UNI:PRESS STUDIERENDENZEITUNG DER ÖSTERREICHISCHEN HOCHSCHÜLERiNNENSCHAFT SALZBURG — #687 Jänner 2017 —
22.2.|DAniEl GlAttAuER 23.2.|GAnEs 17.3.|GARish 30.3.|MARtin PuntiGAM & MAtthiAs EGERsDORfER 28.4.|VOODOO JuRGEns| wORRiED MAn & wORRiED BOy FOTO: lOTTerlabel
RoterSalon No.107
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IMPRESSUM Medieninhaberin: Hochschülerinnen- und Hochschülerschaft an der Paris Lodron Universität Salzburg (ÖH Salzburg), Kaigasse 28, 5020 Salzburg, www.oeh-salzburg.at, sekretariat@oeh-salzburg.at / Herausgeber: HochschülerInnenschaft / Pressereferentin: Carolina Forstner / Layout: Michael Seifert / Lektorat: Julia Kellner & die Redaktion/ Anzeigen und Vertrieb: Gerald Lindner Redaktion (Kontakt: presse@oeh-salzburg.at): Carolina Forstner, Sandra Grübler, Maria Köchler, Christoph Mödlhamer, Christoph Würflinger / AutorInnen in dieser Ausgabe : Carolina Forstner, Sandra Grübler, Maria Köchler, Christoph Mödlhamer, Christoph Würflinger, Selina Schnickers, Stefan Klingersberger, Miggi Seifert, Christof Fellner, Wiebke Fischbach, Ivana Ristic, Felix Klein, Antonia Fa, Kay-Michael Dankl, Valerie Kocher, Alexandra Katzian, Samael Kölski, Carlos P. Reinelt, Vasillis Varvaridis, Esther Baumgartner, Alexander Schlair. Druckerei: Ferdinand Berger & Söhne Ges.m.b.H. / www.berger.at / Auflage: 7.000. Für Verbesserungsvorschläge und kritische Hinweise sind wir sehr dankbar. Die Auffassungen der AutorInnen der Beiträge und die der Redaktion müssen nicht übereinstimmen.
EDITORIAL
Carolina Forstner
Sandra Grübler
Maria Köchler
Christoph Mödlhamer
Christoph Würflinger
Liebe LeserIn Für die Idee zum aktuellen Schwerpunkt – Revolution – schulden wir dem Ex-ÖH-Vorsitzenden Paul Oblasser Dank. Keinesfalls, so sein wütender Kommentar, dürfe das Cover der uni:press rot sein. Nein, nein, nein! Dass die verbotene Farbe bei der Arbeit an der letzten Ausgabe nur als Platzhalter für ein großartiges Titelbild gedacht war, ist ihm in seinem Zorn entgangen. Es hätte genauso gut rosa oder braun sein können. Wie dem auch sei, in unserer grenzenlosen Kreativität hatten wir uns damals, Prä-Koalitionsbruch, fest vorgenommen, ihn und seine AGenten mit dem nächsten Schwerpunktthema ein bisschen zu ärgern – rotes Cover, radikale Inhalte. Ein bisschen dazwischengefunkt hat uns dabei allerdings die Universitätsvertretung. Um zukünftige
Zensuraktionen der ÖVP-Parteijugend (Aktionsgemeinschaft) zu verhindern, wurde in einer Sitzung kurz vor Weihnachten beschlossen, dass es keine Streichkonzerte mehr geben dürfe. Für die AG war das ein Mitgrund, die Koalition mit dem VSStÖ platzen zu lassen. Mit einem Schlag war unser Feind verschwunden. Wir waren frei! Wie wir diese neu gewonnene Freiheit genutzt haben, könnt ihr euch in dieser revolutionären Ausgabe anschauen. Wir wünschen viel Spaß beim Lesen! Deine Redaktion Fragen, Wünsche, Anregungen, Kritik wie immer an presse@oeh-salzburg.at
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INHALT
in halt
REVOLUTION
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Die wichtigsten Revolutionen der Weltgeschichte
Revolution als Waffe des kleinen Menschen
Wie die Welt verändern? Ver/sus Revolution? System verbessern oder stürzen?
Studentische Front Wie Studierende revolutionär sein könnten Die russische(n) Revolution(en) Eine kritische Würdigung zum 100. Jahrestag Back to the Future, Please! Zum Stand der Weiblichen Revolution
Paradigmenwechsel Revolutionen in der Wissenschaft
UNI & LEBEN
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Neues aus dem Vorsitzbüro
fellner’sche weisheiten Intelligenzsteigernde Substanzen Gute Nacht, Burschenpracht! Die Geschichte eines rechtsextremen Vernetzungstreffens Die hochschulpolitische Kernschmelze der SPÖ Eine Kritik an Kerns „Plan A“ Die Causa Pädagogik Ein Update in der Skandalgeschichte ÖH:clubs Wo, wie, was? Ein verlorenes Jahr Die Wahrheit über Schwarz-Rot
ÖH abschaffen! Ein Vorsitz-Rant Wenn NichtveganerInnen nerven Eine Replik
INHALT
POLITIK & GESELLSCHAFT
38 40 43 44 46 48 50 52
Gegen Gewalt an Frauen
Selbst ist die Frau Eine nachdenkliche Analyse
Achtung, Zensur!
Mutter Teresa Eine Heilige? Allah muss sterben! Ein Aufruf zur Tötung Allahs
Gender Watch-Protokoll Wie enttarne ich SexistInnen?
Ein Plädoyer für die Freundlichkeit
radikal sein ein loblied
KULTUR & MENSCHEN
53 55 57 59 61 65 66 67
Zuhause im Land von Feuer und Eis
Totgeglaubte leben länger Die Rückkehr der Schallplatte Früher war alles besser? Ja, zumindest in Stars Hollow Eine Hommage an Salzburg Interview mit Ginger in the Basement Das große Zamputzen Ein literarisches Meisterwerk „Und Sie sind sicher, dass sie eine Doktorarbeit schreiben wollen?“ Das Doktorat als Graphic Novel 1 nices Rätsel
Zeitmaschine Die digitale Revolution
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fac tum
Zusammengetragen von der revolutionären Redaktion
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as Wort Revolution leitet sich von dem spätlateinischen revolutio (Umdrehung) ab und bezeichnete zunächst als Fachwort in der Astronomie den von Kopernikus beschriebenen Umlauf von Himmelskörpern. Es beschreibt heute einerseits eine umwälzende, bisher Gültiges verdrängende, grundlegende Neuerung, eine tief greifende Wandlung. Die zweite Bedeutung eines auf radikale Veränderung der bestehenden politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse ausgerichteten, gewaltsamen Umsturzes kam erst im 18. Jahrhundert ausgehend vom französischen révolution hinzu. Neolithische Revolution Den Übergang der menschlichen Wirtschaftsweise vom Jagen und Sammeln zu Ackerbau und Viehzucht bezeichnet man als Neolithische Revolution. Vor etwa 12.000 Jahren begannen die Menschen sesshaft zu werden. Nach derzeitigem Forschungsstand entstand der Ackerbau weltweit dreimal unabhängig voneinander: im Fruchtbaren Halbmond des Nahen Ostens, in Südchina und in Mittelamerika. Von dort ausgehend wurde er durch Landnahme oder soziale Prozesse verbreitet. Industrielle Revolution Ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und ver-
stärkt im 19. Jahrhundert wurden die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse, die Arbeitsbedingungen und Lebensumstände zunächst in England, dann in Westeuropa und den USA, später auch in Japan und weiteren Teilen Europas und Asiens tiefgreifend und dauerhaft umgestaltet. Diese Industrielle Revolution führte zum Übergang von einer Agrar- zur Industriegesellschaft, in der kapitalistische Unternehmer lohnabhängige Proletarier ausbeut(et)en. Die damit verbundene Massenverelendung wurde zum Motor für Proteste, Widerstand und Reformbewegungen. Grüne Revolution Gemeint ist die in den 1960ern begonnene Entwicklung moderner Hochleistungs- bzw. Hochertragssorten in der Landwirtschaft und deren Verbreitung in sogenannten Entwicklungsländern. Hunger wurde als Resultat technischer Defizite interpretiert, die Grüne Revolution folglich als Instrument zur Prävention gewaltsamer Revolutionen gesehen. Die Folgen sind umstritten: Während sich die Ernährungssituation teilweise verbesserte, wurde die Umwelt durch Vergrößerung der Anbauflächen, schnellere Staffelung der Ernten und Pestizideinsatz massiv geschädigt. In den letzten Jahren machten Aufstände wegen Lebensmittelknappheiten in vielen Ländern die begrenzte Nachhaltigkeit deutlich.
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Emder Revolution Der erste als Revolution bezeichnete Umsturz war die Emder Revolution von 1595. Nach mehreren rücksichtslosen Steuererhöhungen und Gesetzen setzten die Bürger der Stadt Emden den vom Grafen Edzard II. von Ostfriesland eingesetzten Rat der Stadt ab und nahmen die gräfliche Burg ein. Im Vertrag von Delfzijl musste sich der Graf verpflichten, auf den Großteil seiner Rechte in Emden zu verzichten. Die Stadt wurde zur quasi-autonomen Stadtrepublik, ihre Vertreter unterzeichneten fortan alle Verträge nach römischem Vorbild mit S.P.Q.E. („Stadt und Bürgerschaft von Emden“). Glorious Revolution 1688/89 entschieden die Gegner des königlichen Absolutismus in England den Machtkampf mit den Stuart-Königen zu ihren Gunsten. Bereits die Zeitgenossen verwendeten dafür die Bezeichnung Glorius Revolution. Mit der Durchsetzung der Bill of Rights wurde die Grundlage für das heutige parlamentarische Regierungssystem im Vereinigten Königreich geschaffen. Seit dieser Revolution ist der König nicht mehr völlig allein, sondern nur in direkter Verbindung mit dem Parlament Träger der Staatssouveränität.
Kulturrevolution Die chinesische Kulturrevolution zwischen 1966 und 1976 war eine politische Kampagne, die von Mao Zedong initiiert wurde. Ihr Ziel war, die „wahre“ kommunistische Ideologie zu bewahren, indem man die chinesische Gesellschaft von Überbleibseln kapitalistischer und traditioneller Elemente zu „säubern“ versuchte. Sie ging mit Menschenrechtsverletzungen und politischen Morden einher. Schätzungen gehen von mindestens 400.000 Toten in ganz China aus. Kubanische Revolution Der Begriff Kubanische Revolution bezeichnet einerseits das historische Ereignis des Sturzes des kubanischen Diktators Fulgencio Batista durch die von Fidel Castros Organisation Movimiento 26 de Julio angeführte Widerstandsbewegung. Der bewaffnete Kampf wurde ab 1956 durch städtische Untergrundaktivisten und aus dem Bergland operierende Guerillas geführt und endete 1959 mit der Flucht des Diktators. Darüber hinaus versteht man darunter die Summe der Maßnahmen, die Castro zwischen 1959 und 1961 setzte, um Kuba im Sinne der marxistisch-leninistischen Ideologie zu reformieren. Die erfolgreiche Abwehr einer von den USA veranlassten Invasion festigte die Kubanische Revolution, die zuvor noch auf wackeligen Beinen gestanden hatte.
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eißt Revolution, die Schrotflinte aus dem Wandschrank zu reißen und auf dem Rücken des nächsten Pferdes gen Sonnenuntergang zu preschen, alles hinter sich zu lassen, um Leib und Leben für eine Idee und gegen ein System zu opfern? Wenn dem so wäre, könnte ich den lethargischen Geist, welcher einen Großteil meines sozialen Umfelds befallen hat, selbstverständlich nachvollziehen. Viele jener verdrossenen Spießgesell*innen wollen auch nicht so recht daran glauben, dass sowas wie ein revolutionärer Funke auch ihnen innewohnt und verweisen trüben Blickes und zögerlicher Gestik auf die Gandhi-Flagge, welche mittlerweile leicht schimmelnd hinterm Kleiderschrank vorlugt oder stirnrunzelnd auf ihr halbschariges Wissen über Martin Luther – und was war das mit dem King nochmal? Doch es ist bei weitem noch nicht alles verloren, auch wenn sie und vielleicht auch du das glauben: Denn ich sehe Tag für Tag Anzeichen bei meinen Mitmenschen, dass sich die eigene Revoluzzerstimme zu erheben strebt. Sei es der Kommilitone, der aufgrund einer bürokratischen Willkür der Uni Salzburg zu einer Prüfung nicht zugelassen wird und laut zeternd
von Selina Schnickers zum Dekan stürmt. Sei es die Frau im Supermarkt, die resolut einen verschüchterten Azubi daran hindert, braune Bananen in Müllsäcken verschwinden zu lassen. Sei es der Kellner, der sich dem Todesblick seines Chefs widersetzt und einem heillos Betrunkenen weitere Schnäpse untersagt… Ja, so sehe ich jeden Tag aufs Neue, wie Menschen sich Praktiken, Strukturen und Handlungsweisungen widersetzen. Aus Gerechtigkeit, aus Fairness, aus reinem Menschenverstand. Und all diese glitzernden Augen und erzürnt geröteten Wangen und dieser Impuls, welcher weit über das Intrinsische hinausgeht und beinahe physisch spürbar ist, das ist die Energie der Moral, das ist der Wille, sich zu widersetzen, das ist Revolution. Im kleinen Rahmen, aber das ist sie. Wie kann Revolution denn also aussehen? Die Antwort ist in einer simplen Anleitung zur DIY-Revolution gegeben: 1. Welche Strukturen, Abläufe und „Normalitäten“ bestimmen deinen Alltag? 2. Welche Gefühle lösen diese bei dir aus? 3. Bei negativ Belastetem: Kannst du es ändern / meiden / Alternativen suchen?
Howard Wayne Morgan, Drugs in America: A Social History.
Das klingt abstrakter, als es ist. Einfach gesagt? Dich nervt irgendwas? Dann tu was dagegen, tu es konsequent und überlegt. Zum Beispiel: Dich nervt …. •
Die Konsumgesellschaft? Geh Dumpstern!
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Facebook? Steig aus! (Begehe „Facebook-Suizid“ und feiere das ausführlich!)
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Deine inexistente Work-Life-Balance? Sprich mit Vorgesetzten! Vernetze dich mit Mitarbeitenden! Zettel einen Streik an!
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Die Müllproduktion? Suche dir Alternativen! (FoodCoops z.B.)
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Ausbeutung anderer? Boykottiere bestimmte Ketten und Marken!
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Sexismus/Rassismus/Diskriminierung jeglicher Art? Zuck ruhig mal richtig aus! Mach alle und jeden zur Schnecke, sag deine Meinung und verdeutliche deine Worte mit vehementem Verhalten deiner Wahl.
• Politik? Geh Demonstrieren! (Kettet euch irgendwo an, oder auch nicht, aber unterstreicht euren Standpunkt!)
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Athen. Die griechischen KommunistInnen der KKE haben es sich zur Aufgabe gemacht, die Arbeiterklasse und die anderen werktätigen Schichten zu organisieren und in Richtung sozialistischer Revolution anzuführen.
„Über die Ziele, wie man leben will, hat es in der Geschichte der Menschheit nie Meinungsverschiedenheiten gegeben“1, meinte in gewohnt überspitzter Form der Begründer der sozialistischen Klassik Peter Hacks. Damit drückt er aus, dass der Wunsch nach einer Welt, in der „der Mensch dem Menschen ein Helfer“2 ist (Brecht), wohl so alt und verbreitet wie das menschliche Denken selbst ist. Doch die Crux an der Sache ist die umstrittene Frage nach dem Wie, nach den Wegen und Methoden, das Ziel zu erreichen. Hier einige allgemeine Überlegungen als Versuch einer Antwort auf diese Frage. Von Stefan Klingersberger
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m den besten Weg herauszufinden, muss man sowohl das Ziel als auch die aktuelle Position kennen.
Wohin wir wollen Das Ziel kennen bedeutet in diesem Fall, die Charakteristika benennen zu können, die die angestrebte befreite Gesellschaft aufweisen muss. Wir müssen die Welt, wie sie sein sollte, anschaulich und verständlich machen. Selbst wenn es dabei um einen prinzipiell unerreichbaren paradiesischen Zustand gehen mag, ist dergleichen Schwärmerei, solange sie keine bloße bleibt,
doch notwendig. Schon das Marxsche Prinzip „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen“3 wird sich ja wohl nie in vollkommener Weise verwirklichen lassen. Es hilft aber dabei, zu erfassen, wie eine perfekte Welt eigentlich aussehen würde, was es bedeuten würde, darin zu leben, und welche Richtung man daher im politischen Kampf einschlagen muss. Schon aus der bisherigen Geistesgeschichte gibt es viele weitere Beispiele für solche Prinzipien und Ideale, die wir erläutern, auf ihre Adäquatheit überprüfen und in einen kohärenten Zusammenhang bringen müssen. An ihnen müssen wir weiterdenken, mit
1 Peter Hacks, Hacks-Werke 13/235, zit. nach: … und nehmt das Gegenteil – Gesellschaftsutopien bei Peter Hacks, Aurora Verlag, Berlin 2013, Seite 77. 2 Bertolt Brecht: An die Nachgeborenen, hier gelesen von Brecht himself: https:// www.youtube.com/watch?v=m2rCM09ougk 3 Karl Marx: Kritik des Gothaer Programms, MEW 19, 21. 4 Karl Marx, Das Kapital, MEW 23, Seite 92.
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dem Ziel, möglichst alle Aspekte wünschenswerten Weltzustands begrifflich-anschaulich zu erfassen, um damit zum Denken und Handeln anzuregen und eine Richtschnur zu liefern, der man folgen soll. Wo wir sind Und die aktuelle Position zu kennen bedeutet in diesem Fall, über die Grundstrukturen unserer heutigen Gesellschaft Bescheid zu wissen: Wir leben in der kapitalistischen Gesellschaftsform. Was das bedeutet, hat Karl Marx in seinem Hauptwerk, dem „Kapital“, erläutert. Wer mit dem Kapitalismus brechen möchte, muss seine grundlegenden Funktionsweisen kennen, denn begreiflicherweise muss man wissen, was es denn eigentlich genau ist, das man überwinden möchte. Dazu bietet das Werk von Marx eine bisher unübertroffene Grundlage, das nach anderthalb Jahrhunderten erstaunlich wenig Staub angelegt hat. Demnach besteht die Wurzel der kapitalistischen Übel im Widerspruch zwischen gesellschaftlicher Produktion und privater Aneignung des Reichtums, ermöglicht durch das Privateigentum an Produktionsmitteln und die damit zusammenhängende Ausbeutung des geschaffenen Mehrwerts der ArbeiterInnen durch die Besitzenden. Die beiden Hauptklassen der kapitalistischen Gesellschaft – die Arbeiterklasse und die Kapitalistenklasse – stehen sich somit in einem unversöhnlichen Widerspruch gegenüber, der nur gelöst werden kann, indem der parasitären (und daher gesellschaftlich überflüssigen) Kapitalistenklasse ihre ökonomische Grundlage entzogen wird. Passiert dies, so befindet man sich bereits im Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus als einem „Verein freier Menschen [...], die mit gemeinschaftlichen Produktionsmitteln arbeiten und ihre vielen individuellen Arbeitskräfte selbstbewusst als eine gesellschaftliche Arbeitskraft verausgaben.“4 Revolution durch Machtergreifung Nun ist es aber so, dass der Kapitalismus zwar für den überwiegenden Teil der Menschheit Ausbeutung, Armut und Arbeitslosigkeit sowie Krieg und Unterdrückung mit sich bringt, dass aber ein kleiner Teil auch von ihm profitiert. Und diese Kräfte sind es, die im kapitalistischen Staat die Macht innehaben und neben den Produktionsmitteln auch die meisten bewusstseinsprägenden Institutionen direkt oder indirekt kontrollieren oder zumindest beeinflussen. Der Kapitalismus kann daher nur im bewussten Kampf gegen diese Kräfte überwunden werden. Gerade dieser Kampf zwischen den ausbeutenden und ausgebeuteten Klassen ist es, der die bisherige menschliche Geschichte am entscheidensten geprägt hat. Die Orientierung, dies alleine auf „demokratischem“ Wege bewerkstelligen zu können,
ist eine naive Illusion, da die ausbeutenden Klassen, die gestürzt werden sollen, jedes Mittel ergreifen, um an der Macht zu bleiben bzw. sie gegebenenfalls zurückzuerobern. Stattdessen ist eine revolutionäre Machtergreifung durch die ausgebeuteten Klassen nötig, durch die der alte kapitalistische Staat zertrümmert und durch einen neuen, sozialistischen Staat ersetzt wird. Die Ausbeuterklassen müssen durch diesen neuen Staat an einer Restauration des Kapitalismus gehindert werden. Die Geschichte zeigt, was passiert, wenn man dies nicht konsequent genug betreibt: Man denke nur an die Abschlachtung der Pariser Kommunarden 1871 oder an die Pinochet-Diktatur nach dem CIA-geführten Putsch in Chile ab 1973.
„DIE REVOLUTIONÄRE MACHTERGREIFUNG DURCH DIE AUSGEBEUTETEN KLASSEN IST NÖTIG, DURCH DIE DER ALTE KAPITALISTISCHE STAAT ZERTRÜMMERT UND DURCH EINEN NEUEN, SOZIALISTISCHEN STAAT ERSETZT WIRD.“
Aufklärung und Organisierung Fürs Hier und Heute bedeutet das, dass man über die kapitalistische Gesellschaftsform und die strategischen Eckpunkte ihrer Überwindung aufklären und die bewussten Kräfte in Organisationen zusammenführen muss, um die antikapitalistische Wühlarbeit koordiniert angehen zu können. Beispielsweise ist eine klassenkämpferische, antikapitalistische Gewerkschaftsfraktion wie KOMintern von höchster Wichtigkeit. Ähnliche Organisationen bräuchte es auch für andere soziale Schichten, wie nicht zuletzt etwa auch für die Studierenden. Zusätzlich wird es sozialistisch-kommunistische Parteien geben müssen, die Gesamtstrategien für die Überwindung des Kapitalismus und den Aufbau des Sozialismus entwickeln und von denen sich im Zuge der Klassenkämpfe immer klarer eine Linie als die richtige herauskristallisieren wird. Dabei muss alles auf ein Ziel konzentriert sein: Der Aufbau des Sozialismus, und daher auch die revolutionäre Überwindung des Kapitalismus. Scheinbar sind wir davon heute so weit entfernt wie noch nie, schließlich haben es die Sieger des Kalten Krieges geschafft, den Kapitalismus als das Ende der Geschichte zu verkaufen. Jedoch sollte man sich vor Augen halten, dass breite Teile der Bevölkerung sehr wohl ein mehr oder weniger klares Bauchgefühl haben, dass es so, wie es ist, nicht weitergehen kann. Daran gilt es anzuknüpfen, indem man klarmacht, warum es so ist – und wie es anders eben doch weitergehen könnte.
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Zum 100. Mal jährt sich heuer die Große Sozialistische Oktoberrevolution in Russland, die zum Fanal für die weltweite sozialistische und antikoloniale Befreiungsbewegung wurde. Ins Revolutionsjahr 1917 datiert auch die Schrift „Staat und Revolution“, die der Anführer der bolschewistischen Partei Wladimir Lenin von August bis September in einer finnischen Laubhütte schrieb. Es handelt sich dabei um den Klassiker der marxistischen Staats- und Revolutionstheorie und um einen Schlüsseltext der politischen Ideengeschichte überhaupt. Er ist dies schon alleine aufgrund der Wirkmächtigkeit in den bisherigen sozialistischen Ländern sowie sozialistischen Bewegungen, eine Wirkmächtigkeit, die er gewiss auch für zukünftige sozialistische Revolutionen noch ausüben wird. Er ist dies auch aufgrund der analytischen Schärfe, mit der Lenin – in Anschluss an Marx und Engels – die Bedeutung des Staates sowie der Revolution charakterisiert. Dass die hier und andernorts dargelegte Theorie dann nicht eins zu eins mit der politischen Praxis zusammenpasste, erübrigt sich von selbst. Die beiden Seiten sind dennoch nicht als voneinander getrennt, sondern in ihrem widersprüchlichen Zusammenhang zu betrachten. Es empfiehlt sich, das Jubiläum des Revolutionsjahrs als Anlass zu nehmen, diesen Text erneut oder überhaupt einmal zur Hand zu nehmen.
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Jedes System hatte eine Intention in seiner Entstehung. Unsere Wegwerfgesellschaft tendiert leider dazu, nicht absolut funktionstüchtige Elemente rigoros aus dem Alltag zu entfernen, was die allgemeine Zufriedenheit aber nicht fördert. Warum wir eine Revolution eher als Repair-Café verstehen sollten. Von Maria Köchler
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ch schmeiß‘ jetzt alles hin und werde Prinzessin!“ Dieser Spruch spiegelt sehr gut wider, dass wir uns oft nach vollkommener Veränderung sehnen, gleichzeitig aber spüren, dass es so einfach nicht geht. Alles hinzuwerfen oder umzustürzen mag im ersten Moment wahrlich revolutionär erscheinen, doch was kommt danach? Das jüngste Beispiel kennen wir aus der Türkei: Der missglückte Militärputsch war ein Versuch einer Revolution und hat schlussendlich nur zu Hass, Verfeindung und Missachtung der Menschenrechte geführt. Eine echte Revolution bringt eine nachhaltige Änderung des Systems mit sich. Um diese Nachhaltigkeit zu gewährleisten, genügt es nicht, ein System zu stürzen. Gab es nicht auch triftige Gründe, warum gewisse Strukturen überhaupt entwickelt wurden? Wenn wir mit einem momentanen Konstrukt unzufrieden sind, warum gehen wir dann nicht zurück an die Wurzeln, gehen den ursprünglichen Zielen auf den Grund und hinterfragen, wie es zu einer negativen Entwicklung kommen konnte? Diese Vorgangsweise erfordert einiges an Mut und auch die Bereitschaft zur Selbstkritik eines Systems
oder einer ganzen Gesellschaft. Es braucht Durchhaltevermögen und ist viel Arbeit. Wenn aber die Veränderung Schritt für Schritt kommt – im Idealfall in Zusammenarbeit aller beteiligter Parteien –, so hat sie auch eine realistische Chance auf Stabilität. Revolutionen, die ein System stürzen, mögen zwar innerhalb kurzer Zeit eine grundlegende Veränderung bewirken, doch langfristig gesehen herrschen Unsicherheit und Instabilität vor, bevor das neue System stark auf eigenen Beinen steht – wenn es denn überhaupt so weit kommt. Wir scheuen oft den arbeitsintensiveren Weg, weil wir es uns leicht machen wollen, nur um im Nachhinein festzustellen, dass wir uns noch mehr Arbeit aufbürden, weil wir zu vieles versäumt haben. Ein vorhandenes System zu verbessern, sich negativ auswirkende Elemente zu entfernen und neue vielversprechende Aspekte hinzuzufügen, erspart uns eine Phase großer Unsicherheit und zielt stattdessen auf Beständigkeit und Nachhaltigkeit ab. Wir können schon alles hinschmeißen, aber um Prinzessin zu werden, müssen wir unser Haus in ein Schloss umbauen.
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Der Kapitalismus ist eine Einbahnstraße, die durch eine enge Gasse auf eine kilometerhohe Klippe zuführt. Boom. Versucht mal eine Begegnung mit irgendeiner Person so zu starten, kommt gut an. Ändert aber alles nichts daran, dass es absolut wahr ist. Und um auszubrechen, kann es nur eine Lösung geben. Ein Aufruf zur Revolte von Miggi Seifert
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eien wir mal ehrlich – wir stecken fest. Festgefahren in Strukturen, aus denen wir nicht mehr ausbrechen können, wird von Jahr zu Jahr alles schlimmer. Und ich meine jetzt nicht die zahlreich betrauerten Promi-Tode im Jahr 2016. Wenn ihr zurückblickt auf das vergangene Jahr und statt den weltpolitischen Ereignissen an Person XY denkt, dann ist euch sowieso nicht mehr zu helfen.
