UP #692: Gewalt (April 2018)

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UNI:PRESS STUDIERENDENZEITUNG DER ÖSTERREICHISCHEN HOCHSCHÜLERiNNENSCHAFT DER UNIVERSITÄT SALZBURG — #692 April 2018 —

gewalt.


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No. 115

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IMPRESSUM Medieninhaberin: Hochschülerinnen- und Hochschülerschaft an der Paris Lodron Universität Salzburg (ÖH Salzburg), Kaigasse 28, 5020 Salzburg, www.oeh-salzburg.at, sekretariat@oeh-salzburg.at / Herausgeber: HochschülerInnenschaft / Pressereferentin: Carolina Forstner / Layout: Michael Seifert / Lektorat: Julia Kellner & die Redaktion/ Anzeigen und Vertrieb: Martina Winkler Redaktion (Kontakt: presse@oeh-salzburg.at): Carolina Forstner, Hannah Wahl, Carlos Reinelt, Christoph Würflinger / AutorInnen in dieser Ausgabe: Samuel Löwy, Antonia Fa, Miggi Seifert, Carlos P. Reinelt, Christof Fellner, Alexander Schlair, Kay-Michael Dankl, Christian Ennsgraber, Michaela Huber, Carolina Forstner, Hannah Wahl, Stefan Klingersberger, Christoph Würflinger. Druckerei: Ferdinand Berger & Söhne Ges.m.b.H. / www.berger.at / Auflage: 7.000. Für Verbesserungsvorschläge und kritische Hinweise sind wir sehr dankbar. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung des jeweiligen Autors/der Autorin und nicht immer die Sichtweise der Redaktion wieder.


EDITORIAL

Carolina Forstner

Hannah Wahl

Carlos Reinelt

Michael Seifert

Christoph Würflinger

Liebe LeserIn Gewalt ist in den Medien omnipräsent – ständig wird über sie berichtet. Deswegen brechen wir in dieser Ausgabe der uni:press aus der behüteten Welt der Wissenschaft aus und befassen uns im Schwerpunkt mit diesem gefährlichen Thema. Neben ernsten Beiträgen zu struktureller Gewalt, Polizeigewalt und Gewalt in Videospielen soll aber auch der Schabernack nicht zu kurz kommen – Bastel- und Verkleidungsspaß für alle! Ganz unserem Bildungsauftrag verpflichtet, bieten wir euch natürlich auch allerhand Interessantes zum Hochschulalltag – von der Funktionsweise der ÖH über Forschung zu Rüstungszwecken bis zu Paris Lodron, dem Namensgeber unserer Universität. Wenn ihr euch fragt, was Erdogans Angriffskrieg in

Syrien mit der Uni Salzburg zu tun hat, seid ihr ebenfalls im Ressort uni & leben richtig. Wie gewohnt kommt auch politik & gesellschaft nicht zu kurz: Landtagswahl in Salzburg, Weltfrauentag, Karl Marx, Kopftuch, ein Besuch am Obersalzberg und Wissenswertes für Freunde des Reitsports. Für alle, die dieser harten Realität kurz entfliehen wollen, gibt es schließlich noch den Kulturteil mit dem Highlight Beisltest. Wir wünschen euch viel Spaß beim Lesen! Deine Redaktion Fragen, Wünsche, Anregungen, Kritik wie immer an presse@oeh-salzburg.at

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INHALT

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Zur Beständigkeit und Verschleierung struktureller Gewalt Keine FreundInnen, keine HelferInnen Polizeigewalt in Österreich GAME OVER! Gewalt in Videospielen Krieg im Namen Buddhas fellner'sche weisheiten Gewalt uni:press Bastelspaß DIY-Pflasterstein Wie vermumme ich mich richtig? Eine Anleitung

UNI & LEBEN

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ÖH Uni Salzburg 1* – Pfui! Uni für's Töten? Vom Geschäft mit dem Töten und der Beteiligung der Universitäten Debattieren, eine nackte Prüfung Abfallwirtschaftsrecht Wer war eigentlich Paris Lodron?

Erdogans langer Arm in Salzburg?


INHALT

POLITIK & GESELLSCHAFT

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Salzburger Landtagswahl: Wer darf zu Haslauer ins Bett? Und jährlich grüßt der Weltfrauentag: Nachtrag zum Kampftag Kavallerieattacken abwehren Wie man Gauleiter Kickl überlistet Besuch am Obersalzberg

Mal wieder Marx lesen

Kopftuch Ein Symbol individueller Freiheit?

KULTUR & MENSCHEN

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Alle gegen Alle gegen Alle Zugezogen Maskulin

Der Ursprung der Liebe Liv Strömquist Der ultimative uni:press Beisltest Teil 5 – Itzling

Wie geht eigentlich Sterben?

zeitmaschine Gewalt im Hörsaal

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© Mit den Jungs – ChrymeTV/YouTube

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Zur Beständigkeit und Verschleierung struktureller Gewalt Was ist „strukturelle Gewalt“? Warum ist sie so beständig und „hartnäckig“? Und welche Mechanismen führen dazu, dass vielen Menschen strukturelle Gewalt als „alternativlos“ oder gar als „gerechtfertigt“ erscheint? Diesen Fragen wollen wir in diesem Beitrag, der nicht ganz ohne grundlegende theoretische Überlegungen und damit wohl auch nicht ohne die eine oder andere Spekulation auskommt, nachgehen. Von Samuel Löwy*

Was ist strukturelle Gewalt?

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nge Definitionen von „Gewalt“ fokussieren meist auf den interpersonellen Bereich; d.h. sie verorten Gewalt in den (direkten) Interkationen und Beziehungen zwischen Menschen, wobei hier meist zwischen verschiedenen Formen, z.B. zwischen körperlicher, verbaler und psychischer Gewalt, unterschieden wird.1 Ein „weites“ Verständnis von Gewalt geht davon aus, dass z.B. auch gesellschaftliche Entitäten, wie etwa gesellschaftliche Strukturen oder Diskurse, Gewalt ausüben, wenn sie z.B. Menschen unterdrücken, marginalisieren, segregieren, exkludieren, diskriminieren und/oder stigmatisieren. Der Begriff der „strukturellen Gewalt“2 geht davon aus, dass eine Gesellschaft aufgrund dessen, wie sie strukturiert ist, Menschen Gewalt antut. Beispielsweise sind moderne Gesellschaften kapitalistisch, patriarchal und nationalstaatlich verfasst.3 Das Zusammenwirken bestehender Verhältnisse und gesellschaftlicher Strukturierungsmerkmale führt zu einer bestimmten gesellschaftlichen Konstellation, zu einer Über- sowie Unterordnung und auch zum Ausschluss vom Menschen.

