozent spekulationsfrei.

esen, markieren, exzerpieren, lernen. 90 Prozent der Studienzeit verbringt man mit der Nase in Büchern. Sich am Papier zu schneiden, ist die Kriegsverletzung des Studierenden und der Textmarker die Waffe seiner Wahl. Wenn nun das Semester wieder beginnt und man es tatsächlich in ein paar Kurse geschafft hat, wird in der ersten Einheit erstmal der Lesestoff durchgenommen. Dabei kann es vorkommen, dass nicht nur Blackboard-Unterlagen ausreichen, sondern der/die motivierte ProfessorIn den Erwerb eines Buches verlangt. Wohl oder übel muss man dann das gedruckte Wissen kaufen, anstatt es sich auf Zeit in der Bibliothek auszuleihen. Im Laufe der Semester türmen sich

irgendwann Bücherstapel in der Wohnung. Jetzt versucht die ÖH, dem Problem Abhilfe zu schaffen und stellt eine Bücherbörse zur Verfügung. Nicht mehr gebrauchte Uniliteratur soll auf dieser Plattform zum Kauf angeboten werden. Das bietet die Möglichkeit, den ein oder anderen Klassiker loszuwerden und dabei noch ein bisschen Geld zu machen. EinE andereR StudentIn braucht dafür nicht den oft horrenden Preis hinzublättern, sondern kommt günstiger zu ihren/seinen benötigten Büchern. Die Bücherbörse soll in Zukunft ähnlich funktionieren wie die Wohnungsbörse auf der Homepage der ÖH Salzburg. Wie der Name schon sagt, ist sie nur für Bücher gedacht, nicht für Skripten oder Ähnliches. Der Launch der Seite erfolgt in Kürze.

te Berechnungsmethoden zurückging, legte die Medienberichterstattung das Ausmaß der Boni offen: Rektor Engl von der Uni Wien bezog jährlich 224.000 Euro (brutto), zuzüglich Prämien von bis zu 48.000 Euro. An der Wirtschaftsuniversität Wien erhielt Rektor Badelt pro Jahr 198.000 Euro und Boni von bis zu 40.000 Euro. Wissenschaftsminister Töchterle bekam vor seinem Wechsel in die Politik als Rektor der Uni Innsbruck ein jährliches Gehalt von 200.000 Euro. Für die Höhe eines RektorInnengehalts ist weniger die Größe einer Universität, als vielmehr das Verhandlungsgeschick der einzelnen RektorInnen ausschlaggebend. Seitdem die Universitäten in die „Autonomie“ entlassen wurden, wird das Gehalt des Rektorats mit dem Unirat ausverhandelt. Der Unirat kann dem Rektorat, so es eine positive Jahresbilanz vorweist, Gehaltsprämien zuerkennen. (Die Medizin-Uni Innsbruck zahlte 2011 trotz Budgetlöchern Boni an das Rektorat aus!)

Sind die hohen Gehälter und Boni für Rektorate öffentlicher Universitäten angemessen? Im Vergleich zur Bezahlung von ManagerInnen in der Privatwirtschaft durchaus. Da liegen die Hochschulen gleichauf mit kleinen Unternehmen. Stellt man aber die Einkommen der Rektorate jenen der anderen UnimitarbeiterInnen gegenüber, die vielfach 50 bis 60 Stunden pro Woche für Forschung, Lehre und Verwaltung aufwenden und deutlich weniger verdienen, wird man skeptischer. Aufgrund der allgemeinen Budgetknappheit verzichtete das Rektorat der Universität für Bodenkultur in Wien 2011 auf seine Prämien. Viele RektorInnen rufen regelmäßig nach Studiengebühren, obwohl die finanziellen Belastungen der StudentInnen ständig steigen. An den Boni, die dieses Studienjahr ausgeschüttet werden, können wir erkennen, wie es um ihre Bereitschaft steht, selbst einen Beitrag zu leisten.

Von Melanie Berger

© Gisela Peter (pixelio)

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WISSEN: WIE FUNKTIONIERT DIE UNI? Nicht erst seit der Finanzkrise sind die Boni für ManagerInnen der Privatwirtschaft in die Kritik geraten. Selbst Firmen, die Verluste verzeichnen und Arbeitsplätze abbauen, zahlen vielfach Zulagen zu ohnehin üppigen Gehältern aus. Auch die Boni-Vergabe in öffentlichen Unternehmen wurde vom österreichischen Rechnungshof kritisiert. Der skeptische Blick der Öffentlichkeit richtete sich zuletzt auf jene Boni, die an Rektorate von Universitäten ausbezahlt werden.

Bonus-Zahlungen für Rektorate Von Kay-Michael Dankl

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itten in der hitzigen Debatte über die chronische Unterfinanzierung der Universitäten wurde zu Jahresbeginn publik, dass die RektorInnengehälter seit 2004 geradezu explodiert seien. Wenngleich ein großer Teil dieser Steigerungen auf veränder-

WIR SUCHEN DEINE IDEEN! Du interessierst dich für Konsum und Globalisierung – Globalisierung des Konsums ? Du hast Vorstellungen, wie man dieses Thema im Rahmen einer Lehrveranstaltung behandeln sollte? Dann melde dich unter gesellschaft@oeh-salzburg.at. Wir suchen Ideen für die nächste Ringvorlesung von ÖH Green Campus im Sommersemester 2013.


UNI & SERVICE

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Mach mal Pause! Galerie, Selbstversorger-Kantine, Erholungs- und Lernzone in einem: Nun hat er seine Pforten geöffnet, der öh frei:raum in der Kaigasse 17. Von Sandra Bernhofer und Manuela Wallinger

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eballte Farbenfreude schlägt einem entgegen, wenn man die Tür zum neuen öh frei:raum aufstößt: Bequeme Polstermöbel in Türkis, Rot, Grün und Orange stehen herum, auf ihnen Studierende, die in Grüppchen herumsitzen, plaudern, durch die aufliegenden Zeitschriften blättern. Eine Studentin brüht gerade Kaffee auf. Mittendrin ÖH-Vorsitzender Simon Hofbauer. Er erklärt: „Es gibt an der Uni einfach zu wenige Räumlichkeiten, wo man sich gemütlich zusammensetzen oder gemeinsam an Projekten arbeiten kann – wenn man etwa das zugige Foyer an der GesWi ausnimmt.“ Dieses Vakuum wollten er und seine MitstreiterInnen ausfüllen, allen voran Martha Schweissgut, die ehemalige Organisationsreferentin, die das Projekt öh frei:raum hauptverantwortlich vorangetrieben hat: „Nachdem das ÖH-Beratungszentrum in den Unipark übersiedelt war und die Räume in der Kaigasse 17 frei geworden waren, konnten wir mit dem Rektorat vereinbaren, dass diese weiterhin direkt Studierenden zur Verfügung stehen. Klarer Bonus ist der Standort: Der frei:raum ist für die meisten Studis bequem erreichbar, weil er in unmittelbarer Nähe aller Fakultäten liegt.“

Ein Prost auf

100 Jahre Stiegl-Goldbräu. Braukunst auf höchster Stufe.

Infrastruktur zum Lernen und Relaxen Endgültig ins Rollen kam das Projekt mit dem Beschluss der Universitätsvertretung im Mai: Etwa 30.000 Euro machte die ÖH für das Projekt locker, gut 20.000 kamen von der Universität. Nun stehen die beiden Räume, die jeweils rund 30 Quadratmeter groß sind, wieder für Studierende offen – und sie sind barrierefrei zugänglich, wie Karola Lehner, die Referentin für Gesellschaftspolitisches, betont: „Im Gegensatz zu vielen universitätseigenen Räumen, die das nicht sind, wurde das hier speziell berücksichtigt.“

Der vordere Bereich des neu entstandenen Studierendenzentrums dient als Freizeitraum, dem restaurierte Polstermöbel aus der Akademiestraße Vintage-Charme verleihen. Eine kleine Küche ist ebenfalls vorhanden, womit einem warmen, kostengünstigen Mittagessen für Hungrige nichts mehr im Wege steht. Der hintere Raum ist zum Lernen gedacht. Vier Tische, an denen je vier Personen Platz finden, stehen dort und können für Projektarbeiten zusammengeschoben werden; ein Kopierer im gleichen Gebäude und das Uni-WLANNetzwerk gewährleisten, dass optimal gearbeitet werden kann. Damit im frei:raum alles reibungslos abläuft, stehen ÖH-MitarbeiterInnen vor Ort für Auskünfte zur Verfügung, achten auf Sauberkeit und Ordnung und darauf, dass keine universitätsfremden Personen die neue Einrichtung überlaufen.

Raum für Mitgestaltung Außerhalb der regulären Öffnungszeiten können Studierende, Vereine und Initiativen nach Absprache ihre Veranstaltungen in den öh frei:raum verlegen. Flexibilität steht an erster Stelle: Stühle und Tische sind stapelbar, die Räume vielseitig nutzbar. So finden dort neben Spieleabenden von Studienvertretungen auch die Redaktionssitzungen der Uni:Press statt; die Selbsthilfegruppe ‚Mut zur Angst‘ trifft sich ebenfalls regelmäßig im frei:raum. Ein kleines Highlight ist die Galerie, die kreativen Studentinnen und Studenten eine Plattform bietet: Im hinteren Teil des frei:raums werden regelmäßig wechselnd Arbeiten ausgestellt. Der künstlerische Aspekt wird also nicht vernachlässigt: „Es gibt so viel Potential. Das wollen wir sichtbar machen“, bringt es Simon Hofbauer auf den Punkt.

öh frei:raum Kaigasse 17 Öffnungszeiten: Montag bis Donnerstag, 11 bis 19 Uhr Du möchtest deine Fotos, Bilder oder Skulpturen im frei:raum ausstellen? Schick einfach eine Mail an organisation@oeh-salzburg.at

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Das ewige Kreuz mit der Religion Rund um das Thema Religion entwickeln sich oft Streitgespräche. Der Begriff allein scheidet die Geister und weckt Emotionen. Religion kann als persönlicher Glaube, aber auch als wissenschaftliche Theologie verstanden werden. Auf jeden Fall wirft sie viele Fragen auf. Sollen diese an der Universität beantwortet werden? Von Julie Dalmoro

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m 10. Oktober fand in Salzburg zu Beginn des Studienjahres der übliche Eröffnungsgottesdienst statt. Dieses Ritual wäre in anderen Ländern undenkbar, so etwa im laizistischen Frankreich: Theologie an einer staatlichen Universität zu studieren, ist dort etwas Besonderes. In Frankreich stammt die Idee, die Religion im Namen der Wissenschaft abzulehnen, von den Philosophen der Aufklärung. Für Voltaire, Diderot und all die klugen Köpfen dieser Zeit war klar, dass die Menschheit erst über die Ablehnung des christlichen Glaubens zum Wissen gelange könne. Aus dieser Vorstellung entspringt im 19. Jahrhundert der Laizismus. Nach der französischen Revolution war für die Anhänger der Republik die Frage der Bildung entscheidend. Es ging dabei nicht nur um die Frage der Finanzierung des öffentlichen und privaten Schulwesens. Das Ziel der republikanischen und laizistischen Schule war es, die Vernunft im Volk zu verbreiten. Doch was bedeutet Laizismus genau? Der Begriff bezeichnet gleichzeitig ein politisches Ideal und die Rechtsgrundlage, die es festlegt. Dieses Ideal beabsichtigt die Achtung der Prinzipien der Gewissensfreiheit, der Gleichheit und des absoluten Vorrangs des Gemeinwohls. Dadurch steht in den öffentlichen Bildungseinrichtungen die Autonomie des Beurteilungsvermögens der BürgerInnen an oberster Stelle. Weiters sollen Diskriminierungen aufgrund spiritueller Überzeugungen vermieden werden. Besorgt um die Emanzipierung des Menschen auf intellektueller, ethischer und sozialer Ebene, achtet der Laizismus insbesondere auf die Gerechtigkeit des politischen Systems, das als Grundlage einer für alle BürgerInnen gemeinsamen Welt fungiert. Das widerspricht auch nicht der Religionsfreiheit, da religiöse Überzeugungen zwar im öffentlichen Raum keinen Platz finden sollen, im Privaten jedoch jeder Glaube ausgelebt werden darf. So wurde in Frankreich mit dem Gesetz von 1905 nicht nur der Religionsunterricht aus dem Lehrplan gestrichen, sondern auch die weltanschaulich-religiöse Neutralität des öffentlichen Raumes verordnet. Aber gut gemeint ist nicht immer gut gemacht: Laizismus soll vom Prinzip her jede Glaubensrichtung gleich stellen. In der Praxis erfolgt allerdings oftmals eine Stigmatisierung des Islams. 2004 wurde

in Frankreich ein Gesetz verabschiedet, das das Tragen auffälliger religiöser Zeichen untersagt. Dies zielte bei seiner Umsetzung vor allem auf das Verbot der Verschleierung ab. Seit 2011 ist ferner die Gesichtsvermummung in der Öffentlichkeit verboten, was oft als Versuch interpretiert wurde, den Islam und seine AnhängerInnen zu verstecken. So werden zwar junge muslimische Frauen auf Grund ihrer Kopftücher vom Unterricht ausgeschlossen, katholische SchülerInnen wegen ihres JesusKreuzes jedoch nicht. Ob der Laizismus nun die bessere Lösung für eine freie Bildung ist, ist strittig. Die Frage, wie viel Platz an der Uni der Religion, sowohl als Glaube als auch als Wissenschaft, eingeräumt werden sollte, bleibt offen. Dazu wurden StudentInnen der Uni Salzburg befragt.

