UP #686: Kohle (Dezember 2016

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UNI:PRESS STUDIERENDENZEITUNG DER ÖSTERREICHISCHEN HOCHSCHÜLERiNNENSCHAFT SALZBURG — #686 Dezember 2016 —

KOHLE


14.12.|DiRk StERmAnn „DEr JuNGE bEkommt DAS GutE zulEtzt” 16.12.|nEuSchnEE|RESiStERS 10./11.1.17|mASchEk „DAS WAr 2016”

RoterSalon No.104

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27.1.17|PEtER PiEk| wE wAlk wAllS 22.2.17|DAniEl GlAttAuER „SCHAumA mAl, DANN WEr mA SCHoN SEHEN” RoterSalon No.105

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IMPRESSUM Medieninhaberin: Hochschülerinnen- und Hochschülerschaft an der Paris Lodron Universität Salzburg (ÖH Salzburg), Kaigasse 28, 5020 Salzburg, www.oeh-salzburg.at, sekretariat@oeh-salzburg.at / Herausgeber: HochschülerInnenschaft / Pressereferentin: Carolina Forstner / Layout: Michael Seifert / Lektorat: Julia Kellner & die Redaktion/ Anzeigen und Vertrieb: Gerald Lindner Redaktion (Kontakt: presse@oeh-salzburg.at): Carolina Forstner, Sandra Grübler, Maria Köchler, Christoph Mödlhamer, Christoph Würflinger / AutorInnen in dieser Ausgabe: Carolina Forstner, Korbinian Breinl, Selina Schnickers, Christof Fellner, Miggi Seifert, Sandra Grübler, Christoph Würflinger, Ivana Ristic, Paul Oblasser, Tamara Geiblinger, Gerald Lindner, Susanne Plietzsch, Stefanie Hemetsberger, Maximilian Wagner, Jakob K., Karl Matthias Dorfer, Tobias Neugebauer, Veronika Weis, Samed Şahin, Hanna Wahl, Bea Rohrmoser, H.C. Kitzler, Christoph Mödlhamer, Maria Köchler, Christoph Laible. Druckerei: Ferdinand Berger & Söhne Ges.m.b.H. / www.berger.at / Auflage: 6.000. Für Verbesserungsvorschläge und kritische Hinweise sind wir sehr dankbar. Die Auffassungen der AutorInnen der Beiträge und die der Redaktion müssen nicht übereinstimmen.


EDITORIAL

Carolina Forstner

Sandra Grübler

Maria Köchler

Christoph Mödlhamer

Christoph Würflinger

Liebe LeserIn Über den Sommer hat sich bei uns einiges getan: Pressereferat-Veteranin Marie Schulz hat uns verlassen, um sich ganz ihrem Studienabschluss widmen zu können (haha). Unsere seriöse Aufsichtsperson ist damit weg dafür haben wir zwei neue Verbündete in unserem Kampf für Scherz und Klamauk: Sandra Grübler (Germanistik) und Maria Köchler (Linguistik). Dem Schabernack sind nun also (fast) keine Grenzen mehr gesetzt. Wir nehmen unseren Bespaßungsauftrag ernst! Neben vielen heiteren Themen haben wir uns aber selbstverständlich auch wieder mit ernsten Dingen beschäftigt. Schwerpunktthema ist dieses Mal „Koh-

le“ – Rohstoff, Geld, Gemüse (hä?). Auch die eine oder andere Skandalgeschichte ist wieder dabei. Besonders ans Herz legen möchten wir euch nichts Geringeres als eine Weltpremiere: Zum allerersten Mal gibt es in der uni:press einen Artikel auf Englisch – revolutionär!* Wir wünschen viel Vergnügen beim Lesen; Kritik, Wünsche und Anregungen wie immer gerne an presse@oeh-salzburg.at! Deine Redaktion *Selbstverständlich haben wir das nicht überprüft.

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INHALT

in ha lt

KOHLE

06 08 10 12 14 15 16

Ka-Ching!

Energieträger Kohle

Ein Plädoyer für ein verkanntes Gemüse

Ferialjob Spendensammler

Der Louis Store war zu

In Österreich greift nur zu Kohle, wer keine Kohle hat

Das akademische Prekariat

UNI & LEBEN

20 21 22 23 24 25 27 29 30 32

Neues aus dem Vorsitzbüro

Spam für Kohle

Jüdische Kulturgeschichte

Mord im Hörsaal?

Foodmentalismus

Wie kann ein Studium gelingen und was tun, wenn es mal nicht so läuft?

Die größte Veränderung im Lehramt

Studifeste Heute

Schwarze Pädagogik

3 Jahre und 3 Tage


INHALT

POLITIK & GESELLSCHAFT

35 37 40 43 45

Climate Justice NOW!

Where is Turkish academia going?

Die Pflicht der Erinnerung?!

Aus den Augen, aus dem Sinn?

Südkorea

KULTUR & MENSCHEN

48 49 50 52 54 55 58 60 61 63

Willkommen und Abschiebung!

"AUSweg."

Versus: The Rock

Wie man von Schauspiel- und Stimmtechniken im Alltag profitiert

Die Gamescom 2016

Fragen an die Freude

Zeitgenössischer Tanz in Salzburg

Rockhouse Academy

Hong Kong Disneyland

Zeitmaschine

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KOHLE

KA-CHING! Zaster, Kies, Moneten, Moos, Schotter, Kohle – hier nur eine kleine Auswahl deutscher Synonyme für das große Ganze: Geld. Von Carolina Forstner

L

ustlos steige ich von meinem lädierten Rad, welches ich zehn Minuten vorher schon fluchend vom Boden aufgeklaubt habe, denn, wie könnte es anders sein bei diesem fahrenden Rosthaufen, auch ein Fahrradständer will irgendwann nicht mehr seine Dienste tun. Dass meine Klingel abgebrochen und mein Dynamo – ja, was meine Fahrradbeleuchtung betrifft, bin ich noch oldschool – längst ihren Dienst quittiert haben, muss hier nicht weiter erwähnt werden. Mittlerweile hat auch bei mir die Resignation eingesetzt und ich lasse aus akutem Geldmangel mein wohl wichtigstes Fortbewegungsmittel vor sich dahinrotten. Der Fahrradmann meines Vertrauens, der allzu gerne ‚StudentInnenpreise‘ vergibt, ist mir auch zu teuer geworden. Doch dieser Leitartikel soll nicht vom Radfahren oder dem dazugehörenden fahrenden Untersatz handeln, sondern vielmehr vom schnöden Mammon, der auch Teil unseres gewählten Schwerpunktes ist. Der deutsche Sprachwissenschaftler Heinz Küpper meint den Ausdruck Kohle als Synonym für ein Zahlungsmittel auf das 18. Jahrhundert zurückführen zu können und zwar auf die Redewendung: „Der Schornstein muss rauchen“, was ergo so viel bedeutet wie: Ohne Geld und Lebensmittel kann man nicht leben, denn Kohle gehörte anno dazumal zu den wohl beliebtesten Heizmitteln. Okay, ich nage jetzt nicht am Hungertuch und heize meinen Ofen mit Kohlebriketts, sondern verfüge über den Luxus einer Zentralheizung in meinem WG-Zimmer (auch wenn mein Heizkörper gerade aus unerfindlichen Gründen nicht funktioniert), aufs Geld muss ich trotzdem schauen, deswegen zurück zur Fahrradstory. Mein klappriges Bike bringt mich zu den Pforten meiner persönlichen, pinken Hölle: Dem ‚Zentrum im Berg‘, kurz ‚ZiB‘, einem abgeranzten Einkaufszentrum in der Fürbergstraße, in der malerischen Umgebung der Sterneckstraße gelegen. Mein heutiger Job ist wieder einmal an Sinnlosigkeit kaum zu übertreffen, aber 25 Euro sind 25 Euro und 2,5 Stunden Arbeit (wenn man das so nennen kann) lassen sich ganz gut in das Leben einer Prokrastinationsstudentin integrieren. Meine Kollegin und ich haben heute eine wichtige Aufgabe: Die Betreuung eines Kasperltheaters. Das heißt: Zwischen den Aufführungen im Akkord pinke Luftballone mit Helium aufgeblasen, was wir nicht gemeinsam machen, schließlich muss ja auch jemand darauf achten, dass Zucht und Ordnung bei Kasperl und Gretel herrscht! Somit sind die Aufga-

ben klar abgesteckt: Meine bereits im zarten, frühkindlichen Alter ausgeprägte Aversion gegen Kasperl, das Krokodil und Konsorten bewahrt mich vor der Show – dann doch lieber die Fließbandproduktion von Luftballons. In der Pause zwischen den beiden Vorstellungen beginnt die eigentliche Arbeit und die ist nun wirklich nicht lustig: Das Verteilen der Ballons an die Kinder, die sich die halbstündige Folter des Theaterstückes angetan haben. Klingt nett, oder? Ist es aber nicht. Man verschenkt hier in erster Linie nicht an kleine süße Kinder, sondern an deren raffgierige Eltern und Großeltern. Es wird gestoßen, geschubst, Tränen fließen, kleinen Kindern werden kaltblütig ihre ergatterten Luftballons entrissen – eine Gesellschaftsstudie in Reinkultur. Laut der Studierenden-Sozialerhebung* aus dem Jahr 2016 beläuft sich die Anzahl erwerbstätiger Studierender auf 61 Prozent, 40 Prozent von ihnen arbeiten während des Semesters, sehen sich aber laut eigener Einschätzung als Studierende, 21 Prozent bezeichnen sich als erwerbstätig und nebenbei Studierende. Das wöchentliche Ausmaß studentischer Erwerbstätigkeit beträgt im Durchschnitt 19,9 Stunden pro Woche. 11 Prozent der Studierenden sind vollzeitbeschäftigt. Jüngere Studierende (in diese Altersgruppe würde ich mich persönlich auch noch zählen) arbeiten häufiger in Gelegenheitsjobs (siehe Kasperltheater), damit ist auch ihr Erwerbsausmaß geringer. Im Vergleich zu 76 Prozent der über 30-Jährigen Studierenden, die im Sommersemester 2015 erwerbstätig waren, arbeiteten nur 36 Prozent der unter 21-Jährigen. Durchschnittlich, so heißt es in der Studie weiter, verdienen Studierende 780 Euro pro Monat, auch unter Studierenden zeigt sich der wohlbekannte Gender Gap. Zur Information: Der Graben der Geschlechter klafft im europäischen Vergleich nur in Estland weiter auseinander – in Österreich liegt die Lohnschere zwischen Frauen und Männern bei 22,9 Prozent. Auch österreichische Studentinnen sind häufiger in geringeren Einkommensklassen vertreten als Männer, business as usual sozusagen. Aussagekräftige Durchschnittswerte sind nur bedingt feststellbar, da die Einkommenssituationen stark variieren: Ein Viertel finanziert sich das Studium mit weniger als 730 Euro pro Monat, die Hälfte der Studierenden hat ein monatliches Budget zwischen 730 und 1.400 Euro zur Verfügung, während ein Viertel der Studierenden mit einem protzigen Taschengeld von mehr als 1.400 Euro leben ‚muss‘.


KOHLE

Kapitel II Studierenden-Sozialerhebung 2015

18,4 Stunden pro Woche, während Studierende mit einem verzögerten Zugang ein Erwerbsausmaß von 26 Stunden pro Woche aufweisen. Im Zeitvergleich zeigt sich, dass das durchschnittliche Erwerbsausmaß erwerbstätiger Studierender von 2006 bis 2009 einen größeren Anstieg verzeichnete, seit 2011 ist es jedoch konstant geblieben. Ebenso ist der größte Anstieg der Erwerbsquote von 2006 bis 2009 zu finden, seit 2011 ist die Erwerbsquote dagegen um knapp 2%-Punkte gesunken. 72% der Masterstudierenden sind im Sommersemester 2015 erwerbstätig, bei Bachelorstudierenden liegt die Erwerbsquote bei 56% und bei Diplomstudierenden bei 63%. Während Masterstudierende ein durchschnittliches Erwerbsausmaß von 22,3 Stunden pro Woche aufweisen, gehen Bachelorstudierende im Durchschnitt 18,8 Stunden und Diplomstudierende 19 Stunden pro Woche einer Erwerbstätigkeit nach. Studierende an Fachhochschulen in berufsbegleitenden Studiengängen weisen mit 90% die höchste Erwerbsquote und mit 34,1 Stunden das höchste Erwerbsausmaß auf. An wissenschaftli-

Ebenso ist die Erwerbsquote jüngerer Studierender niedriger. 36% der Studierenden unter 21 Jahren, aber 76% der über 30-Jährigen sind im Sommersemester 2015 erwerbstätig. Die Erwerbsquote von Frauen ist zwar um 2%-Punkte höher, diese bezieht sich jedoch lediglich auf gelegentliche Tätigkeiten. Daher liegt auch das Erwerbsausmaß bei Studentinnen unter jenem der Studenten (Ø 18,2h vs. Ø 22h). Bis zu einem Alter von 28 Jahren sind Frauen häufiger erwerbstätig als Männer, mit zunehmendem Alter sind es aber Männer, die häufiger erwerbstätig sind. Die Erwerbsquote bei Studierenden aus niedriger Schicht verhält sich im Altersvergleich ähnlich zu jener aus hoher Schicht. Beim Erwerbsausmaß zeigt sich aber, dass Studierende aus niedriger Schicht bis 28 Jahre ein höheres Ausmaß aufweisen als jene aus hoher Schicht (siehe Grafik 16). Ab diesem Alter gleicht sich das Erwerbsausmaß jedoch an. Studierende, die ihr Studium verzögert aufgenommen haben, sind häufiger erwerbstätig als jene, die unmittelbar nach der Matura zu studieren begonnen haben. Das Erwerbsausmaß von erwerbstätigen Studierenden mit einem unmittelbaren Hochschulzugang liegt bei

Grafik 16: Nur erwerbstätige Studierende: Erwerbsquote und Erwerbsausmaß in Stunden pro Woche nach sozialer Herkunft und Alter 80% 73% 66%

35h

76%

30h

64%

62%

60%

61%

59%

57%

25h

Erwerbsquote

50% 20h 40%

36%

15h

30% 10h

20%

5h

10%

Erwerbsausmaß in Stunden pro Woche

70%

0h

0% Niedrige Mittlere Gehobene Hohe Schicht Schicht Schicht Schicht Während des ganzen Semesters

Unter 21J.

21 bis 25J.

26 bis 30J.

Über 30J.

Gesamt

Gelegentlich während des Semesters

Ø Erwerbsausmaß

Quelle: Studierenden-Sozialerhebung 2015.

Nur erwerbstätige Studierende: Erwerbsquote und Erwerbsausmaß in Stunden pro Woche nach sozialer Herkunft und Alter

Kapitel II Studierenden-Sozialerhebung 2015

zur sozialen der Studierenden 2016 erwerbstätiger Studierender, gesamt und nach Geschlecht 61 GrafikMaterialien 17: Verteilung desLage Erwerbseinkommens 22%

50%

25%

25%

20% 18%

780

16% 14% 12% 10% 18%

8% 6% 9% 10%

7% 3%

> 800 bis 900

> 900 bis 1.000

> 700 bis 800

> 600 bis 700

> 500 bis 600

> 400 bis 500

> 300 bis 400

> 200 bis 300

> 100 bis 200

Bis 100

Gesamt

Frauen

2%

2%

2%

2%

6% > 2.000

2%

> 1.900 bis 2.000

2%

> 1.800 bis 1.900

3%

> 1.700 bis 1.800

1% 3%

> 1.600 bis 1.700

4%

0%

> 1.500 bis 1.600

3%

> 1.400 bis 1.500

5%

> 1.300 bis 1.400

5%

> 1.200 bis 1.300

5%

2%

> 1.000 bis 1.100

7%

> 1.100 bis 1.200

4%

Männer

Für 75 Prozent der Studierenden ist die Erwerbstätigkeit notwendig, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten – wer den Salzburger Wohnungs- und Studierendenheimmarkt kennt, weiß, wie verdammt teuer ein paar Quadratmeter sein können. Unterstützungen wie etwa die Studienbeihilfe können wichtige Abhilfe schaffen, stehen aber nicht immer allen zu, die diese Mittel auch verdienen würden. Finanzielle Belastungen, wie etwa Schulden oder noch laufende Kredite auf Seiten der Eltern, finden in der Berechnung des Unterstützungssatzes keinen Platz, was eine mit Sicherheit nicht so geringe Anzahl an Studierenden durch das Raster der staatlichen Zuschüsse fallen lässt. Punkt halb sechs, Dienstschluss. Erleichtert packen wir unsere Taschen, das Allerschlimmste blieb uns dieses Mal zum Glück erspart: Eigentlich sollte zumindest eine von uns beiden während des Luftballonmassakers das Kostüm des Maskottchens des Shoppingcenters tragen. Es handelt sich dabei um ein Zebrakostüm, in dem man durch ein Nichtvorhandensein von Augenschlitzen blind durch die Gegend torkelt. Um die Demütigung komplett zu machen: Das Zebra ist nicht ein ganz normales, nein, weit gefehlt! Passend zur corporate identity des ‚zib‘ dachte man wohl, man müsste das Zebra ‚cooler‘ machen. Irokesenschnitt, Silberohrring und rosa-giftgrüne Weste – Versuch geglückt, würde ich sagen.

Quelle: Studierenden-Sozialerhebung 2015.

Verteilung des Erwerbseinkommens erwerbstätiger Was tut man als arme Studentin nicht alles für ein bisschen Umgerechnet auf alle Studierenden (also inkl. Studierender, gesamt und nach Geschlechtbetragen die durch- Kohle? der Nicht-Erwerbstätigen)

chen Universitäten gehen Studierende der Medizin und der Veterinärmedizin am seltensten einer Erwerbstätigkeit nach (47% bzw. 48%), sie weisen auch ein vergleichsweise geringes Erwerbsausmaß auf. Studierende rechtswissenschaftlicher sowie geistes- und kulturwissenschaftlicher Studien weisen die höchste Erwerbsquote und ein hohes Er-

schnittlichen Erwerbseinnahmen € 470 pro Monat und machen damit gut 40% der gesamten Geldeinnahmen von Studierenden aus. Für 21% der Studierenden ist das Erwerbseinkommen die wichtigste Einnahmequelle.

Quelle: http://bit.ly/ 2fEX4rT

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KOHLE

Kohle und Kohleförderung Bei Kohle handelt es sich um Sedimentgestein, welches überwiegend aus Kohlenstoff besteht und durch den sogenannten Prozess der Karbonisierung oder „Inkohlung“ entstanden ist. Bei diesem Prozess werden abgestorbene Reste von Pflanzen über Jahrmillionen zuerst in Torf und später zu Braunkohle, Steinkohle und im finalen Stadium zu Graphit umgewandelt. In dieser Prozesskette nimmt der relative Kohlenstoffanteil kontinuierlich zu, bis er bei Graphit nahezu 100 Prozent erreicht hat. Die Inkohlung besteht aus einer biologischen Phase, bei der Mikroorganismen die Pflanzenreste zuerst in Torf umwandeln, und aus einer geochemischen Phase, die bei der weiteren Umwandlung in Steinkohle, Anthrazit und Graphit dominiert. Kohlevorkommen befinden sich heute auf allen Erdteilen. Die heutigen Braunkohlevorkommen auf der Erde stammen aus dem Tertiär, welches vor ca. 65 Millionen Jahren begann. Steinkohlevorkommen hingegen stammen zumeist aus dem Karbon, welches vor ca. 359 Millionen Jahren begann. Kohle gilt für viele als Relikt der industriellen Frühzeit, sie ist aber nach wie vor der wichtigste fossile Energieträger weltweit. Kohle dient zum Heizen, zum Gewinnen von Elektrizität (Verstromung), der Herstellung von Koks (einem stark kohlenstoffhaltigen Brennstoff, der beispielsweise in der Stahlerzeugung Anwendung findet) und der Herstellung verschiedener Kohlenwasserstoffe. Wie alle fossilen Energieträger sind auch die globalen Kohlevorräte endlich. Es ist allerdings schwierig abzuschätzen, wie lange die Kohlevorkommen unter Annahme derzeitiger Fördermengen noch ausreichen werden. Die Schätzungen hierzu schwanken, in etwa 100 Jahre

werden oft als Zahl genannt1. Der mit Abstand größte Förderer von Kohle ist derzeit China mit ca. der Hälfte der globalen Jahresförderung, gefolgt von Ländern wie den USA, Australien und Indonesien. In China geht derzeit wöchentlich ca. ein neues Kohlekraftwerk ans Netz. Deutschland ist ebenfalls mit unter den größten Förderstaaten und nimmt bei der Förderung von Braunkohle sogar eine unrühmliche weltweite Spitzenposition ein. Die Grümde für das Festhalten der deutschen Regierung am Energieträger Braunkohle sind die verhältnismäßig einfache Förderung durch den Tagebau, die dadurch niedrigen Kosten und die Unabhängigkeit von Importen, speziell in Zeiten zunehmender geopolitischer Spannungen. Kohle im Zeichen des Klimawandels Die Verwendung von Kohle als Energieträger allgemein und der Braunkohle im speziellen ist umstritten, handelt es sich bei der Kohle doch zweifelsfrei um einen der größten Verursacher für den vom Menschen verursachten Klimawandel. Speziell die Braunkohle ist der mit Abstand klimaschädlichste Energieträger. Pro erzeugter Kilowattstunde Strom wird durch Braunkohle in etwa dreimal soviel CO² in die Atmosphäre emittiert wie bei der Stromgewinnung in einem modernen Gaskraftwerk2. Nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen wird die globale Temperatur im Jahr 2016 durchschnittlich in etwa 1,25 Grad über dem vorindustriellen Zeitalter liegen3. Die Konzentration an Treibhausgasen in der Erdatmosphäre wie Kohlendioxid, Methan oder Distickstoffmonoxid hat nach den Erkenntnissen des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) ein Niveau erreicht, welches in mindestens 800.000 Jahren noch

1 http://news.nationalgeographic.com/news /2010/09/100908-energy-peak-coal/ 2 https://www.vdi.de/ fileadmin/vdi_de/redakteur_dateien/geu_dateien/FB4-Internetseiten/ CO2-Emissionen%20der%20 Stromerzeugung_01.pdf 3 Hansen, J., Sato, M., Kharecha, P., von Schuckmann, K., Beerling, D. J., Cao, J., Marcott, S., Masson-Delmotte, V., Prather, M. J., Rohling, E. J., Shakun, J., and Smith, P.: Young People‘s Burden: Requirement of Negative CO2 Emissions, Earth Syst. Dynam. Discuss., 2016.


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nie existiert hat4. Der von Menschen gemachte Klimawandel, an dem – trotz zunehmender Klimaskepsis unter Nichtfachleuten – wissenschaftlich keinerlei Zweifel besteht, wird nach derzeitigen Erkenntnissen bei einer Beibehaltung des Status Quo oder sogar weiterer Erhöhung der Treibhausgasemissionen zu kaum überschaubaren Konsequenzen führen. Diese beinhalten nicht nur Extremwetterereignisse wie Überschwemmungen oder Dürrekatastrophen in vielen Teilen der Welt, sondern auch anhaltenden Wassermangel oder die Verbreitung von Krankheiten in bislang unbetroffenen Regionen. Das Zynische am Klimawandel ist, dass er die Länder am meisten betrifft und betreffen wird, die ihn nicht verursacht haben, nämlich die Entwicklungsländer. Große Migrationswellen, wie wir sie derzeit beobachten, könnten dadurch weiter zunehmen. Verschiedene Klimaprojektionen sagen bis zum Jahr 2100 eine Zunahme der globalen Durchschnittstemperatur von bis zu 4 Grad Celsius voraus4. Politisch wurden 2 Grad als Ziel zur Begrenzung der globalen Erderwärmung festgelegt, auch wenn dieses Ziel durch politische und wirtschaftliche Interessen einzelner Länder derzeit unerreichbar geworden zu sein scheint. Die jüngste UN-Klimakonferenz in Marrakesch hat die Dringlichkeit einmal mehr aufgezeigt. Ein Planet Erde mit einer erhöhten globalen Durchschnittstemperatur von mehreren Grad Celsius hätte allen Erkenntnissen nach mit der Welt, wie wir sie heute kennen, nicht mehr viel gemeinsam. Die Konsequenzen für die Ökosysteme der Erde wären dramatisch.

Die Zukunft der Kohle Aus diesem Grund ist das weitere Festhalten am Energieträger Kohle umwelt- und klimapolitisch im Hinblick auf zukünftige Generationen nicht mehr zu verantworten. Alternative Energiequellen wie die Windenergie oder Solarenergie müssen dringend weiter gefördert und ausgebaut werden, die Energieeffizienz muss weiter erhöht und Energiesparmaßnahmen sollten staatlich subventioniert werden. Aber auch CO2-Abscheidung und Speicherungstechnologien in Großkraftwerken könnten trotz kritischer Diskussion ihren Beitrag zum Klimaschutz leisten. Die Kernenergie ist in Österreich und Deutschland mit großer Wahrscheinlichkeit als Alternative nicht mehr vermittelbar. Natürlich ist Augenmaß gefragt und jede Maßnahme, wie der Neubau einer Windkraftanlage, muss im Einzelnen diskutiert und abgewogen werden. Mit der immer mehr verbreiteten Haltung „Klimaschutz ja, aber nicht vor meiner Haustür“ wird man allerdings nicht weit kommen. Eine echte und konsequente Energiewende bedeutet ohne Zweifel Investitionen und Zugeständnisse, eröffnet aber auch große ökonomische Chancen auf dem globalen Markt, sei es durch Neuentwicklungen in der Solarenergie, in der Verbesserung der Energieeffizienz oder in der Elektromobilität. Es ist die Pflicht der Industrieländer, durch gutes Beispiel voranzugehen, denn sie haben dieses globale Problem zum größten Teil verursacht. Man muss die Kohle dafür nicht einmal begraben: Sie ist bereits seit Jahrmillionen unter der Erde.

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4 IPCC, 2013: Summary for Policymakers. In: Climate Change 2013: The Physical Science Basis. Contribution of Working Group I to the Fifth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change [Stocker, T.F., D. Qin, G.-K. Plattner, M. Tignor, S.K. Allen, J. Boschung, A. Nauels, Y. Xia, V. Bex and P.M. Midgley (eds.)]. Cambridge University Press, Cambridge, United Kingdom and New York, NY, USA. Dr. Korbinian Breinl hat 2015 an der Universität Salzburg im Interfakultären Fachbereich Geoinformatik - Z_GIS promoviert. Derzeit ist er Wissenschaftler an der Universität Uppsala (Schweden) im Bereich Klimafolgenforschung und Hydrologie.


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EIN PLÄDOYER FÜR EIN VERKANNTES GEMÜSE von Selina Schnickers

E

s wird kalt draußen. Kalt und nass und dunkel. Der Sommer winkt mit den letzten fallenden Blättern Adieu, obwohl ja der Übergang zwischen Hochsommer und den ersten Frosttoten des Herbstes hier in Salzburg kaum spürbar ist. In dieser kalten Jahreszeit schlittern auch die Gerichte langsam weg vom lockerleichten Sommerzauber, hin zu herzhaft-heimischen Mahlzeiten, die wir noch aus unserer Kindheit kennen… Doch was war das nochmal? Was gab es immer, wenn wir Rotznasen mit leuchtend roten Wangen und mehr Laub als Haaren auf dem Kopf aus dem Garten an den Tisch gerufen wurden? Als wir uns mit steifgefrorenen Gliedern setzten und heißhungrig in den großen, dampfenden Topf schielten? Nun werden meine ganz persönlichen Kindheitsalbträume wach, denn die Kelle barg: die Kohlsuppe. So war das zumindest damals und ich frage mich, wo er eigentlich hin ist, der Kohl. Seit Jahren ist er mir nicht mehr untergekommen, nicht im Kochbuch, nicht in den Rezeptideen der Brigitte, beim Zahnarzt und auch nicht in den Liftstylefoodblogs, die mittlerweile vor lauter Goji und Chia schon gar nicht mehr wissen, wo oben und unten ist. Aber irgendwie machen sich wohl Shiitake, Spirulina und Süßkartoffel-Moringa-Cracker besser als Papas verpönter Kohleintopf. Vermutlich, weil um die sogenannten Superfoods der Zauber der Unwissenheit und Mystik liegt. Zumindest mehr, als um Rosenkohl und Sauerkraut. Wer jedoch glaubt, dass Quinoa direkt aus den nebelverhangenen Bergen Perus von ponchotragenden AndenbewohnerInnen geerntet in unseren Schongarer wandert, der irrt. Auch die gefeierte Avocado fällt nicht groß und prall (aber mit der perfekten Konsistenz) von Mexikos Farmland direkt in Billas Gemüseregal, ebenso wenig, wie der Agavendicksaft von vor Freude quietschenden Arbeitenden gesammelt wird...