Hierzu ein Beispiel: In einer kapitalistisch geprägten Gesellschaft, in der Vermögen und Besitz ungleich verteilt sind, ist der Großteil der Menschen dazu gezwungen, auf dem Arbeitsmarkt miteinander in Konkurrenz zu treten. Dieser Konkurrenzkampf bestärkt einerseits das Phänomen der zunehmenden Vereinzelung, erzeugt Stress und führt zu ungleichen Lebenslagen. Viele erfahren dabei Armut und sozialen Abstieg. Zusätzlich werden im Zuge der Konkurrenz bestimmte Gruppen benachteiligt. In nationalstaatlich verfassten Gesellschaften wird die Staatsbürgerschaft zu einer ökonomischen Ressource und Rassismus ein Instrument zur Durchsetzung eigener Interessen (ohne jedoch Rassismus auf ökonomische Verhältnisse reduzieren zu wollen). Summa summarum übt die beschriebene Verfasstheit Gewalt auf Menschen aus, da sie letztendlich allen schadet, aber natürlich bestimmten Personen und Gruppen mehr als anderen. Einen Hinweis auf die Richtigkeit dieser These geben z.B. die viel zitierten Studien und Statistiken über die arbeitsbedingten Erkrankungen und psychischen Probleme in unserer Gesellschaft.4

* Der Name wurde von der Redaktion geändert 1 Auf die Frage, ob z.B. das Zerstören von Dingen auch als „Gewalt“ bezeichnet werden soll, oder dieser Begriff nur für bestimmte Formen des „Einwirkens“ auf Menschen reserviert sein sollte, wird hier in weiterer Folge nicht eingegangen werden. Unabhängig von dieser Frage steht jedoch außer Zweifel, dass z.B. über die Androhung, Gegenstände zu zerstören, Gewalt, etwa in psychischer Form, ausgeübt werden kann. „Gewalt“ gegen Dinge wird hier zu einem Mittel von Gewalt gegen Menschen. 2 Zum Begriff der „strukturellen Gewalt“ siehe etwa Galtung, Johann (2007). Frieden mit friedlichen Mitteln: Friede und Konflikt, Entwicklung und Kultur. München. Es gibt auch noch weitere Konzepte, wie etwa Michel Foucaults Idee der „epistemischen Gewalt“, die noch weitere in der Gesellschaft an sich verankerte Gewaltformen ansprechen. Darauf sei aber hier nur verwiesen.


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3 Natürlich kann hier darüber diskutiert werden, in welchem Ausmaß Gesellschaften in dieser Form strukturiert sind. Dennoch können ihnen diese Eigenschaften wohl kaum abgesprochen werden. Dies gilt auch für den Aspekt des Patriarchats. Auch wenn es in den letzten Jahren und Jahrzehnten Fortschritte in der Gleichstellung der Frau gegeben hat, erfahren Frauen nach wie vor sowohl strukturell als auch diskursiv bedingte Unterordnung, Diskriminierung, Marginalisierung etc.

Warum ist strukturelle Gewalt so beständig? Nun stellt sich die Frage, warum diese Verhältnisse so beständig sind, warum sie, wenn sie uns doch schaden, nicht verändert werden bzw. Menschen nicht aufstehen und sie verändern. Die Antwort darauf ist komplex. Zunächst ist es sicherlich so, dass wir Bestehendes und Eingespieltes oftmals als „normal“ und „unveränderbar“ betrachten. Das Faktische weist sozusagen eine „normative Kraft“ auf. Unabhängig von diesem eher psychologischen Moment muss erkannt werden, dass die bestehenden Verhältnisse ständig reproduziert, stabilisiert und in Teilen immer wieder neu bzw. in anderer Form konfiguriert werden. Ein zentraler Akteur in der Reproduktion bestehender Herrschaftsverhältnisse ist der Staat.5 In den verschiedenen „Staatsapparaten“, zu denen nicht nur die Ministerien, sondern z.B. auch die Polizei, das Rechts-, das Bildungs- und Erziehungswesen, als auch die Medien zählen,6 gibt es – mal mehr, mal weniger – ein ständiges Zerren um die Durchsetzung bestimmter Interessen und Formen von Ideologien, wenngleich innerhalb eines teilweise sehr begrenzten Rahmens. In Bezug auf ökonomische Interessen bestimmter Gruppen wird an verschiedenen Stellen versucht, Maßnahmen der Umverteilung, z.B. durch Vermögenssteuern, zu delegitimieren. Dadurch werden bestehende ökonomische Verhältnisse reproduziert und stabilisiert. In Bezug auf das ideologische Moment kann die Schule als Beispiel herangezogen werden. Innerhalb des Schulwesens wird nicht nur Wissen weitergegeben. Schüler_innen werden – etwa durch den sogenannten „heimlichen Lehrplan“7 –

auch in bestimmter Weise „angerufen“, als Subjekte herangezogen, die die bestehenden Verhältnisse als „gegeben“, „natürlich“ und nahezu „unveränderlich“ begreifen lernen. Zusätzlich unterwerfen sich die Individuen heute zu einem großen Maße selbst den bestehenden Strukturen, indem sie etwa das weitverbreitete Leistungsdenken nahezu in sich „aufsaugen“.8 Sollte man dennoch in seinem Verhalten und seinem Denken zu weit „ausscheren“, hält der Staat eine Vielzahl von Disziplinierungsformen bereit. Dies beginnt bei tatsächlich „repressiven Staatsapparaten“, die unter Umständen auch zu physischer Gewalt greifen (dürfen), geht über zu „weicheren“ Formen, wie z.B. der Psychiatrie oder der Sozialarbeit, die versuchen, Menschen, die vom Weg „abgekommen“ sind, gesellschaftlich zu (re-)integrieren, und endet bei „subtilen“ sozialen Mechanismen, z.B. wenn einem im Zuge einer akademischen Laufbahn durch das politische Engagement oder eine allzu kritische Infragestellung gesellschaftlicher Verhältnisse die nächste Anstellung verwehrt bleibt. Durch diese Disziplinierung und die daraus resultierende Anpassung wird auch die Verwertung der Menschen als Arbeitskräfte sichergestellt. Das durchaus nicht konfliktfreie Zusammenspiel dieser Institutionen bzw. Apparate, deren ständige Reproduktion, sowie die Einbindung und ideologische „Anrufung“ der Individuen führt zu einer relativen Stabilität bestehender Verhältnisse sowie zu einer Reproduktion einer ungleichen, hierarchisch und gewaltvoll strukturierten Gesellschaft.