Eine wesentliche Unterscheidung: Theologie ist nicht gleich Religion Veronika Huber ist Studentin der katholischen Religionspädagogik und macht am TheologInnen-Zentrum Salzburg die Ausbildung zur Pastoralassistentin. Sie unterstreicht vor allem die Notwendigkeit, Theologie von Religion zu unterscheiden. „Aus christlicher Sicht bildet der Glaube an Gott kein Paradoxon zur wissenschaftlichen Theologie. Denn der Glaube an Gott betrifft das eigene Leben, die Theologie betrifft die Wissenschaft. Darum hat Theologie einen berechtigten, ja notwendigen Platz an der Universität. Auch andere wissenschaftliche Aussagen negieren den Glauben nicht, sondern regen dazu an, den eigenen Glauben immer wieder zu überprüfen und das nicht anhand eigener persönlicher Einschätzungen und Meinungen, sondern Aufgrund wissenschaftlich erarbeiteter Fakten. Die Theologie wird vom Staat Österreich an den von ihm getragenen Universitäten verortet, das Konkordat als völkerrechtlicher Vertrag bildet dafür die Grundlage. Schließlich ist es auch für eine Gesellschaft nicht unbedeutend, einen wissenschaftlichen, kritisch hinterfragenden Zugang zum Glauben offen zu halten. Denn überall, wo die Vernunft ausgeschlossen ist, wird religiösem Fundamentalismus Tür und Tor geöffnet. Die Verknüpfung von staatlicher Universität mit einer katholischen Fakultät ist m.E. nach für beide eine langfristig bedeutende Verbindung. An der Uni Salzburg gibt es die KHG (Katholische Hochschulgemein-

de), die KHJ (Katholische Hochschuljugend) und für evangelische Studierende die EHG (Evangelische Hochschulgemeinde), die verschiedene Veranstaltungen für Studierende in den Bereichen Spiritualität, Kultur, Politik und Gemeinschaft anbieten. Getragen werden diese hauptsächlich von ehrenamtlichen Studierenden. Die Universität selbst hat mit diesen Einrichtungen strukturell nichts zu tun, sondern die jeweiligen Kirchen bzw. kirchlichen Organisationen unterstützen diese Arbeit im Hochschulbereich.“

Den interreligiösen Dialog fördern Tarik, Jus-Student und praktizierender Moslem, trennt ebenfalls die Begriffe Religion und Theologie voneinander. Er ist „durchaus der Meinung, dass es Fakultäten geben sollte, die sich mit den theologischen Ansätzen verschiedenster Religionen auseinandersetzen. Religion ist etwas, was mit Überzeugung zu tun hat. Und wenn diese Überzeugung blind ist und auf kein fundiertes Wissen zurückzuführen ist, kann sie durchaus, auf welcher Seite auch immer, gefährlich werden. Daher erachte ich den wissenschaftlichen Diskurs rund um die Religionen für durchaus wichtig. Es hat natürlich historische Gründe, dass es an der Uni Salzburg nur eine katholisch-theologische Fakultät gibt. Es wäre schön, wenn man die theologischen Ansätze anderer Religionen ebenfalls in Salzburg studieren könnte, aber da muss zuerst der Bedarf eruiert werden. Es hat keinen Sinn, Studien anzubieten, die keine Nachfrage genießen. Ich finde es gut, dass man an theologischen Fakultäten eine wissenschaftliche Herangehensweise an Religionen vorantreibt. Es muss einfach mehr Wissen und Gewissen rund um das Thema Glauben und Religion vermittelt werden, damit wir nicht einer blinden Überzeugung gegenüberstehen, die auf keiner wissensbegründeten Basis beruht. Ich denke, dass es derzeit an der Uni Salzburg durchaus möglich ist, seinen Glauben uneingeschränkt auszuleben. Einen Meditationsraum für alle Religionsgemeinschaften würde ich für sinnvoll erachten. Es gibt einfach viele religiöse Menschen in unserer Gesellschaft und eine Räumlichkeit zu schaffen, wo man sich vielleicht vor einer Prüfung kurz zurückziehen und in sich gehen kann, wäre begrüßenswert.“

Grundprinzip der Wissenschaft: die Unabhängigkeit der Forschung Auch Verena, Germanistik-Studentin, findet es wichtig, dass Religionen mit wissenschaftlichen Methoden erforscht werden. Sie spricht sich aber für die Säkularisierung der Universität und die Unabhängigkeit der Forschung in der Theologie aus: „Man

kann Religion sowohl aus historischer, ethnologischer und soziologischer wie auch aus psychologischer oder gar evolutionsbiologischer Sicht betrachten. Diese Forschungen sind aber immer ergebnisoffen, wogegen es an einer, letztlich bis zu einem gewissen Grade dem Vatikan unterstellten Forschungseinrichtung wohl schwer vorstellbar ist, eine Ergebnisoffenheit zu garantieren, die ja auch den Schluss erlauben würde, dass die Frage nach der Existenz Gottes wissenschaftlich irrelevant ist. Aus streng wissenschaftlicher Sicht lassen sich ja nur Phänomene der Religion erforschen, nicht aber ihre Grundlage, da diese ja auf einer Prämisse – es gibt einen Gott – gründet, die genauso wenig beweis- oder widerlegbar ist wie Russells Teapot. Solange der Staat Österreich am Konkordat festhält, wird sich das Paradox, dass Religion als Welterklärungsmodell an einer staatlichen Universität Platz findet, aber nicht lösen lassen. Eine tatsächlich säkulare Universität (in einem tatsächlich säkularen Staat) sollte meiner Meinung nach eines der Ziele einer aufgeklärten Gesellschaft im 21. Jahrhundert sein. Sie würde einen neutralen, weil emotional nicht aufgeladenen Blick auf die verschiedenen Religionen gestatten, könnte dabei helfen, Vorurteile zu beseitigen und böte nicht zuletzt auch die Möglichkeit für Studierende, sich kritisch mit dem eigenen Glaubenssystem auseinanderzusetzen. Und die Fähigkeit, sich kritisch mit sich und den eigenen Grundsätzen zu befassen, ist doch eines der Ziele, die an einer Universität verfolgt werden. Solange organisierte Religionen versuchen, Einfluss auf den Staat zu nehmen, würde ich sie im Zusammenhang mit dem Platz, den sie an der Universität einnehmen sollten, in dieselbe Kategorie einstufen wie politische Parteien. Es spricht meiner Meinung nach absolut nichts dagegen, z.B. muslimischen Studierenden einen Raum zur Verfügung zu stellen, in dem sie beten können – immerhin ist an der Uni ja auch Platz für die politischen Tätigkeiten von Studierenden. Aber genauso wie ich es für moralisch höchst bedenklich hielte, wenn die Universität für eine der regulären Parteien eine Veranstaltung organisieren würde, bei der FunktionärInnen die Gelegenheit gegeben würde, Studierenden ihre politischen Ansichten zu predigen, halte ich es auch für moralisch höchst problematisch, wenn die Universität als staatliche Einrichtung für VertreterInnen etablierter Religionen Veranstaltungen organisiert.“ Seitens der ÖH Salzburg ist eine Diskussion zum Thema Religion an der Uni Salzburg erwünscht. Dazu plant das gesellschaftspolitische Referat Veranstaltungen im Wintersemester. Mehr Infos bald unter www.oeh-salzburg.at


UNI & SERVICE Es klingt ein wenig nach Waldorfschule für Erwachsene oder einer Ausbildungsstätte für utopische Weltverbesserer: die Schule für KaosPiloten. Sie fördert das persönliche Wachstum gleichermaßen wie kreatives Unternehmertum und möchte dabei Menschen hervorbringen, die einen positiven Wandel in der Gesellschaft unterstützen.

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Die KaosPiloten: Wo die Führungskräfte von morgen zur Schule gehen Was hier wohl gerade ausgeheckt wird? Auch kreative Denkprozesse brauchen ein bisschen Übung.

Von Sarah Amberger

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ie dänische Privatschule in Århus, die ihre Studierenden zu KaosPiloten ausbildet, wurde 1991 von Uffe Elbek gegründet und erhielt bereits ein Jahr danach den UNESCO-Titel „bemerkenswertes pädagogisches Konzept“. Verdient hat sie sich diese Auszeichnung mit einem praxisorientierten Unterrichtskonzept für eine alternative Form von Führungspersönlichkeiten, welches sowohl aus Vorlesungen und Projektarbeiten als auch aus Fitnesstraining und persönlichem Coaching besteht. Dabei stellt die Schule in der heutigen Zeit nur allzu bekannte Werte wie Nachhaltigkeit, kulturelle Vielfalt, soziale Innovation und Risikobereitschaft, aber auch Leidenschaft und Kreativität in den Mittelpunkt. Die Idee für diese alternative Ausbildung entstand übrigens nach einem gescheiterten Projekt, als Uffe Elbek sich fragte, welche Ausbildung ihm wohl dabei geholfen hätte, dieses dennoch zu realisieren. Dabei war es dem heutigen dänischen Kulturminister ein Anliegen, eine Schule zu schaffen, die einerseits den Anforderungen des Marktes gerecht würde, in die er aber andererseits auch selbst gerne gegangen wäre. Doch wer sind nun diese KaosPiloten? Was unterscheidet sie von anderen Menschen? „KaosPiloten sind mir immer als die Leute aufgefallen, die richtig gute Fragen im richtigen Moment gestellt haben. Das hat mich neugierig gemacht“, sagt Jara von Lüpke, 22 und Studentin im dritten Semester. Als sie beschloss sich zu bewerben, fand sie sofort Gefallen an Bewerbungsfragen wie „Wann hast du dein Weltbild das letzte Mal verändert und warum?“ oder „Was hast du getan, das dich stolz macht?“. Vor ihrer Ausbildung bei den KaosPiloten hat Jara bereits in verschiedenen Projekten gearbeitet, ein Jahr in Südafrika gelebt und dabei selbstbestimmt studiert: „Schule hat sich immer nach etwas angefühlt, was mich davon abgehalten hat, das zu tun, was ich eigentlich in der Welt bewegen wollte. Nach meinem Schulabschluss wollte ich mehr vom wirklichen Leben erleben und persönlich wachsen (…). So habe ich mir mein eigenes Curriculum geschrieben, mir meine eigenen Mentoren gesucht und mich für zwei Jahre viel mit Kooperation, Lerntheorien, Journalismus, Ansätzen gemeinsamen Gestaltens und Dialogprozessen auseinandergesetzt.“ Bei den KaosPiloten hat sie nun die Gelegenheit, ihr Wissen in den vier Bereichen Führungsentwicklung (Creative Leadership Design), Projektmanagement (Creative Project Design), Prozessdesign (Creative Process Design) sowie Geschäfts- und Organisationsentwicklung (Creative Business Design), die alle auf Englisch unterrichtet werden, zu vertiefen.

Do you wanna be a KaosPilot? Rund 37 Menschen, die in einem mehrstufigen Bewerbungsverfahren sorgfältig ausgewählt werden, nimmt die Querdenkerschule laut CEO Christer Windeløv-Lidzélius jedes Jahr auf. Neben der Matura ist ein Mindestalter von 21 Jahren Vorrausetzung für eine Bewerbung, ein interessanter Lebenslauf schadet natürlich auch nicht. Nach einer schriftlichen Bewerbung, bei der einige ungewöhnliche Fragen zur eigenen Person beantwortet und eine kreative Aufgabe bewältigt werden müssen, werden ungefähr 70 Personen ausgewählt, die an einem dreitägigen Workshop im Frühling teilnehmen. Bei

diesem Workshop werden den BewerberInnen verschiedene Aufgaben gestellt, die den Lehrenden und dem Schulleiter einen Eindruck vermitteln sollen, ob sie sich für diese Ausbildung eignen. Verraten werden diese Aufgaben leider nicht, da die potentiellen KaosPiloten spontan reagieren sollen. Bei den BewerberInnen sucht die Schule laut Christer Windeløv-Lidzélius nach Menschen mit einem kreativen und unternehmerischen Geist, Führungsbereitschaft, der Fähigkeit zum Teamwork und vielem mehr. Die Kosten für die Ausbildung in Dänemark belaufen sich für EU-BürgerInnen auf 138.000 dänische Kronen, das entspricht ungefähr 20.000 Euro. Es gibt die Möglichkeit für Voll- oder Teilstipendien.

Ethik, Spaß und jede Menge Arbeit Um herauszufinden, ob man sich für die Ausbildung zum KaosPiloten eignet, kann man sich auf der Homepage mit Fragen wie „Möchtest du bei Veränderungsprozessen mitarbeiten?“, „Möchtest du Spaß haben und mit Menschen und Ideen arbeiten?“ oder „Bist du eine Person, die Möglichkeiten aus Herausforderungen kreiert und offen für Veränderung ist?“ auseinandersetzen. Egal welche dieser Aspekte potentielle BewerberInnen besonders ansprechen, eines steht jedenfalls fest: „We are all about ethics and action“, sagt Christer Windeløv-Lidzélius. Und danach hört es sich auch an, wenn Jara erzählt, einen wirklichen Schulalltag habe sie nicht. Man unterscheidet ganz allgemein zwischen Vorlesungsphasen und Projektphasen. In einer Vorlesungsphase hat Jara von 9 bis 16 Uhr Unterricht in Århus, meist in Form von ein bis dreitägigen Workshops mit ReferentInnen aus Skandinavien oder anderen Teilen der Welt. Außerdem ist Jara gleichzeitig in verschiedene Schulprojekte involviert, für die man sich trifft und manchmal kommen ganz spontan neue Projekte dazu, berichtet Jara: „Auf den Fluren unserer Schule entstehen aus kurzen Gesprächen

oft große Projekte, eine ‚let´s do it, when do we meet?‘-Atmosphäre liegt in der Luft“. In den Projektphasen sind die Studierenden entweder alleine oder mit einer Gruppe anderer KaosPiloten in anderen Ländern und arbeiten mit KlientInnen. Diese Projekte und die Berichte, die sie darüber verfassen, sind die Grundlage für ihre Prüfungen, in denen sie ihre Arbeit der Schule und den externen PrüferInnen präsentieren. Dabei wird für ein Abschlussprojekt schon mal mehrere Nächte durchgearbeitet, was für Jara in Ordnung ist, denn „es macht Spaß, viel Zeit und Energie in etwas zu stecken, das für mich Sinn macht“. Sinnvoll wirken die Projekte, an denen Jara bereits mitgearbeitet hat in jedem Fall: Mit ihrem Team entwickelte sie eine Marketingkampagne für die israelische Elektro-AutoFirma better place und erstellte einen Businessplan für eine Geschäftsgründung im mexikanischen Oaxaca. Ziel war es dabei, sich dem Müllproblem in Mexiko anzunehmen und Wege zu finden, Müll für die Menschen als Möbel, Schmuck und Haushaltswaren nutzbar zu machen. Die Projekte dienen den angehenden KaosPiloten dazu, sich in einem sicheren Umfeld neue Umsetzungsstrategien anzueignen und eigene Träume umzusetzen, frei nach Woody Allen: „If you are not failing, you haven´t tried anything new.“ Nicht selten entstehen dabei wertvolle Kontakte mit den beteiligten Unternehmen und Jobmöglichkeiten für die Zukunft oder sogar die Gründung eines eigenen Unternehmens. Das führt schon mal zu hohem Erfolgsdruck, man möchte schließlich die sich bietenden Chancen auch bestmöglich nutzen. Nach 21 erfolgreichen Jahren soll das Konzept der KaosPiloten-Schule auch in der Schweiz umgesetzt werden. Heuer startet der erste Jahrgang nach den Prinzipien des dänischen Mutterhauses, aber mit bewusst lokalem Bezug. Während in Århus im ersten Jahr nur dänische BewerberInnen zugelassen waren, ist die Schweizer Ausbildung für alle offen.