Nein, all die Superfoods sind im Grunde für Superfools, die nicht bedenken, dass weder Vitamingehalt noch Energiebilanz in Einklang mit ihrem Chi zu bringen sind, wenn die Produkte (dank der freien Marktwirtschaft und Globalisierung) gespritzt, halbroh und von Halberwachsenen geerntet auf umweltschädliche Weise, von der einen Erdseite an die andere, direkt auf unsere Brotzeitbrettchen transportiert werden. So machen diese weder schön noch gesund, also die Erde, und dich sowieso nicht. Die Antwort auf diese aktuellen Fragen nach Schönheit, Gesundheit, Wohlsein und Nachhaltigkeit liegt viel näher als gedacht, ist älter als alle Foodblogs zusammen und so einfach, dass wir Papa nur um Vergebung bitten können; denn er schmeckt, der Kohl. Das habe ich in einem waghalsigen Eigenexperiment herausgefunden und – haltet euch fest – ist bio, fairtrade und sogar raw genießbar. Der Kohl – Der Plural von Kohl ist übrigens tatsächlich Kohle. Wer hätte das gedacht? – als Klassiker der deutschen und österreichischen Küche soll wieder Hochkonjunktur erfahren. Zum Kohlgemüse gehören u.a. Blumenkohl, Broccoli, Chinakohl, Kohlrabi, Rosenkohl, Weiß- und Rotkohl sowie Wirsing. Bei uns heimisch sind verschiedene Sorten wie Rosenkohl, Rotkohl oder Grünkohl und diese sind jetzt auch frisch aus Deutschland und Österreich erhältlich. Besonders im Winter lechzt der Körper nach Vitamin C, welches im Kohl nebst allerhand anderer wichtiger Vitamine, wie Eisen und Kalium, zur Genüge enthalten ist. Durch seine Kälteresistenz und seine lokale Nähe zu uns Verbrauchenden, behält er nicht nur die Vitamine in sich, sondern erweist sich auch als energieeffiziente Gemüsesorte. Er ist leicht zu konservieren und günstig beim Erwerb. Er weckt Kindheitserinnerungen und schmeckt gut. An dieser Stelle lenke ich gerne auch mal ein, dass es unglaublich gute Foodblogs mit Kohlrezepten gibt, die weit über Papas Einfaltsgericht hinausgehen.

Kohldampf bekommen? So ein bisschen Coleslaw macht das Kraut nicht fett: 1/2 Weißkraut klein schneiden, 2 Karotten schälen und schneiden. Dann eine Zwiebel dazuschneiden. Alles mischen und mit 150g Mayonnaise, Saft von einer Limette, 2TL braunem Zucker und Salz marinieren. Den Coleslaw dann im Kühlschrank mindestens 1 Stunde durchziehen lassen. Und fertig ist die Köstlichkeit.


© Gryfindor (Wikipedia)

© Archiv für Christlich-Demokratische Politik (ACDP) (Wikipedia)

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FERIALJOB SPENDENSAMMLER: EINEN MONAT ALS KEILER DURCH OBERÖSTERREICH So wie tausende Studierende habe auch ich mir diesen Sommer wieder einmal einen Ferialjob gesucht. Etwas Ungewöhnliches sollte es diesmal sein, mal raus aus der akademischen Blase. Und vor allem sollte es sich finanziell auch auszahlen. Also eigentlich das, was sich wohl viele von uns wünschen. Von Christof Fellner

W

as also tun? Ich bewarb mich bei einer Firma, die exzellente Bezahlung versprach (bei entsprechendem Erfolg weit über 2000 Euro Brutto), als Werber. „Typischer Ferialjob für junge Leute“, so dachte ich mir, und dementsprechend waren die meisten der Kolleginnen und Kollegen gerade mit der Matura fertig, auf dem Weg dorthin oder begannen gerade zu studieren. Fünf Tage die Woche, einen Monat lang, irgendwo in Oberösterreich, von einem Dorf ins nächste, von Haustür zu Haustür, um Unterstützung werben, das war der Auftrag. Kann ja nicht so schwer sein. Zunächst er-

schien es auch durchaus möglich, ja geradezu simpel, jeden Tag so zwischen zwei und drei Leute davon zu überzeugen, Amnesty International zu unterstützen. Doch die Praxis war bald eine andere. Aus der Arbeit für Amnesty International wurde sogleich der WWF; das Werbeprojekt, für das ich mich beworben hatte, war schlichtweg beendet. Gesagt wurde mir das freilich erst, als es zur Einschulung ging. Gleich vorne weg, wirklich gut verdient haben nur wenige, viele waren nur kurzfristig dabei und sicher nicht wenige oftmals abends ziemlich frustriert, wenn das Tagessoll nicht erfüllt worden war. Stiegen hinauf


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und hinunter, kilometerlanges Gehen, stundenlanges Reden, Fahrten quer durch Oberösterreich bis abends. Tägliches Argumentationstraining war Pflicht, schließlich verfolgten wir Werbende ja ein hehres Ziel, denn: Klarerweise konnte und kann ich mich mit diesem Ziel bis heute identifizieren. Die Tiere haben eine majestä-

„DIE BERGGORILLAS AUS DEM VIRUNGA-NATIONALPARK IN DER DEMOKRATISCHEN REPUBLIK KONGO SOLLEN VOR DEM AUSSTERBEN BEWAHRT WERDEN. UM DIESES ZIEL ZU ERREICHEN, BRAUCHEN DIE WILDSCHÜTZER VOR ORT EINE BESSERE AUSBILDUNG UND MEDIZINISCHE VERSORGUNG, UM GEGEN WILDERER EINE CHANCE ZU HABEN. UNTERSTÜTZEN KÖNNEN SIE UNS JÄHRLICH ODER MONATLICH, SOLANGE SIE WOLLEN“.

klären versuchte, wie der WWF von den Rothschilds gekauft sei. Dann gab es eine alte Dame, die mich wohl mit dem Sanitätsdienst verwechselte und mir ausführlichst über ihren Blutdruck erzählte. Oder eine Lehrerin mit einer unaussprechlich komischen Mailadresse, die ich hier aber wohl kaum wiedergeben dürfte. Nur so viel sei verraten, ich hatte Mühe, mir das Lachen zu verkneifen. Und ähnlich ging es wohl einer Kollegin, die vor einem schlossartigen Landsitz darauf verwiesen wurde, dass reichere Menschen die Berggorillas unterstützen sollten. Freilich waren auch weniger angenehme Menschen dabei. Während ein Hausbewohner gegenüber einer Kollegin handgreiflich wurde, bekamen andere Besuche von der Polizei. War aber kein Problem, denn für solche Aktionen hat man natürlich eine Genehmigung mitzuführen. Die Frage nach der moralischen Richtigkeit, mit einem Teil dieses eingeworbenen Geldes die Werbenden zu entlohnen, bleibt bestehen. Natürlich gab und gibt es strengste Richtlinien und man muss schon sehr viel einwerben, um wirklich davon leben zu können. Fairer wäre es aber, allen den gleichen Lohn auszubezahlen. Der Wettbewerb zwischen den einzelnen Werbenden bestünde zwar immer noch, doch die Hilfe wäre nachhaltiger. Aber würden es dann immer noch so viele machen wollen? Mein Fazit: Wer`s ausprobieren möchte, sei herzlich dazu eingeladen. Psychische und physische Standfestigkeit und Ausdauer vorausgesetzt. © Mark Dumont(flickr)

tische Wirkung und wer gern Dokumentationen wie Universum schaut, braucht wohl wahrlich niemanden vom WWF, um das zu erfahren. Höchstens eine Erinnerung, und das zu übernehmen war ich gerne bereit. Für jedes Argument, warum ausgerechnet diese Person nicht spenden könne, sollten wir eine passende Antwort parat haben. Momentan kein Geld? Kein Problem, denn bevor etwas vom Konto abgezogen wird, vergehen so und so erst mal ein paar Wochen, bis dahin ist der nächste Lohn da, oder man kann es sich ja immer noch überlegen. Die Ehefrau oder Freundin muss erst gefragt werden? Auch kein Problem, obwohl, die wird bestimmt nix dagegen haben, ist ja für eine gute Sache. Ein Nein sollten wir einfach überquatschen, schließlich geht’s ja um was Wichtiges. Meine „Spezialität“ war es, junge Mütter zu überzeugen, den WWF längerfristig zu unterstützen. Wohl an die zwei Drittel meiner Unterstützerinnen fallen unter diese Kategorie. Das Konto war das größte Problem für diejenigen, die spenden wollten. Daten wurden einfach nicht gern hergegeben. Und hätte ich das beworbene Prinzip nicht selbst ausprobiert, ich hätte gewiss selber auch nicht mitgemacht. Ziel war eine planbare finanzielle Unterstützung, da wäre ein einzelner 10 Euro Schein wenig hilfreich. Insgesamt habe ich über 3000 Euro eingeworben, aber sicher ein Drittel der Leute verloren, als es um die Lastschrift ging. Ein besonderes Schmankerl war ein etwas verwirrter und stark nach Wodka riechender Herr, der von der Existenz von Chemtrails überzeugt war und mir zu er-

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Leider konnte Christof nicht alle Gorillas retten. Harambe – Never forget.

Christofs Arbeit trägt schon erste Früchte: Der Berggorilla-Bestand ist leicht gestiegen. Zwar kann man noch nicht von einer Entwarnung sprechen, aber immerhin ist internationalen Naturschutzorganisationen zufolge eine leichte Stabilisierung feststellbar. Die Zahl der Tiere wird im Kongo, in Ruanda und Uganda für 2016 auf ca. 880 geschätzt. Sie sind noch immer stark gefährdet, aber immerhin existieren damit 90 Berggorillas mehr als noch 2010.


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KOHLE

>>DER LOUIS-STORE WAR ZU<< Eine Analyse von Carolina Forstner und Miggi Seifert

„I

ch will alles, alles, alles, alles, alles, alles, alles, alles, alles, alles, alles, alles, alles, alles, alles, alles, alles, alles, alles, alles, alles, alles, alles, alles, alles, alles, alles, alles, alles, alles, alles, alles.” - Hustensaft Jüngling, 2015

© limo618 (deviantart)

Samstag, 12. November, 20:30, Rockhouse, “Why SL, Why SL!”-Sprechchöre [Der Wiener Rapper Money Boy heißt seit Anfang 2016 Why SL Know Plug, warum weiß er wohl selbst nicht so genau, Anm. der Redaktion]. Bucket-Hats, Goldketten und Money Boy-Merchandise zieren das überwiegend männliche Publikum. Auf der Bühne geht es hauptsächlich um das weibliche Geschlecht - in welcher Form wollen wir an dieser Stelle nicht zitieren - und natürlich um Geld und Luxus in allen Formen. Recht viel mehr Inhalt kann man nicht wirklich zwischen den Zeilen entdecken. Der Boi und seine Glo Up Dinero Gang zelebrieren ihren Lifestyle in Song-Zeilen mit Symbolen ihres monetären Wohlstands, die klingen, als wären sie direkt auf Dollarschein-Textblättern geschrieben. Louis Vuitton Taschen, teure Autos, die Liste ist schier endlos. Das biergeschwängerte Publikum ist textsicher. Es hat die Inhalte der Textpassagen mit Begeisterung aufgesogen und versucht, diese auf das wahre Leben zu übertragen. Money Boy und seine Jünger als Heilsträger auf der Suche nach dem Heiligen Gral: Schnödem Mammon. Fehltritte, wo er dem geneigten Fernsehpublikum den Heroinkonsum zum “Upturnen” empfiehlt, oder auch gern mal seine Fans mit Flaschen und Mikrofonen bewirft, werden - gemäß der österreichischen Mentalität (Schwarz-Blaue Untaten waren schließlich auch in Windeseile vergessen) - ganz schnell aus den Köpfen radiert. “Ich bin in dem Business und kenn keine Limits”, skandiert Hustensaft Jüngling, einer jener Rapper, der sich gemeinsam mit Medikamenten Manfred im engsten Dunstkreis Money Boys bewegt. Ein Statement an die Ellenbogenmentalität à la 2016. “Wir mögen dich nicht, weil du hast kein Berg Money”*. Der Stimmung in der gut gefüllten Rockhouse Bar tat das alles keinen Abbruch, ganz im Gegenteil. Je länger das Konzert andauerte, desto motivierter wurde gesprungen, gegrölt und Vogelgeräusche imitiert. Die erwartete Eskalation blieb aus. Das Publikum wurde

weder beschimpft noch beworfen, als Frau konnte man sogar, ohne einen blöden Spruch zu kassieren, ein Selfie mit der Glo Up Dinero Gang ergattern, die Annahme, dass ein sexistischer Spruch folgen würde, lag nach einem Konzert voller Herabwürdigungen an das schöne Geschlecht nahe. Ist Money Boys Manier des Aufrufes zum kollektiven Suhlen in Bling Bling nur Show? Money Boy, bürgerlich Sebastian Meisinger, ist studierter Kommunikationswissenschaftler, 2008 schloss er sein Studium mit einer Arbeit zum Thema “Gangsta-Rap in Deutschland” ab. Soll das Gerappe über Bitches und Kohle versteckte Gesellschaftskritik sein? Wollen Herr Meisinger und Konsorten hier die Kapitalismuskeule auspacken und auf unsere kaputte und genusssüchtige Welt eindreschen? Ein Urteil darüber zu fällen, würde unsere Street Credibility wohl übersteigen. Außerdem klingt die Annahme, dass das alles, wir wollen in Money Boys Vokabular bleiben, nur 1 Joke sei, ziemlich utopisch. Alleine die Vorstellung eines ausgeklügelten Masterplans, der unserer verdorbenen Gesellschaft den Spiegel vorhält, wirkt wie ein wirres Hirngespinst eines Aluhutträgers. Selbst wenn man sich mit den meisten Inhalten nicht identifizieren kann und das Konzert nicht als Hardcore-Fan besucht, muss man komplett ironiefrei anerkennen, dass der Wiener Rapper und seine Gang eine sehr gute Show abgeliefert haben. Auf wummernde Beats wurde (meist) souverän gerappt und die Songs, die man sonst nur von YouTube kennt, luden vehement dazu ein, dem Rhythmus zu folgen. Auch die Gesamt-Qualität der Lieder wurde hörbar gesteigert. Von “Dreh den Swag auf” ist man schon lange weit entfernt, auch wenn Money Boys Megahit, der ihn 2010 auf die Musik-Landkarte gesetzt hat, natürlich nicht in der Setlist fehlen durfte. Der Namenswechsel hat anscheinend die Wirkung, die YSL sich gewünscht hatte: Weg von Skandalen und Witz-Videos, hin zu gut produzierter Musik und einem professionelleren Auftreten, mit einem kleinen Zwischenstopp in der Entzugsklinik. Hinter die Fassade lässt sich die Kunstfigur allerdings immer noch nicht blicken. Ob es nun bewusst überzogener Rap ist und Sebastian Meisinger im privaten Leben ein ganz anderer Mensch ist, oder er mit Überzeugung hinter seinen Texten steht - darüber lässt sich nur spekulieren. Ihr Jonathan Frakes.

*Young Krillin ft. Yung Hurn - 1 Berg Money (2015)


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IN ÖSTERREICH GREIFT NUR ZU KOHLE,

WER KEINE KOHLE HAT Von Sandra Grübler

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s gibt ja nicht viele Dinge, die man als kleiner Dreikäsehoch erlebt hat, an die man sich auch nach zwanzig Jahren noch gestochen scharf und unglaublich gerne erinnert. Meine Besuche bei Uroma und Uropa S. gehören jedoch zu diesen kostbaren Erinnerungen. Nicht nur deshalb, weil die Urli die besten Schoko-Busserln österreichweit backen konnte und sie mir ganz nebenbei beibrachte, wie man beim Kartenspielen erfolgreich schwindelt, sondern auch wegen der besonderen, gemütlichen Atmosphäre in der kleinen Siedlungswohnung, in der es immer lauschig warm (sprich: siedend heiß) war und nach Essen duftete. Heizen war früher eine Kunst Geheizt wurde in der Wohnung von Oma und Opa noch mit einem alten Holzkohleofen mit Wasserschiff, vor dem wir Kinder uns gleichermaßen fürchteten wie angezogen fühlten, gerade weil es immer hieß: Nicht zu nah rangehen! Dieser Ofen war nicht bloß ein Ofen, sondern ein Abenteuer. Und das Heizen war eine Kunst. Von wegen 1) zum Heizungsregler marschieren, 2) ein paar Knöpfchen drücken und 3) schwups – ist die Bude warm. Vollautomatisiert war damals ein Fremdwort, wenn es ums Heizen ging. Wollte man es warm in der Wohnung haben, musste man sich einfach Zeit zum Einheizen nehmen. Und das mehrmals täglich, was hieß: Kohle und Holz die Kellertreppen hochschleppen, Ofen von Asche befreien, Brennmaterial richtig dosieren, regelmäßig nachlegen und wie ein Haftelmacher aufpassen, dass das Feuer nicht ausgeht. Klingt wie aus einem bekannten, alten Märchen? Tatsächlich sah man früher nach dem Einheizen vermutlich nicht selten einem Aschenputtel ähnlich. Außer man machte es wie mein Opa, der die Braunkohlebriketts mit Zeitungspapier umwickelte, um sich selbst nicht mit dem Kohlestaub schmutzig zu machen und der genau wusste, wie groß die Menge war, die er davon verwenden musste, damit die Wohnung nachts nicht auskühlte. Wie gesagt, Heizen war damals noch eine Kunst. Für unsere Generation ist Kohle wie das Christkind Später war ich niemals wieder in einer Wohnung, die mit einem Kohleofen geheizt wurde. Für unsere junge Generation ist Kohle ja ein bisschen wie das Christkind. Man hat schon davon gehört, aber gesehen …? Wir bringen mit dem Wort Kohle höchstens das in Verbindung, was permanent in unserem Portemonnaie fehlt oder lauschige Barbecues am See, zu denen man die obligate Großfamilienpackung Grillwürstel mitbringt. Aber Hausbrandkohle

spielt in unserem Alltag praktisch keine Rolle mehr. Tatsächlich heizen immer weniger Menschen in Österreich mit Kohle und die, die es noch tun, gehören zumeist der Generation 60+ an. Im Gespräch mit einem Brennmaterialien-Händler ist von einem jährlichen Rückgang der Heizkohleverkäufe von bis zu 10 Prozent die Rede. Dank moderner Technik gibt es mittlerweile ja auch viel umweltfreundlichere, vollautomatisierte Heizsysteme. Warum also halten viele unserer Omas und Opas noch an ihrem Holzkohlenöfchen fest? Tradition? Weil das einfach schon immer so war? Nein. Einfach darum, weil sie trotz der unglaublich vielen Alternativen im Endeffekt doch keine Wahl haben. Ja, Luftwärmepumpen und moderne Öl- oder Pelletsheizungen haben viele Vorteile gegenüber dem alten Kohleöfchen: Oma und Opa müss(t)en die Kohle nicht mehr täglich die Kellertreppe hochschleppen und um für Wärme in den eigenen vier Wänden zu sorgen, genügt das Drücken eines Knöpfchens – ganz zu schweigen von der Tatsache, dass viele andere Brennmaterialien kostengünstiger als Kohle sind und bei vielen moderneren Heizformen auch die Umwelt tausendmal dankt. Aber Tatsache ist, dass die Umstellung auf andere Heizsysteme für viele ältere Menschen in Österreich unleistbar ist. Die Anschaffung einer neuen Heizung sprengt für viele den Rahmen des Möglichen, weshalb sich viele österreichische Omas und Opas noch immer tagtäglich die steile Kellertreppe hinunterhanteln, anstatt eine vollautomatisierte Heizanlage die Arbeit machen zu lassen. In Österreich greift nur zu Kohle, wer keine Kohle hat Wer in Österreich auch heute noch mit Kohle heizt, zählt grosso modo (Ausnahmen gibt’s immer) zu jenen, die jeden Cent dreimal umdrehen (müssen!), bevor sie ihn ausgeben. Die vor einigen Jahren eingeführte Kohleabgabe soll den Trend weg von der Kohle und hin zu erneuerbaren, umweltfreundlichen Energien beschleunigen, ist aber eben leider eine Steuer, die vor allem jene trifft, die nach wie vor zu Kohle als Heizmittel greifen, weil sie keine Kohle haben. Obwohl mich die Erinnerung an das alte Kohleöfchen meiner Urgroßeltern ein wenig melancholisch stimmt, ist es doch gut, dass diese Form des Heizens immer mehr von der Bildfläche verschwindet, zugunsten nachhaltiger Technologien und Heizsysteme. Wachrüttelnd ist dabei aber, dass es bei jenen, die diesem Trend nicht folgen, meist nicht am Wollen, sondern am Können scheitert.

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DAS AKADEMISCHE

PREKARIAT

WENN DER STAAT KEINE KOHLE HERAUSRÜCKT

So wird das österreichische Wissenschaftssystem bald aussehen, wenn nicht mehr Kohle kommt.

Am deutschen Wesen soll die Welt genesen. Der ideenlosen österreichischen Politik dient Hegemon Deutschland oft als Vorbild. Warum das für die Wissenschaft keine recht gute Idee wäre und was das mit dem sogenannten akademischen Prekariat zu tun hat, erklärt euch Christoph Würflinger

W

enn der große Bruder Deutschland etwas macht, dann muss das gut sein. Das gilt in allen möglichen Bereichen des Lebens, das gilt auch in der Welt der Wissenschaft. Und so folgt man auch hier im kleinen Österreich der neoliberalen Buzzword-Rhetorik: Unsere Universitäten müssen „exzellent“ werden. Von „High Potentials“ ist die Rede, von „Spitzenforschung“ und „internationaler Wettbewerbsfähigkeit“ – als würden die heimischen WissenschaftlerInnen nicht ohnehin hervorragend forschen. Nein, JungwissenschaftlerInnen sollen die Ellbogen noch weiter ausfahren als bisher, damit sich wirklich nur die Besten der Besten der Besten durchsetzen. Was dann diejenigen machen, die nur zu den Besten oder zu den Besten der Besten gehören, ist den akademischen und politischen Schreihälsen egal. Sie können aus der Bequemlichkeit ihrer gut bezahlten Fixanstellung heraus fordern, was immer sie wollen. Die Konsequenzen für das Fußvolk interessieren sie nicht. Aber von vorne: „Exzellenzinitiative“ – was ist das? Bei der 2005/06 in Deutschland gestarteten Exzellenzinitiative handelt es sich um ein Förderprogramm, dessen Ziel ein verstärkter Wettbewerb zwischen den Univer-

sitäten war, um den Wissenschaftsstandort (und damit den Wirtschaftsstandort) Deutschland zu stärken. In der Theorie läuft das so: Verschiedene Universitäten bewerben sich um das Exzellenz-Etikett, werden von externen GutachterInnen bewertet und erhalten dann zusätzliche Mittel (oder eben auch nicht). Das wäre wohl kein so schlechtes Konzept gewesen, wenn es gleichzeitig auch insgesamt mehr Geld für die Universitäten gegeben hätte – vor allem angesichts steigender Studierendenzahlen. Auch die Auflockerung des stark auf die Professur ausgerichteten Systems wäre interessant gewesen. Stattdessen wurde daraus aber der Wettbewerb unter den Universitäten erzwungen und der Professur als einzig unbefristeter Stelle ein Machtmonopol zugewiesen (wer keine fixe Stelle hat und sich zuerst einmal um die Absicherung der eigenen Existenz kümmern muss, tut sich üblicherweise schwer, einen aufwändigen Drittmittel-Antrag zu formulieren – zumal ein solcher ja auch abgelehnt werden kann). Aus dem US-System, das in puncto Wettbewerb als Vorbild diente, wurde aber nicht etwa die Norm einer über sechs Jahre finanzierten Promotion übernommen, sondern einzig der Elitegedanke, der sich dort in einer langen und kritikwürdigen Tradition miteinander konkurrierender Privatunis manifestiert.


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Nun konnten sich die Hochschulen in jeder Antragsrunde erneut um dieses Exzellenz-Etikett bewerben, dieses aber auch wieder verlieren. Daraus ergibt sich ein erstes Problem: Was macht man mit den hervorragend ausgebildeten WissenschaftlerInnen, wenn das zusätzliche Budget verloren geht? Richtig: Man überlässt sie sich selbst. Ein weiteres, viel grundlegenderes Problem war, dass dieser rein Drittmittel-orientierte Wettbewerb dazu genutzt wurde, Investitionen in die Ausstattung der Universitäten zu ersetzen. Anstatt zusätzlich zu einem festen Budget Mittel zur Verfügung zu stellen, die man an besonders förderungswürdige Projekte vergibt, wurde dieser Budgettopf in die Mitte gestellt, damit sich die finanziell ausgehungerten Unis darum prügeln, um überhaupt noch eine Ausstattung mit Forschungsbudget und befristeten Stellen zu bekommen. Diese Praxis bedeutet nicht nur eine erdrückende Bürokratie und durch abgelehnte Anträge massenhaft nicht-abgeschlossene Forschung, sondern auch eine Verschwendung von geschaffener Infrastruktur. Mit der Neu-

vergabe des Exzellenz-Etiketts liegen gerade erst neu eingerichtete Institutionen nämlich brach und müssen woanders neu aufgebaut werden. Während man in Deutschland langsam aber doch erkennt, dass diese Exzellenzinitiative ein Fehlschlag war, werden in Österreich die Forderungen nach ihrer Einführung immer lauter. Oliver Vitouch, Präsident der Universitätenkonferenz (uniko) plädierte erst kürzlich für den „konsequenten Ausbau kompetitiver Instrumente“. Wie das laufen wird, kann man sich schon denken: Nicht-Erhöhung – also faktisch Kürzung – der

Uni-Budgets und ein gnadenloser Kampf zwischen den verschiedenen Hochschulen um den Topf in der Mitte. Drittmittelprojekte und ihre Folgen Recht hat Vitouch natürlich, wenn er von einer „schmerzlich niedrigen Förderquote des Wissenschaftsfonds FWF bei den Einzelanträgen“ spricht. Sie liegt bei etwa 20 Prozent, das heißt nur jeder fünfte Antrag wird bewilligt. Das liegt allerdings nicht etwa daran, dass die restlichen 80 Prozent nicht gut genug wären. Nein, es ist einfach nicht genug Geld da. Egal wie gut ein Antrag sein mag, wer Pech hat, fliegt raus. Neben der persönlichen Frustration für WissenschaftlerInnen ist das auch volkswirtschaftlich gesehen großer Unfug. Es wird viel Geld und Zeit dafür verschwendet, ForscherInnen nicht mit Forschung zu beschäftigen, sondern mit Anträgen auf Forschung, die in vier von fünf Fällen abgeschmettert werden. Entstanden ist dadurch ein nichtssagender Antragsjargon, der mit möglichst vielen leeren Worthülsen um sich wirft (einer davon ist die vielbeschworene „Interdisziplinarität“, ohne die ein Antrag heute chancenlos ist), sich mit zahllosen Literaturverweisen absichert und schon im Vorfeld brav die erwarteten Forschungsergebnisse angibt, um zu suggerieren, dass das Projekt schon übermorgen zu einer top-gerankten Publikation führt und damit statistisch verwertet werden kann. Statt Originalität und Innovation werden vorauseilender Gehorsam und monetäre und publikatorische Quantität belohnt. Publish or perish – veröffentlichen oder verlieren – ist das Motto. Lieber 50 mäßig interessante Beiträge in diversen Journals als eine anständige Monographie.

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WissenschaftlerInnen arbeiten meist für Mini-Beträge.

Doch abgesehen davon, dass die Förderquote erschreckend niedrig ist, stellt sich auch die Frage, ob es überhaupt sinnvoll ist, den akademischen Nachwuchs mit solchen Hürden zu quälen. Gerne wird argumentiert, dass das eben die akademische Laufbahn sei: Man studiert, schreibt eine Dissertation, arbeitet dann eine Zeit lang im Rahmen von Projekten, habilitiert sich und übernimmt schließlich an irgendeiner Universität einen Lehrstuhl, wo man auf einer unbefristeten Stelle bis zum Ruhestand forscht und lehrt. Vor allem von ProfessorInnen hört man diese Erzählung. Vergessen sie etwa, dass der wissenschaftliche Kosmos einer Pyramide gleicht, an deren Spitze sie selbst stehen? Dass andere, weniger Glückliche früher oder später aus dem System ausscheiden müssen, obwohl sie ihre Sache gerne und gut machen? Denken sie daran, dass diejenigen, die sich in diesem erbitterten Konkurrenzkampf nicht durchsetzen können, dann irgendwo im Niedriglohnsektor arbeiten müssen, anstatt ihrer Qualifikation entsprechend Wissenschaft zu betreiben? Nur weil etwas schon immer so war, heißt das nicht, dass es auch immer so bleiben muss. Lehre ohne Fixanstellung Während sich NachwuchsforscherInnen von befristeter Stelle zu befristeter Stelle hangeln, steigt gleichzeitig der Bedarf an externer Lehre, also Lehre durch Personen, die nicht fest am jeweiligen Institut angestellt sind. Ohne externe LektorInnen wäre universitäre Lehre heute nicht mehr möglich. Im Gegensatz zu Deutschland sind solche Lehraufträge in Österreich zwar halbwegs anständig bezahlt, wie lange das noch so bleibt, ist allerdings fraglich. Einen ersten Vorstoß hat der Vizerektor gegen Lehre an der Uni Salzburg schon unternommen: Nicht alle Lehrveranstaltungen werden gleich bewertet. Angeblich – so

das Argument – sei der Vorbereitungsaufwand bei gewissen Lehrveranstaltungen geringer als bei anderen Kursen, deshalb gibt es dafür jetzt auch weniger Geld. Aber das ist im Grunde nur eine Nebenfront eines viel größeren Problems: Der Staat weigert sich seit Jahren beharrlich, den Universitäten die nötigen finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen. Wir befinden uns personaltechnisch in den meisten Fächern auf einem Stand, der für die Studierendenzahl der frühen 1990er gepasst hätte. Dass die Studierendenzahl seither um ca. 100.000 auf über 300.000 gewachsen ist, kümmert offenbar niemanden, und so muss das benötigte Lehrpersonal eben von außen zugekauft werden. Anstatt in ordentlichen Beschäftigungsverhältnissen forschen und lehren zu können, müssen also immer mehr WissenschaftlerInnen jedes Mal aufs Neue um einen Lehrauftrag betteln. Wer Glück hat, bekommt eine befristete Projektstelle und kann die Existenzangst zumindest für ein paar Monate aufschieben. Manchmal knacken NachwuchsforscherInnen auch den Jackpot und bekommen doch irgendwie eine unbefristete Stelle bzw. eine Stelle mit Aussicht auf Entfristung (ein schreckliches Wort!) – carrot on a stick. Gegen dieses System aufzumucken, wagt kaum jemand, denn es könnte ja die Fixanstellung kosten; man duckt sich weg – vielleicht kommt man ja doch irgendwie durch.


