Uni:Press # 672 (März 2013)

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LASST DIE PUPPEN TANZEN!

Philipp Innerlohninger

Und wer zieht an deinen Fäden?

Wahrscheinlich ist jede/r von uns überzeugt davon, dass er/sie seine/ihre Entscheidungen unbeeinflusst trifft. Sein Leben einfach so lebt, weil es ihm so am besten passt. Jedoch gibt es in unserer heutigen Welt viele Einflüsse, denen wir – auch wenn wir noch so stark dagegen ankämpfen – einfach nicht entrinnen können. „Nein, sicher nicht, ich lebe mein Leben genau so wie ich es will, andere können mich nicht beeinflussen!“, werden jetzt einige Leser aufschreien. Das entspricht jedoch leider nicht ganz der Wirklichkeit: Durch Menschen, Medien, Politik und Co. werden wir nämlich täglich in den Entscheidungen rund um unser Leben gelenkt. Von Marie Schulz Na? Heute schon einkaufen gewesen? Und? Wirklich nur das gekauft, was auf dem Einkaufszettel stand? Wahrscheinlich nicht. Diese Situation kennt sicher jeder. Deswegen lässt sich auch genau anhand dieses Szenarios zeigen, wie leicht wir uns beeinflussen lassen. Von Wem? Von der Lebensmittelindustrie, die uns gewisse Produkte empfiehlt, um so den Absatz ebendieser zu steigern, von Supermarktketten mit ach so verlockend scheinenden Rabatt-Aktionen die Restposten loswerden wollen, oder von der Werbung, die den neuesten Joghurt-Shake als schnellsten Weg zur Traumfigur anpreist. So werden täglich viele Einflüsse und Reize von den Erzeugern ganz bewusst gesetzt – eben um aus uns Käufer zu machen.

Einmal Gehirnwäsche zum Mitnehmen, bitte! Mittlerweile werden wir in jeder Sekunde von weitaus mehr Menschen beeinflusst, als wir wahrhaben wollen. Auch wenn es uns vielleicht nicht immer bewusst wird, täglich gibt es mehrere Situationen, in denen wir nach der Pfeife anderer tanzen – oder eben umgekehrt. Das fängt schon bei so banalen Dingen wie einem Lächeln an. Von klein auf wird uns eingebläut, unserem Gegenüber, ob sympathisch oder nicht, mit einem Lächeln zu begegnen und damit Sympathie zu bekunden. Auf diese Art betrachtet, ist eigentlich schon das Lächeln ein instinktiver Manipulationsakt, um im Gegenüber positive Emotionen zu erzeugen. So werden wir jeden Tag wiederholt von unseren Arbeitgebern, unseren Freunden und Partnern, der Werbung und den Medien unzähligen Manipulationsstrategien ausgesetzt – einfach, weil alle etwas von uns wollen. Und wir machen es genauso. Wenn uns etwas nicht in den Kram passt, schmollen, argumentieren und streiten wir, eben genau,

um den anderen auf unsere Seite zu ziehen, und somit seine Denkweise zu manipulieren. Auch wenn die Manipulation nicht immer bewusst abläuft, will man so doch seine Interessen und Vorhaben gegen jene des Gegenübers, durchsetzen. Solange die Manipulation nicht ausufert und sich jeder darüber im Klaren ist, dass Manipulation immer um uns herum und in uns passiert, ist eigentlich nichts Schlimmes an ihr zu finden – denn grenzenlos manipulierbar sind wir zum Glück auch nicht.

Unwissend und blauäugig Ein etwas größerer Fisch im Teich der Manipulation ist hingegen die Beeinflussung, die Institutionen und Gruppen auf Menschenmassen ausüben, also kurz: die der Medien, Politik und Konzerne. Hierbei sind die Beweggründe vielfältig: Die einen wollen, dass wir ein Produkt kaufen, die anderen, dass wir eine Partei wählen oder ein bestimmtes Gesetz befürworten. Auf zahlreichen Internetseiten wird im Zusammenhang mit der Gesellschafts-Manipulation der Linguist Noam Chomsky zitiert. Dieser hat sich mit dem Thema der Manipulation genauer beschäftigt, im Buch

Manipulationsakte sind für Chomsky die Regierungen, die Medien und Lobbyisten. 1. Aufmerksamkeit umkehren: Wenn man die Aufmerksamkeit der breiten Masse auf ein unwesentliches Thema oder Ereignis lenkt, kann man die tatsächlich politisch und gesellschaftlich relevanten Ereignisse für eine Zeit lang recht gut unter den Teppich kehren. 2. Probleme erzeugen und Lösungen liefern: Ein Problem oder eine Situation wird geschaffen, damit in der Bevölkerung der Wunsch nach einer präventiven Vorgehensweise geweckt wird. Chomsky formuliert dies so: „So war die Wirtschaftskrise dazu da, um die radikale Beschneidung der Grundrechte und die Demontierung der Sozialdienstleistungen zu rechtfertigen.“ 3. Änderungen Abstufen: Wenn man eine unannehmbare Maßnahme stufenweise über Jahre hinweg still und heimlich durchsetzt, hat man wesentlich bessere Chancen, dass niemand protestiert. So konnte sich beispielsweise zwischen den Jahren 1980 und 1990 der Neoliberalismus auf breiter Front etablieren. 4. Änderungen aufschieben: Wenn man eine von der Gesellschaft ungewollte Änderung als „schmerzhaftes Muss“ darstellt und die-

Auch wenn es uns vielleicht nicht immer bewusst wird, täglich gibt es mehrere Situationen, in denen wir nach der Pfeife anderer tanzen – oder eben umgekehrt. „Decouvrez l‘alchimiste en Vouz“, also auf Deutsch „Entdecken Sie den Goldmacher in sich“ zehn Strategien der Manipulation identifiziert, die erklären sollen, wie es die „Großen“ schaffen, eine ganze Gesellschaft zu ihrem Willen zu unterwerfen, ohne dass die breite Masse etwas davon mitkriegt. Information führt laut Chomsky immer zu Wahrnehmung und Wahrnehmung ist die Grundlage jeden Handelns. So begründet Information auch immer die soziale Realität und den Wandel dieser. Drahtzieher dieser

Studierendenzeitung der Österreichischen HochschülerInneschaft Salzburg / #672 / 03.2013

se erst in einiger Zeit einführt, ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass sich die Akzeptanz der Bürger in Resignation umwandelt. 5. Sprich zur Masse wie zu kleinen Kindern: Die Mehrheit der Werbeanzeigen, die an die Öffentlichkeit gerichtet werden, bedienen sich einer besonders kindlichen, manchmal auch debil anmutenden Sprache. Je mehr man den Empfänger der Botschaft täuschen will, desto kindlicher ist der Ton. Warum? Wenn man sich an eine Person wendet und mit ihr redet, als ob sie noch ein Kind wäre,

ist, so Chomsky, die Wahrscheinlichkeit um einiges höher, dass sie kritiklos reagieren oder antworten wird. 6. Appell an das Gefühl: Mit dem Ansprechen von Basisemotionen kann man gefahrlos die rationale Analyse und somit auch das kritische Nachdenken von Menschen überlaufen. Diese Methode ermöglicht Außerdem einen Zugang zum Unterbewussten, um dort Wunschträume, Ängste oder Verhaltensweisen zu implantieren. 7. Unwissenheit und Dummheit: Das System tut alles dafür, dass die Bevölkerung die für ihre Überwachung und Versklavung genutzten Technologien und Methoden nicht versteht. So soll auch die Bildung der unteren Klassen so niedrig wie möglich bleiben, ja ihnen soll nicht einmal bewusst werden, dass sie ungebildet sind. 8. Mittelmaß ist gut: Die Bürger sollen zu glauben beginnen, das es cool und normal ist, dumm, vulgär und ungebildet zu sein. 9. Schlechtes Gewissen statt Widerstand: Die breite Masse soll glauben, dass nur sie alleine Schuld an sozialen Missständen hat. So sind das Wirtschaftssystem und Co. fein heraus, und die kollektive Depression hemmt das Handeln der Masse. 10. Menschen kennen: Dank Biologie, Neurobiologie und Psychologie erreichten alle Manipulatoren ein umfangreiches Wissen über die Menschen. Dieses Wissen lässt größere Kontrolle des Einzelnen zu. Auch wenn vielleicht manche von Chomskys Thesen etwas überspitzt formuliert sind, regen sie doch zum Nachdenken an. So lassen sich einige der politischen Ereignisse in den letzten zehn Jahren – ob Zufall oder nicht, sei dahingestellt – auf diese Thesen beziehen. Fakt ist jedoch, dass Manipulation in nahezu jeder Situation unseres Lebens präsent ist und wir nicht sehr viel dagegen tun können. Trotzdem schadet es sicher nicht, mit offenen Augen durch die Welt zu gehen und nicht immer blauäugig alles zu glauben, was Werbung, Politik und Massenmedien uns erzählen wollen.


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EDITORIAL

UNI:PRESS # 672 MÄRZ 2013 Christopher Spiegl

Liebe Leserin, lieber Leser! D

iese Ausgabe der Uni:Press widmet sich angesichts des jüngst begangenen Weltfrauenkampftags am 8. März schwerpunktmäßig den Themen Feminismus, Frauenrechte und Gleichstellung. Den Einstieg macht ein Artikel über Barbie, die wohl prägendste Puppe in vielen Kinderzimmern (S. 5). Es wird der Frage nachgegangen, welche Rollenbilder im Laufe der Zeit über die Barbie-Welt vermittelt wurden und was den immer noch andauernden Erfolg der Puppe ausmacht. Auf Seite 7 widmet sich Ingrid Reitinger der sogenannten #aufschrei-Debatte, die durch einen sexistischen Sager von Rainer Brüderle, Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion, in den sozialen und bald auch Printmedien losgetreten wurde. Auf derselben Seite werden unter dem Titel „Hau rein: Unser gewaltiger Alltag“ ver-

schiedene Gefahrensituationen sexualisierter Gewalt und die richtige Reaktion darauf geschildert. Jan Marot berichtet auf Seite 8 aus Granada über die Wirtschafts- und Demokratiekrise in Portugal und Spanien und den gesellschaftspolitischen Backlash der gerade im Windschatten selbiger stattfindet. Elisabeth Buchner blickt noch weiter über unsre Grenzen hinweg und berichtet über „Incredible India“, das kein sicherer Ort für Frauen ist (Seite 21). Unipolitisch berichtet die Uni:Press über die neue LehrerInnenbildung (NLA in Salzburg – ein vorschneller Hüftschuss, S. 13), angesichts der nahenden ÖH-Wahlen über ein How-toKandidieren (S. 14), sowie die neue Studiengebührenregelung, die besonders ausländische Studierende im wahrsten Sinne des

Wortes doppelt hart trifft (S. 17). Angesichts der hohen Wogen rund um den rechtsextremen Akademikerball in Wien hat Simon Hofbauer vom ÖH-Vorsitzteam einen Kommentar über die Aufgaben der ÖH beigesteuert. Zu guter Letzt sei erwähnt, dass die ÖH Salzburg eine Kampagne für ein All-In-Öffiticket unter dem Titel „1 Land, 1 Jahr, 1 Ticket, alle Öffis!“ gestartet hat. Angesichts der Landtagswahlen am 5. Mai und der drohenden Stimmverluste wird offensichtlich von der scheidenden Landesregierung versucht noch letzte Erfolge zu vermelden. Wir sind froh, dass nach Jahren des Stillstands doch noch Bewegung in das Thema Semester- bzw. Studierendenticket kommt. Du kannst unsere Forderungen per Online-Petition unterstützen, alle Informationen dazu findest du unter www.oeh-salzburg.at!

Viel Spaß beim Lesen wünscht dein ÖH-Vorsitzteam Simon Hofbauer, Daniel Winter & Su Karrer

Der Sturm im Puppenhaus Europas Kommentar von Christopher Spiegl Die Krise. Nun leben wir schon fast fünf Jahre mit ihr. Dass es sich nicht nur um eine zeitlich begrenzte Turbulenz der Finanzmärkte handelt, ist allzu deutlich: Das Vertrauen in das gegenwärtige System sinkt und Proteste mehren sich. Es entsteht zunehmend eine Schwarz-Weiß-Malerei, die unterschiedliche Lebensentwürfe klischeehaft gegeneinander in Stellung bringt. In zugespitzter Form werden uns typenhafte Individuen vorgeführt, die der vielfältigen Realität keinesfalls gerecht werden können: Brave Steuerzahler, faule Südländer, Islamisten, linke Gutmenschen, Asylwerber, Hipster, Punks usw. Die Inszenierung von Klischees nimmt in Krisenzeiten zu und bietet für Populisten die Möglichkeit, diese zu instrumentalisieren und einen klaren, kritischen Blick auf die Situation zu verwässern. Wir sind keine Puppen, die man einfach gegeneinander ausspielen kann. Parallel zur Wirtschaftskrise ist die Versuchung, genau dies jedoch zu fördern, immer häufiger anzutreffen. Der Kapitalismus treibt diese Kategorisierung von Rollen an, indem er Gegensätze schafft, die Menschen, Regionen und Ländern zunehmend in Konflikt zueinander bringen. Indem Gefühle und Identitäten nach und nach konsumierbar geworden sind, transformierte sich der vermeintliche Individualismus unserer Gesellschaft in eine sektiererische Bestie. Wir konsumieren heute nicht mehr nur, um unsere grundlegenden Bedürfnisse zu decken, sondern achten bei den Objekten

unserer (Be)Gier(de) vor allem auf symbolische Konnotationen, die letztendlich auf soziale Distinktion abzielen. Bin ich nicht furchtbar alternativ mit meinem MacBook Pro? Die Tatsache, dass diese Zeilen tatsächlich auf einem dieser Apfelgeräte geschrieben werden, bekräftigt nur die Schizophrenie unserer Zeit. Doch wo sollen wir anfangen? Bei uns selbst. Wir müssen an Alternativen denken. Nicht die Rückbesinnung auf nationalistische Werte oder gar revisionistische Bestrebungen können uns aus dieser Krise herausführen. Ansonsten laufen wir Gefahr, Europa an die Wand zu fahren und in der untersten Schublade der Geschichte zu landen. Es ist unsere Aufgabe als heranwachsende studentische Generation, intellektuelle und destruktive Beiträge zu erarbeiten. Eine radikale Kritik am System ist nicht nur erwünscht – nein: Sie ist dringend notwendig! Europas Krisenländer sind ein großer Testfall für das Aufzwingen eines neuen sozioökonomischen Modells: dem entpolitisierten technokratischen Modell, in dem es Banken und anderen ExpertInnen erlaubt wird, die Demokratie und ihre Institutionen als Marionetten einzusetzen. Die Protestbewegungen in Italien, Griechenland, Spanien und etwa Portugal zeigen, dass ihre BürgerInnen nicht nur passive Opfer sind. Dort zeichnet sich zunehmend ein Krieg gegen das europäische Wirtschaftsestablishment ab. Sie werden Solidarität in diesem Kampf brauchen, denn es ist nicht nur ihr Kampf, sondern auch unserer.

Impressum Medieninhaberin: Hochschülerinnen- und Hochschülerschaft an der Paris Lodron Universität Salzburg (ÖH Salzburg), Kaigasse 28, 5020 Salzburg, www.oeh-salzburg.at, sekretariat@oeh-salzburg.at Herausgeber: Simon Hofbauer, Vorsitzender der ÖH Salzburg / Chefredakteurin: Marie Schulz (Kontakt: presse@oeh-salzburg.at) / Pressereferent: Christopher Spiegl / Layout: Luca Mack / Lektorat: Thomas Lackmeier / Anzeigen und Vertrieb: Bernhard Svacina, Marie Schulz, Christopher Spiegl / MitarbeiterInnen an dieser Ausgabe: Marie Schulz, Christopher Spiegl, Robert Hecker, Jürgen Wöhry, Marina Hochholzner, Robert Obermair, Nina Glonegger, Kay Michael Dankl, Lisa Mitterbauer, Simon Hofbauer, Gina Klee, Su Karrer, Dilara Akce, Jennifer Rödl, Hannah Weiss, Philipp Innerlohinger, Caroline Bachmann, Tatjana Markl, Ingrid Reitinger, Jan Marot, David Lahmer, Barbara Rodinger, Tobias Neugebauer, Leni Schollenberger, Sarah Duregger, Christine Drack, Sozialreferat der ÖH Salzburg, Frauenreferat der ÖH Salzburg, Intersol / Druckerei: OÖN Druckzentrum GmbH & Co KG, Medienpark 1, 4061 Pasching, www.nachrichten.at / Auflage:17000 Blattlinie: (Grundlegende Richtung gemäß § 25, Absatz 4): Die Uni:Press ist ein Medium der Hochschülerinnen- und Hochschülerschaft an der Paris Lodron Universität Salzburg. Sie fungiert als Forum zur Förderung des kritischen Diskurses und der demokratischen Mitbestimmung an der Universität Salzburg. Sie vertritt ein Konzept emanzipatorischer, öffentlicher sowie frei zugänglicher Bildung. Zu den Themenschwerpunkten zählen insbesondere studienrelevante Informationen, Hochschul- und Gesellschaftspolitik sowie studentische Kultur und Lebensweise.Als Bindeglied zwischen Studierenden und Hochschülerinnen- und Hochschülerschaft strebt die Uni:Press im Sinne der Partizipation und der Förderung journalistischer Kompetenzen eine breite Beteiligung der Studierenden an der redaktionellen Arbeit an.


INHALT

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8 21 LASST DIE PUPPEN TANZEN! 4 - Ich spiele, also bin ich. Nur was? 5 - Barbie – Eine Puppe, an der sich die Geister scheiden 6 - The bigger the better? 6 - Kleine Geschichte der EinwegRevoluzzerinnen

UNI & LEBEN

11 - Links vs. Rechts: Über die Unterschiede zwischen Links- und RechtshänderInnen

KULTUR & MENSCHEN

19 - In welcher Welt lebst du eigentlich?

28 - Die Duschszene, die Filmgeschichte schrieb

13 - Neue LehrerInnenbildung in Salzburg – ein vorschneller Hüftschuss?

20 - Alltag raus – Sexismus rein

29 - Willkommen im Paradies

20 - Men still loving the F-Word?

30 - FS1 – Freies Fernsehen Salzburg: Der Sender, der dir das Wort überlässt

14 - Wie kandidiere ich für eine Studienvertretung? 15 - Zahlen oder durchfallen – Elitestudium Jus

7 - Steh auf, schrei: #aufschrei

11 - Von Provokation bis Eskalation – Gewalt auf Demos

POLITIK & GESELLSCHAFT

12 - Zwischen Kontrolle und Monokratie

16 - Barrierefreies Bauen

10 - Kopf oder Zahl: Computerspiele – Verblödung oder harmloses Entertainment?

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7 - Hau rein: Unser gewaltiger Alltag

8 - Zurück zum Herd!

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17 - Doppelte Studiengebühren? – Die ÖH hilft! 18 - Spotted: Traummensch gesucht! 18 - Aus Alt macht nicht Neu – sondern schöner!

21 - Incredible India – kein sicherer Ort für Frauen

31 - Let’s Rave on!

22 - Schwangerschaftsabbruch auf hoher See

32 - Gewinnspiel: Festivalpässe für das Spring Festival 2013

23 - Interview mit Sarah Diehl 24 - Ich habe abgetrieben… 25 - Der „Akademikerball“ und die Aufgaben der ÖH 26 - Bei den Flüchtlingen in der Votivkirche – Eine Nacht bei Freunden


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LASST DIE PUPPEN TANZEN!

UNI:PRESS # 672 MÄRZ 2013

Ich spiele, also bin ich. – Nur was? Geschlechtsspezifische Verhaltensmuster und Klischees werden den meisten von uns schon im Kindesalter beigebracht: Jungs spielen mit dem Modellbaukasten, Mädchen mit Puppen. Derartige Vorurteile bestehen auch noch im 21. Jahrhundert, allerdings kommt man auf interessante Ergebnisse, wenn man das kindliche Spielverhalten heutiger Studierender einmal er- und hinterfragt. Von Rober Hecker

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ungs spielen mit dem Modellbaukasten und Spielzeug-Autos, Mädchen mit Barbies und Puppen. So lautet das Klischee und so wurde es vielen von uns im Kindesalter beigebracht und vorgelebt. Man kommt allerdings trotzdem auf interessante Ergebnisse, wenn man das kindliche Spielverhalten heutiger Studierender einmal er- und hinterfragt. Repräsentativ ist das Ganze natürlich nicht, aber deswegen nicht weniger aufschlussreich. Die gestellte Frage war simpel: „Nenne dein Lieblingsspielzeug aus deiner Kindheit.“ Wer jetzt glaubt, die Antworten hätte man sich schon vorher denken können, hat zwar auf der einen Seite recht, denn großteils wurden zu erwartende Dinge aufgezählt. Auf der anderen Seite war es aber gerade die Geschlechterverteilung bei bestimmten Spielsachen, welche bemerkenswert war. Natürlich, in der heutigen Zeit mit Hang zur Negierung des physischen Geschlechts kann jede/r mit allem spielen – zumindest theoretisch. Zwar wird es niemanden überraschen, dass Lego das mit Abstand meistgenannte Kinderspielzeug ist. Dass allerdings mehr Frauen als Männer die dänischen Steinchen am liebsten hatten, wird doch den/die eine/n oder andere/n verwundern. Falls dem so ist und man darüber staunt, dann haben die frühkindlichen Zuschreibungen ihre Wirkung nicht verfehlt und sich unbewusst bis heute gehalten. Falls nicht – Glückwunsch! Dann haben die „frühkindlichen Vergewaltigungen“ (frei nach dem bekannten Psychologen Robert Betz) ihren Zweck nicht erfüllt und damit ihr Ziel – den Zwang zum normierten Verhalten – verfehlt.

Von maskulinen Jungs… Norm und Normierung: Ein besonders auffälliger Aspekt, der im Zuge der Umfrage zu Tage trat, auch was die Individualität von Jungs und Mädchen betrifft. Gerade bei männlichen Heranwachsenden lässt sich am bevorzugten Spielzeug doch recht deutlich das Wirken sozialer Zuschreibungen ablesen, dem man sich in jungen Jahren kaum entziehen kann. So gab zum Beispiel unter den befragten Studenten kein einziger etwas nicht typisch Maskulines an. Die Hälfte nannte das bereits erwähnte Lego als Lieblingsspielzeug. Wenn man bedenkt, dass unter den Umfrageteilnehmern kein einziger einen technischen oder naturwissenschaftlichen Studiengang belegt und Lego doch als Substitut des guten alten Baukastens gilt, kann man daraus den Schluss ziehen, dass ohne elterlichen Zwang zur „Norm“ ein anderes Ergebnis herausgekommen wäre. Neben den bunten Klötzern wurden noch die generell als typische Jungenspielsachen wahrgenommenen Spielekonsolen und Fußbälle (Dave, 29, Geschichte- und Geografie Lehramt, nahm seinen sogar mit ins Bett) aufgezählt. Lediglich der 22-jährige Jus-Student Marc bekannte sich dazu, sich am liebsten mit seinem Plüsch-Pikachu beschäftigt zu haben. Aber es ginge wohl zu weit, einen Donnerschläge werfenden Kampfhamster als vermeintlich typisches Mädchenspielzeug zu bezeichnen.

…und gar nicht so femininen Mädchen Womit wir beim nächsten Thema wären: Mädchen und ihre Puppen. Wie zu erwarten, gaben 100 % der befragten Studentinnen Barbie … Nein! Genau an diesem Punkt trennten sich die Wege von Erwartung und Wirklichkeit. Wie bereits erwähnt, siegte auch beim weiblichen Geschlecht Lego in der Kategorie Lieblingsspielzeug. Allerdings knapp und auch nur deshalb, weil die Frauen hier eine deutlich breitere Variation aufweisen. Das heißt: Keines der genannten Dinge kam auch nur annähernd so häufig vor wie die Dänensteine bei den Männern. So erfreute sich Germanistikstudentin Sandra (20) am klassischen Schwarzer-Peter-Kartenspiel und Soziologin Christina (21) am Kassettenrekorder mit Mikrofon, während die 26-jährige JusDoktorandin Lucia am liebsten mit ihrem Bobbycar durch die Gegend brauste und damit hoffentlich nie mit der AquaplayWasserbahn (eine Art Schifffahrtskanal mit Schleusen – Google sei Dank) von Kunstgeschichte-Studentin Jenny (24) kollidierte – man stelle sich nur die Sauerei im elterlichen Wohnzimmer vor!

Von Normalität zu Norm Welche Schlussfolgerungen lassen sich aus diesen Ergebnissen ziehen? Zum einen scheinen Mädchen/Frauen weniger anfällig dafür zu sein, in gewisse Rollen gedrängt zu werden, was ja im Kindesal-

ter schon mit der Wahl des aus Elternsicht passenden Spielzeugs beginnt. Zum anderen kann man erkennen, dass Abweichungen von stereotypen Erwartungshaltungen bei Mädchen eher toleriert werden als bei Jungen. Selbstverständlich hatten auch Studentinnen spezifisch weiblich konnotierte Lieblingsspielzeuge: Vom Stoffhund über die Puppenküche bis hin zur Barbie ließ alles Kinderherzen höher schlagen. Aber dies sollte ja auch das „normale“, im Gegensatz zum zwanghaft sozialisierten „normierten“, Ergebnis sein. Schließlich werden wir nicht als ein von Archetypen dominiertes Wesen geboren, sondern durch unsere Sozialisation an rollentypische Verhaltensmuster herangeführt. Aus diesem Grund sollten natürlicherweise von allen Geschlechtern sämtliche Arten von Spielsachen gleichermaßen in Anspruch genommen werden können. Gegenwärtig verhält es sich jedoch noch so, dass nahezu ausnahmslos jede/r von uns seit seiner/ ihrer Geburt in eine bestimmte Ecke gedrängt wurde, aus der im Erwachsenenalter nur noch recht schwer ausgebrochen werden kann. Es wird aber auch deutlich, dass jede/r in verschiedenem Ausmaß normativ geprägt wurde und die erwarteten geschlechtsspezifischen Verhaltensmuster unterschiedlich stark internalisiert hat. Bleibt zu hoffen, dass die Gesellschaft des 21. Jahrhunderts eines Tages in der Lage sein wird, ihre althergebrachten Konventionen und Traditionen aufzubrechen, damit für Jungs und Mädchen gleichermaßen das Motto gilt: „Lasst die Puppen tanzen!“


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Barbie – Eine Puppe, an der sich die Geister scheiden Jedes Kind spielt gerne. Ob dabei Lego, die Barbie oder das Miniauto den Platz des Lieblingsspielzeuges einnimmt, kommt auf Laune und Vorlieben des jeweiligen Kindes an. Traditionell und klischeebedingt wurden aber Mädchen immer schon gerne Puppen geschenkt, die in erster Linie dazu da waren, um ihre kleinen Besitzerinnen schon früh auf ihre Mutterrolle im Erwachsenendasein vorzubereiten. Die beliebteste Puppe aller Zeiten ist ohne Zweifel Barbie. Der hübschen kleinen Plastikdame erwacht seit Jahrzehnten täglich in Kinderzimmern rund um die Welt zum Leben. Die Erfolgsgeschichte der Barbie begann Anfang der 1950er Jahre, als Ruth Handler vom Spielzeughersteller Mattel die Idee hatte, eine Puppe zu produzieren, die einem Mannequin glich und mit der Mädchen ihrer Fantasie freien Lauf lassen und nachspielen konnten, was sie aus der Welt der Erwachsenen kannten. Die erste (blonde) Barbie kam 1959 auf den Markt.

Erfolgsrezept Barbie Der kommerzielle Erfolg von Barbie beruht zu einem wesentlichen Teil darauf, dass sie mit einer reichhaltigen Garderobe für jede Gelegenheit ausgestattet ist. Barbie orientiert sich an aktuellen Modetrends, hat ihr Erscheinungsbild immer wieder geändert und ist daher stets eine Verkörperung des vorherrschenden Zeitgeistes. Sie gilt als Stilikone und Schönheitsideal. Die Firma Mattel hat Barbie nie heiraten lassen, sondern vermarktet sie bis heute als selbstständige und berufstätige Frau, erfolgreich, aber kinderlos. Sie besitzt ein eigenes Traumhaus, Autos und außerdem gehören das Barbie-Wohnmobil, ein Hundepark, ein Kreuzfahrtschiff, ein Ponyhof und vieles mehr zur zauberhaft pinken Welt der Modepuppe. Dieses Profil runden außerdem je ein Doktortitel als Kinderärztin, Frauenärztin, Zahnärztin und Tierärztin sowie Führerschein und Pilotenlizenz ab. Auch ist Barbie gelegentlich als Ballerina, Märchenprinzessin, Meerjungfrau, Emo-Girl, mit Tattoos geschmückt und in vielen anderen Erscheinungsformen anzutreffen. Fast jeder Geschmack wird hier bedient. Summa summarum entsteht der Eindruck, dass Barbie den Inbegriff von Perfektion verkörpert. Sie ist schlank, attraktiv, klug, immer nach den neuesten Trends gekleidet, hat viele Freunde und ist überall beliebt. Die Entwicklung von der Puppe zur Medienperson ist mittlerweile so weit gediehen, dass sie eine eigene Pressesprecherin besitzt, welche

die Öffentlichkeit regelmäßig über Barbies Privat- und Liebesleben informiert.

Barbie vs. Frau So wird durch Aussehen, Ausstattung und auch durch die Werbung und Verpackung der Barbie-Puppen kleinen Mädchen vorgegaukelt, dass das Erwachsenendasein einfach ist und für Wohlstand und unbegrenzten Konsum steht. Untermauert wird dieser Eindruck durch diverse Barbie-Modelle, die mit einer pinken Kreditkarte ausgestattet sind und Slogans wie „I love shopping!“ und „Buy everything you want!“ von sich geben. So werden die kleinen Konsumentinnen frühzeitig darauf vorbereitet, was in Zukunft ihr liebstes Hobby zu sein hat: Shoppen. Am meisten Kritik erntet jedoch die optische Gestaltung der Barbie-Puppe. Umgerechnet auf den menschlichen Körper entsprachen die Maße der ersten Barbie den Maßen 9944-84 – himmelweit entfernt von den Proportionen einer echten Frau. Ein Mensch mit solchen Maßen wäre nicht lebensfähig, insbesondere weil der Unterleib nicht ausreichend Raum für alle lebenswichtigen Organe böte. Ein im Vergleich zum restlichen Körper derart überdimensionierter Busen würde eine Frau zudem permanent vorne überkippen lassen. So galt Barbie Kritikern von je her als sexistisch und regelrecht frauenfeindlich. Ein unerreichbares Schönheitsideal, vermeintlicher Auslöser von vermindertem Selbstbewusstsein und Essstörungen bei jungen Mädchen, die den angeblichen

Traummaßen nacheifern. Sogar eine psychische Störung wurde nach der Puppe benannt: das „Barbie-Syndrom“. Wer darunter leidet, empfindet den krankhaften Wunsch, wie die Puppe aussehen zu wollen.

Kultobjekt als schlechter Umgang Auch wenn Barbie von den Kindern irgendwann in die Ecke gepfeffert und nicht mehr beachtet werden, so hält sie sich doch irgendwie im Unterbewusstsein jeder Frau. Von klein auf kennen wir das blonde, perfekte Püppchen mit den „Idealmaßen“ und dem perfekten Leben. Sehnen wir uns deshalb automatisch, fremdbestimmt vom "BarbieIdol", nach einer solchen Traumwelt? Wir kämpfen um Idealmaße, machen Diäten, wollen möglichst viele Klamotten und den „perfekten" Freund, kaufen tonnenweise Make-up, versuchen mit den Modetrends mitzuhalten und am liebsten sind wir blond. Magermodels bevölkern Modenschauen und Plakatwände und viele Frauen und Männer wollen sein wie sie. Was weithin als weibliche Schönheit etikettiert wird, ist eine Travestie der Realität – und dieser Realität wird häufig bereits im Kinderzimmer der Krieg erklärt. Die Geister scheiden sich daran, ob Barbie wirklich Mitschuld an dieser gesellschaftlichen Entwicklung trägt oder ob wir heutzutage einfach zu wenig Verstand besitzen, um uns von derlei gefährlichen Trends abzuwenden und stattdessen selbstbestimmt unseren Weg zu gehen, ganz nach dem Motto: „Life is your creation!“


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LASST DIE PUPPEN TANZEN!

Oliver Brunner

The

Bigger the Better?!

Von Eva Lucia M.