4 Kate Pickett und Richard Wilkinson zeigen etwa anhand statistischer Daten, dass in ungleichen Gesellschaften auch die Wahrscheinlichkeit steigt, etwa an einer Depression zu erkranken; siehe Pickett, Kate & Wilkinson, Richard (2010). Gleichheit ist Glück: Warum gerechte Gesellschaften für alle besser sind. Berlin. 5 Grundlage der nachfolgenden Überlegungen bilden die kritischen Staatstheorien von Louis Althusser und Nicos Poulantzas; siehe Althusser, Louis (1977). Ideologie und ideologische Staatsapparate. Aufsätze zur marxistischen Theorie. Hamburg/Berlin.; Poulantzas, Nicos (1978). Staatstheorie. Politischer Überbau, Ideologie, Autoritärer Etatismus. Hamburg. 6 Hier wird – wie wohl ersichtlich ist – ein weiter Staatsbegriff zugrunde gelegt. 7 Unter „heimlichem Lehrplan“ versteht man jene Elemente, die in der Regel nicht bewusst vermittelt werden und die Kinder u.a. zu „funktionsfähigen“ Bürger_innen macht, wie z.B. die Vermittlung von Disziplin. 8 Siehe hierzu das Konzept der „Gouvernementalität“ in Foucault, Michel (2004). Geschichte der Gouvernmentalität. Band I und II. Frankfurt am Main.


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9 Siehe Sen, Amartya (2009). Die Idee der Gerechtigkeit. München.

Ist strukturelle Gewalt gerechtfertigt? Der vorhergehende Abschnitt über die Stabilität von struktureller Gewalt beantwortet zumindest zum Teil die Frage ihrer Legitimität. Die bestehende strukturelle Gewalt legitimiert sich in gewisser Weise durch Verstrickung aller Personen in diese Verhältnisse, aber auch dadurch, dass die Individuen durch diese geformt und in ihrem Denken beeinflusst werden. Dadurch werden die bestehenden Verhältnisse von einem Großteil der Bevölkerung weder hinterfragt noch kritisiert. Vielmehr werden sie in Teilen für „alternativlos“ oder sogar „gut“ empfunden. Aber sind strukturelle Gewalt und die dahinterstehenden Verhältnisse auch in einem ethischen Sinne zu rechtfertigen?

Auch wenn viele Philosoph_innen dieser Meinung sind, erscheint eine ethische Rechtfertigung in vielerlei Hinsicht schwierig oder gar unmöglich zu sein. Legt man etwa das Kriterium der liberalen Gerechtigkeitstheorie Amartya Sens an, muss wohl festgestellt werden, dass unter den bestehenden Herrschaftsverhältnissen, der im Steigen begriffenen sozialen Ungleichheit und dem nahezu alles durchziehenden Konkurrenzprinzip eine Entfaltung der Individuen durch die Mehrung von „Verwirklichungschancen“ („Capability-Ansatz“), so wie Sen dies fordert und vorsieht, nicht oder nur bedingt möglich ist.9

10 Siehe Benjamin, Walter (1920/21). Zur Kritik der Gewalt. In: Benjamin, Walter (1991). Gesammelte Schriften 2.I. Frankfurt am Main, 179-203. 11 Ebd., 185. 12 Ebd., 190. 13 Benjamin schreibt: Man wird „vielleicht die überraschende Möglichkeit in Betracht zu ziehen haben, daß das Interesse des Rechts an der Monopolisierung der Gewalt gegenüber der Einzelperson sich nicht durch die Absicht erkläre, die Rechtszwecke, sondern vielmehr durch die, das Rechts selbst zu wahren“ (ebd., 183).


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14 Siehe ebd., 190f. Auch Johannes Agnoli (1967) weist auf verschiedene staatliche Techniken zur Herstellung des „sozialen Friedens“ hin, wie etwa die Überdeckung ökonomischer Ungleichheit durch die Bildung und Betonung von Gemeinschaft sowohl in Volks- als auch faschistischen Parteien; siehe Agnoli, Johannes (1967). Die Transformation der Demokratie. In: Agnoli, Johannes (2012). Die Transformation der Demokratie und verwandte Schriften. Hamburg, 25ff.

Das Problem, dass die Verhältnisse und die damit einhergehende strukturelle Gewalt offenbar nicht oder nur schwer ethisch/moralisch zu rechtfertigen sind, wirft nochmals ein anderes Licht auf die Frage der Persistenz struktureller Gewalt (siehe vorigen Abschnitt). Hierfür sollen einige Überlegungen Walter Benjamins herangezogen werden, die er in seinem berühmten Aufsatz „Zur Kritik der Gewalt“ aus dem Jahre 1920/21 niederschrieb.10 Benjamin geht davon aus, dass Gewalt nicht nur die Funktion eines Mittels hat, um gewisse Zwecke durchzusetzen. Gewalt hat darüber hinaus die Potenz und Funktion, Recht und damit auch staatliche Gewalt erst zu setzen. D.h., Gewalt ist im Stande, „Rechtsverhältnisse zu begründen und zu modifizieren“.11 Wird das Recht bzw. der Staat durch Gewalt erst möglich, folgt daraus auch, dass diesen Institutionen Gewalt sozusagen bereits innewohnt. „Alle Gewalt ist als Mittel entweder rechtsetzend oder rechtserhaltend. Wenn sie auf keines dieser beiden Prädikate Anspruch erhebt, so verzichtet sie damit selbst auf jede Geltung. Daraus aber folgt, daß jede Gewalt als Mittel selbst im günstigsten Falle an der Problematik des Rechts überhaupt teilhat.“12 D.h. dass jeder rechtliche Akt, wie etwa ein Vertragsschluss, hintergründig auf diesem Gewaltverhältnis beruht und erst durch dieses möglich wird. Dies führt