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Dazu kommt noch die allgemeine Gleichgültigkeit gegenüber den Zuständen an den heimischen Unis: 50 Leute im Seminar, na und? Wen interessiert’s? Dass bei mehr als 15 Studierenden sicherlich kein intellektuell ertragreiches Seminar herauskommen kann, sollte eigentlich klar sein. Es kümmert aber niemanden – nicht die Studierenden, die immer rasanter durch das Studium gepeitscht werden, damit sie möglichst bald „fit für den Arbeitsmarkt“ sind, nicht die ProfessorInnen, die man mit immer größeren Lehrverpflichtungen überfordert, auch nicht die externen Lehrenden, die froh sind, wenn sie überhaupt einen Lehrauftrag bekommen, und schon gar nicht die Regierung, die sich ins Fäustchen lacht, weil sie sich so Geld spart und weit und breit kein Widerstand gegen ihre Untätigkeit zu erwarten ist. Stattdessen die ewiggleichen dumpfen Forderungen nach Studiengebühren und Studienplatzbeschränkung – als wäre Bildung eine Krankheit, die es auszurotten gilt. Alternativen? Welche Möglichkeiten hat nun der wissenschaftliche Nachwuchs? Im Großen und Ganzen beschränkt sich dessen Handlungsspielraum auf zwei Optionen: Entweder man läuft weiter im akademischen Hamsterrad und hofft auf ein Entkommen in die Fixanstellung – entweder an der Uni oder im staatlichen Sektor – oder man lässt es sein und geht „in die Wirtschaft“. Was einen dort erwartet – und das trifft vor allem die Geistes- und SozialwissenschaftlerInnen –, ist die Entqualifizierung. Hochqualifizierte ForscherInnen, deren Ausbildung sich der Staat einiges kosten lässt, arbeiten dann als SekretärInnen, TaxifahrerInnen oder Callcenter-Agents. Eine Rückkehr in die wissenschaftliche Laufbahn ist damit quasi ausgeschlossen. Wäre es da nicht schlauer, wenn die Regierung endlich ihr selbstgestecktes Ziel (zwei Prozent des BIP für die Unis) erfüllen würde? Dann hätten wir vielleicht bald akzeptable Verhältnisse in den Lehrveranstaltungen und mehr ordentliche Stellen und Perspektiven für NachwuchswissenschaftlerInnen. Studierende, NachwuchswissenschaftlerInnen und ProfessorInnen müssen endlich ihre Gleichgültigkeit überwinden und gemeinsam gegen diesen Un-Zustand auftreten, damit sich die PolitikerInnen nicht mehr länger vor ihrer Verantwortung drücken können. Der Staat muss endlich mehr Kohle für die Wissenschaft rausrücken!

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uni & leben

NEUES AUS DEM

Paul Oblasser (AG), Vorsitzender

VORSITZBÜRO

Ivana Ristic (VSStÖ), 1.stv. Vorsitzende

Tamara Geiblinger (AG), 2. stv. Vorsitzende

Ein neues Jahr, ein neues Glück

Wer hat an der Uhr gedreht?

Hintergrundarbeiten

Der Herbst ist nicht nur die Jahreszeit mit den farbenprächtigsten Naturerscheinungen, er ist auch die Zeit des Semesterbeginns an den im Land ansässigen Hochschulen. Die vorlesungsfreie Zeit ist endgültig vorbei und es geht wieder ans Studieren. Während zahlreiche Studierende mit Ablauf des letzten Semesters ihr Studium beendet haben, haben die Erstsemestrigen ihren neuen Lebensabschnitt angetreten. Während sich Professorinnen und Professoren in den Ruhestand verabschiedet haben und mit Semesterbeginn quer durch die gesamte Universität neue Curricula in Geltung traten, gibt es weiterhin immer nur eine Konstante, die ÖH Salzburg. Wir als Österreichische HochschülerInnenschaft Salzburg versuchen, euch, wo es nur geht, Hilfestellungen zu bieten und euch euer Studium angenehmer zu gestalten. Egal, wie viele Professorinnen und Professoren in den Ruhestand versetzt wurden, egal, wie viele Studierende ihr Studium beendet haben, wir sind auch dieses Studienjahr wieder für euch da.

Mit dem einen Fuß (in diesem Fall wohl Kopf ) noch in den Prüfungen, mit dem anderen schon bei den Glühweinständen die Kommiliton_innen unter den Tisch trinkend. Das Cluster Mitte - in 1 Wort: Scheiße. Es scheint nicht wirklich durchdacht, vom chaotischen Aufnahmeritus mal abgesehen. Das wurde (zumindest uns) bereits bei den Welcome Days im September klar, als uns verzweifelte Studierende ansprachen, die etwas studieren wollten, was es in Salzburg gar nicht zu studieren gibt (weil wegen Cluster überall zugänglich und so). Dass aber die wenigsten Studierenden das Taschengeld haben, das einem Vizerektor (für Lehre zum Beispiel) zur Verfügung steht, um einmal pro Woche nach Linz zu tingeln, Woche für Woche, Semester für Semester, erkennt man erst jetzt. Nicht umsonst fordern wir seit Jahren (unsere Vorgänger_innen seit Jahrzehnten) billigere Öffis bzw. ein bundesweites Öffiticket. Erst wenn das realisiert ist, kann der Cluster erfolgreich werden. So ist es halt 1 nettes Elitending.*

Ein neues Semester hat begonnen. Das bedeutet für uns, dass wir auf viele neue Aufgaben stoßen, aber auch ganz neue und spannende Aktivitäten für euch planen werden. Damit wir gut vorbereitet losstarten können, nahmen wir an der Vertretungswerkstatt der Bundes-ÖH teil. Wir diskutierten Themen wie Hochschulfinanzierung, Gremienarbeit, Verhandlungen mit der Universität, aber auch Krisenmanagement und Zeitmanagement, sowie Selbstmotivation. Gestärkt mit Informationen und Ideen für das neue Semester haben wir das Workshopwochenende verlassen. Aber warum benötigen wir Wissen über Hochschulfinanzierung oder Gremienarbeit? Die Antwort darauf ist einfach: Wir sitzen in verschiedenen Gremien und haben dort Mitspracherecht. Beispielsweise können wir in Curricularkommissionen euren Studienplan mitgestalten. Kurz und bündig gesagt: Dieses Wissen ist wichtig für uns, um euch gegenüber der Universität zu vertreten. Wir wünschen euch ein erfolgreiches und spannendes Semester!

*Zurzeit sind 12 Personen in Salzburg betroffen.


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SPAM FÜR KOHLE Von Gerald Lindner

D

ie Arbeit in einem Wirtschaftsreferat, das wird der oder dem wohl informierten LeserIn (x) bereits durch den Namen bewusst, kann teils recht trocken von statten gehen. Humorvolle Anmerkungen auf Refundierungsanträgen wie “Beinamputation jetzt” oder “Bein ab, bevor es zu spät ist” sind mitunter die einzigen Lichtblicke im buchhalterischen Leben (eigentlich ein recht harmloser Achillessehnenriss, aber die medizinischen Kenntnisse gewisser Personen aus dem ÖH-Umfeld sind wohl wie vieles andere noch auf mittelalterlichem Stand). Ein weiteres Highlight sind E-Mails aus verschiedensten afrikanischen Ländern, getauft auf die Namen „Nigerian Scam“ oder „419 Scam“1, deren einziger Zweck es ist, den oder die AdressatIn dazu zu bewegen, Geld zu überweisen. Dank übrigens an dieser Stelle an unseren veralteten Spamfilter, ohne den ich diese Mails niemals erhalten würde und diesen Artikel hätte schreiben können. Der Aufbau eines solchen Mails lässt sich hier kurz anhand eines Beispiels zusammenfassen: • •

“Sehr reizend, Grüße Sir”, (vermutlich anders gemeint, aber trotzdem nett) “lieber Wiref, ich hoffe auf Hilfe einer gläubigen Mann der sie sind” (es wird versucht, eine emotionale Verbindung herzustellen, etwa durch Lob oder einen Appell - ein häufig verwendeter journalistischer Handgriff, auch AutorInnen von großartigen Artikeln wie diesem hier verwenden ihn. Finden Sie die Stellen? Sie wurden mit einem x markiert) „als ich klein wurde mein reiche Vater von seiner Government getötet und wir sind geflieht“ (tragisch, aber behalten wir im Hinterkopf, dass es sich hier um Betrugsversuche handelt - jetzt bloß nicht weich werden) „ich lebte in der Straße hungrig und benötige Hilfe“ (Als linker Gutmensch hat man an dieser Stelle bereits den Barscheck in der Hand, so viel Ungerechtigkeit verträgt man nicht) „später ist meine Son von meine Vater vergiftet, und ich habe gegeben alles Geld für die Totenkiste“ (Der vorher erwähnte tote Vater hat das Kind vergiftet? Dieses Verbrechen an Mensch, Grammatik und Logik muss vor den Gerichtshof in Den Haag) „In Vermutung Ihrer dringenden Antwort. Danke und gütige Grüße“.

Damit endet der Brief. Als kultivierte LeserInnen (x) erwarten Sie natürlich mehr von diesem uni:press-Artikel als mein bisheriges Spaßgekritzel - versuchen wir deshalb kurz ernst zu bleiben: Warum sind diese E-Mails so beklagenswert schlecht in Stil und Logik und trotzdem so erfolgreich?2 Gerade weil sie so schlecht sind. Cormac Herley, meines Wissens zwar niemals ÖH-Mitarbeiter, aber immerhin PhD und Principal Researcher bei Microsoft, hat sich mit diesem Problem befasst.3 Die Spam-Schreiberlinge versuchen jene 0,01% der Personen anzuschreiben, die leichtgläubig Geld überweisen würden - der Rest macht sich ja diesbezüglich lustig oder schreibt unbeholfene Artikel darüber. Die AutorInnen können ihre gesamten zeitlichen Ressourcen auf diejenigen konzentrieren, die zurückschreiben. Der Rest hat das Ganze schon durchblickt, eine clevere Filterfunktion also. Die Lösung um Spam-Mails einzuschränken lautet folglich4: die zeitlichen Ressourcen der Spam-Verfasser aufzubrauchen. Herley empfiehlt dazu die Erstellung eines Programms (eines „Bots“), der eine E-Mail-Konversation vortäuschen soll. Wer wie meine Wenigkeit über eher bescheidene Programmierkenntnisse verfügt, sollte die vermeintlich (oder tatsächlich?) nigerianischen Personen in einen Dialog verwickeln: zuerst die Tragik des Ganzen bedauern, Hilfe anbieten, und danach eine zeitintensive Diskussion über irgendein Thema zu starten. Was weiß ich - vielleicht über Operationsmethoden im Mittelalter? Falls Sie also, liebe Leserin, lieber Leser (x), demnächst Kontakt zum Wirtschaftsreferat der ÖH aufnehmen wollen und sich ärgern müssen, weil dieser arrogante Kerl nicht antwortet, bedenken Sie, dass der Referent höchstwahrscheinlich gerade eine wichtige E-Mail-Konversation mit internationalen Geschäftspartnern führt. Der Wirtschaftsreferent ist aber nicht nur Opfer von Spam-Mails, er bettelt auch selbst um Geld: Wir haben Anfang Oktober einen Spendenaufruf für die Mensakarten an alle Gemeinden in Salzburg und Oberösterreich ausgeschickt, aus denen Studierende an der Uni Salzburg gemeldet sind. Wir möchten uns herzlich bei folgenden Gemeinden für ihre Spenden bedanken: Altenmarkt, Gunskirchen, Lamprechtshausen, St. Johann im Pongau und allen weiteren Gemeinden, die gerade dabei sind, uns zu unterstützen.

1 Benannt nach dem nigerianischen Strafrechtsparagrafen für Betrug. 2 Schätzungen aus dem Jahr 2006 gehen von Verlusten durch diese E-Mails in den USA in der Höhe von $200 Mio. aus; im Vereinigten Königreich liegen Schätzungen aus dem selben Jahr bei £150 Mio. 3 Cormac, Herley 2012: “Why do Nigerian Scammers Say They are from Nigeria?” 4 Außer jetzt bildungspolitische Maßnahmen wie ein verpflichtendes Schulfach “how to not screw up using e-mail“ oder militärischen Lösungen wie Nigeria das Internetkabel zu kappen.


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DAS MASTERSTUDIUM JÜDISCHE KULTURGESCHICHTE von Sebastian Hartmann und Susanne Plietzsch von Sebastian Hartmann und Susanne Plietzsch

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eit dem Wintersemester 2010/11 bietet das Zentrum für Jüdische Kulturgeschichte der Universität Salzburg das österreichweit einzigartige Masterstudium Jüdische Kulturgeschichte an. Gegenstand des Studiums ist die jüdische Kulturgeschichte von der Antike bis in die Gegenwart, die unter historischer, kultur- und literaturwissenschaftlicher, judaistischer und religionsgeschichtlicher Perspektive betrachtet wird. Besondere Schwerpunkte des Studiums sind: Konzepte der jüdischen Religion, jüdische Literaturen, jüdische Geschichte, epochenübergreifende Fragen jüdischer Identitäten sowie die Thematik der Antisemitismus- und Genozidforschung, verbunden mit Fragen der Erinnerungspolitik. Sprachkompetenzen in Modernem Hebräisch und Jiddisch sind obligatorischer Teil des Studiums. Die Regelstudienzeit beträgt vier Semester, es umfasst 120 ECTS-Anrechnungspunkte und den AbsolventInnen wird der akademische Grad „Master of Arts“ verliehen. Soweit die graue Theorie des Curriculums. Wer soll nun aber mit diesem Studienangebot erreicht werden? Muss man jüdisch sein, um das Masterstudium Jüdische Kulturgeschichte studieren zu „dürfen“? Oder muss man gar eine Laufbahn als Rabbiner/Rabbinerin anstreben, damit das Studium „Sinn macht“? Tatsächlich werden die Studierenden des Masterstudiums Jüdische Kulturgeschichte von Zeit zu Zeit mit derartigen Fragen konfrontiert. Sie sind meist Ausdruck der Neugier darauf, was sich hinter diesem noch jungen Fach verbirgt. Selbstverständlich spielt die Herkunft oder Religion keine Rolle – die Themen des Studiums gehen schließlich alle etwas an! Sie sind mitten in der Geschichte und Kultur Europas angesiedelt und haben darüber hinaus oft eine globale Perspektive. Jüdische Religion gehört ganz wesentlich dazu; da geht es um religionsgeschichtliches Faktenwissen, um Formen gegenwärtig gelebten Judentums und um die Wechselwirkungen und Spannungen, die zwischen Religion und anderen gesellschaftlichen und kulturellen Bereichen entstehen können. Ein Rabbinerseminar würde konkret für die Tätigkeit in einer jüdischen Gemeinde qualifizieren, im Masterstudium Jüdische Kulturgeschichte gibt es keinen solchen vorge-

gebenen Rahmen, der Zugang zu den Themen ist insofern offener und vielfältiger. Ein ganz zentrales Merkmal des Masterstudiums Jüdische Kulturgeschichte ist seine Interdisziplinarität. Die Fähigkeit und Bereitschaft zum interdisziplinären Denken und Arbeiten wird jedoch nicht nur den Studierenden abverlangt, sondern auch von den Lehrenden praktiziert. Dabei ist der große Stellenwert der Interdisziplinarität kein Selbstzweck, sondern Notwendigkeit, um ein so vielschichtiges Forschungsgebiet wie die Jüdische Kulturgeschichte sowie einen kompetenten Zugang zu den – oft fremdbestimmten – Diskursen über „das Jüdische“ darstellen, erforschen und lehren zu können. Konkret bedeutet das, dass neben Lehrveranstaltungen, die das Zentrum für Jüdische Kulturgeschichte anbietet, auch solche aus anderen Fächern wie Germanistik, Geschichte oder Theologie besucht und angerechnet werden können, sofern sie einen Bezug zum Judentum haben. Eine Liste der anrechenbaren Kurse wird den Studierenden jedes Semester zur Verfügung gestellt. Ein praktischer Nebeneffekt für die Studierenden ist, dass viele Lehrveranstaltungen auch für andere Masterstudien (z. B. Germanistik oder Geschichte) anrechenbar sind, weshalb viele auch ein zweites Masterstudium absolvieren. Wer das Masterstudium Jüdische Kulturgeschichte beginnen will, muss zwei Anforderungen erfüllen: Erstens erfordert das Studium ein erhöhtes historisches, kulturund religionswissenschaftliches Interesse. Zweitens ist der Abschluss eines facheinschlägigen Bachelor-, Diplom-, Master- oder Lehramtsstudiums Zulassungsvoraussetzung. Als facheinschlägig gelten dabei alle geistes-, kultur- und gesellschaftswissenschaftlichen, rechtswissenschaftlichen und theologischen Studienabschlüsse. „Und, was macht man damit?“ Das ist eine weitere Frage, die unseren Studierenden häufig gestellt wird. Die Antwort ist erfreulich: Viel! AbsolventInnen des Masterstudiums Jüdische Kulturgeschichte stehen verschiedene Laufbahnen offen, z. B. in der Wissenschaft, im Bildungsbereich generell, in Museen, Gedenkstätten, Bibliotheken, Archiven oder den Medien.

Mag. Sebastian Hartmann (Studienassistent am Zentrum für Jüdische Kulturgeschichte) sebastian.hartmann@ stud.sbg.ac.at Univ. Prof. Dr. Susanne Plietzsch (Leiterin des Zentrums für Jüdische Kulturgeschichte) susanne.plietzsch@ sbg.ac.at


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fellner ’sche weis heiten

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MORD IM HÖRSAAL?

Inspektor Fellner geht den Dingen auf den Grund.


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FOODMENTALISMUS WENN ERNÄHRUNG ZUR ERSATZRELIGION WIRD Sie glauben an die Wunderwirkung von Chia, Acai und Goji. Was wie indischer Götterkult klingt, ist allerdings der Glaube an sogenannte Super Foods. Ein Kommentar von Stefanie Hemetsberger.

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elbstinszenierung durch einen bestimmten Ernährungsstil – wer kennt es nicht? Täglich werden auf Instagram oder anderen sozialen Netzwerken Bilder von Essen gepostet, was zu Millionen Klicks führt. Man profiliert sich quasi über die Schwierigkeit und Optik der kreierten Köstlichkeiten auf diesen Online-Plattformen und prangert damit einhergehend den Fleischkonsum der Andersdenkenden an, denn der vegane Lebensstil erfreut sich immer größerer Beliebtheit. Die ExtremistInnen unter ihnen dämonisieren den Konsum jeglicher tierischer Produkte und versuchen gleichzeitig, jedeN von ihren Ansichten zu überzeugen. Das Medium der Wahl für diese FoodmentalistInnen ist das Internet. Mit Youtube-Kanälen und Online-Schreibwerkstätten wie Blogs wird die fröhliche Botschaft verkündigt, wie wichtig der pflanzlich basierende Ernährungsstil doch sei. Und wehe jedeM, mit anderer Meinung. Es erinnert an Predigten, welche mit missionarischem Eifer vorgetragen werden. (Vielleicht glauben VeganerInnen ja daran, mit einem wunderschönen, gesunden Körper im Jenseits angeben zu können.) Persönlich sieht man sich regelrecht unter Druck gesetzt, keine tierischen Produkte oder zumindest kein Fleisch mehr zu essen. Argumentiert wird dies mit den unmöglichen Bedingungen der Tierhaltung und deren Fütterung. Dass diese Zustände abgeschafft werden müssen, ist natürlich selbstverständlich, doch das Thema Veganismus scheint die Gesellschaft zu spalten. Mittlerweise hat sich eine mannigfaltige Landschaft an Ernährungsstilen etabliert, welche in diesen Formen lediglich in Ländern mit ausreichender Nahrungsmittelversor-

gung möglich sind. Themen wie biologischer Anbau, Nachhaltigkeit und gesunde Ernährung stehen im Fokus vieler Vegan-PredigerInnen und vermeintlicher ErnährungsexpertInnen. YoutuberInnen, die sich dem Veganismus verschrieben haben, tauschen sogar ihre Taschen und Kleider aus, um sie gegen „vegane“ Sachen zu ersetzen. Was das Wegschmeißen von Textilien nun mit Nachhaltigkeit zu tun hat, ist fraglich. Scheinheilig wird verpackungsfrei eingekauft. Drei etwas größere Ochsen-Tomaten können um schlanke 8 Euro erworben werden, eine Bio-Lauchstange kostet 3 Euro. Und das Tollste an dem Ganzen: Das Obst und Gemüse sieht so schön „unperfekt“ aus, wie die Blogger sagen. Was hinzukommt: Ansichten dieser argumentationsresistenten Essensgesellschaft werden über die neuesten iPhones oder MacBooks veröffentlicht... weil ja gerade diese Geräte die bereits erwähnten und hoch-angepriesenen Kriterien von Nachhaltigkeit und biologischem Anbau erfüllen. Wer kann sich diesen zutiefst militant-veganen Lebensstil inmitten von Apple Produkten auf Dauer leisten? Studierende etwa? Man könnte jetzt auch noch den Sojaanbau, und was genau dieser mit Nachhaltigkeit zu tun hat, kritisieren. Doch die mögliche Problematik, die hinter der Ausweitung des Sojaanbaus steht, sollte bereits hinlänglich bekannt sein. Vegan-Trend schön und gut – doch die Scheinheiligkeit, die manche VertreterInnen dieses Lebensstils an den Tag legen, ist durchaus zu hinterfragen. Grundsätzlich sollte jedeR für sich selbst entscheiden können, welchem Lebensstil man nachgehen möchte und vor allem, mit welchen ethischen, moralischen und persönlichen Argumenten mandies begründet.


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WIE KANN EIN ERFOLGREICHES STUDIUM GELINGEN UND WAS TUN, WENN ES MAL NICHT SO LÄUFT?

Peter Engel leitet das ÖH-Beratungszentrum seit 2001 und hat in dieser Zeit gemeinsam mit seinem Team bereits über 100.000 Studierenden und StudieninteressentInnen bereits Rat erteilt: uni:press: Peter, kannst du unseren LeserInnen in kurzer Form Tipps auf ihren Studienweg mitgeben, wie ein Studium ganz bestimmt erfolgreich absolviert werden kann? Peter: Grundlegend ist neben der Motivation für die eigene Studienwahl die ausreichende Kenntnis des eigenen Curriculums. Leider kennen nur ungefähr 10 bis 15 Prozent der Studierenden den Rahmen und die Regeln ihres Studiums im Detail. Viele wissen zwar grob, welche Lehrveranstaltungen in welchem Semester eingeplant werden sollen, aber oft nicht warum. Vor allem seit die neuen Curricula (Anm.: 2016 wurden sehr viele Curricula aktualisiert, insbesondere in den Lehramtsstudien) auf eine sog. „kompetenzorientierte Basis“ umgestellt worden sind, ist es inzwischen besonders wichtig geworden, auch über die Lernvoraussetzungen und die in der jeweiligen Lehrveranstaltung angestrebten Lernergebnisse im Vorfeld Bescheid zu wissen. Außerdem hat so ziemlich jeder Studienplan seine Tücken. Denn erst in den hinteren Paragraphen stehen meist vertrackte Voraussetzungsketten, die im Grunde penibel vorgeben, welche Prüfungen bereits absolviert sein müssen, um sich in einem höheren Semester dann für bestimmte Lehrveranstaltungen einschreiben zu können. Nur die Kenntnis dieser Umstände kann ein

Studium ohne böse Überraschungen garantieren. Wer trotz sinnerfassenden Lesens Unklarheiten diesbezüglich hat, sollte sich auf jeden Fall Hilfe suchen, entweder bei uns im ÖH-Beratungszentrum oder bei der Studienvertretung ihres oder seines Vertrauens. uni:press: Also es ist wichtig, die Regeln zu kennen, auf denen das Studium aufgebaut ist, aber das alleine kann einen doch noch kein Studium bestehen lassen. Wie sieht es denn mit dem Lernen aus? Hast du da auch einen Rat? Peter: Natürlich, zwei Faktoren spielen hier eine ebenfalls ungemein wichtige Rolle: Zum einen muss jede Studentin / jeder Student zu einer eigenen, guten Lerntechnik finden, die sich dem Niveau der Lernergebnisse anpasst. Weiters ist die zeitliche Struktur ungemein wichtig, also ein hervorragendes Zeitmanagement, welches auch für die Freizeit genügend Spielraum offen lässt. Erholungsphasen und soziale Kontakte sind nicht nur für den Spaß am Studieren wichtig, sondern verhelfen auch nachweislich zu einer besseren Merkund Behaltenskurve, wenn man/frau es richtig macht. Die Psychologische Studierendenberatung bietet hier in Kooperation mit der ÖH Salzburg ein spezielles Lerntraining für Gruppen an. Anmelden kann sich dazu jede/r unter 0662/8044-6500 oder psb@sbg.

1 ÖH-Beratungszentrum Unipark Nonntal, Erzabt-Klotz-Straße 1, 0662/8044-6001, beratung@ oeh-salzburg.at, Mo-Do 9-18 Uhr, Fr 9-14 Uhr 2 Psychologische Studierendenberatung Mirabellplatz 9, Innenhof, 0662/8044-6500, psb@ sbg.ac.at, Termin nur nach Vereinbarung 3 Stipendienstelle Salzburg Paris-Lodron-Straße 2, 3. Stock, Mo, Di, Do 9-12 Uhr, 0662/842439, stip.sbg@stbh. gv.at


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ac.at. Die nächsten Gruppentermine finden am 17. Jänner um 13:30 Uhr im Unipark Nonntal, SE 1.005 statt. Eine Anmeldung unter der angegebenen Nummer ist zwingend erforderlich. uni:press: Okay, das ist einleuchtend. An der Uni gibt es Termine, die müssen eingehalten werden. Woran kann es denn noch liegen, wenn es mal im Studium nicht so glatt läuft und man nicht die gewünschte Note geschafft bzw. eventuell „eingefleckt“ hat? Peter: Grundsätzlich sind wir alle unterschiedlich gestrickt in unserem Wesen und Verhalten. Bei manchen Studierenden schlägt trotz allerbester Vorbereitung die sog. Prüfungsangst durch und der Stoff, der bis vor kurzem gut beherrscht wurde, ist wie weggeblasen. Oder es fällt einem schwer, sich zu überwinden, mit dem Lernen zu beginnen, obwohl die Prüfung bereits in wenigen Tagen ist. Manche tun sich auch schwer, überhaupt mit dem Schreiben einer Arbeit anzufangen und sitzen tagelang vor einem weißen Papier. Auch bei diesen sehr persönlichen Problemen hilft die Psychologische Studierendenberatung weiter. Außerdem kann es auch sein, dass schlimme Ereignisse jemanden aus der Bahn werfen. Dann ist es wichtig, sich Hilfe und Unterstützung zu holen. Die Bandbreite variiert von ein- oder mehrmaligen Gesprächen bis dahin, dass man/frau eine richtige Therapie vermittelt kriegt, um wieder Boden unter die Füße zu bekommen. uni:press: Das sind schon ganz handfeste Tipps, falls es einmal zu Problemen im Studium kommen sollte. Was ist aber mit den eher banalen Sachen, wie z.B. sich das Studium überhaupt erst leisten zu können. Viele Studierende arbeiten neben dem Studium und da kann doch der Studienfortschritt auch darunter leiden?

Peter: Gerade dafür gibt es in Österreich eine Studienförderung. Viele Studierende wissen gar nicht, dass sie einen Anspruch auf Studienbeihilfe haben könnten und stellen daher von Haus aus keinen Antrag. Man kann sich an der Stipendienstelle Salzburg oder im ÖH-Beratungszentrum diesbezüglich immer beraten lassen. Wobei definitive Aussagekraft immer erst der Bescheid der Studienbeihilfe hat, wenn man/frau diese auch beantragt hat. Für einen Bezug der Studienbeihilfe ist in der Regel immer das Einkommen beider leiblicher Eltern ausschlaggebend. In bestimmten Fällen, wenn man etwa bereits vier Jahre gearbeitet hat, ist das nicht mehr der Fall, hier zählt einzig das bisher erzielte Einkommen. Allerdings gibt es bei den Beihilfen allgemein immer Fristen, die zwingend einzuhalten sind. Informationen über die Antragsfristen und auch über die Nachweisfristen über den Studienerfolg (auch damit man/ frau die Beihilfen nicht etwa zurückzahlen muss) finden sich auf den Seiten von www.stipendium.at. Dort befindet sich auch ein ÖH-Stipendienrechner online, wo sich Studierende überschlagsartig ihre Chancen auf Studienbeihilfe ausrechnen können. Neben dem Bezug der Studienbeihilfe erhalten Studierende auch Zuschüsse zu Versicherungskosten, Fahrtkosten oder etwaigen Auslandsaufenthalten. Und wenn es einmal tatsächlich zwingende Gründe geben sollte, die das Studium verlängern, wie etwa ein Auslandsaufenthalt, kann auch das eine oder andere Toleranzsemester ermöglicht werden. Sollte jemand sich auch an der ÖH Salzburg engagieren wollen – StudierendenvertreterInnen haben ebenfalls ein Recht auf sog. Nachsichtssemester und können meist um ein Semester länger beziehen. Allerdings, eines ist wichtig: Der erforderliche Leistungsnachweis muss in jedem Semester erbracht werden!