Davor

Ich mag Brüste. Ich finde Brüste in den meisten Fällen auch wunderschön. Nur meine eigenen nicht: Sie sind zu groß. Jaja – das kennen wir: Die einen Frauen finden ihren Busen zu klein und hätten gern mehr und die, die dieses „Mehr“ haben, empfinden es als Last. Ist es nämlich auch. In vielen Situationen stellt ein großer Busen eine unglaubliche Barriere dar, wenn auch nur im Kopf – aber das reicht ja schon. Jeden Morgen überlegen, welches T-Shirt den Busen kleiner aussehen lässt und sich trotzdem noch äußerst unwohl fühlen, gehört zum Alltag, den frau irgendwie akzeptieren muss, ob frau will oder nicht. Und in mir reift die Gewissheit: Ich will eigentlich nicht. Ich mag nicht mehr den Rücken krumm machen und die Arme möglichst unauffällig vor meiner Brust platzieren. Ich mag nicht mehr im Unterwäscheladen nach Körbchengröße F fragen, um dann zu erfahren, dass „so groß“ überhaupt nicht geführt wird. Und ich habe auch keine Lust mehr darauf, einem Frauenbild zu entsprechen, das mich auf die Mutterrolle und auf die potenzielle Ernährung meines potenziellen Kindes reduziert. Ich finde, es geht hier allein um mein Leben. Daher habe ich mich über eine Brustverkleinerung informiert und einen guten Chirurgen empfohlen bekommen. Das war vor einem halben Jahr, jetzt habe ich mich letztendlich für die OP entschieden. Mammareduktionsplastik heißt der Eingriff in der Fachsprache. Die Krankenkasse bezahlt und Anfang Februar steht mir eine dreistündige Operation und daraufhin knapp eine Woche im Krankenhaus bevor.

Danach

663 Gramm. (Wer sich das so besser vorstellen kann: Das sind gut zweieinhalb Stück Butter.) Dank Vollnarkose habe ich von dem Gemetzel nichts mitbekommen. Während der ersten paar Tage brennen die Wunden noch und ein Druckverband versperrt mir die Sicht. Dabei könnte ich vor Neugierde platzen. Als ich „die Neuen“ dann das erste Mal zu Gesicht bekomme, bin ich ganz entzückt. Die Fäden werden nach knapp drei Wochen gezogen. Narben bleiben. Sie werden verblassen, dennoch sind sie da. Aber was sind schon Narben gegen eine Last, die frau mit sich herumträgt. Es fühlt sich definitiv leichter an. In meinem Kopf ist die Veränderung noch nicht ganz angekommen, aber ich weiß: Es war eine sehr vernünftige Entscheidung. Mir ist bewusst, dass ich mit diesem Eingriff einer gewissen „Körper-Normierung“ zustimme. Anstatt dafür einzustehen, dass Menschen nun mal verschieden aussehende Körper haben und dafür zu kämpfen, dass sich ihr Umfeld und die Gesamtgesellschaft dem/der Einzelnen anpassen sollte und nicht umgekehrt (indem man zum Beispiel auch abseits von Spezialgeschäften BHs mit einer Körbchengröße jenseits von D verkaufen könnte), gehe ich den Schritt der Anpassung. Die Frage, ob ich das vertreten kann, beschäftigt mich sehr. Ich beantworte sie mit einem Ja, weil ich mir mein Leben eigentlich nicht unnötig schwer machen will. Ich bin also endlich einem Wunsch nachgegangen, der mich seit meiner späten Pubertät begleitet hat. Lange jedoch hat mich die allseits glorifizierte Natürlichkeit davon abgehalten – doch heute bin ich froh, dank medizinischer Fortschritte und der Möglichkeit zur Selbstbestimmung über meinen Körper dieses Tabu (für mich zumindest war es lange eines) gebrochen zu haben.

UNI:PRESS # 672 MÄRZ 2013

Kleine Geschichte der EinwegRevoluzzerinnen Das Aufflammen des arabischen Frühlings markierte aus europäischer und nordamerikanischer Sicht eine bedeutsame Wende im Prozess der Emanzipation arabischer Frauen. Sie demonstrierten an vorderster Front und waren aktiv an den Revolutionen beteiligt. Heute protestieren sie noch immer, werden aber öffentlich gedemütigt und geschlagen, besonders in Ägypten. Geschieht das zum ersten Mal? Nein. Algerische Frauen können ein Lied davon singen. Von Dilara Akarcesme

Z

wei Jahre liegt es zurück, dass ein politischer Tsunami über verkrustete Strukturen im Nahen Osten hinwegfegte. Arabische Aktivistinnen bloggten, twitterten, Frauen gingen auf die Straße, halfen Verwundeten und stürzten Autokraten. Ein Blick auf den Tahrir-Platz in Kairo zeigt, wie sehr sich die Situation seitdem geändert hat. Videos von Demonstrantinnen, die misshandelt und brutal geschlagen werden, kursieren im Internet. Sexuelle Übergriffe sind Alltag. Die Instabilität des politischen Systems führt stetig zur Schwächung des Kontrollapparats, wodurch ein sehr fruchtbarer Boden für Straftaten entsteht. Mittlerweile streikt die Polizei in 13 der 29 Gouvernements, ein Viertel der Polizisten tut dort keinen Dienst mehr. In Quina, einer Region im Süden des Landes, sind 80 % der Polizeistationen unbesetzt. Auch vor Kameras kennen die Peiniger keinen Halt. Beispielsweise wurde die französische Reporterin Sonia Dridi vor laufender Kamera von einem Schwarm Männer belästigt und konnte sich nur mit Müh und Not befreien. Die Hürden auf dem Weg zur Gleichberechtigung sind groß. Eigentlich wiederholt sich die Geschichte nur. Der Unabhängigkeitskrieg Algeriens scheint das Schema F für arabische Revolutionen zu sein. Acht Jahre dauerte der Krieg Algeriens um die Unabhängigkeit von Frankreich, der im Jahr 1954 ausbrach. Während der Revolution spielten Frauen eine äußerst wichtige Rolle. Sie bewaffneten sich, kämpften Seite an Seite mit ihren männlichen Mitbürgern, versorgten Verwundete an den Fronten und sorgten dafür, dass die Revolution nicht zum Stocken kam. Während des Befreiungskrieges erkannte die Nationale Befreiungsfront, kurz FLN, die Gleichstellung der Frauen an, die durch bestimmte Praktiken, besonders an den Fronten, sichtbar wurde. Beispielsweise wurden Eheschließungen nur im gegenseitigen Einverständnis durchgeführt. Nach der Erreichung der Unabhängigkeit im Jahr 1962 gründete die FLN die UNFA (Union Nationale de Femmes Algériennes – dt. Nationale Union der Algerischen Frauen). Eine Organisation, die die Interessen der Frauen vertreten und für immerwährenden Fortschritt sorgen sollte. Nach einem Referendum im Jahr 1976 verfasste die FLN eine neue Konstitution, welche dezidiert die Emanzipation der Frauen anvisierte. Sie sprach der Frau gleiche politische Rechte zu und bestätigte sie in der Rolle der Befreierin; sowohl ihrer selbst als auch ihrer Nation. Hinzugefügt wurde dieser Verfassung auch die Feststellung, dass die Situation weiterhin verbesserungsbedürftig sei. Dass Frauen die geeignetsten Hüterinnen ihrer eigenen Rechte seien sowie dass sie durch ihren Kampf gegen Vorurteile und Erniedrigung selbst die besten Beschützerinnen ihrer Würde seien und dies auch bleiben müssten. Dass was den Staat anbelange, dieser die politischen Rechte der Frau anerkenne. Weiters verpflichtete sich der Staat, dazu, ihre Bildung und ihren „unvermeidlichen sozialen Aufstieg“ zu gewährleisten. Im Jahr 1978 starb Präsident Houari Boumedienne. Sein Nachfolger war der konservative Chadli Bendjedid. Nur zwei Jahre darauf wur-

de ein Gesetz verabschiedet, das es Frauen verbieten sollte, ohne männliche Begleitung zu reisen. Als Frauen an Flughäfen nicht ausreisen konnten, kam es zu heftigen Protesten und der öffentliche Druck sowie die Proteste am Weltfrauentag im Jahr 1980 zwangen die Regierung, die Regelung zurückzuziehen. Doch Chadli und sein Klan hatten größere Pläne. Ein neuer Familienkodex, der fundamentalistische Züge aufwies, war am Entstehen. Dies brachte Kriegsveteraninnen, Feministinnen und Aktivistinnen dazu, die Büros der UNFA zu besetzen, da diese ihre Arbeit nicht ernst zu nehmen schien. Als darauf beschlossen wurde, den Familienkodex im Geheimen zu debattieren, versammelten sich ca. 500 Frauen vor dem Parlament und reichten mehr als 10.000 Unterschriften ein, worauf die Parlamentarier den Frauen eine Zeitspanne von vier Tagen

gaben, um Änderungsvorschläge einzubringen. Die Diskussionen innerhalb der Protestbewegung entzweiten diese und somit wurde der Familienkodex aufgrund des fehlenden Konsenses unverändert verabschiedet. Praktisch stellt der Familienkodex Frauen gänzlich unter die Herrschaft der Männer. Er macht es zur gesetzlichen Pflicht der Frau, ihrem Mann zu gehorchen und seine Familie zu respektieren. Er legalisiert Polygamie für Männer. Frauen dürfen keine Scheidung einreichen. Im Falle einer Scheidung, die durch den Mann eingereicht wurde, bekommt der Vater das Sorgerecht für die Kinder (außer er ist damit einverstanden, dass es die Mutter bekommt). Seit dem Beschluss des Familienkodex leben tausende geschiedene Frauen auf den Straßen Algeriens, da sie nach der Scheidung auch von ihrer eigenen Familie verstoßen werden. Schließlich „verletzen“ sie damit die „Ehre“ des Familienhauses. Nun stellt sich die Frage, warum diese Frauen nach den Revolutionen, die sie praktisch möglich machten, auf eine derartig unverschämte Art und Weise unterdrückt und misshandelt werden. Die Antwort ist klar: Das Patriarchat kennt seine Feinde. Wenn es beispielsweise darum geht, dass algerische Soldaten französische Soldaten verjagen wollen, ist die Unterstützung der Frauen erwünscht – denn sie wissen, was diese Frauen bewirken können. Haben sie die unerwünschten Besatzer verjagt, richtet sich ihr Unmut gegen die Frauen – denn sie wissen, was diese Frauen bewirken können. Damit sie sich ja nicht gegen das neu errichtete Regime auflehnen, müssen sie massiv unterdrückt werden. Schließlich sind sie unfassbar gefährlich; sie kennen ihre Rechte und fordern sie auch ein. Revolutionen stehen und fallen mit den Frauen, ihrer Teilnahme und ihrer Gleichstellung. Viele Frauen sind sich dessen auch bewusst und setzen ihren Kampf gegen konservative Kräfte trotz problematischster Umstände fort. An dieser inspirierenden Stärke, Konsequenz und Ausdauer sollten bzw. müssen wir uns definitiv auch ein Beispiel nehmen!


LASST DIE PUPPEN TANZEN!

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Hau rein: Unser gewaltiger Alltag Jeder kennt sie. Diese Situationen, die Unbeholfenheit, lähmende Angst und Aggression in einem auslösen. In unserem Alltag ereignen sich täglich sehr viele Gewalttaten, sowohl Männer als auch Frauen sind Opfer. Ob in der Disko, in der U-Bahn oder im Einkaufszentrum: ist man in einer brenzlig scheinenden Situation, weiß man oft nicht, wie man reagieren soll. Man möchte um Zeit bitten, nur einen Moment des Nachdenkens, um richtig reagieren zu können. Doch die Zeit gibt es nicht. Was also tun? Von Gina Klee

Gefahrenstufe I, Situation 1: Der alltägliche Wahnsinn Ein Schatten ist hinter euch, ihr bemerkt ihn aus dem Augenwinkel. Klein und leicht gebückt nähert er sich. Ihr wollt nicht nach hinten schauen. Ihr ahnt, was es ist. Der Schatten kommt immer näher, Ihr richtet euren Blick starr nach vorne, tut so, als hättet ihr nichts gemerkt, versucht standhaft zu bleiben. Doch da ist sie, unaufhaltsam und schnell…die Vordrängler-Oma! Mit ihren gebückten eins fünfundfünfzig stiehlt sie sich in einer rasanten (!) Geschwindigkeit an euch vorbei, ohne Rücksicht auf Verluste, direkt zur Kasse. Triumphal packt sie ihre Diabetikerkekse auf das Band. Gemeinheit!? Ihr öffnet den Mund, wollt es nicht einfach geschehen lassen. Irgendetwas muss gesagt werden, schließlich seid ihr im Recht! Aber sie ist doch schon so alt und so gebrechlich, sie muss ihre restliche Zeit nutzen und nicht sinnlos vergeuden! Ihr habt doch Zeit, um das Studentenleben beneidet einen doch sowieso jeder, es ist doch so entspannt! Mögliche Lösung der Situation 1: Angriff und Abwehr in alltäglichen Situationen Teil „Angriff“ – Wenn man sich über ungerechte Situationen ärgert, Klärung durch Humor und/oder „Ich-Botschaften“ Oma drängelt sich im Einkaufsmarkt vor — „Und ich dachte schon, ich hätte es eilig…!“ — „Na, Frau Doktor, brennt die Hütte…?“ — „Natürlich lass ich Sie vor – keine Ursache …“ Gefahrenstufe I, Situation 2: Ausgetrickst! Alles, was ihr wollt, ist tanzen. Toller Abend, gute Musik, eure Freunde sind mehr als gut gelaunt. Ein Drink geht noch. Ihr begebt euch an die Bar. Dort wartet ihr mal wieder,

weil das Bier nicht schnell genug fließt, es vergeht die Zeit und jemand gesellt sich zu euch. Der Alkohol spricht aus Eurem Gegenüber – und er lallt Euch dämliche Sprüche ins Ohr, die ihr beim besten Willen nicht hören wollt. Ihr seid nur noch genervt. Doch irgendwie bemerkt das jeder, außer eurem Gegenüber. Mögliche Lösung der Situation 2: Angriff und Abwehr in alltäglichen Situationen Teil „Abwehr“ – Sprüche, die einfach nur nerven. Abwehr mithilfe der sogenannten „PasswortMethode“ (1–2 Wörter) — “Hey Puppe, du bist ja mal geil!“ „Ich weiß.“ — „Du bist ja vielleicht blöd!“ „Das täuscht.“ — „Dumme Kuh…“ „Sagt wer?“ Genannt wird diese Art der Kommunikation „Passwort-Methode“. Die Situation wird mithilfe von zwei Worten geklärt, das Gegenüber läuft mit seiner Verbalattacke ins Leere. Ähnlich kann man auch genervten Professoren im Kurs mit Anwesenheitspflicht begegnen: „Wieder mal zu spät, meine Dame!?“ „Das stimmt.“

Gefahrenstufe II: Im Auge des Bösen Es war ein langer Abend, es dämmert schon und ihr wollt nur noch nach Hause. Ihr seid bereits in eure Straße eingebogen, als euch zwei Typen entgegenkommen, die schon von Weitem nach Ärger aussehen. Noch bevor es handgreiflich werden kann, versucht ihr, euch verbal zu verteidigen. Ihr wollt keinen Ärger, doch was kann bei denen denn noch helfen? Mögliche Lösung bei Gefahrenstufe II: Deeskalation Situationen entschärfen, die gefährlich werden könnten

Steh auf, schrei: #aufschrei Die Userin stößt im Web auf kleine, große, fast täglich passierende Geschichten über Alltagssexismus aus dem realen Leben. Wucht, Masse und (Ohn-)Macht der #aufschreie erschrecken. von Ingrid Reitinger

W

as sich an diesem Januartag auf Twitter abspielte, war unfassbar: Der kurze Blick durch die Brille der selbst eingestellten Following-Welt artete in Entsetzen aus, Entsetzen über die Masse an Einträgen mit Berichten über Sexismus und Übergriffen, die unter dem Hashtag #aufschrei veröffentlicht worden waren. Und der Userin wurde klar, dass sie mit eigenen Erfahrungen mitreden kann. Sie schreibt Tweets, deren ärgerliche Inhalte mit dem Bekanntenkreis besprochen werden (falls überhaupt), und Tweets, deren arge Inhalte nur die beste Freundin kennt (falls überhaupt). Sie liest Einträge über alltägliche Widrigkeiten und Einträge über alltägliche Widerlichkeiten, über schwerwiegende Übergriffe, die aus Scham und aus einem Gefühl der Machtlosigkeit heraus nicht gemeldet wurden. Ein #aufschrei der Menge. Diese Empörung hat u. a. der FDP-Vorsitzende Rainer Brüderle ausgelöst: Vor einem Jahr verhielt er sich der Journalistin Laura Himmelreich gegenüber in einer Hotelbar derart anzüglich, dass sich seine Sprecherin beeilte, ihn mit „Zeit für’s Bett“ zurückzupfeifen. Dies verarbeitete die Stern-Journalistin in einem

Porträt, was von FDP-Seite als Versuch betrachtet wurde, „eine große Schippe Dreck“ auf Brüderle zu werfen– der Arme, Schützenswerte? Die Spiegel-Online-Redakteurin Annett Meiritz schrieb über ihre leidvollen Erfahrungen mit dem Frauenverständnis einiger führender Akteure der Piratenpartei und wurde offen als Prostituierte bezeichnet – soll sie sich tatsächlich „nun mal nicht so anstellen“? In dieser Diskussion über Alltagssexismus rief Netzaktivistin Anne Wizorek auf Twitter dazu auf, solche Erfahrungen unter einem Hashtag zu sammeln: „Ich schlage #aufschrei vor.“ Und das Sammeln begann an einem Donnerstagabend Ende Januar. Was sich innerhalb von Stunden zum Thema Alltagssexismus anhäufte, übertraf wohl die Erwartungen der Initiatorinnen, war jedoch kein Grund zur Freude: 140-Zeichen-Berichte über kleine und große alltägliche Diskriminierungen vermengten sich mit eher Belanglosem genauso wie mit Tweets über versuchte und durchgeführte Übergriffe. Diese Vermischung rief Kritik hervor, „Kleinigkeiten“ und Straftaten würden in einen Topf geworfen, hieß es. Hinzu kamen Reaktionen von Menschen, die die Problematik nicht verstehen konnten (oder wollten) und ihre Contra- und Provokations-Tweets unter demselben Hashtag posteten.

Bücher zum Thema: Bärsch/ Tim, Rohde/Marian (2008): Kommunikative Deeskalation. Praxisleitfaden zum Umgang mit aggressiven Personen im privaten und beruflichen Bereich. Norderstedt: Books on Demand. Rodgers/ Janet (2004): Selbstverteidigung. Der lebenswichtige Ratgeber nicht nur für Frauen. München: Bassermann. — Vorbereiten (Situationen vorstellen, durchspielen; Bücher und Seminare — Ruhe bewahren (Keine hastigen Bewegungen, nicht von Wut oder Angst ablenken lassen) — Haltung bewahren (sicherer Stand: Beine hüftbreit, Knie locker, Hände seitlich und Handflächen offen) — Auf Notsituation hinweisen („Ich fühle mich bedroht/belästigt.“) bzw. gezielt andere ansprechen: „Ich werde hier bedroht – Sie in der roten Jacke, bitte die Polizei anrufen!“) — Aggressor mit SIE anreden • Aus der Opferrolle gehen (Deutlich aktiv zeigen/sagen, was ich will > z. B. „Stopp! Bleiben Sie dort stehen!“) • Nicht drohen oder beleidigen (Stimme nicht erheben) • Körperkontakt vermeiden (Nicht anfassen) • Unerwartetes tun (Herzanfall vortäuschen, singen, mit der nächstbesten Hauswand sprechen)

Gefahrenstufe III: Worst Case oder: Spaß vorbei!

Oder die Methode S. A. V. E.: 1) Schallplatte mit Sprung: — Satz/Aussage permanent wiederholen: „Stopp! Bleiben Sie stehen! Bleiben Sie bitte stehen! Stehenbleiben!“ usw. 2) Aufmerksamkeit: — Näher kommend/selbst näher gehend und mit steigender Lautstärke: Sie bleiben jetzt stehen! Stehenbleiben! Stopp!“ 3) Verantwortung übergeben — Zwei Alternativen geben, Schritt zurückgehen: „Sie haben die Wahl: Ich rufe laut Polizei oder Sie lassen mich einfach gehen.“ 4) Entscheidung des anderen wurde getroffen: Dann selbst aktiv werden: schreien oder gehen.

Es ist unausweichlich, es kommt zum SuperGAU! Was tun? Tipps aus Janet Rodgers „Selbstverteidigung“. Mögliche Lösungen bei Gefahrenstufe III: — Ausweichen, Fluchtwege suchen, Aufmerksamkeit erregen. — Jedes Objekt kann helfen: Schlüssel, Regenschirm, Deo, Kugelschreiber. Egal wie, jeder Alltagsgegenstand kann in eine behelfsmäßige Waffe zur Selbstverteidigung umfunktioniert werden! — Schwachpunkte ausnutzen, Ablenkungsmanöver schaffen: Greift jemand eure Arme, tretet ihn/sie. Packt seinen/ihren Arm, dreht und überstreckt ihn. — In einer solchen Situation ist alles egal, es zählt nur, dass ihr weg kommt. Also: Pressluftschlag mit beiden Händen zu den Ohren, Handballenstoß direkt auf die Nase, Ellenbogen in den Bauch, Fauststoß überallhin. Fingerstoß in die Augen, beim Würgen von hinten die beiden kleinen Finger des Angreifers ruckartig nach außen ziehen. Greift jemand von hinten an, Kopfstoß nach hinten, vorne in die Arme beißen, gleichzeitig treten. Alles ist erlaubt, wenn es um euer Leben geht! Auch wenn solche Situationen leider immer wieder auftauchen, so lauert nicht an jeder Ecke Gefahr. Hoffentlich benötigt Ihr diese Tipps und Tricks nie, aber sie zu kennen, kann einem Sicherheit geben. Wenn Ihr wisst, was zu tun ist, so seid Ihr nicht gelähmt vor Angst und könnt euch wehren. Auch wenn euch nur jemand ärgerlich anspricht: „Das ist immer noch ein Fußgängerund kein Radweg! Können Sie nicht aufpassen?“, so antwortet doch: „Eigentlich schon.“ Gefahr erkannt, Gefahr gebannt.

Eher allgemeine Klagen wie @KatiKuerschs über „diejenigen, die behaupten, dass Frauen, die sich sexuell belästigt fühlen, sich das nur einbilden und falsch interpretieren“ zeugen ebenso wie die Beschwerde von @onyx0815 über „die obligatorischen ‚nur häßliche Frauen klagen über Sexismus, weil sie sich heimlich Belästigung wünschen‘-Äußerungen“ von der schmerzhaften Herabsetzung, die ein Mensch empfindet, dessen berechtigter Protest nicht ernst genommen wird. Den Betroffenen wird die Entscheidungshoheit über das eigene Empfinden abgesprochen, zugunsten von Akteuren, die ihre Macht via belästigende Kommunikation und Aktion ausspielen. Unabhängig voneinander entstanden @RostrotSummers Tweet „Wie wir uns für unsere Kleidung rechtfertigen müssen, anstatt Männer für ihr Verhalten!“ und der Gegenentwurf von @lilafisch: „wie sich junge frauen heutzutage anziehn brauchen sie sich nicht wundern wenn sie mal wer hinter nen busch zieht und durchvoegelt“. Das steckt dahinter? Frauen seien selbst schuld an ihrer Vergewaltigung, weil Männer sich beim Anblick von freizügiger Kleidung nicht mehr Herr ihrer selbst sind? @lilafisch scheint das Konzept Selbstbestimmung und -beherrschung noch immer nicht begriffen zu haben, präventiv schiebt er/sie die Schuld an Gewalttaten auf das Opfer. @crrlys Beschwerde über „Menschen, die dir sagen, du sollest dich nicht so haben wenn du ‚ein paar Mal im Leben angegrabscht wirst‘“ und @KatrinaR47s deutlicheres „Und wenn ich 3mal untervögelt bin: Du behältst Deine Griffel TROTZDEM bei Dir! #Selbstbestim-

mung“ müssen unnötig werden: Jeder Mensch soll selbst entscheiden, wann und wie er mit jemanden in Kontakt treten will. Trotzdem scheint sexistisches und diskriminierendes Verhalten ein oft ausgeübtes Machtmittel zu sein. So beschwert sich @TheCitizen_de über „Viele Beispiele, in denen (ökonomische) Abhängigkeit (Vorgesetzter, Journalisten-Politiker, Lehrer, ..) Sexismus möglich macht“. @ Mettministerium meint, sie habe „auch ein, zwei #aufschrei -Geschichten zu erzählen. Aber ich habe keine Lust auf ‚Da ist doch gar nix passiert, krieg dich ein!‘“ Vordergründig nicht zusammenhängend, zielt beides doch auf die gleiche Ursache: Machtverhältnisse. Macht beruht auf Abhängigkeiten, so wie die Schülerin von der Notengebung eines Lehrers abhängig ist – sie wird aber auch subtiler, durch Herabwürdigung und (angedrohte) Beschädigung der Glaubwürdigkeit des anderen,ausgeübt. Macht soll mit Respekt und Empathie einhergehen; Mitmenschen durch eigene Handlungen zu degradieren, ist untragbar. Die Userin findet, Augen und Ohren müssen offen sein und sensibilisiert werden, um die #aufschreiNotwendigkeit zu beseitigen. Noch gingen die Reaktionen nicht über Kommentare, Diskussionen über strafrechtliche Verfolgung von PoGrabschen und einige Talkshows hinaus. Und wenn ein populistisch-gestriger Kolumnist der Krone dort über seine Po-Klapse sagen darf, Männer wie er „spüren das doch, haben das im Gefühl“, ob eine Frau etwas dagegen habe und außerdem sei „das doch ein Kompliment für die Frauen“, ist der Weg noch weit.


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LASST DIE PUPPEN TANZEN!

Zurück zum Herd.

Dem spürbaren Erstarken konservativer Werthaltungen, der vermehrten Rückbesinnung auf Tradition und Katholizismus widersetzen sich neben einer zahn- und ideenlosen parlamentarischen Opposition einzig „Empörte“, FeministInnen und KünstlerInnen.

von Jan Marot, Granada Der Frühling hat längst Einzug gehalten, doch die soziale Kälte jenseits der Pyrenäen verschärft sich weiter. Die Krise ist für SpanierInnen wie PortugiesInnen selbst, noch mehr aber für ihre Regierungen, zu einer Entschuldigung geworden. „Es ist nun mal so. Krise eben. Geht wohl wieder vorbei“, hört man aus BürgerInnen- und PolitikerInnenmündern, und von den ExpertInnen sowieso. Gebetsmühlenartig werden der Bevölkerung unter ständiger Beschwörung „harter Zeiten“ jede Menge „Opfer“, keineswegs nur finanzieller, sondern vielmehr demokratiepolitischer Art, abverlangt und zugleich periodisch „Grüne Keime“ am Ende des Tunnels versprochen, die bislang allem Anschein nach noch gar nicht gesät worden sind. Fern von international beachteten Staatsund Bankenrettungspaketen, Milliardenlöchern in den Budgets und anonymen Arbeitslosenzahlen (fast sechs Millionen in Spanien und knapp eine Million im benachbarten Portugal) haben eineinhalb Jahre konservatives Krisenmanagement des rechten Partido Popular (dt. Volkspartei, kurz: PP) unter dem am 21. Dezember 2011 vereidigten spanischen Premier Mariano Rajoy Brey und zwei Jahre unter seinem portugiesischen Amtskollegen Pedro Passos Coelho von den mittlerweile rechtsliberalen Sozialdemokraten (PSD) deutliche Spuren hinterlassen. Was im Alltagsleben auffällt, wird beim genaueren Blick auf wirtschaftswie sozialpolitische Reformen und budgetäre Einschnitte überdeutlich: Eine Art „kon-

servativer Backlash“ wird vollzogen und in breiten Bevölkerungsschichten derzeit noch als scheinbar alternativlos akzeptiert. Begleitet wird diese Entwicklung von Einschränkungen der Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit, wie sie bereits auch im Nachbarland Portugal Usus sind. Dort gingen Polizei und Justiz zuletzt gezielt gegen Frauen in Anti-Krisenprotesten vor. Mariana Avelãs und Myriam Zaluar, zwei portugiesischen Journalistinnen und Betreiberinnen von Online-Protestplattformen drohen Haftstrafen; ihnen werden in zwei separaten Prozessen „Anstiftung zum Aufruhr“ und „Verbreitung von revolutionärem Gedankengut“ zur Last gelegt. Denn der Widerstand im Web wird scharf beäugt. So erhielten bereits Twitter-UserInnen, die den italienischen Schriftsteller Antonio Gramsci oder den aus Uruguay gebürtigen Autor Mario Benedetti zitierten, Post von der Madrider Staatsanwaltschaft. Mag sein, dass BürgerInnen in postdiktatorischen Staaten dazu neigen, auf einen dominanten, fast autokratischen Führungsstil, den der spanische PP – wie der portugiesische PSD und dessen Koalitionspartner – dank seiner absoluten Mehrheit pflegt, eher mit eingezogenem Kopf zu reagieren. Andererseits erstarken gerade hier auch Protestbewegungen wie die „Empörten“ („Indignados“, in Spanien auch „Movimento 15-M“ genannt), die ganz und gar nicht tatenlos zusehen – und auch die Geduld der restlichen Bevölkerung Spaniens und Portugals neigt sich dem Ende zu. Das Vertrauen in die etablierten Großparteien ist ohnehin längst in seinen Grundfesten erschüttert.

Mit einem weithin lesbaren „Ya basta hijos de puta“ (dt. „Es reicht, ihr Hurensöhne“) in dicken Lettern prangerte die spanische Künstlerin Teresa Margolles auf der Kunstmesse ARCOmadrid Mitte Februar das nicht allein spanische Paradox an: bodenloser Absturz nach dem Immobilienboom, gekoppelt mit flächendeckender politischer Korruption und viel zu freigiebigen Banken. Die Zeche für diese fatale Dreiecksbeziehung zahlen die SpanierInnen wie auch die PortugiesInnen via Steuererhöhungen und Leistungskürzungen. Bei Bildung, Gesundheit, Sozialem, Kunst- und Kultur wird ein brutaler Aderlass vollzogen. Zugleich werden grundlegende Sozialrechte, darunter auch Frauenrechte, ausgehöhlt. Dem gesetzlich erlaubten Schwangerschaftsabbruch droht in Spanien neuerdings die Abschaffung. Dagegen protestierten zuletzt Frauenrechtlerinnen der „Violetten Flut“, gemeinsam mit der „Weißen“ (Gesundheit) und „Grünen“ (Bildung) nebst anderen für einen Kursoder gleich Systemwechsel. Denn eine gute Ausbildung soll, wie eine private Krankenversorgung, alleiniges Privileg der Eliten werden. Die Welle an Sozialrechtsreformen, die der sozialistische Ex-Regierungschef José Luis Rodríguez Zapatero (2004–2011) während seiner Amtszeit erließ, hat sich längst an den Klippen der neuen Realität gebrochen und rollt nun mit aller Kraft zurück. Zapateros größter Coup war die Durchsetzung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare im erzkatholischen Spanien. Damit müssen sich nun auch die Konservativen und der reaktionäre Klerus abfinden, denn der spanische Verfas-

UNI:PRESS # 672 MÄRZ 2013 sungsgerichtshof hat diese Gesetzgebung als mit der Carta Magna (dem spanischen Grundgesetz) konform bestätigt. Das Urteil steht am Ende eines siebenjährigen Verfahrens, das durch eine Verfassungsklage des PP angestoßen worden war. In Sachen Gleichstellung der Geschlechter preschte Madrid seinerzeit noch mit seiner Quotenlösung voran, Jahre vor der EU, die eine solche im Moment diskutiert. Überdies wurde die Legalisierung der Fristenlösung verankert – ab dem 16. Lebensjahr und ohne verpflichtende Information der Eltern im Falle einer Abtreibung. Zuvor war sie einzig in Ausnahmefällen, wie nach Vergewaltigung, bei Missbildung des Fötus oder eben, wie in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle, wegen „Gefährdung der psychischen wie physischen Gesundheit der werdenden Mutter“ erlaubt gewesen. Doch die Lockerung der Bestimmungen führte, in Kombination mit der Freigabe der „Pille danach“, dazu, dass die Zahl der durchgeführten Abtreibungen überraschenderweise sank, anstatt in die Höhe zu schnellen.