zu einem weiteren wichtigen Punkt: Dadurch, dass jedem rechtssetzenden Akt Gewalt zugrunde liegt, kann kein Staat eine Macht neben sich dulden, die ihr das Gewaltmonopol abspenstig machen könnte. Ansonsten läuft sie Gefahr, in Frage gestellt zu werden. Daher tendiert jedes staatliche Recht – so Benjamin – zur Monopolisierung von Gewalt.13 D.h., dem Staatswesen ist in seinem Bestreben, weiter zu bestehen, die Notwendigkeit eingeschrieben, Regungen, die ihm gefährlich werden könnten, zu unterdrücken. Dieses Ziel versucht der Staat natürlich nicht nur mit Hilfe von direkter Repression, sondern auch durch „präventive“ Maßnahmen zu erreichen. So wird die Tatsache, dass die staatlichen Apparate auf Gewalt gründen, oftmals verschleiert, indem etwa so getan wird, als ob das Wesen der (wahren) Politik in den Mitteln der Diplomatie und in konsensualen Übereinkünften bestünde.14 Die Tatsache, dass Politik Gewalt zur Voraussetzung hat, wird hingegen verschwiegen. Gleichzeitig werden Versuche des zivilgesellschaftlichen Widerstands und Protests, wie z.B. durch Demonstrationen und Streiks, von verschiedener Seite als illegitim gebrandmarkt und abgewertet.15 Wie gut diese Mechanismen der Delegitimierung funktionieren, verdeutlicht die Tatsache, dass sich ein Großteil der Bevölkerung z.B. bei Demonstrationen, v.a. wenn es zu (gewalthaften) Konflikten zwischen Protestierenden und der Polizei kommt, immer wieder und nahezu reflexartig auf die Seite des staatlichen Gewaltmonopols schlägt.16

15 Je nachdem, um welche Themen es sich dreht, wird Delegitimation von verschiedener Seite betrieben. So in vielen Fällen von Institutionen, die nicht im engeren Sinne zum Staat zählen. Kommt es jedoch – z.B. auf Demonstrationen – zu gewalthaften Auseinandersetzungen, folgt ein entsprechendes Urteil von Staatsvertreter_innen sogleich. Gleichzeitig wird das Gewaltverhältnis, auf dem der Staat beruht, nicht angesprochen bzw. angewandte Gewalt als „notwendig“ dargestellt. 16 Vor, während und nach größeren Demonstrationen hört man von der Seite der Bevölkerung immer wieder Aussagen, wie „Die sollten besser arbeiten als demonstrieren!“, „Denen sollte man Disziplin beibringen!“ oder „Die wollen doch nur randalieren!“. Auch Streiks werden oftmals in ähnlicher Form delegitimiert, indem den Streikenden vorgeworfen wird, dass sie etwa der Wirtschaft oder der Sozialpartnerschaft schaden. (Im Rahmen der Lohnverhandlungen der „Metaller“ in diesem Herbst wurde den Gewerkschaften von der Seite der Wirtschaft tatsächlich vorgeworfen, der Sozialpartnerschaft zu schaden; siehe z.B. Artikel „Gewerkschaften rüsten sich für Streiks“ in „Die Presse“, online, vom 7.11.2017.)


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Keine FreundInnen, keine HelferInnen.

Polizeigewalt in Österreich Schon im Kindergarten wird uns eingeredet, dass PolizistInnen dazu da seien, uns zu helfen. Die meisten glauben das. Wer nichts zu verbergen hat, muss schließlich nichts befürchten. Eine Fehleinschätzung – es kann jedeN treffen. Von Antonia Fa*

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enn in den Medien die Sprache von Polizeigewalt aufkommt, geschieht dies zumeist im Kontext autoritärer Staaten. Zurecht wird über teils schockierende Zustände berichtet, werden frappierende Missstände namhaft gemacht und Maßnahmen gegen Polizeiwillkür und –gewalt gefordert. Aber auch die USA ist in diesem Zusammenhang – nicht erst seit der „Black lives matter“-Bewegung – ein gern wiedergekautes Beispiel, vor allem wenn auf rassistische Polizeipraktiken aufmerksam gemacht werden soll. Aus der scheinbaren moralischen Überlegenheit der europäischen Position wird hier gerne – ähnlich wie bei der gerade erneut heftig geführten Waffendebatte – und natürlich auch zu Recht anklagend mit dem Finger gezeigt.

Berichte über Fehlverhalten österreichischer ExekutivbeamtInnen sucht man in den heimischen (Massen-)medien hingegen oft vergeblich. Ist unser Polizeiapparat also vor Rassismus, Gewalt und Willkür gefeit? Ein Blick auf die Statistiken des letzten Sicherheitsberichts (2016) des Bundesministeriums für Justiz scheint diese Annahme zu bestätigen: 2016 kam es österreichweit zu einem einzigen Schuldspruch nach Misshandlungsvorwürfen gegen ein Organ der Sicherheitsbehörden. Offenbar hat unser Staat einen Weg gefunden, polizeiliche Exzesse – wie sie aus anderen Ländern berichtet werden – zu verhindern. Wirklich?

* Der Name wurde von der Redaktion geändert


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Rassismus in der Polizei Samstag, 3. März 2018, später Abend, ein kleiner Ort in der Nähe von Salzburg. Ein junger Mann wird durch Blaulicht und Geschrei aus der abendlichen Fernsehlethargie gerissen. Neugierig geworden läuft er zum Balkon – Was ist hier geschehen? Ein Unfall? – Ein Polizist brüllt einen, auf dem Boden, liegenden Mann an. Das Vergehen des Mannes? Scheinbar ist er ohne Licht mit dem Fahrrad gefahren. In Ordnung, möchte man meinen, der Mann hat damit offensichtlich gegen geltendes Recht verstoßen – eine Strafe ist wohl angebracht. Normalerweise wird ein derartiges Vergehen mit Organmandat oder einer Strafverfügung im zweistelligen Euro-Bereich bestraft. Aber warum liegt der Mann auf dem Boden? Ein näherer Blick enthüllt: Die Hände des am Boden liegenden Mannes sind mit Handschellen auf den Rücken gefesselt. Jetzt ergibt auch Sinn, warum einer der beiden anwesenden Polizisten vorhin geschrien hatte, der am Boden