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MAGISTER, BACHELOR, MASTER –

DIE GRÖSSTE VERÄNDERUNG IM LEHRAMT KOMMT NACH DEM STUDIUM Von Maximilian Wagner

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ie Viele inzwischen mitbekommen haben, wurde das Lehramt von einem früheren Magister-Studium auf ein Bachelor/Master-System umgestellt – bereits 2013 erfolgte diese Umstellung, im Oktober 2016 startete die Version 2.0 des Lehramts. Diese Version 2.0 bedeutet ein fluides Studium an mehreren Hochschulen in Salzburg und Linz und idente Studienpläne über mehrere Hochschulen hinweg. So spielt es keine Rolle mehr, an welcher dieser Hochschulen Kurse absolviert werden. Doch die eigentliche Umstellung im System startete 2016 eher unbeachtet. Unter dem Schlagwort „gemeinsame Sekundarstufen-Ausbildung“ wurden die bisher getrennten Ausbildungswege für AHS/BHS (Universität) und Neue Mittelschule NMS (Pädagogische Hochschule) zusammengelegt: Ab jetzt spuckt auch die Universität nur noch den Universallehrer für AHS/BHS und NMS aus. Aussuchen, in welchem dieser Schultypen man am Ende landen möchte, kann man zu Beginn des Studiums nicht mehr. Passend zu dieser neuen Ausbildung wurde auch das Dienstrecht für Lehrerinnen und Lehrer erneuert – und viele Aspekte deuten auf eine Sparmaßnahme hin, viele Punkte scheinen noch undurchdacht. Diese Unklarheiten zeigen sich nun immer mehr und viele Studierende sind verunsichert. „Was bedeutet das für mich konkret?“ lauten häufig gestellte Fragen, doch die Antwort ist meist komplex und teils individuell. Auch wenn es eine komplexe Problematik ist, die nicht zu stark verdichtet werden sollte, wird dieses Thema noch Viele im Lehramtstudium beschäftigen und daher verdient es Aufmerksamkeit.

Doch der Reihe nach: Das alte Dienstrecht: Bisher beendeten Studierende ihr Studium mit einem Magistertitel und bewarben sich beim Landesschulrat für das Unterrichtspraktikum, einem einführenden Jahr, begleitet durch PH-Kurse, in welchem man je eine Klasse für seine beiden Fächer übernehmen konnte. Der Clou: Es gibt einen Rechtsanspruch und selbst wenn eine Klasse bereits einer Lehrperson zugeteilt ist, kann eine Unterrichtspraktikantin einfach die Klasse übernehmen – die ursprüngliche Lehrperson wird zur Betreuung freigestellt – jede neue Lehrkraft bekommt einen Unterrichtspraktikums-Platz. In dieser Zeit gibt es nur eine geringe Entlohnung, dafür ist die Arbeitsbelastung im ersten Jahr noch nicht zu erschlagend. Nach diesem Jahr ist man frei und kann sich selbstständig für freie Lehrpositionen bewerben. Das neue Dienstrecht: Ab 2019 ändert sich dies - die Induktionsphase ersetzt das Unterrichtspraktikum. Die Induktionsphase bezeichnet das Jahr im ersten Dienstvertrag, welches bereits mit einem B.Ed.-Lehramt-Abschluss möglich sein wird. Doch auf dieses erste Unterrichtsjahr besteht kein Rechtsanspruch mehr – dafür wird es bereits voll bezahlt - jedoch kann bereits eine volle Lehrverpflichtung verlangt werden. Dies bedeutet zum einen den Wurf ins kalte Wasser, zum anderen gibt es eine erste Schulanstellung nur, wenn auch freie Stellen vorhanden sind. Gleichzeitig ist eine Unterrichtstätigkeit an der Schule anrechenbar für die schulpraktische Phase im Masterstudium – wohl dem, der eine freie Stelle ergattert. Alle anderen müssen unbezahlt ihr Praktikum verrichten im Masterstudium.

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Die Problemstellen Dienstrecht alt vs. neu: Das neue Dienstrecht greift zwar einen wichtigen Punkt auf, das niedrige Einstiegsgehalt im ersten Dienstjahr. Jedoch steigt die Gehaltskurve danach deutlich langsamer und am Ende ist es ein großes Sparpaket auf den Lebensverdienst gerechnet. Auch der Wurf in das kalte Wasser ist im neuen Dienstrecht problematisch. Besonders heikel wird es aber, wenn Leute im M.Ed.-Lehramt-Abschluss sich für die Induktionsphase ab 2019 bewerben – die eine Hälfte studiert damit quasi berufsbegleitend (oder arbeitet zumindest neben dem Studium schon an der Schule) und bekommt das Praktikum im Studium aus der Schulanstellung angerechnet. Alle, die keine Anstellung bekommen, müssen wohl unbezahlt an die Schule im Rahmen des M.Ed.-Studiums, trotz gleicher Qualifikation und gleichem Studienfortschritt. Und zu guter Letzt die rechtlich gänzlich unbekannten Gebiete: Viele Lehramtsstudierende können bereits vor ihrem Abschluss an Schulen aushilfsweise arbeiten – mit sogenannten Sonderdienstverträgen. Diese Verträge stufen aber automatisch in das alte Dienstrecht ein, selbst wer B.Ed./M.Ed. Lehramt studiert – und das, obwohl diese Personen niemals die volle Anstellungsbefugnis (sprich Unterrichtspraktikum, dieses setzt aber den Magistertitel voraus) erlangen können. Wie hier die Probleme, die aus dem Zusammenspiel von altem und neuem Dienstrecht entstehen, gelöst werden, ist noch offen.

obwohl die rechtlichen Lücken bereits an mehrere Stellen getragen wurden, gibt es noch keine Anzeichen einer Lösung. Am Ende möchte ich noch die absolute Vereinfachung für alle hier darbieten, die nur eine kurze Take-Home-Message haben wollen. • •

• Eine komplexe Problematik in der Kurzzusammenfassung kann schwierig sein, ich habe mich trotzdem herangewagt. Denn die Nachfragen häufen sich und auch aus anderen Bundesländern und von anderen Hochschulen erreichen mich immer mehr Nachfragen zu diesem Thema. Gleichzeitig ist die Politik träge, denn

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Das Magister Lehramt bleibt bis 2019 studierbar, das „B.Ed. Lehramt 2013“ bis 2020 Alle B.Ed. Lehramt 2013 AbsolventInnen landen danach im M.Ed. 2016 Studienplan (welcher ab Oktober 2017 mit den entsprechenden Lehrveranstaltungen angeboten wird) Wer im B.Ed./M.Ed.-System ist, sollte sich nicht viele Hoffnungen auf das alte Dienstrecht machen (auch die Sonderverträge als Schlupfloch sehen aktuell sehr wackelig aus) Wer auf Diplom studiert, muss bis spätestens 2017/18 in das Unterrichtspraktikum und 2018/19 eine Anstellung direkt bekommen, um noch in das alte Dienstrecht einzusteigen Wer auf Diplom studiert hat und erst 2019 erstmalig an die Schule geht, landet in der Induktionsphase anstatt dem Unterrichtspraktikum Bis 2019 gibt es keine Induktionsphase, sondern nur das Unterrichtspraktikum – damit gibt es auch keine reguläre Anstellungsmöglichkeit für B.Ed./M. Ed.-Studierende bis 2019 Ein berufsbegleitendes Studium ist im M.Ed. Lehramt folglich erst ab 2019 möglich Die Induktionsphase ab 2019 könnte eine Zwei-Klassen-Gesellschaft hervorbringen Mit B.Ed. und M.Ed. Lehramt ist es wahrscheinlich, dass man an einer Neuen Mittelschule landet, anstatt an einer AHS/BHS

Über den Autor: Maximilian Wagner studiert Lehramt Englisch/Geographie, schrieb das B.Ed./M. Ed. Lehramt 2013 und das B.Ed./M.Ed. Lehramt 2016 als Studierendenvertreter mit, war bis vor kurzem 2. stv. Vorsitzender der Curricularkommission Lehramt für die Studierenden, war Vorsitzender der Fakultätsvertretung, im Vorsitzteam der ÖH Salzburg und ist immer noch in mehreren Studienvertretungen aktiv.


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STUDIFESTE HEUTE Von Jakob K.

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ange noch werden die Erzählungen aus alten, fast vergessenen Tagen in unseren Köpfen herumgeistern, beispielsweise bei dem Schlagwort NawiFest. Ich kann mich noch gut erinnern – als ich in der Unterstufe war, waren das die Feste, für die meine älteren Internatskollegen um Ausgang unter der Woche gebettelt haben. Damals hatte ich noch keine Ahnung, was zu einem gelungenen Studifest gehört und auch heute scheint es schwer zu sein, ein Patentrezept zu finden. Befragt man Studierende, was wichtig für einen erfolgreichen Abend ist, gibt es jedoch eine klare Tendenz: „Sche oziagn – schiach wegdoa“, „billig muas sein“, „wenn de Leid gmiadlich san is wurscht wosd bist“. Wer diesem Motto folgt, entdeckt schnell, dass das Studierendenvolk längst nicht mehr so genügsame Ansprüche stellt wie noch vor einigen Jahren, als auf STV-Feiern Bier aus Flaschen gang und gäbe war, der feuchte Traum jedes Birkenstockstudis, ohne den ganzen Schnickschnack. Viele Studifeste haben sich heute, leider, von den Fakultäten in die Stadt verlagert, wo mit billigem Kopfwehvodka, niveauloser Popmusik und überteuerten Eintrittspreisen die Massen begeistert werden. Ein beliebter Ort, um sich dem billigen Alkohol, sinnlosen Kreisdiskussionen mit Nachbardisziplinen und möglichen peinlichen Ausrutschern gegenüber DozentInnen auszuliefern, ist beispielsweise die Uni. Leider wagen jedoch immer seltener VeranstalterInnen von studentischen Gelagen, an der Uni etwas zu veranstalten und das hat bedauerlicherweise auch seine Gründe. Seit der Unipark eröffnet wurde, träumen viele meiner FreundInnen davon, dem Dach des hässlichen Betonklotzes etwas mehr Leben einzuhauchen. Fragt man jedoch bei der zuständigen Stelle der Universität nach, bekommt man nur eine Antwort ähnlich dieser:

Nach Rücksprache mit der Fakultät muss ich Ihnen mitteilen, dass Musikdarbietungen auf der Dachterrasse nicht genehmigt werden. Mit freundlichen Grüßen Die Überzeugungsgewalt der vorgebrachten Argumente raubt einem natürlich wieder einmal den Atem. Ein anderes Beispiel dafür, wie die Universität mit dem Wunsch der Studierenden, den Raum Universität für ihre Zwecke abseits des Lernens zu nützen, umgeht, ist beispielsweise das berühmtberüchtigte Amphitheater an der NaWi. Kein Scheiß, das gibt es wirklich! Irgendwann im Herbst 2012 war ich dort das letzte Mal auf einem Konzert… Seither wurde lange Zeit immer wieder umgebaut, was wie so oft zu keiner Verbesserung der Lage führte, sondern leider eher dazu, dass das Amphitheater nach wie vor nicht bespielbar ist, mit den Worten des Dekans der NaWi, Arne Barthke: „Das Amphitheater ist keine Priorität der BIG“ (Bundesimmobiliengesellschaft, EigentümerIn der Universitätsgebäude) Okay, Moment... das Amphitheater ist zwar keine Priorität der BIG, sollte aber dennoch eine Priorität der Universität selbst sein! Dass die Universität „nur“ zum Studieren genutzt wird, und jeglicher anderweitigen Nutzung mit Argwohn seitens der Universität gegenübergetreten wird, ist sehr bedauerlich, zumal die Universität eine Vielzahl an Räumen zur Verfügung hätte, die jedoch kaum genützt werden. Es sollte uns Studierenden eigentlich nicht so schwer gemacht werden, unsere Studienzeit zu genießen und den schönsten Seiten des Lebens zu frönen, möglicherweise eine sweete Erstsemestrige von sich zu überzeugen und ihr ein Bier um € 2,50 zu kaufen – das gibt‘s so günstig nämlich nur auf Festen an der Uni...und bald vielleicht auch wieder öfter in Salzburg. To be continued.

Jakob Knoll plant gerade ein großes Studifest. Mehr dazu in der nächsten uni:press

TOP

OK

FLOP

STV_GeoFeste TheologieFest Uniparkfest (wo bist du?!) #ÖH Welcomeparty KOWI Pub Crawl Tanz Kaputt Cirque de la Nuit

Liebe machen Humboldt Heimfest Nawi Sommerfest Egger Lienz Heimfest (RIP) Kino 1 Afterpartys (Lit) Med & Law Gott liebt uns wenn wir Tanzen!

KULT „das Studentenfest“ Breaking Law S-Budget Party FV Nawi Spieleabend


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© juliooliveiraa (Flickr)

Schwarze Pädagogik an der Uni Salzburg? Willkür und Einschüchterung sind seit dem 19. Jahrhundert in die Spalte jener Erziehungsmittel gerutscht, die man eher nicht einsetzen sollte. Umso erstaunlicher ist, was sich seit einigen Wochen am Fachbereich Pädagogik/Erziehungswissenschaft an der Universität Salzburg abspielt. Ein Kommentar von Karl Matthias Dorfer

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nfang November: Rund 50 Pädagogik-Studierende schreiben eine schriftliche Klausur. Der Professor, der kurz vor der Pensionierung steht, stellt nach der Prüfung empört fest, dass Studierende ein Foto mit alten Prüfungsfragen in eine Facebook-Gruppe gepostet haben. Prompt erklärt der Professor, dass die abgelegten Prüfungen hinfällig seien, er sie nicht beurteilen werde und allesamt neu zu schreiben seien. Innerhalb einer Woche müssten die betroffenen Studierenden erneut zur Prüfung antreten. #neuland In einem E-Mail an die Studierenden schreibt der Professor, er sei erschüttert und schockiert, dass Studierende sich tatsächlich über Prüfungsfragen austauschen. Und das im Internet! Er überlege, zivilrechtliche Schritte zu ergreifen und jene Studierenden zu verklagen (!), die in der Facebook-Gruppe ein Foto seiner Prüfungsfragen hochgeladen haben. Einen Nachweis, dass die Studierenden, die die annullierte Prüfung geschrieben haben, überhaupt Zugang zum Foto mit den Prüfungsfragen hatten oder die Fragen nicht bereits aus anderen Quellen kannten, kann er nicht erbringen.

Gefährliche Drohungen Auch eine rechtliche Grundlage für die Streichung der Prüfung gibt es nicht. Die Rechtsabteilung der Universität Salzburg wollte auf Anfrage nichts mit der dubiosen Aufhebung der Prüfung zu tun haben. Es sei die Entscheidung des einzelnen Professors gewesen. Eben dieser drohte KritikerInnen damit, dass er die Prüfung in Zukunft ja auch noch härter machen könne. Die Drohung, die Freiheit der Lehre zu nutzen, um mit Verschärfungen bei zukünftigen Prüfungen KritikerInnen mundtot zu machen, wirkt an einer Universität doch fehl am Platz. Die Hemmschwelle, auf solche Missstände hinzuweisen und entschieden zu widersprechen, ist auch ohne solche Drohungen hoch. Denn man macht sich nicht gerade beliebt an einem Fachbereich, wenn man zwar das Recht auf seiner Seite hat, es sich aber mit zukünftigen PrüferInnen und BetreuerInnen verscherzt. Nun drängt sich eine schwierige Prüfungsfrage auf, bei der die geschätzten LeserInnen dringend um die Zusendung von Beantwortungshilfen gebeten werden: Welche Facette an dieser haarsträubenden Angelegenheit ist eigentlich am skurrilsten?


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Herr Professor, wo leben Sie? Die heuchlerische Empörung darüber, dass sich Studierende über Prüfungsfragen austauschen? Diese Praxis ist wohl so alt wie die Universitäten selbst. Seit der Gründung der ersten europäischen Hochschulen im 11. Jahrhundert tauschen sich Studierende über Prüfungsstoff und -fragen aus. Früher vielleicht auf einem Stück Pergament, später, indem Prüfungsfragen in Papierform weitergegeben wurden, heute im Internet über Online-Foren oder Soziale Medien. Das sollte auch jene nicht überraschen, für die Facebook vielleicht noch Neuland ist. An vielen Fachbereichen stellen die Lehrenden selbst vorab einen Fragenkatalog zur Verfügung, aus dem eine oder mehrere Fragen zur Prüfung gestellt werden. Dass auch Studierende Fragen zeitnah sammeln und austauschen, ist bei Gott kein Geheimnis. Studierende haben außerdem das gesetzlich verankerte Recht, Kopien von ihren beurteilten Prüfungen zu machen (sofern es keine Multiple-Choice-Fragen sind). In welcher Form sich Studierende im Sinne eines kollegialen und solidarischen Zusammenschlusses zur besseren Bewältigung von Prüfungen austauschen - ob mündlich, schriftlich oder (Achtung: neumodische Technik!) mit Handy-Fotos - ist einerlei. Was kommt als nächstes? Werden Prüfungen von hunderten von Studierenden als null und nichtig erklärt, weil in irgendeiner Gruppe in StudiVZ oder Google+ ein Foto von Prüfungsfragen aufgetaucht ist? Erklärt man diese groteske Vorgehensweise zum Prinzip, schafft man eine Rechtsunsicherheit und ein Chaos, in dem man sich am besten gleich exmatrikuliert. Man kann sich nur fragen: In welcher Welt hat der verantwortliche Professor denn bitteschön studiert und wie gut kennt er als Bildungswissenschaftler eigentlich die gelebte Wirklichkeit an den hiesigen Bildungseinrichtungen? Oder ist der eigentliche Skandal, wie ein Professor mit Studierenden und KritikerInnen umgeht? Jetzt muss man es als Lehrender nicht gutheißen, dass alte Prüfungsfragen online kursieren. Zwar könnte man einfach von Zeit zu Zeit neue Fragen entwickeln und die vermutlich 20 Jahre alte Prüfung dem aktuellen Forschungsstand anpassen, aber gut – selbst wenn man die Bedenken teilt, über die Alltäglichkeit der Weitergabe von Prüfungsfragen hinwegsieht und die per E-Mail verbreitete Empörung des Professors für bare Münze nimmt: Prüfungen ohne Rechtsgrundlage für ungültig zu erklären, keinen schriftlichen Bescheid auszustellen, um das Recht auf eine juristische Überprüfung zu unterlaufen, Studierende mit einer Klage zu bedrohen und einen paternalistischen Ton gegenüber Erwachsenen anzuschlagen – all das sind Zustände, die an einer öffentlichen Hochschule nichts verloren haben.

Uns wird nichts geschenkt Nun ist bekannt, dass ProfessorInnen sich fast alles erlauben können, wenn sie einmal eine feste Anstellung haben oder gar kurz vor der Pension stehen. Aber muss man deshalb alles demütig und mit gebeugtem Kopf hinnehmen? – Nein! Denn die Uni ist eine Einrichtung, die von allen ihren Angehörigen mitgestaltet wird, den Lehrenden und Forschenden ebenso wie den Studierenden und dem nichtwissenschaftlichen Personal (etwa in der Verwaltung oder den Bibliotheken). Die Universität sollte ein Ort des demokratischen Miteinanders sein. Das ist nicht selbstverständlich. Erst in den 1970ern wurden die Hochschulen demokratisiert und die autoritäre Universität der Nachkriegszeit aufgebrochen, die von einigen wenigen gottähnlichen Professoren gesteuert wurde (praktisch nur Männer, darunter genügend, die nicht gerne darüber sprachen, was sie in den 1930ern und 1940ern getan hatten). Zwar werden die österreichischen Universitäten in Zeiten des neoliberalen Umbaus immer mehr zu “unternehmerischen Hochschulen”, die wie eine Firma funktionieren und sich nicht groß um inneruniversitäre Mitbestimmung scheren. Aber es gibt noch gesetzlich verankerte Mitspracherechte, starke Interessensvertretungen der Studierenden und der Bediensteten, und den Anspruch, demokratisch zusammen zu arbeiten und nicht brutal von oben zu diktieren. Genau das ist aber gefährdet, wenn, wie in diesem Fall, Lehrende sich nicht der Kritik stellen und auf eine ehrliche Diskussion einlassen, sondern auf Widerspruch mit Repression antworten. Die Uni schwebt nicht im rechtsfreien Raum. Sie und alle ihre Angehörigen müssen sich am Boden der geltenden rechtlichen Bestimmungen bewegen. Kritischen Fragen muss man sich stellen und eine Prüfung der Rechtmäßigkeit von Handlungen (wie der Annullierung von bereits geschrieben Prüfungen) zulassen, anstatt sie mit der Androhung einer Verschärfung zukünftiger Prüfungen abzuwürgen und Studierende und ihre VertreterInnen einzuschüchtern. Alles andere ist ein Bruch mit den Grundsätzen der Kollegialität, des demokratischen Miteinanders und der gemeinsamen Suche nach Lösungen. Pädagogisch wertvoll Diese Auszeichnung hat die ganze Posse rund um den empörten Professor, seine annullierten Prüfungen und die Einschüchterungsversuche in zumindest einer Hinsicht verdient: Sie zeigt, dass es auch an der Uni nicht immer vernünftig, sachlich und kollegial zugeht. Für die eigenen Rechte muss man kämpfen – und das nimmt uns Studierenden kein Professor, keine Behörde und kein höheres Wesen ab.

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3 JAHRE UND 3 TAGE Studierendenvertretung ist mehr als nur Feste organisieren und Selfies online stellen. Manchmal ist es auch ein knallharter Kampf gegen die Obrigkeit. Tobias Neugebauer hat für euch die Uni verklagt.

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099 Tage hat es gedauert, doch jetzt hat sich endlich etwas getan. Am 3. Oktober 2013 begann mein erster Rechtsstreit mit der Universität Salzburg. Damals ahnte ich noch nicht, wie viel Zeit und Mühe mich dieses Verfahren kosten würde. Grund für die Kontroverse war eine kurz zuvor vom Rektorat erlassene Verordnung, die für bestimmte Lehrveranstaltungen eine Kostenpflicht vorsieht. Diese regelt, dass Studierende an der rechtswissenschaftlichen Fakultät für bestimmte Lehrveranstaltungen (Repetitorien) eine festgeschriebene Gebühr zahlen müssen. 20 Euro pro Semesterwochenstunde – bei einer einzigen Lehrveranstaltung ist das finanziell wohl noch zu bewerkstelligen; wenn jedoch alle davon betroffenen Lehrveranstaltungen besucht werden, schnellt der Betrag weit über 500 Euro, die im gesamten Studium anfallen. Neben dem finanziellen Aspekt, der mitunter besonders jene Studierenden, die bereits ohne zusätzliche Gebühren mit Geldknappheit zu kämpfen haben, enorm trifft, war es insbesondere die Uneinsichtigkeit des Rektorats, von der Einhebung von Gebühren Abstand zu nehmen, die mich dazu erwogen hat, gegen die Verordnung vorzugehen und eine rechtliche Prüfung derselben einzuleiten. Nach den zahlreichen vergeblichen Versuchen, in Gesprächen eine Abkehr von der durch Vizerektor Müller aufgeworfenen Idee zu bewirken, konnte die sture Haltung des Rektorats wohl nur noch durch den Rechtsweg gebrochen werden. Nachdem der Antrag auf Feststellung der Zahlungsverpflichtung von der Universität Salzburg – genauer genommen vom zuständigen Vizerektor für Lehre, Erich

Müller – wohl absichtlich nicht behandelt wurde und man das Verfahren somit unnötig in die Länge zog, ging nach etwas mehr als neun Monaten die Entscheidungskompetenz auf das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) über. Was dort in mehr als zwei Jahren passiert ist, lässt sich nur schwer feststellen. Nach knapp einem Jahr wurde das erste Mal Kontakt mit der Universität Salzburg und mir aufgenommen, um den Sachverhalt festzustellen. Danach verstrichen weitere 15 Monate, in denen man stets darauf vertröstet wurde, dass es bald ein Ergebnis geben würde. Seit dem 6. Oktober 2016, also genau 1099 Tage nach dem ersten Antrag, gibt es eine vorläufige Entscheidung. Diese kann hier abgerufen werden: http://bit.ly/beschluss_bvwg Der Spruch des BVwG lautet wie folgt: „Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Karin WINTER betreffend den Feststellungsantrag von Tobias Neugebauer vom 3. Oktober 2013 beschlossen: Gemäß Art. 139 Abs. 1 Z 1 B-VG i.V.m. Art. 89 Abs. 2 und Art. 135 Abs. 4 B-VG wird an den Verfassungsgerichtshof der Antrag gestellt, die Wortfolge „Repetitorien an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät“ in der geänderten Verordnung des Rektorats über einen Unkostenbeitrag für außercurriculare Lehre an der Universität Salzburg […] als verfassungswidrig bzw. gesetzwidrig aufzuheben.“ Was heißt das nun? Das BVwG geht davon aus, dass die Einhebung des Unkostenbeitrags für Repetitorien – jene Lehrveranstaltungen an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät, die


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der Prüfungsvorbereitung dienen – aus zwei Gründen unzulässig ist. Zum einen deshalb, weil für Lehre, die im Curriculum vorgesehen ist, keine Gebühren verlangt werden dürfen. Andernfalls könnten die Universitäten in Zukunft dazu übergehen, neben den Studienbeiträgen für beliebige Leistungen, die die Studierenden zur Absolvierung ihres Studiums zu erfüllen haben, zusätzliche Beiträge einzuheben. Eine solche Gebührenregelung ist nach Ansicht des BVwG daher klar verfassungswidrig. Zum anderen deshalb, weil das Rektorat mit der betreffenden Verordnung in die Kompetenz des Senats eingreift. Diesem obliegt die Erlassung und Änderung der Curricula für ordentliche Studien. Wenn jedoch das Rektorat die Repetitorien als außercurriculare Lehre anbietet und damit die Lehrveranstaltungen de facto aus dem Curriculum streicht, handelt es aufgrund der fehlenden Kompetenz gesetzwidrig. Daneben hat das BVwG in seinem Beschluss festgestellt, dass das Rektorat als Organ der Universität über den Feststellungsantrag bescheidmäßig hätte absprechen müssen. Dies bedeutet, dass Vizerektor Müller kein Recht hatte, den Antrag unbehandelt zu lassen, wodurch sich das Verfahren unnötigerweise erheblich verzögert hat. © Jirka Matousek(flickr)

Wie der Verfassungsgerichtshof (VfGH) in der Sache entscheiden wird, ist nicht vorhersehbar. Denkbar ist, dass der VfGH dem Antrag des BVwG folgt und die Bestimmung in der Verordnung aufhebt. In diesem Fall hätte der Gerichthof die Möglichkeit, die Gebührenregelung mit einem bestimmten Datum außer Kraft zu setzen, oder diese auch rückwirkend aufzuheben, wie er dies beispielsweise bei den zu Unrecht eingehobenen Studienbeiträgen an diversen Universitäten gemacht hat. Letzteres Vorgehen würde dazu führen, dass die Universität allen betroffenen Studierenden die bezahlten Beiträge zurückerstatten müsste. Im ersten Fall würde die Uni Salzburg das Geld – es dürfte sich dabei um einen Gesamtbetrag jenseits von 10.000 Euro handeln – wohl aus rechtlicher Sicht behalten dürfen. Eine moralische Verpflichtung, zu Unrecht eingehobene Beiträge dennoch zu erstatten, bliebe meiner Meinung nach jedenfalls erhalten. Bis es zu einer – hoffentlich positiven – Entscheidung des VfGH kommt, bleibt mir wohl nicht mehr über, als weiter die Tage zu zählen. Mit etwas Glück und gutem Willen des Rektorats werden die weiteren an der Universität anhängigen Verfahren hoffentlich schneller abgeschlossen.

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13 x in Salzburg Herrnau, Friedensstraße 2* Neue Mitte Lehen, Schumacherstraße 14* Parsch, Gaisbergstraße 20 Mirabell, Mirabellplatz 7a* Mozartsteg, Rudolfskai 38 Rainerstrasse, Rainerstraße 24 Gnigl, Grazer Bundesstraße 24* Residenz, Residenzplatz 4* Theatergasse, Schwarzstraße 16 Hanuschplatz, Griesgasse 15 Bauhaus, Mielestraße 3 Flughafen, Innsbrucker Bundesstraße 95* Bischofshofen, Bahnhofgasse 12* * Sonntags geöffnet

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© System Change, not Climate Change

Climate Justice - NOW!