„Rollenbild der 1960er-Jahre“ Ana María Pérez del Campo kämpft selbst mit ihren bereits 76 Jahren weiterhin unentwegt für Frauenrechte wie das der Abtreibung. Sie gründete bereits 1973, während der faschistischen Diktatur unter Francisco Franco, den Verein Getrennter und Geschiedener Frauen in Madrid. „Justizminister Alberto Ruíz Gallardón darf und kann nicht aus religiösen Motiven seine geplante Legislatur in einem offiziell nicht-konfessionellen Staat durchboxen. Es ist nicht tolerierbar“, beklagt Pérez del Campo: „Es stimmt natürlich auch nicht, dass Spanien nicht-konfessionell ist. Bei uns ist die Kirche so stark wie der Islam in islamistischen Staaten – mindestens.“ Es sei „die Burka der Spanierinnen“, ihnen nicht zu gewähren, selbst über ihre Mutterschaft zu entscheiden: „Man will sie ihnen unter Androhung von strafrechtlicher Verfolgung aufzwingen.“ Sie wittert dahinter Druck, der bewirken soll, dass „Frauen wieder ihr Rollenbild der 1960er-Jahre ergreifen“, nämlich: „Zurück zur Familie zu Haus und Herd. Aus


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diesem Grund werden sukzessive ihre Rechte beschnitten.“ Es scheint, als werde das Leidenspotenzial der Bürger in Spanien und Portugal bis ans Limit ausgetestet. Sie leben in permanenter ökonomischer Angst und sind zumindest teilweise um ihre Reflexions- und damit auch Reaktionsfähigkeit gebracht worden. Ungeschminkt kritisierte die spanische Schauspielerin Candela Peña – dank ihrer Nebenrolle als Nina in Pedro Almodovars „Alles über meine Mutter“ auch über die Landesgrenzen hinaus bekannt – anlässlich der Verleihung der Goyas, der spanischen Filmpreise, den Status quo: „Ich habe drei Jahre lang nicht gearbeitet“, sagte die Schauspielerin den Tränen nahe, und bat öffentlich um Arbeit, damit sie ihr Kind ernähren könne. „In den letzten drei Jahren habe ich meinen Vater in einem öffentlichen Spital sterben sehen. Wir mussten ihm Decken und Wasser bringen.“ Jenes Krankenhaus im nordspanischen Katalonien rationierte gemäß El País das Trinkwasser seiner Patienten. Zwischen Mittag- und Abendessen wurden lediglich 1,5 Liter pro Person gegeben. Und die Armut wächst weiter: In über 1,8 Millionen spanischen Familien hat laut dem Nationalen Statistikinstitut INE kein erwerbsfähiges Mitglied einen Job – Tendenz: steigend. Und zu alledem wird Spaniens Generationenkonflikt durch eine gut ausgebildete Jugend, deren Arbeitslosenrate in einzelnen Provinzen die 70-Prozent-Marke erreicht, verschärft. Denn sie stellt das Gros der knapp 400.000 ArbeitsemigrantInnen, die seit 2007 das Land auf der Suche nach Beschäftigung verlassen haben. Doch das Exil ist nicht die einzige Alternative. Je länger und tiefer Spanien und Portugal in der Krise verharren, desto öfter greifen die BürgerInnen zur Selbstorganisation. Protestgruppen wie ¡Democracia real YA! (dt. „Wahre Demokratie, jetzt!“) und „Indignados“ („Empörte“) beider Länder, halten Versammlungen in den Bezirken ab und verhindern Flash-Mob-artig Zwangsdelogierungen zahlungsunfähiger HypothekenkreditnehmerInnen, deren Suizide sich zuletzt vervielfachten. Zudem werden Besetzungen organisiert: Aus Spargründen aufgelasse Bibliotheken in marginalisierten Bezirken, leer stehende Wohnbauten oder, wie im Fall von Andalusiens Landarbeitergewerkschaft SAT, die auch schon in Robin-Hood-Manier Supermärkte plünderte, um Nahrungsmittel

an hungrige Familien zu verteilen, ein brachliegendes Übungsgelände der spanischen Armee werden Besetzt und umfunktioniert. Den BewohnerInnen von La Palma und La Palmilla, zweier heruntergekommener Bezirke des südspanischen Málaga, glückte sogar die Schaffung der ersten „Guten Bank“ in Zeiten der allgegenwärtigen Bad-Banks. Am 12. Dezember 2012, um Punkt 12:00 Uhr, besetzten sie die Filiale der in Málaga beheimateten UniCaja des „Barrios“ (Viertels, Anm.) kurzerhand. Die Aktion wurde angeführt von Jésus Rodríguez Arribas (40) alias „El Chule“ und begleitet von Vertretern der anarchistischen Gewerkschaft CGT (Confederación General del Trabajo), Mitgliedern der „Empörten“ der 15-M-Bewegung, der „Plattform der Betroffenen von Hypothekenkrediten“ sowie der lokalen Linkspartei. Wo einst Akten lagerten, sind nun fast 1000 Kilogramm Lebensmittel, in erster Linie Kohlenhydratbringer wie Reis und Nudeln, gestapelt. Denn seit ihrer Besetzung dient die Bankfiliale als Sozialküche, Nachbarschaftstreffpunkt und Infozentrum für von der Delogierung bedrohte HypothekenkreditnehmerInnen. „Wir können doch nicht untätig bleiben, wenn wir sehen, dass NachbarInnen ihre Wohnungen verlieren und Kinder ohne Frühstück zur Schule gehen müssen“, sagt Jésus Rodríguez: „Wir haben eine Türe geöffnet.“ Denn weil die Bezirke unweit des Stadions des Fußballclubs CF Málaga vornehmlich von der Minderheit der Roma und Sinti und Immigranten aus dem Maghreb und aus Westafrika bewohnt werden, interessierten sich weder Stadtverwaltung noch Medien für die Marginalisierten. „Nun kennt man uns nicht nur ganz Spanien, sondern sogar die BBC war hier.“ Just vor der Invasion der TVÜbertragungswägen „waren auch erstmals seit langer Zeit Straßenkehrer bei uns“, sagt ein sichtlich amüsierter Rodríguez. 50 bis 60 Leute kämen zu jeder der drei täglich in der „Guten Bank“ angebotenen Mahlzeiten. Für viele der treuen NeukundInnen sind es die einzigen am Tag. Stolz sind die BankbesetzerInnen auch darauf, dass man im „selbstverwalteten Raum“, wie in überdimensionierten Buchstaben über dem Eingang geschrieben steht, weder „religiös noch karitativ“ agiere. Für den Moment wird die „Gute Bank“ seitens der Stadtverwaltung geduldet und auch die UniCaja-Leitung bewahrt bislang Stillschweigen.

Zum Protest auf das Politparkett Zu den sich häufenden, ja fast permanenten Protesten, die nicht selten in Zusammenstößen mit den Sicherheitskräften münden, trägt auch die Mobilisierungsfähigkeit der außerparlamentarischen Opposition im Netz bei. Dort plant bereits eine Splittergruppe der „Empörten“ den Sprung auf das Politparkett. Der neu entstandene Partido X, Partido del Futuro („Partei X, Partei der Zukunft“) gibt sich schwer erzürnt, partizipatorisch vernetzt und darüber hinaus auch noch mit einem Hauch von Populismus 2.0. Auch in Portugal startet die Partei der „Empörten ReformerInnen“ just mit einem Ex-Banker, Filipe Pinhal, um gar den Erfolg der italienischen „Fünf Sterne“ (MoVimento 5 Stelle, die Protestpartei des Komikers Beppe Grillo, Anm.) zu egalisieren. Dieser Versuch, sich über das als Wurzel des Übels betrachtete politische System selbst Gehör zu verschaffen, werden jedoch innerhalb der Protestbewegungen kritisch gesehen. Es wird sich zeigen, ob sich eine solche Kraft behaupten kann. Spätestens könnte dies der Fall sein, wenn sich die schweren Schwarzgeld-Vorwürfe gegen Politiker des spanischen PP erhärten sollten (Spitzenfunktionäre, unter ihnen auch Premier Mariano Rajoy, sollen über Jahre Geld aus schwarzen Parteikassen erhalten haben). Vielleicht wäre dann die Zeit reif für ein TechnokratInnenkabinett nach italienischem Vorbild. Doch Spanien ist bei Weitem kein gutes Land für Experimente von oben, wie die Geschichte lehrt – seien sie ökonomisch, politisch oder sozial. Ein Wandel von unten könnte das Land und mit ihm das krisengeschüttelte Europa aus seiner scheinbaren Schockstarre wecken. Die Proteste werden jedenfalls andauern, auch in Portugal, wo die ersten „Empörten“ Europas aufbegehrten. In Lissabon entern nun Protestierende MinisterInnenauftritte, und selbst Premier Passos muss es sich gefallen lassen, im Parlament mit dem Lied Grândola Vila Morena, der Hymne der Nelkenrevolution,und einem Musik gewordenem Symbol für Demokratie und Freiheit der Portugiesen, unterbrochen zu werden. Denn die Indignados der Iberischen Halbinsel beklagen nicht nur das Schwinden ihres einstigen Wohlstandes. Sie prangern vor allem den Verlust zentraler europäischer Werte an, die dereinst mühsam erkämpft werden mussten.

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UNI:PRESS # 672 MÄRZ 2013

Computerspiele – Verblödung oder harmloses Entertainment? Computerspiele begleiteten unsere Generation schon von Kindesbeinen an. Mittlerweile sind sie fester Bestandteil der Unterhaltungsindustrie. Die vom Boulevard als solche titulierten „Killerspiele“ geraten nicht selten ins Fadenkreuz der Kritik, wobei ihr Erfolg ungebrochen ist: Das Spiel Call of Duty: Black Ops 2 setzte 2012 innerhalb von 15 Tagen einen Betrag von mehr als einer Milliarde US-Dollar weltweit um. Ein Betrag, von dem die Filmindustrie nur träumen kann. Unsere Autoren versuchen eine differenzierte Betrachtung des Unterhaltungsmediums Computerspiel und seiner Auswirkungen auf die Spieler.

ZAHL

KOPF Von Jürgen Wöhry

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ie Videospiel-Branche hat im letzten Jahrzehnt einen enormen Aufstieg erlebt und ist heute aus der elektronischen Unterhaltungsindustrie nicht mehr wegzudenken. Doch mit der Angebotsvielfalt wächst auch die Kritik. Diese richtet sich beispielsweise gegen die Verherrlichung von Gewalt und will auch ein Bewusstsein für Erscheinungen wie (Video-)Spielsucht und Realitätsverlust wecken. In Deutschland führte die Diskussion sogar dazu, dass einige Spiele nur zensiert und andere überhaupt nicht erst auf den Markt kommen. Es sind vor allem tragische Ereignisse wie Amokläufe, die die Diskussion über Videospiele immer wieder aufflammen lassen. Bereits kurz nach solchen Vorfällen haben Medien und Politik einen passenden Sündenbock in der Spieleindustrie gefunden und ganze Serien von verschiedenen Computer- und Konsolenspielen werden als „Killerspiele“ abgestempelt. Der Vorwurf, Computerspiele erhöhten das Gewaltpotential vor allem Jugendlicher wird dann noch mit ein paar pseudowissenschaftlichen Studien untermauert und schon hat man das perfekte Argument, um gegen die Spielebranche vorzugehen. Tatsächlich ist es jedoch so, dass es bis heute keinen ernstzunehmenden Beweis zwischen für den direkten Zusammenhang von virtueller und realer Gewalt gibt. Faltin Karlsen, Professor an der Norwegian School of Technology, stellte in einem Experiment, welches er mit Testpersonen im Alter zwischen elf und 19 Jahren durchführte, sogar fest, , dass die Gewalt in Spielen kaum einen bleibenden Eindruck auf die Testpersonen hinterlasse. Doch leider schenkt die breite Öffentlichkeit solchen aufklärenden Gegenpositionen kaum Gehör. Wieso denn auch? Die Kausalkette „virtuelle Welten – Realitätsverlust – Defizite und/ oder Gewalt in der realen Welt“ klingt für den Durchschnittsbürger plausibel und ein kollektiver Feind ist ja schließlich auch etwas Schönes: Eltern von Kindern mit hohem Aggressionspotential brauchen dadurch gar nicht mehr über ihre eigenen Erziehungsfehler nachzudenken, da ja die bösen Killerspiele sowieso an allem Schuld sind. Dem Staat kommt diese Entwicklung nur gelegen: Das Augenmerk kann in bester populistischer Manier gezielt von realen Missständen auf den Nebenschauplatz „Killerspiele“ gelenkt werden. Die Masse lässt sich bereitwillig vor den Karren spannen und schreit im dumpfen Reflex nach der oberflächlichen Scheinlösung: Verbot! Es ist deshalb von enorm großer Bedeutung, sich dessen bewusst zu werden, dass es sich bei Games um eine Kunstform unter anderen handelt, die ein feines Sensorium für soziale Problemzonen entwickelt hat. In Zeiten des „War on Terrorism“ boom(t)en die Ego-Shooter, in denen sich der Spieler einer Bedrohung der westlichen Konsumgesellschaft entgegenstellen musste – ob

Von Christopher Spiegl diese nun als radikalislamische Gotteskrieger oder Aliens/Zombies maskiert daherkam. Dass gerade die lebenden Leichen auch als Metapher der Angst vor dem Gewaltpotenzial des Alltags im Zeichen der globalen Krise gelesen werden kann – geschenkt! Die Games-Gegner übersehen geflissentlich, dass gerade das kathartische Element im virtuellen Niedermähen von gegnerischen Armeen eine Möglichkeit sein kann, negative Emotionen aus dem Alltag herauszuhalten. Handlungsbedarf besteht nur, wenn das Spiel zum einzigen Handlungsraum mutiert. Ein weiteres, oft von den KritikerInnen benutztes Argument ist nämlich der scheinbar hohe Suchtfaktor von Spielen: Große Teile der Jugend stumpfen angeblich ab, verblöden und können sich nicht mehr aus der virtuellen Welt losreißen. Diese Behauptung ist ebenso wie die vorherige in keinster Weise wissenschaftlich nachweisbar. Untersuchungen mit Testpersonen, die das Online-Rollenspiel World of Warcraft (kurz WOW) spielten, kamen zwar zum Ergebnis, dass Erfolge, wie etwa der Sieg über einen Gegner, ähnliche Prozesse im Gehirn auslösen wie beispielsweise ein Gewinn in einem Kasino. Doch diese Vorgänge sind viel schwächer ausgeprägt und können somit überhaupt nicht mit der Situation eines/r Glücksspielsüchtigen verglichen werden. Vielmehr ist es oft das Gemeinschaftsgefühl bei Multiplayerspielen, das manche Menschen an den Bildschirm fesselt, wobei jedoch ein sehr geringer Teil der SpielerInnen tatsächlich ein Verhalten entwickelt, dass der Definition von Sucht entspricht. Und auch diese kann kaum den Games angelastet werden. Sie sind lediglich Mittel zum Zweck, und der Zweck ist Flucht aus einer problematischen Realität. Hier gilt es, anzusetzen, Jugendlichen Perspektiven zu geben, anstatt sie sich selbst zu überlassen und dann die Schuld auf die Spiele zu schieben. Games per se sind ungefährlich. JedeR, der solche Medien benützt, sollte jedoch seine/ ihre Grenzen kennen und das Wesentliche im Leben nicht der virtuellen Realität opfern – das gilt aber ebenso für TV und Internet. Sie ersetzen, ebenso wie Games, nicht ein intaktes Zuhause, Freunde und echte Erfahrungen. Wenn jemand das Spielen als Zeit- und Geldverschwendung sieht, dann kann er/sie ja seine Freizeit anders gestalten. Die polemische Hetze der Medien und der Politik gegen die Spieleindustrie ist jedoch in keinster Weise zu tolerieren. Deshalb: Informiert euch über das Thema und lasst euch nicht verblenden!

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iele Spiele basieren auf Aggression, damals wie heute, digital wie analog. Zugegeben: Die Anzahl der Möglichkeiten, sich eine fiktivspielerische Welt zu kreieren, ist in unserem Zeitalter ungemein höher als je zuvor. In Computerspielen konsumiert man diese Welt jedoch nur und hat begrenzten (Handlungs-)Spielraum – ganz im Gegensatz zum echten Leben, das sowohl im (realen) Spiel wie auch im Ernst des Alltags Kreativität einfordert. Die „Killerspiel“-Debatte wurde vor einiger Zeit mit emotionalen und wissenschaftlich nicht belegbaren Argumenten geführt. Auch wenn diese Diskussion mittlerweile versandet ist, ist es wichtig, über die veränderten Verhältnisse in der Unterhaltungsbranche kritisch nachzudenken. Denn die Videospielbranche macht längst mehr Umsätze als die Filmindustrie. Die virtuelle Spielwiese wächst rasant – doch was passiert dort mit uns? Es kann wohl niemand von sich behaupten, nach dem Konsum von Super Mario am Gameboy in Versuchung geraten zu sein, sich als Klempner zu verkleiden, gegen Mauerblöcke zu springen und auf Schildkröten herumzutrampeln? Heute bewegen wir uns aber in gänzlich anderen Dimensionen. Massively Multiplayer Online Games und Social Games via Facebook haben ausgeklügelte Spielmechanismen, die Belohnungsstrukturen und soziale Bedürfnisse der Menschen berücksichtigen. Sie mögen eventuell die Konzentrationsfähigkeit und Organisationstalente im beschränkten Maße fördern, sind aber dennoch eine Ausgeburt der Spielehölle die unsere Passivität fördert. Die Vermarktung von vermeintlichen Erfolgserlebnissen beschert uns eine angenehme Dopamindusche, während unser echtes Leben in der Bedeutungslosigkeit versinkt. In Farmville werden virtuelle Früchte geerntet. Echte kann man ja (noch) immer im Supermarkt kaufen. Alle Menschen, die in Südamerika wegen des Soja-Wahns (für unser Tierfutter) Hunger

leiden, müssen uns Hobby-Agrarkünstler notwendigerweise für verrückt erklären, wenn wir imaginäre Lebensmittel abernten. Na Mahlzeit! Argumente, die sogenannte Ego-Shooter als Sündenböcke für eine zunehmende Gewaltbereitschaft in der Gesellschaft brandmarken, sind eine billige Kaschierung der gegenwärtigen Konsumgesellschaft und ihrer Leidenschaft, für den Ausverkauf von Gefühlen, Einstellungen und Erfahrungen. Vorschnelle Verurteilungen mögen in die Irre führen und hetzen nur Teile der Bevölkerung gegen andere auf. Ob der Konsum von gewalttätigen Inhalten auch zu einer erhöhten Aggressivität im Alltag führt, ist schwer nachzuweisen – genauso könnte argumentiert werden, dass sie dadurch kanalisiert und abgebaut werden kann. Ein anderes Kapitel ist der latente Sexismus, dem wir in Videospielen begegnen. Weibliche Hauptcharaktere kommen so gut wie gar nicht vor (mit Ausnahme von Figuren à la Lara Croft natürlich) und geschlechterungerechte Klischees sind verbreitet; es wäre ja zu komisch für die überwiegend männliche Gamerschaft, sich mit einer Frau zu identifizieren. Das kann der Videospielmarkt seinen KonsumentInnen nicht zumuten. In Zeiten von Drohnenkriegen und der damit einhergehenden entpersonalisierten Kriegsführung, ist das Spielen von realistisch anmutenden Kriegsspielen zu einem höchst perversen Unterfangen geworden. Aber andererseits war „Krieg-Spielen“ (man denke an Zinnsoldaten) in allen Gesellschaften, die die Geschichte hervorgebracht hat, akzeptiert. Was die aktuellen Gewaltspiele betrifft, ist jedoch eine Besonderheit zu beobachten: Bei der geläufigen Annahme, „Killerspiele“ führten zu erhöhter Gewaltbereitschaft, wird vollkommen vergessen, dass KonsumentInnen dieser Spiele auch einer Opferrolle ausgesetzt sind. Das klingt jetzt vielleicht trivial, schließlich werden diese Spiele freiwillig gespielt, aber die negative Konsequenz, die sich aus dem ständigen Adrenalinrausch mit Dauerbeschuss und dem Erleben digitaler Tode ergibt, ist nicht zwingend in erster Instanz, jemanden Verprügeln zu wollen, sondern dass das Misstrauen gegenüber anderen sozialen Individuen abgeschwächt wird (der Psychologieprofessor Mario Gollwitzer von der Philipps-Universität Marburg wies in einer Studie 2010 auf diesen wenig beachteten Umstand hin). Games per se sind nicht ungefährlich. Sie bedienen den Wunsch nach passivem Erleben und niedere Instinkte. Und sie verhindern vor allem eines: Ein progressiveres und kritischeres Weltbild.


LASST DIE PUPPEN TANZEN! 11 Von Provokation bis Eskalation – Gewalt auf Demos Von Lisa Mitterbauer

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emonstrationen bergen ein enormes, kaum abzuschätzendes Maß an Konfliktpotenzial. Die Stimmung ist aufgeheizt und in kurzer Zeit kann es zur Eskalation kommen. Bestes Beispiel hierfür ist die jährliche Demo gegen Nazis in Dresden, die in den letzten Jahren kaum ohne gewalttätige Übergriffe auskam. Allerdings kann selten die Schuld nur auf einer Seite, also bei Polizei oder Demonstrierenden, gefunden werden. Der Großteil der angekündigten Demonstrationen verläuft friedlich, aber natürlich gibt es auch Ausnahmen. Dabei spielt besonders die unterschiedliche Konfliktwahrnehmung der Polizei und der DemonstrantInnen eine Rolle. Aktuelles Beispiel: Die Demo gegen den Akademikerball (vormals WKR-Ball) in der Wiener Hofburg, deren Anspruch es war, friedlich zu verhindern, dass die Gäste am Ball teilnehmen können. Verschiedenste Gruppierungen setzten sich dafür ein, die Demo in gelenkten Bahnen verlaufen zu lassen, um zu verhindern, dass es zu gewaltsamen Zusammenstößen mit den BallbesucherInnen und der Polizei kommt. Solche Organisationsgruppen lassen sich auf ziemlich allen größeren Demonstrationen finden. Ihre selbst gewählte Aufgabe ist es, Demorouten zu planen und Aktionspläne für den Notfall zu erstellen. Außerdem schulen sie Demonstrierende im Umgang mit der Polizei, geben Tipps für den Fall von Festnahmen oder zeigen, wie im Falle von gewalttätigen Ausbrü-

chen jeglicher Art zu reagieren ist. Bei der Demo gegen den Akademikerball kam es jedoch trotz der Vorbereitungsarbeit dieser Organisationen zu Festnahmen und Übergriffen. Wer nun wen provoziert hat und wie die Szenen abgelaufen sind, wird verständlicherweise von den beteiligten Parteien unterschiedlich beantwortet. Eine Trennlinie zwischen Selbstverteidigung und Gewalt ist nicht immer einfach zu ziehen und oft mangelt es den TeilnehmerInnen an der Zivilcourage, sodass bestimmte Vorfälle nicht befriedigend geklärt werden können. Die Problematiken sind, wie bereits eingangs erwähnt, vielfältig. Es gibt Personen oder auch Gruppen, die Methoden einsetzten, welche darauf angelegt sind, Konfrontationen zu provozieren, beispielsweise Sitzblockaden, Besetzungen oder der Versuch, polizeiliche Absperrungen zu umlaufen. Demonstrierende können aber natürlich nicht alle in einen Topf geworfen werden. Neben friedlichen Bürgern, die für ihre Anliegen auf die Straße gehen, gibt es auch Gruppen, die von vornherein die Gewalt als legitime Form des Protestes ansehen. Problematisch können auch die Eingriffsversuche der Polizei sein, die oft als zusätzliche Provokation verstanden werden und somit die erhitzte Stimmung schnell zum Überkochen bringen können. Ebenso darf allerdings nicht außer Acht gelassen werden, dass bei einigen Polizeieinsätzen gezielt ZivilpolizistInnen eingesetzt werden, die sich unter die Menge mischen und dann als Provokateure agieren. In den vergangenen Jahren ist dies häufiger auf Demonstrationen in Berlin passiert. Teilweise sieht die Befehlsstruktur auch vor, dass den Polizeikräften vor Ort relativ freie Handhabe gewährt wird; wie und wann sie gewaltsam gegen einen Demonstrationszug vorgehen, bleibt den Einsatzkräften großteils selbst überlassen. Dadurch, dass die Beamten nicht erst lange Be-

Links vs. Rechts:

Über die Unterschiede zwischen Links- und RechtshänderInnen

Während der Großteil der Bevölkerung aus RechtshänderInnen besteht, gibt es auch einen kleineren Anteil, der hauptsächlich mit der linken Hand arbeitet. Doch der Unterschied zwischen diesen beiden Typen von Menschen ist besteht in weitaus mehr als nur der bevorzugten Benutzung einer Hand. Von Jürgen Wöhry

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ie Ursache für diesen Unterschied findet sich im Gehirn, welches bekanntermaßen in zwei Hälften oder Hemisphären aufgeteilt ist. Zwischen diesen findet eine Arbeitsteilung statt: In der linken Hemisphäre passiert z. B. das analytisch-logische Denken, das Verstehen und Erkennen von Wörtern und Buchstaben und die sprachliche Sinnerfassung. Auch das Denken in abstrakten Begriffen und die Feinmotorik sind hier verankert. Die rechte Hirnhälfte ist u. a. für die räumliche Vorstellung, die bildhafte Vorstellung und das Gefühlsverständnis zuständig. Hier finden sich also Prozesse statt, die für jegliche Form des nonverbalen Verstehens von Bedeutung sind. Der Grund dafür, ob man ein/e Linksoder RechtshänderIn ist, ergibt sich aus der Dominanz einer Hemisphäre über die andere. Bei LinkshänderInnen ist die rechte Hälfte die dominante, während bei RechtshänderInnen die Linke aktiver ist. Welche Seite aktiver ist und die andere „kontrolliert“, ist genetisch veranlagt. Durch die verschiedenen Aufgaben der beiden Teile des Gehirns hat die Dominanz einer Seite jedoch auch zur Folge, dass nicht nur die bevorzugte Benützung einer Hand, sondern viele weitere Denk- und Arbeitsprozesse von Links- und RechtshänderInnen un-

terschiedlich ablaufen. Zahlreiche Studien zu diesem Thema wurden bereits veröffentlicht, jedoch widersprechen diese einander teilweise: Bei einem Test in einer Schulklasse hatte sich herausgestellt, dass linkshändige Kinder vor allem beim mathematischen Verständnis, hinsichtlich der Lesekompetenz und beim Argumentieren schlechter abschnitten, als ihre rechtshändigen KlassenkollegInnen. Einer weiteren Studie zufolge sind LinkshänderInnen auch in den Bereichen Leseverständnis, Wortschatz und Kurzzeitgedächtnis deutlich benachteiligt. Andere WissenschaflterInnen attestierten LinkshänderInnen im Gegenzug ein besseres Leseverständnis als RechtshänderInnen. Mögen die Einzelergebnisse auch kontrovers sein, der Großteil der ForscherInnen ist dennoch der Meinung, dass ein Zusammenhang zwischen kognitiven Leistungen und der Händigkeit einer Person besteht. Wie groß dieser jedoch tatsächlich ist, ist schwierig zu ermitteln, denn die Ergebnisse sind sehr stark von der genauen Fragestellung und den Testpersonen abhängig. Fest steht einzig, dass das Gehirn eines/r LinkshänderIn anders arbeitet als jenes eines/r RechtshänderIn. Besonders zeigte sich das bei Versuchen, die das sprachliche Zentrum betrafen: Da bei RechtshänderInnen die linke Gehirnhälfte die dominante ist, ist während sprachbezogener Vorgänge bei 95

Prozent der getesteten rechtshändigen Personen auch nur dieser Teil aktiv. Dies trifft nur auf zwei Drittel der LinkshänderInnen zu. Bei den übrigen fanden auch in der rechten Hemisphäre Aktivitäten statt. Es besteht also eine größere Heterogenität unter LinkshänderInnen, was die Gehrinaktivität bei sprachbezogenen Denkprozessen betrifft. Ebenso zeigten anatomische Untersuchungen, dass das Corpus callosum (oder Hirnbalken) genannte Nervenbündel, welches die beiden Teile des Hirnes verbindet, bei LinkshänderInnen stärker ausgeprägt ist, als bei rechtshändigen Personen. Es wird daher vermutet, dass bei LinkshänderInnen das Gehirn stärker symmetrisch aufgebaut ist und deutlich mehr Interaktionen zwischen den beiden Hemisphären stattfinden. Die Unterschiede zwischen Links- und Rechtshändigkeit sind also weitaus größer als man zunächst annehmen mag, wichtige Prozesse im Gehirn laufen anders ab und dessen Struktur als Ganzes ist verschieden. Zentrale Aspekte der – hier natürlich nur grob skizzierten – Differenzen, die sich aus der Linksbzw. Rechtshändigkeit ergeben, sind bis heute jedoch nicht ausreichend erforscht. Vor allem der genaue Zusammenhang zwischen Händigkeit und Gedächtnisleistung ist nach wie vor umstritten, obwohl es als gesichert gilt, dass ein solcher besteht.

fehlsketten überbrücken müssen, ehe sie selbst Gewalt einsetzen können, wird ein Klima der Unsicherheit geschaffen. Hierin mag man natürlich auch eine Methode der generellen Abschreckung von potenziellen DemonstrantInnen erblicken. Logischerweise sind Demonstrationen immer in irgendeiner Form politisch motiviert. Das bedeutet, dass es nicht nur zu Zusammenstößen zwischen Polizei und Demonstrierenden kommt, sondern auch Gruppen von Demonstrierenden unterschiedlicher Lager schnell aufeinander losgehen können. Die Hauptrollen spielen in diesen Szenarien dann einerseits rechte und andererseits linke Gruppierungen, die oftmals gegeneinander auflaufen. Die Gewalt, die in diesen Auseinandersetzungen von den Rechten ausgeht, steht meist im Zusammenhang mit Körperverletzungen. Der Gegenpart dazu ist die Gewalt der Linken, die sich hauptsächlich gegen Institutionen und deren RepräsentantInnen, also etwa die Polizei, richtet. Als konfliktreich stellt sich auch die Auslegung und Befolgung der Gesetze dar, die den Bereich der Demonstrationen betreffen. Filmaufnahmen von Demonstrierenden werden von diesen oft als Eingriff in die Privatsphäre betrachtet. Als Antwort darauf machen die TeilnehmerInnen häufig ihre Gesichter auf die eine oder andere Art unkenntlich, verstoßen hiermit aber gleichzeitig gegen das Vermummungsverbot. Ganz klar lässt sich ein Teufelskreis des Konfliktpotenzials auf Demos erkennen. Auch wenn es die Organisationsgruppen auf Seiten der Demonstrierenden gibt und Deeskalationsmaßnahmen auf Seiten der Polizei trainiert werden, kommt es immer wieder zu Zusammenstößen. Die Grundeinstellungen beider Seiten zueinander sollten sich verändern, damit Ausschreitungen vermieden werden können.


12 UNI & LEBEN

UNI:PRESS # 672 MÄRZ 2013

ZWISCHEN KONTROLLE UND MONOKRATIE

Das mächtigste Organ der Uni Salzburg wurde neu beschickt: Am 1. März hat die Amtsperiode des neuen Unirates begonnen. Die sieben UnirätInnen werden bis 2018 die Arbeit des Rektorats kontrollieren und die grundlegende Entwicklung der Universität prägen können. Von Kay Michael Dankl

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ie weit der lange Arm des Unirates reicht, musste der damalige Rektor der Universität Klagenfurt, Heinrich Mayr, im vergangenen Sommersemester am eigenen Leib erfahren. Er wurde nach einem monatelangen Konflikt zwischen Rektorat und Unirat schlichtweg abgesetzt. Der Grund: Mayrs Initiative zur Schaffung eines studentischen Freizeitzentrums am Campus stieß beim Unirat auf entschiedene Ablehnung. Der Unirat beharrte auf dem Standpunkt, dass es nicht Aufgabe der Universität sei, angesichts knapper Kassen zu einem breiteren Kulturangebot für Studierende und einem vielfältigeren Campusleben beizutragen. Die Absetzung des Rektors durch den Unirat löste einen breiten Protest bei den Uni-Angehörigen aus. Paul Kellermann, Professor am Institut für Soziologie, brachte die Kritik auf den Punkt: „Offenbar fühlt sich der Universitätsrat nicht nur als Kontrollorgan und schon gar nicht als beratendes Organ zum Wohle der Universität, sondern als Eigentümer eines privatwirtschaftlichen Unternehmens.“ Der Widerstand der Universitätsangehörigen war jedoch wirkungslos angesichts der gesetzlich verankerten Machtstellung des Unirats. Seit seiner Absetzung in der Nacht auf den 28. April 2012 ist Heinrich Mayr nur noch einfacher Professor.

Kontrolle durch Demokratieabbau? Die Hauptaufgabe des Unirats ist es, analog zu einem Aufsichtsorgan die Arbeit des Rektorats und die Entwicklung der Universität als Gesamtes zu kontrollieren. Doch wer kontrolliert die Kontrolleure? In einer Demokratie können die regierten BürgerInnen die Regierenden abwählen, wenn diese ihre Funktion nicht zufriedenstellend erfüllen. Das Vertrauen auf Zeit, das einer Koalition mit Stimmenmehrheit gewährt wird, kann wieder entzogen werden. Beim Unirat ist das anders. Der Unirat ist demokratisch nicht legitimiert, da die Hälfte der Mitglieder von der Bundesregierung ernannt und nur die ande-

re Hälfte vom (zumindest halbwegs demokratischen) Senat der jeweiligen Universität gewählt werden. Der Unirat kann in seinen Entscheidungen die Interessen der Studierenden und der Lehrenden übergehen, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen, denn er ist niemandem Rechenschaft schuldig. Der zweifelhaften Legitimationsbasis des Unirats steht eine einzigartige Machtfülle gegenüber. Der Unirat wählt den/die RektorIn aus dem Dreiervorschlag des Senats und die VizerektorInnen. Der Unirat kann einzelne Mitglieder des Rektorats nach eigenem Ermessen abberufen. Alle wichtigen strategischen Entscheidungen, wie die Verabschiedung des Budgets, des Organisationsplans und des Entwicklungsplans für die folgende Dreijahresperiode, bedürfen der Zustimmung des Unirats. Diese Machtkonzentration ist politisch durchaus gewollt: Die Einführung der Uniräte durch die ÖVP-FPÖ-Regierung mit dem Universitätsgesetz 2002 zielte auf eine bewusste Schwächung der universitären Mitsprache von Studierenden und Lehrenden ab. Die Kontroll- und Mitbestimmungsrechte der demokratisch beschickten Gremien wurden massiv eingeschränkt. Deklariertes Ziel war die Umgestaltung der Universitäten nach dem Modell privatwirtschaftlicher Unternehmen. Das Rektorat sollte die Management-Funktionen ausüben und vom Unirat beaufsichtigt werden. Seither dürfen die eigentlichen Uni-Angehörigen bei zentralen Fragen der Entwicklung ihrer Universität zwar noch ihre Meinung kundtun und Stellungnahmen verfassen, sie haben jedoch nur mehr wenige Mitbestimmungsrechte. Die Fälle, in denen es tatsächlich auf ihre Zustimmung oder Ablehnung ankommt, sind rar geworden.