liegende Mann solle sich ordentlich benehmen, wenn er in Österreich sei: der junge Mann ist dunkelhäutig. Ein Einzelfall? Mitnichten. Immer wieder kommt es zu rassistisch motivierten Übergriffen seitens österreichischer PolizistInnen. Dass es dabei nicht nur bei scheinbar „harmlosen“ Taten, wie der oben beschriebenen bleibt, sondern sogar der Tod der Opfer in Kauf genommen wird, hat nicht zuletzt der weithin bekannte Fall Marcus Omofumas gezeigt, der 1999 während einer Amtshandlung erstickte. Dass die Hautfarbe der Opfer oftmals ausschlaggebend ist, wird am Beispiel eines Lehrers afroamerikanischer Herkunft im Februar 2009 deutlich, der in der Wiener U-Bahn von Polizisten mit einem Drogendealer verwechselt und daraufhin verprügelt wurde. Es handelt sich hier nur um wenige Beispiele, mit weiteren ähnlichen Vorfällen der letzten Jahre könnte man Seiten füllen.

Vermummt und gewaltbereit Es muss nicht immer die Hautfarbe sein, die zu polizeilichen Übergriffen führt. Oft passieren solche auch im Kontext politischer Manifestationen. Immer wieder werden bei Kundgebungen und Demonstrationen in Österreich Zivilpersonen von PolizistInnen verletzt. So stieß ein Beamter während eines Protests in Wien im Jahr 2013 eine Demonstrantin aus vollem Lauf kopfvoran gegen eine Steintreppe. Zu Verurteilungen gegen die verantwortlichen BeamtInnen kommt es dabei praktisch nie. Dies beginnt bereits damit, dass für die betroffenen Personen oftmals noch nicht einmal feststellbar ist, von wem sie hier gerade verletzt worden sind, da die Polizei gerade bei Demonstrationen gerne vermummt und in Blockformation auftritt. Eine Identifikation der GewalttäterInnen ist dabei oft schwer bis unmöglich, da sich diese nach getaner Tat wieder in die Anonymität der martialischen Masse zurückziehen. Das auch die vermeintlich ruhige und friedliche Festspielstadt Salzburg vor solchen Übergriffen nicht gefeit ist, ist spätestens seit dem WEF-Gipfel-Fiasko im Jahr 2001 hinlänglich bekannt, als hunderte RoboCops in der Salzburger Innenstadt Bürgerkriegss-

zenarien imaginierten und hunderte friedliche DemonstrantInnen stundenlang einkesselten und sich in Prügelorgien ergingen.1 Polizeikessel sind bei der Salzburger Polizei nach wie vor beliebt. Fast scheint es, als werde dieses Repressionsmittel in regelmäßigen Abständen immer dann wieder eingesetzt, wenn die lokale Datenbank über Salzburger AktivistInnen aktualisiert werden soll. Zuletzt war der Bedarf nach neuen Daten im Oktober 2017 offenbar wieder eklatant geworden. Nach einer friedlichen (angemeldeten und genehmigten) Kundgebung von „Pro-Choice“-AktivistInnen vor dem Salzburger Landeskrankenhaus wurden sämtliche anwesende Personen von der Polizei eingekesselt. Der Kessel durfte nur gegen die Herausgabe personenbezogener Daten verlassen werden. Wer dieser Aufforderung nicht freiwillig nachkam, wurde mit Würgegriffen aus dem Kessel gezerrt und dann zur Identitätsfeststellung gezwungen. Drei AktivistInnen, die sich nicht ausweisen konnten, wurden in der Folge ins Polizeianhaltezentrum verfrachtet. In den folgenden Wochen hagelte es an alle Personen, die an diesem Tag zur Identitätsfeststellung gezwungen worden waren, Verwaltungsstrafen.

1 Zwischen 1996 und 2002 fand jährlich ein Gipfel des World Economic Forum in Salzburg statt. Wer nähere Informationen zu den Ereignissen im Jahr 2001 erfahren möchte, dem/ der sei diese Doku ans Herz gelegt: https://vimeo.com/24698742


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Es kann uns alle treffen

Polizeigewalt und –willkür trifft aber nicht nur Menschen mit anderer Hautfarbe oder politische AktivistInnen. Menschen aus den unterschiedlichsten Gesellschaftsschichten werden in Österreich Opfer von Übergriffen seitens der Exekutive. Wie kommt es dann dazu, dass es – wie eingangs angesprochen – in Österreich zu praktisch keinen Verurteilungen gegen PolizistInnen kommt? Dies hat verschiedene Gründe: Oft ist es, wie bereits erwähnt, für die Opfer von Polizeiübergriffen schwierig, überhaupt eineN konkrete TäterIN zu identifizieren. Gelingt eine solche Identifikation dennoch, ist die Hemmschwelle, tatsächlich rechtlich gegen die Polizei vorzugehen oft groß – und das zu Recht, denn schnell stoßen Betroffene auf neue Hürden. So werden Anzeigen gegen PolizistInnen nicht nur in vielen Fällen umgehend mit Gegenanzeigen beantwortet, sondern Betroffene stoßen auch rasch

auf eine Mauer falsch interpretierten Kameradschaftsgedankens bei der Polizei: PolizistInnen halten sich in den allermeisten Fällen gegenseitig den Rücken frei, auch KollegInnen, die sich offensichtlich falsch verhalten hatten, werden gedeckt. In den wenigen Fällen, in denen Misshandlungsvorwürfe gegen Organe der österreichischen Sicherheitsbehörden schlussendlich doch vor Gericht verhandelt werden, können sich die angeklagten PolizistInnen auf die Unterstützung der Justiz verlassen und so erklären sich schlussendlich auch die anfangs erwähnten Zahlen aus dem Sicherheitsbericht von 2016. Die augenscheinliche Diskrepanz zwischen der – trotz der erwähnten Hürden – doch großen Zahl an Vorwürfen und der extrem niedrigen Zahl an Anklagen und Verurteilungen wird nicht nur von AktivistInnen beanstandet, sondern wurde 2015 beispielsweise auch von der UNO massiv kritisiert.