Abschluss: zertifizierteR KaosPilotIn Dauer: drei Jahre Wo: in Dänemark und 2012 das erste Jahr auch in der Schweiz Unterrichtssprache: Englisch Kosten: Dänemark: 138.000 DK (ca. 20.000 EUR), Schweiz: 48.000 SF (ca. 40.000 EUR) Mehr Informationen unter: www.kaospilot.dk und www.kaospilot.ch


© ferran (flickr)

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Bachelor und Master

– in 80 Tagen um die Welt studiert? Bachelor und Master wurden europaweit 1999 im Rahmen des Bologna-Prozesses als neues Studiensystem eingeführt. Davon versprach man sich eine erhöhte Mobilität und damit auch bessere internationale Wettbewerbs- und Arbeitsmöglichkeiten. Der sogenannte einheitliche Europäische Hochschulraum sollte bis 2010 geschaffen werden. Wie sieht es zwei Jahre nach dieser Frist aus? Hat die Realität der Vereinheitlichung mal wieder den Rang abgelaufen oder leben wir seitdem in einem einfach strukturierten ‚Hochschulabschlussschlaraffenland‘? Von Gina Klee

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ann ich mit meinem Bachelor/Master in ganz Europa studieren und arbeiten? Der Europäische Hochschulraum sollte es für alle Studierenden möglich machen, ihr Studium innerhalb Europas als gleichwertig anerkennen zu lassen, um dann in einem anderen Land weiter zu studieren oder ihren Beruf ausüben zu können. Bei den meisten Studiengängen ist aufgrund von EU-Richtlinien eine Anerkennung von Hochschuldiplomen und damit ein Berufsrecht gegeben. Am sichersten ist es, die Universität bzw. Fachhochschule selbst nach den Gegebenheiten und benötigten Unterlagen zu fragen. Jede Universität besitzt eine eigene, für Studienangelegenheiten zuständige Stelle, die die Beurteilung des Abschlusses und damit die Gleichstellung durchführt. Wenn ein Studienabschluss nicht direkt anerkannt wird, ist eine Nostrifizierung, also eine Umwandlung des ausländischen Studienabschlusses zu dem des gewünschten Landes, nötig. Das heißt, nicht nur der akademische Grad, sondern auch das Recht der Ausübung des Berufes geht damit einher. Auch das können die Universitäten gegen einen Aufpreis und mit dem Erbringen einiger Unterlagen erledigen. Benötigt werden dabei meist der Reisepass, ein Nachweis über den Status

der ausländischen Bildungseinrichtung, Unterlagen über das Studium, die Urkunde über den Abschluss des Studiums und die Verleihung des akademischen Grades und gegebenenfalls eine Angabe zum angestrebten Beruf. Vorzulegen sind diese Unterlagen in beglaubigter, wenn nötig übersetzter Kopie bzw. wenn möglich im Original. Zu den Kriterien einer Nostrifizierung gehört im Allgemeinen die Überprüfung der Studieninhalte, des Umfangs und der Anforderungen des gewünschten Studiengangs. Laut des österreichischen Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung kann eine Nostrifizierung hin zu einem österreichischen Studienabschluss jedoch nicht erfolgen, wenn „die Unterschiede zum österreichischen Studium zu groß sind“. Solch unpräzise Angaben sprechen zwar nicht gerade für die Transparenz des Verfahrens, aber zumindest gibt es auch nach einer gescheiterten Nostrifizierung die Möglichkeit, sich per Zulassung zu einem ähnlichen Studiengang jene Prüfungen, die gleichwertig sind, anerkennen zu lassen. Das heißt, die fehlenden Voraussetzungen können als ordentlicheR StudierendeR absolviert werden, um dann das Studium fortzusetzen bzw. abzuschließen. Alles scheint so unkompliziert. Wie kann es dann sein, dass Studierende Tätigkeiten nachgehen, die nicht ihren Qualifikationen entsprechen?

Zu Beginn der Einführung des neuen zweistufigen Studiensystems war die Arbeitswelt geprägt von Unsicherheit. Die ArbeitgeberInnen konnten die Qualifikationen der neuen Abschlüsse zunächst nicht einschätzen, was dazu führte, dass viele Studierende Tätigkeiten nachgingen, die nicht ihren Qualifikationen entsprachen. Ähnlich verhält es sich mit ausländischen Studienabschlüssen auch heute noch, wenn sie nicht dem europäischen Bachelor-/Master-System entsprechen. Bevor nicht eine endgültige Gleichstellung des Studienabschlusses mit einem inländischen Studienabschluss geschehen ist und die Qualifikationen nicht eindeutig geklärt sind, hat der/die Studierende meist nicht viele Möglichkeiten. Um nicht lebenslaufschädlich zu handeln, arbeiten die meisten Studierenden lieber, als dass sie als arbeitssuchend gelten. Ähnlich erging es auch Lisa Duke, Medizinstudentin aus Berlin, die mit einem US-amerikanischen Bachelor in Deutschland ihr Studium fortsetzen wollte. Mit ihrem Abschluss wäre sie in den USA perfekt qualifiziert gewesen, um eine gut bezahlte Stelle in einem Labor anzunehmen. In Deutschland hingegen war ihr amerikanischer Bachelor ohne Master im Prinzip nicht viel wert. Die Anerkennung bis hin zur letztendlichen Verwendung des ausländischen Studienabschlusses für ihr weiteres Medizinstudium kostete aufgrund der in Deutschland nicht unüblichen Bürokratie Zeit. Diese

wollte die junge Studentin nicht ungenutzt lassen und verbrachte sie mit einer Tätigkeit, die nicht ihrem Studienabschluss entsprach. Gerade weil Bachelor nicht gleich Bachelor ist, können solche Überbrückungsjobs nicht immer den eigentlichen Qualifikationen des Studierenden entsprechen. Eine Umsetzung des Bachelor-/Master-Systems wäre für die Medizinstudentin erst dann vollendet, wenn ein absolviertes dreijähriges Studium auch als ein solches anerkannt wird und damit international ähnliche Möglichkeiten geschaffen werden. Solange es noch solch große Unterschiede gibt, ist eine ganzheitliche Gleichstellung von Studienabschlüssen nicht möglich. Auch an der Universität Salzburg ist internationales Studieren fast ein Muss. Biologiestudent Michael Bauer möchte nach seinem Bachelor einen Master im Ausland, eventuell in Deutschland, absolvieren. Dass dabei überhaupt der Weg einer Anerkennung nötig ist, war für ihn zunächst neu. Obwohl diese innerhalb Europas kein großes Problem sein sollte, befürchtet er trotz alledem eine Bewertung, die nicht zu seinen Gunsten ausfallen könnte. Die Anerkennung selbst muss natürlich nach bestimmten Richtlinien ablaufen und eine Anerkennung des Abschlusses geht meist mit völliger Gleichstellung einher. Dass österreichische Universitäten ein fünfstufiges Notensystem und deutsche Universitäten ein Notensystem besitzen, bei dem auch Drittelnoten existieren, lässt jedoch die Vermutung aufkommen, dass ein Wechsel von Österreich nach Deutschland die österreichischen Noten herabsetzen könnte. Bei einem Wechsel ist also nicht nur die Anerkennung selbst für den Erfolg im neuen Land wichtig, sondern auch die Gleichstellung der Noten.

… Fazit? Im Grunde genommen hat der Bologna-Prozess einen weiteren Schritt in Richtung Internationalisierung der Bildungsabschlüsse ermöglicht. Anerkennungen verlaufen meist recht schnell und unkompliziert. Falls nicht, ermöglicht die Nostrifizierung fast immer eine andere gute Möglichkeit, in dem gewünschten Land studieren zu können. Die beabsichtigte Erhöhung der Mobilität der Studierenden wurde erreicht und eröffnet nun bessere Möglichkeiten zum Sammeln internationaler Erfahrungen – zumindest innerhalb Europas. Der Blick über den europäischen Tellerrand verdeutlicht jedoch, dass ein ganzheitliches weltweites Studiensystem nicht nur sinnvoll, sondern auch simpler wäre. Dass die positiven Ansätze des Bologna-Prozesses allerdings in dieser Weise weiterentwickelt werden, bleibt in naher Zukunft wahrscheinlich eher Wunschdenken.


POLITIK

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© www.blickreflex.de

Baby Blues „Lasset die Kinder zu mir kommen“, oder wie war das? Der Erlebnisbericht einer jungen Mutter verrät: Die Kinderfreundlichkeit an der Uni Salzburg steckt noch in den Kinderschuhen. Leserbrief von Lisa Moser

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in Kind zu bekommen ist das größte Glück auf Erden – zumindest in der Theorie. Praktisch sind die ersten Monate mit einem Kleinkind für junge Eltern eine belastende Lebensphase – voller Momente, die es nicht ins Familienalbum schaffen: Während kinderlose KollegInnen auf Konzerten kreischen und lallen, verbringen junge Eltern müden Auges Stunde um Stunde an der Seite ihres nachtaktiven Nachwuchses. Endlich wieder einmal auszuschlafen scheint so utopisch wie der plötzliche Ausbruch des Weltfriedens. Tagsüber hetzen studierende Mütter und Väter ins Seminar mit Anwesenheitspflicht und haben ein schlechtes Gewissen, weil sie ihr Kind wieder einmal mit 39 Grad Fieber dem Partner oder den Großeltern übergeben müssen. Und während die Kleintierzüchtungen mancher StudentInnen mittlerweile zu Stammgästen in Salzburgs Hörsälen avancieren, ernten junge Eltern bei Kindergeschrei mancherorts noch immer Kopfschütteln.

Kurzum: Studierende Eltern sind eine Minderheit und nicht immer begegnet man ihnen an der Uni mit offenen Armen. Diese Erfahrung macht auch Lisa Moser, einundzwanzig, Psychologiestudentin, alleinerziehende Mutter eines Sohnes. Einmal wöchentlich hat Lisa zwischen zwei Vorlesungen zu wenig Zeit, um zum Stillen und Wickeln ihres Sohnes nach Hause zu fahren. Deshalb macht Lisa sich in den Gängen der Nawi auf die Suche nach einem beheizten und ruhigen Ort, an dem sie sich um die Bedürfnisse ihres Kindes kümmern kann. Was sie zu Beginn des Sommersemesters nicht ahnt: Ihre Suche wird zur Odyssee ohne Ende, weshalb sie sich mit einem Leserbrief an die Uni:Press wendet:

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ch studiere in Salzburg Psychologie und Erziehungswissenschaften und bin seit Oktober letzten Jahres alleinerziehende Mutter. Zu Beginn des vergangenen Sommersemesters war mein Sohn vier Monate alt und wurde noch gestillt. Aus diesem Grund nahm sich meine Mutter die Zeit, mit ihrem Enkel an die Uni zu kommen, um ihn zum Stillen zu mir zu bringen. Ich fragte im Sekretariat nach, wo ich mein Kind in

So wendete ich mich an die Studienvertretung meines Fachbereichs. Dort hörte man sich mein Anliegen an und hatte die Idee, dass es vielleicht auf der Behindertentoilette eine Wickelmöglichkeit geben könne. Ich machte mich auf die Suche und stellte fest, dass dort kein Wickeltisch vorhanden war. Auf meine Frage, was ich nun machen solle, antwortete der Studierendenvertreter, dass er das auch nicht wisse und wünschte mir zum Abschied viel Glück. Daraufhin kontaktierte ich das Frauenreferat der ÖH. Dieses nahm sich meiner Angelegenheit an und trat an den Betriebsrat und den Vorsitz der ÖH wegen des Problems heran. Der Betriebsrat bat um Geduld und teilte mir mit, dass eine Wickelmöglichkeit in Planung sei. Einige Zeit später erfuhr ich, dass in der Behindertentoilette ein provisorischer Tisch zum Wickeln eingerichtet worden war. Bei dem behelfsmäßigen Wickeltisch handelte es sich allerdings um eine zum Wickeln ungeeignete Liege aus einem Arztzimmer. Mein Baby durfte sich auf der engen Liege keinesfalls bewegen, sonst wäre

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diesem öffentlichen Gebäude wickeln und stillen könne, da es auf den Gängen der Universität sehr schwierig ist, ein ruhiges Plätzchen zu finden, an dem sich ein Säugling beim Trinken nicht erkältet und an dem nicht jedermann meine Brust zu Gesicht bekommt. Die Sekretärin schien überfragt und verwies mich an die Krabbelstube der Universität. Dort wurde mir mitgeteilt, dass man zum Schutz der Kinder keine externen Personen in die Räumlichkeiten der Krabbelstube lassen dürfe. Dort zu stillen sei daher ausgeschlossen. Ich könne aber im Eingangsbereich eventuell mein Kind wickeln. Die Leiterin der Krabbelstube fragte in den ‚Oberen Etagen‘ nach und musste meine Bitte schließlich ablehnen, weil meine Lehrveranstaltung wöchentlich stattfinde und „ja sonst jeder kommen könnte“. Einmalig wäre es aber kein Problem gewesen.