Vom 29. September bis 2. Oktober 2016 fand in der Nähe des Flughafens WienSchwechat das erste österreichische Klimacamp statt. Der Ort war nicht zufällig gewählt – heizt der Flugverkehr das Klima doch kräftig an! Von Veronika Weis

Fliegen heizt das Klima auf Es ist also kein Zufall, dass die Gruppe „System Ch-

© Charlotte Cooper(flickr)

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ast könnte es ein Idyll sein, das Stückchen Wiese am Rande eines Waldes hier in Enzersdorf an der Fischa, nur wenige Kilometer vom Flughafen Wien-Schwechat entfernt. Junge Leute haben bunte Zelte aufgebaut, Transparente werden gespannt und irgendjemand bereitet vegane Speisen im Küchenzelt zu. Unter Planen finden Workshops zu einer breiten Palette an Themen statt, angefangen bei den naturwissenschaftlichen Hintergründen des Klimawandels bis hin zum Widerstand der indigenen Bevölkerung gegen den Bau eines neuen Flughafens in Mexiko City. Die Laptops der Vortragenden laufen mit selbst erzeugtem Strom aus dem Solarwagen, der ein paar Meter weiter Sonne tankt. Aber dann zerreißt Motorenlärm das Idyll. Ein Flugzeug steigt mühsam höher, direkt über das friedliche Fleckchen Wiese hinweg. Über Sekunden ist an die Fortsetzung eines Gesprächs nicht zu denken. Die Blicke folgen dem schwerfälligen Vogel, bis er sich endlich entfernt. Dieses Szenario wiederholt sich an diesem Nachmittag immer wieder. Bis zu 620 Maschinen landen und starten jeden Tag am nahen Flughafen. 90 Prozent davon machen Kurzstreckenflüge innerhalb Europas aus – Flüge, die man also auch auf den Schienenverkehr umlegen könnte. Doch nach den Plänen der Wiener Flughafen AG soll die Zahl der Flüge künftig steigen anstatt zu sinken. Die profitorientierte Aktiengesellschaft plant den Bau einer dritten Start- und Landebahn. Dabei ist die Belastung durch den Fluglärm für die AnrainerInnen schon jetzt enorm!

ange, not Climate Change“1 ausgerechnet hier in der Nähe des Flughafens das erste österreichische Klimacamp aufgeschlagen hat, denn der Trend, immer mehr Wege (sei es für Güter oder Personen) via Flugzeug zurückzulegen, ist klimapolitisch Wahnsinn: •

2015 verursachte der Flugverkehr weltweit 781 Millionen Tonnen an Treibhausgasen und trug fünf Prozent2 zum vom Menschen verursachten Klimawandel bei. Zum Vergleich: Österreichs Gesamtausstoß beträgt in einem Jahr 70 Millionen Tonnen. 26.000 kommerzielle Flugzeuge bewegen sich derzeit um den Planeten und der Markt ist längst nicht erschöpft. Bis 2034 rechnet die UN-Flugorganisation ICAO3 mit einer Verdoppelung der Passagierzahlen, bis 2050 erwartet sie einen Anstieg der Emissionen auf das Drei- bis Siebenfache. Weltweit werden hunderte Projekte zum Neu- oder Ausbau von Flughäfen aus dem Boden gestampft. Damit wird eine auf fossilen Brennstoffen basierende Form der Fortbewegung auf weitere Jahrzehnte zementiert.

Und das, obwohl 2015 bei der Klimakonferenz in Paris beschlossen wurde, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius zu beschränken. Nimmt man dieses Ziel ernst, so hat laut Berechnungen des Umweltbundesamtes Österreich eine Person pro Jahr ein CO2-Budget von zwei Tonnen. Allein ein Langstreckenflug nach New York und Retour würde mit 2,6 Tonnen pro Person dieses Budget sprengen.

1 „System Change, not Climate Change“ ist eine österreichweite Bewegung, die sich für eine sozial-ökologische Transformation der Gesellschaft einsetzt. 2 In die fünf Prozent sind neben dem CO2, das zwei Prozent ausmacht, auch die klimawirksamen Effekte von Rußpartikeln, Stickoxiden, Kondensstreifen und Cirrusbewölkung etc. eingerechnet. 3 International Civil Aviation Organization (ICAO), UN-Sonderorganisation für Luftfahrt.


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Wer entscheidet, dass wir fliegen? Natürlich ist die Entscheidung, ob und wie oft man fliegt, eine individuelle. Doch was, wenn die Alternativen, wie etwa praktische und leistbare Nachtzugverbindungen, zusehends wegbrechen, obwohl Flugzeuge pro Personenkilometer 15 Mal so viele Treibhausgase als die Bahn erzeugen? Innerhalb Europas könnten insbesondere die wegen des hohen Treibstoffbedarfs bei Start und Landung besonders klimaschädlichen Kurzstreckenflüge (bis 800 Kilometer Distanz) problemlos durch gute Bahnverbindungen ersetzt werden. Folgende Punkte verdeutlichen, dass durch wirtschaftspolitische Maßnahmen die schädlichste Form der Fortbewegung gezielt gefördert wird: •

• •

Auf Kerosin gibt es (weltweit) keine Mineralölsteuer/Energiesteuer. Allein dadurch entgehen Österreich laut Berechnungen des Verkehrsclubs Österreich im Jahr rund 310 Millionen Euro an Steuereinnahmen; Tickets für internationale Flüge sind von der Mehrwertsteuer befreit; Flughäfen sind von der Grundsteuer befreit. Zum Vergleich: Die ÖBB hingegen muss für ihre Bahnhöfe sehr wohl 50 Prozent Grundsteuer bezahlen; Der Flugverkehr wird durch Förderungen für den Ausbau und durch den Bau von Zubringerstrecken (Schnellbahnlinien, Straßen etc.) von der öffentlichen Hand subventioniert; im EU-Raum sind 77 Prozent der Flughäfen im Besitz der öffentlichen Hand. Dass Fliegen so günstig ist, liegt also einerseits an einer völlig widersinnigen Steuerbefreiung, andererseitsdaran,dass öffentliche Gelderdafürausgegeben werden. Gegen eine solche Politik richtet sich der Protest der KlimaaktivistInnen auf der ganzen Welt.

Es fliegt die Elite In unseren Breiten gehört das Fliegen längst zum „way of life“ und da stellen auch die KlimaaktivistInnen keine Ausnahme dar. Global gesehen fliegt aber nur eine Minderheit - man könnte auch sagen, eine Elite. Die meisten Menschen haben schlicht nicht die Mittel, jemals zu reisen. Laut Fair Future Report des Wuppertal Instituts sind bis 2003 überhaupt nur ein bis fünf Prozent der Weltbevölkerung je geflogen. Und diese paar Prozent kommen fast ausschließlich aus Europa, Nordamerika etc. Die Auswirkungen des Klimawandels aber treffen mit dem globalen Süden als erstes die Regionen der Welt, die am wenigsten dazu beitragen. Am 6. September 2016 blockierten daher AktivistInnen der Gruppe „Black Lives Matter“4 die Landebahn des London City Airports mit der Botschaft: „Climate Crisis is a Racist Crisis!“

Raddemo gegen Greenwashing Inzwischen wächst die Wut über diese Ungerechtigkeit und die Zerstörung des Planeten weltweit. Gleichzeitig mit den Protesten in Wien fanden Anfang Oktober von Istanbul bis Mexiko City Aktionen gegen Flugverkehrswachstum statt. Anlass war die Konferenz der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation (ICAO) in Montreal. Man wolle künftig den Flugverkehr “nachhaltig” gestalten, hieß es dort großspurig, und CO2-neutral wachsen. Dafür soll das uneingeschränkte Wachstum der Luftfahrtindustrie an Ausgleichszahlungen gekoppelt werden. Die Forderung vieler Umweltorganisationen, endlich eine Kerosinsteuer einzuführen, stieß hingegen auf taube Ohren. Stattdessen wird „Greenwashing“ betrieben. Dabei wird Geld an diverse “grüne” Offset-Projekte überwiesen, z. B. zur Wiederaufforstung, und gleichzeitig wird weiter Kerosin verbrannt. Damit lenkt das Offseten von wirklichen Lösungen ab und zögert einen echten Wandel weiter hinaus. Denn um den Klimawandel einzuschränken, müssen Wälder geschützt werden UND die Flieger am Boden bleiben! Mit einer bunten Raddemo am Ende der Aktionstage demonstrierten die AktivistInnen in Wien, wie Fortbewegung auch anders funktionieren kann. Rund 200 FahrradfahrerInnen hatten sich am Karlsplatz auf ihre Drahtesel geschwungen, um - begleitet von lautem Klingeln - nach Schwechat zu fahren. Mitten unter ihnen ein Pianospieler und ein Saxophonist, beide in Pinguinkostümen, die von einem Tridem5 gezogen wurden. Die Menschen in den Autos, die in trägen Kolonnen vorüberzogen, staunten über den bunten Zug nicht schlecht und auch den Parolen “Wos I ned mechat, Ausbau in Schwechat!” oder “3. Flugbahn, so ein Schmarrn!” konnten sie viel abgewinnen. Weniger entspannt war die Polizei, die auf ihren Motorrädern derart provokant die Raddemo entlang patrouillierte, dass man ihnen anlassbezogen raten musste: “Schickt die Polizei zum Radverleih!” Schließlich erreichte die Demo nach 20 Kilometern Fahrt den Flughafen, wo sie von rund 200 weiteren AktivistInnen und AnrainerInnen freudig begrüßt wurde. Während die Elite also in Montreal tagte, wurden am Rande Wiens andere Allianzen geschmiedet. Mit einer klaren Botschaft:

STAY GROUNDED!

4 Black Lives Matter (BLM) ist eine internationale Bewegung, die 2013 aus der afroamerikanischen Gemeinschaft in den USA entstanden ist, wo vermehrt Schwarze von der Polizei erschossen worden waren. 5 Das Tridem ähnelt dem Tandem, ist aber für drei Personen bestimmt. System Change, not Climate Change“ in Salzburg: Lust, selbst aktiv zu werden? Dann komm zu einem unserer nächsten Treffen: aktion-salzburg@systemchange-not-climatechange.at www.systemchangenotclimatechange.at Zum Weiterhören: termitinitus.org – System Change, not Climate Change termitinitus.org – 3. Piste in die Kiste


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AN INSIDE VIEW: WHERE IS TURKISH ACADEMIA GOING? T

urkey is harshly criticized on its domestic issues regarding Recep Tayyip Erdoğan’s authoritarian tendencies and controversial measures taken against individual freedom, including freedom of thought, freedom of speech, freedom of press, and academic freedom. Being a Turkish citizen and a political science student in Europe, people repeatedly ask me about these issues, and although it is sui generis, I am always trying to explain what is going on in my home country. It is necessary to take a brief look at the causality behind the continuing success of Erdoğan and the AKP government to understand why academia in Turkey has gotten into trouble, especially in recent times. We have to stroll a bit deeper to understand why Erdoğan has become a political god in the eyes of his loyal voters. Finding out how he solved problems that generally resulted in controversies, even within the international arena, might be the key. It is useful to keep in mind that Turkey has always been in the midst of political, social and ethnic conflicts, starting from the very beginning – from the decline of its predecessor: the Ottoman Empire. According to this heritage, we could say that Turkish people have a feeling of living in a dangerous atmosphere, surrounded by political actors with antagonistic ideals all over the country. After the AKP government came to power, that sense of vulnerability, widespread especially among conservative voters, has been overcome by the down-to-earth stance of Erdoğan‘s regime. After an era filled with coups d’état, political unrest and economic instability, he is considered to be the saviour of Turkey. He consolidated AKP votes by lashing out against Western powers; sometimes by defeating an internal enemy who was maybe created by himself or by embellishing his success with an undeniable economic development to gain the hearts of Turkish voters. Erdoğan’s presence has become more important due to the structure of Turkish politics that he shaped. After twelve years of prime ministry, Erdoğan was elected as president in 2014. Ahmet Davutoglu became prime minister, but only for a limited period of time. Davutoglu‘s first attempt to establish a government without Erdoğan was a failure; shown during the parliamentary elections in June 2015. He could not get enough seats in the parliament to form a single-party government.

By Samed Şahin

Although Davutoglu’s second attempt (November 2015, early election) was a real success with 49.5 percent, victory seemed – according to the public opinion – to belong to Erdoğan with his active role as president. Surprisingly, six months after the tremendous AKP victory, Davutoglu resigned because of fundamental discordances between him and Erdoğan. He was succeeded by Binali Yildirim who was politically closer to the president, and he was criticized of being Erdogan’s “puppet”. It clearly shows that the AKP’s ideological structure is connected to Erdoğan. Davutoglu’s government could have been a great chance for the AKP’s institutionalisation, but they preferred to follow Erdoğan’s route. Nowadays, Erdoğan is more active as president than any Turkish president before, even though the presidency is considered as a mostly symbolic position. And, although there were severe objections and criticisms against him, he is still willing to change the parliamentary system towards a presidential system which will end up with strengthening his political authority. At that point, we could argue that Erdoğan has been created reign over his voters for a long time and that he seems to be really ahead of the game. The unity of the AKP voters does not only allow him to follow his interests but also to move against his opponents, such as political leaders, journalists and academics. Why is Erdogan considered as the “political evil” by Turkish academia? Of course, there is no homogeneity in Turkish academia. So, it would be easier to investigate academia in an actor-based approach. Starting with the PKK, which is listed as a terrorist organization by several states and organizations including Turkey, the USA, the EU and NATO, it has been an integral part of Turkish politics for almost forty years. The PKK conducts armed assaults and bombings against both civilians and the military. Based on Kurdish nationalism and due to universities‘ autonomy, campus areas have been a proper environment to obtain human resources by the PKK. Another question mark is the People‘s Democratic Party (HDP) which is accused of being the political branch of the PKK, and which provides a legitimate framework for PKK supporters, such as student clubs carrying out campaigns and conferences according to the claims. To set an example: in 2015 the PKK’s 37th anniversary was celebrated in the biggest conference

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hall of Boğaziçi University – which is my home university and one of the most prominent schools in Turkey. The celebration was organized by the official “Social Sciences Club” of the university. A car with a bomb-set inside was found, taking cover in the free and secured area of Boğaziçi University. Apparently, the PKK uses university campuses to spread its own ideology, and to persuade and recruit young people. Also some academics support the PKK movement, giving speeches directly or indirectly by the virtue of academic freedom provided at universities. These are only three controversial examples of the PKK’s presence at universities. To illustrate the situation by a first-person perspective, I have intentionally chosen my home university as an example. Now, an essential question arises: security or liberty, which comes first? Should the government take measures against these types of activities or just let it happen? On the one hand, there is a terrorist organization which is responsible for thousands of civilian deaths and bombings; but on the other hand, there is respect for basic values of a democracy. Weighing up these options lead to an ethical dilemma rather than solely a political choice. Should the government act by taking the realities into consideration or try to stick on a way following democratic ideals? Another conflictual issue in academia is the Gülen Movement. This movement is led by Fethullah Gülen, originally a Turkish preacher who is now in exile in the United States. Founded in the late 1960s, the movement’s influence rapidly spread throughout the country and around the world. At first this religious movement focused on establishing a religiously proper environment for children of low and middle class Anatolian families. Therefore they built schools all over the world and worked on social responsibility projects which were financed by donations of the religious Turkish bourgeoisie. Over the years, the Gülen movement acquired political characteristics and was able to influence Turkish domestic politics through people who were trained according to their ideology in the movement’s schools. The Gülenists were able to install themselves in significant positions in the parliament, at police departments, in the military and even in the supreme court. Its success was not solely on their own: the AKP’s and the Gülen movement’s interests used to be common for a long time; up until then they started to act against each other in 2012. Gülenist bureaucrats and police officers carried out investigations, scrutinizing the accusations that several AKP-ministers had been involved in corruption. In the following years, Turkish politics were experiencing a growing conflict between the government and the Gülen movement. It culminated in the coup attempt on 15th July 2016 in which Gülenist colonels allegedly played

a primary role. Military vehicles attacked Istanbul and Ankara, the parliament was bombed, and more than two hundred people died that night. This was a milestone in the history of Turkey which has already started to shape the destiny of the country. After the coup attempt, the government declared the state of emergency for the following six months to accelerate the legislative process. However, this was criticized as Erdoğan‘s opponents thought that he would gather even more political power. In terms of academia, the state of emergency has a worrying role because of allowing the council of ministers, who work under the presidency of Erdogan, to issue decrees. The Gülen movement had power in the educational system and academia got its piece of the pie, too: legal actions have been taken on more than six thousand academic and administrative people, including some who have in fact nothing to do with the movement. Most of them were dismissed. Decrees were passed after the coup attempt that allowed the government to resign all educational staff who opposed the government’s policies. Fifteen universities, founded by the Gülenist movement, have been confiscated and transferred to state universities as additional campuses. Academic lives of thousands of students ended in chaos, and obviously violations of rights happened that have remained unquestioned. The government’s state of emergency is worth to be investigated in order to find out whether it has proper means to maintain political stability or to empower the AKP and legitimize further authoritarianism. Another landmark in Turkish academia was the Manifesto of Academicians for Peace which was signed on 11th January 2016 by 1128 academics from 89 Turkish universities and over 355 academics and researchers from abroad, including well-known names such as Noam Chomsky, Judith Butler, Étienne Balibar, Immanuel Wallerstein and David Harvey. The manifesto called upon the state of Turkey to end state violence and to prepare negotiation conditions in southeastern parts of the country. By that time, the Turkish military forces were undertaking an in-depth operation against the PKK in the southeast of Turkey and the government declared a curfew to prevent PKK members from escaping. As a result, the supply of basic needs, such as food, drinking water and health services lacked in these cities. As it was impossible to organise funeral vehicles, people could not even bury their deceased but had to keep the bodies in refrigerators. Soon, the “We Will Not Be A Party To This Crime!”-petition turned into a burning issue. The academic manifesto appeared in answer to the Turkish intelligentsia against the government’s harsh measures taken on the southeastern cities. The manifesto’s deep influence on Turkish politics was due to its contradic-


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© Lucias Clay(flickr)

tory content: accusing the Turkish state of being responsible for “a deliberate and planned massacre”, asking the government to prepare the conditions for negotiations, and creating a road map that would lead to a lasting peace which includes the demands of the Kurdish political movement. The manifesto was criticized for being malevolently naive about the PKK – even not referring to it literally – and representing the state as pure evil which carried out that operation solely to oppress the opposition. Erdoğan fiercely criticized the signees, accused them of supporting the PKK and said that security forces will stay in the area until it is cleansed from a terrorist organization. Consequently, dozens of academicians have been taken into custody, suspended from universities and prosecuted. Moreover, four of the signees, who had read aloud the manifesto during a press statement, were arrested for three months. After the manifesto, academic freedom was questioned seriously in media. Protests took place at universities, opposition parties and the international public criticized the legitimacy of the legal process. However, Erdoğan has never taken a single step back. The Manifesto of Academicians for Peace is still mentioned in the media; either because new incidents keep occurring about the case or due to its significant impact on the Turkish academia.

only academic staff was eligible, instead of a wideranged suffrage including also students, it was questionable whether these elections were reflecting the public opinion of the university or not. Although the elections were not really democratic, the elections do not exist anymore. The rector elections have been annulled by issuing another decree: university rectors are appointed directly by the president. Boğaziçi had been without a rector for three months even though elections were held. The former rector Gülay Barbarosoğlu outvoted her more government friendly competitor by receiving 86 percent. The decree was condemned by members of the university via social media and Boğaziçi University academics demanded the annulment of the decree that cancelled rector elections; but nothing has changed. The final result is kind of devastating: president Erdoğan appointed another professor the new rector, who did not even participate in the prior election. While I am writing this article, police is intervening in ongoing student protests against the decision. Apparently, these protests will continue until the situation will be taken for granted by the public. It is pretty ironic that Erdoğan always emphasizes “the ballot box” on the one hand, but argues that direct appointment prevents arbitrariness in academia on the other hand.

Last but not least, the most recent issue in connection with Turkish academia is rector elections. Empowered by the state of emergency, the Erdoğan-AKP coalition put their signature under a controversial decision about rectorate elections. Normally, elections were held by the academic staff of a university and then, the president used to appoint one of the first three candidates as a rector. Considering the fact that

To conclude, it is quite difficult to assume a course of action of the Turkish academia regarding the future of politics. Rarely does a day go by where no unpredictable political development occurs, especially in the state of emergency that boosts the unpredictability of Turkish academia’s destiny. It seems as if Turkey drifts off course for a longer time in terms of academic freedom.


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© Anton-Kurt (Wikipedia)

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raunau - Eine Stadt mit fahlem Beigeschmack, die seine Wirkungsmacht als Geburtsort des ‘Führers’ wohl nie vergessen wird. Innenminister Wolfgang Sobotka kündigte Mitte Oktober den Abriss Hitlers Geburtshauses an - revidierte seine Aussage nach Lautwerden vieler kritischer Stimmen jedoch innerhalb von 24 Stunden teilweise wieder. Die “Wiege des Führers” wurde wieder in den Fokus der Berichterstattung gerückt. Was tun mit Adolf Hitlers Geburtshaus? Carolina Forstner hat mit Ass.-Prof. Dr. Roland Cerny-Werner, welcher an der Universität Salzburg lehrt und durch jahrelange Erfahrung als pädagogischer Begleiter an den Gedenkstätten Mauthausen und Buchenwald wichtige Erfahrungen in der Gedenkstättenpädagogik gesammelt hat, über das Geburtshaus Hitlers, Gedenkstättenpädagogik und eine angemessene Form der Erinnerung an unsere nationalsozialistische Vergangenheit gesprochen. uni:press: Wie soll Ihrer Meinung nach mit dem Geburtshaus Hitlers umgegangen werden? Cerny-Werner: Ich finde in erster Linie alle Möglichkeiten legitim. Natürlich stellt sich dann hier die Frage von Abriss oder Erhalten dieses historischen Artefaktes. Für mich persönlich ist nicht entscheidend, was man damit macht, sondern warum. uni:press: Aber mal grundsätzlich: Was sagt es über österreichische Politik aus, wenn der Innenminister den Abriss empfiehlt? Cerny-Werner: Sagt er einfach: “Abreißen und weg damit!”, dann muss ich sagen, das ist das Schlechteste, das nur gemacht werden kann, weil es eine ganz klare Schlussstrich-Allegorie ist, ein Stück Geschichte, das man nicht mehr haben möchte. Wenn man aber nun ohne diese Abschlussmetaphorik an die Sache rangeht und man das Geburtshaus abreißt, um zum Beispiel ein Dokumentationszentrum zu errichten, finde ich es nicht

verwerflich. Braunau wird mit oder ohne Geburtshaus immer mit Adolf Hitler in Verbindung gesetzt werden. uni:press: In welche ‘Kategorie’ würden Sie das Hitler-Geburtshaus neben ‘Tatortstätten’ wie etwa dem Konzentrationslager Mauthausen einordnen? Cerny-Werner: Um diese Frage zu beantworten, müssen wir über die Fragestellung der Authentizität von historischen Orten reden, ich halte diese nämlich für höchst problematisch. Was heißt authentisch überhaupt und welche Intention hat der/die SprecherIn dahinter? Oft wird Authentizität verwendet, um einen Ort mit vermeintlicher Beweiskraft zu beladen, weil dieser, so die Überlegung dahinter, vermeintlich Geschichte aus sich selbst heraus abbildet. Das tun Orte meines Erachtens aber nicht. Ein Ort bringt nichts aus sich selbst hervor, ein Ort muss aufgeschlossen und durch die Menschen, die sich diesen ansehen, erkannt werden. Dieser Überlegung folgend stellt sich für mich die Frage: Was hat Authentizität für einen Wert? Was ist ein historischer Ort? Ist Authentizität etwas, das ich einem Ort retrospektiv überstülpe? Zur ursprünglichen Frage zurückkommend: Nein, das Geburtshaus Adolf Hitlers lässt sich nicht neben eine Gedenkstätte wie etwa Mauthausen einreihen, der Begriff ‘Gedenkstätte’ wäre hier auch komplett falsch verwendet. Wessen gedenkt man denn hier? Ich persönlich finde die Idee des Dokumentationszentrums, ähnlich wie am Obersalzberg in Berchtesgaden, für ein mögliches, gutes Konzept für das Geburtshaus Adolf Hitlers. Er wird auch in der Zukunft nicht aus der kollektiven Erinnerung von Generationen nach uns getilgt werden können. Es ist also essentiell, diesen Ort nicht zu einer Pilgerstätte verkommen zu lassen. Man kann solche rechtsextremen Strömungen nicht beseitigen, muss sich ihrer aber bewusst sein und durch eine gute Ausstellung, Dokumentation und pädagogische Arbeit solchen Plätzen eine neue Interpretationsperspektive hinzufügen. Was meiner Meinung nach ein großer Fehler wäre, wäre


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DIE PFLICHT DER ERINNERUNG?! ein Rückfall in eine längst überholte ‘Führer-These’, gerade nicht an einem Ort wie Braunau. Man muss thematisieren, dass Adolf Hitler ein wichtiges Momentum des Nationalsozialismus war, aber dass der Nationalsozialismus so viel mehr als Hitler ist. Die Personalisierung und Fokussierung auf einzelne Personen als ‘Monster’ oder ‘Psychopathen’, siehe etwa Josef Mengele, führt zu einer viel wichtigeren Frage: Wie kamen solche SadistInnen in diese tragenden Rollen? Man muss den Nationalsozialismus als Gesamtheit abbilden, um ihn und die dahinterstehende perfide Systematik zu verstehen.