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Screenshot aus dem Sicherheitsbericht 2016 des Bundesministeriums für Justiz

Wie sich dies im Konkreten auswirkt, zeigt zuletzt auch wieder der zuvor beschriebene Vorfall im Oktober 2017. Betroffene hatten gegen das völlig überzogene Vorgehen der Polizei vor dem Landeskrankenhaus eine Maßnahmenbeschwerde beim Landesverwaltungsgericht Salzburg eingereicht. Wie in so vielen Fällen entschied das Gericht – trotz mehrerer belastender ZeugInnenaussagen – zu Gunsten der Polizei, auf den Verfahrenskosten bleiben die AktivistInnen sitzen. Postskriptum: Klappe halten lohnt sich! Nur zwei der im Oktober 2017 eingekesselten Personen konnten einer Verwaltungsstrafe entgehen, indem sie auch im Polizeianhaltezentrum eine Identitätsfeststellung verweigerten und schlussendlich unbekannt freigelassen werden mussten.

Filmtipp: Bei der Diagonale 2018 wurde unlängst der Film „Cops“ präsentiert, der sich eingehend mit dem Thema Polizeigewalt in Österreich beschäftigt.

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GAME OVER! Im Jahr 2018 gab es in den USA 17 Schießereien an Schulen, in denen jemand verletzt oder getötet wurde1 - durchschnittlich ergibt das mehr als einen Vorfall pro Woche. Was danach folgte war zum einen der verrückte Vorschlag der Regierung alle Lehrenden zu bewaffnen. Diese Idee durfte sich nur kurze Zeit später als Fehler herausstellen, als sich ein 53-jähriger bewaffneter Lehrer im Bundesstaat Georgia im Klassenzimmer verbarrikadierte und sogar einen Schuss abfeuerte. Wenn es darum geht, den oder die SchuldigeN für die vermehrte Waffengewalt unter SchülerInnen zu finden, landen viele Zeigefinger immer wieder auf einem ganz bestimmten Bösewicht: den Videospielen. Von Miggi Seifert

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or allem Donald Trump hat sich, wie schon einige seiner Vorgänger und Kollegen, auf das noch junge Medium eingeschossen. Anfang März hat er sich im Zuge dessen mit VertreterInnen der Videospielbranche wie Zuständige der ESA und ESRB2 oder Publisher Take-Two und KritikerInnen zu einer Diskussionsrunde getroffen, denen er ein äußerst bedenkliches Video3 vorspielte. In dem Video sieht man eine aus dem Zusammenhang gerissene Aneinanderreihung diverser gewalttätiger Szenen aus verschiedenen Spielen, darunter Call of Duty, Wolfenstein, Fallout 4 und Sniper Elite 4. Die üblichen Verdächtigen also. Nach dem Video stellte Trump den Anwesenden die Frage „This is violent, isn’t it?“. Was bleibt ist ein weiterer unqualifizierter Beitrag über ein Medium, das viel mehr bietet, als stumpfe Gewalt. Selbst hinter Szenen, wie der berüchtigten „No Russian“-Mission in Call of Duty: Modern Warfare 2,

steckt weit mehr, als man auf den ersten Blick erkennen mag. Der Aufschrei im Erscheinungsjahrs 2009 war groß und die Mission musste in einigen Ländern zensiert werden. Zu heikel war es den Ländern, dem Spieler die Wahl zu überlassen, ob er sich als Geheimagent an der Tötung von ZivilistInnen durch russische Terroristen (die man natürlich unterwandert) beteiligt. In Russland wurde die Mission gänzlich gestrichen, in Deutschland und Japan bricht das Spiel ab, wenn man eineN der ZivilistInnen erschießt. Egal ob man sich an den Taten beteiligt, wird man am Ende der Mission vom Anführer der Russen erschossen. Das Ganze ist hierbei nicht stumpfe Gewalt der Gewalt willens, sondern dient klar dem Fortschritt der Geschichte. Sie soll der spielenden Person ein mulmiges Gefühl im Magen hinterlassen. Sie soll die Frage aufwerfen, ob Gewalt mit Gegen-Gewalt aufgehoben werden kann. Aber auf keinen Fall soll die Mission die Freude am Töten Unschuldiger zeigen.

1 Stand 03.04.2018 2 ESA = Entertainment Software Association; ESRB = Entertainment Software Rating Board 3 Das Video ist immer noch auf dem YouTube-Kanal des weißen Hauses zu sehen, wird dort allerdings nicht mehr öffentlich gelistet: https://www.youtube.com/ watch?v=0C_IBSuXIoo


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Warum wird sich aber vor allem auf Videospiele seit Jahren als maßgeblicher Grund für Amokläufe und weitere Gewaltexzesse eingeschossen? Meine Theorie ist, dass Videospiele nicht ernst genug genommen werden. Im ersten Moment mag sich das widersprechen, weitergedacht aber absolut nicht. Filme/Serien/ Fernsehen und Musik sind schon lange in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

VIDEOSPIELE WERDEN ALS JÜNGERES MEDIUM, DAS SICH NOCH IN STÄNDIGER ENTWICKLUNG BEFINDET, VON VIELEN PERSONEN NOCH STIEFMÜTTERLICH BEHANDELT. Es gibt viele verschiedene Genres und jedeR konsumiert sie in irgendeiner Art und Weise und neben Ausnahmen wie Marilyn Manson oder bestimmten Gangster-Rap-Künstlern wird selten eines dieser Medien als Auslöser für Gewalt verdächtigt. Videospiele werden als jüngeres Medium, das sich noch in ständiger Entwicklung befindet, von vielen Personen noch stiefmütterlich behandelt. Und das obwohl die Industrie mit all ihren Publishern, Studios, EntwicklerInnen-Teams – die Liste lässt sich beliebig lange fortführen – sowohl im Bereich der Investitionen, als auch im