Radikale Veränderung. Umsturz. Grundlegende Neuerung. Tief greifende Wandlung. Klingt das danach, ein zerstörtes System als Anhaltspunkt zu nehmen und darauf aufbauend Verbesserung zu schaffen? Sollen wir wirklich versuchen eine gescheiterte Idee zu neuem Glanz zu führen? Oder wäre es nicht endlich an der Zeit die Zügel selbst in die Hand zu nehmen und umzudenken?
Die Menschheit ist faul und dumm geworden. Statt endlich von der Couch aufzustehen und wieder mal etwas anzuzünden, sieht man lieber zu, wie sich die Lugners dieser Welt immer mehr Geld in die Taschen stecken, fügt sich dem System und buckelt, im Glauben nicht ausbrechen zu können. Dass das nur eine faule Ausrede ist, sollte eigentlich klar sein, aber das verdrängt man mit Sätzen wie "Was kann ich allein schon ausrichten?" Wie wäre es bei dieser Frage an eine Rosa Luxemburg, die Scholl-Zwillinge oder eine Rosa Parks zu denken? Wir alle wünschen uns die Revolution. Und wenn wir von Revolution sprechen, sollte uns klar sein was wir eigentlich meinen:
Passieren wird meine Wunschvorstellung vermutlich nicht. Dafür muss anscheinend noch viel mehr im Argen liegen als ein US-Präsident Trump, der im stillen Kämmerlein mit Putin rummacht, ein Vereinigtes Königreich, das die Europäische Union verlassen wird, ein weltweiter Rechtsruck diverser Länder (Tu Felix Austria), Religionskriege, die sich eigentlich nicht um den Glauben drehen – die Liste lässt sich ewig weiterführen. Und das Schlimmste daran ist, dass niemand merkt, worum es wirklich geht: Geld. Unser so hochgelobtes, kapitalistisches System hat uns zu dem gemacht, was wir heute sind. Faule, verbitterte und feige Individuen, die jede Art des Konfliktes scheuen.
Revolution, die 1. auf radikale Veränderung der bestehenden politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse ausgerichteter, gewaltsamer Umsturz[versuch]. 2. umwälzende, bisher Gültiges, Bestehendes o. Ä. verdrängende, grundlegende Neuerung, tief greifende Wandlung.
Dabei wäre es nicht so schwer, bedenkt man wieviele von diesem Apparat profitieren und wie groß der Rest ist. Wir sind immer noch die 99 Prozent, die nicht auf dem Reichtum und Einfluss sitzen. Es liegt an uns, diesem System den Mittelfinger zu zeigen und neu anzufangen. Stattdessen bleiben wir aber vermutlich noch ein paar Jahre auf der Couch sitzen bis es zu spät ist.
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Der Schwerpunkt „Revolution“ in einer Zeitschrift von und für Studierende wirft die Frage auf: Was bedeutet es für Studierende im Hier und Heute, revolutionär tätig zu sein? Die Hauptaufgabe scheint im Moment zu sein, eine Organisation zu bilden, die all jene Studierenden umfasst, die bereit sind, konsequent – und das impliziert letztlich: mit revolutionärer Orientierung – für ein finanziell abgesichertes und selbstbestimmtes Studieren an einer demokratischen Universität zu kämpfen. Von Stefan Klingersberger
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ie Misere des österreichischen Universitätssystems ist bekannt: Massive soziale Selektion, Geldmangel an allen Ecken und Enden, Verschulung, undemokratische Strukturen, Ausrichtung der Lehre und Forschung an Profitinteressen. Wie lässt sich das ändern? Durch das richtige Kreuzerl am Wahlzettel? Wohl kaum, egal ob bei Nationalratswahlen oder bei ÖH-Wahlen. Die Parlamentsparteien haben kein Interesse an grundlegenden Verbesserungen des Universitätssystems, ihr Auftrag ist die Verwaltung des Kapitalismus und damit auch die Ausrichtung der universitären Lehre und Forschung an Profitinteressen. Die ÖH wiederum wird von Ablegern ebendieser Parteien dominiert. Sie sollte zwar anscheinend die Interessen der Studierenden vertreten, beschränkt sich aber bestenfalls darauf, durch „zähe Verhandlungen“ weitere Verschlechterungen abzuschwächen. Um grundlegende Verbesserungen durchzusetzen, müsste man aber von der Defensive in die Offensive übergehen. Ganz allgemein lässt sich sagen, dass bloße parlamentarische Stellvertreterpolitik immer den Effekt mit sich bringt, Widerstand in das bestehende System zu integrieren und so unwirksam zu machen. Die Geschichte lehrt, dass grundlegende Verbesserungen nur durch den gemeinsamen Kampf derer erreicht
werden können, die objektives Interesse daran haben. Bestätigt wird das im Universitätssystem auch dadurch, dass die letzten Verbesserungen durch die uni:brennt-Bewegung 2009 erkämpft wurden. Wie chaotisch und widersprüchlich diese Bewegung auch gewesen sein mag – sie konnte einige Verbesserungen erkämpfen. Diese waren zwar nicht mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein, aber eben sehr wohl mehr als etwa die ÖH durch „zähe Verhandlungen“ erreicht. Es braucht mehr als Stellvertreterpolitik, es braucht eine Studierendenbewegung. Bewegung braucht Organisation Die Wurzel aller Probleme und Schwächen der uni:brennt-Bewegung war, dass sie sich auf keine einheitliche, kämpferisch eingestellte Studierendenorganisation stützen konnte. Die bloße „Spontanität der Massen“ ist nun einmal zu wenig, das zeigt sich auch daran, dass sich die Bewegung ebenso spontan wieder auflöste wie sie entstanden war. Seither – immerhin schon seit über sieben Jahren – gab es in Österreich auch keine ernstzunehmenden Studierendenproteste mehr, obwohl die Notwendigkeit und Dringlichkeit seither noch weiter gewachsen ist. Die Bewegung bräuchte Kontinuität, und das bedeutet aber: Organisation. Es ist eine Organisation erforderlich, die möglichst
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alle Studierenden umfasst, die bereit sind, konsequent für ein finanziell abgesichertes und selbstbestimmtes Studieren an einer demokratischen Universität zu kämpfen. Zu den Aufgaben einer solchen Organisation müsste gehören, über die allgemeinen Missstände an den österreichischen Universitäten aufzuklären, konkrete Probleme vor Ort aufzugreifen und Protestmaßnahmen zu organisieren.
„ES IST EINE ORGANISATION ERFORDERLICH, DIE MÖGLICHST ALLE STUDIERENDEN UMFASST, DIE BEREIT SIND, KONSEQUENT FÜR EIN FINANZIELL ABGESICHERTES UND SELBSTBESTIMMTES STUDIEREN AN EINER DEMOKRATISCHEN UNIVERSITÄT ZU KÄMPFEN.“ Zum Beispiel könnte eine Kampagne darüber geführt werden, dass die Studienbeihilfe in den letzten zwanzig Jahren um ein Fünftel geringer wurde (wenn man die Inflation gegenrechnet) und sowieso viel zu niedrig ist. Dabei sollte die Forderung nach der ausständigen Anpassung sowie nach einer Erhöhung und Ausweitung durch eine ausführliche Argumentation unterlegt sein, auf Basis derer man eine breitangelegte Flugblattaktion samt Mundpropaganda starten könnte, flankiert durch Infotische und Diskussionsveranstaltungen und kulminierend in der Mobilisierung zu einer Demonstration. Bereits eine Handvoll engagierter Leute könnte so eine Kampagne starten, im Zuge derer aber vermutlich auch weitere KollegInnen zur Mitarbeit oder zumin-
dest Solidarisierung zu überzeugen wären. Etwaige politische Fraktionierungen beteiligter Personen dürfen in dieser Organisation keine Rolle spielen – und ohnehin sollte es Ziel sein, vor allem auch Studierende organisatorisch einzubinden, die noch nicht bereits anderweitig politisch eingebunden sind. Entscheidend ist jedenfalls die Grundorientierung des konsequenten Kampfes für die Interessen der Studierenden in Form einer organisierten Bewegung. Das bedeutet auch, dass sich diese Organisation von keiner anderen Organisation abhängig machen darf. Diese Grundorientierung bedingt auch eine flexible Handhabung gegenüber der ÖH-Strukturen: Je nach den Gegebenheiten kann es taktisch sinnvoll sein, die ÖH zu bekämpfen und zu entlarven, in konkreten Fällen mit ihr zusammenzuarbeiten oder auch als eigenständige Liste zu ÖH-Wahlen zu kandidieren. Einzelne StVen könnten ihre Strukturen für diese Organisation nutzbar machen, sie kann sich andernorts aber auch als Alternative zu einer untätigen oder opportunistischen StV betätigen. Nur eine taktisch flexible, aber strategisch klar ausgerichtete Organisation wird imstande sein, kontinuierlich zu wachsen und das Rückgrat und die vorderste Front für Kämpfe zugunsten grundlegender Verbesserungen im österreichischen Universitätssystem zu bilden. Das Potential, bereits in kurzer Zeit einen ersten Kern für eine solche Organisation zu bilden, ist vorhanden. Die Frage ist, ob man solche Überlegungen nur bejaht oder ob man auch selber den Arsch hochkriegt.
Salzburg. Um Studierendenproteste sieht es in den letzten Jahren eher mau aus. Hier ein Archivbild einer Demonstration gegen Studiengebühren. Erforderlich wäre eine kontinuierliche, also organisierte Studierendenbewegung.
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1917 war im Ersten Weltkrieg das Jahr der Wende. Das Jahr, in dem die alten politischen Systeme anfingen zu bröckeln und sich eine neue Weltordnung - ohne monarchische Tyrannen oder Krieg – begann, den Weg zu bahnen. So zumindest hoffte man das damals. Schauen wir uns also anlässlich des in Bälde anstehenden 100. Jahrestages der russischen Februarrevolution an, was damals wirklich passiert ist. Von Christof Fellner
Z
u Beginn sollte man gleich mit einem Missverständnis aufräumen. Die Februarrevolution fand zwar in einem Februar statt, aber einem solchen des Julianischen Kalenders, während in den Ländern des gregorianischen Kalenders bereits März war (folglich fand auch die Oktoberrevolution zu einem Zeitpunkt statt, als andernorts schon November war). Russland befand sich seit mehr als zwei Jahren im Ersten Weltkrieg gegen die Mittelmächte und die Situation stand schlecht. Mehrere Niederlagen an der Front zum Deutschen Reich, gepaart mit der mangelnden Versorgung an Lebensmitteln und den miserablen Arbeitsbedingungen in den Fabriken des autokratisch regierten
Staates, ließen die Autorität des Zaren immer schneller bröckeln. Nikolaus II. und seine Regierung schaffen keinen Frieden, weder durch Sieg noch durch Verhandlungen, der Krieg geht in unerbittlicher Härte weiter, Monat für Monat, Jahr für Jahr. Eine Situation, die 1905 bereits einmal zu einer Revolution geführt hat, wiederholt sich. Damals verliert das gut gerüstete Zarenreich den Krieg gegen das vergleichsweise kleine Japan und damit erheblich an Einfluss in Ostasien. Außenpolitisch ist Nikolaus II. geschwächt und innenpolitisch mehr denn je hinterfragt. Es kommt zum ersten Versuch eines Umsturzes, der aber noch zurückgeschlagen werden kann. Russland bekommt jedoch eine Verfassung und ein Parlament, die Duma. Ein kleines Zugeständnis, denn wirklich eingeschränkt ist der Zar durch sie nicht.
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1914 bricht der erste Weltkrieg aus, und auch in Russland strömen viele zunächst begeistert zu den Waffen. Doch was auch dort als kurzer Waffengang gegen alte Feinde angekündigt wird, zieht sich mehr und mehr in die Länge. Millionen stehen an der Front oder in den Waffenfabriken. Die Versorgungslage ist prekär, und jedwede politische Liberalisierung wird durch den Zaren verweigert. Als es zu Unruhen kommt, verweigern die in die Hauptstadt beorderten Truppen den Schießbefehl. Nikolaus II. dankt im Angesicht der Lage ab, auch für seinen noch minderjährigen Sohn. Michael II., sein Bruder, soll die Monarchie nun retten. Doch auch der verzichtet nach nur einem Tag auf den Thron, denn seine Hoffnung, durch eine Nationalversammlung gewählt zu werden, zerschlägt sich. Die Duma stellt sich derweil auf die Seite der Revolutionäre, es bilden sich Arbeiter- und Soldatenräte, die sogenannten Sowjets. Die Duma wird von bürgerlichen und liberalen Kräften beherrscht, die Sowjets von Sozialrevolutionären (den Menschewiki) und Sozialdemokraten (den Bolschewiki, erst später zur Kommunistischen Partei umbenannt). Einst waren diese beiden Gruppierungen eine Partei, die sich jedoch ob der Frage, wann und wie eine Revolution stattzufinden habe, spaltete und von da an getrennte Richtungen gegangen waren, und auch verschiedentlich weiterentwickelten. Die Menschewiki bildeten mit den bürgerlichen und liberalen Kräften eine Regierung, verblieben aber im Krieg und unterstützten weiterhin Frankreich und das Vereinigte Königreich, die Entente, da sie keine Gebietsverluste hinnehmen wollten. Der wichtigste Grund, warum die Revolution überhaupt stattgefunden hatte, nämlich der Friedensschluss, war somit nicht erreicht. Neuer starker Mann dieser Regierung wurde Alexander Kerenski. Ein Sozialrevolutionär, der eine neue Offensive startete. Doch auch ihr war das selbe Ende beschieden wie der letzten Offensive des Zaren, sie brach rasch zusammen. Lenin, der Führer der Bolschewiki, trat bereits länger für einen Frieden mit den Mittelmächten ein, freilich auch ohne gegenseitige Annexionen und Reparationen (d.h. Kriegsentschädigungen). Das Deutsche Reich hatte ihn, natürlich nicht uneigennützig, nach Russland verbracht, um dort gegen die Fortsetzung des Krieges und um die Macht zu kämpfen. Diesen Kampf konnte Lenin schließlich siegreich beenden. Mit der erneuten Niederlage standen Kerenski und seine Regierung mit dem Rücken zur Wand. Die längst geplante Wahl zur verfassunggebenden Nationalversammlung brachte den Linken Kräften die Mehrheit.
Jedoch nicht den Bolschewiki alleine, und schon gar keine absolute. Wenig später, noch im Oktober, gelang es den Bolschewiki, mittels eines gewalttätigen Umsturzes, ausgelöst durch den berühmt-berüchtigten Schuss des Kreuzers „Aurora“ auf den Winterpalast, die ehemalige Residenz der Zaren, die Macht zu ergreifen und dies auch durch die gerade tagende Versammlung der Sowjets (eine sich von der Nationalversammlung unterscheidende Institution) absegnen zu lassen. Damit hatte Russland in einem Jahr eine zweite Revolution gesehen, und diesmal war sie erfolgreich. Der Krieg wurde beendet, zu für Russland katastrophalen Bedingungen. Doch Lenin schien das nicht zu stören, denn die Weltrevolution würde ohnedies die Kapitalisten bald hinfort jagen. Doch er sollte sich irren. Russland versank im Bürgerkrieg und anschließend entfaltete sich die alleinige Herrschaft der neuen Kommunistischen Partei, die in den Sowjets jetzt allein das Sagen hatten. Die verfassunggebende Nationalversammlung beendete ihre Arbeit nicht, erst mit dem Umsturz 1991, vor mehr als 25 Jahren, wurde die Diktatur in Russland beendet. Ob das Land seither zu einer Demokratie wurde, ist freilich immer noch fraglich. Welches Fazit kann man nun, ein Jahrhundert später, über die Februarrevolution ziehen? Sie war der offenbar notwendige Umsturz eines reformunwilligen und -unfähigen Systems, der aber mangels der wichtigsten Reform, nämlich des Kriegsendes, selbst von einer neuerlichen Revolution gestürzt wurde, deren Ziel die Macht für eine einzelne Partei war. Es ist müßig, darüber zu diskutieren, was gewesen wäre wenn. Auch eine längerfristig existente Regierung Kerenskis, in welcher Verfassungskonstruktion dann auch immer, hätte sich jenen Problemen zu stellen gehabt, denen später die Regierung Lenins gegenüberstand. Dazu zählen Hunger, Unruhen und Bürgerkrieg. Ein Staat kann nur auf der Basis einer tatsächlichen Legitimität funktionieren, die aber ohne äußeren Frieden genauso wenig erreicht werden kann, wie ohne die grundsätzliche Anerkennung der Interessen des Gegenübers. Ich wage aber zu behaupten, dass die Februarrevolution Russland besser gedient hat als jene im Oktober, da zumindest die Möglichkeit einer solchen Diskussion in der Nationalversammlung gegeben war. Eine Lehre kann man aus den Revolutionen des 20. Jahrhunderts, und auch all den daraus entstandenen Demokratien und Diktaturen ziehen: Politisch handeln wollen viele in unserem Namen, doch denken und handeln, das können – ja müssen - wir nur selber tun.
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© Oto Godfrey and Justin Morton/Wikipedia
2017. Ginge es nach Doctor Emmett Brown würden wir im Jahr 2017 längst mit fliegenden Untersetzern die Troposphäre unsicher machen, selbstschnürende Schuhe tragen und nach einem langen Unitag unser Hoverboard in der Garage parken. Tatsächlich kriegen wir im Jahr 2017 aber teilweise noch nicht mal die banalsten und selbstverständlichsten Dinge gebacken (Stichwort: Toleranz und Gleichberechtigung), was den Verdacht aufkommen lässt, dass wir noch lange nicht in der Zukunft angekommen sind – vielmehr fühlt man sich an so manchem Tag und während so mancher anti-feministisch angehauchten Diskussion schlagartig ins tiefste Mittelalter zurückversetzt, wenn darüber debattiert wird, was Frauen angeblich (nicht) dürfen, können, sollen und müssen. Ein Gedankenmosaik von Sandra Grübler Doc, der Flux-Kompensator ist hinüber! Frauen in Führungspositionen? Selten. Gender Pay Gap? Gigantisch. Weiblichkeit? Klar definiert. Toleranz gegenüber individuellen Lebensentwürfen? Verschwindend gering. In welcher Zukunft sind wir da gelandet?, fragt man sich und hofft, bloß den falschen Spielfilm eingelegt zu haben. Kinder, Karriere und Klischees Bei einem Gespräch mit der Lehrerin, die mich während meines Schulpraktikums betreut, wird das Thema Lernmotivation angesprochen. An und für sich nicht ungewöhnlich, ist Motivation doch ein essentieller Faktor für das Lernen und damit für das Gelingen von Unterricht – doch lässt mir das, was mir erzählt wird, die Haare zu Berge stehen. Da viele Schülerinnen in den letzten Jahren vermehrt auffällig wenig Engagement und schlechte Leistungen zeigten, wurde an der Schule eine Umfrage durchgeführt, in der die Schülerinnen nach ihren Zukunftsplänen und -wünschen befragt
wurden und über das Ergebnis – so meine Betreuungslehrerin – wurde nicht schlecht gestaunt. Ungemein viele gaben nämlich an, keine anderen Pläne zu haben, als Hausfrau und Mutter zu werden. Weitere (Aus-) Bildung schlossen viele der befragten Mädchen für sich von vornherein aus, die eigenen schulischen Leistungen tangierten sie deshalb auch nur peripher. Sowohl für ein Heim als auch für eine Familie zu sorgen, sind schöne und auch wirklich anspruchsvolle Aufgaben – doch als Studentin und leidenschaftliches Arbeitstier haben mich die Angaben der jungen Schülerinnen zugegebenermaßen wirklich kalt erwischt, träumte ich in ihrem Alter ganz nach dem Motto DREAM BIG! von einem All-inclusive-Karrierepaket als Starautorin, Gerichtsmedizinerin und Bass-Gitarre spielende Motorradrennfahrerin (Plan B: Meeresbiologin mit Pilotenschein und mittelgroßer Pferderanch). Während das Recht der Frau, zu arbeiten, über viele Jahre erkämpft wurde, findet nun – zumindest hat es in dem Fall so den Anschein – eine Kehrtwende statt: vom Öffentlichen
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wieder ins Private, vom Arbeitsplatz zurück ins Haus. Reversed Revolution. Und so sehr mich dieser Wunsch erstaunt und ein klein wenig befremdet, ist er natürlich vollkommen legitim und in Ordnung. Ebenso in Ordnung, wie der Wunsch, Karriere zu machen und/oder auf Kinder zu verzichten. Auch für diese Entscheidung sollte man sich im Jahr 2017 nicht gefühlt 274 Mal täglich rechtfertigen müssen. Tatsächlich scheint eine Frau, die das Mutter-Dasein ablehnt, für viele jedoch den Anfang vom Ende zu bedeuten; und natürlich wird die befürchtete Apokalypse eingeläutet mit dem bösen F-Wort. Feminismus. Grrrrr. So viele Befürworter und Unterstützer die weibliche Revolution nämlich hat, so viele Gegner hat sie auch. Das Wort Feministin wird nach wie vor – von VertreterInnen beider Geschlechter – als Schimpfwort ge-/ missbraucht (auch wenn es 2016 vom Gutmenschen vom Stockerlplatz geschubst wurde) und generell und überhaupt scheinen in Punkto Frau-Sein und Weiblichkeit in so manchen Köpfen ganz klare Vorstellungen zu herrschen: „Der vom Thron des Familienoberhaupts gestoßene Mann sehnt sich unverändert nach einer Partnerin, die, trotz hipper den-Mädels-gehört-die Welt-Journale, in häuslichen Kategorien zu denken imstande ist, deren Brutpflegetrieb auferlegte Selbstverwirklichungsambitionen überragt. Die von feministischem Dekonstruktionsehrgeiz zur selbstverwirklichungsverpflichteten Geburtsscheinmutter umdefinierte Frau sehnt sich unverändert nach einem ganzen Kerl, der ihr alle die emotionalen und ökonomischen Sicherheiten gibt, die eine junge Mutter braucht, um sich mit weitgehend sorgloser Hingabe dem Nachwuchs zuwenden zu können.“1 Eine Frau, die auf Karriere verzichtet, schöpft ihr Potenzial nicht aus. Eine Frau, die Karriere macht und dafür vielleicht sogar auf die Mutterschaft verzichtet, ist eine feministische Emanze mit Dekonstruktionsehrgeiz (was für eine Wortschöpfung, liebe FPÖ!). Und eine Frau, die sich dafür entscheidet, sowohl für eine Familie zu sorgen, als auch berufliche Ambitionen zu verfolgen, darf sich nur noch Geburtsscheinmutter oder bestenfalls Rabenmutti schimpfen. Confused? Same here. Und last but not least: Frauen sehnen sich nach ganzen Kerlen! Jawohl! Zwischen Body- und Slut-Shaming Lebt eine Frau ihre Sexualität aus, umgibt sie bald eine diffuse Gerüchte-Aura, während man von einer männlichen Dorfmatratze noch nie gehört hat. Sexuelle Be-
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lästigung wird in vielen Fällen als Kavaliersdelikt abgetan („Wer sich so anzieht, ist ja darauf aus!“), von dem sich rund 75% aller Frauen betroffen fühlen (eh nur 75%! – Info: www.gewaltinfo.at). Neben das Slut-Shaming reiht sich das nicht minder perverse Body-Shaming – gegründet auf präzisen Vorstellungen, wie sich eine Frau zu verhalten und auszusehen hat. Wird dünnen Frauen – auch von Geschlechtsgenossinnen – erklärt, „nur Hunde würden gerne mit Knochen spielen“, schließlich „müssten echte Frauen Rundungen haben“, wird beleibteren Mädels attestiert, sie würden über kein Sex-Appeal verfügen. Und Frauen mit Muskeln wird mit der Aussage „Du siehst ja aus wie ein Kerl!“ anhand ihres geringen Körperfettanteils gleich ganz ihre Weiblichkeit abgesprochen (gehört ja nicht mehr dazu, ne?). Sowohl Männer als auch Frauen gehen hart mit dem weiblichen – wenn auch selten mit dem eigenen – Körper ins Gericht. Eine Portion Selbstbestimmung, per favore! Familienfeier. Die Cousine zweiunddreißigsten Grades setzt sich schnaufend auf den Stuhl neben mir, das Kleid spannt über dem nicht mehr zu übersehenden Babybäuchlein. Ich setze an, ihr zu gratulieren, da schießt es aus ihr heraus: „Ich wollte ja eigentlich keines mehr, aber er freut sich so!“. Ich schlucke meine Glückwünsche hinunter, zusammen mit meiner Verwunderung darüber, welch kleine Rolle Eigenverantwortung und Selbstbestimmung im Leben mancher spielen, während ich diese Werte und Privilegien gar nicht hoch genug halten kann. Männlein und Weiblein: Was sie dürfen, können, sollen, müssen. War die weibliche Revolution erfolgreich? Unbestritten hat sich in den letzten Jahrzehnten viel getan in Sachen equal rights. Gleichzeitig hat man manchmal das Gefühl, noch einen langen Weg vor sich zu haben, bis zu dem Tag, an dem Frauen jene Rechte in Anspruch nehmen dürfen, die für unsere männlichen Artgenossen schon seit Jahrzehnten selbstverständlich sind. War die weibliche Revolution erfolgreich? Gute Frage. Nächste Frage. Sie ist noch in vollem Gange. Denn was jede Revolution erfordert, ist ein Umdenken. Ein kollektives Umdenken – das in Bezug auf weibliche Lebensführung noch nicht ausreichend stattgefunden hat. Das 21. Jahrhundert hat mittlerweile seinen 17. Geburtstag gefeiert, befindet sich also in der schlimmsten Phase der Pubertät, in der wohl keiner so ganz genau weiß, was er will. Das Gute: Es hat noch Zeit zu reifen, erwachsen zu werden, Zeit, seinen Generationen die Erkenntnis (frei nach Lessing) zu vermitteln: Kein Mensch muss müssen. Weder Frau noch Mann.
1 FPÖ: „Für ein freies Österreich. Souveränität als Zukunftsmodell“ [https://www.fpoe.at/ fileadmin/user_upload/ Souveraenitaet_als_Zukunftsmodell.pdf ]
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REVOLUTION
Angus Bancroft, Drugs, Intoxication and Society.