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es beim Wickeln auf den Boden gestürzt. Außerdem ist es seither den RollstuhlfahrerInnen nur mehr schwer möglich, sich die Hände zu waschen, geschweige denn, sich mit dem Rollstuhl in der Toilette um 180 Grad zu drehen, um wieder hinauszufahren – das ist nun nur mehr rückwärts möglich. Aber auch das Problem des Stillens wurde durch das Provisorium auf der Toilette nicht gelöst: Da es auf der Toilette äußerst ruhig ist und nicht so kalt wie auf den universitären Gängen, wäre das Stillen hier zwar rein theoretisch machbar. Praktisch möchte ich das meinem Kind aus hygienischen Gründen nicht zumuten, schließlich bleibt eine Toilette immer eine Toilette – jeder kann sich selbst die Frage stellen, ob er oder sie dort eine Mahlzeit zu sich nehmen möchte. Von den Mitarbeiterinnen des Frauenreferats wurde deshalb schließlich ein Seminarraum an der Universität angemietet, in dem mir das Stillen und Wickeln meines Sohnes gestattet wurde. Aufgrund des großen Ressourcenaufwandes ist jedoch auch das keine Dauerlösung. Das Semester ist mittlerweile zu Ende und aus dem Provisorium auf der Rollstuhltoilette ist eine Dauereinrichtung geworden. Von weiteren Maßnahmen seitens der Universität ist dagegen keine Rede mehr. Deshalb habe ich mir folgende zwei Fragen gestellt: Bin ich die einzige stillende Mutter an der naturwissenschaftlichen Fakultät? Und ist es rechtlich gesehen vertretbar, in einem derart großen öffentlichen Gebäude keinen Rückzugsort für Schwangere und Stillende zu haben – zumal ein solcher laut Arbeitsstättenverordnung für Bedienstete erforderlich ist? Es wäre sehr hilfreich, wenn sich von meinem Bericht jemand angesprochen fühlte, der auch betroffen ist, damit das Problem sichtbar gemacht werden kann. Von den Zuständigen wäre es überaus entgegenkommend, endlich eine adäquate Still- und Wickelmöglichkeit an der Uni zur Verfügung zu stellen.


18 POLITIK

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On the road „Griechenland wählt das Chaos“, titelte die BILD nach dem ersten Urnengang der Hellenen am 6. Mai dieses Jahres. Ungeachtet dessen beschloss ich diesen Sommer, einen Roadtrip zu bestreiten. In insgesamt 6 Wochen absolvierte ich die Strecke Thessaloniki-Athen auf dem Landweg und setzte dann auf die Kykladeninsel Andros über. Ein für StudentInnen unerschwinglicher Urlaub? Mitnichten! Auch mein Portemonnaie ist schmal, ich habe keine reichen Eltern und mit Lotto habe ich es aus Prinzip noch nie versucht. Um mir das „Chaos“ dennoch gönnen zu können, griff ich auf die Plattform couchsurfing.com zurück und arbeitete auf Andros bei einem Umweltprojekt für Kost und Logis. Der Einblick in die griechische Seele, der mir auf diese Weise gegönnt war, ist unbezahlbar. Von Christopher Spiegl

A

ngekommen am Flughafen in Thessaloniki werde ich von Ioanna in der Besucherhalle empfangen. Die 20-jährige KoWi-Studentin hat mich mit ihren blitzblauen Augen schnell ausfindig gemacht und bringt mich zu ihrer Wohnung. Da sie nie im Ausland war, erhofft sie sich durch die Plattform couchsurfing mehr Kontakt mit fremden Kulturen und Diskussionen über Gott und die Welt. Diskutieren sei immerhin Nationalsport der Griechen, meint sie. Als ich ihr von der bereits erwähnten BILD-Schlagzeile erzähle, muss sie kurz lachen und entgegnet sarkastisch: „Und all die Jahre vor diesem Chaos hatten wir eine funktionierende Regierung, die uns in diese wunderbare Lage gebracht hat!“ Die Politikverdrossenheit ist groß und dennoch denkt sie, dass es jetzt irgendwie nur noch besser werden kann. Ich erfahre, dass sie als Nachrichtensprecherin beim staatlichen Fernsehen arbeitet, eine Anstellung, auf die sie sehr stolz ist. Als sie ihren Bachelor abschloss, musste sie sich zunächst mit Aushilfsjobs über Wasser halten. Sie erhält kein regelmäßiges Gehalt, maximal 200 Euro pro Monat und das nach Lust und Laune ihres Chefs. Sie findet das aber nicht schlimm, schließlich hat sie das Geld von den Aushilfsjobs angespart und kann jetzt wertvolle Praxis sammeln. Sie resümiert nüchtern: „Es ist wichtig, dass ich im Geschäft bin. Und außerdem bekomme ich im Krankenhaus und beim Arzt schnellere Behandlung, wenn sie wissen, dass ich beim Fernsehen arbeite.“ Das Gepäck lassen wir in der Wohnung, die Couch sieht für mich surftauglich aus und wir gehen in ein Café am Aristotelou-Platz. Nachdem der Kaffee serviert wurde, bezahlt man sofort. Diese Praxis, die ja auch in Österreich je nach Lokalität gängig ist, kommentiert Ioanna mit einen Augenzwinkern: „Das sofortige Bezahlen ist eine Konsequenz der Krise – es kam oft vor, dass Leute ihre Getränke einfach nicht bezahlt haben.“ Die nächsten Tage in Saloniki erweisen sich als äußerst angenehm. Die Stadt ist pulsierend, geschichtsträchtig und für mediterrane Standards sehr sauber. Die reiche Geschichte der Stadt ist Segen und Fluch zugleich; vergeblich versucht man seit 10 Jahren eine U-Bahn zu errichten. Kaum wird der erste Spatenstich getätigt, muss man schon ArchäologInnen verständigen. Ioanna erklärt mir auch, dass man den Menschen von Saloniki eine gewisse Melancholie nachsagt. „Saloniki ist anders als andere Städte in Griechenland“, erklärt sie. Im Zuge der Vertreibungen der Griechen aus Istanbul und von der ionischen Küste verzeichnete Saloniki in den 1920er Jahren einen enormen Zuwandererstrom. Nachwehen dieser ‚Repatriationen‘ werden mir dann

auch beim Besuch des städtischen Museums bewusst. Der Eintritt ist, wie in allen anderen Museen Griechenlands, frei und bietet die griechische Sichtweise der Ereignisse des Griechisch-Türkischen Krieges (1919–1922). Geschichte ist natürlich ein Konstrukt und wird oftmals nach Geschmack modelliert. So ist das Museum in Thessaloniki mit einem leichten Hauch von Melancholie und der Möglichkeit versehen, die Geschichte nach den eigenen Bedürfnissen zu modellieren. Nach gut einer Woche verlasse ich Saloniki mit dem Bus Richtung Volos, der Stadt im Pelion-Gebirge. Als wir schon im vollen Bus sitzen, steigt eine ältere Dame ein und – wie auf ein Kommando – springen alle auf und bieten ihren Sitzplatz an. Im Laufe meiner Reise finde ich besonderen Gefallen am generationsübergreifenden Umgang. Hier spricht man sich auch, wenn man sich nicht kennt, mit „Mutter/Vater“ oder „Tochter/Sohn“ und mit diversen Liebkosungen an. Dem gegenüber stelle ich „Frotzn“ und „Oida“, wie ich es aus meiner ostösterreichischen Heimat kenne. Die griechischen Rentner werden mir immer sympathischer und werden mich auf meiner Reise noch mehrmals in Staunen versetzen. Als ich in Volos aussteige, erwartet mich bereits Alexandros, ein stämmiger Mittzwanziger mit Vollbart. Er erinnert mich an einen Protagonisten aus der Comic-Verfilmung „300“. Mit „Es ist mir eine große Ehre“ begrüßt mich Alexandros in akzentfreiem, fließendem Deutsch. Lediglich seine Wortwahl (wie bei der Begrüßung) lässt darauf schließen, dass er noch nie längere Zeit in einem deutschsprachigen Land gelebt hat, und er klingt eher so, als ob er aus einem Gedichtband vorliest. Sein Vokabular ist zu perfekt! Ich fühle mich wie ein Versuchskaninchen, mit dem man endlich eine Sprache ausprobieren kann. Bei der Autofahrt zu meiner neuen Couch erklärt er mir dann auch, warum er unbedingt Deutsch lernen wolle. Vor einem Jahr habe er sein Medizinstudium abgeschlossen, er sei Zahnarzt und wolle unbedingt ins Ausland. Bei den mit 18 Jahren absolvierten Panelladikes (eine Art Zentralmatura, die praktischerweise auch als Zugangsbeschränkung für die Universitäten dient) war er unter den 20 besten SchülerInnen Griechenlands, hatte quasi freie Wahl für das Studium und entschied sich für Zahnmedizin. Ein verlockendes Stipendium des griechischen Militärs nahm er an, da er – aus einfachen Verhältnissen stammend und um seine Eltern nicht mehr zu belasten – Unterkunft und Verpflegung von staatlichen Einrichtungen erhielt. Gleichzeitig verpflichtete er sich damit auch, für 30 Jahre in einem Militärspital zu arbeiten und ist jetzt in der Realität angekommen: 900 Euro Einstiegsgehalt und kein 13. und 14. Gehalt mehr. „Das ist zu wenig für eine Familie“, meint er und erklärt mir, dass er

gerne seine Freundin heiraten würde, aber zuerst seinen Schwiegervater davon überzeugen müsse, dass er eine Familie ernähren könne. Darum möchte er am liebsten in die Schweiz, sein Bruder sei auch schon dort und arbeite als Allgemeinmediziner. Alexandros’ Problem ist, dass er für den Fall, dass er die Armee verließe, die Unsumme von 125.000 Euro als Entschädigung für das Stipendium zahlen müsste. Eine Hürde, die ihm allerdings weniger Sorgen zu bereiten scheint, als die 900 Euro, die er gerade verdient. Anschließend lerne ich Alexandros’ ganze Familie kennen und nehme in der folgenden

Woche geschätzte zehn Kilo zu, einfach weil man mich immer bekocht oder – das ist für Volos typisch – man geht etwas trinken und bekommt gratis eine Mahlzeit dazu! Besonders empfehlen kann ich so genannte Tsipouradika, bei denen es pro bestellter Runde Tsipouro (= Anis-Schnaps) auch eine Riesenportion frischen Fisch und Meeresfrüchte für den ganzen Tisch gibt. Während meiner Mastkur in Volos widme ich mich dennoch nicht nur dem Essen – ausgedehnte Wanderungen auf dem, auch im August herrlich grünen PelionGebirge und traumhafte Strände veranlassen mich an dieser Stelle, fast wie in einer Werbebroschüre zu klingen. Besonders hervorheben möchte ich auch noch meine erste Begegnung mit deutschsprachigen Touristen, welche allerdings einen Yacht-Urlaub bevorzugten. Das Besondere war nun, dass sie – aus Berlin stammend – unter österreichischer Flagge segelten, da sie nicht als „Merkels“ gebrandmarkt sein wollten. Die griechische und deutsche Boulevardpresse hat wohl allerbeste Arbeit geleistet.

Sichtlich upgegradet im Sinne meines BodyMaß-Indexes, fahre ich nach Athen, um die Couch von Andreas und Othonia zu surfen. Das junge Lehrerpärchen wohnt in einem gemütlichen Mehrparteienhaus in Nea Ionia („Neu-Ionien“) und als ich Andreas meine Eindrücke aus dem Museum in Thessaloniki und von dem Vortrag in Salzburg über Atatürk erzähle, erklärt er mir, dass auch seine Großeltern aus Izmir stammten. „Was nützt einem das Jammern? Geschichte an sich hat seine Vor- und Nachteile, aber vergessen wir nicht dabei, dass wir heute leben?“ Auch die beiden Lehrer, die sich übrigens trotz der Krise eine eigene Englisch-Schule aufgebaut haben, nähren mich im Übermaß und ich sehne mich schon nach Andros, um endlich bei der Arbeit ein nicht so schlechtes Gewissen bezüglich der Gastfreundlichkeit und meiner Kilos zu haben. Am Hafen von Piräus treffe ich dann auch schon die anderen TeilnehmerInnen des Workcamps – ein hübscher Querschnitt durch den europäischen Kontinent von Portugal bis Russland – und unser bunter Haufen setzt nach Andros über. Dort werden wir von Elena – der Obfrau der Freiwilligenorganisation ELIX – abgeholt. Sie versetzt uns in Staunen, denn die ältere Dame, die wir alle höchstens als Mittfünfzigerin einschätzen, ist ein wahres Energiebündel und feierte gerade ihren achtzigsten Geburtstag. Um uns noch mehr zu verblüffen, klettert die Power-Oma auf den nächsten Baum, während sie uns erklärt, dass sie ELIX seit mehr als 20 Jahren leitet und Sozial- und Umweltprojekte in ganz Griechenland organisiert. Für die nächsten 2 Wochen sind wir in einer Schule einquartiert, führen ein kommunenartiges Zusammenleben und restaurieren (zum Teil antike) Wanderwege. Die Arbeit ist hart und dennoch ist der Lohn und die Erfahrung, die wir dafür bekommen, einfach unbezahlbar. Die Gastfreundschaft

und Dankbarkeit der Dörfer, die wir nach unseren 5-Stunden-Arbeitstagen in der prallen Sonne besuchen, geht so weit, dass wir fast täglich lokale Speisen und Getränke serviert bekommen, MusikerInnen für uns aufspielen und wir zumindest die Möglichkeit haben, die komplizierten 9/4-Takt-Tänze zu erlernen. Zur Perfektion bringen wir es nicht, aber dennoch macht es mehr Spaß als jedes Bierzeltgehopse. Die Tage verstreichen wie im Flug und bald lasse ich das griechische Chaos hinter mir und kehre nach Salzburg zurück – mit schwerem Herzen und um zahllose Erfahrungen reicher.

Grenzenlos (Österreichische Dachorganisation, die Workcamps vermittelt) www.grenzenlos.or.at ELIX (Volunteering in Griechenland) www.elix.org.gr WWOOF (World Wide Opportunities on Organic Farms) www.wwoof.org Couchsurfing www.couchsurfing.org


POLITIK

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© Melani Schaller (pixelio)

Im Herzen Londons regiert das moderne Mittelalter

Was hat ein Shopping-Wochenende in London mit Angela Merkel zu tun? Auf den ersten Blick wenig. Allerdings entspricht das politische System im Herzen Londons ziemlich genau jener Vorstellung von Demokratie, die Merkel als Lösung der Euro-Krise vertritt, wenn sie in Pressekonferenzen von „marktkonformer“ Demokratie spricht. Was wie ein demokratieverhöhnender Witz klingt, ist in London längst Realität. Von Kay-Michael Dankl

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m Mittelpunkt der Hauptstadt Großbritanniens – einer der ältesten Demokratien der Welt – liegt die „City of London“. Dieser innerste Stadtteil misst rund drei Quadratkilometer und umfasst vorwiegend Geschäfte, Banken und andere Finanzunternehmen. Das Kuriose: Die City of London ist als zeremonielle Grafschaft verfasst! Wer nun in Analogie zum britischen Königshaus einen harmlosen monarchistischen Überbau einer funktionierenden Demokratie vermutet, irrt. Denn die Grafschaft wird von der „City of London Corporation“ verwaltet. Diese Verwaltungseinheit umfasst 25 Wahlkreise. In vier davon sind die rund 9.000 BewohnerInnen der City wahlberechtigt. In den anderen 21 Wahlkreisen üben ansässige Unternehmen das Wahlrecht aus. Je mehr MitarbeiterInnen eine Firma hat, desto mehr Stimmen kann das Management bei den kommunalen Wahlen abgeben. Die Mehrheit der Stimmen und Wahlkreise wird nicht von natürlichen Personen, sondern von Firmen kontrolliert.