Bereich der Erträge an Hollywood heranreicht. Trotzdem werden Videospiele nicht als Kunst anerkannt. Das hat zur Folge, dass Spiele wie Wolfenstein II: The New Colossus, in dem die Nazis nicht den zweiten Weltkrieg verloren und die USA unterworfen haben, in Österreich und Deutschland maßgeblich von den EntwicklerInnen zensiert werden. Die Nazis werden zum namenlosen „Regime“, das Hakenkreuz wird zum absurden Symbol ebendessen und Adolf Hitler wird umbenannt in „Herr Heiler“, von seiner Gefolgschaft angesprochen als „mein Kanzler“. Selbst das Oberlippenbärtchen musste weichen, damit USK4 und andere Instanzen keinen Grund finden können, das Spiel vom Markt nehmen zu lassen. Immerhin verbirgt sich hinter dem Spiel eine aufwändige Produktionszeit, ein großes Team, eine riesige Marketingkampagne, Produktionskosten und vieles mehr, was man nicht durch eine Indizierung in großen Teilen Europas verlieren möchte. In Filmen darf das Hakenkreuz bekanntlich unverfälscht gezeigt werden. Einziger Unterschied: Die Regierungen bestimmter Länder haben anerkannt, dass Filme Kunst sind. Videospiele hingegen bewegen sich in irgendeiner anderen Sphäre. Es wird wohl also noch ein paar Generationen an PolitikerInnen brauchen, bis auch Videospiele als das angesehen werden was sie sind: Kunst, die interaktiv Geschichten erzählt. Von springenden Klempnern, kleinen Taschenmonstern, oder blauen Igeln, aber eben auch die der SoldatInnen oder GeheimagentInnen. Ganz wie in Filmen und Serien. Die SpielerInnen vor schwere Aufgaben stellt, sie Nachdenken lässt und mitunter auch zu Tränen rühren kann. Und das intensiver, als es andere Medien je könnten.

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4 Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle, zuständig für die Alterskennzeichnung von Videospielen in Deutschland. Miggi Seifert studiert Politikwissenschaft, und kümmert sich hauptsächlich um das Layout der uni:press. In seiner Freizeit spielt er Videospiele und dokumentiert das in Text und Podcast-Form auf www.threetwoplay.com


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Der Buddhismus ist, wie alle Weltreligionen, seit Jahrhunderten ein fruchtbarer Nährboden für Terror, Unterdrückung und Diskriminierung - auch wenn das unsre New-Age-YogaHippies dank fehlendem Geschichtsbewusstsein oftmals leugnen. Zurzeit treiben sie ihr Unwesen in Sri Lanka. Von Carlos P. Reinelt

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ine der erstaunlichsten Errungenschaften der PR-Geschichte ist das Bild, welches heute noch viele Menschen vom Buddhismus haben. Die Abrahamitischen Religionen haben sich hartnäckig einen Ruf als Kriegsreligionen der Unterdrückung erkämpft. Der Hinduismus mit seinem menschenverachtenden Kastensystem wird in weiten Teilen der säkularisierten Gesellschaft ebenso kritisiert und abgelehnt. Doch sobald der Buddhismus ins Spiel kommt, scheint jede Ratio ausgeschalten. Dass den Buddhismus, wie alle Weltreligionen, eine lange Geschichte der Gewalt prägt, die sich bis in die Gegenwart erstreckt, wird dank mangelndem Geschichtsbewusstsein gerne geleugnet. Bewaffnete, mordende, folternde Mönche, eingebettet in einem überheblich patriarchalischen

System, scheinen nicht in das Weltbild eines Westens zu passen, der träumerisch von Yoga und Meditation schwärmt. 150 muslimische Geschäfte überfallen Am 5. März, 4 Tage nach meiner Abreise, kollidiert ein Kleinbus mit einem Taxi. Die muslimischen Taxigäste prügeln daraufhin den singalesischen Busfahrer nieder, bis dieser seinen Verletzungen erliegt. Obwohl die Tat wahrscheinlich nicht religiös motiviert war, nehmen radikale Buddhisten dies als Anlass, über 150 Gebäude zu verwüsten, in Brand zu stecken und Moscheen zu zerstören. In einem Haus wird die Leiche eines 24-Jährigen Moslems gefunden. Der Premierminister Ranil Wickremesinghe ruft daraufhin den Ausnahmezustand aus.


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Krieg im Namen

Buddhas Kandy ist eine wichtige Pilgerstadt für viele Buddhisten. Im sogenannten „Zahntempel“ wird ein angeblicher Zahn Buddhas aufbewahrt. Es ist kein Zufall, dass gerade in Kandy, dessen Bevölkerung zu 70% aus Singalesen (denen im Berggebiet allgemein eine konservativere Haltung zugesprochen wird) und 14% Moslems besteht.

DER RUPIEN LIEGT DERZEIT IN EINEM REKORDTIEF, DER NEUEN REGIERUNG WERDEN MASSIVEN KORRUPTIONSFÄLLE VORGEWORFEN. Das krisengebeutelte Land kommt aus seiner verzweifelten Lage nicht heraus: 1983-2009 herrschte ein blutiger Bürgerkrieg zweischen Tamilischen Sepratisten und den Singhalesen, die Tsunami-Katastrophe 2004 tat sein Übriges. Der Rupien liegt derzeit in einem Rekordtief, der neuen Regierung werden massiven Korruptionsfälle vorgeworfen. Die zerrüttete Vergangenheit ist überall zu sehen. Viele Taxi-Windschutzscheiben ziert eine aufklebbare Flagge Sri Lankas mit der Aufschrift „One Country. One Flag. One Nation.“ Doch auch die Gegenwart mit seiner misslichen Wirtschaftspolitik betrübt die Einheimischen. Mönche wollen rein buddhistisches Land Als einer der vielen Sundenböcke werden dabei die Moslems ausgemacht. Die Rhetorik klingt dabei harscher, als es sich hierzulande die FPÖ trauen würde: Die Moslems würden versuchen, die buddhistische Mehrheit zu verdrängen. Sie würden archäologische Stätten zerstören, Menschen zum Konvertieren zwingen, zu großen wirtschaftlichen Einfluss haben und das Land absichtlich ausbluten und durch ihre vielen Kinder eine langsame Umvolkung herbeiführen. Die führenden Mönche der radikalen Buddhisten wollen ein rein buddhistisches Land. Dementsprechend waren in den letzten zwei Jahren auch vermehrt Christen und Hindus Ziel verschiedener Attacken.