Revolutionen gibt es nicht nur im gesellschaftspolitischen Zusammenleben. In der Wissenschaft verlaufen sie weit weniger blutig – zumindest im Vergleich mit den anderen Umstürzen im Schwerpunkt. Von Christoph Mödlhamer
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issenschafterInnen betreiben Forschung. So weit, so klar. Dabei entstehen Theorien. Manche davon sind so bahnbrechend, dass sie die gesamte Disziplin erschüttern und unseren Blick grundlegend wandeln. Dabei spricht man in der Wissenschaftstheorie vom Paradigmenwandel. Der Begriff wurde vom US-Physiker und Philosophen Thomas S. Kuhn 1962 in seinem Werk „The Structure of Scientific Revolutions“ geprägt. Nach der Paradigmenentstehung… Wissenschaftliche Paradigmen entstehen zuvorderst durch die intensive Beschäftigung mit einem Gegenstand. Dadurch bilden sich wissenschaftliche Disziplinen. Durch die wissenschaftliche Betätigung werden Theorien generiert. Je nach Intensität der Beschäftigung oder der Anzahl an Beteiligten entstehen miteinander konkurrierende Theorien. Diejenige mit dem größten Erklärungsgehalt und die sich durchsetzt, verfestigt sich zum Paradigma – einem grundsätzlichen Erklärungsmodell. Dieses in einer Disziplin vorherrschende Paradigma leitet nun die wissenschaftliche Praxis an: es identifiziert Probleme und gibt Methoden vor. …über die normale Wissenschaft… Das bestehende Paradigma bietet den Rahmen für die Forschung. Es wird nicht hinterfragt. Es gibt eindeutige Regeln und Normen, die zu untersuchenden Probleme und die verwendeten Methoden vor. Erst dadurch wird die nötige Tiefe und Genauigkeit von Wissenschaft ermöglicht. Die innerhalb eines Paradigmas betriebene Forschung nennt sich normale Wissenschaft. Normal deshalb, weil sie innerhalb des Rahmens abläuft, den das
herrschende Paradigma vorgibt: ForscherInnen stellen Theorien auf und bearbeiten Probleme, die durch das Paradigma klar als lösbare Probleme identifiziert werden. Kuhn bezeichnet dies als „puzzle solving“. …zum Paradigmenwandel Durch normale Wissenschaft können Entdeckungen gemacht werden, die das dominierende Paradigma nicht erklärt. Neue Theorien entstehen, die dem verbreiteten Erklärungsmodell widersprechen. Dies wird als Auftreten einer Anomalie bezeichnet, die das Paradigma herausfordert. Häufen sich derartige Entwicklungen wird das bestehende Paradigma mehr und mehr hinterfragt. Zweifel entstehen. Alternativen werden gesucht. Gelingt es, einen alternativen Erklärungsansatz zu finden, der die Theorie, die das ursprüngliche Paradigma in Erklärungsnot brachte, umfasst, entsteht ein neues Paradigma. Die Wissenschaftscommunity teilt sich dann in Lager: die Paradigmen stehen im Wettbewerb. Jede Seite versucht, die Erklärungskraft ihres Paradigmen mit Theorien zu untermauern. Gelingt dies den AnhängerInnen des bestehenden Paradigmas nicht, kommt es zur wissenschaftlichen Revolution – zum Paradigmenwandel („paradigm shift“). Das abgelöste Paradigma wird obsolet, denn sie sind unvereinbar. Kuhn nennt das Inkommensurabilität. AnhängerInnen des alten sind gezwungen sich dem neuen anzuschließen, oder aus dem Wissenschaftsbetrieb auszuscheiden. Nach dem Paradigmenwandel müssen alte Theorien und Erkenntnisse überprüft, verworfen oder modifiziert werden. Neue Probleme werden identifiziert, neue Methoden und Theorien werden im nun vorherrschenden Paradigma entwickelt. So funktioniert radikaler wissenschaftlicher Fortschritt.
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NEUES AUS DEM
Wiebke Fischbach (GRAS), Vorsitzende
VORSITZBÜRO
Ivana Ristic (VSStÖ), 1.stv. Vorsitzende
Felix Klein (GRAS), 2. stv. Vorsitzender
Endlich in Salzburg angekommen!
Ene mene muh und rein kommst du.
Hintergrundarbeiten
Begonnen habe ich mein Studium nämlich eigentlich in Mainz, wo ich Philosophie und Französisch im „Cursus intégré“ studiert habe, was bedeutet, die Hälfte des Bachelors in Frankreich zu studieren. Coole Sache eigentlich, doch nach Antritt meines Auslandsaufenthaltes wurde mir recht schnell klar, dass ein Studium in Frankreich nichts war, was ich mir antun wollte. Ein voller Stundenplan, der keine Freiheiten zuließ, Dozentenvorträge statt kritischen Nachfragen und einer aktiven Teilnahme und Hausübungen, die handschriftlich abzugeben waren. Das alles passte nicht in mein Bild eines Studiums, in dem es Freiraum für Engagement gibt und eigenständige Weiterbildung möglich ist. Eine eingreifende Hochschulpolitik ist essentiell, das ist mir in Frankreich bewusst geworden. Umso mehr möchte ich mich nun als ÖH-Vorsitzende für mehr Vielfalt im Studium einsetzen, für bessere Studienbedingungen kämpfen und die ÖH öffnen, damit sich mehr Studierende engagieren können.
Über die (viele) Arbeit die, die AGenten (absichtlich nicht gegendert, das mögen die nämlich nicht) gemacht haben (oder auch nicht), möchte ich in meinem Text nicht schreiben. Das ist alles im alten Jahr passiert, ich habe noch ein halbes Jahr Vorsitzzeit vor mir und konzentriere mich viel lieber darauf: auf eine konstruktive Zusammenarbeit mit allen, die gerne zusammenarbeiten möchten. Neue Projekte und Kooperationen stehen schon in den Startlöchern bzw. sind schon vor Fertigstellung. Ich bin sehr motiviert und freu mich auf das neue Vorsitzteam und die Konstellation in den einzelnen Referaten. Was aus allen bisherigen Diskussionen ausgenommen wurde, ist die Tatsache, dass sich so kurzfristig auch tatsächlich Personen finden konnten, die neben dem Studium, der Arbeit und allen persönlichen Aufgaben, auch noch ehrenamtlich in der ÖH mitwirken können. Der ÖH Vorsitz, und das könnt ihr mir glauben, ist quasi ein Teilzeit- bis Vollzeitjob. Je nachdem wie sehr man sich engagiert.
Trump, Brexit, Hofer: 2016 war ein hartes Jahr. Auf einmal hat es nicht mehr gereicht nur einen Like auf Facebook zu setzen. Nein, man musste selbst aktiv werden um Schlimmeres zu verhindern. Dazu waren viele Menschen bereit, denen es nicht egal war, was um sie herum passierte. Es waren vor allem Studierende, welche sich für eine befreite Gesellschaft ohne Benachteiligung eingesetzt haben. Auch der (Lebens-)Raum Universität ist davon nicht losgelöst. Denn wer hat nun wirklich freien Zugang zu Bildung? Und steht am Ende des Studiums der mündige Mensch oder ist alles nur Vorbereitung für die Verwertung am Arbeitsmarkt? Ich setze mich im Vorsitzteam für ein besseres Studium in einer besseren Welt ein, denn Universität kann nicht ohne Gesellschaft gedacht werden. Schließlich hilft der beste Gratis-Kaffee nichts, wenn man von Trump regiert wird.
Eine Danksagung von unserem charmanten Wirtschaftsreferenten Gerald Lindner: Wir haben Anfang Oktober einen Spendenaufruf für die Mensakarten an alle Salzburger und oberösterreichischen Gemeinden ausgeschickt, aus denen Studierende an der Uni Salzburg gemeldet sind. Wir möchten uns herzlich bei folgenden Gemeinden bedanken, die uns seit der letzten Ausgabe unterstützt haben: Oberhofen am Irrsee und Filzmoos Und allen weiteren Gemeinden die gerade dabei sind, uns zu unterstützen.
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fellner ’sche weis heiten
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INTELLIGENZSTEIGERNDE
SUBSTANZEN
PO (Elixier Pro Olympia) ist allen bekannt, die rund um die Weihnachtstage ferngesehen haben. Es handelt sich dabei um ein aufputschendes Mittel, mit dem die Römer die Olympischen Spiele vor den Galliern gewinnen wollen. Sie scheitern zwar damit, zeigen uns dafür aber umso Erstaunlicheres auf. Mittelchen zur Steigerung menschlicher Fähigkeiten gibt es wie Sand am Meer. Vom Abführmittel bis zum Valium, alles frei erhältlich. Nur eine Fähigkeit scheint nicht darunter zu sein, die man verbessern kann: Die menschliche Intelligenz. Doch weit gefehlt. Findige Studierende schafften es, auch diese zu verbessern. Angefangen von Koffein in verschiedenen Stärken (in Reinform als Kautablette oder in besser schmeckender Kaffeeform) über verschiedene Teesorten (Grüntee, „Studententee“) oder Guarana. Streng genommen sind das alles Aufputschmittel. Sie machen niemanden intelligenter, aber sie sorgen dafür, dass wir länger lernen können und körperlich mehr aushalten. Mein Lehrer beschrieb etwa Guarana als ein Zeug, das die Einwohner Südamerikas einnahmen, um anschließend bei der Jagd drei Tage durch den Wald tigern zu können. Der Sinn dahinter war und ist klar: Ziele, die nicht an einem Tag erreicht werden können, benötigen Ausdauer und Kraft. Das gilt beispielsweise auch auf der Jagd, sei es nun der Jagd nach Tieren oder Noten. Im Prinzip also gar nicht so blöd, gerade wenn man an das Lied „Auf geht’s, ab geht’s, drei Tage wach“ denkt. Diese Stoffe sind besonders für die Phase des Binge-Learning geeignet, jene Zeit im Jahr also, in der die Studierenden, die nicht das ganze Semester über mitgelernt haben, alles in sich hineinstopfen, um es dann bei der Prüfung im Jänner oder Juni, oder auch bei irgendwelchen Referaten, die am Vormittag oder in der Nacht zuvor zusammengeschustert werden, das ganze Wissen auszukotzen – metaphorisch gemeint selbstverständlich. Die Ergebnisse sind nicht immer zwangsläufig die besten, aber es heißt ja bekanntlich nicht umsonst „Vier gewinnt“. Und jetzt einmal ehrlich, das haben wir wohl alle schon einmal gedacht oder auch so gemacht. „Nutzt's nix, so schadet's auch nix“, so könnte man darüber wohl denken. Aber ganz so einfach ist das nicht. Nicht nur, dass wir uns damit einem höchst ungesunden Stress aussetzen, schaden wir auch anderweitig langfristig unserem Körper mit einer derartigen Behandlung. Und je länger das Studium dauert, desto unangenehmer wird die ganze Sache. Etwa zu hoher Blutdruck wegen zu viel Schwarztee. Und noch eine andere Sache. Ich persönlich würde dazu raten, trotzdem während des Semesters mitzulernen und sich am Ende diesen zusätzlichen Stress zu ersparen. Also, viel Erfolg bei den Prüfungen. * Christof Fellner war Vorsitzender der STV Politikwissenschaft
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UND WO MAN SIE FINDET IMPRESSIONEN EINES STV-VORSITZENDEN a.D.* Die besten Lerndrogen: fellnersche schnitzeljagd: Wir haben überall in der GesWi Substanzen versteckt, die dir vielleicht beim Lernen helfen. Hinweise auf die Verstecke findest du in dieser Ausgabe der uni:press!
Speed 10/10 Pkt. – Perfekt geeignet, insbesondere dann, wenn du an einem Tag das ganze Semester reinpressen musst. Lemmy hat’s auch nicht umgebracht. Kokain 8/10 Pkt. – Macht dich wach, hält dich fit, ideal, um in einer Nacht einen ganzen Kodex auswendig zu lernen. Nachteil: Führt zu maßloser Selbstüberschätzung. Vorteil: Bringt dich bis in den Salzburger Landtag. Ritalin 7/10 Pkt. – Der Klassiker. Steigert Wachheit und Aufmerksamkeit. Die Erwartung positiver Effekte übersteigt allerdings die tatsächliche Wirkung. Crystal Meth 5,5/10 Pkt. – Was für die Wehrmacht gut genug war, ist es auch für dich! Vorteil: Nach einer intensiven Lernphase musst du nie wieder zum Zahnarzt. Häufige Einnahme führt allerdings zu Wirkungsverlust. LSD 4/10 Pkt. – Sorgt zwar für erhöhte Wachheit und wäre daher eigentlich gut geeignet, wäre da nicht dieses verdammte weiße Kaninchen. Marihuana 3/10 Pkt. – Für das Kurzzeitgedächtnis nicht ideal, was aber wurscht ist, weil man ohnehin nie aufgepasst hat. Heroin 3/10 Pkt. – Entspannt nach oder zwischen anstrengenden Lerneinheiten und lässt Probleme kleiner erscheinen als sie wirklich sind. Red Bull 1/10 Pkt. – Führt nur zu kurzzeitigen Energieschüben, langfristig möglicherweise zu Fettleibigkeit, Diabetes und Blindheit. Finger weg von dem Scheiß! Steroide 0,5/10 Pkt. – Zum Lernen absolut ungeeignet, lässt Hirn und Hoden schrumpfen, dafür kannst du Skripten so dick wie Telefonbücher zerreißen. Mushrooms 0/10 Pkt. – Lässt den Lernstoff zwar interessanter erscheinen, fürs Lernen ist es aber weniger förderlich, wenn er auf einmal zu lebendig wird.
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Gute Nacht, Burschenpracht! Jahr für Jahr sorgt ein Wiener Ball nicht nur national für Schlagzeilen, sondern bestimmt auch die Berichterstattung der europäischen Presse: Der Wiener Akademikerball (vormals Ball des Wiener Korporationsrings/WKR-Ball). Doch was steckt eigentlich hinter der ganzen Aufregung? Ein Überblick über die Geschichte eines rechtsextremen Vernetzungstreffens und der antifaschistischen Gegenproteste. Von Antonia Fa
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ie Stimmung rund um den Ball hat sich mittlerweile so hochgeschaukelt, dass die Wiener Polizei am Abend des Balles die österreichische Bundeshauptstadt quasi zum Katastrophengebiet erklärt. Sorgte 2015 Uschi Stenzel – damals noch Bezirksvorsteherin des Wiener Inneren Stadt für die ÖVP, mittlerweile besser bekannt für ihre standhaft vorgebrachten „ÖSTERREICH, ÖSTERREICH“-Schlachtgesänge im Team der FPÖ-Partypeople – mit ihrer Forderung, die gesamte Wiener Innenstadt zur Sperrzone zu erklären und einen Assistenzeinsatz des Bundesheers durchzuführen, noch für Gelächter, wurde die Wiener Innenstadt ein Jahr später in eine Festung verwandelt: Geschäfte wurden verbarrikadiert, Mistkübel angekettet (kein Witz!) und 2.800 (in Worten: Zweitausendachthundert) PolizistInnen dafür eingesetzt, dass nun auch wirklich gar kein Mistkübel entwendet werden konnte. Doch auch wenn besagter Ball mittlerweile jährlich die Medienberichterstattung prägt, zeigt ein Blick zurück in die Geschichte der Veranstaltung, dass dies keinesfalls seit jeher so ist: Jahrzehntelang scherte sich eigentlich kein Mensch um diese – laut Veranstaltern – „reine (sic!) Tanzveranstaltung“: Seit 1952 lud der Wiener Korporationsring jährlich zum Tanz, zuerst in die Räume des Wiener Konzerthauses, später in die ehrwürdigen Hallen der Wiener Hofburg. So weit, so dekadent (und harmlos). Ein Blick auf die Organisation hinter dem Ball hätte allerdings bereits in den 1950er Jahren für Haarsträu-
ben sorgen sollen, denn der Wiener Korporationsring ist nichts anderes, als ein Zusammenschluss großteils deutschnationaler Wiener Studentenverbindungen, in dem seit jeher vor allem die weit rechts stehenden Burschenschaften den Ton angeben. Gerade in der frühen Nachkriegszeit hätte man sich eigentlich auch durchaus noch daran erinnern können, dass führende NS-Verbrecher aus den Reihen der deutschnational Korporierten gekommen waren, beispielsweise Ernst Kaltenbrunner (Grazer akademische Burschenschaft Arminia), unter anderem Chef der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes des Reichsführers SS, der in Nürnberg zum Tod verurteilt wurde, Otto Skorzeny (akademische Burschenschaft Markomannia zu Wien), einer der bekanntesten „Kriegshelden“ des Dritten Reiches, oder Aribert Heim, Lagerarzt des KZ Mauthausen, der als „Dr. Tod“ in die Geschichte einging. Die heute wohl bekannteste Mitgliedsorganisation des Wiener Korporationsringes ist die Burschenschaft Olympia, die nicht nur zuletzt durch ihr Mitglied Martin Graf, seines Zeichens ehemaliger dritter Nationalratspräsident (FPÖ), für Aufsehen gesorgt hat, sondern beispielsweise 1961 für einige Jahre sogar behördlich aufgelöst wurde, da mehrere ihrer Mitglieder in den rechtsextremen Bombenterror in Südtirol involviert waren. Weitere bekannte (ehemalige) Mitglieder inkludieren Norbert Burger, Gründungsmitglied der Nationaldemokratischen Partei (NDP) und Alexander Markovics, führendes Mitglied der rechtsextremen Identitären.
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Rechtsextremes Vernetzungstreffen Der Ball selbst ist damit weit mehr als ein geselliger Abend in der Vergangenheit schwelgender alter Herren. Über die Jahrzehnte hinweg entwickelte sich der Ball zu einem Vernetzungstreffen des äußerst rechten Randes und zwar über die Grenzen Österreichs (die für viele der dort Tanzenden sowieso nicht allzu viel Bedeutung haben) hinweg, wobei viele der Ball-TeilnehmerInnen eindeutig für eine faschistische, sexistische und rassistische Geisteshaltung stehen. Mit dabei über die Jahre waren beispielsweise VertreterInnen des Vlaams Belang (der extrem rechten Regionalpartei Belgiens), von Pro Köln, der NPD, PEGIDA, der Front National oder auch der rechtsextremen ungarischen Jobbik. Für besonderes Aufsehen sorgte 2012 der Besuch von Marie Le Pen, die sich anschließend in Frankreich dafür rechtfertigen musste, an einem „widerlichen Ball für Nostalgiker des Dritten Reiches“ teilgenommen zu haben. Erst 2008 kam es zum ersten Mal zu größeren Protesten gegen die Veranstaltung und zu einer öffentlichen Thematisierung dieses Vernetzungstreffens. Bereits im folgenden Jahr wurde eine Sperrzone um die Hofburg verhängt. 2010 wurden die Proteste gegen den Ball erstmals behördlich untersagt. Als sich trotzdem mehrere hundert DemonstrantInnen versammelten, kesselte die Polizei knapp 700 Personen ein, stellte ihre Identität fest und zeigte sie in der Folge wegen des Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz an. Auch im Folgejahr wurden sämtliche Kundgebungen gegen den Ball mit dem Verweis auf eine mögliche „Gefährdung der öffentlichen Sicherheit“ untersagt, eine Entscheidung, die später vom Verfassungsgerichtshof für verfassungswidrig erklärt wurde, da der Staat die Pflicht habe, die Ausübung des Versammlungsrechtes zu garantieren. Nachdem auch dieses Mal hunderte DemonstrantInnen trotz des Verbotes durch die Wiener Innenstadt zogen und ihrem Unmut Luft machten, kam es erneut zu Kesselungen und es hagelte hunderte Anzeigen. Ende 2011 wurde dann der öffentliche Druck auf die Betreibergesellschaft der Hofburg endlich zu groß – nicht zuletzt deswegen, da der Ball 2012 genau am internationalen Holocaustgedenktag stattfinden sollte: In der Generalversammlung wurde beschlossen, dass nach 2012 (für diesen Ball war bereits ein Vertrag unterzeichnet worden) kein Ball des Wiener Korporationsrings mehr in diesen Repräsentationsräumen stattfinden dürfe. Die Freude darüber währte bei den GegnerInnen dieser „Tanzveranstaltung“ allerdings nicht lange, denn kurze Zeit später übernahm die Wiener Landesgruppe der FPÖ die Organisation des Balles und organisierte für das Jahr 2013 nun den neu benannten „1. Wiener Akademikerball“. Verhöhnung der NS-Opfer Nicht nur deshalb fanden 2012 wieder Proteste mit
mehreren Tausend TeilnehmerInnen gegen das rechtsextreme Vernetzungstreffen statt. Beim Ball selbst sorgte Heinz-Christian Strache für einen internationalen Skandal, indem er sich und die anderen anwesenden Ballgäste als die „neuen Juden“ bezeichnete und Sachbeschädigungen an Burschenschafter-Buden mit der „Reichskristallnacht“ verglich, eine unglaubliche Verhöhnung der tatsächlichen Opfer der nationalsozialistischen Terrorherrschaft. Aussagen wie diese motivierten auch in den Folgejahren erneut Tausende DemonstrantInnen, gegen den nunmehrigen „Wiener Akademikerball“ auf die Straße zu gehen. Es war völlig klar, dass sich außer der Namensgebung des Balles wenig geändert hatte: Nach wie vor war (und ist) der Ball ein Magnet für Deutschnationale und Rechtsextreme aus ganz Europa. Trotzdem argumentiert die Betreibergesellschaft, dass die Hofburg als ein Haus der Republik allen im österreichischen Parlament vertretenen Parteien offenstände. Was tun? Warum ist es also sinnvoll, auch 2017 (heuer findet der Ball übrigens am Freitag, dem 3. Februar statt) ein Zeichen gegen eines der – trotz aller beschriebenen Entwicklungen nach wie vor – zentralen Vernetzungstreffen der europäischen rechten Szene zu setzen? Die Proteste der vergangenen Jahre sind ein Beispiel dafür, dass Antifaschismus sehr erfolgreich auf der Straße umgesetzt werden kann. Konnten sich Rechtsextreme aus ganz Europa noch Anfang der 2000er Jahre ungestört und de facto auch unbeachtet von der Öffentlichkeit in einem der prestigeträchtigsten Repräsentationsgebäude der Österreichischen Republik vernetzen, so ist die BesucherInnenzahl des Balles mittlerweile implodiert. Führende RechtspopulistInnen wie Marie Le Pen trauen sich nicht mehr, den Ball zu besuchen und der Ball ist öffentlich diskreditiert. Trotz all dieser positiven Entwicklungen: Von einem wirklichen Erfolg der antifaschistischen Gegenproteste kann erst gesprochen werden, wenn die tanzenden Säbelschwinger endlich endgültig aus der Hofburg vertrieben sind! In diesem Sinne: Fang den Hut!
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DIE HOCHSCHULPOLITISCHE KERNSCHMELZE DER SPÖ
Von Kay-Michael Dankl
© SPÖ Presse und Kommunikation / Wikipedia
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ei einer Kernschmelze überhitzen zuerst die Brennstäbe, etwa weil die Kühlung ausfällt, und wird das Gehäuse rissig, kann hochgefährliches Material austreten. Es folgen verheerende Schäden für Mensch und Umwelt. Etwas Ähnliches passiert der SPÖ gerade in Sachen Hochschulpolitik. Ihr Parteichef Kern präsentierte am 11. Jänner ein Bündel an Forderungen, die direkt aus dem Giftschrank neoliberaler Politik entnommen sind: Zugangsbeschränkungen für alle Fächer, verschärfte Konkurrenz zwischen Unis, Rankings und Elitenförderung. Der „Plan A“, den Kern als großen Wurf verkauft, ist alter Wein in neuen Schläuchen und verdient das Etikett „toxisch“. „Das Problem sind die Studierenden“ Störfaktor Studierende – diesen Eindruck erweckt Kerns Forderung, Zugangsbeschränkungen für alle Studien einzuführen. Die Qualität des Studiums könne nur steigen, so die Argumentation, indem man weniger Studierende an die Uni lässt. Das ist so, als würde man bei chronisch überfüllten Bahnsteigen Leute auf die Gleise stoßen anstatt mehr Züge fahren zu lassen. Es ist bekannt, dass die Zahl der StudienanfängerInnen eher steigt als sinkt. Kein Wunder – die Arbeitswelt wird immer weiter digitalisiert und mechanisiert. Da ist es naheliegend, dass junge
Menschen versuchen, eine weiterführende, höhere Ausbildung zu erreichen. Das Ziel, die Studienqualität zu steigern, ist ein schönes – wer würde widersprechen? Aber es ist ein Irrweg, Studierende gegeneinander auszuspielen. Die Lebensträume junger Menschen zu verbauen, weil man staatliche Mittel lieber in unsinnige Bauprojekte steckt, in PolitikerÎnnen-nahe Stiftungen verschiebt oder private Firmen subventioniert, anstatt dringend benötigte Hörsäle zu bauen oder zusätzliche Lehrende einzustellen, ist zynisch. Schon jetzt gibt es in einigen Studienrichtungen Aufnahmeprüfungen, die ganz unverhohlen das Ziel verfolgen, Studierende vom Studium fern zu halten. Auch die STEOP hat die Bundesregierung eingeführt um sie im Bedarfsfall als Knock-Out-Prüfung gegen die Studierenden richten zu können. Kern: alles für den Markt Die Sozialdemokratie kämpfte einst für die Öffnung der Hochschulen. Höhere Bildung, so das Ziel, sollte nicht ein Privileg einer konservativen Oberschicht bleiben. In den 1970ern, unter Bundeskanzler Kreisky und Bildungsministerin Firnberg, wurde der Zugang zu Universitäten durch die Abschaffung von Hürden wie Studiengebühren massiv ausgeweitet. Gleichzeitig wurde die Universität als ein Ort gedacht, der nicht wie ein König-
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reich einiger weniger Professoren funktionieren sollte, sondern an dem Studierende, Lehrende und Forschende demokratisch über ihr Studium und ihr Arbeit entscheiden sollten. Die Uni-Angehörigen bekamen Mitbestimmungsrechte in den Gremien. Aber warum will SPÖ-Chef Kern denn neue Zugangsbeschränkungen? Es ist wohl keine vorsätzliche Studierendenfeindlichkeit. Es ist vielmehr Teil einer neoliberalen Logik: Es sei Aufgabe der Politik, rentable Möglichkeiten zu schaffen, wie Kapital gewinnbringend veranlagt werden kann, um Jobs zu schaffen und damit die Wirtschaft wächst. Diesem Ziel sei alles unterzuordnen. In dieser Logik kann es besser sein, den Zugang zu Bildung zu verknappen, denn je knapper etwas ist, desto eher steigt der Preis. Wenn öffentliche Hochschulen die Zahl ihrer Studienplätze dramatisch reduzieren, entstehen neue Chancen für teure Privat-Unis. Dort bekommen Studierende dann für teures Geld das, was vorher die öffentlichen Einrichtungen bereitgestellt haben. Das ist zwar nicht effizient und auch nicht sozial gerecht, aber es treibt den teuren Privat-Unis viele studienwillige junge Menschen in die Arme. So entstehen neue Möglichkeiten, Kapital zu vermehren. Wer hat, dem wird gegeben. In dieselbe Kerbe schlägt Kerns Vorschlag, drei “Eliteuniversitäten” in Österreich zu schaffen. Diese sollen dann in den weltweiten Rankings zu den besten 100 Unis zählen. Wie soll das erreicht werden? Indem die Konkurrenz zwischen den Unis um die knappen Gelder verschärft wird. In Deutschland wurde das unter dem Titel “Exzellenzinitiative” betrieben. Die Folge war, dass eine Handvoll Hochschulen überproportional viele Mittel bekam – und die breite Mehrheit der Unis durch die Finger schaute. Das Perfide: Jene Unis, die jetzt schon über besonders viele Mittel verfügen, schneiden in Rankings besser ab und würden dann dafür belohnt – mit noch mehr Geldern. Die von Kern gewünschte Konkurrenz würde zu einer solchen Konzentration von Geldern bei einigen wenigen auf Kosten vieler führen. Ganz nach dem Matthäus-Prinzip: Wer hat, dem wir noch mehr gegeben. Wer nichts hat, dem wird auch das noch genommen. Gleichzeitig würde eine Verschärfung des Wettbewerbs die Maßstäbe verschieben, an denen sich Unis und Lehrende orientieren. Nur mehr das, was Gelder einbringt, ist etwas wert. Auf der Strecke bleiben jene Lehre und Forschung, die sich nicht sofort rentiert, aber vielleicht trotzdem einen Wert für unsere Gesellschaft hätte. Ein trauriges Beispiel ist die Uni Wien, wo kürzlich eine renommierte Professur für Menschenrechte umgewandelt wurde in einen Lehrstuhl für internationales Wirtschaftsrecht mit dem Schwer-
punkt Investitionsschutz (TTIP lässt grüßen!). Von TINA zu “Plan A” „There is no alternative“ (TINA): Mit diesem Wahlspruch haben die britischen Konservativen mit Margaret Thatcher den neoliberalen Großangriff auf Gewerkschaften, Sozialstaat, ArbeitnehmerInnen und das öffentliche Bildungswesen gestartet. Es dauerte nicht lange, bis die ideen- und strategielos gewordene Sozialdemokratie selbst in den neoliberalen Mainstream einschwenkte. Seitdem vertreten SozialdemokratInnen in ganz Europa eine ähnlich marktradikale Politik wie Neoliberale, teils mit anderen Akzenten und mit wehleidigen Beteuerungen, man wolle ja eigentlich nicht, aber müsse halt. In der Hochschulpolitik hat die SPÖ in Österreich lange dagegen gehalten und sich tendenziell gegen Studiengebühren augesprochen. Aber der „Plan A“ von Kern ist keine Alternative zur neoliberalen Politik. „Plan A“ steht eher für eine späte Ausformung von „TINA“ als für eine „Alternative“ zu einem scheiternden politischen Modell. Kern verspricht keine linke Erneuerung der SPÖ und keinen Kurswechsel weg von der neoliberalen Sackgasse, in der unsere Gesellschaft an die Wand fährt. Der “Plan A” ist nur eine modernere Aufmachung einer alten Politik zu Lasten der Studierenden und zu Gunsten des Kapitals. Es ist ironisch, dass Kern just in der oberösterreichischen Stadt Wels seine Rede hielt. Wels ist bei der letzten Gemeinderatswahl an die rechtsextreme FPÖ gefallen und wird seither stramm rechts regiert. Es ist das auch Scheitern der SPÖ und ihre Unfähigkeit, dem gescheiterten neoliberalen Modell etwas entgegenzusetzen, das den Nährboden für den Vormarsch der Rechten bildet. Mit der Politik des “Plan A” wird Kern aber die FPÖ nicht zurückdrängen, sondern ihr weiter in die Hände spielen. Es rettet uns Studierende kein höheres Wesen Es täte der SPÖ gut, nüchtern zu analysieren, in welchen gesellschaftlichen Verhältnissen wir leben und wie sie viele Menschen für die Perspektive einer grundlegend besseren Gesellschaft begeistern kann. Kern, der sich in seinen neoliberalen Wendungen immer weiter steigert, ist dafür offenbar nicht der richtige Parteichef. Hoffen wir, dass die verbliebenen progressiven Kräfte in der SPÖ nicht schulterzuckend zuschauen, wie die öffentlichen Hochschulen ruiniert werden, dass das Gehäuse der SPÖ hält, um ein unkontrolliertes Austreten neoliberaler Uni-Politik einzufangen. In jedem Fall braucht es viele Studierende an allen Hochschulen, die ihr Interesse an einer solidarischen Gesellschaft, die nicht nur auf den Profit hört, ernst nehmen und sich für eine fortschrittliche Uni-Politik einsetzen.