Von Burschenschaftern und mächtigen Konzernen Die VerteidigerInnen der Uniräte argumentierten gerne, dass die Beschickung des Unirats mit Uni-externen Personen eine gewisse Kontrolle der (immerhin öffentlich finanzierten) Hochschulen durch die Gesellschaft ermöglichen würden. Die Praxis sieht jedoch

anders aus: Bereits 2005 war die Hälfte der 139 Uniräte parteipolitisch klar zuordenbar. Aus Sicht der ÖH war dies ein klarer Bruch der gesetzlichen Bestimmungen. Zur Zeit der FPÖ-Regierungsbeteiligung in der SchwarzBlauen-Koalition sorgte die Bestellung zahlreicher Burschenschafter als Uniräte für Irritation. Beispielsweise geriet Peter Weiß, Unirat der Kunstuniversität Linz, in die Kritik. Weiß war 2003 bei einer Demonstration des Rings Freiheitlicher Studenten an einem Handgemenge beteiligt, bei dem er auf den damaligen ÖH-Pressesprecher Florian Müller eingeschlagen hatte. Durch eine außergerichtliche Einigung entging Weiß zwar einem Gerichtsverfahren, das fragwürdige Licht, in dem dieser Unirat steht, blieb. Dabei war die Universität Linz kein Einzelfall. Im Jahr 2005 gehörte dem Unirat der Uni Wien auch der Notar Friedrich Stefan an, ein bekennendes Mitglied der deutschnationalen Burschenschaft „Olympia“, deren Gedankengut als rechtsextrem einzustufen ist. Ungeachtet der Kritik der Opposition und der ÖH hielten die Bundesregierung und der damalige Uniratsvorsitzende dies für nicht weiter problematisch. In den letzten Jahren ist die Zahl der fragwürdigen Nominierungen von parteinahen Personen und Burschenschaftern zurückgegangen. Unverändert hoch bleibt hingegen der Einfluss der Privatwirtschaft, die in zahlreichen Uniräten stark vertreten ist. An der Johannes-Kepler-Universität in Linz scheint die Raiffeisen-Bank sogar ein Abonnement für Unirats-Plätze zu haben: Von 2003 bis 2013 war der Ex-Raiffeisen-Generaldirektor Ludwig Scharinger Mitglied des Unirats. In dieser Zeit nahm der Einfluss der Raiffeisenbank an der Universität unübersehbar zu. So wurde ein Hörsaal in „Raiffeisen-Hörsaal“ umbenannt, ein Bankgebäude am Campus errichtet und der „Scharinger-Förderpreis“ etabliert. Nachdem Scharinger nach zwei Amtsperioden nicht wiederbestellt werden konnte, wählte der Senat der Uni Linz im Herbst 2012 das Raiffeisen-Vorstandsmitglied Michela Keplinger-Mitterlehner in den Unirat. Die enge Verbindung zwischen Raiffeisen-Bank und Universität mag zwar für

die Suche nach SponsorInnen und die Lukrierung von Drittmitteln hilfreich sein, wirft aber grundsätzliche Fragen auf: Sollte sich ein milliardenschweres Unternehmen in die Führungsebene einer Universität einkaufen können? Sollte der Unirat ein Tauschobjekt im Streben der Universität nach finanziellen und politischen Vorteilen sein?

Bilanzen und Boni Die Dominanz von Rektorat und Unirat geht mit einem Abbau der demokratischen Mitbestimmungsrechte der Uni-Angehörigen einher. Die universitätspolitische Kultur, die unter solchen Verhältnissen entsteht, ist nicht nur aus demokratiepolitischer Sicht abzulehnen, sondern weist auch massive Schwächen auf. So haben Uniräte das Recht, die Höhe ihres eigenen Gehalts festzulegen. Außerdem können die Uniräte den RektorInnen und VizerektorInnen Bonus-Zahlungen gewähren, wenn die Jahresbilanz der Universität positiv ist. Die Geheimniskrämerei rund um die Gehälter und Boni ist hochproblematisch. So stellte sich 2011 heraus, dass der Unirat der Medizinuniversität Innsbruck Rektoratsmitgliedern rückwirkende Boni von 80 % ihres Gehalts auszahlte – obwohl im Uni-Budget eine Lücke von 5,5 Mio. Euro klaffte! Dem Rektorat der Universität Salzburg konnte der Unirat für das Jahr 2012 ebenfalls stattliche Boni genehmigen, da das millionenschwere Uni-Budget zu Jahresende praktischerweise um einige Tausend Euro im Plus war – Dass das Rektorat gleichzeitig den Sparstift ansetzt, Uni-Bedienstete zunehmend unter Druck geraten und Studierende mit immer neuen Kosten konfrontiert werden, trägt zur schiefen Optik bei, die das gegenwärtige Universitätssystem kennzeichnet. Mit Anfang März hat die fünfjährige Amtsperiode der neuen Uniräte an den 21 österreichischen Universitäten begonnen. An der Uni Salzburg haben die sieben UnirätInnen nun bis 2018 Zeit, um eine alternative Arbeitsweise auszuprobieren, die größeren Wert auf die Einbeziehung der Uni-Angehörigen und einen kritischen Zugang zu ihrem Auftrag legt. Einen Anfang machte Unirätin Barbara Blaha, die bei der ersten Uniratssitzung am 28. März ankündigte, ihr jährliches UniratsGehalt von 5.000 Euro dem ÖH-Sozialtopf zu spenden, aus dem finanziell schwache Studierende der Uni Salzburg unterstützt werden.


UNI & LEBEN 13

Neue LehrerInnenbildung in Salzburg – ein vorschneller Hüftschuss?

Nach jahrelanger Vernachlässigung der LehrerInnenausbildung in Salzburg ist das zuständige Vizerektorat nun endlich aufgewacht: Seit ungefähr einem Jahr wird im Rahmen der neu gegründeten School of Education (SoE) auch in Salzburg versucht, die Ausbildung zukünftiger LehrerInnen auf neue Füße zu stellen. Im Gegensatz zu anderen Universitäten zeigt die Universität Salzburg im Konkurrenzkampf mit den Pädagogischen Hochschulen großes Engagement: Nicht weniger als eine gänzliche Neuausrichtung der LehrerInnenausbildung ist geplant. Von Robert Obermair

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underbar, könnte man meinen: Endlich werden jahrelang ignorierte Missstände in Angriff genommen. Und es gibt derer viele: Seit Jahrzehnten haben Lehramtsstudierende das Gefühl, unwichtiger als ihre „regulären“ KollegInnen zu sein. Sie erhalten weniger ECTSPunkte für gleiche Lehrveranstaltungen, klagen über mangelnde Praxiserfahrungen, müssen selbstständig versuchen, oft sehr unterschiedliche Studienpläne zu kombinieren. Über die Tatsache, dass die jüngste Initiative hauptsächlich deshalb erfolgt ist, weil (nicht nur) die Universität befürchtet, die Pädagogischen Hochschulen könnten die LehrerInnenausbildung ganz an sich ziehen (also auch die von LehrerInnen der Sekundarstufe II), könnte man ja getrost hinwegsehen – Hauptsache es tut sich endlich etwas. Aber was sich tut, lässt nichts Gutes hoffen. Seit Monaten arbeiten VertreterInnen von Mittelbau, ProfessorInnenkurie, der SoE, des Rektorats und der ÖH Salzburg im Rahmen der Curricularkommission Lehramt an neuen Lehrplänen für die zukünftige LehrerInnenausbildung. Doch je länger sich die Verhandlungen über die neuen Curricula hinziehen, desto öfter stellt sich die Frage, ob all diese Veränderungen tatsächlich im Sinne der Studierenden bzw. der angehenden LehrerInnen sind. Die offenkundigen Mängel in der Planung, die in den vergangenen Monaten immer sichtbarer geworden sind und auf die vonseiten der ÖH Salzburg seit Monaten vehement hingewiesen wird, sind mannigfaltig.

HalblehrerInnen ohne Jobperspektiven? Das augenscheinlichste Problem stellt wohl die Umstellung auf ein Bachelor/MasterStudium dar: In Zukunft sollen LehrerInnen ein acht Semester dauerndes Bachelorstudium absolvieren, dem ein vier Semester dauerndes Masterstudium folgen soll. Die dringendste Frage, die sich hier stellt, ist die nach den Berufsaussichten für BachelorabsolventInnen. Auch wenn VertreterInnen der Universität Salzburg nicht müde werden, zu betonen, sie würden es für wünschenswert halten, dass alle BA-AbsolventInnen gleich im

Anschluss das Masterstudium beginnen bzw. der Gesetzgeber doch alternativ dazu Stellen für BA-LehramtsabsolventInnen schaffen solle, stellt sich doch die Frage, warum diese Umstellung vollzogen werden muss, wenn niemand weiß, zu welchen Tätigkeiten ein BA-Abschluss überhaupt berechtigen würde. Ähnlich wie für „halbe ÄrztInnen“ (MedizinstudentInnen mit BA-Abschluss) gibt es in Österreich, anders als im angelsächsischen Raum, keine klar definierten Berufe für „halbe LehrerInnen“. Die Umstellung auf ein solches System würde sowohl die EntwicklerInnen der Curricula als auch Studierende vor weitere Hürden stellen: So wird zum Beispiel die Absolvierung eines Auslandssemesters in Zukunft vermutlich noch schwieriger als bisher. Aufgrundder sehr rigiden Struktur des BA-Studiums wird es innerhalb der Mindeststudienzeit de facto nur mehr möglich sein, im siebten Semester ins Ausland zu gehen. Im Masterstudium gibt es ähnliche Probleme: Geht es nach den Vorstellungen des Rektorats der Universität und des Direktoriums der SoE, soll das jetzige Unterrichtspraktikum (dann „Induktionsphase“ genannt), das bisher nach Abschluss des Studiums ein (Schul-)Jahr lang zu absolvieren war, in das Masterstudium integriert werden. Auch wenn es hierfür noch keine konkreten Beschlüsse in den zuständigen Gremien der Universität Salzburg gibt, wird diese Induktionsphase vermutlich in den ersten beiden Semestern des Masterstudiums stattfinden müssen, da ja vor allem im vierten Semester die Masterarbeit geschrieben werden soll. Das wirft allerdings gleiche mehrere weitere Probleme auf: Aus rechtlicher Sicht ist es derzeit nur dann möglich, ein Unterrichtspraktikum zu absolvieren, wenn der/ die AbsolventIn bereits einen Magister/MAAbschluss einer Universität erworben hat. Daher ist dieser Plan im Moment rein rechtlich nicht umsetzbar. Aber auch aus finanzieller Sicht birgt die Umstellung viele Nachteile. BEsonders schwerwiegend: Nachdem Studierende nur noch bis zum Alter von 24 Jahren Anspruch auf Familienbeihilfe haben, würde das für die Zukunftbedeuten, dass Lehramtsstudierende diese nur mehr während des BAStudiums erhalten würden. Dies erklärt sich daraus, dass die Studierenden während der Induktionsphase (wenn diese ähnlich vergü-

tet wird wie das jetzige Unterrichtspraktikum) die Zuverdienstgrenze überschreiten würden und daher kein Anspruch auf Familienbeihilfe bestünde. Nach der Induktionsphase wäre aber in den meisten Fällen die vorgegebene Altersgrenze bereits überschritten. In Bezug auf die Induktionsphase stellt sich noch eine weitere Frage: Bis jetzt war es LehramtsabsolventInnen verschiedener Universitäten in Österreich möglich, in Schulen im ganzen Land ihr Unterrichtspraktikum zu absolvieren und bei der nächstgelegenen PH die Begleitkurse dazu zu absolvieren. Nachdem diese Begleitkurse aber nunmehr während der Induktionsphase an der Universität Salzburg angeboten werden sollen/müssen, wird es zukünftigen AbsolventInnen vermutlich nicht mehr möglich sein, frei zu wählen, wo sie ihre Praxiserfahrung erwerben wollen.

Gesetzliche Vorgaben werden ignoriert Grundsätzlich ist der Ansatz der Universität Salzburg, neue Wege in der LehrerInnenbildung zu gehen, eindeutig zu befürworten. Klar ist, dass die Universitäten generell neue Konzepte für die LehrerInnenbildung entwickeln müssen. Das haben verschiedene RegierungsvertreterInnen und ministerielle Arbeitsgruppen sowie die ÖH in den letzten Jahren immer wieder deutlich gemacht. Es ist auch klar, dass eine solche Umstellung nicht ohne eine breit angelegte Diskussions- und Planungsphase abgehen kann. Diverse Aspekte des Vorhabenssind aus heutiger Sicht noch kritisch zu hinterfragen. Sollten sie dennoch Realität werden, muss in den kommenden Jahren zumindest eine Anpassung der gesetzlichen Rahmenbedingungen erfolgen, die einen möglichst reibungslosen Ablauf garantiert. Aber gerade aus diesen Gründen ist es unverständlich, warum sich die Universität Salzburg das „ehrgeizige“ Ziel gesetzt hat, bereits im Wintersemester 2013/2014 mit dem neuen Lehramtsstudium zu beginnen. Darf man den Informationen aus den zuständigen Ministerien Glauben schenken, soll noch im März, spätestens jedoch im April, eine Gesetzesnovelle zur LehrerInnenausbildung präsentiert werden. Darin soll geregelt werden, wie die LehrerInnenausbildung in Zukunft vonstattengehen soll. Man möchte meinen, es wäre

im Interesse der Universität Salzburg, diese Vorgaben in die neuen Curricula einzuarbeiten. Stattdessen sollen bereits Ende April alle 17 Curricula fertig ausgearbeitet vorliegen und im Mai dem Senat der Universität zur Abstimmung vorgelegt werden. Man will also den Gesetzgeber, in der vergeblichen Hoffnung auf die Vorbildwirkung des „Modells Salzburg“, vor vollendete Tatsachen stellen. Ob das die Regierung bzw. den Nationalrat beeindrucken wird, ist fraglich. (Man muss hier auch immer die sehr unterschiedlichen parteipolitisch geprägten Interessen der beiden zuständigen Ministerien im Hinterkopf behalten, die eine Vorhersage des tatsächlichen Gesetzestexts deutlich erschweren.) Falls nicht, könnte das bedeuten, dass bereits in einigen Jahren wieder akuter Reparaturbedarf am Salzburger Modell besteht. Auf der Strecke bleiben dabei die Studierenden.

Im Interesse der Studierenden? Nicht nur in dieser Hinsicht werden die Anliegen der Studierenden oft einfach ignoriert. Im Dezember 2012 führte die ÖH Salzburg eine groß angelegte Umfrage unter Lehramtsstudierenden der Universität Salzburg durch. Deren durchaus aussagekräftige und teilweise kontroverse Ergebnisse wurden nach Abschluss den zuständigen EntscheidungsträgerInnen präsentiert. Leider scheinen die Erfahrungen der unmittelbar Betroffenen im Entscheidungsprozess der Universität keine Rolle zu spielen: Die Studienergebnisse wurden zwar gemeinsam analysiert und diskutiert, aber nicht näher in zukünftige Curriculumsentwicklungen einbezogen. Wir lassen trotzdem nicht locker! Die ÖH Salzburg fordert, dass der Curricula-Reform die nötige Zeit gegeben wird, die notwendig ist, um zu gewährleisten, dass nicht vorschnelle Änderungen, sondern überlegte und breit diskutierte Maßnahmen am Ende des Reformprozesses stehen . Bevor vernünftige Curricula ausgearbeitet und vom Senat genehmigt werden können, müssen noch viele offene Fragen geklärt und gesetzliche Vorgaben abgewartet werden. Von einem überhasteten Umstieg werden weder die Universität noch die Studierenden in irgendeiner Form profitieren.


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UNI:PRESS # 672 MÄRZ 2013

Wie kanidiere ich für eine Studienvertretung Sie stehen im Superwahljahr 2013 zwar nicht im Vordergrund, sind aber für dein Studierendendasein wichtiger als etwa das Abschneiden eines Frank Stronach: Von 14. bis 16. Mai finden die ÖH-Wahlen statt, bei der du die Zusammensetzung der 32 STVen und der Universitätsvertretung mitbestimmen kannst. Dabei hast du nicht nur ein aktives Wahlrecht, sondern kannst selbst als StudienvertreterIn kandidieren! Von Kay-Michael Dankl

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ie Universität ist ein politischer Raum: Jeden Tag werden Entscheidungen getroffen, welche unsere Lebenswelt als Studierende prägen. Die Bandbreite reicht von der Planung des Lehrangebots für das nächste Studienjahr über Änderungen am Curriculum bis hin zu Personalentscheidung bei der Neu- oder Nachbesetzung von Lehrstellen. In den meisten Fällen sind die Interessen der involvierten Personengruppen nicht einheitlich, sondern vielfältig. Beispielsweise könnten Studierende eines Fachbereichs eine Verlängerung der Abgabefristen für Seminararbeiten fordern, während Lehrende dies aus arbeitsökonomischen Gründen und die Uni-Verwaltung aus administrativen Überlegungen ablehnen könnten. Gerade in solchen Fällen braucht es eine starke studentische Interessensvertretung, die ein hohes Maß an Mitbestimmung an universitären Entscheidungen einfordert und auch lebt. An der Uni Salzburg sind über 250 StudentInnen in der ÖH aktiv, um für die ca. 18.000 Studierenden zu arbeiten. Die Zusammensetzung der 32 Studienvertretungen (STVen) und der ÖH-Universitätsvertretung wird bei den ÖH-Wahlen bestimmt, die alle zwei Jahre stattfinden. Dieses Sommersemester ist es wieder so weit: Von 14. bis 16. Mai kannst du die Mitglieder deiner Studienvertretung und die Ausrichtung der Universitätsvertretung wählen. Indirekt werden dabei auch die vier Fakultätsvertretungen gewählt, die deine Interessen im Fakultätsrat und durch Unterstützung studentischer Projekte vertreten, sowie die Bundesvertretung, die deine Interessen unter anderem gegenüber der Bundesregierung vertritt. Deine Rolle in der ÖH-Wahl ist aber nicht auf das Abgeben einer Stimme beschränkt! Vielmehr kannst du selbst aktiv werden und in deiner STV mitarbeiten. Eine STV umfasst für gewöhnlich drei bis sieben Personen. Wie

lange du in der STV aktiv sein möchtest, ist dir überlassen. Zentrale Aufgaben der STV sind die Beratung von Erst- und Höhersemestrigen, die Vertretung studentischer Interessen in der Curricularkommission und im Fachbereichsrat sowie die Organisation von Diskussionsrunden, Filmvorführungen, Brunches, Spieleabenden und mehr. Den möglichen Projekten sind nahezu keine Grenzen gesetzt – manche STVen geben eigene Zeitungen heraus oder veranstalten eigene Studi-Feste.

Warum aktiv werden? Die STV-Tätigkeit ist ein Ehrenamt und als solches unbezahlt. Dennoch gibt es viele Gründe, sich in einer STV zu engagieren! Mit deiner Tätigkeit als StudienvertreterIn kannst du greifbare Veränderungen an deinem Fachbereich erreichen, beispielsweise Verbesserungen der Studienpläne, ein attraktiveres Lehrangebot, studierendenfreundliche Nachbesetzungen von Professuren, ein vielfältigeres Campus-Leben und vieles mehr! Die Beratung von Erst- und Höhersemestrigen ist eine wichtige Hilfe für (zukünftige) StudienkollegInnen, die sich im Dschungel der universitären Bürokratie und Informations-Angebote nur schwer zurechtfinden. Außerdem kannst du auf unkompliziertem Wege eigene Ideen für Veranstaltungen, Projekte und Initiativen umsetzen, die zur Sensibilisierung der Studierenden für gesellschaftliche und politische Themen beitragen. Davon abgesehen winkt auch ein individueller Nutzen: Durch die STV-Tätigkeit kann man Fertigkeiten erwerben, die von Öffentlichkeitsarbeit über Verhandlungsführung bis hin zu Projektmanagement reichen. Wer in einer STV mitarbeitet, kann die kostenlosen Schulungsangebote der ÖH Salzburg nutzen. Zudem erhält man Einblicke, wie der eigene Fachbereich und die Universität funktionieren. Als Entschädigung für den Zeitaufwand erhältst du zusätzliche Toleranzsemester und ECTS-Punkte für die Freien Wahlfächer.

Wie kandidieren? Für eine STV zu kandidieren, ist sehr einfach. Du hast vom 26. März bis zum 18. April Zeit, um das entsprechende Formular auszufüllen und unterschrieben bei der Wahlkommission der Universität Salzburg zu hinterlegen. Das Formular findest du ab 26. März auf der Website der ÖH Salzburg. Achtung: Jede Person muss ein eigenes Formular verwenden! Bis spätestens 23. April kannst du deine Kandidatur zurückziehen oder eine Verbesserung einbringen, beispielsweise wenn Angaben zu deiner Person fehlerhaft sind. Voraussetzung für eine Kandidatur ist, dass du ordentliche/r StudentIn bist, aus einem Mitgliedsland der EU oder des Europäischen Wirtschaftsraumes kommst und bis spätestens 26. März für ein Studium gemeldet bist, für das die betreffende STV zuständig ist.

Wie läuft die Wahl ab? Die Wahl findet an drei Tagen statt. Von 14. bis 16. Mai (Dienstag bis Donnerstag) sind die Wahllokale an den größeren Uni-Standorten vom Vormittag bis zum späten Nachmittag geöffnet. An der STV-Wahl können alle ordentlichen Studierenden teilnehmen, die für ein Studium inskribiert sind, das der entsprechenden Studienvertretung zugeordnet ist. Beispielsweise kann die STV Geschichte von Studierenden des Bachelor-, Master- und Lehramtsstudiums Geschichte sowie des Masterstudiums Jüdische Kulturgeschichte gewählt werden. Alle Wahlberechtigten dürfen so viele Stimmen abgeben, wie es Mandate zu verteilen gibt. In STVen mit geringer Studierendenzahl sind das drei Mandate, bei großen Studienrichtungen fünf Mandate. (Nicht wahlberechtigt sind außerordentliche HörerInnen.) Der Ausgang der ÖH-Wahl steht im Regelfall bereits am Abend des letzten Wahltages fest. Am Donnerstagabend veröffentlicht die ÖH Salzburg die Ergebnisse zum ehest-

möglichen Zeitpunkt auf ihrer Website. Dort kannst du frühzeitig erfahren, wie viele Stimmen du erhalten hast und ob diese für ein STV-Mandat ausreichen. Die offiziellen Ergebnisse werden in den Tagen nach der Wahl im Mitteilungsblatt der Universität veröffentlicht (abrufbar im PLUSonline). Falls du in eine STV gewählt worden bist, teilt dir die Wahlkommission dies postalisch mit.

Nach der Wahl … Einige Wochen nach der ÖH-Wahl finden unter der Leitung des Wahlkommissionsvorsitzenden die konstituierenden Sitzungen der STVen statt, bei denen die neuen Studienvertretungen offiziell konstituiert werden und je ein STV-Vorsitzteam wählen. Bei dieser Gelegenheit erfasst die ÖH-Universitätsvertretung deine Daten und nimmt dich in das ÖHinterne MitarbeiterInnenverzeichnis sowie in mehrere Emailverteiler auf. Außerdem bietet die ÖH-Universitätsvertretung vor Beginn der neuen Funktionsperiode am 1. Juli mehrere Workshops zur Erleichterung des Einstiegs in die neuen Funktionen an, z. B. zu Basics der STV-Arbeit, den Grundlagen der Universitätspolitik und der Interessensvertretung in Gremien. Darüber hinaus erhältst du den „Guide für STV-MitarbeiterInnen“, der Wissenswertes über die Funktionsweise der Uni und der ÖH enthält. Falls du im Mai zwar nicht zur Wahl antreten, aber trotzdem in einer STV aktiv werden möchtest, ist dies ohne Probleme möglich: Es besteht die Möglichkeit, als SachbearbeiterIn in einer Studienvertretung mitzuarbeiten. Falls du dich für diese Variante interessierst, solltest du einfach deine KollegInnen in der STV kontaktieren. Für Fragen und Auskünfte rund um die STVMitarbeit und die ÖH-Wahl steht dir das Referat für Bildungspolitik der ÖH Salzburg gerne zur Verfügung (bildung@oeh-salzburg.at)!


UNI & LEBEN 15 H.D.Volz

Zahlen oder durchfallen – Elitestudium Jus von Tobias Neugebauer

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edes Studium hat seine Besonderheiten, so auch die Studien an der Juridischen Fakultät. Hier besteht ein Großteil der Prüfungen und Klausuren aus sogenannten Fachprüfungen. Das sind Prüfungen, im Rahmen derer die Inhalte mehrerer Lehrveranstaltungen abgefragt werden, wobei weniger das theoretische Wissen, als dessen praktische Anwendung für die Notengebung ausschlaggebend ist. Weil eben auf eine praxisrelevante Umsetzung des Lehrstoffes geachtet wird, gibt es zu den drei größten Leistungserfassungen verpflichtende Übungen im Ausmaß von zwei Semesterwochenstunden. Dass dabei nur ein kleines Stoffgebiet besprochen werden kann, wenn sich der Umfang der prüfungsrelevanten Lehrveranstaltungen auf bis zu 32 ECTS (bzw. 20 Semesterwochenstunden) erstreckt, darf daher nicht verwundern. Zudem muss angemerkt werden, dass es noch zahlreiche andere Fachprüfungen gibt, für die keine Übungen angeboten werden. Weil aber gerade die praktische Anwendung des Gelernten so wichtig ist, werden an der Juridischen Fakultät sogenannte Repetitorien (kurz: Reps) abgehalten, Lehrveranstaltungen, deren Zweck es ist, das in den Vorlesungen erlernte Wissen überblicksmäßig zu wiederholen und vor allem die Umlegung der Theorie mittels Beispielen zu erläutern und zu üben. Auch eigene Klausurvorbereitungskurse werden angeboten, in denen anhand ausgewählter Fälle das Erlernen der essenziellen Falllösungstechniken zu prüfungsrelevanten Rechtsgebieten gefördert und auf die mehrstündigen und umfangreichen Klausuren vorbereitet wird. Ein großer Vorteil der Repetitorien besteht darin, dass diese in geblockter Form zeitnahe vor den Klausuren abgehalten werden. Dadurch kann man sich zum einen vergewissern, dass der klausurrelevante Stoff ausreichend gelernt wurde, zum anderen können vor allem StudentInnen, die einer Erwerbstätigkeit nachgehen oder aus anderen Gründen nicht alle Vorlesungen besuchen können, die vorgetragenen Lehrveranstaltungsinhalte besser aufnehmen und Unklarheiten auch durch aktives Nachfragen beseitigen. Gerade im Bachelorstudium Recht und Wirtschaft, welches als gut mit dem Beruf vereinbar angepriesen wird (tatsächlich finden die meisten Vorlesungen vormittags statt), ist der Besuch der Repetitorien von enormer Bedeutung. Die Studierenden an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät haben dieses Angebot der Universität Salzburg immer gerne in Anspruch genommen, wohl wissend, wie wichtig der Besuch dieser Lehrveranstaltungen für eine erfolgreiche Absolvierung der Fachprüfungen ist. Die Studierenden haben in ihrer Freizeit Kurse besucht, die nicht zum Pflichtpensum gehören, die also nicht in Ihren Zeugnissen aufscheinen (da die Curricula auch keine freien Wahlfächer beinhalten) und für die sie keine ECTS erhalten! Was nun aber seitens des Rektorates geplant ist, erzürnt nicht nur die Studierenden, auch ProfessorInnen und MittelbauvertreterIn-

nen sind mehr als empört über die bevorstehenden Veränderungen. Allem voran der Vizerektor für Lehre, Univ.-Prof. Dr. Erich Müller, hat sich in den Kopf gesetzt, den Besuch der Repetitorien zukünftig von der finanziellen – und somit auch von der sozialen – Lage der Studierenden abhängig zu machen, indem Kursgebühren in der Höhe von 20 Euro pro Semesterwochenstunde eingehoben werden sollen (für Klausurenkurse sollen es „nur“ 10 Euro sein). Auf den ersten Blick mag sich dies zwar nach nicht besonders viel anhören, man bedenke aber, dass für die zwei größten Klausuren jeweils 230 Euro (!) anfallen würden. Dadurch wird der Besuch der Repetitorien schnell zu einem schwer leistbaren Vergnügen. Selbst ohne Kursgebühren ist für viele Studierende der finanzielle Aufwand kaum zu bewältigen, wenn man beachtet, dass die Lehrbücher – Skripten stehen in den wenigsten Fällen zur Verfügung – für ein Semester im Durchschnitt über 150 Euro kosten. Die Bibliothek ist oft keine Alternative. Wer also kann sich die insgesamt 840 Euro leisten? Sarah K. (23), eine berufstätige Studierende, äußert sich zu den bevorstehenden Kursgebühren so: „Ohne Reps wüsste ich nicht, wie ich in kurzer Zeit den Stoff gut vermittelt bekommen hätte – ich musste um jeden Cent mit meinen Eltern kämpfen und nebenbei arbeiten! Allein die Bücher für Verfassungsrecht kosten mehr als 200 Euro – dann noch 230 Euro für Reps ausgeben? Mein Studium hätte sich um einige Semester verzögert!“ Gespräche mit Fachbereichsleitern, ProfessorInnen und MittelbauvertreterInnen haben gezeigt, dass Kursgebühren nicht nur für die Masse der Studierenden ein großes, teils unüberwindbares Problem darstellen, auch die Lehrenden sind von der Idee des Vizerektors für Lehre alles andere als angetan. Zum einen wird befürchtet, dass es zu einem gewaltigen Einbruch der TeilnehmerInnenzahlen kommen wird, was zur Folge hätte, dass dadurch die Klausurergebnisse erkennbar schlechter würden. Die Durchfallquote würde jedenfalls ansteigen und mittel- bis langfristig würden auch die Voraussetzungen für einen positiven Studienabschluss gefährdet. Ein weiterer Abfall des Prüfungsniveaus kann jedoch weder im Sinne der Studierenden noch der Lehrenden sein. Darüber hinaus besteht Anlass zu der Befürchtung, dass durch die geringere Nachfrage manche Kurse nicht mehr stattfinden könnten. Besonders betroffen davon wären die vielen wissenschaftlichen MitarbeiterInnen, die einen Großteil der Repetitorien im Rahmen ihrer Dienstverträge abhalten und dabei ihre ersten Lehrerfahrungen sammeln können. Enorm groß ist daher die Aufregung seitens des wissenschaftlichen Personals, da es bislang keine Möglichkeit gab, zu diesem Thema eine Stellungnahme abzugeben und man – lediglich der Dekan wurde in einem Gespräch informiert – erst vor wenigen Tagen überhaupt von den Plänen des Vizerektorats erfahren hat. Über Details gibt es bislang nur sehr wenige Informationen. Auch von Studierendenseite gibt es berechtigte Kritik. Nachdem im Herbst 2012 von

verschiedenen Seiten die Information an die Studienvertretungen herangetragen wurde, dass das Rektorat eine Veränderung bei der Abhaltung der Repetitorien plane, wurde eine Petition ins Leben gerufen, um dem Unmut der Studierenden Platz zu schaffen. Auch wurde ein Gesprächstermin zwischen Vizerektor Müller und den Vorsitzenden der Fakultätsvertretung (Ludwig Seidl), der Studienvertretung European Union Studies (Joanna Chmielecki) und den Studienvertretungen Rechtswissenschaften und Recht und Wirtschaft (Tobias Neugebauer) vereinbart. Nachdem die Standpunkte beider Seiten erläutert wurden (Vizerektor Müller argumentierte seine Forderung nach einem Kostenbeitrag damit, dass es sich um eine freiwillige Leistung der Universität handle, da Repetitorien nicht in den Bereich der Pflichtlehre fallen) wurde sich darauf geeinigt, dass die Fakultätsvertretung wie auch die Studienvertretungen in die weiteren Gespräche eingebunden würden und am Entscheidungsfindungsprozess teilhaben könnten. Umso mehr überrascht es dann, von Seiten der Fakultät über die weiteren, bereits getroffenen Entscheidungen zur Beitragshöhe zu erfahren, nicht aber von Seiten des Rektorates. Dies ist eine Vorgehensweise, die nicht ohne Weiteres hingenommen werden kann! Die Fakultäts- und Studienvertretungen haben aus eigenem Antrieb das Gespräch gesucht, um gemeinsam mögliche Konzepte für die Umgestaltung der Repetitorien zu erarbeiten. Darüber, wie ernst die Studierendeninteressen in diesem Bereich genommen werden, kann sich wohl jede/r selbst ein Bild machen. Besonders ärgerlich ist es jedoch, Partizipationsmöglichkeiten vorgetäuscht zu bekommen, wenn gar kein Interesse an einer Zusammenarbeit besteht! Die Notwendigkeit, in finanziell schwierigen Zeiten zu sparen, ist natürlich nachvollziehbar. Doch gerade dann, wenn die Lehre großteils von AssistentInnen abgehalten wird, die dazu bereits in ihrem Dienstvertrag verpflichtet sind und daher keine zusätzlichen Kosten verursachen (und auch bei einer Einführung von Kursgebühren nicht zusätzlich entlohnt werden würden), lässt sich der Einsparungsbedarf bei Repetitorien nur schwer argumentieren. Die Entscheidung des Rektorates darf auf keinen Fall dazu führen, dass die ohnehin schon schwierige Situation finanziell schwacher Studierender weiter verschärft wird. Die Einführung verdeckter Studiengebühren von durchschnittlich mehr als 100 Euro pro Semester ist jedenfalls von Studierendenseite eine nicht annehmbare Verschlechterung der Studienbedingungen; die Gespräche mit ProfessorInnen und Lehrenden aus dem Mittelbau zeigen, dass auch von diesen der Plan des Rektorates nicht wohlwollend aufgenommen wird. Wir sind weiterhin gesprächsbereit, notfalls werden wir gegen diese indiskutable Lösung ankämpfen! Die Interessen der Studierenden müssen gehört werden! Wir wollen uns das Studium nicht erkaufen müssen!