Von Kerzenmachern und Taxifahrern Die Skurrilität dieser Bestimmungen wird durch die Vorschriften für das passive Wahlrecht übertroffen. Es gibt vier öffentliche Ämter, die gewählt werden: Ratsmitglieder, Ratsherren, Sheriff und Oberbürgermeister. Um für die Funktion des Sheriffs oder Oberbürgermeisters zu kandidieren, muss man einer der 25 Ratsherren der City sein. Um Ratsherr zu werden, ist ein Ratsmandat aus einem Wahlkreis sowie die Zustimmung der anderen Ratsherren und des amtierenden Sheriffs notwendig. Gute Chancen, ein Ratsherr zu werden, hat, wer Mitglied einer Zunft ist. Die Zünfte sind mittelalterliche Berufsvereinigungen, z.B. jene der Fassbinder, Fischhändler, Pfeilmacher, Steinmetze und Zinngießer. Es gibt aber auch neuere, wie etwa jene der Architekten, internationalen Banker, Schiedsleute und Steuerberater. Die Zünfte haben eigene, intransparente Aufnahmeverfahren. Die 108 Wirtschaftsverbände haben nicht nur zeremonielle Funktionen, vielmehr wählen sie den Sheriff und den Oberbürgermeister der City of London! Hinzu kommt, dass der Oberbürgermeister vermögend sein muss, da private Beiträge zum Jahresbudget der „City of London Corporation“ erwartet werden. Wozu dient diese komplizierte und demo-

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kratiepolitisch haarsträubende Konstruktion? Handelt es sich um ein Relikt aus früheren Zeiten, das zu reformieren schlichtweg vergessen wurde? Das Gegenteil ist der Fall – die „City of London Corporation“ ist auf der Höhe der Zeit. Sie schreibt auf ihrer Website ganz offen: „This process […] is designed to produce the best possible global ambassador for the UK-based financial services industry.“

Politik ist Profit Das politische System der City of London dient nicht der demokratischen Vertretung des WählerInnenwillens, sondern den Interessen der Finanzwirtschaft. Nach offiziellen Angaben der Corporation ist es Aufgabe des Oberbürgermeisters, der Finanzindustrie die Türen zu den obersten Etagen der Politik zu öffnen und die Deregulierung der Finanzmärkte voranzutreiben. Die City of London hat im Laufe der Jahrhunderte zahlreiche Privilegien angehäuft: Sie untersteht nicht der Kontrolle des britischen Parlaments, sondern direkt dem Königshaus. Sie verfügt über eigene Polizeikräfte, die rigoros gegen systemkritischen Protest vorgehen. Sie genießt Gesetzeshoheit in wichtigen Bereichen der Wirtschaftspolitik. Dadurch ist die City of London zu einer Steueroase aufgestiegen, die in Sachen Steuerhinterziehung, Geldwäsche und Geheimniskrämerei sogar die Schweiz in den Schatten stellt. Und die City of London übt großen Einfluss auf das britische Parlament und die Regierung aus.

Staat im Staat Der Sonderstatus der City of London ist ein Grund, warum eine effektive Regulierung der internationalen Finanzmärkte bis dato unmöglich war. Es ist bezeichnend, dass die Firma Lehman Brothers, deren drohender Bankrott die Finanzkrise 2008 auslöste, in der City of London registriert war. Die Versuche britischer Regierungen, die Macht der City of London zu brechen und sie zu demokratisieren, scheiterten. Da Großbritannien über keine einheitliche Verfassung verfügt, sind die Privilegien der City of London kaum bekannt. Die City of London ist der Inbegriff des Merkel’schen Demokratiemodells, das die Interessen der Finanzmärkte über demokratische Willensbildung stellt. Wer sich dieser Tage mit dem Konzept der „marktkonformen Demokratie“ ins Bett legt, könnte in einer Plutokratie mit Zünften, Gilden und wahlberechtigten Firmen aufwachen.


20 POLITIK

Regionalstadtbahn als Verkehrslösung Die ÖH unterstützt den Bau der Regionalstadtbahn Salzburg-Bayern-Oberösterreich. Das Projekt sieht Eisenbahnverbindungen in die Regionen und eine Straßenbahn für Salzburg vor. Alle Unistandorte bekämen eine eigene Haltestelle.

EU hilft mit, Salzburg weigert sich Da die RSB bis nach Bayern fahren soll, gilt die Initiative als „EuRegio“-Projekt und wird von der Europäischen Union kofinanziert. Zurzeit läuft eine Machbarkeitsstudie, die den Umsetzungsrahmen definieren soll. Die 1,1 Millionen Euro teure Studie wird von der EU zu 50 Prozent bezahlt, den Rest übernehmen die Gemeinden. Bürgermeister Heinz Schaden weigerte sich jedoch, die Machbarkeitsststudie auch für die Stadt Salzburg durchzuführen. „Gerade junge Menschen in Ausbildung haben ein sehr hohes Mobilitätsbedürfnis. Es ist längst überfällig, dass die Weichen für ein flächendeckendes, leistungsfähiges und

vor allem leistbares öffentliches Verkehrssystem gestellt werden. Ein solches kann auch innerstädtisch nicht ohne Schienenverkehr auskommen. Salzburgs O-Busse können diesem Anspruch schon lange nicht mehr gerecht werden“, begründet Simon Hofbauer, Vorsitzender der ÖH Salzburg, die Entscheidung, dem Verein zur Förderung der Regionalstadtbahn beizutreten. Die EU würde bei Umsetzung der Regionalstadtbahn Salzburg-Bayern-Oberösterreich 20 Prozent der Investitionskosten tragen. Auch die betroffenen Gemeinden würden ihren Beitrag zum Projekt leisten. Die Machbarkeitsstudie läuft noch bis Dezember 2014. Die Stadt Salzburg könnte sich noch daran beteiligen: „Wir RSB-Bürgermeister sind zu einem Verkehrsdialog bereit. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt für eine breite Verkehrsdiskussion gekommen“, sagt RSB-Obmann Martin Greisberger, Bürgermeister der Gemeinde Thalgau. Im Verein zur Förderung der RSB sind 161.266 BürgerInnen vertreten und die ÖH Salzburg sorgt dafür, dass auch die studentischen Stimmen gehört werden. Das Ziel ist klar: Weniger Autos auf den Straßen, ein langfristiges, zukunftsträchtiges und umweltfreundliches Verkehrskonzept für Salzburg und die Anbindung der Pendlerregionen bis nach Bayern. Andere Städte wie Heilbronn und Heidelberg machen es vor. Hier hatten ähnliche Straßenbahnsysteme großen Erfolg und sollen nun als Vorbilder für Salzburg fungieren.

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ie Situation auf Salzburgs Straßen, ob für Auto oder Bus, ist untragbar. Die Verkehrsbelastung wird in den nächsten 20 Jahren um 30 Prozent steigen. Die Stadtpolitik hat keinen Plan, um mit der Entwicklung klarzukommen. Das sind die Fakten, mit denen man in der Verkehrsdiskussion konfrontiert wird. Die ÖH hat sich entschlossen, nicht mehr länger zuzusehen, wie Salzburg im Straßenverkehr erstickt, während man im Rathaus wegsieht. Seit kurzem ist die ÖH Salzburg deshalb Mitglied im Verein zur Förderung der Regionalstadtbahn Salzburg. Neben der ÖH und dem Verein „Bürger für Thalgau“ unterstützen 29 Gemeinden (unter anderem aus Bayern und Oberösterreich) den Bau einer Regionalstadtbahn. Eine Kombination aus Eisenbahn und Straßenbahn soll die PendlerInnen in den Regionen abholen. Geplant sind vier zentrale Strecken, die Gebiete vom Mondsee bis ins Berchtesgadener Land sowie die Stadt Salzburg und alles im Umkreis von 50 Kilometern mit einem zukunftsträchtigen Verkehrssystem versorgen sollen. Aber auch wichtige Knotenpunkte in der Stadt, wie der Flughafen oder das Messezentrum, sind als eigene Haltestellen geplant. Für die Stadt Salzburg soll eine Straßenbahnlösung die Verkehrsbelastung entschärfen. Die geplante Linienführung in Salzburg-Stadt beginnt am Lokalbahnhof. Die Salzburger

Lokalbahn (SLB) soll bis ins Stadtzentrum unterirdisch verlängert werden. Dort ist der Umstieg auf die oberirdische Straßenbahn möglich. Die Straßenbahn fährt als Zug von Mondsee in die Stadt, wird dort zur Straßenbahn und verlässt Salzburg Richtung Schönau am Königssee. Diese Linie gilt als Hauptverkehrsader und soll als erstes umgesetzt werden. Sie bindet neben Mondsee auch noch Thalgau, Hof, Eugendorf und Hallwang an und endet erst in Bayern. Die Unistandorte der Naturwissenschaftlichen Fakultät, der Gesellschaftswissenschaften und des Uniparks werden mit einer eigenen Straßenbahnhaltestelle angebunden. Radwege oder Grünflächen sind durch die geplante Streckenführung nicht betroffen.

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Von Melanie Berger

Osteuropa vor der Haustüre Das Institut der Regionen Europas bringt Salzburg näher an Osteuropa heran. Wer dabei mithelfen will, kann sich durch ein Praktikum einen Einblick holen, was jenseits des Burgenlandes los ist. Von Robert Hecker „Ich hatte im Studium eine Menge Theorie über die EU allgemein, die Europäische Kommission oder das Parlament gehört, aber erst durch das IRE konnte ich erfahren, wie die Institutionen praktisch arbeiten und auf was es dabei ankommt“, sagt Aaron Gottardi, EUStudies-Absolvent an der Uni Salzburg. Das seit 2004 bestehende Institut der Regionen Europas hat sich als gemeinnützige wissenschaftliche Einrichtung in Salzburg ganz den europäischen Idealen verschrieben.

Projekte bürgernah vorantreiben Dabei geht es vor allem darum, Politik, Wirtschaftsunternehmen und die Zivilgesellschaft zusammenzubringen, um somit die BürgerInnenpartizipation zu fördern. „Wir haben zum Beispiel den kroatischen Regionen vor Ort geholfen, fit für den EU-Beitritt zu werden“, so Generalsekretär Dr. Joachim Fritz. „Leider stößt man jedoch oft auf Skepsis seitens politischer EntscheidungsträgerInnen, wenn es darum geht, Projekte nah am/an der BürgerIn voranzubringen, obwohl gerade auf der unteren Ebene schnelle, sichtbare Resultate erzielt werden können.“ Wer zu einer Stärkung des Europas der Regionen beitragen will, für den bietet das Institut die Möglichkeit eines Praktikums an. Seit

2005 haben bereits 120 Studierende aus allen Ecken Europas davon profitiert. Das IRE stellt jeden Monat zwei Plätze für Interessierte zur Verfügung. Willkommen ist grundsätzlich jeder, wie Joachim Fritz hervorhebt: „Wir sind für alle offen und hatten schon Volontäre und Volontärinnen vom Maturanten bis hin zur Doktorin. Die einzige Voraussetzung ist ein Europabezug.“ Durch eine Kooperation mit der Uni Salzburg wird die Arbeit mittlerweile als Pflichtpraktikum anerkannt. In diesem Fall kann die Tätigkeit bis zu acht Wochen dauern, ansonsten sind vier Wochen üblich. Das Beschäftigungsfeld beim IRE ist breit gefächert.

‚The stage is what you make of it‘ Die Hauptaufgabe besteht für PraktikantInnen darin, eine Kurzstudie über eine europäische Region zu verfassen, die in den Nationalbibliotheken Berlin und Wien, der Unibibliothek, dem Landesarchiv Salzburg sowie dem Leibniz-Institut in Leipzig frei zugänglich aufbewahrt wird. Darüber hinaus entscheidet auch die eigene Motivation, welchen Nutzen man aus der Zeit beim IRE zieht. „The stage is what you make of it“, lautet der Leitspruch. „Am interessantesten ist meist die Vorbereitungsphase auf

eine unserer Veranstaltungen, wie der ‚Konferenz der Europäischen Regionen und Städte‘ im September. Wer sich einbringt, dem bieten sich gute Chancen, selbst mitzufahren“, erläutert Fritz. Aaron Gottardi pflichtet dem bei: „Ich habe 2010 beim ‚Europacafé‘ in Jennersdorf mitgearbeitet und dadurch Kontakte zu PolitikerInnen und Unternehmen aus verschiedenen Regionen Europas geknüpft.“ Das IRE eignet sich also gut zum Netzwerken, einige Ehemalige konnten durch die Mitarbeit sogar einen Job an Land ziehen. Für das IRE ist es ein wichtiges Anliegen, dass am Ende für beide Seiten ein Mehrwert entsteht. „Deshalb halten wir zu unseren früheren PraktikantInnen Kontakt. Jeder wird zu allen weiteren Events eingeladen“, wie Joachim Fritz zum Schluss versichert. Weniger Arbeit wird es in Zukunft wohl nicht geben. „Wir denken heute bereits über die EU hinaus und pflegen gute Kontakte auf dem Balkan. Ab 2013 soll mit der Schwarzmeerregion ein neuer Schwerpunkt hinzukommen, vor allem mit Georgien laufen gerade Gespräche.“ Dafür ist dem IRE sicher jede Hilfe herzlich willkommen.

Weitere Informationen über das Praktikumsprogramm, Veranstaltungen und News des IRE unter der Website http:// www.institut-ire.eu/ Aktuelle Schwerpunkte des Instituts sind Energie-, Verkehrs- und Standortpolitik. Das IRE zahlt für vierwöchige Praktika 200 €, Mitarbeit bei Veranstaltungen wird extra vergütet. Das Büro des IRE befindet sich am FranzJosef-Kai 1, direkt beim Hanusch-Platz.