„WENN DIE MENSCHEN, DIE EINE GLEICHE ERZIEHUNG GENOSSEN HABEN WIE ICH, DIE GLEICHEN WORTE SPRECHEN WIE ICH UND GLEICHE BÜCHER, GLEICHE MUSIK, GLEICHE GEMÄLDE LIEBEN WIE ICH – WENN DIESE MENSCHEN KEINESWEGS GESICHERT SIND VON DER MÖGLICHKEIT, UNMENSCHEN ZU WERDEN UND DINGE ZU TUN, DIE WIR DEN MENSCHEN UNSERER ZEIT, AUSGENOMMEN DIE PATHOLOGISCHEN EINZELFÄLLE, VORHER NICHT HÄTTEN ZUTRAUEN KÖNNEN, WOHER NEHME ICH DIE ZUVERSICHT, DASS ICH DAVOR GESICHERT SEI?“* uni:press: Sie haben jahrelang Führungen in Gedenkstätten des Nationalsozialismus gegeben, welche Funktion führen diese ihrer Meinung nach aus? Cerny-Werner: Meiner subjektiven Ansicht nach ist eine Gedenkstätte ein Ort von Bildung und Informationsgabe. Gedenkstätten sind für mich Orte, wo Geschichte erarbeitet wird. Primär geht es nicht darum, aus der Geschichte zu lernen. Es besteht natürlich die Möglichkeit, in der Analyse von Geschichte an solchen Orten Handlungsvorschläge zu geben und Ideen zu entwickeln. Ich würde jedoch das “Lernen aus der Geschichte” nicht als Ziel von Gedenkstättenpädagogik sehen. Man muss den Mut haben, Gedenkstätten als pädagogische Experimentierfelder zu begreifen. Man soll als Pä-

dagogIn sich diesen Orten nähern und deren Potenzial in der Zusammenarbeit mit den Menschen, die man an diesen Orten begleitet, erkennen. Mit mehr würde man diese Plätze auch überlasten. Gerade aus meiner Erfahrung in der damals noch in Ostdeutschland gelegenen Gedenkstätte Buchenwald konnte ich mitverfolgen, wie sich Begrifflichkeiten transformierten. Nach der Wende 1989 wurde die Bezeichnung ‘Mahn-und Gedenkstätte’ abgewandelt, die Mahnstätte wurde aus der Bezeichnung gestrichen, weil sie viel zu politisierend und teleologisch war. Der Ausdruck “Mahnstätte“ zwang die BesucherInnen förmlich zum Mahnen an die Vergangenheit. Eine Gedenkstätte sollte seinen BesucherInnen keine vorgefertigten Opfer-oder TäterInnenbilder an den Kopf projizieren, sondern zuallererst eigene Denkprozesse anregen. uni:press: Was war Ihr persönlicher Anspruch an die Arbeit als pädagogischer Begleiter in Gedenkstätten? Cerny-Werner: Der Anspruch an meine Arbeit war, dass die BesucherInnen mit mehr Fragen gehen als sie kommen. Ich kann Ihnen auch verraten, was definitiv nicht Ziel meiner Arbeit war - mein Bestreben lag definitiv nicht darin, Antworten zu geben. Ich konnte Fragen, die mir gestellt wurden, versuchen zu beantworten, und zwar dahingehend beantworten, dass ich versuchte, Denkprozesse anzuregen. Es geht mir an einem Gedenkort nicht darum, den Menschen zu sagen, was der Ort ist und was hier in der Vergangenheit passiert ist, sondern es geht für mich viel mehr darum, mit den Menschen gemeinsam den Ort zu entdecken. uni:press: Was hat sich in den letzten Jahren in der Gedenkstättenpädagogik verändert? Cerny-Werner: Vieles hat sich zum Positiven verändert. Das Konzept des entdeckenden Lernens wurde in den letzten Jahren zentral implementiert und in die didaktische Arbeit vieler Gedenkstätten aufgenommen. Es

* Max Frisch, 1946

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geht zum Glück nicht mehr darum, Emotionen zu evozieren, positive wie negative, die Herstellung von vermeintlicher Empathie oder aufgetürmter Leichenberge. Große Beliebtheit widerfuhr auch eine Methode, wo an Orten wie den Appellplätzen der Konzentrationslager BesucherInnen im Winter angehalten wurden, fünf Minuten zu verharren, um “zu spüren, was die Häftlinge wohl damals gespürt haben.” Für mich ein fataler Ansatz! Man kann solche Orte nicht erleben, man kann sich nicht in ein InsassInnenleben hineinversetzen. Was ich versuchen kann, ist die Mechanismen, die zu dieser Unmenschlichkeit geführt haben, zu erkennen. Ich kann und darf Jugendliche nicht in solche Schockmomente versetzen, Schock ist kein Lernzustand und wenn sie frieren gehts auch nicht. Im Grunde musste man bei solchen Anfragen von LehrerInnen antworten: „Gut, zieht euch jetzt alle ein Leinenhemd und - Hose an und stellt euch mal zwei Stunden in den Schnee.” Diese Anfragen wurden im Übrigen natürlich immer abgelehnt. Wir wollten keine Überemotionalisierung, das heißt nicht, dass wir Emotionen verhindern wollten. Es geht mitnichten darum, die Opfer zu vergessen, aber es muss klargemacht werden, dass Konzentrationslager nicht nur Orte der Opfer sind, sondern genauso Wirkstätten von TäterInnen. Man muss auch den TäterInnen Platz geben, das heißt jetzt nicht, sie zu ehren, sondern TäterInnen zu thematisieren. Beide Perspektiven sind essentiell, um die Wirkungsmacht und Multifunktionalität einer Gedenkstätte zu begreifen. uni:press: Unser Magazin richtet sich auch an angehende PädagogInnen - Wie denken Sie sollten diese Inhalte vor dem Besuch einer Gedenkstätte, wie etwa Mauthausen, vermittelt werden? Cerny-Werner: Das A und O ist eine gründliche Vorund Nachbereitung. Arbeitsaufträge an SchülerInnen zu stellen, finde ich hierbei eher problematisch, weil so verhindert wird, eine Gedenkstätte zum Erkennen und eigenständigen Denken freizugeben. Viel wichtiger als rigide Arbeitsaufträge ist es, Fragen an die Schüler zu stellen, zum Beispiel: “Was sind eure Erwartungen an diesen Ort? Was denkt ihr, werdet ihr sehen? Habt ihr Ängste?” Solche Themen müssen in den Fokus einer guten didaktischen Aufbereitung gestellt werden. Gerade KZ-Gedenkstätten erfordern die Freiheit des Denkens, weil viele SchülerInnen Angst haben, Fragen zu stellen, weil sie denken, dass diese an einem solchen Ort nicht erlaubt wären. Zum Beispiel: “Wie hat man denn die Öfen beheizt?” Eine Frage, die, wenn sie gestellt wird, total verschämt in den Raum gestellt wird. Natürlich ist eine Gedenkstätte ein Ort des Gedenkens an die Opfer,

deswegen würde ich oben gestellte Frage nicht direkt in einem Krematorium beantworten, da die Verbindung mit dem Gedenken an die Opfer für mich an diesem Ort zu stark ist. Jedoch sollte man als GedenkstättenpädagogIn und selbstverständlich auch als LehrerIn Fragen zulassen, ernst nehmen und versuchen, zu beantworten. Hierbei möchte ich noch einen wichtigen Aspekt von meinem Verständnis von Gedenkstättenpädagogik anfügen: Der Gedenkstättenbesuch muss auf Freiwilligkeit basieren. Wenn ein/e BesucherIn etwas nicht sehen möchte, ist dies zu respektieren, ohne Diskussion, ohne Nachfrage von Gründen. uni:press: Was haben Sie persönlich aus Ihrer Arbeit als Gedenkstättenpädagoge mitgenommen? Cerny-Werner: Die Arbeit an den Gedenkstätten hat mich stark beeinflusst und geprägt. Ich kann für mich persönlich sagen, dass diese Orte und auch meine Tätigkeit dort meine politische Einstellung geformt haben. Das Interview war lang, eineinhalb Stunden sprach Roland Cerny-Werner mit Begeisterung von traurigen, aber auch lebensbejahenden Momenten seiner Zeit als pädagogischer Begleiter in den Gedenkstätten Mauthausen und Buchenwald. Gespickt sind diese Erinnerungen mit Anekdoten, die mich zum Nachdenken bringen. Das Diktiergerät ist schon eingesteckt, unsere Taschen gepackt und wir sind bereit zum Gehen, als er noch hinzufügt: “Wissen Sie, was mir große Sorgen macht? Ich habe Angst, dass Identitäre nun versuchen, diese Gedenkorte langsam und schleichend zu ‘entdecken’ und für sich zu vereinnahmen.” Daheim angekommen denke ich über das Gehörte nach. Immer wieder tauchen Phrasen des Gesprächs vor meinem geistigen Auge auf, ein gewichtiges Thema, starker Tobak. Eine Stelle des Interviews blieb mir besonders in Erinnerung. In dieser reflektiert Cerny-Werner die aktuelle politische Situation mit historischen Bezügen: Man darf nie vergessen: Eine Gedenkstätte ist ein Ort, den Menschen gemacht haben. Diese Orte bildeten größte Brutalität und größte Menschlichkeit ab, aber genau das ist unsere Welt. Konzentrationslager sind eine extrem kondensierte und unter Druck gesetzte Abbildung einer Gesellschaft. Dies lässt sich auch auf unsere heutige Gesellschaft ummünzen: Was hat Donald Trump zum Beispiel in seinem Wahlkampf gesagt, welche Konzepte wurden dort in den Raum gestellt? Eine riesige Mauer zu bauen, Menschen auszugrenzen? Genau damit fängt sowas an. Sprache ist Tat. Mit welcher Berechtigung kann ich sagen: “So etwas kann uns nie wieder passieren?”


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AUS DEN AUGEN AUS DEM SINN?

© Braunau gegen Rechts

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nde des 19. Jahrhunderts bewohnten Alois und Klara Hitler eine der Mietwohnungen, die dem ehemaligen Braugasthaus zugehörig waren. Am 20. April 1889 wurde dort ihr Sohn Adolf Hitler geboren, der hier seine ersten drei Lebensjahre verbrachte. Ob der Teil des denkmalgeschützten Gebäudes, in dem Hitler geboren wurde, überhaupt noch steht, wird von manchen HistorikerInnen bezweifelt. 1911 erwarb die Familie Pommer, Vorfahren der heutigen Besitzerin, die Liegenschaft und führte das Gasthaus bis ins Jahr des „Anschlusses Österreichs“ an das nationalsozialistische Reich weiter. 1938 erwarb der hohe Parteifunktionär und enge Vertraute des „Führers“ Martin Bormann das Hitler-Geburtshaus im Namen der NSDAP. Während der Zeit des NS wurden die Räumlichkeiten als Kunst- und Kulturzentrum genutzt. Nach der Niederlage im Zweiten Weltkrieg versuchten deutsche Soldaten, das Geburtshaus zu sprengen, was jedoch durch US-Soldaten verhindert wurde. Noch im Jahr 1945 wurde dort eine Ausstellung installiert, die an die Verbrechen der Nationalsozialisten, insbesondere in den Konzentrationslagern, erinnerte. Anfang der 1950er Jahre wurde die Liegenschaft an die Familie Pommer zurückgegeben und staatlich angemietet. Danach war dort die Stadtbücherei untergebracht, es folgte die Unterbringung der HTL Braunau und von 1977 bis 2011 die Nutzung durch die Lebenshilfe. Grund für den Auszug der Einrichtung der Lebenshilfe war letztlich die Weigerung der Eigentümerin, das Haus barrierefrei umzubauen. Seit 2012 ist die Debatte über die Nutzung des Hitler-Geburtshauses in den Medien wieder präsenter. Es folgten einige Versuche des Staates, das historisch-belastete Haus zu erwerben, um damit zu verhindern, dass die Immobilie in falsche Hände gerät. Nachdem bis heute kein Kaufvertrag zustande kam, sieht sich das Innenministerium offensichtlich gezwungen, das mittlerweile seit fünf Jahren leerstehende Haus zu enteignen. Der entsprechende Gesetzesbeschluss fehlt bislang noch.

Der Name der oberösterreichischen Stadt Braunau wird primär weder mit seinem historischen Stadtkern noch mit der spätgotischen Stadtpfarrkirche St. Stephan in Verbindung gebracht. Der Name des gebürtigen Braunauers Adolf Hitlers lastet bis heute auf der Stadt. Seit 2012 beschäftigt das Hitler-Geburtshaus Öffentlichkeit und Politik. Im Zentrum der Auseinandersetzung steht dabei die Frage nach dem Umgang Österreichs mit seiner faschistischen Vergangenheit. Von Hannah Wahl Die Eigentümerin soll entschädigt werden. Doch das ist noch lang nicht das Ende der Geschichte: Im Zentrum steht nun die Frage nach der Nutzung und dem richtigen Umgang mit der eigenen faschistischen Vergangenheit. Expertenkommission arbeitete Empfehlung aus Die vom Innenministerium eingesetzte Expertenkommission sprach sich für eine „sozial-karitative oder behördlich-administrative Nutzung“ aus. Die Schleifung, die Innenminister Sobotka für die „sauberste Lösung“ hält, lehnte die Kommission in ihrem Bericht ab. Doch auch ein Museum, das sich der kritischen Aufarbeitung der NS-Vergangenheit verschreibt, kommt für die Kommission nicht in Frage, da dies „zu einer weiteren Assoziierung des Ortes mit der Person Hitlers“ führe und so weiterhin eine Gefahr bestünde, dass das Haus eine Nazi-Pilgerstätte bleibt. Die beste Möglichkeit zur Entmystifizierung des Ortes sieht die Kommission darin, „eine tiefgreifende architektonische Umgestaltung vorzunehmen, die dem Gebäude den Wiedererkennungswert und damit die Symbolkraft entzieht.“ Doch nun wurde auch Kritik an der aus 13 Mitgliedern bestehenden Kommission laut. Der internationale Denkmalrat ICOMOS prangert an, dass keine internationalen Experten mit praktischen Kenntnissen im Umgang mit dem NS-Erbe zu Rate gezogen wurden. ICOMOS-Präsident, Wilfried Lipp, stellt gegenüber dem Standard fest, dass die „Liquidierung belastender Zeugnisse“ eine „naive Leugnung der Erblast“ darstellen würde. Einer solchen Liquidierung entspräche auch die von der Kommission vorgeschlagene „tiefgreifende architektonische Umgestaltung“. Rechtextremismus in Braunau und Nazipilgerstätte Einem Problem sei laut Abriss-Befürwortern mit der Schleifung des belasteten Gebäudes jedenfalls entgegengesteuert: Dem Hitler-Tourismus. Denn das Geburtshaus stellt eine besonders beliebte Attraktion für

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rechtsextremen Szene auszusitzen.

© Thomas Ledl (Wikipedia)

Neonazis dar. Ein Foto für Facebook; mit Hitlergruß vor der Geburtsstätte eines der größten Verbrecher der Menschheitsgeschichte scheint für die Ewiggestrigen besonders erstrebenswert. Nicht nur in der heimischen Naziszene macht man gerne mal einen Abstecher zum Fotoshooting nach Braunau, auch in der internationalen Szene erfreut sich der Ort großer Beliebtheit. Raffael Schöberl von „braunau gegen rechts“ dazu: „Braunau als Geburtsstadt Hitlers hat für Neonazis weit über die Landesgrenzen hinaus einen hohen symbolischen Wert. Es kommt auch nicht von ungefähr, dass das braune Netzwerk ‚Blood & Honour‘ bereits mehrfach Pilgerfahrten in die Bezirkshauptstadt organisierte, oder der einschlägig bekannte Neonazi-Rapper Makss Damage unlängst mit einem Erinnerungsfoto vor dem Geburtshaus prahlte. Anders als bei der ‚Neuen Rechten‘ gehören Führerkult, positive Bezugnahmen auf NS-VerbrecherInnen und die Glorifizierung des Nazi-Faschismus für Braunauer Neonazis zum guten Ton und sind fester Bestandteil im öffentlichen Auftreten der Szene.“ Dass Braunau mit dem Abriss des Hitler-Geburtshauses seine Symbolkraft für Nazis verliert, ist unwahrscheinlich, wirft man einen Blick auf die Aktivitäten des braunen Sumpfes abseits des Hauses. Dazu gehören in den letzten Jahren z.B. ein Gedenken an den ehemaligen SA-Sturmführer Horst Wessel, die Eröffnung des ersten Thor-Steinar-Shops in Österreich oder der Vandalakt an dem Gedenkstein aus Mauthausen mit der Inschrift: „Für Frieden, Freiheit und Demokratie – Nie wieder Faschismus – Millionen Tote mahnen“, der seit 1989 auf dem Gehsteig vor dem Geburtshaus aufgestellt ist. Dieses Mahnmal gilt als erste eindeutige Distanzierung der Stadt vom Hitlertourismus, mit dem bis dahin auch noch schamloses Geschäft durch den Verkauf von Hitler-Souvenirs gemacht wurde. Aktiv entgegengesetzt wird den rechtsextremen Umtrieben von Seiten der Stadt bislang nichts Wirksames. Die Initiative „braunau gegen rechts“ ruft jedes Jahr, um den Geburtstag Hitlers herum, zur Demo auf. Anstatt das klare Zeichen gegen Rechts zu unterstützen, sieht Bezirkshauptmann Wojak beispielsweise einen „Schatten, dass alljährlich Demonstrationen stattfinden“. Auch die örtliche rechtsextreme Szene wird von Stadtvertretern gern heruntergespielt. All das erklärt die Tendenz der ExpertInnen und einiger PolitikerInnen, sich des Geburtshauses schnellstmöglich und gründlich entledigen zu wollen. Jegliche politische Aktivität zum Thema Rechtsextremismus scheint in Braunau unerwünscht, denn diese durchkreuzt die Pläne, die unliebsame Vergangenheit und das aktuelle Problem der

Was tun? Grundsätzlich ist festzuhalten, dass ein Geburtshaus, im Gegensatz zu einem Ort wie Mauthausen, an dem historische Verbrechen begangen wurden, nicht per se politisch-historisch konnotiert ist. Seine Bedeutung erlangt es erst durch das spätere Handeln der dort Geborenen im Verlauf ihres Lebens. Dem Geburtshaus wohnt damit noch kein politischer Kontext inne. Die spezielle Art des österreichischen Umgangs mit seiner faschistischen Vergangenheit ermöglichte, dass das Geburtshaus Hitlers zu einem Kristallisationspunkt des gegenwärtigen Rechtsextremismus wird. Erst die inhaltliche politisch-historische Neudefinition dieses speziellen Ortes in einen Gedenkort, der an die NS-Verbrechen erinnert und als Warnung vor Rechtsextremismus in der Gegenwart fungiert, entzieht den rechten Neigungsgruppen den Boden für diesen Identifikationsort. Es ist fragwürdig, ob der Abriss oder der gänzliche Umbau ein positives Image schafft. Das Plattmachen des Gebäudes und Entfremden des Geburtsortes ist sicherlich keine adäquate Lösung. Sie stellt den schnellen, „sauberen“ Weg des Umgangs mit der Vergangenheit dar: Aus den Augen, aus dem Sinn – und hoffen, dass die Neonazis nach der Schleifung des Hauses endlich aufhören, nach Braunau zu pilgern. Dass Verdrängung statt Aufklärung immer noch eine Option in manchen Köpfen zu sein scheint, ist mehr als bedenklich. Der kritische historische Umgang, der mittlerweile eigentlich gesellschaftlicher Konsens sein sollte, wird damit einfach ignoriert. Erinnern kann schmerzvoll und unangenehm sein – aber es ist auch notwendig, um zu verhindern, dass sich die Geschichte wiederholt.


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SÜDKOREA:

ÜBER GUTES ESSEN, POPKULTUR UND ANSTRENGENDE NACHBARN

Von Bea Rohrmoser

Wenn Menschen in Europa „Korea“ hören, denken sie meist „Nord“. Das geteilte Land scheint eine Faszination auszuüben, die leider nicht immer dazu führt, dass man sich tatsächlich darüber informiert. Koreakrieg. Kim Jong-un (oder gar –il). Vielleicht noch Samsung oder Kimchi. So weit reicht der Informationsstand vieler zum Land der Morgenstille. Dabei ist Südkorea sehr viel mehr als das. Viel mehr als „das andere Land in Asien neben Japan und China“ und viel mehr als das Land von „die schauen alle gleich aus“. In einer Zeit, in der Technologie, Mode, Musik, Gesundheitswesen und aus aktuellem Anlass Politik mehr auf Südkorea blicken als je zuvor, ist es längst überfällig, dass auch europäische GesprächspartnerInnen mehr vorzubringen haben als Stereotype und Kommentare über den quengelnden Nachbarn im Norden. Der Süden über den Norden: Ach ja, da war was. Natürlich ist der Krieg in den Köpfen der Bevölkerung präsent – bei älteren Generationen noch mehr als bei den jüngeren – scheinbar ist dieser Gedanke aber fein säuberlich in den hinteren Ecken der Gedankenwelt untergebracht. Die meisten wichtigen Nachrichtenportale oder -sendungen haben eine separate Kategorie für Probleme mit dem Norden – von SüdkoreanerInnen meist mit einer ähnlichen Menge Aufmerksamkeit aufgenommen wie der Wetterbericht. Schön veranschaulicht wird all das in folgendem Szenario: Imbiss in Seoul Bukcheon, älterer koreanischer Herr isst seine Ramyun (Koreanische Nudelsuppe), über ihm ein Fernsehgerät. Es ist der 23. September 2016, heute hat die südkoreanische Regierung verlauten lassen, man habe den Plan, Kim Jong-un zu eliminieren. Man wolle/solle/müsse umgehend in die Offensive gehen – so auch die Meinung der US-amerika-

nischen Regierung. Im Licht der Atomtests, welche nur Tage zuvor auf nordkoreanischer Seite durchgeführt wurden, hat man als Neuling in Südkorea – ja, doch – ein wenig die Hosen voll, um es einfach auszudrücken. Nicht so der ältere koreanische Herr mit Ramyun. Beim entsprechenden Nachrichtenbeitrag hebt er kurz den Kopf zum Fernsehgerät und isst nach einem kurzen Schulterzucken weiter. Vielleicht könnte man diese Reaktion auch auf die Hingabe zurückführen, mit der der Herr seine Ramyun verspeiste – und niemand kann es ihm verdenken! – trotzdem bringt dieser Moment für mich den Stressfaktor, den der Norden in der Wahrnehmung des südkoreanischen Volkes innehat, geradezu perfekt auf den Punkt. Heißer Tipp für die nächste Unterhaltung über Nordkorea: Tatsächlich spricht man Herrn Kim so aus: Kim Tschong-un. Genau genommen würde man seinen Namen (김정은) Kim Jeong-eun romanisieren, wer gerne klugscheißt, hat aber mit dem „Tsch“ schon so gut wie gewonnen. You’re welcome! Krise um Präsidentin Park Geun-hye Neben dem Krieg mit dem Norden, in dem sich Südkorea offiziell immer noch befindet, wird das koreanische Politikgeschehen aktuell von der Krise um Präsidentin Park Geun-hye überschattet. Kurz zusammengefasst: Park wird vorgeworfen, sie habe sich über die Dauer ihrer Amtszeit von einer dubiosen Kultführerin beraten und beeinflussen lassen. Wenig überraschend ist die Reaktion des koreanischen Volkes – doch überraschend deren Ausmaß: In Seoul gehen seit Wochen je nach Quelle bis zu einer Million Menschen auf die Straße, um in bisher weitgehend friedlichen Demonstrationen den Rücktritt Parks zu fordern.

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Koreanische Küche (und Leberzirrhose) für alle! Eigentlich hätte ich diese Seiten ausschließlich über die koreanische Küche schreiben können, denn Essenskultur hat einen enormen Stellenwert in Korea. Besonders auf traditionelle Gerichte ist man stolz, nicht selten wird mit dem hausgemachten Kimchi – traditionell scharf eingelegtem, fermentiertem Kohl – geprahlt. Langsam aber sicher breitet sich die traditionelle aber auch moderne Essenskultur Koreas auch in westlichen Ländern aus: Koreanisches Barbecue, Bibimbap, Kimbap (Manche nennen es „koreanisches Sushi“. Diese Menschen sind nicht sonderlich beliebt in Korea.), Ramyun und natürlich der Stolz jedes koreanischen Fastfood-Restaurants – Korean fried Chicken (man vergebe mir den Anglizismus, aber klingt nun mal besser als frittiertes koreanisches Hähnchen). Sogar Österreich macht bei diesem Trend mit: In so gut wie jeder größeren Stadt gibt es mindestens einzelne koreanische Gerichte – wenn nicht sogar ganze Restaurants. Leider sponsert diese Ausgabe meines Wissens kein derartiges Restaurant, das es vielleicht oder vielleicht auch nicht in Salzburg geben könnte. Dort gäbe es sicher köstlich authentische koreanische Gerichte. Konjunktiv natürlich. Ähem. Ich kann nicht über die koreanische Essenskultur schreiben, © Doris Hörmannohne das Trinken zu erwähnen. Beim Essen

soll man schließlich auf die ausreichende Flüssigkeitszufuhr achten. Neben Bier und Wein trinkt man in Korea auch gerne Makgeolli, ein alkoholhaltiges Getränk mit dem Hauptbestandteil Reis. Was es aber genau ist, weiß keiner so richtig – „Kein Wein und kein Bier aber auch kein Schnaps. Irgendwie... Ich weiß es nicht. Jjan!“ Oder so ähnlich lautet die Antwort auf die Frage meistens. „Jjan“ (gesprochen: Tschan) heißt übrigens „Prost“. Dieses Wissen braucht man in Korea schon das eine oder andere Mal, denn getrunken wird durchaus häufig und gerne. Außer „Jjan“ gibt es nur ein einziges noch wichtigeres Wort in der koreanischen Trinkkultur: „Soju“. Der circa 20-prozentige Branntwein besteht neben der Hauptzutat Reis meist aus einer Kombination von Kartoffeln, Weizen oder Gerste. Die Ursache seiner Beliebtheit liegt aber wohl weniger in den Inhaltsstoffen als in seiner meist verzögert eintretenden und deutlich spürbaren Wirkung. So wird „Soju“ aufgrund dieser gerne mit einem Vorschlaghammer oder einem LKW verglichen. (Zwecks Vollständigkeit: Alkohol generell und vor allem „Soju“ speziell bitte mit Vorsicht genießen!) Zusammenfassend kann man festhalten: Wer seinen Geschmacksnerven etwas Gutes tun will, ist mit koreanischem Essen auf dem richtigen Weg – wer seiner Leber etwas Gutes tun will, sollte wohl einen Bogen um die Trinkkultur machen.

© daklebtwas(flickr)


POLITIK & GESELLSCHAFT

Zauberwort „Hallyu“ Massen drängeln sich auf Konzerten koreanischer Künstler rund um den Globus, Menschen stehen für K-Cons sieben Stunden im Regen an (Wer würde so etwas tun? Ich sicher nicht. Und sicher nicht heuer in Paris. Nein nein.) und die ganze Welt liebt K-Dramas. Das ist das Hallyu-Phänomen – the korean wave. Meist wird die koreanische Welle auf Psys Gangnam Style zurückgeführt. Das stürzt nicht wenige K-Pop-Fans in regelmäßige Verzweiflung, zumal K-Pop so viel mehr ist als das. Ohne an dieser Stelle die große Missionierung loszutreten: Entgegen der teilweise begründeten Annahme, dass es sich bei K-Pop nur um seichten Elektropop handelt, meint der Begriff mittlerweile sämtliche koreanische Musik und damit absurder Weise auch Metalbands wie F. T. Island oder Hip-Hop-Künstler wie Epik High, Keith Ape und Code Kunst. (Besonders die letzten drei sollte man sich auch als europäischer HipHop-Fan nicht entgehen lassen.) Aber natürlich hat die koreanische Popkultur auch eine andere Seite: Stark operierte Frauen mit Figuren, die selbst für koreanische Verhältnisse nur als besorgniserregend dünn bezeichnet werden können. Männer, die mehr Makeup tragen als ihre weiblichen Kolleginnen und von normalsterblichen KoreanerInnen meist nur belächelt werden. Der Trend in der Musikwelt geht

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weg von künstlich und abgehoben, ist aber für sehr viele westliche Menschen immer noch zu weit von der eigenen Comfort-Zone entfernt und so wird oft belächelt, sich lustig gemacht und nebenher allen Männern die Männlichkeit abgesprochen. Ausflug in die Political Correctness Vor allem wenn man sich viel mit einer ostasiatischen Kultur beschäftigt, wird einem mehr und mehr bewusst, wie viele EuropäerInnen rassistische und beleidigende Bemerkungen über die Kultur und Menschen „okay“ finden. Die erste Reaktion auf meine Lieblingsband, die aus sieben Männern besteht, ist bis auf sehr wenige Ausnahmen immer folgende: „Findest du die attraktiv? Die sehen alle gleich aus. Der sieht aus wie ein Mädchen. Und du weißt schon, dass die alle kleine Penisse haben?“ Was daran nicht okay ist, muss ich wohl nicht weiter ausbreiten.

Bea Rohrmoser hat an der Uni Salzburg Kommunikationswissenschaft studiert und sich so lange mit Korea beschäftigt, dass Stäbchen in ihrer Besteckschublade die Gabeln ersetzen. Die Fotos stammen von ihrer vergangenen Reise. Die Fotos stammen von ihrer vergangenen Reise.


kultur & menschen

WILLKOMMEN UND ABSCHIEBUNG! Unser Literaturexperte H.C. Kitzler, Vorstand der Pegidentitären in Österreich, hat Carlos Peter Reinelts Flüchtlings-Buch „Willkommen und Abschied“ unter die Lupe genommen und gelangt zur Feststellung, dass es sich durch und durch um entartete Kunst handelt. Ein Verriss von H.C. Kitzler

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ls Vorstand der Pegidentitären in Österreich musste ich schon allerlei Quatsch lesen. Von zweisprachigen Ortstafeln bis zu dem „Programm“ der Grünen „Partei“, was in Wirklichkeit ein kommunistisches Manifest ist! Es ist schlimm genug, dass die Bilderberger und Rothschilds solchen Schund finanzieren, aber mit dem neuen „Buch“ von Carlos Peter Reinelt hat sich die Unverschämtheit wieder einmal selber übertroffen! Wie wir alle wissen, erscheinen seit dem zweiten Weltkrieg jährlich Millionen Bücher über den Holocaust. Als könnte man nicht einmal über etwas anderes schreiben. Es ist aber ein ungeschriebenes Gesetz: Wer den Literaturnobelpreis will, muss mindestens drei Bücher über die bösen Nazis geschrieben haben. Darum, und nur darum, hat jetzt der Musiker(!) Bob Dylan (geboren Robert

„DER EINZIGE, DER VÖLLIG UNSCHULDIG AUF UNSEREN STRASSEN STARB, IST UND BLEIBT UNSER NATIONALHELD JÖRG HAIDER.“ Zimmermann!1) auch so ein Ding gewonnen. Aber die Wilkommensklatscher haben ein neues Lieblingsthema gefunden: Die Flüchtlinge. Und darum liegt in den Buchhandlungen in Salzburg jetzt überall dieses Buch, das sich nur um deren Leiden dreht! „Willkommen und Abschied“ heißt das schmale Ding, und will uns glauben machen, dass auf unseren deutsch-österreichischen Autobahnen Flüchtlinge in einem LKW gestorben sind. Dabei sind sie doch selber schuld, niemand hat sie zum Einsteigen gezwungen. Eines bleibt klar: Der einzige, der völlig unschuldig auf unseren Straßen starb, ist und bleibt unser Nationalheld Jörg Haider. Als belesener Mensch lese ich natürlich jeden Tag die Facebook-Updates unseres Bürgerkanzlers Strache und weiß daher, dass es kein Zufall sein kann, dass genau jetzt so ein Buch erscheint. Wir sollen Mitleid mit Flüchtlingen bekommen, sodass sie noch mehr Gra-

tis-Iphones und Spitzenwohnungen in der Salzburger Innenstadt bekommen können. Dabei ist dieses Buch durch und durch widerlich. Schon der Titel „Willkommen und Abschied“, ein Goehte-Gedicht, versucht unsere deutsche Kultur in den Dreck zu ziehen. Im Buch ist der Rahmen-Text mit der guten alten Frakturschrift verziert. Die Buchstaben werden größer, wenn der Protagonist laut wird, kleiner wenn er müde und fast bewusstlos wird und unlesbar klein als er zum Schluss endlich erstickt (Spoileralarm!). Die Innenfläche wird immer dunkler, bis man nichts mehr erkennen kann. Der „Autor“ bedient sich hier durch und durch von Elementen der entarteten Poesie! Das Kunst zu nennen, ist einfach lächerlich. Es bleibt zu hoffen, dass Carlos Peter Reinelt wieder zurück in das schweizerische Vorarlberg abgeschoben wird, wo er von mir aus die Leute mit seinen Texten und Lesungen belästigen kann. Und die „Flüchtlinge“ soll er gleich mitnehmen. Einmal mehr heißt unser Leitspruch: Willkommen und Abschiebung!