16 UNI & LEBEN

UNI:PRESS # 672 MÄRZ 2013

Barrierefreies Bauen? Im Herbst 2011 wurde der UniPark Nonntal offiziell eröffnet. Damals hisste die ÖH am Dach des Neubaus ein überdimensionales Transparent mit zentralen Kritikpunkten, einer davon die mangelnde Barrierefreiheit des universitären Prestigegebäudes. Über ein Jahr ist vergangen, was ist seither geschehen? Fr. Mag.a Christine Steger, Leiterin der Abteilung „disability & diversity“ der Universität Salzburg hat sich bereit erklärt, Stellung zu nehmen. Vom Gesellschaftspolitischem Referat Frau Mag. A Steger, Maßnahmen wurden nach der Eröffnung des UniParks getroffen, um die Mängel in Bezug auf die Barrierefreiheit zu beheben? Das UniPark-Gebäude wurde von zwei externen Sachverständigten im Sinne der ÖNORM für barrierefreies Bauen evaluiert. Daraus ist ein Maßnahmenkatalog entstanden, der die nicht barrierefrei zugänglichen oder gestalteten Bereiche beinhaltet. Die Bundesimmobiliengesellschaft (BIG), Eigentümerin vieler universitären Einrichtungen und auch des UniParks Nonntal, versucht, diese Mängel zu beheben. Darunter fällt etwa die ursprünglich vereinbarte Einrichtung von RohlstuhlfahrerInnen-Sitzplätzen in den großen Hörsälen oder die Optimierung der Behinderten-WCs. Bauliche Änderungen benötigen jedoch leider Zeit und Geld. Was sind die Gründe dafür, dass der UniPark Nonntal nicht von vornherein barrierefrei geplant wurde? Trotzdem die Barrierefreiheit explizit in der Ausschreibung und im Baubescheid gefordert wurde, gibt es mehrere Bereiche, die nicht barrierefrei sind. Dies hat unterschiedliche Ursachen: Erstens musste das Gebäude aufgrund finanzieller Einsparungen von Seiten des Bundesministeriums (für Wissenschaft und Forschung, Anm.) während der Bauphase neu geplant werden. Daraus sind zum Teil Änderungen und Fehlplanungen entstanden. Zweitens wurde im Rahmen der Kollaudierung (Erteilung der Bewilligung für die Benützung) nicht alles eingefordert, was im Baubescheid in Bezug auf die Barrierefreiheit angeführt war. Parteienstellung, demnach Mitsprache- und Vetorecht, hatte damals hinsichtlich der Barrierefreiheit nur die Behindertenbeauftragte des Magistrats Salzburg. Drittens ist barrierefreies Planen und Bauen nicht verpflichtender und fixer Bestandteil von Ausbildungen, etwa

in der HTL, dem Architekturstudium oder bei der BaumeisterInnenprüfung. Viertens sehen viele ArchitektInnen die ÖNORM für barrierefreies Bauen als schwerwiegenden Eingriff in ihre gestalterische Freiheit. Barrierefreiheit wird dann bei der Planung nicht als Grundlage miteinbezogen, so wie etwa beim Brandschutz, sondern als sinnlose oder lästige Bestimmung ignoriert. Daraus entstehen dann Kompromisse, die zu Fehlplanungen führen. Fünftens hat in Österreich jedes Bundesland ein eigenes Bautechnikgesetz und die ÖNORM für barrierefreies Bauen (B1600, 1602 usf.) sind in diesem mehr oder weniger stark vertreten. In Salzburg ist etwa die ÖNORM nicht in der OIB-Richtlinie (OIB = Österreichisches Institut für Bautechnik, Anm.) angeführt, was im Grunde den Bestimmungen der UN-Konvention widerspricht. Wo liegen die größten Probleme in der Einforderung und Umsetzung von Barrierefreiheit? Es ist schwierig, einerseits gibt es gesetzliche Bestimmungen, die vorsehen, alle öffentlichen Gebäude bis 2015 bzw. 2020 barrierefrei auszustatten und umzubauen, andererseits gibt es für die Umsetzung keinen gesonderten Finanzierungsplan. Hinzu kommt nun, dass wir jegliche bauliche Änderungen selbst bezahlen müssen. Vor der Kollaudierung wäre dies in den Zuständigkeitsbereich der Bundesimmobiliengesellschaft gefallen. Die Korrektur kommt in der Regel immer teurer, als wenn entsprechende Adaptionen von vornherein mit eingeplant worden wären. Wir sind aber in gutem Einvernehmen mit der BIG und es wird gemeinsam in vielen Bereichen nachjustiert. Gesamt muss man leider sagen, dass inhaltlich über das Thema Barrierefreiheit unglaublich viel diskutiert wird. Über Brandschutzbestimmungen hingegen meistens nicht. Im Grunde liegt die Verantwortung für die Umsetzung von Barrierefreiheit bei der Baubehörde, die

ja letztendlich das Gebäude kollaudiert. Sie müsste vor der Adaptierung des Gebäudes Barrierefreiheit explizit einfordern und eine Abnahme des Gebäudes verweigern, wenn die ÖNORMen nicht erfüllt worden sind. Wie geht die Universität mit dem Thema Barrierefreiheit um? Das Thema Behinderung ist kein Selbstverständliches in der Gesellschaft. Man sieht wenige Menschen mit Behinderung, es gibt kaum Schulen, wo Kinder mit Behinderungen selbstverständlicher Bestandteil einer Klasse sind. Damit ist dieses Thema ganz einfach nicht präsent. Viele Studierende mit Behinderung sind einfach nur froh, überhaupt zu studieren und wollen sich demnach nicht auch noch für das Thema öffentlich einsetzen. Wir haben den großen Vorteil, dass die Universitätsleitung in Salzburg dem Thema gegenüber sehr aufgeschlossen ist und damit vorurteilsfrei umgeht, mehr noch, sie stellt Geld und Ressourcen zur Verfügung, um Missstände zu beheben. Es ist leider nicht selbstverständlich, dass es eine eigene Abteilung mit bezahltem Personal gibt, die sich um die Belange von Universitätsangehörigen mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen kümmert, wie wir an anderen Universitäten sehen. Wir haben etwa das Recht bei Sitzungen mitzudiskutieren, uns für Barrierefreiheit in der Lehre einzusetzen oder auch für barrierefreies Bauen. Es müsste einen Plan für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen an Universitäten geben, so wie es den Frauenförderplan gibt, der österreichweit an allen Universitäten gilt. Was würden Sie sich für die Zukunft wünschen? Die Umgebung muss auf die Bedürfnisse der Menschen eingehen und nicht umgekehrt. Form follows function – eine gute Architektin, ein guter Architekt, schafft es auch, ein „schönes“ barrierefreies Gebäude zu planen.


UNI & LEBEN 17 Doppelte Studiengebühren? – Die ÖH hilft! Vom Sozialreferat der ÖH Salzburg

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it der Reparatur der vom Verfassungsgerichtshof gekippten Studiengebührenregelung hat die Bundesregierung eine Verdopplung der Studiengebühren für Drittstaatsangehörige mit beschlossen, was diese großteils finanzschwache Studierendengruppe natürlich besonders hart trifft. Studienabbrüche sind vorprogrammiert, denn selbst wenn man die Grenze zur Armutsgefährdung mit einer Schwelle von aktuell 951 Euro (für einen Einpersonenhaushalt) als Vergleichswert heranzieht (tatsächlich haben viele StudentInnen weitaus weniger zur Verfügung), bedeutet eine Belastung von mehr als 1450 Euro im Jahr für Studierende aus Drittstaaten den faktischen Verlust von mehr als 10 Prozent. Personen dieser Gruppe dürfen gleichzeitig nicht mehr als 386,80 Euro im Monat verdienen (Geringfügigkeitsgrenze) und sind außerdem gegenüber anderen potenziellen ArbeitnehmerInnen benachteiligt. Damit besteht für finanzschwache Studierende aus Drittstaaten kaum eine Möglichkeit, auf legale Weise diese Mehrbelastung zu stemmen. Darum freut es uns sehr, dass es uns in Verhandlungen mit dem Rektorat gelungen ist, zu-

mindest in besonders kritischen Fällen eine Teilrückerstattung der Studiengebühren zu erwirken. Im Klartext heißt das Folgendes: „Studierenden, die den doppelten Studienbeitrag entrichtet haben, kann auf Antrag der Betrag von € 363,36 für jenes Semester rückerstattet werden, in dem ihnen von der HochschülerInnenschaft an der Universität Salzburg ein Sozialstipendium zugesprochen wurde. Darüber ist eine Bestätigung der/des Vorsitzenden der HochschülerInnenschaft vorzulegen. Die Gesamtzahl der Rückerstattungen ist mit maximal 80 pro Semester begrenzt.“ Die Anträge auf Teilrückerstattung sind dabei in der Serviceeinrichtung Studium in der Kapitelgasse einzubringen. Die Fristen für die Antragstellung sind der 31. März für das vorangegangene Wintersemester, sowie der 30. September für das vorangegangene Sommersemester. Durch die Kopplung dieser Teilrückerstattung an den Erhalt eines Sozialstipendiums der ÖH Salzburg kann die ÖH garantieren, dass sich die Kriterien nicht plötzlich zuungunsten von Studierenden verschieben. Studierende aus Drittstaaten, die bereits im Wintersemester 2012 ein Sozialstipendium erhalten haben und damit laut aktueller Richtlinie erst wieder im nächsten Studienjahr einen Antrag stellen

Das Kulturfenster: drei Tage interkulturell – aktiv – hautnah Das „Kulturfenster“ findet zwischen 14. und 16. Mai täglich ab 15 Uhr im UniPark Nonntal statt. Das dreitägige Event wird von AIESEC Salzburg und dem Afro-Asiatischen Institut gemeinsam mit der ÖH Salzburg organisiert und bietet allen BesucherInnen einen tieferen Einblick in andere Kulturen. Jeder Tag ist einem Thema gewidmet: Von Andrea Thuma, Bildungsreferentin AfroAsiatisches Institut Salzburg Am Dienstag, dem 14.5.2013, dreht sich im „Dialogfenster“ alles um den interkulturellen Dialog und die Begegnung zwischen Menschen aus verschiedenen Kulturen und Religionen. MigrantInnenvereine und -organisationen aus Salzburg geben Einblick in gelebte Integration. Im Religionscafé sprechen VertreterInnen von Religionsgemeinschaften in Salzburg mit den BesucherInnen über alles, was unter den Nägeln brennt, von der alltäglichen Glaubenspraxis bis zur Gleichberechtigung von Frauen. Und am Abend steht die Politik auf dem Prüfstand: VertreterInnen der Landtagsparteien und ExpertInnen diskutieren über Integration als Bestandteil und Grundlage von nachhaltiger Sozialpolitik in Österreich. Am Mittwoch zeigt Dir das „Solidaritätsfenster“, wie Du selbst aktiv werden kannst, einerlei, ob Du bei Entwicklungsprojekten im Ausland mitmachen oder von Salzburg aus zu einer faireren Welt beitragen möchtest. Das „Erlebnisfenster“ am Donnerstag bringt dich in direkte Berührung mit anderen Kulturen – bei Präsentationen aus drei Kontinenten, internationaler Küche, Musik und einer Abschlussparty im Clubraum (WienerPhilharmoniker-Gasse 2, Afro-Asiatisches Institut/Katholische Hochschulgemeinde). An Infoständen kannst Du Dich täglich über Vereine und Organisationen aus Salzburg informieren. Jeder Tag bietet ein buntes Rahmenprogramm mit kulinarischen Kostproben zu StudentInnen-Preisen, kostenlosen Workshops und Filmabenden. Weitere Informationen zum Programm findest du auf der Homepage von AIESEC Salzburg (aiesec.at/salzburg) oder dem Afro-Asiatischen Institut Salzburg.

können, sind zumindest für das Sommersemester 2013 in der Lage, trotzdem für eine Teilrückerstattung der Studiengebühren in Frage zu kommen. Für diese Studierenden arbeitet das Sozialreferat aktuell daran, ein Gutachten zu erstellen, welches die Antragstellung bei der Servicestelle Studium ermöglicht. Dieses Gutachten wird bis spätestens Mitte März an diejenigen Studierenden verschickt, welche ein Sozialstipendium erhalten haben und den Kriterien für eine Teilrückerstattung entsprechen. Ab dem Sommersemester 2013 werden die benötigten Gutachten für Studierende, die den doppelten Studiengebührenbetrag zahlen müssen, automatisch dem Bescheid zum Sozialstipendium beigefügt. Neben der ÖH Salzburg bietet auch die ÖH-Bundesvertretung Unterstützung für finanziell benachteiligte Studierende. Ein einmaliger Zuschuss zu den Studiengebühren im Sommersemester 2013 wird über einen Sondertopf des Sozialfonds der ÖH gewährt. Finanzschwache Studierende, die die doppelten Studiengebühren zahlen müssen, können hierbei einen Zuschuss von 200 Euro erhalten, und Studierende, die die einfachen Studiengebühren zahlen müssen, können einen Zuschuss von 100 Euro erhalten.


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UNI:PRESS # 672 MÄRZ 2013 schweinoester

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Spotted: Traummensch gesucht!

s kann überall passieren, im Bus, in der Uni-Bibliothek, im Fitnessstudio, beim Shopping oder natürlich beim Feiern. Nichtsahnend ist man unterwegs und plötzlich sieht man die Eine/den Einen. Diese eine Person, die uns durch ihre Ausstrahlung, ihr besonderes Aussehen oder ihr auffallendes Handeln sofort in ihren Bann zieht. Wer kann schon behaupten noch nie in so einer Situation gewesen zu sein? Oft wird dann sofort die Kontaktaufnahme gestartet, die Blicke kreuzen sich, es wird ein Lächeln ausgetauscht, doch wie geht es dann weiter? Manchmal verfliegt der Zauber der Situation schneller, als er begonnen hat. Dieser ganz besondere Jemand steigt aus dem Bus, verlässt den Raum, und das alles ohne dass man sie angesprochen hat. Die Zeiten, in denen es bei dieser einen kurzen Kontaktaufnahme blieb, sind nun dank Spotted vorbei. In den vergangenen Wochen ging dieser neue Dating-Trend an fast niemandem unbemerkt vorbei. Seine rasche Verbreitung verdankt Spotted hauptsächlich seinen zahlreichen Fanseiten auf Facebook. Während sich die Seiten anfangs vor allem auf einzelne Städte bezogen, präzisierten sich die Spotted-Orte immer mehr und es entstanden fast täglich

neue Fanseiten auf Facebook. Neben „Spotted Salzburg“ kann man also nun auch noch die Seiten „Spotted Uni Salzburg“, „Spotted my gym“, „Spotted Nightlife Salzburg“, „Spotted Europark“, „Spotted Obus Salzburg“ oder sogar „Spotted SALK“ (SALK = Salzburger Landeskliniken) liken. Doch was genau passiert dort? Das Prinzip ist recht einfach, und wie der Name schon sagt (englisch: spotted = entdeckt), geht es vor allem um zufällig entdeckte und wieder verlorene Personen. Es kann also jeder, der eine bestimmte Person gesehen hat, sein Interesse anonym kundtun und eine Nachricht mit möglichst genauer Beschreibung der-/desjenigen sowie eine Beschreibung der jeweiligen Situation, in der das Objekt der Begierde gesichtet wurde, an die Betreiber der jeweiligen Spotted-Seite senden. Diese veröffentlichen die Nachricht, sodass der Beitrag für die ganze Fangemeinde lesbar wird. Der Verfasser des Textes bleibt dabei anonym. Das kann dann ungefähr so klingen: „Traumfraugesucht!!! Hey ich suche eine südländisch aussehende Lady. Du warst am 27.2. mit der Linie 8 unterwegs, standst dabei in der Mitte vom Bus.

Du hast mit deinem Handy geschrieben, hast langes schwarzes Haar und du hattest eine schwarze Glanzjacke und ein sehr kurzes sexy Kleid an. Dein Kleid war blau mit einem gezackten Muster und du hattest eine schwarze Strumpfhose an. Du hattest eine braune Handtasche dabei. Bitte melde Dich!“ Falls der oder die Betroffene die Beschreibung nicht liest, kann die restliche Community versuchen, dabei zu helfen, die gesuchte Person zu finden. Obwohl diese Seiten großen Anklang fanden und jeden Tag zahlreiche neue Such-Nachrichten veröffentlicht wurden, bildete sich auch sehr schnell eine zynische Gegenbewegung zu Spotted. So wurde auch die Seite „verspotted …“ ins Leben gerufen. Auch tauchten immer mehr unernste Beiträge auf den Spotted-Seiten auf. So konnte man beispielsweise auf „Spotted Salzburg“ die „verzweifelte“ Suche nach einem verlorenen Studentenausweis miterleben, die detaillierte Beschreibung über das letzte gemeinsame Erlebnis strotzte nur so vor Ironie. Man erkennt daran, dass nicht alle der neuen Spotted-Bewegung positiv gegenüberstehen. Im Gegenteil: Es gibt sogar lautstarke Kritiker, die derlei „Fahndungsmeldungen“ auf den ge-

nannten Seiten nicht gutheißen. Sie meinen, durch die öffentlich gemachte Beschreibung der Person und der jeweiligen Situation, in der sie entdeckt wurde, würden die Gesuchten in ihrer Intimsphäre verletzt. Zudem drohe drohe ihnen der Verlust ihrer Anonymität, was gerade in sozialen Netzwerken weitreichende Folgen haben kann (zum Beispiel unerwünschte Kontaktaufnahme bis hin zu Online-Stalking). Einige Datenschützer wollen diese neu aufkommenden Dating-Seiten sogar verbieten lassen, doch dafür ist das inkriminierte „Vergehen“ nicht schwerwiegend genug. Andererseits ist auch unverkennbar, dass die meisten Community-Mitglieder und die Nutzer des Spotted-Angebots keine Bedenken haben, sondern die Seiten gerne und häufig verwenden. Es kann sicher ganz witzig und interessant sein, Spotted auszuprobieren oder sich in einem Beitrag wiederzuerkennen und schüchterneren Zeitgenossen ermöglicht Spotted vielleicht überhaupt erst eine Chance, aktiv zu werden. Doch mal im Ernst: Wer von uns möchte nicht gerne persönlich angesprochen werden und diesen Zauber der Situation – inklusive aller Unwägbarkeiten – weitererleben…?

Aus Alt mach nicht Neu – aber schöner! Endlich lassen wir den langen und kalten Winter langsam hinter uns. Die Sonne lacht und wir erfreuen uns an der wiedergewonnenen Wärme, die Kleidung wird wieder luftiger und weniger. Doch der Blick in den Kleiderschrank offenbart uns nur die T-Shirts, Pullis und Hosen des letzten Jahres. Was also tun wenn der Geldbeutel mal wieder nichts hergibt, man aber nicht unbedingt in den alten, langweiligen Sachen rumlaufen will? Hierfür gibt es einige einfache und praktische Tipps, die wirklich jede/r mit einfachsten Mitteln zu Hause nachmachen kann. Von Nina Glonegger

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it einer Schere zum Beispiel lässt sich ein T-Shirt oder ein Pulli mit ein wenig Geduld ganz einfach aufpeppen. Nimm dir ein altes T-Shirt und falte es so zusammen, dass die beiden Seitennähte aufeinanderliegen, dann schneidest du mit der Schere von oben nach unten in gleichbleibenden Abstand immer schmäler werdende Streifen aus dem Rücken des Shirts, sodass diese eine Art Dreieck mit der Spitze nach unten entsteht. Dann faltest du das Shirt wieder auseinander und ziehst es zum Beispiel über ein Kissen, damit du ungefähr abschätzen kannst, wie es später an dir aussehen wird. Nun ziehst du den obersten der parallelen Stoffstreifen, die du zwischen den Einschnitten stehen gelassen hast, über den darunterliegenden und holst den unteren Streifen durch die neue Schlinge durch. Diese Prozedur wiederholst du, bis du am Ende deiner Streifen/Einschnitte angelangt bist. Nach dem letzten Durchziehen nähst du den Streifen einfach fest und voilà: Schon hast du ein schönes, rückenfreies T-Shirt. Dieselbe Technik kannst du noch auf viele weitere Kleidungsstücke anwenden, so wie ich es zum Beispiel an schlichten, schwarzen Leggins versucht habe. Eine weitere Möglichkeit der kreativen Umgestaltung von modischen Altlasten ist Textilsprühfarbe. Hier muss man zwar ein bisschen Geld investieren, eine Dose ist mit 8,90 Euro im Bastelladen nicht gerade billig, dafür lohnt sich das Ergebnis jedoch allemal. Aus einem alten Pappkarton lässt sich ohne großen Aufwand eine Schablone anfertigen, der Fantasie

sind dabei keine Grenzen gesetzt. Ich habe mich für mein Top für eine Libelle als Motiv entschieden, denn das Bild war schnell aufgemalt und die Schablone ohne große Mühe fertiggestellt. An der frischen Luft habe ich dann die Farbe auf mein Shirt gesprüht, dabei aber nicht die Negativschablone, sondern das, was ich ausgeschnitten hatte, verwendet. Durch einen leicht schrägen Sprühwinkel erhält man an den Rändern einen schönen Übergang von der Textilfarbe zur Originalfarbe des T-Shirts. Wenn die Schablone wieder entfernt wird, bleibt das Motiv in der ursprünglichen Farbe des Shirts stehen. Nach einer etwas längeren Trockenzeit habe ich das Top von links gebügelt (das heißt, ich habe es vor dem Bügeln gewendet). Das bewirkt, dass die Textilfarbe bis 30 °C waschmaschinenfest wird. Wer seine alten Klamotten ganz besonders satt hat, kann natürlich auch die Streifenmethode mit ein bisschen Textilfarbe kombinieren. Ihr könnt auch versuchen, noch mehr umzugestalten, indem ihr euch einfach mal umseht und schaut, was ihr noch so zu Hause rumliegen habt. Egal ob Perlen oder Nieten, Strass-Steine oder Federn, alles könnte mit Nadel und Faden oder mit der Heißklebepistole an den Klamotten befestigt werden. Es lohnt sich auch, einen Blick in die alte Knopfsammlung der Mutter (oder des Vaters) zu riskieren, hier verbergen sich so manche Schätze. Ebenso ist das einfache Färben oder das etwas aufwändigere Batiken von alten Kleidungsstücken immer einen Versuch wert. So kann jeder mit simplen Mitteln seine alten Schrankhüter aufwerten und beschwingt in den Frühling starten. Also: Tobt euch aus!


POLITIK & GESELLSCHAFT 19

In welcher Welt lebst du eigentlich? Wenn es um die Diskussion von „Geschlecht“ im weitesten Sinne geht, fühlen sich viele Menschen schnell in ihren Positionen angegriffen und ziehen sich aus jeglicher Diskussion zurück. Das sollte vermieden werden. Im Feminismus geht es nicht um die Zuweisung von Schuld, es geht um die Kritik an einem System, in dem wir alle leben und innerhalb dessen wir uns alle mehr oder weniger wohlfühlen. Ein System, das diskriminiert. Damit ist nicht allein die Benachteiligung von Frauen, sondern viel mehr eine Diskriminierung, die intersektionell wirkt (d. h. ein Individuum kann aufgrund von mehreren verschiedenen Faktoren diskriminiert werden). Die Norm ist noch immer der weiße, mittelständische, heterosexuelle Mann mittleren Alters. Jede/r, der oder die davon abweicht, hat es schwer(er) im Leben. Von Hannah Weiss

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o weit, so gut. Wie kann dieses Phänomen begreifbar beschrieben werden? Zahlen und Fakten über geringere Löhne bzw. Aufstiegschancen und Gewalt gegen Frauen sind gemeinhin bekannt. Jedoch führen sie nur bedingt zu einem Umdenken. Es werden Erklärungen gesucht, die auf das Individuum abzielen. Das passiert oft. Ist ja auch irgendwie angenehm: So kann man sich abgrenzen und für sich persönlich – auch oder gerade als Frau – eine andere Zukunft entwerfen. Es entspricht doch dem Zeitgeist, dass die Armut wächst und der einstige Wohlfahrtsstaat nach und nach abgebaut wird. Aber das ist okay – es betrifft die anderen. Mit einem Universitätsabschluss muss man(n) Armut nicht fürchten. Wenn auch typisch für unsere Generation, ist eine solche Ignoranz und Verweigerung von Solidarität erschreckend. Für mich bedeutet Feminismus das Gegenteil: Feminismus ist eine Solidaritätserklärung an alle Frauen, die unter den patriarchalen Strukturen leiden. Aber gleichzeitig ist Feminismus auch eine Erinnerung an mich selber, die gegenwärtigen Strukturen ständig zu hinterfragen und für meine Rechte einzustehen. Mitte Februar machte die Aktion „One Billion Rising“ von sich reden. Weltweit – auch in Salzburg – gingen Frauen auf die Straße, um für ihre Rechte und vor allem gegen Gewalt zu demonstrieren. Eine sehr medienwirksame Aktion, die zahlreiche Unterstützer gefunden hat. Es ist zwar richtig und wichtig, Massen zu mobilisieren, um für Feminismus auf die Straße

zu gehen. Auf keinen Fall sollte man jedoch mit dem Finger auf einzelne Staaten zeigen, in denen Frauen in besonders schwierigen Umständen leben müssen. Diskriminierung von Frauen findet ständig – auch in Österreich, auch bei uns in Salzburg – statt. Und wie oben schon beschrieben hat sie viele Facetten. Eine davon ist Gewalt gegen Frauen. Jetzt komme ich ohnehin nicht daran vorbei, harte Fakten in mein Plädoyer für den Feminismus einzubringen. Laut „Bericht zur Situation der Frauenhäuser, der Fachberatungsstellen und anderer Unterstützungsangebote für gewaltbetroffene Frauen und deren Kinder“ der deutschen Bundesregierung vom 16.08.2012 haben 37 Prozent aller befragten Frauen seit ihrem 16. Lebensjahr mindestens einmal körperliche Gewalt erfahren. Die Dunkelziffer dürfte aber noch höher sein. Das ist eine Zahl die erschreckend ist. Nahezu 40 Prozent der deutschen Frauen waren in ihrem Erwachsenenleben einmal Opfer von Gewalt. Für Österreich existiert keine diesbezügliche repräsentative Erhebung, der Frauenbericht 2010 des Frauenministeriums geht jedoch für Österreich von ähnlich hohen Zahlen aus (vgl. QR-Code, S.6). QR CODE einfügen!

Warum wird das Ganze so wenig thematisiert? Die nackten Zahlen sprechen für sich. Die Intention dieses Artikels ist auch nicht, die Machtstrukturen unserer Gesellschaft bis aufs kleinste zu analysieren. Vielmehr soll er wach rütteln und Menschen – vor allem Frauen- dazu bewegen, aufeinander Acht zu geben.

Wie sähe eine Welt aus, in der Frauen und Männer wirklich gleichberechtigt sind? Frauen würden in allen Berufen zu finden sein und genauso viel verdienen wie Männer. Sie würden im öffentlichen Diskurs auch ebenso oft zu Wort kommen und das nicht nur bei scheinbaren „Frauenthemen“. Frauen müssten keinem Schönheitsideal mehr entsprechen und niemand würde sich mehr anmaßen, darüber zu entscheiden, ob und wann sie Kinder zu bekommen haben. Opfer von häuslicher – gegenwärtig fast ausschließlich männlicher – Gewalt würde es nicht mehr geben... Es geht darum, den Alltag zu hinterfragen. Aber es geht vor allem darum, einen persönlichen Beitrag zu leisten, um das was jetzt noch wie eine Utopie scheint, ein Stück weit zum Alltag zu machen. Damit wir – und damit sind wir alle, unabhängig von finanziellen Ressourcen, Herkunft oder Behinderung, gemeint – irgendwann dahin kommen, dass Frauen und Männer nicht nur vor dem Gesetz, sondern auch im alltäglichen Leben gleichauf sind.


20 POLITIK & GESELLSCHAFT Alltag raus – Sexismus rein Sexistische Werbung erschöpft sich nicht in der Präsentation ausladender Dekolletés und halbnackter Schönheiten, die krampfhaft versuchen, Bier an den Mann zu bringen. Es geht dabei auch um die tausendmal durchgekauten Rollenklischees, die das Bild von Männern und Frauen in der Werbung immer noch prägen. Ihr Einfluss auf unser Verständnis von Mann-Sein und Frau-Sein ist nicht zu unterschätzen. Von Sarah Duregger

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in formschöner Frauenhintern, knapp bedeckt mit einem Stückchen Jeansstoff und dazu zwei kräftig zupackende Männerhände. Darunter die Aufforderung: „Lassen Sie nicht jeden an Ihre Karosserie!“ So wirbt ein Salzburger Lackierzentrum für seine Dienste. Was auf den ersten Blick wie eine witzige Idee für ein Werbesujet aussehen mag, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als die wenig subtile Reduzierung von Frauen auf ihren Körper, ihre „Karosserie“. Die berechtigte Frage taucht auf, was ein Lackierunternehmen mit dem weiblichen Gesäß zu schaffen hat. Ein klarer Fall: Sexistische Scheiße! Seit 2011 gibt es in Salzburg sowie in Wien und Graz die „Watchgroup gegen sexistische Werbung“. Ihr Ziel ist es, herabwürdigende Werbesujets aufzuzeigen und beim Österreichischen Werberat Beschwerde einzureichen. Im ersten Jahr ihres Bestehens in Salzburg gab es rund 70 Beschwerden, etwa 25 Sujets wurden auch vom Werberat als sexistisch eingestuft. Besonders in jenen Fällen, in welchen, wie im eingangs beschriebenen Beispiel, keine nachvollziehbare Verbindung zwischen dem Produkt bzw. der Dienstleistung und der sexualisierten Darstellung einer Frau/eines Mannes besteht, stehen die Chancen gut, dass der Beschwerde stattgegeben wird. Aber der Werberat kann nicht mehr tun, als die Unternehmen und Agenturen auf ihr Fehlverhalten aufmerksam zu machen. „In Österreich fehlt eine rechtliche Regelung, die herabwürdigende Sujets gesetzlich unterbindet“, so Cornelia Brunnauer von der Salzburger Watchgroup gegen sexistische Werbung.

Weil wir es uns wert sind Bei vielen Produkten genügt es nicht, nur die Vorzüge von Anwendung, Inhaltsstoffen oder

den niedrigen Preis zu bewerben, denn mal ehrlich: Die meisten Dinge brauchen wir eigentlich nicht. Warum sollen wir dieses ganze Zeug dann doch kaufen? Weil die Werbung uns ständig sagt, was wir wollen sollen und wer wir sein könnten, wenn wir es denn hätten. Sie erklärt uns, wie ein moderner Mann aussehen muss, verspricht uns gar Produkte, die „das Beste im Mann“ zum Vorschein bringen sollen. Bei Frauen geht es noch stärker darum einem bestimmten Schönheitsideal zu entsprechen: Schlank, jung, attraktiv – so ist Frau von heute, „weil wir es uns wert sind.“ Die Werbewirtschaft verkauft uns daher nicht nur ein Deo, sondern auch ein möglichst positives Lebensgefühl. Kaufst du dieses Produkt, bist du ein besserer(= schönerer, = erfolgreicherer, = beliebterer) Mensch, so einfach ist Werbung gestrickt.