KULTUR

PERSÖNLICHKEITSTEST

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— Der ultimative WG-Test —

Was für einE MitbewohnerIn bist du? Das neue Studienjahr hat begonnen. Das bedeutet für viele wieder Umzugsstress und den Versuch einer individuellen Lebensraumgestaltung. Doch was, wenn die Kohle für das 300 m²-Loft am Mirabellplatz nicht ausreicht? Dann bleiben wohl nur die Optionen Heim – oder noch besser WG. Von Jürgen Plank Es gibt viele Gründe, die für das Leben in einer Wohngemeinschaft sprechen: Man lernt stets neue Leute kennen, feiert Partys, kocht und lacht gemeinsam und kann aktive und passive Feldforschung über das Verhalten geschlechtsreifer Studis zur Paarungszeit betreiben. Doch was ist, wenn sich der WG-Mitbewohner als Hardcore-Messie oder Krawallfürst entpuppt? Was, wenn die blonde und zu Beginn noch so schüchterne Studienanfängerin aus Hintertupfing plötzlich zum männerverschlingenden Sexmonster avanciert und jede Nacht gegen 2.30 Uhr ein anderer temporärer Coitus-Partner mit 120 Dezibel und gutturalen Lauten sein Wohlbefinden kundtut? Zu welcher Spezies du selbst zählst, verrät dir die Uni:Press mit ihrem ultimativen WG-Test. Perfekt zur Selbstfindung und prädestiniert für das nächste WG-Casting.

Als du in die WG eingezogen bist, … a) … hast du erst einmal ein Sechsertragerl zum Einstand spendiert und sofort die Hälfte aller Kommilitonen aus deinen Seminaren zur Einweihungsparty eingeladen – das Zimmer kann man ja später auch noch einrichten. Und geschlafen wird heute sowieso nicht! b) … hast du erst einmal die Räumlichkeiten der anderen begutachtet – auf der Suche nach etwas Praktischem für dein eigenes Zimmer. c) … hast du gleich dein zukünftiges Zimmer steril gereinigt und dabei auch noch die ganze Wohnung gesaugt, geputzt, umdekoriert und dekontaminiert. d) … hast du erst einmal einen Bodycheck der MitbewohnerInnen initiiert. e) … hast du die halbe WG mit deinen Umzugskartons vollgeräumt und diese dann ein halbes Jahr liegen lassen. f) … hast du erst einmal deine Batman-Figuren heroisch am Fensterbrett positioniert, danach den Rechner angeworfen und gezockt. g) … hast du erst einmal alle einen Sesselkreis in der Küche bilden lassen, um euch via Wollknäuel-Zuwerfspiel kennen zu lernen.

In der Serie How I Met Your Mother wärst du … a) Ranjit, der Taxifahrer aus Bangladesch. b) Lily Aldrin. c) Marshall Eriksen. d) Barney Stinson. e) Robin Scherbatsky. f) gar keiner. Du wärst Dr. Dr. Sheldon Lee Cooper aus The Big Bang Theory. g) natürlich Ted Mosby.

Ein perfekter WG-Abend bedeutet für dich ... a) …, wenn alle vorbeikommen und ein legendärer, feuchtfröhlicher Abend der Marke ‚No Tomorrow‘ auf euch wartet. b) …, wenn die anderen genügend Bier und Lebensmittel eingekauft haben und einem exzessiven Gelage somit nichts mehr im Wege steht. c) …, wenn du endlich einmal Zeit hast, das Chaos im Gang und in der Küche zu beseitigen und danach das Bad zu putzen. d) … die Nachstellung deiner Lieblingsszenen aus 9 ½ Wochen oder Eyes Wide Shut. e) …, wenn du endlich einmal nicht angenörgelt wirst, sauber zu machen. f) … eine Partie Dungeons & Dragons zu gewinnen und den Tag schlussendlich damit abzurunden, endlich den Spock-Koma-Griff zu perfektionieren, um nicht mehr von den Rowdys am Rudolfskai gepiesackt zu werden. Als Bettlektüre folgt dann noch das intensivierte Vokabellernen im Buch Klingonisch für Fortgeschrittene. g) …, wenn ihr euch nach einem gemeinsamen Essen zusammensetzt, um Namensschilder für die Zimmertüren zu weben, welche zur Orientierung beitragen und durch die gemeinsame Produktivität das WG-Klima verbessern.

Deine Lebensmittelvorräte im Kühlschrank bestehen aus … a) … Bier, Knabberzeug im Partymix, Pizza und mehr Bier. b) … dem, was die anderen eingekauft haben. Meistens ist eh genug da. c) … ausgewogenen und ballaststoffreichen Lebensmitteln. Aber Hauptsache, sie machen keinen Dreck. d) Hauptsache heiß! Und viel Schlagsahne! e) … der alten Pizza vom Lieferanten von vorgestern, den drei übrig gebliebenen Chicken Nuggets und dem halben Schokoriegel, den irgendjemand liegen hat lassen. f) Im Kühlschrank ist gar nichts. Ich ernähre mich vorwiegend in der Mensa oder von Studentenfutter und Kaffee intravenös. g) … mediterranem Brotsalat mit Zitrusfrüchten und dazu noch etwas eingelegtem Obst in Mango-Sternanis-Marinade. Alles bio natürlich!

Es herrscht WG-Vollversammlung, um den monatlichen Putzplan aufzustellen. Wie ist dein Statement?

Es steht eine WG-Party an! Wen lädst du ein und wie soll die Party aussehen?

a) Wofür einen Putzplan? Wir können doch daraus eine wöchentliche Putzparty mit Musik machen! b) An jenen Tagen, an denen ich zum Putzen eingeteilt bin, weile ich fern der WG und widme mich im Müßiggang den wichtigsten Fragen der Menschheitsgeschichte: Ein Butterbrot landet beim Herunterfallen immer auf der Butterseite, eine Katze auf den Beinen – was passiert aber, wenn man einer Katze ein Butterbrot auf den Rücken bindet? c) Warum ein Putzplan? Es ist doch sauber! Ich hab doch eben die Toilette mit milder Scheuermilch gereinigt, die Regale feucht ausgewischt, die Utensilien sortiert und entsorgt und die Kosmetikschwämmchen und Bürsten gesäubert. Davor habe ich die Küche mit einem Mikrofasertuch feucht abgewischt und das Geschirr für alle gespült. d) Ich beuge mich dem Putzplan. Aber ich neige dazu, stets nur nackt zu putzen … e) Nur ein Kleingeist hält Ordnung, das Genie überblickt das Chaos! f) Reinlichkeit erscheint mir sinnvoll. In Hogwarts gibt es einen Putzdienst. Raumstation Babylon 5 würde auf Kosten des Diogenes-Syndroms Effektivitätseinbußen erleiden und auch der Androide C-3PO aus Star Wars wird regelmäßig gewartet und gereinigt. g) Ich bin sowohl Putzplan-Vorstandsfunktionär als auch Schriftführer und achte akribisch darauf, dass alle Aufgaben ordnungsgemäß verteilt werden. Den Putzplan kopiere ich zehnmal und hänge ihn in einer wasserabweisenden Klarsichtfolie an jede Tür, den Kühlschrank und vor die Toilette. Es soll keiner sagen, man hätte ihn nicht finden können.

a) Ich lade ALLE ein! Eine Party ist nur dann gut, wenn du am nächsten Tag im Bad aufwachst, absolut keine Erinnerung mehr an die letzte Nacht hast, die Matratze an der Hausfassade hängt, jemandem der äußere Schneidezahn fehlt und im Bad ein Tiger auf dich wartet! b) Egal. Hauptsache, die anderen nehmen genug zu essen und zu trinken mit! c) Party? Party?! Danach ist ja die Wohnung das reinste Chaos! Wir müssen die Party absagen! d) Ich lade die heißesten Kommilitonen und Kommilitoninnen ein und schlage vor, eine Party ganz nach den Vorstellungen des römischen Kaisers Caligula zu machen. Außerdem gibt es einen Wet-T-Shirt-Contest und die Abstellkammer wird zum Dark Room. e) Ich lade all meine Kumpels ein und lasse das Bier in Strömen fließen! Sollte jemand Geburtstag haben, wird das Geburtstagskind mit einer Sektdusche im Wohnzimmer empfangen! Und am Ende stapeln wir die Bierdosen und versuchen so ein Dosen-Imitat des Eiffelturms herzustellen! f) Ich lade meine Live-Rollenspiel-Runde ein. Wir verkleiden uns als die neun Gefährten und stellen im Wohnzimmer als Elf, Zwerg und Hobbit Elronds Rat in Herr der Ringe nach. g) Ich stehe den ganzen Nachmittag in der Küche, um für meine MitbewohnerInnen und FreundInnen das perfekte Dinner zu bereiten. Danach machen wir einen Sit-In mit Wein und guter Musik und diskutieren gesellschaftskritische Aspekte der Moderne.


22 KULTUR

FOTOSTRECKE

Made in 1962 Unsere Uni feiert dieses Jahr ihr 50-jähriges Jubiläum. Aber nicht nur sie hat schon ein halbes Jahrhundert auf dem Buckel. Ein paar weitere Jubilare gibt’s auch hier zu bestaunen. Von Tabea Baur


KULTUR

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24 KULTUR

Meet me the Muse a*t um! )

Alberto Korda, Che Guevara, 1960, aus der Skrein Photo Collection

„Schreiben ist für mich wie Therapie, dadurch helfe ich in erster Linie mir selbst“

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07.08.2012 12:56:04

Von verspäteten Zügen, dem Schreiben als Therapie und phonetisch perfekten Texten – der Salzburger Rapper Train D-Lay im Uni:Press-Interview. Interview geführt von Johannes Hofmann Uni:Press: Wir starten mit der leidigen Frage nach dem Künstlernamen: Eint uns der Unmut über die ÖBB oder woher kommt die Zugverspätung? Train D-Lay: Nicht ganz, ich hab’ meine ersten Texte geschrieben, als ich auf die Züge vom Selzthal nach Liezen und zurück gewartet habe. Die hatten meistens ziemlich viel Verspätung, dementsprechend viel Text wurde produziert. So hat sich das Ganze dann ergeben. Was bedeutet Rap für dich? Ich kann mich genau so ausdrücken wie ich will. Schreiben ist für mich wie Therapie, dadurch helfe ich in erster Linie mir selbst und gerne jedem, der es hören will. So hoffe ich, Leute mit meinen Worten zum Nachdenken oder Handeln zu bringen. Geht das nicht prinzipiell mit jeder Musik? Schon, aber in eine Rap-Strophe kann man mehr Wörter reinpacken als in ein Lied und ich habe das Gefühl, dass die Leute genauer hinhören, wenn gesprochen und nicht gesungen wird. Außerdem denke ich, dass Rap ein Medium ist, das Jugendliche erreicht. Stichwort Jugend: Die rennt derzeit ja eher den Bling-Bling- und Gangster-Rappern nach und weniger den Storytellern und Philosophen, an denen du dich ja textlich und musikalisch eher orientierst. Wie siehst du den Gegensatz zwischen Materialismus und echter Message im Hip-Hop? Also ich selbst schreibe einfach über das, was ich beobachte, fühle und denke. Materialismus spielt da jetzt nicht die große Rolle. Überhaupt fällt es mir schwer, den meisten Jungs im deutschsprachigen Raum abzunehmen, dass sie sich durchs Leben hustlen müssen – die Glorifizierung von Gewalt und Reichtum wirkt meistens wie aus den USA kopiert. Ich war vor einiger Zeit in New York, hab’ sogar in einem Youth-Hostel in Harlem gewohnt, bin da durch die Straßen gelaufen, während ich Nas und Biggie im Ohr hatte. Das war, als wenn die Texte vor deinen Augen Wirklichkeit werden, die krasse Armut und trotzdem die Freundlichkeit und der Zusammenhalt der Menschen. Und hattest du dann einfach die Idee, das auch zu können, oder wann hast du zu schreiben begonnen? So mit 14, 15. Anfangs nur zum Spaß, ernst genommen hab’ ich es erst mit 18, allerdings hatte ich schon immer den Traum, Musik zu machen. Zunächst habe ich Texte auf Deutsch geschrieben, bin dann aber recht schnell ins Englische gewechselt, weil

ich mich da wohler fühle und mehr Menschen erreichen kann. Den einen oder anderen Mundart-Track gibt es aber auch. Wie muss man sich den Schreibprozess bei dir vorstellen? Für mich ist das wie Sport, ich habe einige Bücher über Reimstruktur und Wortklang gelesen und analysiere Beats und Melodien oft nur noch anhand dieser Kriterien. Es ist mir sehr wichtig, dass meine Texte phonetisch perfekt sind, so kann es schon einmal fünf Stunden dauern, bis ich einen Vierzeiler fertig habe. Ansonsten schreibe ich einfach laufend alles auf, was mir einfällt. Du arbeitest also mit einer Reimbaustelle? Kann man so sagen. Wenn ich einen Beat höre, dann rappe ich in einer Fantasie-Lautsprache darauf, zeichne das auf und fülle es dann nach und nach mit echten Reimen auf, je nachdem, was halt passt. Bei deinem Westbahn-Werbetrack ging das ja nicht? Nein, da war es schwieriger. Erst einmal hab’ ich alles aufgeschrieben, was mir zu dem Thema einfiel, dann habe ich nach und nach etwas daraus gebastelt, aber klar schränkt einen eine Auftragsarbeit mehr ein. Dafür hat es andere Vorteile. Also fährt Train D-Lay mit der Westbahn vom Underground zum Mainstream? (schmunzelt) Man wird zum Mainstream gemacht, aber ich bin noch weit davon entfernt. Die Westbahn hat mir schon vorher getaugt, insofern war es kein Problem, das für die zu machen und wenn einen dadurch mehr Leute kennen, ist das ja auch positiv. Aber ich kann als Musiker nur Sachen machen, zu denen ich auch als Privatmensch voll und ganz stehen würde. Train D-Lays nächste Videopremiere findet voraussichtlich am 7. November im Rockhouse statt, außerdem könnt ihr bei unserem Gewinnspiel TShirts gewinnen (siehe S. 27).