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DIE CAUSA PÄDAGOGIK
Am Fachbereich Erziehungswissenschaft bleibt man weiterhin stur. Im Oktober 2016 hatte sich der Pädagoge Günter Haider über das Universitätsgesetz hinweggesetzt und rund 100 Prüfungen einfach nicht benotet (die uni:press hat berichtet). Doch auch massiver medialer Druck konnte ihn bislang nicht dazu bewegen, seinen Fehler auszubessern. Ein Update von Christoph Würflinger Haider vs. Internet Zur Erinnerung: Professor Haider, als ehemaliger Direktor des BIFIE lange für die PISA-Studie verantwortlich, hatte Anfang Oktober einen vermeintlichen Schwindelversuch zum Anlass genommen, rund 100 Prüfungen einfach verschwinden zu lassen. In Wirklichkeit hatten sich Studierende über alte Prüfungsfragen ausgetauscht – im Neuland Internet. Dass das nichts Ungewöhnliches und auf gar keinen Fall etwas Unerlaubtes ist, bestätigte Ende November auch Vizerektor Müller in einem E-Mail an die Lehrenden der Uni Salzburg: „Es kommt vor, dass Studierende Prüfungsfragen oder Prüfungsprotokolle kopieren bzw. fotografieren oder auch Prüfungsfragen nach einer Prüfung aus dem Gedächtnis rekonstruieren und dann diese Fragen auf verschiedenen Wegen, insb. aber auf Facebook und Co. mit ihren Kolleg/inn/en teilen. Entgegen eventueller Annahmen von Lehrenden handeln die Studierenden hierbei nicht gesetzeswidrig. Studierende haben das Recht Prüfungen zu kopieren und sich darüber auszutauschen.“
Sein Vorschlag: Lehrende sollten sich für jede Klausur neue Fragen überlegen. Klingt eigentlich gar nicht so blöd. Falls das für diesen Prof. Haider trotzdem zu revolutionär sein sollte, möge er eine weitere, fast schon philosophische Erkenntnis des Vizerektors berücksichtigen: „Eine Frage zu kennen, heißt noch nicht, auch die Antworten darauf zu kennen.“
Amen.
Dass dieser Haider sich darüber echauffiert, dass Studierende Zugriff auf die Lösungen zu seinen Fragen hatten, ist umso absurder, wenn man bedenkt, dass er die Verwendung von Laptops etc. ausdrücklich erlaubt hat. Ihm war außerdem bereits lange vor dieser Prüfung bekannt, dass Fragen von Altklausuren im Umlauf sind, wie folgende Aussage einer Pädagogikstudentin zeigt: „Herr Haider [meinte], dass alle ihre Tablets und Handys wegpacken sollten – alles, womit Fotos gemacht werden könnten – da ja bereits auf Facebook eh schon so viele Fotos seiner Prüfung kursieren.“
Haider vs. Qualitätshandbuch Ihm hätte also eigentlich der Hausverstand sagen sollen, dass es an der Zeit wäre, sich neue Fragen auszudenken. Aber gut, gehen wir einmal einfach so – aus Spaß an der Freude – davon aus, dass der arme, gutmütige, nichtsahnende Professor Haider tatsächlich von hinterlistigen Studierenden in einem groß angelegten Täuschungsmanöver auf bösartigste Weise betrogen wurde: Wie kommt er dazu, fast 100 Klausuren einfach so verschwinden zu lassen? Es gibt im Qualitätshandbuch für Lehrende der Universität Salzburg (S. 21) relativ klare Anweisungen, was bei einem Schwindelversuch zu passieren hat:
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Ich soll nicht schummeln Ich soll nicht schummeln Ich soll nicht schummeln Ich soll nicht schummeln •
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Sichern Sie die schriftlichen „Schummelunterlagen“ (d.h. wegnehmen bzw. kopieren). Achtung: Wenn z.B. klausurrelevante Informationen in einer Handfläche geschrieben stehen, wird es darauf ankommen festzustellen, was dort steht. Die Tatsache allein, dass etwas aufgeschrieben wurde, muss noch nichts bedeuten. Die Studentin bzw. der Student darf die Prüfung regulär fortsetzen, d.h. die Prüfungsunterlagen dürfen ihr oder ihm nicht weggenommen werden! Vermerken Sie auf dem Prüfungsbogen, dass unerlaubte Hilfsmittel verwendet wurden. Kennzeichnen Sie auf dem Prüfungsbogen, z.B. durch Strich und Vermerk, wann (ab welcher Stelle auf dem Prüfungsbogen und zu welcher Uhrzeit) die „Schummelunterlagen“ sichergestellt wurden. Bei der Beurteilung der Prüfung ist zu überprüfen, ob die „Schummelunterlagen“ für die gestellten Aufgaben auch wirklich relevant waren. Bei der Beurteilung ist nur der „schummelfreie“ Teil zu beurteilen und es ist festzustellen, ob dieser „Rest“ für eine positive Note ausreicht ( je später die Schummelunterlagen entdeckt wurden, desto unwahrscheinlicher wird das werden). Wenn nicht, ist die Prüfung negativ zu beurteilen. Der Umstand, dass die/der Studierende geschummelt hat, erlaubt für sich noch keine negative Beurteilung!
Haider vs. Universitätsgesetz Prof. Haider hat niemandem einen Schummelversuch nachweisen können. Er hat allein auf Basis von Vermutungen gehandelt – und zwar gesetzeswidrig. Das Universitätsgesetz sagt ganz deutlich, dass eine Prüfung mit Bescheid für nichtig zu erklären ist, wenn die Beurteilung durch die Verwendung unerlaubter Hilfsmittel erschlichen wurde. Was nicht geht: Sie einfach in der Schublade verschwinden zu lassen oder sie zu verbren-
nen (oder was auch immer dieser Professor Haider damit angestellt hat). Der Terrorfachbereich Am Fachbereich selbst wurde die Studienvertretung massiv eingeschüchtert. Diese hatte ursprünglich eine Klärung der Sache auf Fachbereichsebe im Sinn, wurde dann aber von der Fachbereichsleitung und dem CUKO-Vorsitzenden mehr oder weniger ignoriert und dazu gedrängt, die Studierenden per E-Mail auf die Rechtmäßigkeit und Ausweglosigkeit der Sache hinzuweisen. Zudem wurde den Studierenden in einigen Lehrveranstaltungen von Lehrenden mit einer möglichen nachträglichen Aberkennung von Noten und sogar Abschlüssen gedroht. Und als ob das nicht schon absurd genug wäre, steht auch die Drohung im Raum, Prüfungen in Zukunft anspruchsvoller zu gestalten (= Hardcore-Knockoutprüfungen), falls es jemand wagen sollte, sich gegen diese Ungerechtigkeiten zu wehren. Dabei sollte gerade den Angehörigen des Fachbereichs Pädagogik klar sein, dass ein sinnvolles Lernen in einem solchen Klima der Angst nur schwer möglich ist. Es ist reichlich ironisch, dass die Pädagogik sich das erklärte Ziel setzt, junge Menschen zu mündigen, kritischen Erwachsenen heranzubilden (oder dabei zu unterstützen), aber am eigenen Fachbereich eine Situation schafft, in der Studierende eingeschüchtert werden, bis sie sich nicht mehr trauen, Kritik zu äußern und für ihre Anliegen einzustehen. Warum zählt hier der Ruf eines Professors offensichtlich mehr? Warum will niemand diese Fehler eingestehen? Warum schließen die KollegInnen am Fachbereich ihre Reihen und decken diesen Professor, wohl wissend, dass hier Unrecht geschehen ist? Warum halten sich die eigentlich zuständigen Instanzen – das Rektorat und die Fachbereichsleitung – so feige zurück und lassen die betroffenen Studierenden im Regen stehen?
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ÖH:clubs
Von Carolina Forstner
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anchmal sitze ich am Wochenende vor meinem Laptop und habe, wie eigentlich in 90 Prozent der Fälle, wieder einmal bis zum letzten Drücker gewartet, um meine Seminararbeit zu beginnen. Als findige Studentin weiß ich natürlich über den Zugang zu Onlineressourcen und wie ich mir diesen beschaffe bestens Bescheid, da ich aber doch auch gerne in verschlissenen Büchern blättere, sehne ich mich nach längeren und flexibleren Bibliotheksöffnungszeiten, doch was hat das nun eigentlich mit diesen dubiosen öh:clubs zu tun? Hier folgt die Aufklärung. Über die verboten kurzen Bibliotheksöffnungszeiten der Universität Salzburg, die bestimmt in einer unserer nächsten Ausgaben kritisch betrachtet werden, möchte ich hier nicht schreiben, doch diese haben mich zu einem ganz anderen Angebot, das inneruniversitär von der ÖH Salzburg betrieben wird, geführt, welches sich um das Leben, das sich außerhalb der Universitätsbibliotheken dieser Stadt abspielt, kümmern soll. Bevor ich vor nun mittlerweile fast viereinhalb Jahren mit dem Studium begonnen habe, hatte ich, wie
so viele andere aus meinem Freundes- und Bekanntenkreis, eine diffuse Vorstellung von einer Universität und dem damit verbundenen Studentenleben. Meist waren meine Erwartungen an das Studium an amerikanische Highschool Movies oder Serien, die an Eliteuniversitäten spielten, geknüpft - was wohl kaum der Realität an österreichischen Universitäten entspricht. Ein Leben auf einem riesigen Campus und die Mitgliedschaft in Vereinigungen, die griechische Buchstaben tragen, gehören – zum Glück (das gilt für das zweitere) - nicht zum Repertoire einer österreichischen Hochschule. Die Universität Salzburg zählt über 25.000 Studierende, das klingt im Vergleich zu richtigen Universitätsstädten wie etwa dem Kapazunder Wien, wo etwa 92.000 junge Menschen nach einem Hochschulabschluss eifern, nach einem überschaubaren Standort, doch aller Anfang ist schwer und neue Leute am Studienstandort kennenlernen ist zwar einfach, Menschen, die dieselben Hobbies wie man selbst haben, ist schon ein schwereres Unterfangen. Dass Salzburg mit Sicherheit nicht Wien ist, was die Qualität des studentischen Lebens angeht, brauchen wir hier wohl nicht weiter diskutieren.
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Für alteingesessene WahlsalzburgerInnen wie ich eine bin, die der oberösterreichischen Einöde entflohen ist, wirkt Salzburg mittlerweile wie die große spießige Ausgabe meines Heimatdorfes im Hausruckviertel: Jeder kennt jeden, das Angebot für Studierende ist mehr als begrenzt und nach dem ersten Semester hält man sich tunlichst von jeglichen Welcomepartys fern. Wie also neue Leute kennenlernen? Hätte ich vor vier Jahren schon von der Existenz der öh:clubs gewusst, wäre ich jetzt vielleicht semibegabte Theaterdarstellerin oder würde meinen schier endlos reichenden Mitteilungsdrang im Debattierclub ausleben, wer weiß? Viele jedenfalls nicht, eine Schande! Deswegen dieser Artikel.
In der Mensa gibt es allerhand Köstlichkeiten.
Wie gründe ich einen ÖH:club? Grundsätzlich muss ein Club von Studierenden für Studierende sein und nicht gewinnorientiert. Um einen öh:club zu gründen, muss im ersten Schritt ein Formular, welches online zum Download bereit steht oder im Kulturreferat der ÖH Salzburg in gedruckter Form bereit liegt, ausgefüllt werden. Nach dem Ausfüllen dieses Formblattes und der Unterzeichnung einer Vereinbarung mit der ÖH Salzburg stehen einem Club oder auch Verein mit allen Vorteilen, die die ÖH Salzburg hierfür bietet, nichts mehr im Wege. Mit der Gründung eines öh:clubs wird man mit einem Zugang zur öh:club Homepage, sowie eigener E-Mail-Adresse und Tools zur Verwaltung versorgt. In den Anfangsphasen kann man sich sogar über eine kleine finanzielle Zuwendung der ÖH Salzburg freuen: 150 Euro stellt man neben den oben erwähnten infrastrukturellen Grundausstattungen, zu denen auch der ÖH:freiraum in der Kaigasse 17 zählt, zur Verfügung. Die ÖH Salzburg folgt mit den ÖH:clubs dem angelsächsischen Vorbild der sogenannten „societies“, welche zu einem fixen Bestandteil eines Studierenlebens in Großbritannien gehören. Zwar ist die Auswahl in Salzburg bisher eher begrenzt – die Eliteuniversität Cambridge etwa zählt 700 verschiedene societies – doch Rom wurde auch nicht an einem Tag erbaut und mit etwas Kreativität und Engagement kann man auch aus einer Anti-Studierendenstadt, wie Salzburg eine ist, das Freizeitangebot, abseits von Studierendenmittwochen, bereichern!
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Welche ÖH:clubs gibt es? Hier eine kleine Auswahl von der ÖH Website: Debattierclub Debattieren ohne Voranmeldung und das sogar wöchentlich? Mehr Infos dazu unter: debattierclub. salzburg@afa.at Club Francophone Du isst gerne Croissants und stehst auf Gérard Depardieu? Hier entlang! Die öffentliche Facebookgruppe des Clubs Francophone hat stolze 263 Mitglieder und freut sich, laut eigener Beschreibung, immer wieder über neue (ich nehme an französische) Käsevorschläge! Studierendentheater Salzburg: Im Studierraum der Katholischen Hochschülerschaft finden jeden Montag von 20:00-22:00 Proben des seit 2013 bestehenden Studierendentheaters statt. Tanzinitiative: Wie der Name schon verspricht, finden Tanzbegeisterte hier eine Plattform, um gemeinsam kreativ zu sein. Weiters im Aufbau befindet sich ein Veganclub! Weitere Infos zu den einzelnen Facebookgruppen der Clubs findet ihr auf der Website der ÖH Salzburg: www.oeh-salzburg.at!
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EIN VERLORENES JAHR
© Jez Arnold/Wikipedia
„In dubio pro reo“ – im Zweifel für den Angeklagten – schreibt Daniel Schwaighofer in seiner „Bilanz der neuen Koalition: AG & VSStÖ“ in der November-Ausgabe des JusKnackers und greift dabei großteils auf Klischees und Halbwahrheiten zurück. In Wirklichkeit gibt es über die Unfähigkeit des Angeklagten keine Zweifel. Die Wahrheit über das schwarz-rote Experiment von Christoph Würflinger Die uni:press als Opfer der AG Ein bisschen länger als ein Jahr hat das schwarz-rote Trauerspiel in der ÖH gedauert, jetzt ist es endlich vorbei. Zeit für eine Bilanz. Beginnen wollen wir natürlich mit dem wichtigsten aller ÖH-Referate – dem Pressereferat. In ihrer Abschiedsausgabe haben unsere VorgängerInnen den Untergang der Meinungsfreiheit prophezeit. Man würde in der uni:press in Zukunft nur mehr über Speed-Dating, Schminktipps und Crossfit lesen, kritische Artikel würde es nicht mehr geben. Wir haben sie dafür belächelt. So schlimm würde es schon nicht werden, dachten wir. Ein Irrtum. Schon in unserer zweiten Ausgabe mussten wir uns in langen Telefonaten für unsere Kommentare rechtfertigen. Doch es sollte noch schlimmer kommen: In der letzten Ausgabe strich uns der AG-Vorsitz ganze fünf Seiten (verbunden mit zusätzlichen Kosten im dreistelligen Bereich). Zum Vergleich: in sechs Jahren Grün-Rot (2009-2015) gab es keinen einzigen Fall von Zensur. Als wäre dieses Streichkonzert allei-
ne noch nicht genug, drohten sie der Referentin auch noch, sie für einen möglichen finanziellen Schaden in der Höhe von mehreren Tausend Euro verantwortlich zu machen, sollte sie diese Zensur nicht akzeptieren. Selbst haben sie zur uni:press so gut wie gar nichts beigetragen. Sogenannte Unithemen, die ihnen zufolge immer viel zu wenig vertreten waren, waren ihnen „zu kompliziert“ (sic!). Es hat nur für zwei Artikel von zweifelhafter Qualität gereicht. Alles neu, alles besser? Schwaighofer schreibt, dass das Hauptaugenmerk von Schwarz-Rot darauf lag, „dass Arbeitsabläufe, Richtlinien und bisher unangefochtene Gewohnheiten endlich überdacht [und] überprüft“ werden konnten. Das ist natürlich nichtssagendes Geschwafel vom Feinsten. Dass die wöchentlichen internen ÖH-Treffen geordneter abliefen, können wir zwar bestätigen. Hauptsächlich liegt das allerdings daran, dass inhaltlich ganz einfach nicht diskutiert wurde. Wo früher
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stundenlang über wichtige Themen (manchmal auch weniger wichtige – alles eine Frage des eigenen Standpunkts) geredet wurde, wo oft ausgezeichnete Ideen geboren wurden, gab es in den vergangenen 14 Monaten meistens fade Berichte über die „Leistungen“ der einzelnen Referate. Im Fall des von Schwaighofer so hoch gelobten Heimreferats lief das etwa so: Woche 1: Wir arbeiten an einer Broschüre über Wohnheime. Woche 2: Wir arbeiten an einer Broschüre über Wohnheime. Woche 3: Wir arbeiten an einer Broschüre über Wohnheime. […] Woche 52: Wir arbeiten an einer Broschüre über Wohnheime. Besagte Broschüre existiert bis heute nicht. Im Referat für Heime, Wohnen und Sport waren übrigens drei Personen „beschäftigt“ und haben Monat für Monat eine Aufwandsentschädigung erhalten. Gesellschaftspolitik? Fehlanzeige! Ein umstrittenes Thema in der ÖH ist die Gesellschaftspolitik, die der AG schon immer ein Dorn im Auge war. Die ÖH müsse unpolitisch sein und solle sich zu politischen Themen nicht äußern. Skriptenbörsen und Studifeste, das seien die Hauptaufgaben der ÖH. Das ist natürlich Unfug. Wer studentische Probleme losgelöst von gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen sehen will, ist ein Dummkopf. Trotzdem wurde sofort nach der Machtübernahme das Referat für Gesellschaftspolitik eingestampft. Der ehemalige Vorsitzende Oblasser – übrigens ein Fan der rechtsextremen Organisation PEGIDA – wollte sogar ein Veto gegen Solidaritätsbekundungen für die AkademikerInnen in der Türkei einlegen. Schwaighofer erkennt – und das muss man ihm als Juristen hoch anrechnen – die Wichtigkeit gesellschaftspolitischen Engagements; mit seinem Urteil liegt er aber trotzdem weit daneben. Einen konkreten Nachweis dafür, dass es unter Grün-Rot zu viel Gesellschaftskritik gegeben hätte, bleibt er nämlich schuldig. Es bleibt zu hoffen, dass sich die ÖH wieder mehr mit gesellschaftspolitischen Themen befasst.
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Die bildungspolitische Katastrophe Wenn es etwas gibt, worauf sich alle einigen können, dann ist es vermutlich die Notwendigkeit bildungspolitischer Arbeit durch die ÖH. Das war jahrelang der Hauptkritikpunkt der Aktionsgemeinschaft, das wäre ihre Chance gewesen, sich zu beweisen. Das österreichische Bildungssystem – eine einzige große Baustelle – bietet beinahe unendlich viele Ansatzpunkte für Kritik. Und was ist passiert? Nichts. Wortwörtlich nichts. Dass Menschen nicht immer ihr ganzes Leben der ÖH widmen wollen, ist nichts Ungewöhnliches. Vermutlich leisten drei Viertel der ÖH-MitarbeiterInnen lediglich ein Pflichtprogramm, nur einige wenige opfern sich voll und ganz für die Studierendenvertretung. Das war schon immer so, es wird vermutlich auch immer so bleiben. Das bildungspolitische Referat hat es unter AG-Führung allerdings nicht einmal zustande gebracht, Veranstaltungen zu organisieren oder Stellungnahmen zu Gesetzesentwürfen abzugeben.1 Letztendlich ist daran auch die schwarz-rote Koalition gescheitert. Der Vorsitzversager Dem ÖH-Chef waren all diese Probleme natürlich bewusst. Unternommen hat er dagegen allerdings nichts – kein Wunder, steht er selbst doch ganz oben auf der Liste der Arbeitsverweigerer. Seine größte Leistung im vergangenen Jahr: Ein 10-Prozent-Rabatt in einer Salzburger Bäckerei gegen Vorlage des Studi-Ausweises. Die Studierenden haben sich so bisher die gigantische Summe von 50 Euro2 erspart. Gegenleistung: Ein ganzseitiges Inserat in der uni:press im Wert von 400 Euro – Was für ein Deal. Naive Optimisten wie ich waren im November 2015 voller Hoffnung, dass eine neue Koalition frischen Wind in die ÖH bringen und neue Projekte starten würde. Die Aktionsgemeinschaft hätte beweisen können, dass sie die bessere Wahl wäre, wenn es um die Interessen der Studierenden geht. Sie hat kläglich versagt.
1 Eine detaillierte Liste der Verfehlungen des Referats für Bildungspolitik ist im Protokoll der UV-Sitzung vom 7. Dezember 2016 zu finden. 2 Schätzung des Autors.
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PÖHSE STUDIS! PÖHSE ÖH! JETZT ABSCHAFFEN!!1elf Von Ivana Ristic
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s gibt so viele Sachen, die mich auf die Palme bringen. Kannibalen auf einer einsamen Insel, ein Hai, der am Land überlebt, aber auch Professor_innen, die den Studierenden wieder einmal irgendetwas unterstellen. Immer öfter darf ich mir (in allen möglichen Gremien, aber auch face to face im persönlichen Gespräch) von Professor_innen anhören, wie gut wir Studierenden es doch haben. So viel Zeit zum Nichts Tun, so viel Zeit zum Party machen, so unglaublich politikverdrossen und eigentlich braucht es die ÖH gar nicht. This really happened: Eine Professorin erklärt mir, dass Echo 360 etwas richtig schlechtes ist, die Studierenden würden nämlich alle zu Hause bleiben und eine Vorlesung für fünf Personen sei eh unsinnig (ohne es jemals ausprobiert zu haben). Für alle, die nicht wissen, was Echo 360 ist, kurz zur Erklärung: Das ist das System, das die Uni ziemlich viele Moneten gekostet hat und wenig bis gar nicht von den Lehrenden in Anspruch genommen wird. (Thumbs up an dieser Stelle für die Uni, und nein, das ist nicht sarkastisch gemeint, wirklich nicht!) Es nimmt die Vorlesung auf und stellt sie online (per Knopfdruck! eine Bedienung for dummies also), danach können die Studierenden diese zu Hause nachhören. Nochmal zurück zu meiner Begegnung mit obiger Professorin: Das Argument, eine Aufnahme sei dasselbe wie eine live Vorlesung, lässt sich ziemlich leicht entkräften, wenn man bedenkt, dass in einer Vorlesung Fragen möglich sind und Unklarheiten auch nach der Einheit nochmal angesprochen werden können. Ein weiteres oft von Profs genanntes Argument, sie seien alle klagbar, weil man ihnen Sachen völlig aus dem Kontext unterstellen könnte (who's got time for this?) und was sagen die bitte bei ihren Vorlesungen? Oder man könnte ja Sachen, die in der Vorlesung völlig logisch und nachvollziehbar klingen, komplett falsch verstehen, wenn man selbiges zu Hause nachhört. Naja, wer so unklare Vorträge hält, kann davon ausgehen, dass auch die Studierenden im Hörsaal alles falsch verstanden haben, und nicht nachfragten, weil? Achja, weil ja nur fünf Studierende anwesend waren. Und überhaupt, warum kommen auch ohne die absichtliche Nichtbenutzung von Echo360 so wenige in die Vorlesung?
Es arbeitet doch niemand im 21. Jahrhundert mehr, oder? Wir leben alle von Mama und Papa, eventuell auch noch vom Erbe von Oma und Opa. Tagsüber schlafen wir und nachts machen wir Party. So oder so ähnlich stellen sich manche Professor_innen nämlich unser Leben vor. Ich frage mich dabei zwei Sachen: 1) Woher diese Fantasien? Eventuell persönliche Erfahrungen aus früheren Zeiten, als das Leben noch schön und eine gewisse Droge allen das Hirn vernebelte? 2) Gibt es Studierende, die so leben und trotzdem erfolgreich studieren? Bitte eine Email mit Erklärung, wie das geht, an vorsitz@oeh-salzburg.at – danke! Nein, jetzt mal Spaß beiseite. Ich habe dieser Frau erklärt, dass die meisten Studierenden, und ich sage bewusst die meisten, weil ich auch von echten Hotel Mama/Papa Kindern weiß, neben dem Studium arbeiten. Ob ehrenamtlich in der ÖH, in einer anderen Organisation oder sich in einer Kanzlei oder sonst wo ausbeuten lassen (Studierende sind gern gesehene billige Arbeitskräfte da draußen, aber ich brauche euch ja nichts zu erzählen – das ist viel mehr der Zusatz für alle Professor_innen, die sich angesprochen fühlen). Und dass dabei die superspannende Vorlesung, weil, wie wir alle wissen, alle Profs wirklich gute Rhetorikskills haben (Props to: Überstimmungen der Studierenden in Berufungskommissionen lassen grüßen) NOT, ausfällt, ist wirklich nicht in Ordnung und auch nicht nachvollziehbar. Studierende mit Kindern erwähne ich mal gar nicht, weil diese ohnehin (fast) keine Chance haben zu studieren. Mein Aufruf an dieser Stelle: Alle Studierenden, die keinen, ich wiederhole KEINEN Kindergartenplatz an der Uni bekommen haben, melden sich bitte bei mir. Die Vizerektorin meint nämlich, bisher ALLE bedient zu haben und ist sehr stolz über die 15 Plätze, die den Universitätsbediensteten und Studierenden zur Verfügung stehen. Man hätte ja ohnehin auch Kooperationen in der ganzen Stadt und niemand will seine Kinder in Uninähe abgeben. Ich entschuldige mich jetzt schon mal für die vielen Klammern, den vielen Sarkasmus und biete allen, die sich darüber beschweren möchten, meine Sprechstunde montags zwischen 12.30 und 14.30 Uhr in der Kaigasse 28, 5020 an.