Da weiß man, was man hat Es müssen aber nicht immer halbnackte Tatsachen sprechen, damit Werbung sexistisch ist. „Neben der Darstellung von vorwiegend Frauen als Sexobjekte gibt es auch die Verfestigung von Rollenklischees“, weiß Cornelia Brunnauer. „Mit der stereotypen Darstellung von Frauen und Männern in der Werbung werden Normen bestätigt und verinnerlicht.“ Die Frau als häusliche Familienmanagerin, der Mann als erfolgreicher Bürohengst. Sie, die lüstern-laszive Schönheit, die sich auf dem Bett räkelt; er, der waschbrettbäuchige, stets aktive und (neuerdings auch) topgepflegte Frauenschwarm. Sie emotional, er rational. Mit Sexismusvorwürfen konfrontiert, rechtfertigen sich die WerbemacherInnen gerne damit, mit ihren Einschaltungen und Inseraten auch nur ein Spiegel der gesellschaftlichen Wirklichkeit zu sein. Würde sich sich die reale Situation zugunsten der Frauen ändern, indem in unserer Gesellschaft Gleichberechtigung in allen

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Facetten ganz normal wäre, so würde es auch keine frauenfeindliche Werbung mehr geben, so die Logik der WerberInnen. Natürlich kann es sich die Werbung nicht erlauben, gänzlich an der Realität vorbei zu produzieren, aber Werbung soll ein Spiegelbild der Realität sein? Ganz im Gegenteil: Die Branche macht es sich mit dieser Sichtweise einfach und ignoriert schlicht die Vorbildwirkung von Medieninhalten auf ihre Konsumenten. Sie selbst konstruiert Rollen, entwirft Realitäten und sagt uns, was wir für erstrebenswert halten sollen. Mit der Omnipräsenz von Werbung werden diese Bilder verinnerlicht. Werbung ist gleichzeitig Ausdruck und Beeinflusser von Kultur und Lebensgefühl, transportiert Lifestyle und damit auch Rollenbilder und Ideale.

Nicht nur sauber, sondern rein So fällt auch 2013 beim Zappen durch die Kanäle oder beim Durchblättern der Illustrierten auf, dass entweder Frauen in mütterlich-häuslicher Rolle ins Bild gesetzt werden oder leichtbekleidete Frauenkörper für den Verkauf aller möglichen Produkte herhalten müssen. Blick und unterwürfige Körperhaltung drücken dabei Schwäche und permanente sexuelle Verfügbarkeit aus. Und obwohl auch der Werbemann ohne prüfenden Blick der Ehefrau noch immer nicht den Haushalt und die Kindererziehung alleine unter einen Hut kriegen darf, signalisieren die Männerbilder in der Werbung viel öfter Selbstbewusstsein sowie körperliche und geistige Überlegenheit gegenüber Frauen. Selbstwertgefühl und Selbstsicht von Frauen werden so ständig mittels Bildern von Unterwürfigkeit und Schwäche sabotiert. Solange bereits in der Werbung Frauen unter ihrem Wert verkauft (!) werden, so lange wird es auch schwierig bleiben, dass sich in der Realität Frauen als den Männern gleichwertig betrachten und so behandelt werden. Die Werbefamilie mit Mann, Frau und zwei Kindern existiert unterdessen weiterhin als Vorstellung vom idealen Leben in unseren Köpfen. Die Werbemutter sorgt sich rührend um das Wohl von Mann und Kindern, das perfekte Glück wird nur durch die kaputte Waschmaschine getrübt. Oh nein! Was tun? Zum Glück ist gleich der (vorzugsweise männliche) Experte zur Stelle, um der hilflosen Werbefrau vorzuschlagen, es doch mal mit Produkt X in Tab-Form zu probieren. Und siehe da: Die heile Werbewelt dreht sich wieder, und die Waschtrommel auch. Es könnte einem glatt schwindelig werden.

Men still loving the F-word? Die Frage, inwieweit Männer die Anliegen von Frauen vertreten sollen bzw. überhaupt vertreten können, begleitet die feministische Bewegung seit ihren Anfängen. Noch heute hat sie kein bisschen Aktualität eingebüßt. Von Jürgen Wöhry und Jenny Rödl

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Zu Beginn der Frauenrechtsbewegungen am Anfang des vorigen Jahrhunderts waren es neben vielen couragierten Frauenrechtlerinnen unter anderem auch von Männern dominierte Parteien, die verschiedene Gruppierungen und Organisationen, welche sich für essenzielle Frauenrechte einsetzten, unterstützten. Die Tatsache, dieser teilweisen männlichen „Schirmherrschaft“ führte zuweilen dazu, dass mit Frauenrechten nur am Rande verbundene politische Ziele in einige Frauenrechtsbewegungen einflossen. In den 1970er Jahren spalteten sich viele feministische Gruppierungen von der ebenfalls männlich dominierten 68er-Bewegung ab, da diese oftmals den Feminismus lediglich als Nebenschauplatz des gesamtgesellschaftlichen Kampfes für mehr Rechte und Freiheiten ansah. Indem sie sich vom Mainstream lossagten, erlangten diese Frauengruppen das alleinige Bestimmungsrecht über ihre Ziele und Forderungen. Bis heute ist die Frage, wie weit Männer für den Feminismus aktiv sein sollen eine, die

auch innerhalb der feministischen Bewegung kontrovers diskutiert wird. Eine Minderheit behauptet, dass Männer sich nicht aktiv für feministische Interessen engagieren könnten, da Frauen als Betroffene der sozial konstruierten Ungleichheit zwischen den Geschlechtern besser in der Lage seien, die Erscheinungsformen und Charakteristika des patriarchalischen Systems zu analysieren und letztlich zu verändern. Man darf jedoch aus dieser Ablehnung nicht auf rigorose Männerfeindlichkeit schließen: Die Vertreterinnen eines rein weiblichen Feminismus verwahren sich primär gegen jene Männer, die den Feminismus nur „konsumieren“, aber nicht leben: d.h. gegen Männer die z. B. für Frauenrechte auf die Straße gehen und in der Öffentlichkeit feministische Positionen einnehmen, privat jedoch die Strukturen des patriarchalischen Systems fortführen, indem sie z. B. in partnerschaftlichen Beziehungen an überkommenen Rollenbildern festhalten. Die von der überwiegenden Mehrheit der Feministinnen vertretene Meinung ist jedoch, dass Frauen und Männer gemeinsam gegen unterdrückende Faktoren ankämpfen sollten. Die Unterdrückung liege im kapitalistischen

System verankert, das sowohl Frauen als auch Männer ausbeute. Ziel des Feminismus sei somit die Ausschaltung sämtlicher Faktoren, die zu Repression führen, weshalb auch Männer das Recht und die Pflicht hätten, ihren Teil zu einer Veränderung beizutragen. Zudem gebe es ja auch Männer, die sich nicht mit dem vorherrschenden Männerbild identifizieren könnten und wollten. Generell, so der breite Konsens unter Feministinnen, müsse in der Gesellschaft ein fundamentales Umdenken eintreten: Menschlichkeit müsse neu definiert und ein soziopolitischer Wandel im großen Stil verwirklicht werden. Die herkömmliche Kategorisierung von Menschen unter dem Gesichtspunkt ihres biologischen Geschlechts und die damit einhergehenden, willkürlichen Rollenzuweisungen hätten schon längst ausgedient. Aus diesem Grund könnten – und müssten – auch Männer für feministische Initiativen aktiv werden. Einzig ein solch radikaler Bruch mit dem bestehenden System würde auch für umfassende Gleichberechtigung der Geschlechter sorgen und die Reproduktion von Ungleichbehandlung unterbinden. Von dieser Warte aus betrachtet, ist es in der

Tat mehr als wünschenswert, dass sich Männer für den Feminismus und seine Ziele einsetzen. Ein Großteil der Männer steht den oben skizzierten Problematiken leider auch heute noch sehr abweisend gegenüber. Einerseits liegt das daran, dass die über Jahrhunderte aufgebauten Bilder des Mannes und der Frau so fest in den Köpfen verankert sind und viele Männer diese Bilder akzeptieren, ohne sie – und sich – jemals zu hinterfragen. Dass Änderungsbedarf am derzeitigen Zustand des Systems besteht, ist evident. Hier gilt es, zu informieren und aufzuklären. Männer wissen häufig zu wenig über die tatsächlichen Anliegen des Feminismus und fühlen sich von emanzipatorischen Bewegungen schnell in die undankbare Rolle des Feindes gedrängt. Dass Feminismus genauso der Kampf gegen ein Denken ist, das auch sie ins Korsett einer vorgefertigten Identität zu pressen versucht, ist noch zu wenig präsent im Denken vieler Männer. Eine Änderung der Gesellschaft zum Besseren muss notwendigerweise auch die feministischen Ziele beinhalten und kann nur von Männern und Frauen gemeinsam vollzogen werden.


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Incredible India – kein sicherer Ort für Frauen Elisabeth Buchner

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er einige Zeit in Indien verbringt und Zeitung liest, wird täglich aufs Neue mit dem gesamten Spektrum an frauenspezifischer Gewalt konfrontiert – Berichte über die öffentliche (Massen-)Vergewaltigung und Misshandlung von kastenlosen Frauen in indischen Dörfern stehen neben jenen über Mitgift- und Ehrenmorde sowie sexuellen Missbrauch durch Lehrer und Polizisten. Die Nüchternheit der Berichterstattung nimmt sich angesichts der schieren Menge an Schreckensmeldungen bizarr aus. Der Gesamteindruck ist eindeutig: Indien ist kein sicherer Ort für Frauen. Das gilt insbesondere für die Bundehauptstadt Delhi. Die „Vergewaltigungshauptstadt“ Indiens verzeichnete allein im Jahr 2012 einen 20-prozentigen Zuwachs bei den gemeldeten Vergewaltigungen. Die wenigen Opfer, die bei Vertretern der StaatsgewaltHilfe suchen, sind der kaum vorstellbaren Ignoranz von Polizei und Justiz ausgesetzt, welche den Grund für die Vergewaltigung prinzipiell zuerst bei den vergewaltigten Frauen und Mädchen suchen. Eine Umfrage der Zeitung Tehelka unter indischen Polizisten, die in Delhi mit Vergewaltigungsfällen befasst sind, zeigte auf, dass über die Hälfte der Befragten die steigende Zahl an Vergewaltigungen auf das Verhalten der Frauen zurückführte – „Aufreizende“ Kleidung, „unpassende“ Verhaltensweisen wie Alkoholkonsum, Nachtarbeit oder allein unterwegs zu sein und sogar das familiäre Umfeld sowie der Charakter der Opfer werden als Gründe genannt. Sollte sich herausstellen, dass das Opfer schon ein oder mehrmals freiwillig Sex hatte oder mit dem Täter in einer Beziehung war, ist die Sache sowieso klar – in diesem Fall darf die Frau sich wohl kaum wundern, dass Männer dieses Verhalten als Aufforderung betrachten und dementsprechend handeln. Als Ergebnis dieser weitverbreiteten Denkmuster sind sowohl die Anzeigeraten (Studien gehen von einem Verhältnis von 1:50 aus) wie auch die Zahl der Verurteilungen äußerst niedrig. Nur einer von vier Angeklagten wird schuldig gesprochen, Geld und Beziehungen sind in den meisten Fällen ausreichend, um Straflosigkeit zu garantieren. Laut Schätzungen wird in Indien alle 22 Minuten eine Frau vergewaltigt. Alle diese Zahlen und Fakten sind nicht neu; Frauenrechtsgruppen kämpfen seit Jahrzehnten gegen die Banalisierung und Bagatellisierung von sexueller Gewalt. Warum also führte der Fall jener 23-jährigen Studentin, die im Dezember 2012 von einer Gruppe von Männern in einem fahrenden Bus mehrfach vergewaltigt und schwer miss-

handelt wurde, zu wütenden Massenprotesten schon bevor die junge Frau 13 Tage später im Spital ihren Verletzungen erlag? War es schlicht die unfassbare Brutalität der Tat, die das Fass zum Überlaufen brachte? Oder die Ignoranz der Politik, welche offiziell Frauenrechte und Gleichberechtigung propagiert und gleichzeitig gerade in der Hauptstadt des Landes keine adäquaten Bedingungen für die Sicherheit von Frauen im öffentlichen Raum schaffen kann? Einige KommentatorInnen meinten, der soziale Hintergrund des Opfers sowie der Umstände der Tat seien die ausschlaggebenden Faktoren für die heftige zivilgesellschaftliche Reaktion: Das Verbrechen fand schließlich im relativ modernen und wohlhabenden Süd-Delhi statt und das Opfer war eine dezent gekleidete Studentin, die in Begleitung ihres Freundes kurz nach 21:00 Uhr auf dem Nachhauseweg von einem Kinobesuch war. Sie bot damit die ideale Identifikationsfigur für die wachsende, gebildete Mittelklasse – Männer und Frauen, die sich im „neuen“ Indien der Shopping-Malls und modernen Satellitenstädte zuhause fühlen und dem „archaischen“, „rückständigen“, armen und ländlichen Indien entfliehen möchte. Auch im Indien des 21. Jahrhunderts spielt es noch eine nicht zu unterschätzende Rolle, ob es sich beim Opfer um eine Frau oder ein Kind aus der gesellschaftlichen Schicht der Kastenlosen (Dalits) handelt und die Tat irgendwo in einem abgelegenen Dorf stattfindet, oder ob sie im Herzen des neuen „India Shining“ (so der Titel einer staatlichen PR-Kampagne) passiert. Der Vorfall verdeutlichte zudem, dass frauenspezifische (sexuelle) Gewalt alle gesellschaftlichen Gruppen betrifft, wenngleich randständige Bevölkerungsgruppen wie Dalits und Adivasi (Hindi: Ureinwohner; eine Volksgruppe, die ebenfalls außerhalb des Kastensystems steht) vergleichsweise stärker betroffen sind. Die „Kultur der Vergewaltigung“, von der nun häufig die Rede ist, ist Teil einer größeren, gesellschaftlich stark verankerten Kultur der legitimierten Gewalt gegen Frauen. So ergab eine UNICEF-Studie aus dem Jahr 2012, dass über 50 Prozent der jungen Männer wie auch Frauen es in bestimmten Fällen als gerechtfertigt ansehen, wenn der Ehemann seine Frau schlägt. Der öffentliche Diskurs zwischen PolitikerInnen verschiedenster Parteien nach dem Vergewaltigungsfall im Dezember 2012 spiegelt diese tief verwurzelte Frauenfeindlichkeit klar wieder. Sexistische, verharmlosende und diffamierende Äußerungen von männlichen ebenso wie weiblichen PolitikerInnen aller Couleurs über Vergewaltigungsopfer und jene, die gegen die herrschenden Zustände protestierten,

waren genauso häufig zu hören wie ehrliche Anteilnahme und das Eingeständnis von Handlungsbedarf. Die absurdesten Erklärungen für die zunehmende sexuelle Gewalt an Frauen wurden vorgebracht:von ungünstigen Sternenkonstellationen bis hin zum vermehrten Konsum von Fast Food. Mamata Banerjee, die ehemalige Ministerpräsidentin des bevölkerungsreichsten Bundesstaates Uttar Pradesh, gab der „exzessiven“ Interaktion zwischen Frauen und Männern die Schuld. Die Lösungsvorschläge standen dem in nichts nach: Frauen sollten nicht mehr allein das Haus verlassen, sich nicht aufreizend anziehen und am besten schon als Jugendliche verheiratet werden. Ein Kongresspolitiker schockierte mit der Aussage, 90 Prozent aller Vergewaltigungen seien gar keine, sondern es handle sich dabei um konsensualen Geschlechtsverkehr. Klar ist: Die Lebenswelt vieler Frauen sowie auch der vorhandene gesetzliche Rahmen passen nicht zur verbreiteten Denkweise in Polizei, Justiz und Politik und den korrespondierenden gesellschaftlichen Werthaltungen. Frauen im städtischen Umfeld studieren, arbeiten, gehen aus, leben allein. Sie tun dies jedoch im Bewusstsein des allgegenwärtigen Risikos. Vergewaltigungen am Uni-Campus, am Arbeitsplatz, am Heimweg von der Arbeit oder beim Ausgehen in Form von Massenattacken angetrunkener junger Männer, die Frauen vor Pubs die Kleider vom Leib reißen, sind keine erschreckenden Einzelfälle sondern reale Gefahren. Es sind jedoch nicht nur rückwärtsgewandte, patriarchale Traditionen und kulturelle Muster, die Gewalt gegen Frauen gesellschaftlich begünstigen und legitimieren. Tatsächlich fördert gerade die aktuell stattfindende Modernisierung der Lebensstile neue Formen der Gewalt gegen Frauen. Der in der Mittelschicht dominierende Wunsch nach einer modernen, konsumorientierten Ein-KindFamilie (bzw. Ein-Sohn-Familie) führt zu millionenfachem Femizid durch die, zwar verbotene, aber weithin praktizierte Pränataldiagnostik und die Abtreibung weiblicher Föten. Das Ergebnis ist ein wachsendes Geschlechterungleichgewicht in den nachkommenden Generationen. Der absehbare massive Frauenmangel wird vermutlich zur Verschärfung von Problemen wie Frauenhandel, Zwangsprostitution und sexueller Gewalt führen. Der Ruf nach Gesetzesänderungen und härteren Strafen für Täter greift zu kurz. Es ist die Gesellschaft, die sich verändern muss. Die Proteste zigtausender Frauen und Männer von 2012 sind ein erstes, zaghaftes Anzeichen dafür, dass dies der Fall ist.

Der Salzburger Verein INTERSOL (Verein zur Förderung INTERnationaler SOLidarität) kooperiert unter anderem mit der indischen Organisation MAHER, die misshandelten, verstoßenen und traumatisierten Frauen und Kindern ein neues Zuhause gibt. Mehr Infos & Unterstützungsmöglichkeiten: www.intersol.at


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Schwangerschaftsabbruch auf hoher See Ungewollt schwanger sein in einem Land mit restriktiven Abtreibungsgesetzen ist nicht einfach. Was tun? Darauf warten, dass sich langjährige Gesetze ändern oder eigenmächtig handeln? von Hannah Weiss

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eltweit werden pro Jahr etwa 80 Millionen Frauen ungeplant schwanger. In Österreich sind Schwangerschaftsabbrüche nicht legal, jedoch bis zur zwölften Woche straffrei. Nach einer verpflichtenden Beratung kann abgetrieben werden. In vielen Staaten, vornehmlich in Entwicklungs- und Schwellenländern ist dies nicht so leicht möglich. Es gelten dort häufig noch unserem Rechtsverständnis nach mittelalterliche Gesetze aus Kolonialzeiten. Was tun die in solchen Gesellschaften lebenden Frauen, wenn ein Kind nicht erwünscht, eine Abtreibung jedoch strafbar ist? Die meisten treiben trotzdem ab und das trotz erschreckender Risiken. Üblich sind Methoden wie das Trinken von Terpentin oder Bleiche. Manche führen giftige Kräuter, Nadeln, Stöcke oder Hühnerknochen in ihre Vagina ein, um das gewünschte Ergebnis zu erzielen. Wieder andere springen von Treppen und Dächern oder lassen sich in den Unterleib treten oder boxen. Die Müttersterblichkeit ist dementsprechend in Ländern mit restriktiven Abtreibungsgesetzen in der Regel extrem hoch. Einige Pro-Choice-AktivistInnen wollten dies nicht weiter hinnehmen und schufen vor fast zwölf Jahren Abhilfe. Erstmals lief im Juni 2001 ein von ihnen gechartertes Boot unter niederländischer Flagge einen irischen Hafen an. Frauen, die einen Abbruch wollten

wurden an Bord genommen und auf offene See – in internationale Gewässer – verbracht. Dort, d. h. auf dem Schiff, galt nunmehr niederländisches Recht, das einen Schwangerschaftsabbruch nicht wie das irische unter Strafe stellt. Auf diese Art und Weise wurde den Frauen eine legale und vor allem sichere medikamentöse Abtreibung in der „mobilen Klinik“ ermöglicht. Die Nachfrage nach diesem „mobilen Abbruch“ war – entgegen allen Erwartungen – riesig. Es war bislang schließlich unter Irinnen üblich gewesen, für einen Abbruch nach Großbritannien zu reisen, wo dieser ebenfalls legal ist. Bereits nach fünf Tagen hatten sich rund 300 Frauen für eine Abtreibung an Bord interessiert. Es waren Frauen, die vergewaltigt worden waren, Mädchen, die keine „gute Ausrede“ fanden, um nach England zu reisen, Mütter, die keine (bezahlbare) Betreuung für ihre noch kleinen Kinder für die Zeit ihrer Abwesenheit organisieren konnten und um solche, denen es an den finanziellen Mitteln fehlte, um eine Reise in das Vereinigte Königreich anzutreten. Aber auch Flüchtlingsfrauen, denen diese Option aufgrund fehlender Reisedokumente nicht offenstand, fanden sich unter jenen, die sich für eine Abtreibung auf See entschieden. Ähnliche Aktionen folgten in (bzw. vor der Küste von) Polen (2003), Portugal (2004) und Spanien (2008).In Portugal wurden 2007, nicht zuletzt aufgrund der medialen Bericht-

erstattung rund um das Wirken des „Women on Waves“-Bootes Abtreibungen bis zur zehnten Schwangerschaftswoche legalisiert. Die bis dato letzte Aktion der AktivistInnen fand erst vor wenigen Monaten, im Oktober 2012, in marokkanischen Gewässern statt. Das „Women on Waves“-Boot wurde von der marokkanischen Organisation MALI (Alternative Movement for Individual Freedoms) eingeladen. In Marokko sind Schwangerschaftsabbrüche noch immer illegal. Täglich finden dort jedoch 600 bis 800 unsichere Abtreibungen statt.Am Tag der geplanten Ankunft des Bootes verriegelten Militärs den Hafen, ein Kriegsschiff patrouillierte vor der Küste. Den „Women on Waves“ AktivistInnen wurde es so unmöglich gemacht, ihren ursprünglichen Plan umzusetzen. Es gelang ihnen jedoch, in Marokko eine Hotline einzurichten, die über das Medikament Misoprostol informiert. Misoprostol wird zur Prävention von Magenund Darmgeschwüren verwendet und ist vielerorts in Apotheken erhältlich. Es kann auch für einen Schwangerschaftsabbruch eingesetzt werden, was gerade in Ländern, in denen Abtreibung illegal ist, meist nicht öffentlich gemacht wird. Die Aktionen der „Women on Waves“-Aktivistinnen waren und sind recht medienwirksam, können jedoch lange nicht den tatsächlichen Bedarf decken. Um mehr ungewollt Schwangere zu erreichen, wurde “Women on Web“ ins Leben ge-

rufen, eine Initiative die bei Weitem nicht so viel Aufsehen erregt, aber wohl effizienter ist. Frauen, die ungewollt schwanger sind, können sich auf der Website umgehend darüber informieren, wie und wo sie in ihrem Land Misoprostol bekommen können. Ein Online-Austausch mit ÄrztInnen ist dabei verpflichtend. In Fällen, in denen das Medikament in dem jeweiligen Land nicht erhältlich ist, verschickt „“omen on Web“ dieses. Bis zur neunten Schwangerschaftswoche kann so jede Frau selbstständig eine medikamentöse Abtreibung durchführen. Bemerkenswert ist, dass die Müttersterblichkeit in den letzten Jahren gesunken ist von 70.000 Frauen im Jahr 2008 auf 48.000 (2010). Nicht zu letzt ist dies auch auf die immer größere Verbreitung des Medikamentes Misoprostol zurückzuführen.


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Frauenrecht Abtreibung: Sarah Diehl im Interview Das Interview führte das Frauenreferat der ÖH Salzburg Schwangerschaftsabbrüche werden vielmals tabuisiert und nicht mehr richtig thematisiert. Warum? Es liegt daran, dass die Debatte immer weg von der Lebensrealität und den Bedürfnissen der Frau hin zu den Bedürfnissen eines Embryos geschoben wird. Deswegen haben Frauen extrem große Probleme, überhaupt zu formulieren, was sie eigentlich wollen. Gerade weil das Thema sehr behaftet ist mit Liebe, Familie, Fürsorge, also positiven Werten, die die Frau erfüllen muss, ist es für Frauen schwierig, sich aus dieser Rhetorik zu befreien und ihre Bedürfnisse klar zu machen. Das ist einer der Gründe, warum Frauen Angst haben, als egoistisch dazustehen wenn sie offen sagen: „Ich wollte eine Abtreibung haben und ich stehe dazu.“ Genau diese Sichtweise, dass Frauen egoistisch handeln finde ich sehr schräg und das zeigt auch das ganze Problem. Denn wem gegenüber ist die Frau eigentlich egoistisch? Da kommt man schnell zu dem Punkt, dass dieses Subjekt, das kreiert wird, demgegenüber die Frau sich egoistisch verhält, wirklich ein vor allem imaginäres ist. Und das wird eben aufgebauscht als Person mit einer Biographie und Gefühlen. Es ist genau diese Falle in der Frauen sich befinden. Glaubst du, dass politische oder wirtschaftliche Krisen dazu führen, dass Frauenrechte beschränkt werden wie jetzt z. B. in Spanien oder in Griechenland? Ich glaube, dass es einen großen Zusammenhang gibt. Ich kenne es vor allem von der Debatte in osteuropäischen Ländern, die in der postkommunistischen Ära Gesetze verabschiedeten, die auf eine sehr patriarchal geprägte Kleinfamilie abzielen, wo die Frau zu Hause bleibt, weil auch nicht genug Jobs da sind. Deshalb soll die Frau wieder den Haushalt übernehmen, sich um Kinderversorgung kümmern, womit oft einhergeht, dass Kindergartenplätze abgebaut werden. In Polen sind z.B. 50 % der Plätze abgebaut worden, seitdem der Kommunismus nicht mehr da ist. Das geht auch einher mit einer Umorientierung der Werte, dass Werte z.B. wieder mehr mit katholischer Soziallehre identifiziert werden, und das hat oft eine toxische Auswirkung auf Frauenrechte. Das hat auch damit zu tun, dass viele Pflegeleistungen und Fürsorgeleistungen nicht mehr bezahlt werden vom Staat, oder oft nicht mehr privat finanziert werden können, und die Frau das in der Familie wieder umsonst machen soll. Glaubst du, dass wir hier in Österreich oder Deutschland auch anfällig für solche Krisen und Rückentwicklungen sind? Ich denke jedes Land ist anfällig dafür. Das hat man auch schon. Reden von Politikern, die davon reden, dass die Bevölkerung zurückgeht. Das wird immer zusammen in einen Topf geworfen mit einer Angst der „Überfremdung”. Zu viele Migranten bekommen viele Kinder und deutsche Frauen müssten mehr Kinder bekommen. Das ist auch eine sehr billige Rhetorik von Politikern, von anderen Problemen oder Lösungen abzulenken. Z.B. könnte man auch sagen: „Okay, wenn wir hier wirklich ein Problem haben, nicht mehr genug Fachkräfte da sind, kann man den Zuzug erleichtern oder das Asylrecht lockern.“ Stattdessen wird sich wieder auf die deutsche Frau und ihre Kinder berufen. Das ist so ein konservatives Hirngespinst das auch dem Leben von Frauen überhaupt nicht mehr entspricht.

Was hältst du von mit trauriger Musik hinterlegten Videos oder Webseiten über Schwangerschaftsabbrüche? Das ist in keinster Weise haltbar. Es ist wichtig, dass man Frauen konkrete Gegeninformationen gibt und ihnen erklärt, wie denn genau die Entwicklung von Embryonen und Föten aussieht. Ab wann haben sie ein Schmerzempfinden? Ab wann haben die eine Art von Bewusstsein, falls man das so nennen kann? Das ist nämlich erst sehr spät der Fall und bei Embryonen überhaupt nicht vorhanden. Was auch gerne gesagt wird ist, dass Embryonen ab der neunten oder zehnten Woche einen Herzschlag haben, was sehr leicht emotionalisiert werden kann. Aber es ist ein Organ das funktioniert. Das sagt nichts weiter aus über den Restzustand dieses Wesens. Es gibt auch Ärzte, die mit so etwas arbeiten und Frauen Ultraschallbilder zeigen. Und es ist tatsächlich so, dass Embryonen schon relativ früh menschenähnlich aussehen, weil sie schon Arme und Beine ausbilden. Wenn man diese Bilder zeigt, kann man leicht behaupten, dass das schon irgendwie Empfindungen hat nur weil es menschenähnlich aussieht. Aber das ist nicht so. Wenn man dann weitere Informationen unterschlägt, wie etwa dass in diesen Embryonen noch nichts funktioniert, noch kein Schmerzempfinden oder Bewusstsein da ist, dann ist das ein sehr selektiver und manipulativer Zugang zur Information. Warum glaubst du nimmt das Thema so wenig Raum in klassischen Medien wie Radio oder Fernsehen ein? Es ist so, dass das Thema extrem unattraktiv ist, weil man da klare Positionen oft umgehen will, bzw. ist es für die meisten doch leichter, sich gegen Abtreibung auszusprechen, weil die andere Position komplizierter ist. Es ist immer einfacher, sich als LebensschützerIn zu inszenieren. Was bringt ÄrztInnen dazu, eine Abtreibung nicht durchzuführen? Das ist Druck der KollegInnen und eine unklare Auslegung des Gesetzes. Es ist ÄrztInnen of nicht genau klar, ab wann Abtreibung legal ist und wann nicht. Es ist auch oft eine Grauzone, deswegen gibt es immer furchtbare Fälle, wo Frauen in Kliniken sterben, wo ÄrztInnen Angst davor haben, die Abtreibung zu genehmigen, die ihr Leben retten würde. Sei es nun wegen einer Infektion oder weil sie Chemotherapie braucht. Es gibt Fälle, wo Frauen Chemotherapie verweigert worden ist, weil es zu einer Fehlgeburt geführt hätte. Da gab es wirklich Todesfälle. Letztes Jahr ist eine Frau in der Dominikanischen Republik an Krebs gestorben, weil ihr eine Chemotherapie verweigert wurde. Dort ist Abtreibung seit zwei Jahren illegal bzw. nur erlaubt, um das Leben der Frau zu retten. Aber das ist genau dieser Punkt. Man weiß meistens erst dann, dass das Leben der Frau auf dem Spiel stand, wenn sie tot ist. Und die meisten ÄrztInnen gehen dieses Risiko tatsächlich ein. Das zeigt, wie krass dieses Thema aufgeladen ist, dass der Tod der Frau - was auch bedeutet, dass der Embryo stirbt - riskiert wird. Es ist auch unfassbar, dass die Kirche behauptet, dass die Medizin so fortgeschritten sei, dass kein Gesundheitsproblem eine Abtreibung rechtfertigen würde. Das sind Priester. Die stellen sich einfach hin und behaupten das, obwohl sie von Medizin keine Ahnung haben. Welche Rolle hat die katholische Kirche? Im Islam wird zum Beispiel so massiv gegen Abtreibung vorgegangen, wie es in der katholischen Kirche der Fall ist. Und jetzt kommen noch die evangelikalen Einflüsse dazu, die auch, das hat man etwa in Uganda gesehen, massiv von den USA unterstützt werden. Das

klingt sehr nach einer Verschwörungstheorie, aber das kann man wirklich nachweisen. Leute aus den USA reisen nach Uganda z.B. und feuern die Leute wirklich an gegen Frauen vorzugehen. Da gab es auch schon Morde. Gleichzeitig ist es auch das beste Mittel um das Selbstbestimmungsrecht von Frauen zu diskreditieren und darum geht es ganz oft, dass man es als schlecht und zersetzend für die Gesellschaft darstellt, wenn die Frauen sich emanzipieren. Was steckt denn dahinter, dass Menschen die Rechte von einem Embryo höher stellen als die Rechte von Frauen? Ich glaube das hat Gründe, die mit unserem Frauenbild zu tun haben. Es wird eine Idea-

lisierung von Frau-sein als rein und sexuell integerer Charakter vorgenommen. Auf der anderen Seite ist deswegen auch eine krasse Verurteilung von Frauen, die diesem Bild nicht entsprechen, die leicht als Schlampen, Huren usw. dargestellt werden. Diese Bilder funktionieren in unseren Köpfen. Ich glaube das ist der Grund, warum auch die Sexualität von Frauen immer noch stigmatisiert ist. Es ist sehr wichtig, darzustellen, dass zwei Drittel der Schwangerschaften trotz Verhütung entstehen. Die Idee, dass Frauen zu blöd sind zum Verhüten und deswegen schwanger geworden sind, ist realitätsfern. Der Mythos, dass man mit Verhütung alles regeln kann und sie total sicher und einfach zu handhaben ist, halten sich in unserer Gesellschaft. Und das ist überhaupt nicht so: Wie oft die Pille nicht funktioniert! Viele Frauen vertragen sie einfach nicht! Dass da auch die Verantwortlichkeit der Männer nicht gesehen wird zeigt, wie unterkomplex Leute Sexualität beurteilen. Wie stehst du zur „Pille danach“? Sie ist überhaupt nicht mehr so gefährlich, wie sie vor zwanzig Jahren. Sie ist extrem runter dosiert worden. Mittlerweile entspricht die Pille danach der Dosierung von ungefähr vier Antibabypillen. Das ist wirklich kein großer Eingriff mehr, aber er wird immer noch so dargestellt und davon abgesehen, ist es glaub ich auch ein ganz guter Moment noch einmal darauf hinzuweisen, dass Frauen, die die Pille zu Hause haben, vier von denen nehmen können, anstatt sich beim Apotheker die Pille danach zu holen, weil das meistens dieselbe Dosierung und genauso effektiv ist. Welches Verhalten siehst du auf medizinischer Seite? Mir erzählen Freundinnen, dass sie von Gesundheitspersonal herablassend behandelt werden, was ich wirklich unglaublich finde. Zeugt doch von Verantwortungsbewusstsein, wenn man sich die „Pille danach“ holt und

dafür sollte man nun wirklich nicht von oben herab behandelt werden. Es zeigt sich bei dem Thema auch wieder wie sehr Leute es lieben selbstgerecht zu sein. Das ist eben das, was Frauen ausbaden müssen beim Thema Sexualität. Was muss passieren, damit Frauen ihre Sexualität positiver erleben können? Es ist extrem wichtig, dass in der Sexualkunde von Anfang an Themen wie Abtreibung vorkommen und dass dargestellt wird, wie die Zahlen sind. Wie viele Frauen Abtreibungen und ungewollte Schwangerschaften haben. Wie viele Verhütungsfehler passieren. Also dass Frauen dieser Druck genommen wird, wenn ihnen das passiert. Sie müssen informiert werden, dass jede dritte Frau hat in ihrem Leben mal eine Abtreibung hat. Es ist ganz wichtig, dass Frauen das hören, um sich dann nicht alleine zu fühlen und dann von Anfang an mit diesem Thema realistisch umgehen. Woher kommt die viel thematisierte „psychische Beeinträchtigung“ als Folge von Abtreibungen („Post-Abtreibungs-Syndrom“)? Man muss sich nicht wundern, dass Frauen emotionale Probleme bekommen, wenn ihnen immer eingetrichtert wird, dass sie ihr Kind getötet haben. Was wirklich Quatsch ist. Auch deswegen, wenn man bedenkt, wie viele Fehlgeburten Frauen haben, von denen sie nichts merken. Wenn AbtreibungsgegnerInnen behaupten, nur Gott habe bestimmt, dass diese Frau schwanger wird, dann frage ich mich, wie die das mit den Fehlgeburten erklären. Tatsächlich enden 20% aller Schwangerschaften in einer Fehlgeburt und es sind oft Fehlgeburten, von denen die Frau nicht einmal etwas mitbekommt, weil es so früh passiert und wie eine verspätete Menstruation erscheint. Es gibt diese Konstruktion von diesem Post Abtreibungssyndrom. Mich schockiert, inwieweit es schon in der gesellschaftlich Mitte angekommen ist, dieses Wort überhaupt zu benutzen, denn es ist eine komplette Erfindung von Abtreibungsgegnern. Damit will ich nicht sagen, dass Frauen nicht emotionale Probleme durch eine Abtreibung haben können. Sie können natürlich traurig sein oder unter Stress stehen. Bei allen großen Entscheidungen im Leben stehst du unter Stress, aber dass das wirklich ein Krankheitsbild ist und als solches in der Form verkauft wird, dass Frauen nach einer Abtreibung etwa depressiv oder gar selbstmordgefährdet werden müssten, weil sie gegen ihren natürlichen “Mutterinstikt” vorgegangen sind. Das ist vollkommener Quatsch und von keiner medizinischen Institution als Krankheitsbild anerkannt. Ist Abtreibung eigentlich legal? Es ist ein großes Problem, dass Abtreibung immer noch illegal ist und deswegen das Reden darüber auch erschwert wird, gerade ÄrztInnen. Die meisten Leute in Deutschland haben den Eindruck, dass diese Illegalisierung kein Problem darstellt. Aber für die ÄrztInnen hat das weitreichende Konsequenzen, weil sie Angst vor einer gewissen Kriminalisierung haben müssen. Es hat oft auch damit zu tun, dass ÄrztInnen die öffentlich bekanntgeben, dass sie Abtreibungen anbieten, sehr schnell Klagen von Abtreibungsgegnern kriegen, weil ihnen vorgeworfen wird, sie machen Werbung für eine illegale Tat. Das machen die sehr gerne, weil sie ÄrztInnen mit so etwas belasten wollen. AbtreibungsgegnerInnen wissen, dass sie nicht unbedingt das Gesetz verändern müssen, aber sie können versuchen, durch irgendwelche Lapalien und Belästigungen es für ÄrztInnen extrem unattraktiv zu machen, Abtreibungen überhaupt anzubieten.