ISBN 978-3-8353-1974-5 (2016) € 9,40 (D) | € 9,90 (A)


KULTUR & MENSCHEN

© Michael Größinger

„AUSweg. Das wesentliche NEIN“ – ein Plädoyer für das „Nein“ Von Christoph Mödlhamer

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ngeblich soll „Ja“ das schönste Wort in jeder Sprache sein. Bücher, Essays und sogar Filme beschäftigen sich mit dem kleinen Wörtchen, das Zustimmung signalisiert. Sein Gegenteil – ein „Nein“ – hingegen bekommt weit weniger Aufmerksamkeit. Es gilt als negativ konnotiert. Zum einen existiert in manchen Sprachen und Kulturen ein „Nein“ nicht einmal. Es gibt lediglich ein „nicht-Ja“. Zum anderen wäre ein Film namens „Der Nein-Sager“ wohl auch recht schnell vorbei. Im Gegensatz zum als positiv empfundenen „Ja“ kann ein „Nein“ schnell unhöflich wirken, wenn keine zusätzliche Erklärung abgegeben wird. Besteht beispielsweise ein Autoritätsgefälle zwischen Personen, wird ein „Nein“ schnell als Ungehorsam interpretiert – ein „Ja“ hingegen bedarf keiner Erklärung und würde wohl niemals als unhöflich empfunden werden. Ein gepflegtes „Nein“ ist aber wichtig. Es zwingt einen nicht nur dazu, Position zu beziehen, sondern erfordert etwa in Diskussionen oft die besseren Argumente. Ein „Nein“ kann Unterschiedliches ausdrücken: Verweigerung, Emanzipation, Widerspruch und Eskapismus. Nein zu gewissen Handlungen, nein zu einer Gruppe von Menschen, nein zu Interpretationen und nein zu gesellschaftlichen Zwängen. Dieser Kunst des Neinsagens widmete sich das diesjährige Open Mind Festival der ARGE Kultur Salzburg unter dem Titel „AUSweg. Das wesentliche NEIN“. Ein buntes Programm, bestehend aus Theater, Konzerten, Diskussionen, Vorträgen, Workshops und Filmen näherte sich diesem Ausweg durch Neinsagen an. Auftakt des seit 2009 stattfindenden, zehntägigen Festivals war die Premiere des mit dem Nestroy-Preis ausgezeichneten Theaterstücks „Immersion. Wir verschwinden“ des aktionstheater ensembles. Die drei Protagonisten erzählen darin über eigene Erfahrungen aus Theaterund Filmschauspielerei, sowie Poetik. Über ungerechte

Behandlung, über Scheitern, übers Übersehenwerden. Aber auch über die eigene Großartigkeit. Dieses Erzählen bringt sie in Rage. Macht sie traurig. Steigert in ihnen die Sehnsucht, einfach auszubrechen. Doch wohin? Wohin flüchten? Darauf finden auch sie keine Antwort und die Grenzen zwischen Fiktion und Realität verschwimmen. Das Erzählte erregte Mitleid. Trotzdem wurde gelacht. Eine gelungene Komödie. Die Diskussionen behandelten Themen wie sexuelle Orientierung bzw. geschlechtliche Identität als Fluchtgrund oder den Kapitalismus. Die verbindende Gemeinsamkeit: Ein System wird abgelehnt, das für die TeilnehmerInnen nicht funktioniert. Im ersten Fall wird Flucht gewählt und Betroffene erzählten. Im zweiten soll das „Nein“ zum System Änderung bringen, worüber Srećko Horvat und Robert Misik diskutierten. Das Thema Flucht ist spätestens seit Sommer 2015 auch in Österreich angekommen. Wie man damit umgehen kann, zeigte die „Ich bin O.K.“-Dance Company mit ihrem Tanztheaterstück „Kein Stück Liebe“ mit Unterstützung zweier AsylwerberInnen. Paul Plut, Sänger der Band Viech, stellte im Rahmen des Festivals sein Soloprojekt vor. Er bearbeitet damit die allerletzte Möglichkeit menschlichen Neinsagens: Den Suizid. Nein sagen zur Gesellschaft, in der man lebt. Flucht durch Emanzipation: Das griff der Film „My Talk with Florence“ von Paul Poet auf, der die Lebensgeschichte von Florence Brunier-Bauer erzählt. Untermalt wurde die Filmvorführung durch den großartigen Alec Empire. Die englische Publizistin und Feministin Laurie Penny stellte ihr neues Buch „Unspeakable Things – Sex Lies and Revolution“ vor und sprach dabei über den Zusammenhang von Neoliberalismus und den damit verbundenen reaktionären Geschlechterrollen. Abgeschlossen wurde das Festival durch ein Konzert feministischer Bands, denen eines gemeinsam ist: Ihnen schmecken die momentanen Zustände nicht, denn genug ist genug.

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KULTUR & MENSCHEN

ver sus

SE ROCK

Dafür, dass die deutschen Synchronsprecher das „the“ in „The Rock“ nicht aussprechen können (mathematisch gesprochen: „th ~ s“), kann der Film nichts. Es passt trotzdem ins Schema. Eine Frechheit von Gerald Lindner

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ichael Bay movies are like eternity: really long, especially near the end.” - Frei nach Woody Allen Ich saß wieder einmal auf einen After Work Drink auf der Terrasse der Albertina (=einer Ottakringer Dose im dunklen Geschichte Kammerl) und besprach mit meinen KollegInnen der UNICEF Elite (=den Schmierfinken der Unipress) die utilitaristische Herangehensweise sozioökonomischer Probleme im 17. Jahrhundert (=Actionfilme). Als wir über einige Ecken zu den Filmen von Michael Bay kamen (Armageddon, Bad Boys, The Rock, Pearl Harbor, Transformers), war ich mir sicher, die chauvinistischen Filme eines solchen Strolches würden von allen Anwesenden gleichermaßen verurteilt. Weit gefehlt! Die HERRschaften der uni:press verteidigten dieses teuflische Machwerk mit nacktem Oberkörper, Bier und betrunkenem Gegröle. Was mich zum Schreiben dieses Artikels animierte: Ich beginne mit dem offensichtlichen: Der Action. Michael Bay übertrumpft sich in „The Rock“ wieder einmal selbst an Showeffekten: Die entgleiste Straßenbahn (meiner Meinung nach elektrisch betrieben, aber gut) donnert mit 30km/h in ein parkendes Auto. Das Resultat: Der 4000 Liter Kerosin Tank des Autos explodiert (wer findet den Fehler? Antworten bitte an presse@oeh-salzburg.at), die Straßenbahn wird 30 Meter lotrecht in die Luft geschleudert. Mein ehemaliger Physiklehrer würde sich bei solchen Szenen bereits am Boden krümmen, der dritte Herzinfarkt innerhalb weniger Minuten. In einer Bay‘schen Welt hätte er keine Chance: Der Defibrillator wäre bereits implodiert und hätte das halbe Krankenhaus mitgerissen. Willkommen auf Se Rock. Auch in Sachen Logik hakt es: In der Schlüsselszene wird der Duschraum des Gefängnisses auf Alcatraz erobert. Das Team steigt durch einen Gully in die Dusche. Jetzt stellt man sich als einigermaßen gebildeter EuropäerIn natürlich die Frage: In den Jahrzehnten der Inhaftierung ist niemandem dieser Gully aufgefallen? Und vor allem: War Sean (oder um den Synchronsprechern zu folgen: „Sohn“) Connery als Brite den amerikanischen Gefangenen gegenüber im Vorteil, weil er mit dem Konzept der Kanalisation vertraut war? Und außerdem: Nur Gott weiß, warum man in einem Ge-

fängnis einen Minenschacht braucht. Zuletzt kommen die weiblichen Rollen auf Se Rock recht mager weg: Man braucht nicht einmal den Bechdel Test anzuwenden1, um die recht beschränkte Rolle der Frau bei Michael Bay zu erkennen. Cages gerade schwanger gewordene Freundin, die im Gefahrengebiet sitzt und um das Leben des Freundes bettelt, ohne das größere Ziel (die Rettung San Franciscos) zu erkennen und das Opfer zu akzeptieren. Das ist scheinbar nur Männern in Uniformen vorbehalten. Von Sean Connerys Tochter, die doch nur ihren verschollenen Papi kennen lernen möchte, fange ich jetzt gar nicht an. Das überlasse ich den PsychologInnen. Zur Falsifizierung der Sexismustheorie muss man wohl konstatieren, dass die weibliche „Titelrolle“ von Monsieur Bay hier durch einen Mann ersetzt wurde. Während in „Armageddon“ Liv Tyler zu den Klängen von Aerosmith einen Fernseher anheult, oder Megan Fox in „Transformers“ kreischend und weinend auf der Flucht vor gigantischen Spielzeugrobotern durch den Bildschirm gezerrt wird, gibt Nicolas Cage in „The Rock“ nun den Sideshow-Depp. Als FBI-Biochemiker, der, Zitat „die Pistole daheim in der Sockenschublade vergessen hat“, wimmert sich Cage durch das Gefängnis im Kampf gegen eine schwer bewaffnete Spezialeinheit. Was soll da bloß schiefgehen? Glücklicherweise gesellt sich Sean Connery an seine Seite und zeigt, aus welcher schottischen Kiefer er geschnitzt ist. Der britische Gentleman wurde zu Unrecht inhaftiert und will nur noch mit seiner Tochter in Frieden leben. Die kleinste Geige der Welt spielt groß auf. Wenn Sie das, lieber Leser, liebe Leserin, bereits mehrmals lächelnd oder nachdenklich an den Kopf greifen lässt ( je nach Charakter), halten Sie sich lieber fest. Bay ist damit erfolgreich, sogar sehr erfolgreich. Auf der Liste der höchsten Einnahmen aller Filme liegt Bay auf Platz zwei. Nach Steven Spielberg und vor, tja, allen anderen. In Worten: JedeR RegisseurIn in Hollywood, den oder die Sie kennen, außer Steven Spielberg, ist finanziell weniger erfolgreich als Michael Bay. Damit entlasse ich Sie, liebe Leserin, lieber Leser, in den Tag und füge ein weiteres Zitat von Woody Allen bei: „You rely too much on brain. The brain is the most overrated organ.” - Woody Allen

1 The Bechdel Test, sometimes called the Mo Movie Measure or Bechdel Rule is a simple test which names the following three criteria: (1) it has to have at least two women in it, who (2) talk to each other, about (3) something besides a man (http://bechdeltest.com/).


KULTUR & MENSCHEN

THE ROCK Eine Richtigstellung von Miggi Seifert

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isst ihr noch, wie das war 1996? Oasis waren wirklich noch Oasis, Take That lösten sich auf. Die Sportfreunde Stiller und Coldplay wurden gegründet. Borussia Dortmund wurde deutscher Fußballmeister und Michael Schumacher wechselte von Benetton zu Ferrari. Der Nintendo 64 erblickte das Licht der Welt und der Feldhamster war das Tier des Jahres. Und nicht zu vergessen – das deutsche Baumarchiv wurde angelegt. Gestorben und geboren sind sicher auch ein paar Menschen. Ein sehr bewegendes Jahr und da bin ich noch nicht einmal bei den filmischen Meisterwerken angekommen: Space Jam, Independence Day, Trainspotting, From Dusk Till Dawn – die Liste lässt sich ewig weiterführen. Ein Film allerdings war so besonders, dass er aus der Liste heraussticht, wie kein anderer. Und das sage ich, obwohl ich Space Jam liebe wie nur wenige andere Filme. Natürlich ist es absolut klar, welcher Film gemeint ist, man muss schon hinter dem Mond des Mondes leben, um jetzt nicht schon den Titel in die Seiten der uni:press zu brüllen. „The Rock – Fels der Entscheidung“ bzw. „The Rock – Entscheidung auf Alcatraz“! Dieses Machwerk ist so gut, dass es mehrere Titel hat. Das kann „Der Herr der Ringe“ nicht von sich behaupten! Wie soll man einen Film, in dem Nicolas Cage, Sean Connery und Dr. Cox (oder John C. McGinley, wie sein Codename in der echten Welt lautet) als Schauspieler mitwirken, denn auch bitte nicht in den siebten Himmel loben? Und dann hat auch noch Hans Zimmer den Soundtrack beigesteuert! DER Hans Zimmer von „Cool Runnings“, „König der Löwen“, „Fluch der Karibik“ und der Nolan-Batman-Trilogie! Ok, vielleicht lassen Unwissende die Worte „ein Michael Bay Film“ etwas erschaudern, dazu muss man aber sagen, dass „The Rock – Entscheidung auf Alcatraz“ lange, lange vor der Transformers-Serie erschienen ist. Damals hatte der junge Bay noch Hunger, damals wurden Special Effects noch sinnvoll eingesetzt. Aber dazu später mehr – man merkt vielleicht, dass ich mich sehr zügeln muss, nicht alles Lob komplett durcheinander zu verschießen. Es fällt mir wirklich sehr schwer zu beschreiben, was genau den Film zu dem herausragenden Meisterwerk macht, das er zweifellos darstellt. Es lässt sich auf einen Satz zusammenfassen („Das schärfste Stück Acti-

onkino seit Stirb Langsam“, wie es TV Today korrekt festgestellt hat), oder auf ein ganzes Buch, ach was sage ich – ein Lexikon, ausdehnen. Die schauspielerische Leistung aller Beteiligten grenzt nicht nur an Perfektion, sondern übertrifft diese sogar, die Geschichte liefert 137 Minuten voller Hochspannung (natürlich, immerhin hat sogar Quentin Tarantino am Drehbuch mitgearbeitet) und das alles unterlegt von den bis dato besten Effekten der Filmgeschichte. Da kann James Cameron mit seinen Schlümpfen machen was er will. Man kann deshalb den Film nur als Gesamtes als das beschreiben, was er ist: Große Kunst, wie sie bis heute selten geschaffen wurde. Ok – der Film hat keine Oscar-Auszeichnungen, aber warum auch? Van Gogh und viele andere Größen wurden auch erst nach ihrem Tod zu Genies erklärt. Natürlich will ich beim besten Willen nicht sagen, der Film wäre tot, das wäre Ketzerei, tut mir leid, wenn einige von euch jetzt schon wutentbrannt die Seite zerrissen haben. Der Film erhielt viel wichtigere Awards als das langweilige Goldmännchen, wie z.B. den MTV Movie Award für Cage und Connery als bestes Film-Duo und damals war MTV wirklich noch wichtig! Außerdem spricht es für sich, dass „The Rock“ bei einem Budget von 75 Millionen US-Dollar ganze 335 Millionen eingespielt hat! Geld bedeutet Erfolg, da könnt ihr Donald Trump fragen. Und allen, die jetzt immer noch zweifeln oder den Film – so schockierend es sein mag – vielleicht nicht kennen, kann ich am Schluss nur eines empfehlen: Lasst den Film euer gesamtes Dasein verändern. Seit ich „The Rock“ in mein Leben gelassen habe, ist mir ausschließlich Gutes widerfahren. Man kann fast schon sagen, „Fels der Entscheidung auf Alcatraz“ (man kann die Titel sogar kombinieren, ist das nicht unglaublich?) sei der Messias der Filmwelt und das wäre vermutlich noch untertrieben. Lasst also den Schund auf der nebenstehenden Seite außer Acht und begebt euch auf eine aufregende Reise auf die Gefängnisinsel Alcatraz, die eure Welt erschüttern wird. Am besten schreibt ihr auch noch eine E-Mail an wiref@ oeh-salzburg.at. Es reicht, wenn ihr einfach das Cover vom Film in die Mail packt, Betreff denkt ihr euch selbst aus. Deal? Deal!

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Wie man von Schauspiel- und Stimmtechniken im Alltag profitiert

Von Christoph Mödlhamer

„Polizei! Öffnen Sie die Tür!“ Wer diesen Satz liest, stellt sich wohl in den meisten Fällen eine laute, entschlossene und aggressive Stimme vor. Ungeachtet, ob männlich oder weiblich, beim Gegenüber wird dadurch etwas ausgelöst. Die Stimmung verändert sich: Panik macht sich breit, oder zumindest eine gewisse Verunsicherung. Kaum jemand wäre von der Dringlichkeit überzeugt, würde selbiger Satz leise, zurückhaltend oder verunsichert gesprochen werden. Die Art, wie gesprochen wird, beeinflusst die Aussagekraft hinter den gesellschaftlich anerkannten Geräusch- und Tonfolgen, die wir als Worte erkennen. Eine Dimension, die der geschriebenen Sprache fehlt. Stimme schafft also Bedeutung – sie kann Aussagen bekräftigen, diese aber auch sabotieren: Alles eine Frage der Betonung. Ein weiteres bedeutungsstiftendes Element ist das nonverbale Verhalten oder Auftreten einer Person, etwa durch Mimik oder Gestik. Auch sie stiften Bedeutung. Und auch diese Dimension fehlt der geschriebenen Sprache. Eine entschlossene Stimme gepaart mit offensivem Auftreten erregt Aufmerksamkeit. Im Gegenteil wirkt eine zurückhaltende Stimme in Verbindung mit entschlossenem Auftreten eher irritierend. Es passt einfach nicht so wirklich zusammen; es ist nicht kongruent. Im Zusammenspiel von Stimme und dem nonverbalen Auftreten entsteht somit erheblicher Gestaltungsspielraum. Hier zu optimieren, ist nicht nur zentral für werdende SchauspielerInnen. Auch im Alltag kann jede/r davon profitieren, ihre/seine Stimme und ihr/sein Auftreten zu trainieren. Das hilft letztlich, um auf der Bühne zu überzeugen – sei es nun die Theaterbühne oder die Bühne des Lebens. Dass alle Menschen von Schauspieltechniken profitie-

ren können, davon ist Christoph Galette überzeugt. Er bietet deshalb in Salzburg Schauspielworkshops und Stimmtrainings an. Der 32-jährige Reichenhaller wollte als Kind Moderator werden. „Ich habe früher stark genuschelt und sehr nasal gesprochen“ erklärt Galette. Deshalb fing er in Jugendjahren an, sich intensiver mit Sprache zu beschäftigen. Mit Erfolg: „Durch das Stimmtraining entwickelte ich eine klare und voluminöse Stimme. Das steigerte mein Selbstbewusstsein ungemein.“ Er bemerkte, dass sich Methoden von Stimmtrainern sehr gut im Alltag anwenden ließen. Dadurch entdeckte er sein Talent: „Ich erkenne, wenn bei Personen sprachlich etwas verkrampft ist und wo stimmlich noch Potenzial besteht.“ Während er sich mit Sprache und Stimme auseinandersetzte, wurde er auf die Schauspielerei aufmerksam. Er absolvierte eine Schauspielausbildung in Berlin am Michael Tschechow-Institut. Tschechow entwickelte in den 1920ern einen neuartigen, heute immer beliebteren Zugang zur Schauspielerei. Die Tschechow-Methode fragt danach, wie eine Rolle beschaffen ist, wie sie spricht, wie sie sich bewegt und verhält. „Tschechow rückt dabei die Vorstellungskraft in den Fokus. Das genaue Ausmalen der Szenerie ist zentral. Die Imagination führt dazu, dass SchauspielerInnen die Rolle mit dem ganzen Körper leben und authentischer wirken“ erläutert Galette. Auch für die Stimme ist der ganze Körper unerlässlich: „Wir sprechen häufig nur aus dem Hals. Man benötigt aber den gesamten Körper, wie beim Resonanzraum einer Gitarre. Nur so kann guter Klang entstehen und das volle Potenzial der Stimme ausgeschöpft werden“, führt Galette weiter aus. Er kritisiert, dass es in der heutigen Gesellschaft immer weniger


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Beide Fotos: © Alexander Müler

akzeptiert wird, Emotionen zu zeigen. Das führe dazu, dass Menschen Stimmungen unterdrücken. Sie verlieren ihr volles Stimmpotenzial. „Babies nutzen noch ihr volles Stimmpotenzial. Sie können stundenlang schreien, ohne heiser zu werden. Erwachsene hingegen werden sehr schnell heiser“, erklärt Christoph Galette. In seinen Workshops gibt es keine Verkleidungen und kein Drehbuch. Am Ende steht keine Aufführung. Sie sollen vor allem einem dienen: Die TeilnehmerInnen befreien und sie stärken. „Dabei“, sagt Galette, „bewerte ich nicht, wer begabt ist für die Schauspielerei und wer nicht. Ich will Verkrampfungen lösen und dass die TeilnehmerInnen aus sich herausgehen.“ Mit seinem Kurs will er einen geschützten Raum schaffen, der Angst nimmt und zum Ausprobieren animiert. Unter seinen KursteilnehmerInnen befinden sich unter anderem SchauspielerInnen, ManagerInnen, StudentInnen und Wirtschaftscoaches. Laut Galette gibt es zwei Zielgruppen: „Eine Gruppe macht das als Ausgleich, um per-

sönlich davon zu profitieren, etwa um aus der Schüchternheit auszubrechen und die andere macht das, um beruflich weiterzukommen, etwa angehende SchauspielerInnen oder ModeratorInnen.“ Zur ersten Gruppe gehört Christina, eine treue Kursteilnehmerin. Die studierte Sport-, Kultur- und Eventmanagerin schätzt an Christoph Galettes Workshops vor allem die individuelle Kursgestaltung und die Freiheit, Neues auszuprobieren: „In den Kursen ist es nicht so wichtig, einen Text auswendig zu lernen. Das hindert eher, selbst zu spielen. Viel wichtiger sind das genaue Vorstellen der Situation und das Hineinversetzen in die Rolle. Der Rest kommt dann von ganz alleine.“ Besonders froh ist Christoph Galette über den Saal im JazzIt: „Das JazzIt ist die perfekte Location, um ein solches Training durchzuführen. Ich bin sehr dankbar, dass ich den Raum nutzen darf. Nach dem Kurs gehen wir meistens noch auf ein Getränk an die Bar, so lernt man sich ganz anders kennen und ausstehende Fragen können geklärt werden.“

Schauspiel-/Stimmtrainer Christoph Galette www.stimmdesign.com Workshops ( fast) jeden Mittwoch im Saal des JazzIt Salzburg


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DIE GAMESCOM 2016 Von Miggi Seifert

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eit Pong hat sich eine Menge getan und viele Bewegtbilder flimmerten in den letzten Jahrzenten über die Fernsehgeräte dieser Welt. Wir sahen immer mehr Pixel in unseren Spielen, durften in die dritte Dimension eintauchen, unsere Konsolen in die Hosentasche stecken und viele Figuren sprangen von der Nische in die Popkultur unserer Zeit. 2016 ist ein Jahr, in dem wir nicht nur einen dieser Meilensteine miterleben dürfen: Virtual Reality-Brillen werden für Privatpersonen leistbar, Ultra High Definition liefert gestochen scharfe Bilder und Nintendo macht, was Nintendo macht – sie kommen mit Ideen um die Ecke, die entweder das Auto in den Seitengraben manövrieren oder den sprichwörtlichen Geldscheißer per Expressversand in ihr Büro liefern. Das alles beeinflusste natürlich auch die größte Gaming-Messe der Welt, die seit 2009 in Köln stattfindet. Auf der Gamescom ging es genau um die Veröffentlichungen, die jetzt gerade das Weihnachtsgeschäft im Technikbereich einläuten. Schon seit August prasselt eine wortwörtliche Flut an Spielen auf uns herein, die vermutlich nicht nur mir einige Zeit geraubt hat, raubt und noch länger rauben wird. Arbeit, Uni und Videospiele und dann noch Zeit für alle Freunde finden – Schlaf ist bei mir zurzeit Mangelware, wie man sich vielleicht denken kann. Dazu hat aber auch die Messe einiges beigetragen. Bei verschiedenen Präsentationen und Demos konnte man sich bereits im Voraus ein eigenes Bild machen und eines vorweg: Mein Geldbeutel dürfte sich nicht sonderlich gefreut haben nach den vier Tagen Messewahnsinn. In Köln geben sich jedes Jahr die größten Publisher und EntwicklerInnen die Klinke in die Hand und jeder Stand versucht, seine NachbarInnen zu übertreffen. So habe ich den Mittwoch, an dem nur FachbesucherInnen auf dem Gelände ihre Runden drehen, damit verbracht, die Eindrücke zu verarbeiten und mich zurecht zu finden. Im Nachhinein weiß ich, dass es klüger gewesen wäre, an diesem Tag so viel wie möglich anzuspielen. Das gestaltete sich nämlich an den weiteren Tagen durchaus als Herausforderung. 345.000 BesucherInnen aus 97 Ländern sprechen in diesem Punkt glaube ich für

sich. Naja, kommt Zeit, kommt Rat. Nächstes Jahr dann. Auch wenn mich große Menschenansammlungen oft überfordern, habe ich mich hier aber auch an den Folgetagen extrem wohl gefühlt. Es war merklich spürbar, dass es hier allen um das Gleiche geht und jede/r gut gelaunt über das Gelände trottete. Hier und da wurden Fotos mit CosplayerInnen gemacht, oder diskutiert, was genau an Spiel XY jetzt der bessere Aspekt ist. Ich fühlte mich wie Zuhause angekommen. Etwas unangenehm waren die Showfloors der Publisher, wenn gerade Goodies an die wilde Menge verteilt wurden. Eine Meute von circa 150 Menschen stand wie Sektenjünger vor der Bühne, folgte den MitarbeiterInnen mit ihren Augen auf jedem Schritt und tat alles für T-Shirts. Die meisten nicht unbedingt schön. Aber gut, nach dem ersten Erlebnis wusste ich, worum ich einen Bogen machen musste. Bestimmte Spiele oder Firmen hier jetzt lobend zu erwähnen, würde den Rahmen sprengen. Enttäuscht hat aber niemand, ganz im Gegenteil. Die erste Virtual Reality-Erfahrung (mit einem Horrorspiel aus der Ego-Perspektive!!) hat mir den Atem geraubt und jedes einzelne Spiel, das ich entweder angespielt oder nur gesehen habe, hat mir den ein oder anderen nicht ganz so leisen Freudenschrei entlockt. Zusätzlich dazu war die Organisation der Messe wohl in Engelshänden. Wäre eine Veranstaltung dieser Größe in Österreich, hätte ich diese wohl spätestens am dritten Tag verlassen, um das Chaos nicht länger miterleben zu müssen. In Köln allerdings lief alles wie am Schnürchen. Ordentliche Sicherheitskontrollen, geregelte Einlässe, anständige Sanitär-Anlagen – ich habe wirklich keinen Punkt gefunden, über den ich mich beschweren könnte. Das liegt aber vielleicht auch an meinem Endorphinspiegel, der dauerhaft im siebten Himmel war. Dazu kamen noch Side-Events wie Konzerte und Partys nach Messeschluss - die Kirsche auf der Kirsche des Sahnehäubchens sozusagen. Die Gamescom lässt sich daher voll und ganz aus tiefstem Herzen empfehlen. Wenn ihr nur im Geringsten mit Videospielen zu tun habt, solltet ihr sofort alles für die Gamescom 2017 organisieren!


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FRAGEN AN DIE FREUDE Gut gegen Böse. Herz gegen Verstand. Moral gegen Recht. Van der Bellen gegen Hofer. Es scheint, als würden wir unseren Alltag permanent einteilen, klassifizieren. Wir brauchen definierte Vorstellungen, an denen wir uns orientieren. Was aber, wenn diese Abgrenzungen nicht mehr existieren würden? Ein Gedankenspiel. Und viele Fragen … von Maria Köchler

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ie Wahl zum Bundespräsidenten sitzt uns in Österreich – und nicht nur da – im Nacken. Auch wenn sie geschlagen ist, bleiben die Diskussionen bestehen. Viele sprechen von einer Richtungsentscheidung, haben das Gefühl, das Land sei ein Stück weit gespalten, auch wenn die Kandidaten und manche ihrer AnhängerInnen genau das angeblich verhindern wollten. Doch ist es überhaupt möglich, nicht zu polarisieren, wenn man ganz klar einer Linie anhängt? Diese Frage zu klären, bleibt eine Herausforderung. In Salzburg hat sich eine Gruppe von Menschen dieser Herausforderung gestellt und ihr einen Namen gegeben: Ode an VdB. Entstanden aus dem Wunsch, ihrem favorisierten Kandidaten den Rücken zu stärken, fanden sich KünstlerInnen und MusikerInnen aus dem In- und Ausland zusammen und verwirklichten dieses Projekt. Der Salzburger Kapellmeister und Klarinettist Horst Egger ergriff die Initiative – an seiner Seite Dirigent Martin Fuchsberger und die vielseitige Künstlerin und ausgebildete Pädagogin Lea Anders. Für die InitiatorInnen ist klar: Sie vertrauen Van der Bellen, denn er ist in ihren Augen seriös und steht für Verbindendes. Musikalische Harmonie und Sympathiebekundung Die „Ode an VdB“, die auf Youtube zu sehen ist, beginnt mit einem Vorspiel, das genau dieses verbindende Element hörbar macht. In einer Kombination aus der österreichischen Bundeshymne und der „Ode an die Freude“ von Ludwig van Beethoven entsteht eine musikalisch harmonische Ineinanderfügung, die Symbolcharakter hat. Die Europahymne fügt sich mühelos in den 3/4-Takt der Bundeshymne ein, später kehrt sich dieses Wechselspiel um: Österreich findet sich im 4/4-Takt Europas wieder.