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WENN NERVEN Ein Kommentar zum Kommentar von Stefanie Hemetsberger („Foodmentalismus“ aus der uni:press vom Dezember 2016) geschrieben von Valerie Kocher
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Ich oute mich jetzt als Veganer. Und nein, das tue ich nicht gerne, denn oft wird man schief angeschaut, bemitleidet („Was darfst du denn dann noch essen?“), überschüttet mit dem Wissen der plötzlichen ExpertInnen zu Ernährungsfragen („Nimmst du auch genug Protein zu dir?“) und bekommt noch gratis Infos über deren eigene Ernährung („Also ich könnte mir nicht vorstellen, kein/e [beliebiges tierisches Produkt bitte hier einfügen] mehr zu essen…“). Was meist nicht bedacht wird, ist, dass kein Mensch einfach eines Morgens aufwacht und aus heiterem Himmel denkt: “Ab jetzt esse ich vegan“. Dafür gibt es immer einen Grund (oder mehrere), denn normalerweise informiert man sich über eine Sache, bevor man für sie eintritt. Es wäre durchaus ratsam, dies auch zu tun, wenn man für etwas nicht eintritt. Einfach mal die Vorurteile über Bord schmeißen und objektiv an die Sache herangehen. Ich habe mich durch das Lesen des Artikels von Stefanie Hemetsberger nicht dazu aufgerufen gefühlt, die Vorteile der veganen Ernährung aufzuzählen - wer daran interessiert ist, kann jederzeit Onkel Google kontaktieren (oder auch nicht, es bleibt jedem selbst überlassen). Vielmehr möchte ich die Vorurteile und das Halbwissen der Autorin als solche kenntlich machen: •
Der Großteil aller VeganerInnen sind weder dogmatisch, rechthaberisch noch verurteilend den Menschen gegenüber, die andere Essgewohnheiten haben. Sie äußern sich einfach nicht großartig dazu. Ist jemand an ihrer Ernährungsweise interessiert, teilen sie gerne ihre Einstellungen und ihr Wissen. Sehr schade, dass diejenigen, die leider sehr wohl missionarisch auftreten, stellvertretend für alle VeganerInnen gesehen werden.
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Ob man Fan von sogenannten Superfoods ist, hat nichts damit zu tun, was man sonst noch so isst. Nur weil man vegan ist, heißt das nicht, dass die tägliche Mahlzeit aus gekeimtem Quinoa, Chiapudding, Guacamole und rohkostkonformen Goji-Beeren besteht. Da gäbe es auch Haferflocken, Reis, Kartoffeln, Hülsenfrüchte, Obst und Gemüse… Diese (veganen) Lebensmittel findet man in jedem Supermarkt zu äußerst erschwinglichen
Preisen („Drei etwas größere Ochsen-Tomaten können um 8 Euro erworben werden […]“? Fehlanzeige. Außer man kauft diese im tiefsten Winter und/oder in teuren Bio-Läden. Durch den Genuss von nicht biologisch angebauten Karotten hat übrigens noch niemand Atherosklerose entwickelt). Durch diese Grundnahrungsmittel erhöht sich sogar die Nährstoffaufnahme signifikant mehr als durch Superfoods, immerhin nimmt man von diesen weitaus mehr als nur ein paar Gramm zu sich. •
Es wäre mir noch nicht aufgefallen, dass OmnivorInnen ausschließlich regionale, saisonale, biologisch angebaute und fair gehandelte Produkte kaufen und der Benutzung elektronischer Geräte abgeschworen haben. Aber VeganerInnen, ja, die sind einfach nur scheinheilig, wenn sie das nicht machen! Darüber scheint sich schnell ein Urteil fällen zu lassen.
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Zu der Sache mit dem Soja: Das Soja, für das täglich Regenwald gerodet wird, um an dessen Stelle Soja anzupflanzen und es hierauf nach Europa zu transportieren, landet nicht etwa auf den Tellern von hungrigen VeganerInnen. Überraschung: Es wird hier an die Nutztiere verfüttert, was damit nur OmnivorInnen, aber nicht VeganerInnen unterstützen. Das Soja, das für den menschlichen Verzehr bestimmt ist, beträgt dem gegenüber erstens nur einen Bruchteil und wird zweitens – wieder Überraschung – sogar direkt in Österreich angebaut! Aber keine Sorge, wer kein Soja essen mag, muss dies auch bei einer veganen Ernährung nicht tun. Dasselbe gilt für Chia, Goji, Maca etc.
Alles in allem scheint es nicht nur angebracht, VeganerInnen gegenüber Toleranz zu predigen, sondern sich einmal selbst an die Nase zu fassen. Wenn Menschen wie Frau Hemetsberger die „Bedingungen der Tierhaltung und deren Fütterung“ als „unmöglich“ bezeichnen, und es als selbstverständlich erachten, dass diese „Zustände abgeschafft werden müssen“ – wieso reduzieren sie dann nicht einfach ihren Verbrauch an tierischer Nahrung, anstatt jene, die dies getan haben, schlecht zu reden?
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Gegen Gewalt an Frauen* ! 1
Jedes Jahr werden im Zeitraum zwischen dem 25. November und dem 10. Dezember Kampagnen gestartet, um auf die Gewalttaten an Frauen* aufmerksam zu machen. Im Zentrum stehen der Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen* (25. November) und der Internationale Tag für Menschenrechte (10. Dezember). Seit 1992 nimmt auch Österreich an dieser globalen Kampagne teil. Gewalt gegen Frauen* ist ein weitverbreitetes Problem unserer Gesellschaft... Von Alexandra Katzian
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etztens bei einem Frauen*Stammtisch fragte eine der Frauen*, was wir tun würden, wenn unser/e PartnerIn unser Handy kontrollieren würde. Allgemeine Verwunderung über die Frage, aber die meisten meinten, ihm/ ihr sagen, dass das nicht in Ordnung ist. Im Verlauf des weiteren Dialogs stellte sich heraus, dass besagter Partner mehr als nur das Handy seiner Lebenspartnerin zu kontrollieren versuchte und ihr das Gefühl gab, etwas "Falsches" zu machen und somit "Schuld" an seiner schlechten Laune zu sein. Ist das Liebe und Wertschätzung in der Partnerschaft? Oder ist das Gewalt gegen seinen Partner? ("Aber er hat mich ja nicht gehauen... er schaut ja nur, was ich so schreibe und mit wem halt.") Tatsächlich ist in den Köpfen vieler verbreitet, dass Gewalt erst mit physischer oder sexueller Gewalt anfangen würde. Ein Irrglaube! Es gibt viele Formen der Gewalt, welcher Frauen* und Mädchen ausgesetzt sind. Einige erleben physische oder sexuelle Gewalt, es gibt aber auch psychische, ökonomische oder soziale Gewalt. Nach Schätzungen der Polizei werden in Österreich 90 Prozent aller Gewalttaten in der Familie oder im
gesellschaftlichen Raum der Frauen* verübt. In ebenfalls circa 90 Prozent der Fälle sind die Täter männliche Beziehungspartner oder Männer, die in einem Nahverhältnis stehen. Frauen* aller sozialer Schichten, Bildungsstände, Religionen und ethnischer Zugehörigkeit, jeden Alters und Familienstandes können zum Opfer von (häuslicher) Gewalt werden. Doch was genau ist gemeint damit? Definition von "Gewalt an Frauen" gemäß der Weltfrauen*konferenz 1995 Im Abschlussdokument der Weltfrauen*konferenz 1995 in Beijing, China wurde Gewalt an Frauen* und Mädchen folgendermaßen definiert: „Der Begriff ,Gewalt gegen Frauen‘ bezeichnet jede Handlung geschlechtsbezogener Gewalt, die der Frau körperlichen, sexuellen oder psychischen Schaden oder Leid zufügt oder zufügen kann, einschließlich der Androhung derartiger Handlungen, der Nötigung oder der willkürlichen Freiheitsberaubung in der Öffentlichkeit oder im Privatleben. Infolgedessen umfasst Gewalt gegen Frauen unter anderem folgende Formen:
1 Das Wort „Frauen“ bezeichnet ein soziales Konstrukt, keine unveränderliche biologische Wahrheit
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körperliche, sexuelle und psychische Gewalt in der Gemeinschaft, so auch Vergewaltigung, Missbrauch, sexuelle Belästigung und Einschüchterung am Arbeitsplatz, an Bildungseinrichtungen und anderswo, Frauenhandel und Zwangsprostitution; vom Staat ausgeübte oder geduldete körperliche, sexuelle und psychische Gewalt, wo immer sie auftritt.“2
Formen der Gewalt Die körperliche Gewalt richtet sich auf die Gesundheit eines anderen Menschen. Dazu zählen insbesondere das Stoßen, Boxen, Würgen, Ohrfeigen und jede andere Form der Schmerzzufügung. Es zählen aber auch das Bespucken, mit Zigaretten Verbrennen oder das Bewerfen mit Gegenständen dazu. Die psychische Gewalt richtet sich auf das seelische Wohlbefinden und macht es sich zum Ziel, das Selbstwertgefühl des Opfers zu zerstören. Dazu zählen etwa das Schweigen, Beleidigen, die Eifersucht, das Anschreien oder das Herunterspielen der zuvor ausgeübten körperlichen Gewalt. In vielen Fällen kommt es auch zu einer sozialen Isolation der Opfer - der/die TäterIn kontrolliert, mit wem das Opfer Kontakt halten darf und mit wem nicht (Hier wäre das Kontrollieren des Handys, um zu sehen, mit wem geschrieben wurde, zu nennen).
Bei der sexualisierten Gewalt kommt es zu sexuellen Handlungen gegen den ausdrücklichen Willen der Betroffenen. Hierzu zählen vor allem die Vergewaltigung, der Missbrauch aber auch alle Formen der sexuellen Bedrohung (auch per Facebook und Co). Vor allem im Internet kommt es immer häufiger zu Stalking oder sexualisierter Gewalt. Die ökonomische Gewalt engt die Person in finanziellen Belangen ein und schafft so eine Form der Abhängigkeit vom Partner. Etwa durch das Einsetzen von Geld als Belohnung oder Bestrafung, aber auch das Verbot, Arbeiten zu gehen oder das Verbot, ein eigenes Konto zu besitzen. Fraglich bleibt allerdings, was passiert, wenn du oder jemand, den du kennst, betroffen ist? Der Staat hat vor allem mit der Familienrechtsreform 1975, Gleichstellung der EhepartnerInnen, vermehrt Gesetze gemacht, um die Ungleichheit zwischen Männern und Frauen zu beseitigen. In vielen Städten Österreichs gibt es Frauen*notrufe, etwa für Vergewaltigungsopfer, oder Frauen*häuser, ein geschützter Wohnraum für von Gewalt betroffene Frauen* und Kinder. Das Wichtigste allerdings bleibt: "Du bist nicht schuld! Ein schlechter Tag rechtfertigt nicht diese Reaktionen! Du bist ein wertvoller Mensch und du bist nicht alleine!"
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2 United Nations: The Beijing Declaration and the Platform for Action, Fourth World Conference on Women Beijing, China, 4-15 September 1995, New York 1996
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SELBST IST DIE FRAU
Es lohnt sich, die Dinge im Foyer von unten zu betrachten.
In unserem Gender-Zeitalter ist die Rolle der Frau fast permanent Thema. Trotzdem werden einige Fragen in unserer Gesellschaft gekonnt übergangen: Was macht eine Frau tatsächlich aus? Und wo liegt die Grenze zwischen Erwartungen von außen und eigenen Vorstellungen? Eine nachdenkliche Analyse von Maria Köchler
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erbert Grönemeyer hat sich vor Jahren den Kopf darüber zerbrochen, was einen Mann ausmacht. Das bringt mich auf die gegenderte Version seines Songs: Wann ist eine Frau eine Frau? Für wie viele Menschen (die Versuchung, „Menschen“ durch „Männer“ auszutauschen, ist riesig) ist eine Frau erst als Frau zu werten, wenn sie körperlich entsprechend entwickelt ist? Andere sehen das vielleicht gebunden an eine Altersgrenze: Frau ist man ab 18, 21, 25, …? Und – Hand aufs Herz – wer von uns sieht eine „echte“ Frau verheiratet, als Mutter von mindestens zwei Kindern? Wir sehen uns gerne als aufgeklärte, weit entwickelte und hoch modernisierte Gesellschaft, doch besonders beim Bild der Frau herrschen zum Teil mittelalterliche Zustände – und das scheinbar ohne dass wir es merken. Gehen wir zurück an den Anfang, zu einem der ältesten Bücher, das auch heute noch gelesen wird und das konkret über die Rolle der Frau spricht. Die Frau in der Bibel „Und Gott der Herr sprach: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei; ich will ihm eine Gehilfin machen,
die ihm entspricht!“ (1. Mose 2,18; Schlachter 2000) Im ersten Buch Mose wird Eva als Gehilfin für Adam geschaffen, andere Bibelübersetzungen sprechen von einer GefährtInnen. GefährtInnen sind einander ebenbürtig, sie sind gegenseitige BegleiterInnen, stehen auf Augenhöhe. Eva ist Adams Gefährtin, aber genauso ist Adam Evas Gefährte. Wohlgemerkt findet sich diese Textstelle ganz zu Beginn der Bibel in der Schöpfungsgeschichte. Ist das nicht ein Hinweis darauf, dass Mann und Frau von Anfang an als gleichberechtigt geschaffen wurden? Umso verwirrender ist es in meinen Augen, dass Paulus im neuen Testament scheinbar von diesem Prinzip der Ebenbürtigkeit abweicht. „Eine Frau lerne in der Stille mit aller Unterordnung. Einer Frau gestatte ich nicht, dass sie lehre, auch nicht, dass sie über den Mann herrsche, sondern sie sei still. Denn Adam wurde zuerst gemacht, danach Eva.“ (1. Timotheus 2,11-13; Lutherbibel 2017) Das Argument für eine Unterordnung der Frau soll also die zeitliche Abfolge der Schöpfung sein? Wenn wir daran glauben, dass Zeit in Gottes Augen eine vollkommen andere Dimension hat als in unserer
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menschlichen Wahrnehmung, dann ist diese Argumentation nicht haltbar. Zwar räumt Paulus an anderer Stelle ein, dass ein Mann seine Frau lieben soll, doch warum wird dieses Machtverhältnis provoziert? Denn genau darum handelt es sich in meinen Augen: Um Macht. Warum ist es Männern so wichtig, Frauen „unter Kontrolle“ zu haben? Ich halte die Formulierung bewusst allgemein, denn es geht nicht nur vom Christen- oder Judentum aus: Auch in anderen Religionen und Kulturen ist oft zu beobachten, wie Männer über Frauen verfügen. Seien es Vorschriften in Bezug auf die Kleidung im Islam oder das Verbot, Auto zu fahren in Saudi-Arabien – die Intention bleibt die gleiche. Warum lassen nun Frauen das mit sich machen? Meine Erklärung dafür ist, dass diese Form der „Unterdrückung“ einen religiösen Schleier trägt. Die Regeln sind von Männern erdacht, wurden aber mit dem Hinweis auf Gott verbreitet. Wie um alles in der Welt stünde es nun einer gläubigen Frau zu, sich Gott höchstpersönlich zu widersetzen? Der Punkt ist aber nicht, gegen ein göttliches Wesen zu rebellieren. Es geht darum, die Ursprünge dieser religiösen Strukturen aufzudecken und das Geflecht von Erwartungen an die Frau aufzubrechen. Dafür genügt meiner Ansicht nach für alle religiösen weiblichen Fehldarstellungen das erste Kapitel der Bibel: Die Frau ist die Gefährtin des Mannes, sie ist ihm nicht untergeordnet, sondern ebenbürtig. Die Frau als Lustobjekt So viele verschiedene Frauen es auf diesem Planeten auch gibt, zwei Dinge werden meistens mit dem weiblichen Körper assoziiert: Kurven und Sinnlichkeit. Unweigerlich sind an diese Begriffe auch Erwartungen geknüpft, von Männern und Frauen gleichermaßen. Die entscheidende Frage ist, wie damit umgegangen wird. Schauplatz Salzburg Stadt, Republic, Hip-Hop-Party Black Label. Einige Frauen tragen hautenge Kleidung mit sehr tiefem Ausschnitt, bauchfreie Tops, Hotpants oder High Heels – oder alles zusammen. Ist das das Resultat der Freiheit der Frau unserer Zeit, dass jede tragen kann, was sie möchte? Oder ist es erneut ein Diktat, aber ein verstecktes, das die Erwartungen der Männerwelt erfüllt und der Meinung „Je mehr Haut du zeigst, desto attraktiver bist du“ den Rücken stärkt? Schauplatz Salzburg Stadt, Republic, Hip-Hop-Party Black Label. Andere Frauen kommen in Jeans, bequemen Sneakers und schlichten Tops. Verstecken sie ihren Körper, um sich vor obszönen Kommentaren und teils auch ungenierten Grapschern zu schützen oder sind sie heute einfach ihrem inneren Gemüt gefolgt
und haben sich so gekleidet, wie es ihrer momentanen Stimmung entspricht, unabhängig von äußeren Erwartungen? Es ist erschreckend, wie selbstverständlich manche Männer einer Frau, vorwiegend in Clubs oder Bars, auf die Brüste starren oder ihr an den Hintern fassen. Mindestens genauso erschreckend ist es, wie manche Frauen darauf reagieren – nämlich gar nicht. „Ach komm lass, der macht das bei jeder“ oder „Der ist doch nur betrunken“ sind Sätze, die ich von Frauen (!) gehört habe, die ihre Freundin davon abhalten wollten, einen Aufstand gegen das männliche Verhalten zu machen. Woher kommt diese duckmäuserische Reaktion? Womöglich hat es erneut seinen Ursprung in der sprichwörtlichen grauen Vorzeit, die dem Mann die Herrschaft und das Bestimmungsrecht auch über andere Menschen zugesteht. Kommen wir zurück zum äußerlichen Erscheinungsbild der Frau: Der weibliche Körper ist ästhetisch und jede Frau sollte das Recht haben, sich so zu kleiden, wie es ihr selbst gefällt – und nur ihr selbst, ohne Erwartungshaltungen von anderen Frauen oder Männern. Das sollte in einer modernen Gesellschaft wie der unseren ohne größeres Aufsehen möglich sein und vor allem würden sich – so glaube ich – derartige Extreme wie übertriebene Nacktheit oder Vollverschleierung von selbst auflösen, weil sie nicht mehr als Rebellion oder Machtausübung missbraucht werden müssten. Parallel zum Kleidungsstil stehen auch diverse Tanzstile, die die Sinnlichkeit der Frau entweder bewundernd hervorheben oder einfach nur sexualisieren. Und erneut kommt es auf die Reaktion aus dem nicht nur männlichen Umfeld an. Striptease werden schnell als billig wahrgenommen, aber warum ist Burlesque als hohe Verführungskunst so verschrien? Twerkende Frauen sind in Musikvideos zum Großßteil nur ein Objekt der Begierde, aber warum sollte es einer Frau verwehrt sein, ihre Hüften zur Musik zu bewegen? Eine Pole-Stange wird mit Freudenhäusern assoziiert, aber warum wird die sportliche Höchstleistung vergessen, die gute Pole-Tänzerinnen beweisen? Es könnte so einfach sein, wenn wir uns gegenseitig respektieren und den weiblichen Körper einfach als schöne Schöpfungsleistung betrachten würden. Keine obszönen Kommentare, keine zweideutigen Annäherungsversuche. Punkt. Die Frau als das starke Geschlecht Dass der Mann für seine Gattin sorgen muss und eine Frau ohne Ehemann nicht vollständig in die Ge-
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sellschaft integriert ist, ist Gott sei Dank längst Vergangenheit. Frauen sind nicht mehr nur Mütter und Hausfrauen, sie haben Jobs, manchmal sogar mehrere und nicht selten wird über Frauen gesprochen, die in ihrer Beziehung „die Hosen anhaben“. Es ist gut, dass Frauen alle Möglichkeiten offenstehen, aber es wird viel zu oft vergessen, welche Erwartungen damit erneut verknüpft sind. Es ist fast selbstverständlich, dass eine berufstätige Frau mit Kindern auch die Erziehung mit links bewältigt. Nur zögerlich lassen sich Männer in die Pflicht nehmen, Frauen bei all diesen Aufgaben zu unterstützen. Männer mögen (manchmal) körperlich stärker sein als Frauen, aber wenn es um mentale Stärke geht, dann steht ihnen das weibliche Geschlecht in nichts nach. Immer häufiger werden Frauen auch in Büchern und Filmen als Inbegriff von Stärke dargestellt. Galadriel aus Der Herr der Ringe tritt zwar ruhig und bedächtig auf, doch ihre Macht reicht noch weiter als die so stark präsenten männlichen Charaktere von Elrond oder Gandalf. Katniss Everdeen aus Die Tribute von Panem wird ob ihrer Willensstärke sogar zum Symbol einer ganzen Revolution. Doch nicht nur virtuell, auch im realen Leben werden starke Frauen zu einem immer wichtigeren Vorbild. Angela Merkel leistet in der männerdominierten Politik mehr als viele andere Staatsoberhäupter
zusammen und Malala Yousafzai ist längst zu einem Synonym für Frauenrechte und Selbstbewusstsein geworden. Aus diesen Geschichten können wir lernen, dass Frauen niemals unterschätzt werden sollten. Gleichzeitig dürfen wir nicht vergessen, dass das Bedürfnis nach Geborgenheit und Liebe in wohl jeder Frau schlummert – womit wir den Kreis schließen und wieder zu den GefährtInnen kommen, die sich gegenseitig unterstützen und füreinander da sind. Frau, wer bist du? Wir Frauen sind in der heutigen Welt oft EinzelkämpferInnen und gleichzeitig finden wir uns viel zu häufig in vorgegebenen Mustern und Erwartungen, die wir bewusst oder unbewusst zu erfüllen versuchen. Die Frage, was eine Frau ausmacht, kann aber nur jede für sich selbst beantworten und niemand hat das Recht, in dieser Hinsicht Vorgaben zu machen: Weder die Religion, noch die Kultur oder machthungrige Männer. In unserer modernen Welt sollte es unser Ziel sein, ein Umfeld zu schaffen, in der jede Frau ihre Persönlichkeit entdecken und entwickeln kann, ohne Angst haben zu müssen, dafür verachtet oder verurteilt zu werden. Wir müssen anfangen, unsere Individualität und Vielfalt auch tatsächlich zu leben – in gegenseitigem Respekt. Was braucht es mehr?
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ACHTUNG, ZENSUR! D
ie letzte Ausgabe der uni:press hätte eigentlich vier Seiten mehr haben sollen. Hat sie aber nicht. Warum? Ganz einfach: Wir haben Themen angesprochen, die dem ehemaligen ÖH-Vorsitzenden unangenehm waren: Religionskritik, Kritik am neuen Lehramt und Kritik am Rektorat. Unter dem ehemaligen ÖH-Chef Paul Oblasser hätte die uni:press offensichtlich zu einem Feelgood-Magazin ohne jeden kritischen Anspruch werden sollen. Schon lange war es der ÖVP-Aktionsgemeinschaft ein Dorn im Auge, dass in der uni:press konträre Aussagen zugelassen werden. Man wolle Schminktipps, Berichte über Glühweinstände und hochintellektuelle Artikel wie “Best of Anmachsprüche”, hieß es damals zu unseren VorgängerInnen. Auch Bildungspolitisches sei in der uni:press zu wenig vertreten. Seit der Machtübernahme in der ÖH hat er begonnen, das auch durchzusetzen. Kritische Artikel wurden ohne jede echte Begründung abgelehnt; nur mehr harmlose Beiträge waren erlaubt. Ging es bildungspolitisch ans Eingemachte – Kritik am Rektorat oder am neuen Lehramt – zog er den Schwanz ein.
Die Arbeit in der ÖH wurde und wird hauptsächlich von Menschen getragen, die keiner politischen Fraktion zugehörig sind. Zu sehr sind die politisch Organisierten in ihre Grabenkämpfe verwickelt. Bisher war es üblich, dass man diese unabhängigen Leute – wenn man sie schon nicht aktiv unterstützt hat – zumindest in Ruhe ihre Projekte hat durchführen lassen. Das hat sich unter der AG-Führung geändert: Der Pressereferentin wurde damit gedroht, sie für einen möglichen finanziellen Schaden durch die Verschiebung des Drucktermins (in der Höhe von mehreren tausend Euro) verantwortlich zu machen, falls sie die Zensur nicht akzeptieren sollte. An Bösartigkeit ist das kaum mehr zu überbieten! Als unabhängiges Pressereferat war und ist es uns ein Anliegen, auch Themen anzusprechen, die vielleicht den einen oder anderen stören, Meinungen zu veröffentlichen, die manche möglicherweise vor den Kopf stoßen, das Rektorat dann rücksichtslos anzugreifen, wenn es gegen uns Studierende arbeitet. Wer die uni:press als Medium sieht, genau diese Dinge zu verfolgen, sei hiermit gewarnt: Die ÖVP-nahe Aktionsgemeinschaft lässt Kritik nicht zu!
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MUTTER TERESA – EINE HEILIGE? Die empörten Reaktionen auf die [vor]letzte Ausgabe der uni:press haben gezeigt, dass man mit Religionskritik auch im Jahr 2016 noch Leute aufregen kann. Ein Grund mehr, schonungslos gegen diesen Zirkus und seine fragwürdigen Traditionen vorzugehen. Ein Kommentar von Samael Kölski
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enn ein Verein seinen Mitgliedern Auszeichnungen verleiht, könnte das der Allgemeinheit im Grunde egal sein. Wenn dieser Verein sich allerdings anmaßt, in unser aller Leben einzugreifen, immer noch enormen Einfluss auf politische Entscheidungen in unserer Gesellschaft hat und nicht einmal davor zurückschreckt, Straftäter zu decken, dann werden solche Ehrungen auch für die Allgemeinheit interessant – die Rede ist von Heiligsprechungen in der katholischen Kirche. Als heilig gelten allgemein Menschen, die sich durch einen besonders frommen Lebenswandel hervortun, sich selbstlos für das Wohl anderer einsetzen und sich nichts zuschulden kommen lassen. Für den formalen Akt der Heiligsprechung reicht das in der katholischen Kirche allerdings noch lange nicht. Sie setzt voraus, dass der oder die Heiligzusprechende entweder ein Martyrium erlitten hat oder einen heroischen Tugendgrad vorweisen kann. Liegt kein Martyrium vor, wird zudem der Nachweis eines Wunders gefordert – beim seliggesprochenen letzten Habsburgerkaiser Karl I. war das zum Beispiel die „Heilung“ der Krampfadern einer polnischen Nonne. Dass ausgerechnet dieser Karl im Ersten Weltkrieg kaltblütig den Einsatz von Giftgas befohlen hat, zeigt schon, dass nicht einmal die katholische Kirche die Sache völlig ernst nimmt. Es gibt aber mehr als genug religiöse FundamentalistInnen, die das schon tun, die bei bestimmten Personen eine Heiligsprechung geradezu fanatisch fordern. Eine dieser Personen ist Anjezë Gonxha Bojaxhiu, den meisten vermutlich als „Mutter Teresa“ bekannt. Sie wird auch heute noch von vielen als das personifizierte Gute gesehen und steht geradezu synonym für die angesprochene selbstlose Wohltätigkeit. Nur zwei Jahre nach ihrem Tod wurde sie dank Sondererlaubnis von Vereinsobmann („Papst“) Karol Wojtyla – früher als vereinsintern eigentlich erlaubt – selig und schließlich im September 2016 heilig gesprochen. Dass sie aber in Wirklichkeit auf einer Stufe mit dem seligen Giftgaskarl steht, wissen vermutlich die wenigsten:
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Sie führte ihre „karitativen“ Einrichtungen wie Gefängnisse (und zwar besonders grausame und unhygienische Gefängnisse). Kinder wurden an ihre Betten gefesselt, um sie davon abzuhalten, sich schlecht zu benehmen. Die Todkranken in ihren „Spitälern“ ließ sie ohne irgendwelche Schmerzmittel sterben, denn Leiden bringt einen ja bekanntlich näher zu Jesus. Es spielte wegen der katastrophalen Zustände keine Rolle, ob eine Krankheit heilbar war oder nicht – die Sterblichkeitsrate lag bei ca. 40 Prozent. • Der Großteil der aufgetriebenen Spenden für ihre Zwecke kam entweder der ohnehin schon steinreichen katholischen Kirche zugute oder wurde dafür verwendet, ihre Einrichtungen auf neue Regionen auszudehnen, anstatt ihren Schützlingen tatsächlich zu helfen – viele davon mussten hungern und hatten keine grundlegende medizinische Versorgung. Nur etwa sieben Prozent der Spenden kamen wohltätigen Zwecken zugute. • Sie befreundete sich mit dem haitianischen Diktator Jean-Claude „Baby Doc“ Duvalier, verteidigte ihn immer wieder und nahm Geld, das aus Drogengeschäften und Organhandel stammte, von ihm an. Auch von anderen zwielichtigen Gestalten ließ sie sich finanzieren und setzte sich öffentlich für sie ein. • Sie verteidigte immer wieder öffentlich Kinderschänder aus den Reihen der Priesterschaft. • Sie bestand darauf, dass Spritzen in ihren „Spitälern“ solange wieder verwendet wurden, bis sie zu stumpf waren, um Müll zu vermeiden – auch in Gegenden mit hohem HIV-Risiko. Auch Kondome lehnte sie wenig überraschend ab. • Verhütung und Abtreibungen – auch nach Vergewaltigungen – lehnte sie strikt ab. Abtreibungen bezeichnete sie als „größte Zerstörer des Friedens“. Leben zählt in der Kirche eben nur, wenn es ungeboren ist. Danach kümmert sie sich nicht mehr darum. • In Irland rief sie dazu auf, gegen ein Gesetz zu stimmen, das die Scheidung erlaubt. Wenn eine Frau mit dieser Vergangenheit im 21. Jahrhundert als herausragende Persönlichkeit der katholischen Kirche verehrt wird, wirft das die Frage auf, ob es nicht langsam Zeit ist, diesen Verein endgültig aufzulösen. Während der Staat zum Beispiel harmlose TierschützerInnen mit dem sogenannten Mafiaparagrafen drangsaliert, darf diese verbrecherische Organisation munter weiterwerken und wird sogar noch staatlich gefördert. Und Todesengel Teresa wird dann auch noch öffentlich als Vorbild dargestellt. Damit muss endlich Schluss sein!