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UNI:PRESS # 672 MÄRZ 2013

Ich habe abgetrieben… „Wir haben abgetrieben!“ war die Titelschlagzeile der Zeitschrift Stern am 6. Juni 1971. Im Artikel und am Titelblatt bekannten sich 374 prominente und nicht prominente Frauen öffentlich, abgetrieben und damit gegen geltendes Recht verstoßen zu haben. Bis dahin erlitt, eine Frau, die abtrieb, dies meist in totaler Einsamkeit. Sie redete in der Regel weder mit der besten Freundin noch der eigenen Mutter, ja oft noch nicht einmal mit dem eigenen Mann darüber. Eine Frau, die abtrieb, hatte entweder das Geld für die Schweiz – oder sie riskierte ihre Würde und so manches Mal auch ihr Leben bei illegal abtreibenden Ärzten und auf dem Küchentisch von den so genannten Engelmacherinnen. Doch wie geht es uns heute? Können Frauen heute öffentlich bekennen abgetrieben zu haben ohne stigmatisiert zu werden?

Die Interviews führte das Frauenreferat

Celia

, 28 (Abtreibung mit 14) Im Großen und Ganzen kann ich sagen, dass ich meine Abtreibung gut verkraftet habe, obwohl es damals wirklich schlimm für mich war. Ich war ja erst 14 und frisch mit meinem Freund zusammen (mit dem ich übrigens immer noch zusammen bin), der damals 18 und gerade beim Bundesheer war. Der Altersunterschied war natürlich ein zusätzliches Problem, da wir von Gesetzes wegen ja offiziell nicht zusammen sein durften. Ich bin aus Salzburg und damals gab es die Möglichkeit einer Abtreibung hier noch nicht. Die einzige Möglichkeit für mich war, nach Klagenfurt auszuweichen. Außerdem muss man im Alter von 14 Jahren entweder die Einverständniserklärung der Eltern einholen (da es sich ja um einen operativen Eingriff handelt) oder ein/e PsychologIn stellt einem eine Befugnis aus, um in einer Klinik abtreiben zu können. Da meine Eltern sehr gläubig waren und sie mich sicherlich weder verstanden noch unterstützt hätten, habe ich mich für letzteres entschieden. Meine beste Freundin, Kathi, hat mich damals sehr unterstützt, mein Freund war gerade im Burgenland stationiert und somit kaum eine Hilfe. Der Krankenhausaufenthalt und die Abtreibung selbst verliefen für mich ziemlich schlimm. Ich hatte nach dem Eingriff Schmerzen (so in etwa wie sehr starke Regelschmerzen) und war wirklich fertig. Zum Aufwachen wurde ich in ein Sechsbettzimmer gesteckt, vier der anderen Frauen waren Krebspatientinnen. Man sagte mir, meine Schmerzen wären normal, da sich die Gebärmutter nach einer Abtreibung oftmals verkrampfe. Schlimmer als die Schmerzen war aber die Behandlung durch das Krankenhauspersonal . Ich kam mir so hilflos, gedemütigt und von oben herab behandelt vor. Ich weinte sehr viel und meine Freundin Kathi wusste auch nicht mehr, wie sie mir helfen konnte. Ich war auch sauer auf meinen Freund und fühlte mich von ihm enttäuscht. Ich denke, wenn er sich mehr bemüht hätte, hätte er doch kommen können. Zudem meinte das Krankenhauspersonal, ich müsse mein Bett so schnell wie möglich freigeben. Aber nach einer Abtreibung soll man sich schonen, möglichst wenig gehen oder stehen, sondern viel liegen, abgesehen davon dass man ja k.o. von der Narkose ist… . Hätte uns damals nicht der Mann einer anderen Patientin geholfen und uns nach Hause gefahren, ohne groß Fragen zu stellen, ich weiß nicht, was ich getan hätte. Für mich war der Schwangerschaftsabbruch damals die richtige und einzig mögliche Entscheidung. Ich hatte ja gerade meine Ausbildung angefangen und mein ganzes Leben lag vor mir. Meine Eltern hatten sich vor kurzer Zeit getrennt und meine Zukunft war unklar. Ich weiß, dass ich Kinder haben werde –wenn ich mich bereit fühle und sie in dieser Welt auch willkommen heißen kann.

Jana

, 32 Jahre (Abtreibung mit 26) Zu meiner Abtreibung kam es kurz nachdem ich mit meinem Freund zusammengekommen war. Bei unserem ersten Mal war alles so schnell gegangen und ich war gleich Schwanger geworden. Es ist mir natürlich peinlich, das zuzugeben, da wir ja eigentlich erwachsen waren/sind, aber wir hatten es nicht geschafft, vorab über Verhütung zu sprechen. Darüber ärgere ich mich noch heute, andererseits scheint es symptomatisch für unsere eigentlich so aufgeklärte Generation zu sein: Auch viele meiner Freundinnen trauen sich kaum oder gar nicht, mit einem neuen Partner über Verhütung zu sprechen. Ich habe die Pille danach zwar gekauft, aber nicht genommen. . Ich hatte schon eine Vergewaltigung erleben müssen und auch danach hatte ich so ein Präparat bekommen, das ich aufgrund der hohen Hormondosis überhaupt nicht vertragen hatte. Die darauffolgenden Tage waren die schlimmsten, ich habe mir dann insgesamt vier Schwangerschaftstests reingezogen und allesamt waren sie positiv – das Ergebnis ließ sich einfach nicht verändern, aber ich wollte das nicht wahrhaben. Letztendlich wurde es mir dann aber doch schwarz auf weiß vom Krankenhaus bescheinigt. Die Entscheidung, letztlich abzutreiben, habe ich mir wahnsinnig schwer gemacht. Ich hab mir Juno (den Film in dem eine 15-jährige schwanger wird) angeschaut, ich ging zu Beratungsstellen, habe überlegt, das Kind zur Adoption freizugeben. Aber weder ich noch mein Körper wären bereit dafür gewesen. Bevor ich selbst ungewollt schwanger wurde, habe ich oft gedacht, dass das Kind austragen ja auch eine Option sein kann. Aber wenn man selbst in dieser Situation ist und einfach spürt, man will und man kann das nicht – man will sich nicht andauernd erklären müssen, all diese körperlichen Veränderungen auf sich nehmen, man will nicht ein Kind in die Welt setzen –, dann geht es auch nicht. Mich hat der Gedanke daran, zu diesem Zeitpunkt ein Kind zu bekommen, zutiefst deprimiert. Meine Mutter wurde ungewollt schwanger. Sie und mein Vater kannten sich kaum, sie haben das durchgestanden und letztendlich vier Kinder gemeinsam bekommen. Sie war aber gleichzeitig auch immer unglücklich und manchmal hat sie gesagt: „Hätte ich doch keine Kinder bekommen…“ Das tut weh, als Tochter. Ich habe für mich entschieden, dass ich sicher mit meinem Partner zusammen sein will und zuerst diese Liebe zwischen uns zweien wachsen soll, damit ich mich dann, wenn Kinder da sind, nicht fragen muss: „Bin ich mit diesem Menschen nur wegen der Kinder zusammen?“ Ich bin im Krankenhaus sehr gut und respektvoll behandelt worden und war nachher einfach wahnsinnig erleichtert. Im Aufwachzimmer lag ich zusammen mit einer

anderen Patientin, die schon Mutter war. Auch sie war ungewollt schwanger geworden. Sie erzählte mir, dass ihre Schwangerschaften immer schrecklich verlaufen waren, sie konnte kaum Essen zu sich nehmen und hatte die letzten Monate vor der Geburt stets am Tropf gehangen und war Dauergast im Krankenhaus gewesen. Das konnte sie jetzt einfach nicht nochmals durchmachen. Ich bereue überhaupt nichts, ich weiß, dass dies für mich der einzig richtige Weg war. Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob ich Kinder will Das überfordert mich gerade ein wenig und meine biologische Uhr höre ich ja auch schon ticken. , 53 (Abtreibung mit 34) Ich habe im Jahr 1989 abgetrieben. Einige Monate zuvor hatte ich gerade mein drittes Kind zur Welt gebracht und eigentlich meinte mein Gynäkologe, dass eine Frau in den ersten 6 Monaten nach der Geburt (wenn sie stillt) nicht schwanger werden könnte, wegen der Hormone. Für mich war klar, dass ich dieses Kind nicht bekommen konnte. Mit drei kleinen Kindern daheim, ganz ohne Hilfe. Alle Großeltern wohnten in anderen Bundesländern als wir und mein Mann und ich waren gerade dabei, ein Haus zu bauen und wieder mal zu übersiedeln. Noch dazu waren alle meine Schwangerschaften bis jetzt Risikoschwangerschaften gewesen; ich durfte nicht Auto fahren oder mich anstrengen, auch ein Kind zu heben, hatten mir die Ärzte untersagt, wohl wissend, dass eine Mutter mit kleinen Kindern das ja kaum vermeiden kann. Ich hätte nicht noch ein Kind großziehen wollen und können, ich war jetzt schon überfordert. Mein Mann sah das allerdings anders: Er wollte dieses vierte Kind noch und hat mich deswegen leider nicht wirklich in meiner Entscheidung unterstützt. Das ärgerte mich, denn er hatte mit der Erziehung gar nicht viel zu tun. Er war viel unterwegs, viel auf Dienstreisen, abends kam er oft erst nach Hause, wenn die Kinder schon im Bett waren und in der Früh ging er schon um 6:00 Uhr außer Haus. Ein weiterer Grund für meinen Schwangerschaftsabbruch war, dass ich selbst neun Geschwister hatte, da geht das einzelne Kind oft unter. In meiner Familie war für Liebe und Geborgenheit kaum Zeit. Ich habe mir immer geschworen, dass es meinen Kindern anders gehen soll. Die Abtreibung habe ich beim Mann meiner Cousine (der Gynäkologe war) durchführen lassen. Einen Frauenarzt in der Familie zu haben, war für mich damals ein Glücksfall, denn damit war das Ganze ein wenig einfacher und unbürokratischer. Ich hatte vorab sowieso schon entschieden, mich unterbinden (sterilisieren, Anm. d. Red.) zu lassen, da die Familienplanung für mich mit dem dritten Kind beendet war. Der Eingriff selbst verlief kurz und schmerzlos und ich konnte auch bald wieder zu meinen Kindern heim.

Liliana


POLITIK & GESELLSCHAFT 25

Der „Akademikerball“ und die Aufgaben der ÖH Auch heuer sorgte der Burschenschafterball des Wiener Korporationsrings (WKR-Ball), der diesmal unter dem Titel Akademikerball firmierte und unter der Schirmherrschaft der Wiener FPÖsteht, für einige Aufregung. Kritik gab es auch an der ÖH Salzburg für die Unterstützung der Proteste. Zu Recht?

er Stein des Anstoßes war, dass die ÖH Salzburg angeboten hat, Studierenden die Reisekosten zur Demo zu refundieren. Ein Angebot, für das es wohlgemerkt ganze fünf Voranmeldungen gab. Welche Dimensionen diese ZugticketDebatte in den Tagen nach dem 2. Februar trotzdem angenommen hat, war dann doch einigermaßen überraschend. Begonnen hat alles mit einer Titelgeschichte von HEUTE („ÖH zahlte Zugtickets für die Demonstranten“), dem ein Interview meinerseits auf Puls4, dann Artikel in diversen Online-Medien und am 5. Februar ein Kommentar von mir auf derstandard.at folgte. Am 6. Februar wurde die ÖH Salzburg bzw. ich dann vom FALTER schließlich auch noch zum „Dolm der Woche“ gekürt. Ganz unwidersprochen wollte ich diese Sache auch nicht lassen und habe darauf eine Erwiderung auf Facebook gepostet. Als diese Erwiderung dann wiederum von Armin Wolf geteilt und auf Twitter verbreitet wurde ging‘s erst richtig los. FALTER-Chefredakteur Florian Klenk bekundete auf Twitter „wir halten die vorwürfe aufrecht“, wenig später schob FALTER-Journalist Benedikt Narodoslawsky unter dem Titel „Warum S. Hofbauer ein Dolm ist“ einen Blogpost nach. In der Blogosphäre folgten noch weitere Artikel, mit meinem Beitrag „Nachhilfe für Narodoslawsky“ fand der ganze Trubel dann schließlich langsam sein Ende. Die ÖH Salzburg (und andere Hochschulvertretungen) mobilisieren seit Jahren zu den Demos gegen den WKR-Ball, darüber wurde auch immer wieder berichtet, heuer hat das Rauschen im Blätterwald sowie das Gezwitscher und Geposte in den sozialen Medien aber eine ganz neue Dimension erreicht. Zu Recht?

nicht zum ersten Mal, sondern sie tut dies bereits seit Jahren. Das ist kein Geheimnis und wurde mehrfach medial thematisiert. Wir wurden also trotz oder vielleicht gerade wegen dieses politischen Engagements gewählt. Ob es nun „im allgemeinen und studienbezogenen Interesse“ (so die Forderung des Hochschülerschaftsgesetzes) unserer Mitglieder liegt, Demonstrationen gegen einen Ball zu unterstützen, der die Bezeichnung „Akademiker“ in den braunen Dreck zieht, mag politisch unterschiedlich beurteilt werden, ist rechtlich aber jedenfalls gedeckt. Vor der Hofburg demonstrierten offensichtlich wesentlich mehr AkademikerInnen, als drinnen das Tanzbein schwangen. Ich bin der Überzeugung, dass es Teil unserer Verantwortung ist, auf das ewiggestrige Unwesen, das Burschenschaften immer noch an den österreichischen Universitäten treiben, aufmerksam zu machen und deutschnationale, völkisch-rassistische Ideologien im akademischen Umfeld zu thematisieren. Hätte sich nicht 2008 erstmals eine Protestfront gegen den WKR-Ball formiert, wäre das öffentliche Bewusstsein, was den politischen Einfluss von Burschenschaftern, vom Dritten Nationalratspräsidenten Martin Graf abwärts, angeht, wohl kaum so ausgeprägt wie es das heute ist. Der öffentliche Diskurs über diesen Vernetzungsball der Rechtsextremen wurde überhaupt erst durch die von der ÖH unterstützten Demonstrationen in Gang gesetzt. Dieses Engagement ist ein sehr kleiner, aber dennoch wesentlicher Teil unserer politischen Arbeit. Und alle, die jetzt wieder fragen, ob wir denn nichts anderes zu tun hätten, möchte ich gerne einladen, sich anzusehen, was wir an den 364 anderen Tagen im Jahr machen. Die Aufregung über fünf Zugtickets von Salzburg nach Wien ist dann nämlich doch etwas überproportional.

Im Interesse aller?

Kritik erwünscht!

Ein oftmals geäußerter Vorwurf lautete, dass die ÖH prinzipiell die Interessen aller Studierenden vertreten müsse und dass die Unterstützung einer Kundgebung gegen eine bestimmte politische Ideologie (in diesem Fall eben eine rechtsextrem-völkische) doch Sache von Fraktionen und nicht der Institution ÖH an sich sein solle. Die Vorstellung es gäbe das allgemeine und einzige Interesse der Studierenden ist aber ein Fehlschluss. Aufgrund der gegebenen institutionellen Rahmenbedingungen ist es an sich bereits unmöglich, dass die ÖH im Sinne aller StudentInnen (in Salzburg knapp 18.000) handelt. Egal was wir tun oder lassen, ein gewisser Teil der von uns vertretenen Mitglieder wird sich immer daran stoßen. Die ÖH Salzburg unterstützte die Proteste gegen den WKR-/Akademikerball heuer

Dass andere politische Studierendenfraktionen Kritik an unsrem Handeln üben, liegt in der Natur der Sache. Denn was politisch legitim und wünschenswert ist, muss selbstredend diskursiv verhandelt werden. Gäbe es keine Kritik an dem was wir tun, dann liefe etwas gehörig falsch. Wozu dann ein Studierendenparlament, wozu eine Exekutive, wozu Opposition und wozu Wahlen? Und so sehr ich den medialen Zwang zur Zuspitzung und zur Skandalisierung nachvollziehen kann, so sehr hätte ich mir eine tatsächlich inhaltliche Debatte rund um dieses Thema gewünscht. Dass vom Ring freiheitlicher Studenten (RFS) ein solch konstruktiver Beitrag zur Diskussion nicht kam, war wenig überraschend. FPÖ und RFS waren nämlich furchtbar beleidigt, weil heuer so wenig los war auf ihrem

Kommentar von Simon Hofbauer

D

„Akademiker“-Ball. Richtig deutlich wird dies, wenn man sich die Vergleichszahlen anderer Hofburg-Bälle ansieht: Kaffeesiederball 2012: 5400 BesucherInnen, Jägerball 2012: 4900, Juristenball 2012: 3700, BOKU-Ball 2012: 3600, WKR-Ball 2012: 3000 und schließlich der Akademikerball 2013: laut Polizei nur 780 BesucherInnen. Und da musste halt wer schuld sein an der Misere und, wenn möglich, dafür büßen. Daher hat die FPÖ respektive der RFS wieder mal wie wild mit Anzeigen um sich geschmissen und neben dem Wiener Polizeipräsidenten Gerhard Pürstl (verlängerter Arm des Schwarzen Blocks!) auch die ÖH Salzburg angezeigt. Naja. Dass aber auch die ÖVP-nahe Aktionsgemeinschaft (AG) auf denselben Zug aufgesprungen ist, war dann doch etwas billig. In einer Presseausendung titelte die AG: „Erneuter Finanzskandal in den Reihen einer linksextremen ÖH-Fraktion“. Dass in der Aussendung meine Vorgängerin Tatjana Markl, die schon seit fast zwei Jahren nicht mehr in dieser Funktion ist, als Vorsitzende der ÖH Salzburg tituliert wird, ist ein bezeichnendes Detail am Rande. Viel interessanter ist jedoch, dass die ÖH Uni Graz einen ganzen Demobus nach Wien organisiert hat. Verantwortlich dafür: ein Referent der Aktionsgemeinschaft. Die Frage, ob es sich dabei ebenfalls um einen „Finanzskandal“ handelt und ob die Aktionsgemeinschaft Graz jetzt eine genauso „linksextreme ÖH-Fraktion“ ist, wurde leider bis heute – trotz mehrmaliger Nachfrage – nicht beantwortet. Überhaupt wurde es vonseiten der AG dann in Bezug auf das Thema ganz schnell ganz still. Eine inhaltliche Debatte stelle zumindest ich mir anders vor.

Was bleibt Abschließend soll noch festgehalten werden, dass es sich laut Angaben der Polizei um die bisher friedlichsten Proteste gegen den WKR-/Akademikerball handelte. Diesmal wurde vor allem das altbekannte Modell der gewaltfreien Sitzblockade rund um die Hofburg erfolgreich angewandt. Und was die ganze Debatte klar aufgezeigt hat, ist, dass es unipolitische Fragen gibt, deren Beantwortung aufs Engste mit den jeweiligen politischen Überzeugungen verknüpft ist. Die Formel „Ein Problem, eine Lösung“ ist dabei ein Trugschluss. Was gut und richtig ist, lässt sich kaum objektiv bewerten. Wir vertreten jedenfalls das Programm, mit dem wir zur Wahl angetreten sind. Das umzusetzen, ist unsere demokratiepolitische Verantwortung. Es steht aber allen Studierenden frei, bei der kommenden ÖH-Wahl im Mai ihr Kreuzerl bei einer anderen Fraktion zu machen, die andere Überzeugungen vertritt, die von „Politik“ lieber die Finger lässt und sich brav auf vermeintlich unpolitischen Service beschränkt.

Simon Hofbauer, Vorsitzender der ÖH Salzburg


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UNI:PRESS # 672 MÄRZ 2013

Bei den Flüchtlingen in der Votivkirche – Eine Nacht bei Freunden Es ist kalt. Ich sitze, eingepackt in zwei Schlafsäcke, auf einer Matratze in der Wiener Votivkirche. Das Quecksilber steigt hier nur wenig höher als im Freien, zurecht spricht man von der „kältesten Kirche von Wien“. Die Decke des gewaltigen Bauwerkes ist in der Finsternis nicht zu sehen. Zwei Lampen, die über dem Matratzenlager der Flüchtlinge ihr spärliches Licht spenden, erwecken den Eindruck von vermeintlicher Wärme. Eine grausame Illusion, wie ich finde. Doch für die Flüchtlinge ist dies ihr Ort des Lichtes. Umringt von einer undurchdringlichen Finsternis, harren sie des Ungewissen, das jenseits der Dunkelheit auf sie wartet. von David Lahmer

E

s ist mittlerweile 3:30 Uhr in der Früh, aber an Schlaf denken hier die wenigsten. Zu viele Sorgen und Ängste plagen sie, wie mir ein Flüchtling verrät. In kleinen Gruppen sitzen sie zusammen, trinken Tee und unterhalten sich über ihre Heimat. Die Heimat, die sie nicht freiwillig verließen. „Do you want some tea?“, mit diesen Worten reißt mich Adalat Khan, ein Flüchtling aus dem Swat-Talin Pakistan, aus meinen Gedanken. Ich lehne ab: „Thank you very much, but I drank so much tea today that I have to go to the toilet every twenty minutes.“ Sein Lachen hallt durch die Stille „I know what you mean, my friend! Same with me. Some cookies?“ Ich verneine abermals. Mein Appetit hält sich aufgrund der Kälte in Grenzen. Er lacht wieder und drückt mir vier Kekse in die Hand. „This is my home. You are my guest. I want you to feel comfortable.“ Dies war nur eine von vielen Gesten der Gastfreundschaft, die mir an diesem Abend entgegengebracht wurden. Ich kam als Fremder und wurde empfangen wie ein Freund. Jeder der vierzig Flüchtlinge kümmerte sich aufopferungsvoll um mich. Mir wurde ständig Essen und Tee angeboten. Es war mir am Ende schon richtig peinlich. Sollte doch eigentlich ich, ein österreichischer Staatsbürger, derjenige sein, der sich um solche Menschen kümmert. Schön langsam fallen mir meine Augen zu. Adalat Khan spielt mir immer wieder Lieder und Videos von seiner Heimat vor. Ich merke, dass er Pakistan, nach seiner Aussage „the paradise on earth“, wirklich sehr vermisst. Ich wünsche ihm eine gute Nacht, auch wenn ich mich noch gerne länger mit ihm unterhalten hätte, wickle mich in zwei Schlafsäcke ein und schließe die Augen. Doch zur Ruhe komme ich nicht. Die Eindrücke des Tages stürzen auf mich ein, wie eine Lawine, die unvermittelt und ohne Vorwarnung losbricht. Ich kam um ca. 18:00 Uhr bei der Votivkirche an und stand zunächst vor verschlossenen Eisengittern. Ein Mann des österreichischen Wachdienstes und die zuständigen Personen der Caritas öffneten mir die Tore. Ich bekam eine rote Karte, welche mich als Unterstützer kennzeichnete. Es gibt nur fünf dieser Karten, da nicht mehr als fünf Unterstützer gleichzeitig in die Kirche dürfen. Ich betrat die Kirche mit gemischten Gefühlen. Bis jetzt war nicht klar, ob mich die Flüchtlinge überhaupt dort übernachten lassen würden, genausowenig, ob die Flüchtlinge überhaupt mit mir reden wollten. Sie haben schon sehr viel erlebt, gerade was Presse und sogenannte „Unterstützer“ betrifft, sodass sie verständlicherweise skeptisch sind. Meine Sorgen stellten sich später als vollkommen unbegründet heraus. Jeder einzelne der Flüchtlinge war damit einverstanden, dass

ich bei ihnen übernachten wollte. Es wollten so viele mit mir reden, dass ich es in neuneinhalb Stunden gar nicht geschafft habe, mit jedem ein Interview zu führen. Mein Glück war möglicherweise auch, dass die Flüchtlinge einen Tag vor meiner Ankunft ihren Hungerstreik für beendet erklärt hatten und somit wieder mehr Kraft, sich auf neue Menschen zu konzentrieren. Ich lud zunächst mein Gepäck an einer abgelegenen Stelle ab. Ich tat dies nicht, weil ich Angst hatte, es könnte etwas gestohlen werden, sondern weil ich meine Gastgeber nicht vor vollendete Tatsachen stellen wollte. Als ich mich umdrehte, sah ich das Lager der Flüchtlinge, welches in einem Seitenschiff der großen Kirche aufgeschlagen war. Dicht an dicht lagen die Matratzen nebeneinander. Die fehlende Privatsphäre war nicht zu übersehen. Ich ging zu ihnen und stellte mich vor. Ich merkte sofort, dass meine ersten Ansprechpartner weder Englisch noch Deutsch sprachen. Doch sie reagierten sofort und riefen jemanden aus ihrer Gruppe herbei, einen Mann namens Mir Jahangir. Er begrüßte mich herzlich, lud mich zu seiner Matratze ein und bot mir Tee an. Er begann zu erzählen. Er kommt aus Kaschmir, der von Unruhen geprägten Grenzregion zwischen Indien und Pakistan. Er arbeitete vor seiner Flucht aktiv in der Jammu Kashmir National Students Federation (JKNSF) mit, einer Partei, die sich für die Unabhängigkeit Kaschmirs einsetzt. Die Pakistanische Regierung verfolgt Organisationen wie die JKNSF, die proindische oder separatistische Tendenzen an den Tag legen, mit allen Mitteln. Missliebige politische Aktivisten verschwinden in Militärgefängnissen oder werden vom ISI (dem pakistanischen Geheimdienst) verschleppt. Das Leben von Mir Jahangir war in akuter Gefahr und so musste er Pakistan verlassen, um nicht getötet zu werden. Er will mit seiner Geschichte auf die Situation in seinem Land aufmerksam machen und in Österreich einen Neubeginn versuchen. Würde er zurückgeschickt, er würde von der pakistanischen Regierung mit offenen Armen – und Handschellen – empfangen werden. Dies würde seinen sicheren Tod bedeuten. Mir Jahangir holte einen anderen Flüchtling hinzu. Sein Name war Turi Wiagat Ali. Er kommt ebenfalls aus Pakistan, aus einem Gebiet nahe der afghanischen Grenze, wo die Taliban sehr stark sind. Er und seine Familie waren dem täglichen Terror der Taliban ausgesetzt. So entschlossen er und seine vier Brüder sich, Soldaten zu werden, um gegen die Gotteskrieger zu kämpfen. 2007 traten sie in die pakistanische Armee ein und bekämpften drei Jahre lang das Talibanregime. Allein diese Tatsache war für mich unglaublich. Mir gegenüber saß ein vollkommen unscheinbarer und schüchtern wirkender Mann. Er war in etwa 1,60 groß und hat-

te eine so angenehme und sanfte Stimme, wie ich sie in meinem Leben zuvor noch bei niemandem gehört hatte. Er erzählte weiter über den Krieg und kam schließlich zu dem Tag, der ihn veranlasste, aus seinem Land zu fliehen. Seine vier Brüder wurden alle an diesem einen Tag getötet. Seine Mutter war es schließlich, die ihn zur Flucht bewog. Er erzählte weiter, dass der Terror in seinem Heimatort anhält. Jede Woche kommen die Taliban und erschießen bis zu zehn Menschen, meist junge Männer, die nicht für sie arbeiten wollen. Er ist in telefonischem Kontakt mit seiner Familie. So erfuhr er, dass in der Woche zuvor ebenfalls zehn Menschen von den Taliban hingerichtet worden waren. Er sehnt sich sehr danach, seine Verwandten wieder zu sehen, doch eine Rückkehr ist auch für ihn ausgeschlossen. Er würde entweder von der Regierung oder den Taliban getötet werden. Er hat keine anderen Alternativen mehr. Österreich ist seine letzte Hoffnung. Seine letzte Hoffnung ein Leben in Freiheit führen zu können. Nach diesen beiden ersten Gesprächen war ich sprachlos und gleichzeitig zornig. Sprachlos angesichts dieser unglaublichen und furchtbaren Geschichten. Zornig auf unsere Regierung. Wie kann man auch nur annähernd in Betracht ziehen, Menschen, die sich in ihrem Land in akuter Lebensgefahr befinden, wieder dorthin zurückzuschicken? Wie kann man ihnen vorwerfen, sie wären Scheinasylanten und nur zum Spaß bei uns? Ich war schockiert und merkte, dass die Situation gehörig an meinen Nerven zehrte. Doch ich war fest entschlossen, mir eine Geschichte nach der anderen anzuhören, um ein Gesamtbild zu erhalten. Ich ging ein paar Matratzen weiter und kam mit Abdullah ins Gespräch. Auch er ist aus Pakistan. Er arbeitete in seiner Heimat in der Ölgewinnung und spielte leidenschaftlich Kricket. Eines Tages bekam er einen Brief der Talibanmit der Aufforderung, sich ihnen im Dschihad anzuschließen. . Sollte er sich weigern, würden sie ihn töten. Doch Abdullah wollte vom Dschihad nichts wissen. Zwei weitere Briefe wurden ihm zugestellt. Die dritte „Mahnung“ war die letzte. Er wurde von den Taliban gefangengenommen, konnte aber nach siebenundzwanzig Tagen fliehen. Und so machte er sich auf den Weg. Er flüchtete zu Fuß und legte die ganze Strecke von Pakistan nach Österreich aus eigener Kraft zurück. Abdullah benötigte hierfür ein ganzes Jahr. Welches Leid und welcher ungebändigte Wille ihm die Kraft verliehen, diese Strapazen zu überstehen, ging über meine Vorstellungskraft. Abdullah kann nicht verstehen, wie es in dieser Welt so weit kommen konnte. Er sagte: „I want to love everybody.“ Und er versteht nicht, warum alle anderen nicht ebenfalls so denken können. Er will nicht kämpfen, er will nicht töten. Das Einzige was er möchte, ist

helfen und er verlangt im Gegenzug nur, dass man auch ihm hilft. Wunsch, der von unseren Politikern nicht gehört wird. Ein Schrei nach Hilfe, eigentlich schon so laut, dass er nicht zu überhören ist. Doch diese Schreie stoßen auf taube Ohren. Mein nächster Gesprächspartner war Wazir Muhammad Alef. Er kommt aus der Region Waziristan im nördlichen Pakistan. Waziristan gilt seit dem Beginn des Antiterrorkrieges der NATO 2001 als Rückzugsgebiet der Taliban. Dort ist ihr Terror besonders stark zu spüren. Wahllos werden dort Menschen von den Taliban getötet oder verschleppt. So wurden auch Wazir Muhammad Alef und sein Bruder von den Taliban gefangen genommen. Es wurde ihnen vorgeworfen, hätten für die Amerikaner spioniert. Die Taliban sperrten die beiden für zwanzig Tage ein und folterten sie, um an Geständnisse zu gelangen. Sein Bruder wurde dabei getötet und Wazir Muhammad Alef ließen sie schließlich doch laufen. In der Hoffnung, dass er nun in Ruhe gelassen würde, eröffnete er ein Geschäft, welches ein paar Tage später von den Taliban mit einer Handgranate gesprengt wurde. Er wurde schwer verletzt und konnte, allen widrigen Umständen zum Trotz, letzten Endes fliehen. Er sprach auch davon, dass dies seine letzte Chance sei. Deshalb sei er auch in den Hungerstreik getreten. Er sprach offen aus, dass er den Tod durch den Hungerstreik in Kauf nehmen würde, da dieser Tod für eine gerechte Sache für ihn sinnvoll wäre. Käme er wieder zurück in seine Heimat, würde er auch sterben. Doch dieser Tod wäre nutzlos. Ich versuchte, mit allen anderen auch noch zu sprechen und arbeitete mich von einem zum Nächsten durch. Die Geschichten der Flüchtlinge waren einzigartig und doch glichen sie einander: Fast alle der Schutzsuchenden wurden von den Taliban oder der Regierung zur Flucht gezwungen. Viele haben Familie in Pakistan, welche sie vermutlich nie wieder sehen werden, da eine Rückkehr in die Heimat ihren sicheren Tod bedeuten würde. Die Flucht rettete meist auch die Familie, da nun der Dissident oder vermeintliche Spion oder fort war. Es ist mittlerweile wohl 4:00 oder 4:30 Uhr und ich liege in einem Bett, das nicht mir gehört, sondern Abdullah. Er sagte zu mir: „You can sleep in my bed tonight.“ Auf meine Frage, wo er denn heute schlafen würde, antwortete er nur: „I can sleep tomorrow. Don´t worry.“ Als ich wiedersprach, da ich eigentlich Schlafsack und Matte selbst mitgebracht hatte, wurde ich von mindestens zehn anderen Flüchtlingen nahezu dazu „gezwungen“ dieses Angebot anzunehmen. Ich bin förmlich überwältigt von meinen Gefühlen. Ich, der ich eigentlich alles Nötige und auch Unnötige habe, bekomme von jemandem, der nur einen Schlafplatz sein Eigen nennen kann, auch noch das Letzte, was er zu geben vermag.