„Durch den Übergang vom 3/4- zum 4/4-Takt wird Österreich breiter und größer – und das nicht nur musikalisch. Durch die Verbindung mit Europa kann Österreich über seine Grenzen hinaus wirken und wachsen, davon bin ich überzeugt!“, erklärt der Salzburger Musiker Martin Fuchsberger, für den die eigens arrangierte Musik für eine symbolische Verbindung zwischen der EU und Österreich steht. Martin Fuchsberger ist es auch, der das „Van der Bellen“-Orchester zusammengestellt hat, mit in Salzburg lebenden MusikerInnen aus Österreich, Bayern, Montenegro und Australien. Die Verbindung zwischen Österreich und Europa wird also nicht nur hörbar, sondern auch sichtbar, denn auch die mitwirkenden Nicht-ÖsterreicherInnen empfinden dieses Engagement als wichtig. Durch ihren Wohnort in Salzburg sind sie von der Wahl des Bundespräsidenten zumindest indirekt betroffen und die Europa-Hymne hat auch für sie einen persönlichen Stellenwert. „Das höchste Amt im Staat hat immer eine Auswirkung, auch wenn Österreich als Land auf den ersten Blick nicht so wichtig erscheinen mag“, bekräftigt Fuchsberger seine Ansichten. Österreich liege schließlich im Herzen Europas, eine fehlende Abgrenzung zum rechten politischen Lager sehe er als problematisch an. Im Vordergrund dieses Projektes stehen also das positive Bestärken und die Harmonie. Ist aber ein „pro“ für die eine Person nicht auch gleichzeitig ein „kontra“ für die andere? Wo bleibt dann das bindende Element, das im Originaltext der Europahymne so zelebriert wird? „Es geht um eine bewusste Sympathiebekundung, um den Ausdruck des Vertrauens“, meint Martin Fuchsberger. „Pro und kontra sind aber nie ganz voneinander zu trennen.“

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Auf der Suche nach den Brüdern "Van der Bellen ist besonnen und er liebt das Heimatland, hat schon ganz viel unternommen, geben wir ihm doch die Hand. Er wird alle gut vertreten und kann diplomatisch sein, baut die Brücken zwischen Staaten und lädt andre Völker ein. Was wir brauchen, ist ein Vater, der auf gute Werte schaut und der ruhigen Geistes und Verstandes auf die Zukunft baut. Er vertritt nicht nur seinen Sessel sondern das ganze Österreich. Wenn wir Van der Bellen wählen, bleibt es unser Österreich." Dieser Text von Lea Anders liegt der „Ode an VdB“ zugrunde und drückt aus, wofür die Initiatoren stehen. Unser Österreich. Bleibt es das nun? Was ist unser Österreich? Ist es die Neutralität, auf die viele von uns so stolz sind? Oder die Natur, die Luft, die Schönheit der Landschaft? Was wird sich jetzt ändern? Was wird bleiben, wie es war? Gibt es überhaupt etwas, das „immer schon so war“? Betrachten wir die aktuelle Lage von einer anderen Seite. Die Europahymne spricht davon, dass alle Menschen Brüder werden. Das klingt auf den ersten Blick nach einem utopischen Wunschtraum, der Text erklärt aber auch, wie das zustande kommen kann. Wir singen die „Ode an die Freude“, aber verinnerlicht haben wir sie noch lange nicht. Genau sie ist es nämlich – die Freude –, die uns zu Brüdern macht. Das wird viel zu oft vergessen. Wir haben gewählt. Wir haben entschieden. Und trotzdem können wir jeden Tag aufs Neue bestimmen, wie es mit uns und unserem Land weitergeht. Das Wesentliche dabei ist, dass wir unseren Fokus ändern. Friedrich Schiller kann uns nicht mehr mitteilen, was seine genau-

en Intentionen waren, als er seinen Text mit „Freude, schöner Götterfunken“ begann. Wenn wir aber davon ausgehen, dass er nicht von oberflächlichen Vergnügungen, sondern von einer inneren, tief empfundenen Zufriedenheit spricht, dann wissen wir, worauf wir uns konzentrieren müssen. Nicht auf das Trennende, nicht auf unsere Ängste, auch nicht auf unsere Wünsche. Es würde schlicht genügen, wenn wir uns auf die echte innere Freude fokussieren und diese miteinander teilen. Die politische Lage wird sich weiter verändern, in welche Richtung auch immer. Verschiedene Parteien werden nie einer Meinung sein und Kriege werden weiter ausgetragen. Es sei denn, wir ändern unseren Blickwinkel und fangen an, Brüder zu sein. Fragen über Fragen Die Zukunft bleibt ungewiss, denn das liegt in der Natur ihres Charakters. Besonders in politischer Hinsicht werden die nächsten Monate und Jahre wesentlich für die weitere Prägung Österreichs sein. Die Wahlen liegen zwar hinter uns, aber das soll niemanden davon abhalten, seine Meinung weiter kundzutun und für Überzeugungen einzustehen. Behalten wir allerdings Friedrich Schiller in unseren Hinterköpfen, so ist dies alles gewissermaßen einem höheren Ziel zu unterstellen. Wie uns das gelingen kann, bleibt offen und ist wohl nicht durch Vorgaben und Anweisungen limitiert. Es ist unser eigener Gestaltungsspielraum, bei dem es gilt, die offenen Fragen nicht zu ignorieren, sondern beständig Antworten zu suchen, um zu verhindern, dass uns, frei nach Schiller, die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Trends auseinandertreiben.

Youtube-Link zu „Ode an VdB“ http://bit.ly/2g0SLYZ Arrangement der „Ode an VdB“ ist bei den InitiatorInnen erhältlich.


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Alle Fotos Seite 61: © Leonhard Hartinger

Freude. Schöner Götterfunken. Bist du das denn? Und wenn du es wärst, müsstest du dann nicht halten, was du versprichst? Binden deine Zauber mehr Als nur die Oberflächlichkeit? Freude. Wir sind feuertrunken. Feuer, Bomben, Kriegsbetrunken. Wir gieren nach Macht Und dabei vergewaltigen Wir nicht nur dich. Freude. Schöner Götterfunken. Wer bist du? Du versteckst dich, lässt dich nicht erkennen. Wie kann dein sanfter Flügel denn verweilen, wenn wir dich nicht sehen? Freude. Freude über Freude. Millionen stürzen Nieder mit Freude. Wer von uns ahnt auch das Geringste? Wir sind doch beschäftigt, haben keine Zeit die Sterne zu betrachten. Freude. Tochter aus Elysium. Wenn wir es könnten Und die Zeit fänden Wären wir deine Heimat, deine Insel, deine Seligkeit. Freude. Senke deine Flügel. Es möge genügen, wenn einer seine Augen offen hält und den Nachbar, den Feind, den Verräter in deinem sanften Angesicht seinen Bruder nennt.


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CONTEMPORARY MEETS STUDIUM: ZEITGENÖSSISCHER TANZ IN SALZBURG Mit dem Ziel, als professionelle TänzerInnen auf der Bühne zu stehen, stellen sich StudentInnen der ganzen Welt der vierjährigen Ausbildung an der Salzburg Experimental Academy of Dance, kurz sead. Was die jungen Leute leisten und was dieses Studium im Vergleich mit so vielen anderen Bildungswegen einzigartig macht. Von Maria Köchler

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enn man beobachtet, wie die jungen Leute Kaffee kochen, mitgebrachtes Essen mit erklärenden Kärtchen versehen und sich gegenseitig herzlich begrüßen, dann vergisst man leicht, dass man sich hier in dem Gebäude einer Akademie befindet – genauer, in der Salzburg Experimental Academy of Dance. Die Stimmung ist entspannt, fast familiär. Einige frühstücken noch, andere unterhalten sich. Sprachlich kennt man hier keine Barrieren: „Hola“ ist die Antwort auf „Ciao“, kurze Zeit darauf folgt ein „Bonjour“. Spätestens jetzt ist klar, hier handelt es sich um einen ganz besonderen Ausbildungsort: StudentInnen aus der ganzen Welt kommen hierher nach Salzburg, um sich als professionelle zeitgenössische TänzerInnen ausbilden zu lassen und sich diesem herausfordernden Studium zu stellen. Im Rahmen eines Undergraduate Programms studieren die jungen TänzerInnen Contemporary Dance. Gründerin und Direktorin des SEAD Susan Quinn erklärt ihre Auffassung von zeitgenössischem Tanz folgendermaßen: „Contemporary zeigt Elemente aus dem klassischen und modernen Tanz, es ist akrobatisch, teils theaterähnlich und verwendet Martial Arts. Für mich persönlich ist es die Essenz aller Tanzformen, es vereint sozusagen die besten Tanzelemente in sich.“ Positive Atmosphäre als Priorität Für Direktorin Susan Quinn ist eine Grundvoraussetzung für dieses Studium ein positives Klima: „Einen schönen Platz zu haben, an dem man ausgebildet wird, eine gute Atmosphäre, das ist bei uns eine Priorität. Wir wünschen allen unseren Studierenden Erfolg, das ist für uns sehr wichtig.“ Dieser Grundsatz bleibt am Sead nicht nur Theorie – er ist schon am frühen Morgen in den Unterrichtsein-

heiten spürbar. Das zeigt sich in den Klängen von „I‘m Alive“, das die individuellen Aufwärmübungen vor dem Ballettunterricht begleitet, oder darin, dass der Contemporary-Dozent seinen StudentInnen eindringlich vermittelt, nicht an sich selbst zu zweifeln. Der einfache Satz „Don’t doubt yourselves“ führt innerhalb kürzester Zeit zu einem besseren Ergebnis bei einer schwierigen Übung. Einen Teil dieser angenehmen Stimmung macht auch die stark präsente Individualität aus. Schon beim Aufwärmen achtet jede/r auf sich selbst und führt Übungen durch, die sein/ihr Körper in diesem Moment braucht, jedoch ohne misstrauische oder konkurrierende Seitenblicke, wie es im TänzerInnenmilieu oft der Fall ist. So liegen manche entspannt am Boden, andere dehnen ihre Beine, wieder ein/e andere/r steht im Handstand. Ebenso individuell ist der Kleidungsstil der StudentInnen – von Ballettschuhen über Socken bis Jogginghose, Leggings, Pullover und T-Shirt in den unterschiedlichsten Farben und Formen – und mitunter auch die Ausführung der Tanzschritte. Ballettlehrer und Leiter der Ballettfakultät Cristian A. Tarcea, der seinen Abschluss an der Rumänischen Nationalen Ballettschule gemacht hat, ist auch darauf bedacht, jede/n Einzelne/n nach seinen Fähigkeiten und Möglichkeiten zu korrigieren und herauszufordern. Die hohe Konzentration während des Ballettunterrichts ist im Raum so deutlich zu spüren, dass sie beinahe greifbar erscheint. Cristian fährt in den Übungen ein schnelles Tempo, die StudentInnen sind unheimlich fokussiert und geben ihr Bestes. Dem Auge des erfahrenen Balletttänzers entgeht dabei nichts, aber die angenehme Stimmung im Raum nimmt in keinem Moment ab. Das fördert Cristian auch durch seine ruhige Stimme, wenn er eine Übung lobend abschließt: „Find a balance, release the bar. Good guys.“

Bilder: Studierende des Sead bei einer Performance


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Die Besten der Besten Um aber überhaupt in die Lage zu kommen, bei so qualifizierten LehrerInnen studieren zu können, müssen die StudienanwärterInnen einen anspruchsvollen Bewerbungsprozess durchlaufen. „Wir bieten mittlerweile eine der besten zeitgenössischen Tanzausbildungen weltweit und haben in etwa 500 Anwärter für 23 Studienplätze in einem Jahr“, erklärt die aus New York stammende Susan Quinn, die selbst lange Zeit als Tänzerin mit der renommierten Merce Cunningham Company auf der Bühne stand. Um einen dieser begehrten Studienplätze zu bekommen, zeigen die jungen TänzerInnen in einer ersten Runde ein eigens vorbereitetes Solo. Diese Möglichkeit steht ihnen an verschiedenen Terminen in 14 Ländern zur Verfügung. In einem zweiten Schritt werden die Besten der ersten „Auditions“ nach Salzburg zu einer intensiven Woche eingeladen, in der sie nicht nur ihr tänzerisches Können unter Beweis stellen müssen, sondern auch die Fähigkeit, miteinander zu arbeiten. Die schon am Sead Studierenden machen diese Woche laut Susan Quinn meistens zu einer Party. „Das ist für die BewerberInnen natürlich nicht so einfach, sie sind dann hin- und hergerissen zwischen dem Spaß, den sie haben und der Konkurrenz, die in dieser Zeit besteht“, lacht sie. Ein weiterer Punkt, der das Sead als Studienplatz so beliebt macht, sind die großartigen Lehrenden, die teilweise selbst inmitten ihrer Tanzkarriere stehen und den jungen Leuten viel Feedback geben. Auf diese Weise wird die Ausbildung so persönlich als möglich gestaltet und schafft eine attraktive Atmosphäre. Auch GastdozentInnen werden regelmäßig eingeladen, um den StudentenInnen viele verschiedene Ansichten darzustellen und neue tänzerische Wege zu ermöglichen. Einer davon ist der Brite Jos Baker, der in Brüssel lebt und als Tänzer, Choreograf und Lehrer arbeitet. Er unterrichtet die Sead-StudentenInnen in dem Fach „Contemporary“: Hier wird viel am Boden gearbeitet, akrobatische Elemente sind in die Übungen eingebaut, die körperliche Anstrengung ist hoch. Als Unterstützung müssen die StudentenInnen bei manchen Aufgaben laut mitsprechen: „In-out-in-out-in-…“ begleitet ein wiederkehrendes Zusammenziehen und wieder Öffnen des Körpers in den verschiedensten Positionen. Um aus einer Brücke in eine Bauchlage am Boden zu kommen, hilft ein „Baaah“. Was anfangs lustig klingt, bringt nach kurzer Zeit tatsächlich sichtbare Fortschritte. Die StudentenInnen arbeiten sehr hart, wer scheitert, gibt hier nicht auf: „BaaShit!“ Die Tänzerin fällt auf den Boden, rappelt sich auf und beginnt von vorne.

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Jos Baker fasst das in Worte: „Es ist der Enthusiasmus und das Engagement der Studierenden, was ich hier so schätze. Sie arbeiten eigenständig und wollen lernen, sie investieren sehr viel.“ Unwillkürlich taucht da die Frage auf, warum das an anderen Universitäten und Fakultäten so anders ist. Was wäre, wenn die gleichen Aussagen von ProfessorInnen an allen Fakultäten kommen würden? Oder wenn die StudentInnen aller Fachbereiche an der Universität Salzburg so hochmotiviert wären? Bestünde die Möglichkeit, ein so positives Coaching auch an der PLUS einzuführen? Wie würde sich der Studienalltag dann verändern? Das sind Fragen, die (vorerst) offen bleiben. Auf in die Zukunft Das Studium am Sead dauert vier Jahre. Die StudentInnen beginnen im ersten Jahrgang mit der Stufe „Grounding“, gehen dann über in „Locating“, absolvieren das dritte Jahr „Defining“ und schließen mit „Going on“ ab. Die Namen der einzelnen Stufen sind Programm und stehen für den Prozess, den die TänzerInnen durchmachen. Neben der tänzerischen Bildung ist auch die persönliche Entwicklung ein Teil davon: Alle sechs Wochen schreiben die StudentInnen eine Selbstreflexion, um ihren persönlichen Prozess als Künstler zu dokumentieren. „Nach vier Jahren haben sie sozusagen ein Buch über sich selbst, das könnten sie publizieren“, schmunzelt Direktorin Susan Quinn. Was aber kommt für die TänzerInnen nach dem Studium in Salzburg? „Unsere Leute sind für eine Karriere auf der Bühne ausgebildet“, betont Quinn. Deshalb werden die AbsolventInnen auch aktiv bei der Suche nach einer für sie passenden Kompanie oder einem geeigneten Ensemble an einem Landestheater unterstützt. Eine Möglichkeit ist dabei die „hauseigene“ Kompanie „Bodhi Project“, wo graduierte StudentInnen intensiv Bühnenerfahrung sammeln können. Gibt es auch TänzerInnen, die keine Zukunft auf der Bühne anstreben? „Selbstverständlich haben wir auch immer wieder StudentInnen, die nach diesen vier Jahren einen ‚normalen‘ Beruf erlernen möchten. Wichtig ist aber, dass sie in ihrer Zeit am Sead ein starkes Selbstbewusstsein bekommen haben und wissen, was sie wollen“, erläutert Susan Quinn. Und das kann auch ganz einfach die Gründung einer Familie sein, wie im Fall einer ungarischen Tänzerin und ihres Wiener Studienkollegen, die nach dem Studium am Sead gemeinsam vier Kinder bekommen haben.

www.sead.at Das Sead bietet auch ein Kursprogramm für tanzinteressierte Kinder, Jugendliche und Erwachsene an: http:// www.sead.at/index.php/ kurse Schallmooser Hauptstraße 48a, 5020 Salzburg Tel: +43-(0)662-624 635


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© Arne Müseler

Gratis Instrumente, Beatboxen, DJing und Jodeln lernen mit der Rockhouse Academy Von Christoph Mödlhamer

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as Rockhouse als Zugpferd der Musikszene und zentraler Eventlocation muss in Salzburg und Umgebung wohl niemandem mehr vorgestellt werden. Nahezu jeder Studierende in Salzburg war wohl schon selbst einmal dort – ob auf dem Konzert der eigenen Lieblingsband oder auf einer der vielen Parties. Weit weniger bekannt hingegen ist das bunte und umfassende Kursprogramm unter dem Titel „Rockhouse Academy“. Im Rahmen dieser Veranstaltungsreihe werden unterschiedlichste Workshops rund um das Kernthema Musik angeboten – das Beste daran: Die Workshops der Rockhouse Academy erfordern keine Anmeldung und sind völlig kostenlos. Der Zugang soll also möglichst niederschwellig sein, zumal meist nicht einmal Vorkenntnisse erwartet werden. Schaden würden sie aber selbstredend nicht. Die Workshops der Rockhouse Academy sollen vor allem Neugierde wecken, Hilfestellung dafür geben, Neues zu erlernen, bereits Erlerntes aufzufrischen oder weiterzuentwickeln und dabei helfen, Berührungsängste abzubauen. Sie richten sich bewusst gleichermaßen an Laien, AnfängerInnen sowie Fortgeschrittene jeden Alters und Geschlechts. Gitarre, Schlagzeug, Bass und Jodeln Die Palette der Workshops ist dabei absichtlich möglichst breit gehalten. Die Themen der abendlichen Veranstaltungen reichen von klassischen Instrumentenworkshops mit Schlagzeug, Bass und Gitarre über Gesangstrainings bis hin zu verschiedenen Tanzwork-

shops. Ausgefallenes wird dabei ebenfalls angeboten: So wird etwa in einem Kurs gejodelt und versucht, dabei den Spagat zwischen Tradition und Popkultur zu meistern. In einem anderen Workshop werden die grundlegenden Techniken des Beatboxing vermittelt, um ohne Equipment, nur mit dem eigenen Mund Beats zu produzieren und zur eigenen Beatline zu loopen. Dem immer beliebter werdenden DJing – also der Musikauflegerei – nimmt sich die Workshopreihe ebenfalls an und vermittelt praktische Tipps und Tricks für angehende Deejays und Deejanes. Auch nützliche Skills und grundlegendes Wissen für MusikerInnen abseits ihrer Instrumente werden im Rahmen der Rockhouse Academy vermittelt. Dies reicht vom richtigen Beantragen von Förderungen, über das Organisieren von Konzerten und Veranstaltungen, bis hin zum ewigen Leidthema: Dem Urheberrecht und dem Anmelden bei Verwertungsgesellschaften wie der AKM bzw. GEMA. Abgehalten werden die Workshops in der Regel von Salzburger Szenegrößen mit spezifischem Know-How im jeweiligen Bereich, wobei sich auch nationale und internationale ExpertInnen unter den Lehrenden befinden. Im Sommersemester wird vom Verein Rockhouse wieder eine breite Palette an verschiedensten Workshops angeboten. Bis Redaktionsschluss stand das endgültige Programm dafür jedoch noch nicht fest. Interessierte sollten deshalb unbedingt die Informationskanäle des Rockhouses im Auge behalten, um keinen für sie relevanten Workshoptermin zu verpassen.

Weitere Termine für Jänner/ Februar: 3.1. Rock the Family 12.1. Drum Workshop II 14.1. Schnupperworkshop 18.1. DJing Workshop 19.1. Bass Workshop II 27.1. Hip Hop Dancing (Girls only) 14.2. Rock the Family more tba


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HONG KONG DISNEYLAND – IT’S A SMALL WORLD Ein Erfahrungsbericht von Christoph Laible.

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ie allgemeine Bewunderung, die die ChinesInnen dem Westen entgegenbringen, gipfelt nicht etwa in der Umringung uralter Kulturgüter mit Starbucks- und McDonalds-Filialen, sondern im Hong Kong Disneyland. Während man Ersteres auch als späte Rache des Politbüros an jenem verbliebenen Kulturerbe deuten könnte, das die Niederlage der Kulturrevolutionäre auf alle Zeit konserviert, schließen sich solche Verdächtigungen bei Disneyland aus. Zu liebenswert ist die Naivität, in der dieses Biotop westliche Popkultur feiert, und zu weit liegen seine Grenzen entfernt von chinesischem Kulturgut, dessen Erhabenheit gemindert werden könnte. Auch das Gebot der Ehre, solche Stätten als wahre/r AbenteurerIn zu meiden und sich voll und ganz dem Unbekannten hinzugeben, wird nach mehrmonatigem China-Aufenthalt immer laxer verfolgt – es gibt nichts mehr zu beweisen. Und daher machen meine Begleiterin und ich uns auf, einen Tag mit den Helden unserer Kindheit zu verbringen. Durch die Waggons der Disneyland Resort Line fluten die Klänge bekannter Disney Jingles und spülen schon auf der Hinfahrt den letzten sinisteren Gedanken aus den Köpfen der Gäste. Während wir uns noch über die in Mickey Mouse-Form gehaltenen Fenster freuen, fährt der Zug schon in die Zielhaltestelle ein und entlässt die

Besucherscharen in einen schönen Bahnhof, der an alte europäische Architektur erinnert. Breite, geschwungene Treppen aus rotem Backstein weisen uns den Weg in Richtung der Häuschen mit den Einlassdamen. Die Chinesinnen schieben ihre zierlichen Körper in die Warteschlange und werfen ängstliche Blicke unter ihren Hüten und Schirmen hervor, der Sonne entgegen, die droht, den blassen Teint zu versauen. Die Männer begnügen sich hingegen damit, Zigaretten zu rauchen und sich gegenseitig anzubrüllen - wobei die fremde kantonesische Tonalität keine Rückschlüsse auf die Natur der Unterhaltung zulässt. Dann sind wir an der Reihe und erstehen für 1078 Hongkong-Dollar zwei Tagestickets – und, ohne die Spannung nehmen zu wollen, sei verraten, dass es das wert war. Dabei ist unser Start denkbar ungünstig. Denn die erste Attraktion, die wir besuchen, ist Space Mountain, eine Kuppel-Achterbahnfahrt in die Weiten des Weltalls, die zum Standardrepertoire der Marke Disneyland gehört. Mit ihr verbinde ich positive Erinnerungen als 12-Jähriger im französischen Ableger in Paris. Umso enttäuschender, als uns im Inneren ein lieblos mit schwarzem Stoff ausgekleidetes „Universum“ erwartet, das mit müden Glühlampen bedeckt ist und an das Interieur eines billigen Stripclubs erinnert. Die langweilige Fahrt veran-

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KULTUR & MENSCHEN

© Christoph Laible

lasst jedoch kaum eine/n zu Freudenschreien, wie man sie aus den erwähnten Etablissements kennt. Eine große Portion Softeis mit Mandelsplittern tröstet uns über die Enttäuschung hinweg, bevor wir vor der 40 Grad heißen Sonne in “a small world“ flüchten. Am Ende dieser halb-psychedelischen Bootsfahrt wird auch der letzte Pessimist einen baldigen Weltfrieden nicht nur für wahrscheinlich, sondern für unbedingt zwingend erachten. Freudige Männlein repräsentieren in wohltuender Klischeehaftigkeit ihre Kulturkreise, tragen dabei Trachten, Kimonos und Federschmuck und von Norwegen über Australien, von Russland bis Südafrika singen sie alle ein Lied – “it's a world of laughter, a world of tears, it’s a world of hopes and a world of fear, there is so much that we share, that it’s time we are aware, it's a small world after all.” Die Melodie ist dabei so eingängig, dass der/die BesucherIn nach zehnminütiger Beschallung gar nicht anders kann als den singenden Gnomen beizupflichten, bevor er/sie das Fahrgeschäft schließlich als besserer Mensch verlässt, das Lied aber noch einige Tage im Ohr tragend. In dieser Hinsicht mag doch etwas „China“ in Form maoistischer Selbstkritik seinen Weg ins Hong Kong Disneyland gefunden haben. Unsere Läuterung wird von der höllischen Temperatur nicht zur Kenntnis genommen und ausgerechnet das Winterdorf, das Möglichkeit zu einer kühlenden Schneeballschlacht bieten würde, ist geschlossen. Die Hitze befeuert aber unseren Ehrgeiz, den Großteil des Tages im Inneren zu verbringen, was zu einer beachtlichen Liste an abgehakten Attraktionen führt. Die sind zwar allesamt nichts für den echten Nervenkitzel, doch lebt Disneyland von etwas anderem: Durch die liebevoll

gestalteten Szenerien weht der Geist der Geschichten unserer Kindheit und versetzt die Besucher zurück in eine Zeit der Neugierde und Sorglosigkeit. Selbst die Wartebereiche dieser Märchenwelt sind Orte der Zerstreuung, in deren Gestaltung man sich leicht verliert, nur um anschließend von der Schönheit der Fahrten überwältigt zu werden. Neben der leider etwas kurz geratenen Reise durch die Bilderwelten von Winnie Puh und dem ausgezeichneten 4D-Kino bleibt vor allem Mystic Manor in Erinnerung. Das viktorianische Anwesen ist nicht nur Heim für Lord Henry Mystik und seinen Affen-Sidekick Albert, sondern auch für einen Berg an Artefakten, den der Weltenbummler in den entlegenen Winkeln unserer Erde zusammengeklaubt hat. Der ungeschickte Albert macht sich nun an einem besonders sensiblen Stück zu schaffen und entfesselt Kräfte, die das Herrenhaus in heilloses Chaos stürzen. Dabei sorgt besonders die Begegnung mit einem Skarabäen-Schwarm im Raum mit den ägyptischen Relikten für Gänsehaut. Dann ist langsam alles zu Ende. Trauben erschöpfter Menschen schieben sich im Orange-Rot der Abendsonne in Richtung der Ausgänge, murmeln und rekapitulieren das Erlebte und ihre Stimmen legen sich übereinander, verschwimmen im melancholischen Chor und wir stimmen vollends befriedigt ein. Und später, als ich mir meinen Weg bahne durch die vornehmlich indisch-pakistanischen Menschenmassen der Nathan Road hin zu meinem Zimmer und mir ein breit grinsender Inder ein LSD-Ticket anbietet, ertappe ich mich dabei, wie ich leise “it‘s a small world“ in mich hineinflüstere.


KULTUR & MENSCHEN

Interessantes, Kurioses und Schockierendes in alten uni:press-Ausgaben, entdeckt und ausgegraben von Christoph Würflinger

KOHLE

DIE STUDENTEN UND DIE WIRTSCHAFT Niemand von uns Studenten wird diesen Artikel als unnotwendig und übertrieben erachten. Jedoch ist die Tatsache, daß die Universität Salzburg in ihrer neuen Form selbst und die an ihr inskribierten Studenten eine ganz bedeutende – soziologisch mehr oder weniger geschlossene – wirtschaftliche Käuferschicht darstellen, bei weitem noch nicht genügend in das Bewußtsein der Außenstehenden eingedrungen, vor allem nicht, so scheint es, in das Bewußtsein der Wirtschaftstreibenden selbst. Es ist daher ganz interessant, nachfolgende Aufschlüsselung der Ausgaben Studierender durchzugehen. Bewußt wurden jeweils zwei Grenzzahlen genommen, um dem Vorwurf, die Aufstellung sei nicht repräsentativ, zu begegnen. Durchschnittlich verbraucht ein Student bzw. eine Studentin zwischen S 1500.– und S 2.300 pro Monat. Diese Summe ergibt sich aus folgenden Ausgaben: Miete S 400,– bis S 600,– Mittagessen à S 11,– bis S 20,– x30 S 330,– bis S 600,– Abendessen à S 10,– bis S 20,– x30 S 300,– bis S 600,– Lernmaterial S 100,– Bekleidung S 200,– Freizeitgestaltung (Sport, Kino) S 170,– bis S 200,– S 1500,– bis S 2300,– Multipliziert man die beiden Summen mit der Anzahl der Studierenden an der Paris-Lodron-Universität, als mit 1.200, so ergibt das S 1.800.000,– pro Monat bzw. S 2.760.00 pro Monat. Nimmt man nun an, daß diese Ausgaben ca. 10 Monate lang pro Jahr getätigt werden, so ergibt das Jahressummen in der Höhe von 18.000.000,– bzw. 27,6 Millionen S. Ist das schon eine ganz ansehnliche Summe, so runden das Bild die Ausgaben der Universität in der Höhe von rund S 15 Millionen pro Jahr für Bücher, Einrichtung, Strom, Miete, Instandhaltung, Reinigung, Telefon, Post usw. schön ab. Die Gesamtzahlen erreichen daher die Höhe von 33 bzw. 42 Millionen S. Am Rand sei noch vermerkt, daß in dieser Aufstellung die Ausgaben der Professoren, Dozenten und Angestellten der Universität nicht enthalten sind, diese jedoch weitestgehend der Salzburger Wirtschaft zufließen. Wir, die Studenten, bilden also vor allem mit unserer geistigen Nährmutter, der Universität, einen ganz beachtlichen Faktor im heimischen Wirtschaftsgefüge. de facto 1 (1967)

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