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Einleitung zum folgenden Artikel von Carlos P. Reinelt
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ach den Parisattentaten (Nov. 2015) und den Köln-Vorfällen (Dez. 2015) passierte in meiner linken Filter-Bubble etwas Erstaunliches: Ein Großteil meiner Freunde sowie die meisten der medienpräsenten Intellektuellen versuchten sich dabei zu überbieten, den Islam als Friedensreligion zu präsentieren. Statt Menschen und Gemeinschaften zu verteidigen, vor Pauschalisierungen zu warnen, wurden plötzlich Koransuren zitiert und die reiche Tradition aufklärerischer Religionskritik über Bord geworfen (zumindest partiell, denn das Christentum war trotzdem noch das Übel schlechthin (was es ja auch ist, bloß nicht allein)). Kranker Scheiß, ich weiß, aber ihr erinnert euch. Ich habe daraufhin ein ironisches Interview mit Allah verfasst, pietätlos und offensiv. Aber witzig [ausgesprochen witzig, Anm. d. Red.]. Der Redaktion gefiel es, der ÖH-Vorsitz wollte ein
Warnschild: „Das ist Satire“ – falls jemand denken sollte, ich hätte wirklich ein Interview mit Allah geführt (???). Letztendlich wurde der Artikel verboten, ein Vorsitzmensch fragte mich entsetzt, ob ich rechtsradikal sei. No comment. Daraufhin habe ich diesen Artikel geschrieben. Im Sommer 2016, als ein Attentat auf das andere folgte, verteidigten wieder viele in meiner linken Blase (die ich liebe und pflege und deshalb kritisiere) die Religion an sich. Nonaned, der Redaktion gefiel der Artikel, der ÖH-Vorsitz hat es wieder verboten. Glücklicherweise ist dieser Vorsitz jetzt abgesetzt, ich aber noch da. Und schreibe. Für ein friedliches und tolerantes Miteinander und eine uni:press, in der auch Gesellschafts- und Religionskritik Platz haben (Gott sei Dank!). Viel Spaß mit dem (nicht mehr ganz aktuellen) Artikel. Morddrohungen bitte an reineltca@stud.sbg.ac.at
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ALLAH MUSS STERBEN!
Gott liegt schon lange vergraben. Die Erde über ihm ist durch die Spuren der Aufklärung und vieler nachfolgender Generationen so festgetreten, dass er auch da unten bleiben wird, wo nur noch Maden von seinem verdorbenen Fleisch zehren. Aber der Andere wandelt noch immer auf scheinbar heiligem Boden und scheut immer weniger davor zurück, auch über unsere Straßen zu gehen. Eine Gelegenheit, die man nutzen muss, um ihm den finiten Dolch in sein ewiges Herz zu rammen. Aufruf zur Tötung Allahs von Carlos P. Reinelt
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essen Blut wollt ihr an euren Händen haben? Jenes, der Menschen, die immer noch getötet, versklavt und genital-verstümmelt werden? Oder das Blut des Einen, in dessen Namen diese Taten gerechtfertigt werden? Was höre ich da? Friedensreligion? Dass ich nicht lach! Worauf stützt ihr denn dieses Oxymoron? „Wer einen Menschen tötet, tötet die ganze Menschheit“? Was?! Dann lest doch die ganze Passage! Ein antijudaistisches Gebot, dass nur für die „Kinder Israels“ gilt, denen sonst die Kreuzigung und das Abhacken der Gliedmaßen droht1! Ihr Pseudolinken Moralapostel lest genauer, anstatt nur Facebook-Phrasen wiederzukäuen! Und ihr islamischen Vereine, kennt ihr den Koran nicht, oder verfälscht ihr absichtlich die Passage? Welch' blasphemischer Gedanke! GenossInnen, seht ihr denn nicht, dass wir den Rechten die Islamkritik aus den Händen nehmen müssen? Verteidigt ein Buch, das Männern als Rechtfertigung dient, Familien in die Luft zu sprengen und Frauen zu vergewaltigen? Beschwichtigt Morde in seinem Namen, denn bei uns hat man es ja auch irgendwann mal so getan? In Gottes Namen! Es war damals falsch und ist es heute. Was sind das für Idiotien, in denen ihr euch da übt. Die Religionskritik, war das nicht immer unsere Vorzeigedisziplin? Hört doch auf eure arabischen intellektuellen Brüder und Schwestern, die euch vor dem Islam warnen! Auf Salman Rushdie, für dessen abgetrennten Kopf iranische Medien im März 2016 540.000€ ausgesetzt haben. Auf Hamed Abdel-Samad, der sich in demselben Jahr wegen Mohammed-Kritik vor deutschen Gerichten gegen den Vorwurf der Volksverhetzung verantworten musste! Auf Mona Eltahawy, die sich in ihrer Heimat eine sexuelle Revolution wünscht und mit Entsetzen feststellt, dass die europäische Linke den muslimischen Sexismus verteidigt!
Um unsere eigenen Probleme kümmern? Wenn wir uns nicht wehren, werden es unsere Probleme! Oder seht ihr die Leichenteile nicht? Religionsgefühle anderer achten? Wir scherzen über Frauen, Pädophile, den Holocaust, Burgenländer, Schwarze und Tomaten, aber vor der Religion soll Schluss sein?Ach ja? Aber haltet ihr nicht selbst Life of Brian für den göttlichsten Film?! Ach, das ist was anderes, jaja... Wir zeichnen ihn nicht, wir hämen ihn nicht, aus Angst, ins rechte Eck gestellt zu werden. Wir sind aber selber schuld daran, wenn wir die Kritik dort liegen lassen und nicht zu uns rüber holen! Zurück zu uns, zu Canetti, zu Zizek, zu Schopenhauer, zu Freud, Voltaire und Nietzsche, für die Mohammed ein grausamer Kriegsherr hunderter Jahre war! Ich weiß! Ich weiß! Ich weiß ja, dass Christen- und Judentum auch nicht besser waren und zum Teil noch sind! Aber macht es das besser? Seid kurz ruhig... Genießt ihr nicht die freie Luft zum Atmen, seit unser Gott tot ist? Genießt ihr nicht die Sonne auf eurer nackten Haut, seit unser Gott tot ist? Genießt ihr nicht den verkatert-verschlafenen Sonntagmorgen, seit unser Gott tot ist? Wer seinen Gott behalten will, der soll ihn behalten, der soll ihn lieben und umgarnen, aber er soll ihn nicht mit auf Straßen und Schulen nehmen! Ihr habt Recht, wir können Allah nicht töten. Wir haben unseren Gott schon getötet, jetzt sind sie selber dran. Aber was wir tun können, ist den intellektuellen Menschen aus dem arabischen Raum nicht länger den Wind aus den Segeln zu nehmen sondern mit unseren Wetzsteinen die Klingen zu schärfen. Solange, bis Rushdies und Elahawys nicht mehr von ihren Verwandten gejagt werden, sondern Seite an Seite mit ihnen Allah den Todesstoß versetzen. Sodass er tief begraben liegt, wo nur noch Maden von seinem verdorbenen Fleisch zehren. Ich frage euch ein letztes Mal: Wessen Blut wollt ihr an euren Händen haben?
1: Koran Sure 5 Vers 32-33 in der dt. Übersetzung: „Deshalb haben Wir den Kindern Israels verordnet, daß, wenn jemand einen Menschen tötet, ohne daß dieser einen Mord begangen hätte, oder ohne daß ein Unheil im Lande geschehen wäre, es so sein soll, als hätte er die ganze Menschheit getötet; und wenn jemand einem Menschen das Leben erhält, es so sein soll, als hätte er der ganzen Menschheit das Leben erhalten. Und Unsere Gesandten kamen mit deutlichen Zeichen zu ihnen; dennoch, selbst danach begingen viele von ihnen Ausschreitungen im Land. (32) Der Lohn derer, die gegen Allah und Seinen Gesandten Krieg führen und Verderben im Lande zu erregen trachten, soll sein, daß sie getötet oder gekreuzigt werden oder daß ihnen Hände und Füße wechselweise abgeschlagen werden oder daß sie aus dem Lande vertrieben werden.“
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GENDER WATCH PROTOKOLL, ODER: WIE ENTTARNE ICH SEXISTINNEN? Ein Kommentar von Carolina Forstner
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ie oft schaffen wirs morgen in dieses Protokoll?“ Paul Oblasser, ehemaliger Vorsitzender der ÖH Salzburg (laut der Website der Aktionsgemeinschaft ist er es ja noch immer). Eine Aussage, die besagter AGent am 12.01.2017, einen Tag vor einer Sitzung der Universitätsvertretung, tätigte. Was meint er mit dieser ominösen Zeile und warum ich, genau wegen solcher Aussagen, die aus dem Zusammenhang gerissen nichtig wirken, froh bin, dass die Koalition des VSStÖ und der Aktionsgemeinschaft im Dezember ihr Ende fand. Das Gender Watch Protokoll der Österreichischen HochschülerInnenschaft Salzburg wurde in der Sitzung am 17. März 2016 einstimmig, das heißt von allen Fraktionen, angenommen. Im Zuge dessen wurde nun, wie der/die geneigte LeserIn in der Abbildung oben sehen kann, besagtes Protokoll eingeführt, um so die Geschlechtergleichheit, oder vielmehr Ungleichheit schriftlich festzuhalten und dadurch Missstände aufzudecken und transparent zu machen. Schwarz auf weiß und für JedeN, der fähig ist, sich in den Weiten des Internets soweit zurechtzufinden, um bei einer beliebigen Suchmaschine „UV Sitzungsprotokolle Uni Salzburg“ einzugeben, und willig ist, circa eine Viertelstunde „Recherche“ in Kauf zu nehmen, wird dort zu lesen sein:
Ziemlich eindeutig, oder? Besagter Paul Oblasser am 13.01.2017 in einem Artikel der Salzburger Kronen Zeitung, auf dieses einstimmige Votum angesprochen: „Das ist eine glatte Lüge!“1 Erinnert sich noch einer an die Talkshows der frühen 2000er Jahre, „Britt“ oder „Oliver Geissen“, wo nicht nur höchst niveauvoll getalked, sondern auch ab und zu mal ein waschechter „Lügendetektor“ zum Einsatz kam? Ich bin mir nicht sicher, ob Oblasser den Test bestanden hätte, just sayin‘. Der Kronen Zeitung Artikel und Facebook-Kommentare unter dem Posting des ehemaligen Vorsitzenden der ÖH sprechen von einer „rot-grünen-Ideologie“ und dem nun auferzwungenen „Gender-Wahnsinn“. Stimmt auch wieder, wo käme man nur hin, wenn man als Österreichische HochschülerInnenschaft mit gutem Vorbild voranginge und die MitarbeiterInnen auf geschlechtergerechte Sprache und die Divergenz, welche zwischen den beiden Geschlechtern anno 2017 mitnichten aus der Welt geschafft ist, zu sensibilisieren? Das Gender Watch Protokoll wurde nicht nur auf Social Media Plattformen voller Häme und gespielter Ungläubigkeit ob dessen Echtheit diskutiert, sondern auch in oben erwähntem Kronen Zeitung Artikel, natürlich höchst objektiv und allen journalistischen Gütekriterien entsprechend zerlegt und ins Lächerliche gezogen. Was lernen wir aus so einer Diskussion rund um ein Stück Papier, das eigentlich keiner Debatte bedarf? Verstöße gegen das Gender Watch Protokoll tragen keinerlei Konsequenzen und werden nicht sanktioniert. Es geht darum, Bewusstsein für gendergerechte Sprache zu schaffen, denn auch wenn es für so manche/n SprachtraditionalistIn nicht in den Kopf gehen mag: Die psycholinguistische Forschung hat längst bestätigt, dass das „Mitmeinen“ des weiblichen Geschlechts nicht funktioniert. „Das Gender Watch Protokoll dient dem "Hauptprotokoll" als Ergänzung und zeichnet das Redeverhalten von Männern und Frauen auf. Dabei werden selbstverständlich keine namentlichen Notizen
1: http://www.krone.at/oesterreich/salzburg-oeh-blamiert-sich-mit-gender-protokoll-verstoesse-sammeln-story-548693
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Anbei eine Auswahl diverser Facebook-Kommentare unter dem Posting von Paul Oblasser. Dass fast ausschließlich Männer kommentieren, sei an dieser Stelle nur nebenbei erwähnt.
gemacht, sondern nur mitgezeichnet wie viele Männer bei einer Sitzung gesprochen haben und wie viele Frauen.“, sagt Ivana Ristic, 1.stv. Vorsitzende der ÖH Salzburg. Vielleicht ist das Einführen eines Gender Watch Protokolls nicht das ultimative Patentrezept. Über das „linkslinke System“ und dessen „sprachliche Sittenwächter“ zu wettern, ist jedoch mit ziemlicher Sicherheit kein Lösungsansatz.
In der UV-Sitzung fielen von VertreterInnen der Aktionsgemeinschaft Aussagen wie: „Das Gender Watch Protokoll hat doch gar keinen Sinn. Wenn Frauen wirklich etwas sagen möchten, sollen sie doch einfach, es hindert sie doch keiner daran!“2 Als emanzipierte Frau balle ich, während ich diese Behauptung abtippe, die Fäuste vor Wut. Es hindert uns keiner daran? Unfassbar, mit welch nonchalanter Arroganz hier argumentiert wird. Liebe Aktionsgemeinschaft, nur zur Information: Heute FeministIn zu sein heißt, die Tatsache anzuerkennen, dass Frauen und Männer nicht
gleichberechtigt sind. Als Beispiel: Die Lohnschere klafft im europaweiten Vergleich nur in Estland weiter auseinander. Frauen verdienen in Österreich 22,9 Prozent weniger als Männer3. Heute FeministIn zu sein bedeutet, die bestehende Rollenverteilung zu hinterfragen, auf Sexismus in allen Lebenslagen hinzuweisen und vor allem: zu reagieren, zum Beispiel mit der Einführung eines Gender Watch Protokolls. Paul Oblasser himself ließ sich übrigens noch zu folgendem geistreichen Statement hinreißen:
Falls es entgangen ist: Der ehemalige Vorsitzende witzelt hier zum Beispiel, man beachte das Gender Watch Protokoll, über sexistische Wortmeldungen und die fehlende geschlechterkonforme Ausdrucksweise und streicht dafür 18 „likes“ ein? Kann sich der/ die LeserIn noch an den Beginn meines Textes erinnern, als ich meine Erleichterung über das Ende der schwarz-roten Koalition aussprach?
2: Öffentliche UV-Sitzungen werden übrigens immer per Livestream übertragen. Infos dazu findet man auf dem Facebook-Account der ÖH. Sitzungsprotokolle sind auf der Website der ÖH Salzburg abrufbar. 3: http://derstandard. at/2000031826284/Lohnschere-Oesterreich-in-Europa-weiterhin-Vorletzter
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EIN PLÄDOYER FÜR DIE FREUNDLICHKEIT
Die Gesprächskultur in Österreich lässt zu wünschen übrig. Fast scheint es, als hätte der von allen Müttern gepredigte Leitsatz „Zuerst denken, dann reden“ seine Gültigkeit verloren. Wir sind immer schnell dabei, mit dem Finger auf andere zu zeigen, dabei gilt doch wie immer: Sich als erstes selbst bei der Nase zu nehmen, hat noch nie geschadet. Ein Kommentar von Sandra Grübler
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016 – so hat man das Gefühl – war das Jahr des vielen Streitens, des nicht enden wollenden Politisierens, des Jonglierens mit Totschlagargumenten. Im Öffentlichen wie auch im Privaten. In seiner ersten öffentlichen Rede als designierter Bundespräsident der Republik Österreich sprach Alexander van der Bellen über seine Pläne für ein „gemeinsames Österreich“ und widmete sich dabei eingehend dem Wunsch nach einer neuen, respektvolleren Gesprächskultur in der Alpenrepublik.
"DAS WAHLERGEBNIS ZEIGT AUCH, DASS DIE MENSCHEN IN UNSEREM LAND SICH EINE ANDERE GESPRÄCHSKULTUR WÜNSCHEN. ICH WERDE DEM THEMA DES UMGANGS MITEINANDER, AUCH DES UMGANGS MIT WORTEN, IN MEINER AMTSZEIT EINEN WICHTIGEN PLATZ EINRÄUMEN UND WERDE VERSUCHEN, EINEN RESPEKTVOLLEN, KONSTRUKTIVEN AUSTAUSCH UNTEREINANDER ZU FÖRDERN." ALEXANDER VAN DER BELLEN, 6. DEZEMBER 2016
Tatsächlich hat der Wahlkampf rund um die Präsidentschaftswahl 2016 wie nie zuvor offensichtlich gemacht, dass die Gesprächskultur in Österreich wirklich dabei ist, vor die Hunde zu gehen. Eine Analyse politischer Debatten und Talk-Show-Sendungen auf Tiefsee-Niveau ist für diese Erkenntnis aber gar nicht notwendig; eigentlich reicht ein offenes Ohr im Alltag; denn dass wir das Miteinander-Umgehen mit Worten ein bisschen verlernt haben, zeigt sich in Beziehungen, am Arbeitsplatz, in der Uni. „Ihre Arbeit ist scheiße.“ Vor wenigen Wochen rief mich eine Studienkollegin und Freundin an. Dachte ich zuerst noch, sie hätte sich – wie so viele andere – über die Feiertage eine Schnupfnase eingefangen, auf die Rudolph, das Rentier neidisch wäre, stellte sich bald heraus: Sie weinte. Sie kam gerade von einem Nachbesprechungstermin mit einem Professor, der ihr ihre Seminar-Arbeit mit den Worten „Ihre Arbeit ist scheiße“ überreichte, ihr mitteilte, sie habe zwei Wochen Zeit, um diese zu überarbeiten und sie dann umgehend verabschiedete.
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Hat man sich so konstruktive Kritik vorzustellen? Niemand hört gerne, dass das, worin man viel Mühe und Zeit investiert hat, nicht ausreichend gut ist. Von konkreten Verbesserungsvorschlägen und sachlichem Feedback hätte meine Kollegin jedoch erwiesenermaßen mehr profitiert, als von einer Beleidigung. Und wer weiß? – Vielleicht hätte sich nach einem sachlich geführten Feedback-Gespräch nicht nur meine Kollegin, sondern auch der geschätzte Herr Professor besser gefühlt, der zwar so die günstigere Alternative zur Aggressionsbewältigungstherapie gewählt, die Achtung vieler StudentInnen durch sein Verhalten jedoch verloren hat. Ein bisschen mehr Freundlichkeit und Umsichtigkeit im Umgang mit Worten führt in den meisten Fällen zu einer Win-Win-Situation. Und noch eine Schleife dran. Mit Kritik ist es wie mit Geschenken. Zwar kommt es natürlich auf den Inhalt an, aber manchmal ist es schon die Verpackung, die zeigt, ob mit Bedacht an die Sache herangegangen wurde. Lieblos Verpacktes wird einfach weniger gerne angenommen. Und deshalb zahlt es sich aus, um Worte (die auch ein Geschenk sein können) nochmal eine extra Schleife rumzubinden. Das soll nicht heißen, dass jeder Satz in eine rosa Bubble gehüllt werden muss oder Diskussionen nicht auch einmal hitzig und mit Emotion geführt werden dürfen, aber ein gewisses Maß an Respekt dem/der GesprächspartnerIn gegenüber aufzubringen, sollte für erwachsene Menschen doch machbar sein. Dass Worte äußerst verletzend sein können, sollte jedem klar sein. Und dass das Verwenden von Worten als verbale Hackbeile sich ebenfalls nicht positiv auf das Gemüt auswirkt und mit Sicherheit auch anstrengender ist, als sachlicher Austausch, dürfte so sicher sein, wie das Amen im Gebet. Von Freundlichkeit und Respekt profitieren immer alle Beteiligten. Wo haben die denn ihr Reklamationsformular? Beim Verfassen von Reklamationen sind wir alle Die Sitzgelegenheiten auf der Dachterrasse verbergen so manches Geheimnis.
schnell, wenn eine Lieferung zu spät versendet, ein Produkt kaputt, ein Service ungenügend war. Aber wie oft nehmen wir uns die Zeit für Lob? Für ein lautes „Dankeschön, das hat ja prima geklappt!“? Viel zu selten. Dabei nimmt das Verfassen freundlicher Zeilen nicht mehr Zeit in Anspruch als das Schreiben einer empörten Beschwerde. Zuerst denken, dann reden: Mütterliche, universelle Weisheiten. Im Laufe der Zeit kommt man drauf, dass auch Mütter manchmal flunkern. Es gibt jedoch mütterliche Weisheiten, die nie nie nie ihre Gültigkeit verlieren. • Man kann Gesagtes nicht ungesagt machen, man kann Dinge, die man ausgesprochen hat, nicht mehr zurücknehmen. Deshalb empfiehlt es sich, den Rat einer jeden Mutter zu befolgen: Zuerst denken, dann reden. So erspart man nicht nur sich selbst so manchen Tritt in die an allen Ecken und Enden lauernden Fettnäpfchen, sondern verhindert auch, dass man durch unbedachte Worte das Gegenüber verletzt. • Nicht alles, was man sich denkt, ist es auch wert, laut ausgesprochen zu werden. Man muss nicht zu allem und jedem seinen Senf abgeben, schon gar nicht, wenn er absolut unqualifiziert und obendrein ruppig formuliert ist. Punkt. • Und last but not least: Da fällt dir doch keine Perle aus der Krone! Freundlich zu sein tut nicht weh. Deshalb kann man ganz oft und ganz viel Gebrauch davon machen. Kostet nichts, ist aber dennoch viel wert. Sich selbst an der Nase nehmen. Wer sich – wie Alexander van der Bellen – einen respektvolleren Umgang miteinander, konstruktiven Austausch, eine angenehme Gesprächskultur wünscht, der sollte gleich bei sich anfangen und Mamas Weisheiten wie ein Mantra verinnerlichen: Zuerst denken, dann reden.