28 KULTUR & MENSCHEN

UNI:PRESS # 672 MÄRZ 2013

Die Duschszene, die Filmgeschichte schrieb

Von Marina Hochholzner

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in bemerkenswertes SpielfilmDebüt ist dem Journalisten und Drehbuchauor Sacha Gervasi mit seiner Filmbiografie Hitchcock gelungen. Das Drama erzählt auf gnadenlos ehrliche Weise den Hintergrund der Produktion von Hitchcocks Thriller-Meisterwerk Psycho. Mit teils bedingtem Authentizitätsanspruch setzt sich Gervasi dabei mit all den Problemen auseinander, mit denen Hitchcock sich während der Produktion konfrontiert sah. Vor allem auf seine Ehekrise wird dabei besonders eingegangen. Den Zuschauern wird also der Blick hinter die Kulissen des bis dahin schockierendsten Thrillers in der Geschichte Hollywoods gewährt und sie können beinahe hautnah miterleben, was der geniale Regisseur, seine Frau und seine Darsteller alles bewältigen mussten, um letztlich mit Psycho und dessen weltberühmter „Duschszene“ ein Stück Filmgeschichte zu schaffen. Anthony Hopkins (Hannibal, Was vom Tage übrig blieb) verkörpert den alternden Regisseur Alfred J. Hitchcock. Diesem sind in seiner Karriere schon einige Erfolge gelungen, doch das ganz große Meisterwerk fehlt ihm noch in seinem Leben. Um zu beweisen, dass er nicht langsam „zu alt“ für seinen Job wird, möchte er mit Psycho vorsätzlich Filmgeschichte schaffen. Doch nicht nur die Produktionsfirma legt ihm dabei Steine in den Weg, sondern auch das Glück mit seiner Ehefrau Alma, gespielt von Helen Mirren (Die Queen, R.E.D.), droht an dem Vorhaben zu zerbrechen. Hitchcock ist felsenfest davon überzeugt, dass Psycho ein Welterfolg wird. Jedoch soll der Film einige bis dato vorherrschende Tabus brechen, so wird beispielsweise in einer Duschszene eine junge Frau beinahe nackt gezeigt und brutal ermordet. Aus Angst, der Film könnte wegen dieser und anderer Szenen nicht zur Vorführung zugelassen werden, will die Filmbranche den Thriller nicht finanzieren. Hitchcock und sein Manager

beschließen, den Film aus eigener Tasche zu bezahlen, was zu einer hohen Verschuldung des Regisseurs führt und seine Ehe auf eine harte Probe stellt. Trotz allem unterstützt ihn Alma aber bei dem Projekt und auch seine Hauptdarstellerin Janet Leigh, die von Scarlett Johansson (Vicky Cristina Barcelona, Die Insel) verkörpert wird, sowie weitere Freunde und Mitarbeiter Hitchcocks glauben an das Potenzial des Stoffes (der übrigens aus der Feder von Robert Bloch stammt). Schlussendlich stellt sich heraus, dass Hitchcock Recht behalten sollte und ihm mit Psycho genau der große Wurf gelingt, der mit dazu beitrug, ihn unsterblich zu machen. Anthony Hopkins gelingt es in seiner Verkörperung des rundlichen Herren mit dem charakteristischen Profil bemerkenswert gut, Hitchcocks exzentrische, beinahe schon wahnsinnig wirkende Art auf der Leinwand darzustellen. Man möchte als Zuschauer fast meinen, man säße dem echten Genie gegenüber. Auch Helen Mirren spielt ihre Rolle großartig und man fühlt wirklich mit Hitchcocks Gemahlin, die er für seine Filmprojekte oft vernachlässigt und die er mit seinem Verhalten tief verletzt. Umso mehr erfreut einen am Ende die rührende Wendung des Filmes. Auch Scarlett Johansson zeigt, dass sie die Fußstapfen (= Badewanne) ihrer Kollegin Janet Leigh tritt. Vor allem durch ihre Figur erlebt man mit, wie die Schauspieler den Weg von der Entstehung Psychos zu seiner Ausstrahlung auf der Kinoleinwand miterlebt haben. Allerdings ist der Film wohl nur für Hitchcock-Freunde ein wahres Schmankerl. Hat man Psycho nicht gesehen, versteht man vieles nicht. Manchmal erscheint der Film in seinem Handlungsverlauf ein wenig zäh, man wartet vergeblich auf einen konventionellen Höhepunkt. Jedoch merzen Hopkins und Co. dies durch ihr präzises Spiel wieder aus und das Ende des Filmes zaubert den Zuschauern doch ein erheitertes Lächeln auf die Lippen. ★★★★★


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Willkommen im Paradies Der österreichische Filmemacher Ulrich Seidl konfrontiert uns in seiner Paradies-Trilogie mit gewohnt hartem Realismus und überraschend einfühlsamen Augenblicken. Die Uni:Press hat die drei Filme Paradies: Liebe, Paradies: Glaube und Paradies: Hoffnung eingehend unter die Lupe genommen – und ist begeistert! Von Su Karrer Zugegeben: Als ich mir im Jahr 2001 Seidls Spielfilmdebüt Hundstage zu Gemüte geführt hatte, schwor ich mir, nie wieder einen SeidlFilm anzusehen. Obszön fand ich den Film, ekelhaft, zu hart und wahrscheinlich auch zu realistisch. Irgendwie bin ich mir in meiner österreichischen Seele ertappt vorgekommen, das Spiegelbild der heimischen Gesellschaft war mir zu genau getroffen – zumindest kann ich das heute mit Sicherheit sagen. Elf Jahre nach meinem Seidl-Schwur hab ich

diesen – glücklicherweise – gebrochen, denn kaum ein Cineast kann sich Liebe, Glaube und Hoffnung verwehren. Geplant hatte Seidl eigentlich nur einen Film über drei Frauen, die auf unterschiedliche Art und Weise ihren Urlaub verbringen. Schnell stellte sich heraus, dass zu viele Ideen und Potenzial vorhanden waren und so wurde kurzerhand eine Filmtrilogie daraus. Seidl arbeitete mit den für ihn typischen Stilmitteln und engagierte sowohl professionelle als auch LaiendarstellerInnen. Und das ist in vier schweißtreibenden Arbeitsjahren entstanden:

Paradies: Liebe, der erste der drei Filme, wurde 2012 bei den Filmfestspielen in Cannes uraufgeführt. Er erzählt die Geschichte der 50-jährigen Teresa, gespielt von der großartigen Margarethe Tiesel, die ihren Urlaub mit ein paar Freundinnen in Kenia verbringt. Doch nicht das Meer, die Liegestühle oder das Geplauder stehen im Vordergrund von Teresas Urlaubsplänen, sondern die jungen Beachboys, die gegen Geld ihre Sexdienste anbieten. Dies lässt Seidl anfänglich aber nur erahnen. Freundinnen erzählen von den feschen „Schwarzen“ und wie gut diese nicht im Bett seien, Teresa lauscht vorerst noch interessiert, kichert und wird rot. Von den Beachboys umgarnt, lässt sie sich bald verführen und glaubt tatsächlich an die große Liebe. Mit Komplimenten überhäuft und vom Sex befriedigt, denkt sie wirklich, mit ein paar Geldscheinen das vermeintliche Leid ihres jungen Liebhabers zu mindern. Groß ist die Enttäuschung über die Erkenntnis, dass auch sie nur zahlungskräftiger Teil der Sexmaschinerie ist. Nun könnte man erwarten, dass die Sugarmama, wie Sextouristinnen in Kenia genannt werden, die Finger von der Prostitution lässt – doch genau das Gegenteil tritt ein: Teresa bedient sich der Macht des Geldes, degradiert die jungen Männer zu reinen Sexsklaven und kehrt ihre selbstempfundene Überlegenheit heraus. Ein schaler Nachgeschmack bleibt. Soll man nun Mitleid mit ihr haben oder doch tiefe Abneigung empfinden? Abstoßend wirkt ihr Vorgehen und befremdlich, während der Szene, in der sie mit ihren Freundinnen eine Sexparty feiert, möchte man sich vor lauter Fremdschämen am Liebsten in ein Erdloch vergraben. Doch Seidl gönnt dem Zuseher die Genugtuung, seine Protagonistin die Folgen ihrer eigenen Grausamkeit spüren zu lassen: Am Ende bleibt Teresa einsam und verlassen zurück.

Für Paradies: Glaube erhielt Seidl 2012 beim Internationalen Filmfestival in Venedig die höchste Auszeichnung, den Spezialpreis der Jury. Gleichzeitig erstattete die ultrachristlich-konservative italienische Organisation „NO 194“ sowohl gegen den Regisseur als auch gegen seine Hauptdarstellerin Maria Hofstätter Anzeige wegen Gotteslästerung, was dem Film weltweite Medienaufmerksamkeit bescherte. Erzählt wird von einer Frau in den besten Jahren, Anna Maria (der Schwester von Sugarmama Teresa aus Teil eins), die im Namen Gottes unterwegs ist. Verbissen versucht sie, die „Ungläubigen“ auf den rechten Weg zu bringen, indem sie, begleitet von der Gottesmutter Maria in Statuenform, von Haus zu Haus zieht und Gottes Wort verbreitet – und das in ihrem Urlaub. Schnell wird klar, dass eine übersteigerte Religiosität zwanghaft das ganze Leben der Frau dominiert: sie verbringt Stunden vor dem Kruzifix und betet, wahnhaft aber leidenschaftslos, zu Jesus. Sie geißelt sich selbst, onaniert mit dem Kreuz und rutscht, betend, auf Knien durch die Wohnung, geleitet einzig von der Hoffnung auf die Vergebung all ihrer und der Menschheit Sünden. Für Gott singt sie und macht selbstverständlich auf ihrem Auto Werbung für „Radio Maria“. Als plötzlich ihr muslimischer, gehbeeinträchtigter Ehemann wieder auftaucht, gerät Anna-Marias streng getaktete Welt ins Wanken. In der Rückkehr des Abwesenden sieht sie eine Strafe Gottes. Ihren einzigen Liebhaber – Jesus – gegen einen realen, fleischlichen auszutauschen, steht für sie nicht zur Diskussion. Grotesk wirken ihr Kampf, ihr Abscheu gegen alles „Ungläubige“ und ihr Ehrgeiz, andere vom wahren Glauben zu überzeugen. Dabei wechseln sich beim Zuseher das Schockiertsein über den Alltagsfundamentalismus und das Amüsement über die Lächerlichkeit mancher Szenen ab. Aber auch hier bleibt am Ende nur die Einsamkeit.

Paradies der Realität – Realität des Paradieses

Ulrich Seidl bleibt seinem Stil treu. In allen Paradies-Teilen sticht sein (österreichischer) Realismus hervor – der Regisseur präsentiert Bilder, die man tagtäglich (über-)sieht, deren lakonischer wie subtiler Alltagsbrutalität man im Kino aber unangenehm ausgeliefert ist. Seine Filme wirken wie eine Mischung aus Dokumentar- und Spielfilm, dies unterstreicht auch die Mixtur aus Laien- und ProfischauspielerInnen. Seidl ist schonungslos, irritierend, hart – in Paradies: Hoffnung aber auch ungewohnt zart. Besonders seine Bildgewalt beeindruckt: Ob Teresa, die nackt daliegend an Lucian Freuds Aktbild von Sue Tilley erinnert, ob Anna Maria, wie sie auf Knien zu ihrem Jesus spricht oder ob die dicken Kinder schön aufgereiht „If you’re happy and you know it, clap your fat!“ singen und dazu auf ihre Problemzonen klatschen – seine statischen Bilder, stets in der

Paradies: Hoffnung, Seidls zartester Film, wie er von vielen JournalistInnen betitelt wurde, wurde im Rahmen der diesjährigen Berlinale uraufgeführt. Die 13-jährige Melanie – gespielt von der Laienschauspielerin Melanie Lenz –, Tochter von Sextouristin Teresa und Nichte von Fanatikerin Anna Maria, verbringt ihren Urlaub im Diätcamp. In Reih und Glied mit ihren 15 Leidensgenossinnen und zu den Trillerpfeifensignalen der selbstbewussten, aber desillusioniert wirkenden TrainerInnen kämpft sie gegen die Pfunde an. Diese ewig gleiche Schinderei steht aber bei Paradies: Hoffnung nicht im Vordergrund, sondern eher die Schwärmerei Melanies. Ihre erste große Liebe ist der namenlose, gut 40 Jahre ältere Camparzt, den sie tagtäglich heimsucht. Irritiert ist man über die Spielchen, die zwischen den beiden stattfinden: Er lässt sich von Melanie abhören, setzt sich im Kino aber wieder von ihr weg. Er folgt ihr in den Wald und lässt sich dort von ihr umarmen, weist sie aber in einer anderen Szene wieder zurück. Als Melanie mit einer Freundin nachts aus dem Camp ausbricht und sich bis zur Bewusstlosigkeit betrinkt, ist er der Retter in der Not. Er holt das ohnmächtige Mädchen aus dem Lokal ab, um es in den Wald zu bringen, es dort auf den Boden zu betten und von oben bis unten zu beschnüffeln. Schlussendlich verbietet der Arzt Melanie den Umgang mit ihm. Dazwischen passiert nicht viel – Teenies entdecken Liebe, Alkohol, Flaschendrehen und Freundschaften und bleiben, im Geheimen, der Schokolade treu. Monoton werden sie gedrillt, sogar beim Essen wird ein Takt vorgegeben. Alle (Abnehm-)Aktionen wirken sinnlos. Und am Ende bleibt die zerbrochene Hoffnung und wieder – die Einsamkeit.

Totale, entfalten wie Gemälde, die langsam in Bewegung kommen. Ein besonderes Händchen hat Ulrich Seidl für hervorragend starke Frauen, denn seine Hauptdarstellerinnen scheinen für seine Filme wie gemacht. Und am schönsten: Er moralisiert nicht, sondern beobachtet bloß die Menschen dabei, wie sie lieben, glauben und hoffen. Die Paradies-Trilogie ist starker Tobak, aber ein absolutes Muss für Cineasten. Am stimmigsten ist Liebe, am stärksten Glaube, etwas schwächelnd schwimmt Hoffnung mit. Das passt nun auf die Filme, wie auch auf deren Geschichten. Seidl drängt seinen ZuseherInnen keine fertigen Interpretationsmuster auf und überlässt sie so derselben Einsamkeit, in der auch seine Protagonistinnen verharren. Aber wäre es anders, es wäre nicht Seidl, denn wie heißt es so schön auf seiner Homepage: Ulrich Seidl. Regisseur – Drehbuchautor – Produzent – Voyeur – Menschenverachter – Zyniker – Sozialpornograph – Unhold – Provokateur – Pessimist – Humanist.


30 KULTUR & MENSCHEN

UNI:PRESS # 672 MÄRZ 2013

FS1 – Freies Fernsehen Salzburg: Der Sender, der dir das Wort überlässt FS1 – Freies Fernsehen Salzburg ist ein nicht kommerzielles, werbefreies Programm. Den Sender gibt es seit Februar 2012, das Projekt selbst wurde jedoch bereits Ende 2010 ins Leben gerufen. Was ist nun so besonders an einem lokalen Sender wie FS1? Was hebt FS1 von anderen Sendern in Salzburg oder österreichweit ab? Von Christine Drack

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um einen handelt es sich hierbei um das dritte österreichische Community-Fernsehen. Community-TV ist ein in Österreich sehr junges Phänomen und beschreibt die Partizipation aller Personen, die in einem Medium mitwirken und es produzieren. Man ist direkt in das Medium eingebunden, da man mit den Medienproduzenten arbeitet, sie ausbildet oder selbst von ihnen ausgebildet wird. Aus diesem Patchwork von Inhalten ergibt sich ein Ganzes, ein Sender, FS1 – das ist die Idee des Community-TV. FS1 ist eben kein Fernsehsender, den man einfach nur konsumiert. Man ist vielmehr ständig mit Personen aus der Medienbranche im Austausch, wird zum eigenständigen Produzieren motiviert. Dieser Do-it-yourself-Gedanke ist heutzutage sehr modern. Ein wesentlicher Unterschied zu anderen Do-it-yourself-Programmen ist jedoch der, dass der Sender FS1 sämtlichen Mitgliedern gehört. Doch was wird bei FS1 überhaupt gesendet? Wird versucht, mit gewissen Programmen spezifische Zielgruppen anzusprechen? Die Herausgeber Alf Altendorf und Markus Weisheitinger-Herrmann sind sich einig: Es gibt keine Zielgruppen im klassischen Community-Bereich. Man weiß nicht, wer das eigene Programm sehen wird, da es keine Kontrolle über die KonsumentInnen gibt. Eine Zielgruppe wird nicht eigens ausgewählt, sie wird vielmehr durch die SendungsmacherInnen selbst generiert. Das bedeutet somit auch, dass bei FS1 so ziemlich alles gesendet wird: vom religiös-kulturellen Bereich bis hin zu Beiträgen über Subkulturen, Jugendkulturen sowie solche zu zivilgesellschaft-

Quadratisch, praktisch, gut und grün. So kommt das LUUPS daher, das coolste Gutscheinbuch Salzburgs. Auf 90 Seiten für knapp 17 Euro finden sich Angebote rund ums Essen, Trinken und Freizeit und Kultur. So steht einem schönen Tag in der Stadt nichts im Weg: Das zweite Frühstück im Café Diva gratis, der zweite Tagessaft beim Mangoes gratis, der zweite Eintritt in der ARGE Nonntal kostenlos. „Einmal bezahlen, zweimal genießen: Mit LUUPS geht man zu zweit in einem der Partner-Restaurants essen, gönnt sich zwei Hauptgerichte, hat einen schönen Abend – und zahlt doch nicht viel mehr als im Schnellimbiss – denn

lichen Themen. FS1 bildet die Gesellschaft Salzburgs so ab, wie sie ist – im Idealfall sollte so auch das Spektrum der Fernsehinhalte aussehen. Um Mitglied bei FS1 zu werden, sind nur wenige Voraussetzungen notwendig. Zuallererst steht ein verpflichtender, eintägiger Basisworkshop auf dem Programm. Dieser bietet einen ersten Einstieg in die Arbeit mit Kamera, Mikrofon und Schnittprogramm und man wird über die Dos and Don´ts der Sendungsgestaltung aufgeklärt. Anschließend wird noch die SendemacherInnenvereinbarung unterschrieben und die der Jahresbeitrag bezahlt und schon ist man SendungsmacherIn. SchülerInnen und StudentInnen erhalten hier außerdem preisliche Ermäßigungen. Vier wesentliche Vorteile stellt FS1 durch eine Mitgliedschaft bereit: Zum einen hat man Zugang zu einer Sendefläche und somit einen Zugang zur Distribution eigener Anliegen. Man kann seine eigene Meinung darstellen, ohne Zensur oder redaktionellen Einfluss. Beschränkungen finden nur im parteipolitischen, religiös-fanatischen, sexistischen und diskriminierenden Bereich statt. Der zweite wesentliche Vorteil durch eine Mitgliedschaft bei FS1 ist die Ausbildung, die man erhält. Man wird für die Produktion von Beiträgen und Sendungen qualifiziert. Hier gibt es zahlreiche Workshops, die FS1 während des ganzen Jahres anbietet. Diese Workshops sind lohnenswert und decken vom Basiswissen über Mikrofone bis hin zur Fortbildung im Bereich Moderation/Konzept ein weitläufiges Spektrum ab. Die dritte Möglichkeit, die FS1 im Zuge seinen Mitgliedern eröffnet, ist die Mitbestimmung im Projekt selbst. Durch die Ausbildung und Zusammenarbeit kann man eigene Ideen

einbringen, völlig neue Formate ausprobieren und über diese dann mit der Community diskutieren. FS1 ist dein Fernsehen, und du hast Einfluss darauf. Das finale Plus ist das Equipment, das FS1 seinen Mitgliedern stellt. Man hat ein Jahr lang unbegrenzten Zugang zu sämtlichen Produktionsmitteln, die FS1 zur Verfügung hat. Dies sind unter anderem ein umfangreiches Kamera-Equipment, Schnittplätze und ein Fernsehstudio samt Beleuchtung, Mischpult, Greenscreen und einem Programm, das den einfachen Wechsel von mehreren Kameraperspektiven zulässt. Ein Feature, das über FS1 ausgestrahlt wird, ist beispielsweise Die Erler Show. Hier werden Personen eingeladen, die ihre Träume verwirklicht haben und andere dazu motivieren und inspirieren sollen, die eigenen Träume zu verwirklichen. Die Produzenten sind mit der Kooperation mit FS1 höchst zufrieden, da man „sein Ding durchziehen“ kann und das Projekt gleichzeitig als Lernprozess angesehen wird: Man macht selber mit und steuert damit produktiv zum Projekt bei. FS1 ist ein Sender mit Zukunft. Ein Sender, der all denjenigen, die an der Medienproduktion interessiert sind, die Möglichkeit bietet, selbst Ideen und Anliegen beizusteuern und der eigenen Meinung Gehör zu verschaffen. Dabei ist es weniger schwierig, Mitglied zu werden. Die größte Herausforderung ist es nämlich, Mitglied zu sein. Denn man sollte aktiv und produktiv Inhalte für die Sendungsgestaltung beisteuern und diese Möglichkeiten der Teilnahme auch wirklich nutzen – ein herausforderndes und interessantes Wechselspiel aus Produktion und Konsum.

ein Gericht ist ja geschenkt“, sagen Evelyn Laureyns und Günter Baumgartner, die Macher hinter LUUPS.

büchern Stadtliebhaber mit tollen Angeboten und besonderen Orten. 2013 gibt es das Buch für 26 Städte. Auch die Kreativszene in Wien, Graz und Innsbruck sollte nicht unbeachtet bleiben und mittlerweile gibt es auch hier das quadratische, praktische und gute Gutscheinbuch. „LUUPS ist mehr als ein Rabattheft für die Gastronomie. Neben den hochwertigen Gutscheinen findet man auf jeder zweiten Seite ein Bild von einem Nachwuchskünstler,“ erzählt die Salzburger Projektleiterin Evelyn. „Und 15 Songs warten auf der Internetseite darauf, kostenlos heruntergeladen zu werden. Da ist sogar der Grazer „Effi“ zu finden!“

Für viele Salzburger ist es die perfekte Gelegenheit, ihre Stadt neu zu entdecken. „Wir wohnen schon sechs Jahre in Salzburg, aber waren noch nie im Jazz:it,“ erzählt Vroni einer Freundin. „Ich radle jeden Tag dort vorbei, drinnen war ich noch nie. Mit dem LUUPS unterwegs zu sein, fühlt sich fast so an, als ob ich auf einer Städtereise bin.“ Seit 2005 verführt der Dortmunder LUUPS-Verlag mit seinen Gutschein-

www.luups.net www.facebook.com/LUUPS.SALZBURG


KULTUR & MENSCHEN 31

Let‘s Rave On!

Am 11.2.2013 beehrte uns die dänische Band The Raveonettes mit einem rund eineinhalbstündigen Auftritt im Rockhouse. Dabei bewegten sie sich zwischen Rock’n’Roll, dem Schlaraffenland und der Wüste. Ein Konzertbericht von Su Karrer, Fotos von Volker Imhof

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in zwiespältiges Gefühl machte sich vor dem Raveonettes-Konzert im Rockhouse in der Bauchgegend breit. Grund dafür war der nicht sonderlich gut bewertete Auftritt der beiden Dänen beim Stuck!-Festival 2010 in derselben Location. Zu kurz und zu langweilig sei die Mucke gewesen, hörte ich von vielen Seiten, nachdem ich leider damals selbst dem Konzert nicht beiwohnen konnte. Da ich die Band, die so unfassbar großartige Melodien fabriziert und mich schon des Öfteren in musikalische Rauschzustände versetzt hat, aber schon mehrfach live bestaunen konnte – darunter auch anlässlich mehrerer Auftritte im legendären ATOMIC CAFÉ in München – durfte ich diesmal ihren Gig in Salzburg nicht verpassen. Und ich wollte den Berichten über Langeweile und Fadesse der Band einfach keinen Glauben schenken, hatten sie mir doch bislang live immer ihre Passion und Tanzbarkeit bewiesen. Wenn Sharin Foo, Sängerin und Bassistin, – die Bühne betritt, umgibt sie eine mystische Aura. Kühl wirkt sie, unnahbar, aber ihre Stimme strömt zauberhaft aus ihrer Kehle und startet im Kopfkino ein Rock‘n‘RollMärchen von Elfen und Feen. So auch jüngst, beim Konzert im Rockhouse. Der Sound der Band lässt mich in die Vergangenheit reisen, er schwebt irgendwo zwischen fünfziger und siebziger Jahren, mit einer Prise Depression und Melancholie aus der Hoch-Zeit des Wave in den Achtzigern. Die Leute treffen sich in der Wüste und tanzen zu den dezent dreckigen Gitarren der Raveonettes – so in etwa lässt sich die Idee meiner Fantasie beschreiben. Und meistens ist es wunderschön, wie ein Schlaraffenland von überwältigenden Gefühlen. Die zweistimmigen Vocals in Kombination mit übersteuerten Gitarren ist schier unbeschreiblich, hebt Musik und Stimmung in eine weit entfernte Dimension. Aber zurück zum Konzert: Der Mastermind der Band, Sune Rose Wagner, der für die Raveonettes schreibt, singt und Gitarre spielt, steht zumindest auf der Bühne definitiv in

Sharins Schatten. Zudem wirkt seine Stimme etwas überdehnt und schwächlich. Den einen oder anderen Ton versäbelt er, was bei einer guten Gesamtperformance nicht wirklich störend wäre. Doch an namhaften Abend wirken beide äußerst müde und erschöpft und das springt auch auf das Salzburger Publikum über. Hinzu kommt eine Auswahl von eher ruhigen Nummern. Erst bei Love in a Trashcan, ihrem hierzulande wohl bekanntesten Song, der zehnten Nummer des Abends, findet die Crowd in den Hüftschwungrhythmus. Die Stimmung wird lebendiger, die Zuschauer aktiver und auch Sune und Sharin scheinen etwas aufzutauen. Doch die gewohnte Intensität fehlt ein wenig. Zwar schrammelt Sharin Foo leidenschaftlich ihre Basslines, doch ganz wach wirkt sie dabei nicht. Wenig verwundert es deshalb, dass Sune Rose Wagner unlängst in einem Fernsehinterview meinte, die Band sei müde und dass er nicht wisse, ob das aktuelle Album mit dem Titel Observator ihr letztes sei. Auch auf der Homepage schreibt Sune von einer schweren, depressiven Zeit vor der Entstehung des Albums in den USA, wo die Bandmitglieder schon seit fast zehn Jahren leben. Auch wenn der Auftritt im Rockhouse nur einen Reflex ihrer Glanzzeit rüberbringen konnte, sehens- und hörenswert waren die Raveonettes auf alle Fälle. Vielleicht wäre es für das Publikum und die Musiker einfacher gewesen, wenn sie sich bei der Songauswahl auf ihre Anfangsjahre konzentriert hätten, in denen ihr Schwung und ihre Unbefangenheit noch omnipräsent waren, weit weg von Überproduktion und Druck. Die EP Whip It On bleibt eines meiner persönlichen musikalischen Highlights aus dem ersten Jahrzehnt des zweiten Jahrtausends und auch das zweite Raveonettes-Album Pretty in Black zählt zu meinen Top Ten für die sprichwörtliche einsame Insel. Ich wünschte, die Raveonettes würden zu ihrer alten Unbeschwertheit und musikalischen Kreativität zurückfinden und uns so noch viele Jahre mit ihrem märchenhaften Zauber umgeben. Doch jedes Märchen muss bekanntlich eines Tages ein Ende haben – trotzdem: „Let‘s Rave on!“


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Na? Lust mal wieder was zu gewinnen? Der Frühling nähert sich – und somit auch das diesjährige Springfestival! Dort werden wieder alle Kunst- und Elektro-Fans auf ihre Kosten kommen und bei den zahlreichen Bands ordentlich abzappeln. Na, neugierig geworden? Gut so! Denn wir verlosen zwei Festivalpässe unter unseren LeserInnen. Alles, was ihr dafür tun müsst, ist diesen Satz zu vervollständigen:

Die Uni:Press ist für mich.... Dann das Ganze noch schnell an presse@oeh-salzburg.at schicken, und schon seit ihr den Tickets einen großen Schritt näher. An Verteufelungen und Lobeshymnen darf nicht gespart werden. Für alle unkreativen Köpfe und Pechvögel: Mit diesem Code bekommt Ihr die Festivalpässe auch ganz ohne originelle Idee um ganze 15% billiger. Nachstehenden Code einfach auf springfestival2013.eventbrite.com eingeben, und ein paar Kröten sparen! Code: öhsalzburg Einfach im Internet unter „Enter promotional code“ eingeben und sparen!


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