Gerhard Fessl wurde 1986 im steiermärkischen Selzthal geboren und fuhr schon immer viel Zug, zunächst zur Grundschule, später zur Handelsakademie in Liezen. 1997 packte ihn die erste Deutschrapwelle und er begann bald darauf zu texten. 2004 folgten erste Gigs in Bars und auf Minibühnen, 2005 sein erstes Demotape. Mittlerweile tritt er regelmäßig bei kleinen und größeren Events auf, etwa beim Lake of CharityFestival in Saalbach oder bei Springbreak Europe. Außerdem vertont er die Videos der Kitesurfer Tom Herbert und Stefan Brenner und kreierte einen Werbe-Rap für die Westbahn. Im April dieses Jahres gründete er sein Indie-Label Train D-Lay Records. Nebenbei macht Fessl seinen Master in Kommunikationswissenschaft.


KULTUR

REZENSIONEN

25

Carolina Schutti: Einmal muss ich über weiches Gras gelaufen sein

Über das Hoffen, von der Muttersprache zu träumen BUCH

„Ich habe gehofft, in Träumen meiner Muttersprache zu begegnen, doch selbst wenn, könnte ich doch nichts davon über das Aufwachen hinaus in den Tag retten.“ In leisen Tönen beschreibt der Roman das Gefühl von Sprachlosigkeit und den Verlust der eigenen Kindheit. Rezension von Kathrin Prünstinger Maya wurde aus ihrer Heimat Weißrussland herausgerissen. Die Mutter tot, der Vater lebt woanders. Das kleine Mädchen muss zur Tante, die sie nicht versteht, mit der sie nicht sprechen kann. Der polnische Arbeiter Marek gibt ihr ein bisschen Heimatgefühl zurück. Obwohl sie auch seine Sprache nicht versteht, wird sie durch ihn an ihre eigene erinnert. Denn das ist, was Maya fehlt: Sprache und Erinnerung. Einmal muss ich über weiches Gras gelaufen sein heißt der zweite Roman von Carolina Schutti. Der Titel ist eine Erinnerung, die Maya nicht wirklich fassen kann. Eine Erinnerung, die in einem Foto eingeschlossen ist, das die kleine Maya mit ihrer Mutter in einem Park zeigt. Maya wächst auf mit einer Sehnsucht nach der Kindheit, die sie verloren hat, in einem Dorf, in dem sie niemanden versteht. Sie verliebt sich in Erich, über den im Dorf getuschelt und getratscht wird. Sie fliehen gemein-

sam in die laute Stadt, doch auch dort können sie nicht glücklich werden. Erichs Verschwiegenheit und Geheimnisse schmerzen Maya. Er lässt sie ihre Sprachlosigkeit nicht vergessen. Und da ist noch Bert, der mit Maya spricht und sie versteht. Mehr ist nicht nötig. Die erzählten Episoden über Mayas Leben verschwimmen ineinander und verweben sich mit den Geschichten der anderen. Trotzdem verlieren die LeserInnen Maya nicht aus den Augen. Die Erzählung beschränkt sich auf relevante Ereignisse in ihrem Leben. Sie beschreibt die Gefühle, die Maya dort hinführen, wo sie am Ende ist, auf der Suche nach ihren Wurzeln. Und das mit einer klaren und einfachen Sprache, die die österreichische Autorin auszeichnet. Der Text fließt, ohne auszuschmücken. Die Kapitel sind kurz, aber eindrücklich. Jedes Wort scheint an seinem Platz zu sein. Carolina Schutti ist mit ihrem Roman eine berührende Geschichte über eine junge Frau gelungen, die ihre eigenen Wurzeln mit der Sprache verloren hat – „Das Gefühl einer Sprache ist die einzige Wurzel, die mir geblieben ist“, meint diese. Mayas Gefühle beschreibt Schutti nachvollziehbar. Einfach so, wie sie sind. Einfach so, wie Maya sie fühlt.

★★★★★

Zeruya Shalev: Für den Rest des Lebens

Porträt der Generationen

Markus Hittmeir: Bessarius und Molle

Zeruya Shalev schreibt in ihrem neuen Roman von der Verzweiflung einer Frau in mittleren Jahren: Dina ist 46 und will ein Kind; für diesen Wunsch ist sie bereit, fast alles zu geben. Die Tochter ist aus dem Haus, der Ehemann zeigt kein Verständnis für den plötzlichen Kinderwunsch.

Ein Briefwechsel zwischen zwei Freunden, der sich mit den verschiedensten Themen zwischenmenschlicher Kommunikation, hauptsächlich jedoch mit psychischen Qualen befasst, das ist Bessarius und Molle.

Seelenqualen in Briefform

Rezension von Christof Fellner BUCH

Rezension von Alexandra Metz

Bessarius und Molle, im Jänner im Arovell-Verlag erschienen, stammt von Markus Hittmeir, der seit 2011 erst in Wien, dann in Salzburg Mathematik und Philosophie studiert. Das Buch liefert in Form eines Briefromans die Leidensgeschichte zweier junger Menschen. Während die beiden anfangs noch über die Todesstrafe philosophieren, werden die Themen immer mehr von Verzweiflung und Suizid geprägt. Da ist Molle, der seine Großmutter bis zu ihrem Tode pflegt und dabei selbst seelenkrank ist; dort Bessarius, der sich um Molle sorgt und doch genug mit sich selbst zu tun hat. Das Ende dieses Geflechts schließlich passt perfekt. Zu empfehlen ist das Buch für jene, die sich gerne mit menschlichen Abgründen beschäftigen, ansonsten sollte leichtere Lektüre bevorzugt werden.

BUCH

Die 53-jährige Israelin Zeruya Shalev hat ihren vierten Roman vorlegt: Er erzählt vom Wunsch einer Frau in mittleren Jahren, ein Kind zu adoptieren. Ihre Mutter Chemda Horovitz liegt im Sterben, von dieser fühlte sich Dina zu wenig geliebt. Auch ihre 16-jährige Tochter Nizan, der sie all ihre Liebe und Aufmerksamkeit schenkt, entfernt sich immer mehr von ihr. Aus Sehnsucht nach Liebe will Dina ein Kind adoptieren. Doch sie stößt auf den Widerstand ihrer Familie, die kein Verständnis für ihre Idee aufbringen kann. Dinas Bruder Avner ist Anwalt für Menschenrechte und begibt sich ebenfalls im politisch instabilen Israel auf die Suche nach Liebe. Auch Avner macht die Mutter für sein kaputtes Leben verantwortlich, die wiederum mit ihrer eigenen Mutter, der Gründerin eines polnischen Kibbuz-Vorbereitungscamps, abrechnet. Shalev lässt in ihrem Familiendrama vier Generationen zu Wort kommen und webt eine Art Porträt einer ganzen Gesellschaft. Als Sprachvirtuosin erzählt sie in ihrem jüngsten Roman erneut von den Verstrickungen der Liebe und des eigenen Selbst, eingebettet in die Geschichte Israels. Es fällt schwer, sich dem Sog der Geschichte zu entziehen: Klare Empfehlung.

★★★★★

© Marco Riebler

Schauspielhaus Salzburg: Kunst

Genussvolle Streit(un)kultur In Yasmina Rezas Kunst werden erbitterte Machtkämpfe ausgefochten, die sich am Stellenwert moderner Kunst entzünden. Christoph Batscheider hat den zeitgenössischen Unterhaltungsklassiker im Schauspielhaus inszeniert. Rezension von Sandra Bernhofer THEATER

Drei Freunde aus dem Pariser Akademikermilieu. Sie sind alle etwas älter geworden, etwas behäbiger, haben unterschiedliche Interessen entwickelt. Serge (Marcus Marotte), der schon immer ein Kunstfex war, hat sich ein Bild zugelegt, ein weißes mit weißen Streifen, auch etwas Rot, das zugegebenermaßen sehr blass ist, lässt sich mit gutem Willen erkennen. Erstanden für einen unverschämten Preis. Das übersteigt den Spießbürgerhorizont seines besten Freundes Marc (Olaf Salzer). „Weiße Scheiße“ nennt er es unverblümt.

Serge reagiert dünnhäutig, zum Vermittler wird der Dritte im Bunde, Yvan (Antony Connor). „Solange es keinem schadet“, meint er pragmatisch. „Es schadet mir, es macht mich nervös. Es verletzt mich sogar“, greint Marc zurück. In der Begegnung mit dem Bild treten tief sitzende Charakterzüge zutage, sie lässt Probleme aufbrechen, die schon lange im Verborgenen schlummerten. Eineinhalb Stunden lang schenkt man sich nichts: Marc kreidet seinen Freunden jeden noch so kleinen Makel an, aus Angst, dass er sie nicht länger als seine Marionetten tanzen lassen kann. Serge wiederum wirft ihm Humorlosigkeit und die Ehe mit einer Frau vor, „deren ganze Reizlosigkeit darin liegt, wie sie den Zigarettenrauch verscheucht“, bevor es Yvan an den Kragen geht: Ein Waschlappen mit Pfaffenmanieren sei er. Er kann einem leidtun, wie er da als

★★★★★ Rammbock zwischen seinen beiden vom Ego getriebenen Freunden steht, ohnehin schon durch die Vorbereitungen zu seiner Hochzeit zermürbt, als der ewige Friedensstifter, der seinen Freunden zu lange mit Clownerien die Zeit vertrieben hat und dessen Sorgen bei ihnen nun auf taube Ohren stoßen. Auf einem leicht schwankenden, schrägen Bühnenboden, der mit deutlich mehr Graustufen aufwarten kann als das Bild an der Wand und die festgefahrenen Weltbilder der Protagonisten, inszeniert Christoph Batscheider seine Version von Yasmina Rezas 1994 uraufgeführtem Stück – und lässt ihn zum Sinnbild für das nur scheinbar tragfähige Fundament einer langjährigen Männerfreundschaft werden. Reza ist nicht umsonst die weltweit meistgespielte Gegenwartsdramatikerin: Kunst ist ein eloquenter Schlagabtausch mit gehörigem Tempo, aus dem man das eine oder andere Pejorativum für den persönlichen Gebrauch mitnehmen kann.

★★★★★


26 KULTUR

Worte fließen frei

Unter Salzburger StudentInnen entsteht eine zunehmend aktive literarische Szene. Schauplatz sind kleine Lokale und Bars abseits des Mainstreams, das Programm ist so vielfältig wie originell. Von Alexander Macho

E

inen Gedichtband hat er publiziert, ein Literaturstipendium zugesprochen bekommen, dazu organisiert er regelmäßig Lesungen und Konzerte in Bars und anderen für Kultur offenen Einrichtungen mit. Vor kurzem sorgte er in Salzburgs etabliertem Literaturbetrieb für einige Aufregung, als Bernhard Flieher, Redakteur bei den Salzburger Nachrichten, ein Zitat von ihm brachte, in dem er, der Dichter, der hiesigen Literaturszene vorwarf, zu einer „Altweiber und -männergesellschaft“ verkommen zu sein. Es liegt nahe, Marko Dinić als singuläre Erscheinung in der jungen Salzburger Literaturszene zu bezeichnen; tatsächlich ist er eine der erfolgreichsten, keineswegs aber die einzige. Über die letzten Jahre hat sich, was zu beträchtlichem Teil Dinić und sei-

Markus Hittmeir im Gespräch Uni:Press: Du studierst Mathematik, Philosophie und schreibst. Wie geht das unter einen Hut? Markus Hittmeir: Mein großes philosophisches Interesse inspiriert mich und motiviert mich dazu, mich mit meinen Ideen auf schriftstellerische Weise auseinanderzusetzen. Ich studiere neben Philosophie auch Mathematik und werde manchmal gefragt, wie diese beiden Fachrichtungen zusammenpassen. Tatsächlich ist die Beschäftigung des Philosophen eine ähnliche wie die des Mathematikers; beide denken über Probleme nach, um kreative Lösungen zu finden. Darüber hinaus hat die Sprache der Mathematik genauso wie jede andere Sprache ein ganz besonderes ästhetisches Potential für den, der sie versteht. Der Mathematiker Karl Weierstraß hat das so ausgedrückt: „Ein Mathematiker, der nicht irgendwie ein Dichter ist, wird nie ein vollkommener Mathematiker sein.“ Mein Studium fördert daher die Qualität jenes Denkens, das für schriftstellerische Arbeit unumgänglich ist.

nen FreundInnen und KollegInnen von den Salzburger JungautorInnen zu verdanken ist, in Salzburg eine lebhafte, junge literarische Kultur gebildet, die – wiewohl von StudentInnen dominiert – sich als weit mehr begreift, als von den Wörtern ‚studentisch‘ oder ‚universitär‘ ausgedrückt wird.

Gedrucktes und Gelesenes Auf gleich drei Buchveröffentlichungen von Studierenden in den letzten Jahren stößt man bei rudimentärer Recherche. Neben Dinićs Gedichtband namen : pfade (Tandem) ist dieses Jahr auch der Roman des Mathematikund Philosophiestudenten Markus Hittmeir Bessarius und Molle (Arovell) und 2011 das Debüt der Linguistin Sarah Eder Herr Leben, die Rechnung bitte! (Epidu) erschienen. Publikationen sind aber nur die Spitze eines Eisbergs mit einer unermüdlich aktiven Basis, die von Studierenden der Universität ebenso wie von universitätsfernen künstlerisch Gesinnten geprägt wird. So gibt es die regelmäßig stattfindenden, von den JungautorInnen organisierten Lesungsreihen ‚SoWhatWörtlich‘ und ‚Kultur-Keule‘, deren Flyer der eine oder die andere schon in diversen Uni-Foyers gesehen haben dürfte. Es gibt den Germanistik-Studenten Raimund Bahr, der als Autor, Obmann des Vereins ‚ag literatur‘ sowie Initiator der Internationalen Wolfgangsee Literaturtage schon länger eine Fixgröße des hiesigen Literaturlebens ist. Es gibt die ÖH-geförderte Zeitschrift für studentische Literatur ‚Mosaik‘ (full disclosure:

der Autor ist Mitherausgeber), die versucht, einen literarisch-intellektuellen Diskurs in zweimal pro Semester erscheinender Druckausgabe zu fassen.