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radikal sein - ein loblied von vasillis varvaridis
manchmal wünsche ich mir im stillen, dass doch alle ein bisschen radikaler wären. „was? ist der jetzt verrückt geworden?“, fragen sich an dieser stelle wohl nicht unwenige. pegidaschlümpfe hopsen herum und fordern lynchjustiz, die usa werden künftig von einer föhnfrisur mit vergewaltigungsfantasien regiert und lkws rasen in weihnachtsmärkte. „wie kann sich da jemand mehr radikalität wünschen? was ist das für ein mensch?“ diese fragen kann man nachvollziehen, muss man aber nicht. das birgt jetzt natürlich erklärungsbedarf. zunächst hat das alles ganz viel mit gärtnerei und gemüse — genauer gesagt radieschen — zu tun. radikal und radieschen haben als wörter den gleichen lateinischen ursprung, nämlich radix, was so viel wie „wurzel“ bedeutet. wenn ich also radikal bin, kann das heißen, dass ich was mit wurzeln mache: ausreißßen oder wässern und nähren. den stamm und den auswuchs kann ich aber auch einfach nur oberflächlich angucken, sein lassen oder aber auch - wenn’s mir nicht gefällt - respektlos darauf pissen, was wiederum – je nach volumen der ausscheidungen – dünger oder aber auch gift sein kann. wir sehen: ganz schön komplex, so ein wurzelwerk. und ich behaupte: wir müssen für unsere zeit radikalere problemlösungen finden. nur: was ist beim radikalsein wann und wie angebracht? in anbetracht von regierenden pussygrabbern, zwischen einer enttäuschten und „wir-sind-das-volk“-skandierenden mittelschichtmeute und gottbeflügelten lastkraftfahrzeuglenkern mit exorbitantem todestrieb wird das radikalsein fälschlicherweise als solches bezeichnet. sie alle lösen keine probleme, sondern verschärfen sie nur. sie sind auswuchs einer krise. andererseits, wenn ich unter dem vorwand von demokratie und menschenrechten ein system unterstütze, das länder zerbombt und menschen foltert, ist schon die wurzel faul; der auswuchs kümmerlich. diese leute gehen dann auf die straße und werfen pflastersteine auf „bullenschweine“, was dann in der regel eher unterhaltungssport für ach so gebildete und vom adrenalinpegel her unterversorgte lehrer*innenkinder mit unreflektiertem weltverbesserungsdrang ist.
all diese muster ignorieren die wurzel des übels: ausbeutung. immer da, wo jemand etwas — wie etwa seine arbeitskraft — verkaufen muss, kommt es zu ungleichheiten, die global dann mal hier, mal dort besser oder weniger spürbar sind. auch wenn heute noch in nahezu jedem bwl-buch anderes behauptet wird: märkte sind doof und haben ausgedient. willst du deine lebensqualität, dein potential verkaufen? hat es einen wert? in japan kann man heute übrigens in einem café für einen „tiefen blick in die augen“ bezahlen. ist das lebenswürdig? soll dein leben, dein genießen und deine zeit einen preis haben? wenn du diese fragen alle mit „nein“ oder „öööhm .... vielleicht“ beantwortest: werde bitte radikaler. der baum, der nicht gefällt werden, sondern nur durch das anpacken an den wurzeln besiegt werden kann, heißt „kapitalismus“. ich weiß, das ist ein ganz schöner brocken. aber nur, wenn wir es ehrlich, gemeinsam und gründlich angehen, nicht immer nur klein beigeben und endlich in die offensive gehen und für eine gesellschaft eintreten, in der sich alles und jede*R entfalten kann, ohne andere existenzen zu zerstören, nur dann wird dieses unkraut namens kapitalismus endlich auf den müllhaufen der geschichte geworfen werden können. vor hundert jahren hätte es die menschheit fast geschafft. in hundert jahren wird die menschheit mitleidsvoll einen blick auf die heutige gesellschaftsform werfen. nur keine angst, wir haben schon so viel erreicht und die föhnfrisur, ein rechtsradikaler mob und gotteskrieger können uns nichts anhaben. 1 kluger benjamin franklin hat schon mal was tolles gesagt: „Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, der wird am Ende beides verlieren.“ tritt ein und lass uns ein bäumchen gießen und es sprießen lassen. ohne hass, mit viel liebe. das bäumchen heißt: sozialismus. es will das beste für dich, alle anderen, die welt und ihre lebewesen. alle isolierten zellen unserer gesellschaft, die denken, sie sind mehr wert als andere, werden sich noch wundern, was alles möglich ist.
kultur & menschen
ZUHAUSE IM LAND VON FEUER UND EIS
Es gibt viele bereisenswerte Länder, die bereichernde Eindrücke versprechen und spannende Kulturen beheimaten. Wer allerdings auf der Suche ist nach einem Ort, an dem der Alltag tatsächlich unwichtig wird, wo die eigene Existenz in Kommunikation mit der Umgebung tritt und eine allgemeine Ruhe herrscht, die nicht von Menschen ausgeht, dann gibt es genau ein Ziel: Island. Von Maria Köchler
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andeanflug auf den Flughafen Keflavík, das Meer geht über in mehr als karges Land, dunkelbraune Erde, an wenigen Stellen überzogen von Moos, pulverisiertes Vulkangestein soweit das Auge reicht. Und trotzdem stellt sich bei mir ein Gefühl des Ankommens ein, obwohl ich diese Insel im Norden Europas zum ersten Mal bereise. Das war im Juli 2015. Am 31. Dezember 2016 sitze ich erneut in einem Flugzeug mit Kurs auf Keflavík. Wird das Gefühl gleich sein wie beim letzten Mal? Gespannt warte ich darauf, dass Schottland unter uns verschwindet und nach dem Meer wieder Land in Sicht kommt. Plötzlich fühle ich mich wie ein Kind, das nach langer Zeit zurück nach Hause kommt. „Da sind die versteinerten Trolle vor der Küste!“ Ich hänge an der kleinen Luke, die mir Sicht nach unten gewährt, meine Aufregung ist unübersehbar. Kurze Zeit später sitzen meine Reisegefährten und ich im Mietauto Richtung Südosten und erneut stellt sich das mittlerweile bekannte Gefühl ein: Ruhe, Ankommen, Verbundenheit. Was vielleicht kitschig klingt, ist für mich ein Phänomen. Es ist, als ob die Insel uns willkommen heißen würde. Namen, Namen, Namen An und für sich ist Island – besonders im Winter – ein karges Land: Es gibt wenig Waldflächen und weite Landstriche, die von Vulkanausbrüchen gekennzeichnet sind. Und trotzdem herrscht eine einnehmende Atmosphäre, trotz der Ruhe steht die Insel nie still. Am Fuß der Hügel, die beinahe wie aufgeschüttete Ascheberge wirken, finden sich Gesteinsbrocken, die erst vor Kur-
zem dort zum Liegen gekommen sein müssen. Der Pulverschnee wird vom Regen wieder weggewaschen, gibt den Blick auf rote Erde und winterschlafende Wollgraswiesen frei, die im Sommer in sattem Grün blühen. Es dauert nicht lange, bis nach dem nächsten Sturm ein neuer Schneefall kommt und die Insel wieder zudeckt. Unbeeindruckt von diesen Wetterwechseln bleiben in erster Linie die Pferde und die IsländerIn selbst. Das Land bleibt in Bewegung. Vulkanausbrüche und Erdbeben gehören zum Alltag, doch was hier definitiv nicht zu spüren ist, sind Gefühle wie Angst oder Sorge. Die Vulkane haben Namen, über sie wird gesprochen wie über gute Freunde: „Hekla ist am aktivsten, wir warten schon auf ihren nächsten Ausbruch“ – so etwa die Besitzer eines Hofes mit ungefähr 70 Pferden und 100 Schafen, die auch der Überzeugung sind, dass man in der fortwährend gleichen Hügellandschaft im Süden Islands nicht verloren gehen kann, weil Hekla als Fixpunkt am Horizont immer den Weg weist. Ich als Nicht-Isländerin habe mich dort trotzdem einmal ordentlich verirrt. Der vom Rest der Welt gefürchtete Eyjafjallajökull wirkt bei Steingrímur Jónsson eher wie ein freundlicher Nachbar, der immer da ist, wenn er sich nicht gerade hinter den Wolken versteckt. Doch nicht nur die Vulkane, auch die Höfe haben Namen, von denen jeder einzelne wiederum eine Bedeutung trägt. Steinsholt beispielsweise bezeichnet nicht nur ein Guesthouse und den dazugehörigen Hof, sondern liefert auch gleich die Erklärung mit, dass dieser auf einem Steinhügel liegt. Das besondere Verhältnis zu Namen setzt sich auch bei
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Erkaltete Lavaformationen prägen weite Landstriche der Insel
den Menschen fort: Isländer sind in ihrer Art zum Teil etwas verhalten und lassen manches unausgesprochen – was vielleicht auch ihr Namenssystem erklärt: Der Nachname ergibt sich meistens aus dem Vornamen des Vaters und dem Wort für „Tochter“ oder „Sohn“. Der oben genannte Steingrímur ist also der Sohn von Jón, während ich Maria Danielsdóttir heißen würde, wäre ich in Island geboren worden. So ist anhand der Namen nicht unbedingt ersichtlich, wer zu einer Familie gehört. Ein kleines Problem, das sich bei der geringen EinwohnerInnenzahl von gut 330.000 daraus ergibt, ist die Frage der Verwandtschaft, die man rein am Nachnamen nicht erahnen kann. Doch der modernen Technik sei Dank: Um Dates oder mehr mit zu nahen Verwandten zu vermeiden, gibt es eine App, die anhand einer Datenbank das familiäre Verhältnis überprüft. Von Naturwundern und ewigen Autofahrten Wer sich auf Island einlässt, stolpert quasi von einem Wunder ins nächste. Da wären zum einen die Phänomene, die diese Insel weltbekannt gemacht haben: Der Geysir Strokkur bricht zum Beispiel regelmäßig im Abstand von wenigen Minuten in eine 25 bis 35 Meter hohe Wasserfontäne aus. Im Winter gefriert das kochend heiße Wasser an der kalten Luft innerhalb kürzester Zeit – und überrascht unaufmerksame TouristInnen als nach Schwefel riechender Eisregen. Ein weiterer Magnet ist Gullfoss, der goldene Wasserfall. Während er bei Sonnenschein seinem Namen alle Ehre Macht und in einem goldenen Glanz erstrahlt, scheint er im Winter mit seinen vereisten Rändern direkt einer magischen Landschaft wie aus C.S. Lewis' Narnia zu entstammen. Geografisch am spannendsten ist wohl der Nationalpark Þhingvellir, wo die eurasische und die amerikanische Kontinentalplatte aufeinandertreffen und beständig auseinanderdriften – um etwa 7 mm pro Jahr. Diese Besonderheiten machen Island aus – doch die Insel lebt nicht nur davon. Die Weite der Landschaft und auch die Tierwelt sind sehr prägend. In welchem anderen Land würden junge Erwachsene freiwillig sieben Stunden Autofahrt in Kauf nehmen, um für eine Stunde Robben beobachten zu können und sie mit Fisch-
resten eines authentischen isländischen Fischhändlers zu füttern versuchen? Wenn man bedenkt, dass man in der gleichen Zeit beinahe sechs Mal zwischen Linz und Salzburg hin- und herfahren könnte, müsste ich meine Reisegruppe und mich eigentlich für verrückt erklären. Wenn ich aber an die auf den Steinen faulenzenden Robben denke, deren Blick nichts entgeht, die blitzschnell abtauchen und neugierig aus dem Wasser lugen, dann weiß ich, dass wir zwar vielleicht ein bisschen verrückt sind, die lange Fahrt sich aber mehr als gelohnt hat. Allgegenwärtige Elfen und andere Normalitäten „If you don’t like the weather in Iceland, just wait five minutes …“ Dieser Spruch ist auf einigen Souvenirs zu finden und er entspricht definitiv der Wahrheit. Auf dieser Insel gelten eigene Gesetze und als BesucherIn hat man die Wahl: Sich zu ärgern, wenn man seinen eigenen Willen nicht durchsetzen kann – oder aber die Gegebenheiten annehmen und darauf vertrauen, dass sich alles so fügen wird, wie es sein soll. Wer dahinter steckt, sei dahingestellt, aber einen wesentlichen Anteil haben garantiert sie daran: Die Elfen. Dass das Wetter kurz vor unserer Reittour von wolkenbruchartigem Sturmregen auf trockenen isländischen Wind wechselte, war kein Zufall. Und falls doch, wer hat dann den Würfelzucker in der Jackentasche einer der Reiterinnen versteckt? Was für uns FestlandeuropäerInnen außergewöhnlich klingt, ist für IsländerInnen normal. Ebenso sind es die durchgehend hellen Tage im Sommer mit der Mitternachtssonne und die lange Dunkelheit im Winter, die auch zum hellsten Zeitpunkt des Tages nicht über eine Dämmerung hinauskommt. Oder auch die Nordlichter, die sich in sternenklaren Nächten immer wieder majestätisch über den Himmel spannen und kaum merklich bewegen und Muster zeichnen. Für mich steht auf jeden Fall fest: Island verbreitet Ruhe wie kein anderes Land sonst und ich werde auf jeden Fall nicht das letzte Mal dort gewesen sein. Zum Glück gilt für Menschen eine andere Regelung als für Pferde: Denn hat ein Islandpferd die Insel einmal verlassen, darf es nie mehr zurückkehren.
Der Nationalpark Thingvellir vereint zwei Kontinente, die immer weiter auseinanderdriften
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TOTGEGLAUBTE LEBEN LÄNGER DIE RÜCKKEHR DER SCHALLPLATTE
Die Verkäufe der Scheibe mit den Rillen wuchsen 2016 auf den höchsten Stand seit 25 Jahren. Was Salzburger Studierende am Vinyl fasziniert und wie Brancheninsider diese Entwicklung einschätzen. Von Christoph Mödlhamer
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nfang des neuen Jahres verlautbarten Medien in mehreren europäischen Staaten, dass 2016 so viele Schallplatten verkauft wurden, wie dies seit den frühen 1990er-Jahren nicht mehr der Fall gewesen ist. Erstmals wurde im vergangenen Jahr, etwa in Großbritannien, mehr Geld durch den Verkauf von Vinyl als durch Musikverkäufe via Download eingenommen. Auch hierzulande zeigt sich ein vergleichbares Bild. Die Schallplatte erlebt ein Revival. Im vorigen Jahr wurden so viele Platten wie seit 20 Jahre nicht mehr verkauft. Auch große Elektrohandelsketten erkannten diesen Trend und nahmen Vinyl-Tonträger wieder in ihr Sortiment auf. Zwar macht Musik auf Schallplatte nur zwischen vier bis sechs Prozent der Gesamtverkäufe aus, jedoch stiegen die Verkaufszahlen in den vergangenen Jahren kontinuierlich um je 50 Prozent an. Der Umsatz durch Vinyl hat sich in den letzten drei Jahren verdreifacht und wuchs zuletzt 2016 auf rund 6,5 Millionen Euro. Analog abgenommene Musik, mit ihrem Knistern und dem ihr oftmals nachgesagten besseren Klang erlebt einen zweiten Frühling. Dabei von einer Retro-Revolution zu sprechen, wäre wohl zu viel des Guten. Das Wiederaufkommen eines alten Bekannten ist wenig revolutionär. Vielmehr passt auf diese Entwicklung der Begriff der Renaissance. Anfang der 1990er wurde der „Tod der Schallplatte“ durch die digitale CD verkündet. Damals wurden doppelt so viele CDs wie Schallplatten verkauft. Nun bangt die CD selbst, angesichts Streaming und Downloads, um ihre Existenz. Die Vinyl-Schallplatte erlebt zeitgleich ein Revival. Von der Nische auf dem Weg in den Mainstream Der Musikladen in der Salzburger Linzergasse gilt als Institution in Sachen Vinyl. Niemals, seit seiner
Gründung in den frühen 80er-Jahren, fehlte die Schallplatte hier im Sortiment: „Wir sind selbst alle Musikliebhaber und Vinyl-Fans“ sagt Geschäftsführer Nicolas, der den jetzigen Trend als Bestätigung sieht. „Seit etwa fünf Jahren gibt es diese gesteigerte Nachfrage, aber auch das Angebot wurde größer. Viele KünstlerInnen bringen wieder auf Vinyl heraus.“ Mittlerweile verkauft er fast gleich viele CDs wie Schallplatten, die oft mit Download-Codes ausgestattet sind. „Die Jungen hören die Platten zuhause – für das haptische Erlebnis und den besonderen Klang. Für unterwegs haben sie dann die MP3s“ erklärt Nicolas. Für ihn hat das Revival viel mit Rückbesinnen zu tun: "Die Leute wollen wieder etwas Angreifbares. Sie wollen die Musik bewusster erleben und nicht nur konsumieren.“ Das intensivere Auseinandersetzen liegt in der Natur der Schallplatte, wie Nicolas erläutert: „Eine Platte hört man von vorne bis hinten durch. Dann muss man aufstehen und sie umdrehen.“ Es entsteht eine größere Wertschätzung der Musik als auch den KünstlerInnen gegenüber. Den/die typische/n Vinyl-KäuferIn gibt es im Musikladen nicht. „Es kommen alte LiebhaberInnen genauso wie Junge, bei denen das gerade ‚In‘ ist.“ Aber: „Wir verkaufen bereits fast jeden zweiten Plattenspieler an unter 30-Jährige“ schildert Nicolas. Einen weiteren großen Pluspunkt an der Schallplatte sieht Nicolas in der Langlebigkeit und den limitierten Editionen: „Anlässlich des Record Store Days kommen immer limitierte Platten raus, mit farbigem Vinyl und künstlerischem Cover. Es gibt auch High End Pressungen vor allem im Jazz-Bereich, die sich durch perfekten Klang auszeichnen. Da hat man das Gefühl, inmitten der MusikerInnen zu stehen.“ Die meistverkauften Platten 2016 waren übrigens im Musikladen Leonard Cohens „You Want it Darker“ und „Blue and Lonesome“ von den Rolling Stones.
Richard Hammersley, Drugs and Crime: Theories and Practices.
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Musik als haptisches Erlebnis und Ritual Für den Sportstudenten Mario, der selbst Musik macht, hat der Griff zum Vinyl zwei Gründe: „Erstens will ich KünstlerInnen unterstützen. Zweitens stört mich, dass Musik zu einem Nebenprodukt verkommt.“ Intensive Beschäftigung führt für ihn zwangsweise über die Schallplatte: „Durch das fast schon rituelle Vorbereiten des Plattenspielers und der Platte, das Knistern vor den ersten Noten, das richtige Einstellen der Anlage wird Musikhören zum eigenständigen Hobby“. Mario fasziniert, dass beispielswiese Queen die „A night in the opera“ 1975 aufgenommen haben und er 2017 eine Originalpressung – somit ein Stück Geschichte – in den Händen halten und abspielen kann: „Dann verschafft mir ‚Bohemian Rhapsody‘ noch mehr Gänsehaut, als ohnehin schon.“ Für ihn sind Platten Unterhaltung, die genutzt werden will, aber keine Wertanlage. Chris, der Kommunikationswissenschaft studiert, vermisst bei Streaming und MP3s die haptische Komponente: „Es ist schon etwas anderes, ob man eine Festplatte mit X-Gigabyte MP3s, oder einen Kasten mit 100 Platten hat. Die künstlerischen Covers, koloriertes Vinyl, Text-Sheets – all das gibt es bei MP3s nicht“. Und: „Ein Headcrash bei der Festplatte und alles ist verloren“ sagt Chris, mit Verweis auf die Langlebigkeit seiner Sammlung, in der sich auch 50 Jahre alte Pressungen befinden. Auch beim Musikhören selbst unterscheidet sich die Schallplatte für ihn: „Platten hört man eher von vorne bis hinten durch – so soll es ja auch sein. Bei MP3s und auch CDs wird viel mehr Trackhopping betrieben oder nur einzelne Songs gehört. Das Album als Gesamtkunstwerk leidet darunter.“ Politikwissenschaft-Student Michael besitzt zwar (noch) keinen Plattenspieler, sammelt aber trotzdem gerne. Für ihn sind Platten im Vergleich zur CD, die mehr einem Wegwerfprodukt ähnelt, etwas
Wertvolles. Durch Streamings und digitale Downloads wird Musik seiner Meinung nach immer mehr zur Konsumware: „Menschen, die Musik richtig schätzen wollen, weichen lieber auf ein hochwertiges Medium aus, anstatt die Lieder in 128kbp/s im Stream zu hören.“ Das momentane Vinyl-Revival erklärt sich Michael so: „Vinyl ist halt einfach geil. Das spricht sich wohl auch immer mehr herum.“ Erziehungswissenschafterin Laura schätzt die Beständigkeit der Schallplatte. Am liebsten geht sie in Second Hand Läden oder Flohmärkte, um nach Vinyl zu stöbern. Die Haptik ist ihr sehr wichtig: „Ich finde es schön, die Musik, die ich besitze, in der Hand halten zu können.“ Aber nicht alles ist gut am momentanen Wiederaufleben der Schallplatte: „Der jetzige Hype ist ein bisserl ein Hipster-Phänomen. Es ist gerade cool, Schallplatten zu kaufen, also machen es viele. Einerseits finde ich es gut, weil jetzt viele neue Alben auch auf Vinyl rauskommen. Andererseits nervt der Hype, weil es die Plattenpreise in die Höhe treibt.“ Medien sterben nicht Verdrängt wurde die Schallplatte nie völlig. DJs, DJanes und NostalgikerInnen hielten ihr immer die Treue. Einst Standard-Tonträger, wurde sie in dieser Funktion abgelöst. Aber frei nach dem (nicht unumstrittenen) Riepl’schen Gesetz von 1913 – benannt nach dem deutschen Journalisten und Altphilologen Wolfgang Riepl – werden bewährte Medien nicht durch neu aufkommende ersetzt. Sie beziehen neue Nutzungsnischen und Anwendungsgebiete. Der guten alten Vinyl-Schallplatte ist dies gelungen. Heute ist die Schallplatte vielmehr ein Sammlerstück; ein Objekt der Begierde, dem auf Flohmärkten nachgejagt wird; ein Tonträger, der modernen Trends zum Trotz entschleunigt; das Musikhören aufwertet und ritualisiert sowie durch seine Makel sympathisch wirkt.
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Früher war alles besser? Ja, zumindest in StarsVonHollow Carolina Forstner
© jeffmason / Flickr
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ch gebs zu, auch ich hab mich mitreißen lassen und schon kurz nach der Bekanntgabe sehnsüchtig Richtung November gelinst und nun bin ich, milde ausgedrückt, enttäuscht. Es gibt Dinge, die versetzen einen in einen heimeligen Zustand, vertraute Gerüche, wie etwa bei mir das Lieblingsparfüm meiner Mama, oder der Duft meines Lieblingsessens. Ähnlich, wenn auch vielleicht nicht ganz so sentimental angehaucht, verhält es sich für viele bei Serien. Wer, sofern eine gewisse Vorliebe besteht, wird nicht ein bisschen wehmütig, wenn er den Titelsong von O.C. California hört, oder zum 20. Mal dieselbe „Malcolm Mittendrin“ Folge sieht? Ein Geniestreich also, dachte sich wohl Amy Sherman-Palladino, die Erfinderin der Mutter-Tochter-Serie schlechthin, der „Gilmore Girls“, eine Reunion des Quotenschlagers für Ende November als Netflix original anzubieten und so auch jüngeres Publikum, das damals durch den Raster fiel, zu ködern. Ab 2004 wurde die amerikanische Serie im deutschsprachigen Fernsehen ausgestrahlt und versüßte mir somit meine Nachmittage – 15 Uhr Vox, falls sich die eine oder andere noch daran erinnern kann. Eine kurze Zusammenfassung für alle Unwissenden, oder diejenigen, die nach dem Ende der Serie 2007 geblitzdingst wurden und sich an nichts mehr erinnern können: Wie bereits weiter oben erwähnt, handelt die Serie von ei-
nem Mutter-Tochter-Gespann, das, so will es die Dramaturgie, nicht nur beste Freundinnen ist, sondern auch noch den gleichen Namen – Lorelai – trägt. In 153 Episoden, serviert in sieben Staffeln, lieferten die Girls aus einer Kleinstadt namens Stars Hollow, angesiedelt im Ostküstenstaat Connecticut, eher seichte aber durchaus mitreißende Unterhaltung. Eine Serie, die den bereits erwähnten heimeligen Wohlfühlcharakter perfekt erfüllt: Eingängige Titelmelodien, eine schrullige Kleinstadt mit noch schrulligeren BewohnerInnen, liebenswerte Hauptdarstellerinnen, humorvolle, oft grandios überzeichnete Charaktere – man denke nur an den Kaffeehaus-Misanthropen Luke – und natürlich auch noch andere Männer, die im Leben der beiden Rory‘s herumschwirren. Soweit, so gut. Das Ende der Gilmore Girls war mir zwar noch wehmütig in Erinnerung, doch, wie bei so vielen guten Serien, war sowieso irgendwann die Luft raus und das Mutter-Tochter-best-friends-forever - Konzept auch ausgelutscht. Fast zehn Jahre nach dem besagten Serienende dann das Comeback, aufgebauscht durch einen massiven Social media Auftritt ließ es auch mein Fangirlherz höher schlagen. Ich sage es nur allzu ungern, aber ich bin enttäuscht! Manche Dinge sollten kein Revival feiern – das „Tschisi“ ohne die charakteristischen Käselöcher, blanker Betrug! Genauso fühlte ich mich auch bei dieser sechsstündigen Odyssee namens: „Gilmore Girls: A Year In The Life“
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7 Punkte, warum das Revival der „Girls“, meiner höchst subjektiven Meinung nach, gescheitert ist (Spoiler – Alarm): •
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Lauren Graham’s (alias Lorelai, die Mutter) Gesicht – ernsthaft, da wurde fast bis zur Unkenntlichkeit glattgebügelt. Mimik, außerhalb des versteinerten Botoxblickes, die ja beim Schauspielern keine unwesentliche Rolle spielt, ist somit wohl nur schwer herstellbar – ein Graus! Und apropos Lorelai: Was soll dieser Selbstfindungstrip à la „Eat, Pray. Love“? Rory. Seien wir uns doch mal ehrlich, rückblickend war Rory eigentlich schon immer ein Charakter, den man nur schwer ins Herz schließen konnte: Ein Wunderkind, gesegnet mit Schönheit, Intelligenz und unfassbar guten Genen, das Tonnen an Fast food verschlingen kann, schwierig. Noch schwieriger wirds im Revival. Rory wird von der Vorzeigestreberin, die man trotz der erwähnten unverschämten Perfektion anno dazumal doch irgendwie lieben musste, zur egoistischen, abgeklärten 32-jährigen Frau in der Sinnkrise. Die kauzigen Nebencharaktere, wie etwa der legendäre Taylor Doose, bleiben blass oder wirken so, als hätte hier jemand auf Biegen und Brechen versucht, sie noch verrückter darzustellen. Zu viel Musical. Okay, hier spricht die Musicalhasserin aus mir, aber trotzdem, ist es wirklich notwendig, in ein doch sehr straffes Programm von vier Folgen einer Miniserie, das zehn Jahre nach dem Ende der Originalserie spielt, eine zehnminütige Musicalszene einzubauen? Ein heilloses Durcheinander. Da kommt der, wie im vorhergehenden Punkt erwähnte, stramme Ablauf wieder ins Spiel. Kurz zusammengefasst: Man wollte einfach zu viel. Warum werden eigentlich alle tollen Darstellerinnen bestraft? Die kongeniale Paris Geller, eine Person, die man nur hassen und gleichzeitig auch lieben musste, als zu erfolgreich für ihren dadurch eingeschüchterten, an verfrühter Midlife crisis leidenden Ehemann Doyle – Hallo altes Rollenbild, Byebye Emanzipation! Ist ja auch wirklich anstrengend, wenn Weibsbilder versuchen, sich einen Weg durch die gläserne Decke zu verschaffen, verständlich. Stiefmütterlich wird auch Rorys beste Freundin Lane behandelt, deren gesamte Storyline sich wohl in zehn Jahren nicht veränderte: Koreanische Tyrannenmutter und erfolglose Band. Zu allem Überfluss
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scheint ihre einzige Aufgabe im Revival zu sein, die ätzende Rory aufzubauen, arme Lane. Von Melissa McCarty, die die chaotische Köchin Sookie spielt, will ich hier gar nicht anfangen, ihr Part beschränkt sich aufs Minimalste. Sie ist ja nun in Hollywood eine richtig große Nummer und braucht solch aufgewärmte Serienrevivals wohl kaum, weise Entscheidung Melissa. Männerchaos. Erstmal nichts Schlechtes. Die Merchandising-Maschinerie der Serie hat uns ja einiges versprochen, besonders rund um Rorys Gspusis. Der aalglatte Dean, Bad Boy Jess, oder doch der steinreiche Logan? Ach so, und wer ist eigentlich Paul? Das Ende ist mehr als enttäuschend, allen männlichen Darstellern wird eine äußerst kurze Sendezeit eingeräumt. Und noch etwas: Könnte Rory, wie in den letzten Sendeminuten von Folge vier enthüllt wird, von einem Typen, der als Wookie verkleidet war, schwanger sein? Fragen über Fragen und ein unheimlich fieser Cliffhanger, dem hoffentlich keine weitere schlechte Fortsetzung folgt.
Einziger Lichtblick der Miniserie ist die wunderbar herzerwärmende Story rund um die frisch verwitwete Mutter von Lorelai, Emily. Sie trauert um ihren verstorbenen Mann und versucht gleichzeitig, ihr Leben neu zu ordnen, jeder Moment geht einem nah und berührt. Emily wusste schon zu Serienzeiten, wie man polarisiert und enttäuscht uns, als Einzige des gesamten Casts, nicht. Wenn einschalten, dann für Emily! Die Bilanz des Serienrevivals der Gilmore Girls ist bitter. Von der charmanten Leichtigkeit, von der die Serie geradezu sprühte, ist nicht mehr viel zu erkennen. „Gilmore Girls: A Year In The Life“ ist ein blasser Abklatsch einer Kultserie. Den ehemaligen Fans bleibt nur eine Wahl: Die Miniserie aus dem Gedächtnis löschen und aus Nostalgiegründen die alten Folgen ansehen, wenn die Sehnsucht zu groß wird. Aufgewärmt schmeckt eben nur Gulasch gut. Erst am 08.01. wurden wieder Gerüchte laut, dass es eine Fortsetzung der Fortsetzung geben könnte. Hauptdarstellerin Alexis Bledel schloss, angesprochen auf ein Revival der Miniserie, dieses nicht aus und meinte dazu: „Bei jeder weiteren Gilmore-Girls-Folge müsste das Timing stimmen.“1 Gespräche zu einer möglichen Fortsetzung gibt es laut Bledel noch nicht. Der Seriennostalgiker in mir hofft, dass das auch so bleibt und wenn noch eine Neuauflage folgen sollte, dann wenigstens dieses Mal mit dem Timing, das nicht nur ich in dieser Fortsetzung so kläglich vermisst habe.