Fern aller Zwänge Was diese Initiativen und Personen verbindet, ist ihre Eigenständigkeit und Unabhängigkeit von Institutionen. Wo es keine Leitplanken gibt, muss man sich selbst den Weg schlagen. Dabei ist die Unterstützung durch lokale Bars und Cafés, die sich als Veranstaltungsraum anbieten, unerlässlich. Während sich ‚SoWhatWörtlich‘ etwa schon im Namen auf die Gnigler Musikbar so.what bezieht, finden andere Lesungen wechselnd im Café Denkmal, der belgischen Bierbar in der Bergstraße oder anderen Örtlichkeiten statt. Die Improvisation, das Provisorische, ein ständiges Attribut junger Kunst (und oft einer ihrer Reize), ist auch in der Salzburger literarischen Kultur fest verankert. Dazu gehört auch Offenheit. Im Gespräch mit Bernhard Flieher definiert Stefan Findeisl, seines Zeichens Buchhändler, Biologiestudent und weiterer Gravitationspunkt der hiesigen Kunstszene, das Anliegen der Salzburger JungautorInnen so: „Wir bieten leere Räume, die begangen werden können. Wie das dann passiert, sei jedem selbst überlassen.“ Wortreicher beschreibt es die Facebook-Präsenz der Gruppe: „Auf dieser Seite können junge AutorInnen und/oder LiteraturveranstalterInnen ihr Dasein kundtun, sich austauschen und voneinander pro-

fitieren! Du schreibst, weißt aber nicht, wo du dein kreatives Output in die Menge schütten kannst? Du bietest jungen AutorInnen eine Bühne, kennst aber nur eine Handvoll dieser wundersamen Kreaturen? Oder hast du schlicht und ergreifend das Problem, dass niemand einen deiner Abende besucht und wenn, dann nur unaufmerksames Pack, das billig Bier trinken und lärmen möchte? Diese Seite soll dem Abhilfe schaffen!“ Der Erfolg dieses Ansatzes und die Unermüdlichkeit, mit der sich studierende und nicht-studierende KünstlerInnen um die junge Salzburger Literatur bemühen, wurde beim diesjährigen Salzburger Literaturfest deutlich, wo die VeranstalterInnen Sarah Eder und Marko Dinić einen eigenen Programmplatz einräumten. Was wird die Zukunft bringen? Eine schwer zu beantwortende Frage angesichts der Dynamik und Volatilität der Szene. Zu hoffen ist jedenfalls: noch mehr Literatur, noch mehr Teilnahme, noch mehr Förderung.

Kontaktaufnahme Mosaik: Links, Debatten, Abstimmungen und Veranstaltungsempfehlungen E-Mail: mosaik@studlit.at Weitere Informationen ‚Junge Literatur für Salzburg‘ – FacebookPräsenz, über die unter anderem Veranstaltungen angekündigt werden www.editionas.net: Webpräsenz des Verlags der ‚ag literatur‘

Markus Hittmeir studiert Philosophie und Mathematik. Sein Erstlingsroman Bessarius und Molle ist im Jänner im Arovell-Verlag erschienen.

DIE VOLLE DRÖHNUNG

© Markus Hittmeir

Angehenden SchriftstellerInnen würdest du also das Mathematikstudium empfehlen? Einen allgemeinen Ratschlag kann ich anderen jungen Schreibern nicht geben. Jeder hat seine eigene Inspiration, seine eigene Motivation und schreibt auf seine eigene Weise. Das ist gut so.

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für einen

Herbst voller neuer Bekanntschaften

6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15.

Pony Pony Run Run – Hey You ultraísta – Smalltalk Chairlift – Met Before Foals – One (Swedish House Mafia Cover) Nicolas Jaar – With Just One Glance (feat. Scout LaRue) Grimes – Vanessa Monster Demolition Night – Jacky and Jack Beatsteaks – Hello Joe Nirvana – Polly Hot Club de Paris – Names and Names and Names Zutons – Valerie Yeasayer – Henrietta Girls – Laura Friends – Friend Crush Birds Escape – You Don’t Know Me

Neues Semester, neue Gesichter – und die passenden Namen dazu. Wie soll man sich das merken? Wer in der allgemeinen Verwirrung ein paar Eselsbrücken schlagen will, darf sich an unserem Soundtrack bedienen. Von Sandra Bernhofer


KULTUR

GEWINNSPIEL

27

Auflösung zum Test auf Seite 21: Hier erfährst du, welcher WG-Typ du bist! Überwiegend A: Der Partylöwe aka Fürstin Krawall Du bist der Stimmungsmacher in eurer WG! Wenn jemand bei euch für Party und gute Laune sorgt, dann bist du es! Jeden Abend organisierst du im Wohnzimmer oder in der WGKüche innovative Trinkspiele und Motto-Partys. Zwar zeigen sich im Laufe des Semesters immer wieder Verschleißerscheinungen bei deinen MitbewohnerInnen, die mit Fortdauer des Jahres immer mehr Schlagseite aufweisen, doch du schaffst es immer wieder, die Leute zu mobilisieren. Und wenn nicht, na dann werden rasch ein paar Dutzend StudienkollegInnen oder ein paar Leute aus deiner 7.642 Personen umfassenden Facebook-Freundesliste rekrutiert. Deine Partys sind immerhin legen – wait for it – dary! Wer dich nicht kennt, hat etwas verpasst.

Überwiegend B: Der Schnorrer aka die Superzecke ‚Was mein ist, soll auch dein sein.‘ Nach diesem Leitspruch lebt die Superzecke. Vor allem, wenn es sich um die Güter der anderen handelt. Aber irgendwie hat der Schnorrer es aufgrund seines engen Zeitplans wieder nicht zum Supermarkt, in die Drogerie und in das Print-Center geschafft. Da müssen dann halt die MitbewohnerInnen mit Deo und Druckerpapier herhalten. Und der Mitbewohner zaubert sowieso total oft hervorragende Schinkenfleckerl in der Küche! Die Superzecke hat es perfektioniert, den Mitmenschen zum eigenen Vorteil Honig ums Maul zu schmieren. „Deine Augen funkeln so hell wie ein Bier … Ich hab mir übrigens dein Sechsertragerl im Kühlschrank gestern geliehen.“ Die Superzecke kritisiert auch gerne die mit der Industrialisierung aufgekommene Wirtschaftsordnung, die auf Privateigentum, Marktwirtschaft und indi-

viduellem Gewinnstreben beruht – vor allem wenn die Superzecke selbst in der Kritik steht, permanent zu schnorren. Dann fallen Sprüche wie: „Du hockst hier auf einem riesigen Haufen Collegeblocks und Leuchtstiften, den du mit Papas Geld gekauft hast und ein Kind aus der Arbeiterklasse muss schauen, wie es zu seinen Schreibutensilien kommt.“ Natürlich verschweigt die Superzecke geflissentlich, dass ihre Mutter ein Uhren- und Juweliergeschäft leitet.

Überwiegend C: Meister Proper Ordnung ist das halbe Leben, auch in der Wohngemeinschaft. Die essentiellste Erfindung des kommunalen Zusammenwohnens ist das räumlich-administrative und organisatorische Prinzip der Aufrechterhaltung und Wiederherstellung von Reinheit, kurz Putzplan genannt. Wer auch immer den Putzplan erfunden hat, war ein kluger Mensch, denn neben der Instandhaltung und Aspekten der Hygiene ist eine kontinuierliche und ordentliche Reinigung der WG auch nach ästhetischen Gesichtspunkten sinnvoll. Wenn sich deine MitbewohnerInnen an den Putzplan halten, der von dir in mehrfacher Ausführung in Gang, Küche, Bad und an jeder Zimmertür angebracht wurde, dann bist du äußerst umgänglich und pflegeleicht. Doch wer für Chaos sorgt und somit Wind sät, wird Sturm ernten …

Überwiegend D: Meister Popper ‚I’m sexy and I know it!‘ Du lebst dein Singleleben in vollen Zügen aus und bevorzugst deshalb auch eine unverbindliche und lockere Wohnsituation in deiner WG. In deinem Zimmer sind kaum Studienbücher zu finden – mit Ausnahme des Skripts des freien Wahlfachs Sexualpädagogik. Dafür stapeln sich

dort Sexratgeber und diverse Ausgaben des Kamasutra. Manchmal gibt es zwar Probleme mit den MitbewohnerInnen, wenn du mit der neuesten Eroberung der letzten Nacht vom Rudolfskai um 8 Uhr morgens am Frühstückstisch die exotische Lotusblüte einübst, doch die meisten haben sich schon daran gewöhnt – vor allem weil du auch mit manchen MitbewohnerInnen ein sehr inniges Zusammensein pflegst.

Überwiegend E: Der Messie Du bist als Messie das wandelnde Epizentrum des Chaos! Wie die Ringe, die den Saturn umgeben, besteht die Peripherie des Messies stets aus abgetragenen Socken, benutzten Taschentüchern, Zuckerl-Papierchen und durch die Luft fliegenden Tschick-Packerln. Bei extremen Messies mag es nicht verwundern, dass die Boxershorts von letzter Woche schon einmal über dem Kühlschrank hängen oder die Gebrauchsanweisung für eine Digi-Cam in der Besteckschublade auftaucht. Aber die MitbewohnerInnen sind in deinen Augen einfach nur spießig und langweilig! Du brauchst das kreative Chaos und hast keine Lust auf stressige Zicken oder penible Saubermänner. Die sollen gefälligst ihre gebügelten Hemden und die zusammengefalteten Blusen wieder einpacken und etwas lockerer werden.

Überwiegend F: Der intellektuelle Nerd Du bist eigentlich nur sehr selten in der WG. Entweder vertiefst du auf der Uni deine Kenntnisse in Altgriechisch im Kontext der Philosophie der Älteren Stoa oder du kommst deinen Tutor-Aufgaben an der NaWi in der Vorlesung zur Genexpression der Prokaryonten nach. Und wenn das alles nicht der Fall ist, dann weilst du abseits der Salzburger WG in fernen Landen namens Azeroth oder Fae-

rûn, um als mächtiger Nachtelf-Hexenmeister oder schurkische Troll-Ritterin den 80. Level zu erreichen. Und in der geringen verbliebenen Freizeit arbeitest du an deinem BatmanKostüm. Das alles macht dich in der WG ein wenig zum Außenseiter, was dich wiederum kaum verwundert: Die Kleingeister in deinem soziokulturellen Umfeld können die Wichtigkeit deines Tuns nicht einmal ansatzweise erahnen. Und du verschwendest deine kostbare Zeit auch nicht weiter, um die PädagogikErstsemesterin mit dem Dungeons & DragonsRegelwerk vertraut zu machen oder deinen MitbewohnerInnen die Komplexität der zellulären Komponenten des kontraktilen, sarkotubulären Systems zu erläutern. Immerhin hat auch niemand Picasso gebeten, nach Zahlen zu malen. Oder Mozart, Klingeltöne zu komponieren …

Überwiegend G: Der Pädagoge bzw. die Pädagogin Du bist einE sozial engagierteR PhilanthropIn. Und die Verbesserung der Welt beginnt natürlich bereits im Mikrokosmos eurer WG. Um das WG-Klima zu aufzufrischen, hast du in der Wohnküche ein zwei mal zwei Meter großes Bild aller MitbewohnerInnen aus ThermoHanf gestickt, welches euch mit einem Buddhalächeln in harmonischer Eintracht zeigt. Außerdem organisierst du sporadisch WGPhantasieexkursionen in die Natur. Da wird der Stock zur Angel und zum Zauberstab, Tannenzapfen zu Figuren und im Herbst bastelt ihr aus Blättern Ketten. Diese Exkursionen liebst du am meisten. Denn dabei lauschen die Kinder … äh … MitbewohnerInnen den Grillen auf der Wiese, ahmen Vogelgesang nach und erzählen Geschichten. Und wenn jemand Geburtstag hat, bäckst du den Lieblingskuchen und verschenkst Klanghölzer aus Peru.

Auflösung zur Fotostrecke in der Uni:Press 669, S. 22 & 23: Die Würfel sind gefallen. – Schreib dir das hinter die Ohren! – jedes Böhnchen ein Tönchen – jemandem auf den Keks gehen – Im Wein liegt die Wahrheit. – den Teufel an die Wand malen

„Wenn ich schon draufgeh’ ...“ — Das vielleicht letzte Gewinnspiel aller Zeiten —

Wer will noch mal, wer hat noch nicht? Am 21. Dezember geht das Licht aus. Im vielleicht letzten Gewinnspiel aller Zeiten wollen wir von dir wissen, was du vor dem großen Armageddon noch erledigen willst. Die überzeugendsten Statements belohnen wir mit haufenweise Kunst und Krempel. E-Mails bis 25. Oktober an presse@oeh-salzburg.at.

Train D-Lay-Merchandise

Get Well Soon

Robot & Frank

Kunst

1 von 5 T-Shirts Der Salzburger KoWi-Student mit steirischen Wurzeln weiß nicht nur lässig zu rappen und im Interview gekonnt Rede und Antwort zu stehen (siehe S. 24), sondern hat auch kleidsame T-Shirts im Sortiment. Du willst auch in deiner Todesstunde adrett gewandet sein? Wir bieten dir eines von fünf T-Shirts gegen eine kreative Mail.

MI, 7.11.2012, 20.30 Uhr, Rockhouse Konstantin Gropper alias Get Well Soon kommt mit neuem Album ins Rockhouse: „The Scarlet Beast O‘Seven Heads“ ist ganz der großen Kunst der Kinematographie gewidmet. Gute Besserung! Nicht gerade der passendste Wunsch zum Ende. Aber wer wird denn schon kleinlich sein – immerhin ist Weltuntergang. Hol dir 1x2 Tickets.

ab 25.10.2012 in allen Constantin Kinos Überraschungshit beim Sundance Film Festival: In nicht allzu ferner Zukunft bekommt der alternde Ganove Frank von seinem Sohn einen Pflegeroboter geschenkt – der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Du willst wissen, wie die Welt der Zukunft aussehen könnte, wenn sie nicht im Jahr 2012 vom Allmächtigen in den Gully gespült würde? Dann hol dir 3x2 Tickets für die Sci-Fi-Komödie.

DI, 30.10.2012, 19.30 Uhr, Schauspielhaus Drei Freunde kommen sich ins Gehege, als einer ein sündhaft teures Bild ersteht, der andere abfällig reagiert und der dritte zu vermitteln versucht. Charakterstudie von Yasmina Reza. (siehe S. 25) Du willst wissen, was du dem Sensenmann in deinem letzten Stündchen an den Schädel schmettern könntest? Dann gewinne 1x2 Tickets und lass dich hier der besten Schimpfwörter belehren.

© Chris Rogl


RUBRIK


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