1: https://kurier.at/ kultur/noch-mehr-gilmore-girls-rory-raetselt-selbst/239.948.738
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EINE HOMMAGE AN SALZBURG Ein Inverview von Sandra Grübler
GINGER IN THE BASEMENT ÜBER DIE WOHL GEILSTE STADT DER WELT
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ie gebürtige Steirerin Sonja Winkler hat ihr Herz rettungslos an Salzburg verloren. Auf ihrem Blog www.gingerinthebasement.at schreibt sie nicht nur über Food und Fair Fashion, sondern verrät auch, warum es einfach lässig ist, in Salzburg zu leben. Wir durften ihr ein paar Fragen stellen und haben ihr obendrein ein grenzgeniales Rezept abgeluchst. Nachmachen dringend empfohlen. uni:press: Liebe Sonja! Zwar bist du ein Steirer Mädel – du lebst, arbeitest und bloggst aber schon seit einigen Jahren in Salzburg. Wie hat Salzburg es geschafft, dein Herz zu erobern, was macht die Stadt für dich so besonders? Sonja: Nirgendwo sonst gibt es diese wunderschöne Barockarchitektur, gepaart mit unmittelbarer Nähe von kristallklaren Seen und einer spannenden, jungen Szene. uni:press: Ergänze: S wie ... Stadtviertel, die gerade aufblühen A wie ... Antiquitäten- und Secondhand-Geschäfte, in denen sich Schätze verbergen L wie ... Linzer Gasse – meine neue Hood, die ich gerade entdecke Z wie ... Zauberhafte Adventszeit, die Touristen aus aller Welt anlockt B wie ... Busfahrer, die extra auf einen warten U wie ... Umwerfende Kuchen in tollen Kaffeehäusern R wie ... Ringelspiel am Rupertikirtag: Kitsch pur, aber so schön retro G wie ... Gastronomie auf hohem Niveau
uni:press: Salzburg ist zwar fast so cool wie das Glücksbärchi-Land, aber eben nur fast. Gibt es Dinge, die dich an Salzburg so richtig nerven? Sonja: Lassen wir mal die hohen Mieten und das Verkehrschaos außen vor: Was ich an Salzburg nur schwer aushalte, ist das Fehlen von Lokalen, zu deren Musik ich am Wochenende abtanzen kann. uni:press: Als Salzburger Bloggerin bist du eine echte Insiderin, wenn es um die schönsten Plätzchen in und rund um Salzburg geht. Welche Orte sollte man als StudentIn in Salzburg unbedingt mindestens einmal besucht haben, was sollte man sich auf keinen Fall entgehen lassen? Her mit deinen Geheimtipps! Sonja: In der Andi Hofer Weinstube muss jeder einmal Kasnocken gegessen, weißen Spritzer getrunken und Schlager am Wurlitzer ausgewählt haben. Außerdem muss man am Äußeren Stein bei den Ratzka-Schwestern vorbeischauen und dort ein Butterkipferl probieren. Und: Für einen richtig fancy Cocktail im Mentor‘s muss man zwar ein paar Groschen zusammenkratzen, die perfekt gemixten Drinks und die herzliche Atmosphäre sind die paar Euro aber definitiv wert.
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uni:press: Nach der lange ersehnten, viel zu kurzen Winterpause steht mit dem Jänner die grausigste Zeit im Studienjahr vor der Tür. Prüfungszeit bedeutet für viele: Zwei Wochen Schlafentzug, ein Kühlschrank voll Energydrinks und Augenringe, auf die jeder Panda neidisch wäre. Kurz und gut: Der Jänner kann einem als StudentIn echt ganz schön an die Substanz gehen. Auf www.gingerinthebasement.at teilst du viele deiner Lieblingsrezepte – welches Energy-Boost-Rezept würdest du den rauchenden Köpfen an der Uni Salzburg empfehlen, um die Prüfungszeit und die arbeitslastigen Semester“ferien“ (noch) besser meistern zu können? Sonja: Für Abwehrkräfte, die etwas ausrichten können, braucht man viel Vitamin C. Das steckt nicht nur in Zitrusfrüchten, sondern auch in Grünkohl, auf neudeutsch Kale genannt. Den findet man momentan auf der Schranne, und ich hab ein superhealthy Rezept dazu.
Für den Kale: 3 Grünkohlstängel 1 EL Olivenöl 1 EL Balsamicoessig 1 Knoblauchzehe, fein gehackt 1 TL Dijonsenf 1 TL Worcestershiresauce Salz und Pfeffer
Für die Nüssechen etwa 5 EL Cashews Prise Cayennepfeffer 1 EL Sojasauce oder Tamarisauce 1 EL Ahornsirup
Als Topping für den Salat: 3 rote Rüben, vorgekocht 50 g Schafskäse
Den Grünkohl von den groben Stängeln zupfen und ein kleines Häufchen formen. Dieses Häufchen zirka 5 Minuten wie einen Teig durchkneten, das sorgt dafür, dass die Faserstruktur gebrochen und der Kale somit wohlschmeckender wird. Anschließend in mundgerechte Stücke schneiden. Zutaten für das Dressing vermischen und mit dem Kale gut vermengen. Währenddessen rote Rüben in grobe Stücke schneiden, in etwas Öl schwenken und in einem 200° heißen Backrohr etwa 15 min erwärmen. Für die Nüsse eine beschichtete Pfanne erhitzen und Cashews ohne Fett darin goldbraun rösten. Mit Pfeffer bestreuen und Sojasauce und Ahornsirup ablöschen – sofort von der Herdplatte nehmen. Kalesalat in eine Schüssel geben, mit Schafskäse, Rüben und Nüsschen bestreuen und servieren.
Mehr der leckeren Rezepte von Ginger in the Basement gibt’s übrigens in dem Buch Salz küsst Karamell. Yummy! (ISBN: 9783990020234) Bilder: © www.gingerinthebasement.at und www. instagram.com/gingerinthebasement
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DAS GROßE ZAMPUTZEN Von Esther Baumgartner
© Jim Hickcox / Flickr
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ie Stadt, in der ich lebe, ist sauber. Und doch voller Scheiße. Das Dorf, in dem ich aufwuchs, ein Klecks auf der Landkarte, ein richtiges Naturidyll. Auch da ist viel Kot. In beiden Fällen spreche ich nicht von den gigantischen Abwassersystemen, die unsere Kacke unterirdisch verschlingen. Wenn man nämlich genauer hinsieht, wird man zur Feststellung verleitet, dass die menschliche Kultur auf einem saftigen Fundament aus Scheiße fußt. Kacke ist das finale Produkt von verbrauchter Materie. Und wir Menschen müssen Materie verbrauchen, um zu leben. WIR umgeben uns gerne mit Scheiße. Wenn sie persönlich mal ausbleibt, verfallen wir in Panik und wenn sich die Konsistenz ein bisserl von der Gewohnheit entfernt, wissen wir, dass etwas wohl nicht stimmen kann. Jenseits der eigenen vier Mauern verdrängen wir sie aber auch gerne, weil der Scheißdreck der Anderen geht uns ja wirklich nichts an! Vielen ist es noch nicht bewusst, aber Scheiße passiert nicht nur, sondern umgibt uns in vielen verschiedenen Formen.
DER HEILIGE AUGUSTINUS SAGTE EINST: „ZWISCHEN KOT UND URIN WERDEN WIR GEBOREN“. DER HINWEIS AUF DIE LEBENSLANGE AUSEINANDERSETZUNG MIT EXKREMENTEN FEHLT ABER IN DIESER BINSENWEISHEIT. Nun, auch wenn’s unsauber wirkt, so macht sich die Beschäftigung mit der dunklen Materie aber durchaus bezahlt! Es kommt dabei nicht nur auf ein geschultes Auge und ein feines Näschen, sondern auch auf die richtigen Fragen an. Was haben die sauber beschissene Stadt und das idyllisch zugekotete Dorf gemeinsam? Es gibt dort gewisse Häuser. Sie sind groß, pompös und sind in Menschenansiedlungen meist ziemlich zentral platziert. Das besondere an ihnen: Sie haben keine Klos. Ganz allgemein spricht man von solch einem Gebäude als „Haus des VATERS“. Auch wenn es dort keine Toiletten gibt, macht die Scheiße auch vor diesen Prunkbauten nicht halt. Man könnte andachtsvoll von „Kothäusern“ sprechen, weil der Umstand, dass es dort stinkt, ohne dort duftende Kackkrapfen vorzufinden, ist ein kleines Mysterium an sich.
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© Firefox OS / Wikipedia
Was geschieht aber in so einem Kothaus? Man trifft sich dort regelmäßig, singt Lieder oder geht auch ganz alleine hin und geht in sich. Getroffen habe ich meinen Vater trotzdem dort noch nie. Bewirtschaftet werden diese Bauten von Männern in Schwarz, die angeben, einiges über meinen VATER zu wissen. Sie behaupten, dass die Gemeinschaft der Kothäuser eine große Familie sei. Zugegebenermaßen, es hat schon was familiäres, wenn man dieses Gebäude betritt. Zum Beispiel finden sich dort überall Bilder und Skulpturen von meinem BRUDER. Der war ein außergewöhnlicher Mann und hat sich – so sagen die Männer in Schwarz – für uns geopfert, als der Menschheit die Scheiße bis zum Hals stand. Als Dank dafür hängen in den Kothäusern überall Artefakte der Erinnerungen daran, wie sehr mein Bruder gelitten hat, als er sich für uns lynchen ließ. Ich glaube, viele Menschen haben deswegen einen guten Draht zu ihm… Und irgendwie tut es ja auch gut mit ihm zu reden, schließlich ist die Welt ja ab und zu ein etwas verrückter Ort. Und so wie in kleinen Familien auch, ist es wohl einfacher, sich zuerst dem großen, starken Bruder zu öffnen, als dass man sofort vor den VATER tritt. Ja, wir sind schon eine relativ komplizierte Großfamilie in diesen Häusern ohne Klo. Dabei vergaß ich jetzt fast, von meiner MUTTER zu sprechen! Ihr großes Werk war es, meinen Bruder zu gebären. Das große Kunststück dabei: Sie war Jungfrau. Glaubt man der Bildsprache in den Kothäusern, so hat eine Frau einiges zu erfüllen: Sie soll sauber, ohne Fleckchen sein und möglichst asexuell rüberkommen. Das Gebären bleibt selbstverständlich die Superkraft Nummer Eins. Bonuspunkte gibt’s noch dazu, wenn man dabei brav und unschuldig lächelt, während sich ein flammendes Schwert durch das eigene Herz bohrt.
BEI ALL DIESEM KOMPLIZIERTEN VERWANDTSCHAFTSBUSINESS IN DIESEN JAUCHEBAUTEN FÄLLT EINEM DIE ZARTE KACKNOTE VORERST GAR NICHT AUF. NUN STELLT SICH ABER DIE FRAGE: WER HAT SICH HIER SO UNGENIERT ERLEICHTERT? WAR ES JEMAND VON UNS? Passiert so etwas in einer gesunden Familie? Mein Verdacht fällt jetzt auf jemand grundsätzlich ANDEREN... Die Männer in Schwarz sagen, dieser ANDERE wohne nicht in den Kothäusern, aber man solle sich vor diesem höllischen Nachbarn in Acht nehmen. War ER vielleicht doch zu Besuch und hinterließ SEIN kotkräftiges Werk? Die Rede ist vom „Gehörnten“. Ich für meinen Teil habe auch IHN noch nicht gesehen, aber Hörner empfinde ich jetzt nicht unbedingt als ultra-böse Attribute. Ziegen zum Beispiel, die sind ganz lieb. Sie stinken zwar ein bisschen, aber sie sind mir in etwa achtzig Prozent aller Fälle relativ gutmütig begegnet. Aber zurück zum würzigen Kack-Aroma im Haus des VATERS. Der Volksmund sagt, dass Gold des Teufels Kot sei. Das klingt recht plausibel, immerhin schlagen wir uns wegen dieses Edelmetalls seit ein paar tausend Jährchen gegenseitig die Köpfe ein. So recht der Volksmund auch hat, das Volksauge dürfte aber blind oder zumindest am grauen Star erkrankt sein: Die Häuser meines VATERS sind nämlich regelrecht zugeschissen mit Gold, sind goldig glitzernde Jauchegruben. Und weil sich das Volksauge und der Volksmund so gegenseitig ignorieren, strebt der Volkskopf dieses Scheiß-Ideal immer noch an.
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Das ist kein Wunder, immerhin bestaunt man in diesen Häusern goldig vollgekackte Gegenstände. Sogar unser allseits beliebter BRUDER, der da so oft hilflos rumhängt in den Häusern des VATERS, dem lieben BRUDER wurde - bei aller Liebe - von einer frechen Glitzer-Taube kräftig auf den Kopf gekotet. Diese goldig schimmernde Kopfbekackung wird von vielen relativierend als „Schein des Heiligen“ beschrieben. Aber der Schein trügt oft… und der Goldschiss eignet sich wohl besonders gut für einen Widerspruch. So behaupten in unserer Familie auch viele, dass sie FÜR das Leben – besonders jenes, das noch kommen wird – seien, weil es des VATERS Wille sei. Dabei hat der Volkskopf das LEBEN jener vergessen, die in einem fernen Land jenseits unserer glitzernden Kothäuser die Goldscheiße aus dem Enddarm des Teufels rauskratzen müssen. Die LEBEN auch, müssen aber die Drecksarbeit machen. Im fernen Golddarm bleiben sie aber für uns unsichtbar. Diese Nicht-Sichtbarkeit von so einer Scheiße, während sie mitten unter uns ist, macht wohl ihre größte Gefahr aus. Vielleicht gerade deswegen wird bei uns dieser Fäkalkult auch auf offener Straße, außerhalb dieser dezent duftenden Häuser praktiziert. Es scheint, dass wir den Umgang mit unserer menschlichen Scheiße gebannt haben und jeder für sich einen privaten Separatfrieden mit ihr geschlossen hat. Aber zu Kot von anderen Lebewesen – wie etwa des Gehörnten, also speziell zum Auswurf von Tieren – da haben wir immer noch ein recht bipolares Verhältnis. In meinem zugekoteten Dorf zum Beispiel schert man sich da nichts. Im Spätfrühling läutet der Güllegeruch die warme Jahreszeit ein und weckt positive Gefühle. Sommer, Sonne und Scheißeduft! Die Jauche verkündet jedoch nicht nur eine frohe Botschaft: Der Tierkot wird nämlich auch noch produktiv genutzt! Er düngt die Felder und garantiert den Ertrag der nächsten Ernte. Das klingt jetzt schon fast wie eine Chinesische Glückskeksweisheit: Das Ende birgt den Anfang in sich. In der sauberen Stadt kommt diese Philosophie allerdings ins Wanken: Im Sommer duftet es dort streng nach Pferdehaufen. Das ist unangenehm, verkündet brütend heiße Betonhitze und düngt auch nicht. Kurz: Die Scheiße ist Abfall. Auch dass die Pferde in der brütenden Hitze zu leiden scheinen, sorgt wohl für den negativen Kot-Beigeschmack. An Gerüche gewöhnt man sich meist gedankenlos, aber in Kombination mit Bildern fräsen sich Düf-
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te nachhaltig in unsere Gehirnwindungen ein. Man sagt, ein Mann sei in Turin vor langer Zeit verrückt geworden, als er ein armes Droschkenpferd beobachtete. Ob er dabei etwa auch an Scheiße gedacht hat?
AUF DIESER WELT GESCHEHEN SELTSAME DINGE: WAS FÜR DEN EINZELNEN MENSCHEN NICHT NORMAL IST, IST FÜR EIN MENSCHENKNÄUEL OFT SELBSTVERSTÄNDLICH. DAS VERHÄLT SICH MIT SCHEISSE NICHT ANDERS Woher ich das weiß? Es war letzten Sommer, als sich mir der zeitgenössische Kotkult in seiner seltsamen Pracht offenbarte: Es war an einem abgöttisch heißen Tag in einer der saubersten Gassen der Stadt, als sich zwei Pferde zeigten. Ein Meer an Passanten zwängte sich an diesem hektischen Tag durch die Stadt, während die Pferde gerade dabei waren, in einer Kutsche Menschen herumzuzerren. Angetrieben wurden die Viecherl von einem Führer, der dämlich grinsend und in plastikhafter Freundlichkeit seine Peitsche auf die Pferdchen niederrasseln ließ. Die Gäste der Kutsche: Eine siebenköpfige Touristenfamilie. Ihr in der Sonne glitzerndes Arm- und Halsgold auf ihren dunklen Häuten ließ auf einen besonderen Rang in einem fernen, heißen und reichen Land schließen. Sie muteten recht adelig lustlos an, während der Grinseführer ihnen augenscheinliche SehensWÜRDigkeiten zu erklären versuchte. Auch er sprach viel von den Kothäusern meiner Stadt. Die Prinzenfamilie ließ sich jedoch weder von dem Kauderwelsch beeindrucken, noch schien sie das Geschehen jenseits der wippenden Kutschenkiste zu interessieren. Während sie so gemächlich durch die Gasse rumpelten, streichelten sie gelangweilt über ihre mit Swarovsky-Kristallen besetzten Kommunikationsapparate. Um wohl der Langeweile entkommen zu können, haben sie womöglich verzweifelt nach einem Live-Stream zu einer Köpfung, oder zumindest einer Steinigung in ihrem Heimatland gesucht. Die sich abplagenden Pferde, der Kukident-grinsende Ur-Kutschermeister und seine gleichgültigen Gäste vermittelten so einen recht tristen Eindruck. Aber zur Kutsche gehört noch mehr: Der glücklichste Mensch in diesem Gespann, der war selbst nicht Teil der Kutsche. Ein Bursche radelte fröhlich mit einem zufriedenen Lächeln seinem Dienstgeber und dessen Kunden nach. Er war noch recht jung, aber in seinen Augen sah man, dass er gewillt war, die tiefsten und weitesten Ozeane zu überwinden, sollte es das Leben nur verlangen. Aber im Moment genügte ihm dieser Tag, er hatte vorerst eine Bestimmung - seinen Platz in dieser Stadt - gefunden.
Schatzsucher werden in den Blumenstöcken im ersten Stock fündig.
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© Cross-stitch ninja / Flickr
Die Zugtiere atmeten tief aus und ließen genüsslich Pferdeäpfel auf die Pflastersteine niederprasseln. Der Menschenstrom nahm währenddessen Fahrt auf, denn ein scharfer Geruch verbreitete sich unverschämt schnell. Die Peitsche schnalzte einmal kräftig, als sich die hart arbeitenden Zugtiere fertig entleert hatten und die Kiste nahm wieder Fahrt auf. Der junge Bursche fuhr zum beschissenen Ort vor, blieb stehen und begann glücklich seine Arbeit: Er kratzte mit seiner Schaufel die Scheiße weg. Dabei pfiff er ein lustiges Lied und packte die gesammelten Früchte seiner Arbeit in die Anhängevorrichtung seines Fahrrades. Als er damit fertig war, setzte er sich wieder gewandt auf sein Fahrrad und blickte mit einem Lächeln auf dem Gesicht durch die Gasse. Als er sich wieder in Bewegung setzte, rammte er zum Start die Schaufel kräftig in den Boden und das Menschenmeer teilte sich wie von Zauberhand zu seiner Rechten und seiner Linken. Der Inhalt seines Fahrradbehälters flößte der Menge wohl Respekt ein. Ungehindert konnte er so seiner Bestimmung – der Kutsche – nachradeln. Bei aller Eifrigkeit war der Bursche in seiner Verrichtung jedoch nicht gründlich genug gewesen: Ein Pferdeapfel blieb zurück. Er war etwas abseits der anderen Bällchen gekugelt. Niemand interessierte sich dafür und so mancher unachtsame Tritt hätte darauf landen können. Aber es wollte einfach nicht passieren. Als ich so dastand und den Apfel inmitten des rasenden Menschenstroms betrachtete, betrat plötzlich ein etwas seltsamer Mann die Szene… Mit stahlblauen Augen, langem grauschwarz, gekraustem Haar kam er daher. Und dazu trug er einen Vollbart, der jeden gefakten Holzfäller-Typen vor Neid erblassen lassen und in einer Schockstarre den eigenen Bart von sich abfallen lassen würde. Er hatte nur eine blauweiß gestreifte Badehose an und seine bronzefarbene Haut glänzte ölig in der Mittagssonne. Dieser sonderbar vom Leben gezeichnete Mann ging zielstrebig auf das übriggebliebene, äußert dezent rie-
chende Pferdekotstück zu. Als er angekommen war, blieb er vor seinem Ziel stehen, schloss die Augen und sog den Duft begierig in seine Nasenlöcher ein. Dann ging er kurz in die Hocke und musterte den Pferdeapfel etwas genauer. Plötzlich hob er das Exkrement behutsam mit einer Hand auf, erhob sich und reckte den Kotballen stolz zum Himmel hinauf. Als im Menschenmeer einige Passanten nun stoppten und ihn ungläubig anstarrten, holte er – so als ob er nur darauf gewartet hatte - kurz tief Luft und sprach: „Ich glaube an unseren Geist die Kraft von Wünschen und Ideen, an die empathische Weltgemeinschaft und ich glaube auch an mich, als ihr eingeborenes Kind. Ich glaube an das Lernen von Fehlern und das Lernen in Freude, an die Ewigkeit der Liebe und die Vergänglichkeit von Ängsten. Das Leben bewahre uns vor den Kreisen der Verzweiflung, die uns zum Hass gegen uns selbst und auch andere verleiten, und das Leben führe uns zum fortschreitenden Lernen, zur Stärkung der Sinne und zur richtigen Tat zur rechten Zeit. Amen.“ Nach den letzten Worten nahm er einen kräftigen Bissen vom saftigen Pferdeapfel, kaute genüsslich zweimal darauf herum und begann, mit vollem Mund zu laufen. Er tauchte schnell im Menschenmeer unter. Dabei ließ er mich und die umstehenden Menschen, die das Geschehen beobachtet hatten, mit offenen Mündern zurück. So einen Scheiß hat wohl noch niemand erlebt.
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„Und Sie sind sicher, dass Sie eine Doktorarbeit schreiben wollen?“ Das Graphic Novel „Studierst du noch oder lebst du schon?“ von Tiphaine Rivière erzählt augenzwinkernd über die vielen Tücken und wenigen Freuden eines Doktoratsstudiums. Von Christoph Mödlhamer
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eanne Dargan kann endlich ihren verhassten Job als Lehrerin in einer Pariser Problemschule hinter sich lassen, denn die Sorbonne Université sagt ihr eine Doktorandinnenstelle zu. Jeanne wird in Literaturwissenschaft über Franz Kafka promovieren. Betreut wird sie durch Professor Karpov, eine der Koryphäen auf dem Gebiet. Akademischer Ruhm scheint ihr gewiss. Jeannes Freude könnte größer nicht sein. Da macht es auch nichts, dass ihr die Universität kein Stipendium gewährt: Jeanne ist fest entschlossen, das Vorhaben Dissertation in drei Jahren abgeschlossen zu haben. Dazu fertigt sie einen akribisch durchdachten Arbeitsplan an. So weit, so gut. Wäre da nicht die – unter Studierenden allseits bekannte – Gefahr der endlosen Prokrastination. Ehe sie mit dem Schreiben beginnt, müssen neue Quellen erforscht und neue Felder erschlossen werden – eine Sisyphusarbeit. Für Jeanne beginnt somit eine Zeit der Entsagung, des Zeit- und Geldmangels. Wann bist du fertig? Worüber schreibst du? Warum? Die Autorin des Graphic Novels „Studierst du noch oder lebst du schon?“ (im Original „Carnets de thèse“) Tiphaine Rivière weiß dabei, wovon sie spricht. Nach drei Jahren brach sie ihre eigene Doktorarbeit in Literatur zugunsten ihres Debütromans ab. Man darf also mutmaßen, dass einige der Erfahrungen der fiktiven Jeanne mit jenen der Autorin deckungsgleich sind. Dabei zeichnet sich Rivière mit einem guten Gespür für witzige Situationen aus, mit denen sich Studierende, vor allem der Geistes- und Gesellschaftswissenschaften, konfrontiert sehen. Etwa die Familie, die wissen will, wann die Arbeit endlich fertig wird und worum es darin überhaupt geht. Oder ein Familienmitglied, das in einem naturwissenschaftlichen Fach zu einem nachvollziehbaren Thema promoviert und deshalb mehr geachtet wird. Sogar die ewig nagende Frage nach dem „wozu?“ wird pointiert behandelt, als die Supermarktkassiererin zu Jeanne sagt, sie habe in Paläontologie promoviert, aber gebracht habe es ihr nichts. Jeanne lässt sich von alldem anfangs nicht beirren. Erst als ihre Freundinnen heiraten oder schwanger werden, macht sich in Jeanne das Gefühl breit, das richtige Leben ziehe an ihr vorbei. Auch ihr erhabenes Bild des Wissenschaftsbetriebs wird durch das Desinteresse ihres Betreuers und des harten Konkurrenzkampfes unter den Promovierenden zerstört. Von der anfänglichen Euphorie ist keine Spur mehr: Jeanne wird zunehmend
zu einer von ihrer Arbeit besessenen Exzentrikerin. Darunter leidet auch ihre Umwelt: Krisen in zwischenmenschlichen Beziehungen zeichnen sich nach und nach ab; drohen zu eskalieren. Prokrastinationseignung: hoch Ob und wie es Jeanne gelingt, die Herkulesaufgabe Promotion sowie persönliche und zwischenmenschliche Krisen zu bewältigen, soll hier nicht vorweg genommen werden. „Studierst du noch oder lebst du schon?“ ist ein gelungenes, eigenwillig, aber gut gezeichnetes und kurzweiliges Graphic Novel, über den Wahnsinn Abschlussarbeit und die teilweise tragikomischen und absurden Situationen, die Studierende dabei erleben. Vor allem fortgeschrittene Studierende, die etwa gerade an der Bachelor-, Master-/Diplom- oder sogar Doktorarbeit schreiben, dürften sich selbst und den akademischen Betrieb hier augenzwinkernd in einigen Passagen wiedererkennen. Einen guten Grund für weitere Prokrastination stellt dieser gut 170 Seiten starke Comic allemal dar. Die eigene schriftliche Arbeit kann ja schließlich noch ein bisschen warten.
Das Buch wurde vom Knaus bzw. Random House Verlag zur Verfügung gestellt.
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1 nices Kreutzworträtsel
LÖSUNG: REVOLUTION
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Interessantes, Kurioses und Schockierendes in alten uni:press-Ausgaben, entdeckt und ausgegraben von Christoph Würflinger
DIE DIGITALE REVOLUTION AN DER UNI SALZBURG
In den Neunzigern machten die Studierenden an der Uni Salzburg Bekanntschaft mit einer technischen Neuerung – dem Internet. Auch unsere Vorgänger bei der uni:press konnten sich seinem Bann nicht entziehen. Schließlich musste diese revolutionäre Technologie den Leuten erklärt werden. Ein Einblick in eine andere Welt: „Internet“ – nie davon gehört! „Vom eigenen elektronischen Postfach bis zur Literatursuche in den größten Bibliotheken der Welt, vom Bestellen elektronischer Magazine bis zum Small Talk mit StudentInnen in Australien – alles ist möglich im Cyberspace“. Internet ist ein internationales wissenschaftliches (sic!) Netzwerk, an das auch die Universität Salzburg angeschlossen ist. An diesem Netz hängen etwa eine Million Computer vom Großrechner bis zum PC. „Internet“ ist für die meisten StudentInnen wohl ein Fremdwort. Man könnte meinen, daß die Institute gar nicht besonders daran interessiert sind, ihre StudentInnen in diese neue Kommunikationstechnologie einzuweihen. Die Computer in den EDV-Räumen, welche eigentlich den StudentInnen frei zugägnlich sein sollten, sind über das EDV-Zentrum mit der Welt verbunden. Um auf der GESWI überhaupt einmal die ehrwürdigen Hallen betreten zu dürfen, zahlt man als erstes 100 Schilling. Diese Gebühr wird für Druckerkosten und Abnützung eingehoben. Absurd ist, daß man diese 100 Schilling für die Benutzung des Druckers auch zahlt, wenn man diesen gar nicht verwenden kann. […] Will man nämlich ausdrucken, oder Internet nutzen, muß man erst einmal ein Password haben. Ob man dies erhält, entscheiden die EDV-Beauftragten der Institute (nach welchen Kriterien?). Sieht man sich einmal das Lehrangebot an, so erkennt man, welchen Stellenwert diese neue Kommunikationstechnologie besitzt. In diesem Semester werden auf der Universität Salzburg genau 2 Lehrveranstaltungen mit beschränkter Teilnehmerzahl zu internationalen Computer-Netzwerken angeboten. uni:press 176 (1993)
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