Vielfältiger Konflikt Wie bei den meisten Auseinandersetzungen können die Ursachen natürlich nicht monokausal erklärt werden. Am Beispiele Sri Lankas zeigt sich, wie verschiedene Faktoren sich zu Brandherden entwicket haben. Neben den bereits erwähnten politischen und wirtschaftlichen Missständen haben sich die Dengue-Erkrankungen in den letzten 50 Jahren verdreißigfacht und die Nachwirkungen des Tsunami stecken immer noch tief im Mark der Bevölkerung. Wichtige Importprodukte wie Reis werden durch den schwachen Rupien immer teurer, die junge Regierung, welche den Präsidenten in seiner Macht beschnitten hat, hat ihr Vertrauen bereits verspielt. Neben diesen existenziellen Problemen spielen aber vor allem identitätsstiftende Größen wie Zugehörigkeitsgefühl, Ethnie und nicht zuletzt das Benzin und Streichholz schlechthin mit: Die Religionen. Geschichte der Gewalt Dass dem Buddhismus hierbei eine Sonderstellung eingeräumt wird, und zwar nicht nur durch liberale New-Age-Yoga-Hippies, ist befremdlich. Trotz einer scheinbaren Ablehnung des Körpers und Hingebung zum Geist, ist das Geschlecht von großer Bedeutung. Welches benachteiligt wird, kann man wohl selbst erraten. Mit seiner ertrage-dein-Leid-dafür-geht-esdir-im-nächsten-Leben-besser-Philosophie, ähnlich dem Juden- und Christentum, bietet er perfekte Bedingungen für Repression durch Autoritäten. Und auch wenn der Buddhismus im Gegensatz zum Islam keine Bestrebungen einer gewaltsamen Missionierung der ganzen Welt explizit ausdrückt (was zweifelsohne einer der Erfolgsrezepte des politischen Islams in unserer Gegenwart ist), lässt sich auch diese Lehre kriegerisch deuten. Von den Kriegen im 17. Jahrhundert gegen innertibetische Gegner, in denen die Gelupas mithilfe der Mongolen Tibet gewaltsam eroberten und den Dalai Lama an dessen Spitze installierten, über die buddhistischen Rechtfertigungen der Gräuel Japans im 2. Weltkrieg, bis hin zu den Toten des 21. Jahrhunderts in Myanmar bzw. Sri Lanka, zeigen, dass auch diese Religion ein fruchtbarer Nährboden für Krieg, Terror und Unterdrückung sein kann.

Carlos P. Reinelt ist Schriftsteller und Philosoph, studiert Germanistik in Salzburg und erhielt 2016 den Rauriser Literaturpreis.


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GEWALT

fellner ’sche weis heiten

GEWALT

Gewalt – ein vielseitiger Begriff, im Guten wie im Schlechten. Von „gewaltiger“ Ausblick bis hin zu „gewaltiger“ Zerstörung ist da alles drin. Und wir alle sind der Gewalt schon einmal begegnet. Gewalt spielt im täglichen Leben immer und immer wieder eine Rolle, meistens eine sehr unrühmliche. Wenden wir Gewalt an, so zwingen wir ein Gegenüber, die ihm oder ihr zur Verfügung stehenden Optionen nach unseren und nicht den ihren oder seinen Vorstellungen einzusetzen. Wir berauben diese Person also für diesen Anlass ihrer Eigenständigkeit und individuellen Handlungsfreiheit. Von Christof Fellner


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iese Gewaltdefinition, das Aufzwingen der Auswahl von Verhaltensalternativen legt das eigentliche Problem der Gewalt dar, nämlich dass sie dann angewandt werden muss, wenn scheinbar kein anderes Mittel, sei es argumentativer oder anderweitiger Natur, mehr greift. Grundlose Gewalt, und sei dieser Grund auch nur der erhoffte Spaß der aktiv die Gewalt anwendenden Person, gibt es nicht. Es gibt jedoch zu bestrafende und nicht zu bestrafende Gewalt. Es gibt solche, die die Gesellschaft damit beauftragt, Gewalt in ihrem Namen auszuführen, und solche, die das eigentlich nicht dürfen, es aber trotzdem tun. Und seht da, das berühmte Duo von Räuber und Gendarm ist geschaffen. Staaten sind es, die ein Monopol darauf haben, Gewalt auszuüben. Gerade die heurigen Gedenktage beweisen, dass das alles andere als zum Wohl der Allgemeinheit geschehen ist.

„GRUNDLOSE GEWALT GIBT ES NICHT.“ Gewalt hat die Menschheitsgeschichte entscheidend geprägt, und doch reden wir immer und immer wieder davon, sie nicht anwenden zu sollen oder zu wollen. Diejenigen, die es tatsächlich geschafft haben, etwas großes Politisches ohne Gewalt zu erreichen, stehen in den Geschichtsbüchern und werden dafür zuhauf bewundert. Gandhi, Luther-King, Mandela, sie alle stehen als praktische Säulenheilige der internationalen Solidarität in den Geschichtsbüchern, doch gefolgt wird ihren Lehren nur allzu selten. Wirklich erreicht haben, vor allem im 20. Jahrhundert, nur diejenigen etwas, die sich politisch nicht provozieren ließen.

„GEWALT HAT DIE MENSCHHEITSGESCHICHTE ENTSCHEIDEND GEPRÄGT.“ Es gibt sie aber auch, die sogenannten Theoretiker der Gewalt. Besonders Robespierre und Saint-Just gehörten dazu. Die beiden waren radikale Revolutionäre aus Frankreich und vertraten die Meinung, dass Tugend ohne Terror nichts wäre, Terror ohne Tugend aber leer. Was nichts anderes bedeutet, als dass nur wer beständig mit negativen Folgen bedroht ist auch wirklich Regeln einhalten wird. Wie die Revolution in Frankreich und anderen Ländern ausgegangen ist dürfte bekannt sein, jedes Lexikon gibt Auskunft darüber.

Was bleibt also für ein Fazit? Über Prügel mag es vielleicht später eine Aussöhnung gegeben haben, bereut wurden sie oft. Und noch öfter gab es hinter die Folgen der Gewalt kein Zurück mehr. Nun gehe ich davon aus, dass manche Kolleginnen und Kollegen, die glauben, Linke politische Gruppierungen zu kennen, von mir etwas zum Thema Gewalt und Demonstrationen erwarten. Dazu ist aber nichts anderes als oben zu sagen. Ziele werden nur erreicht, wenn man sich nicht provozieren lässt, bei den eigenen Forderungen unbeirrt bleibt, irgendwann wird nachgegeben. Nicht revolutionär genug? Zu nett? Zu sehr „Wandel durch Annäherung“? Nicht glaubhaft genug? Das mögen einige vielleicht glauben, ich gehe davon gewiss nicht aus. Und gerade jene, die hoffen bei einer der nächsten Demonstrationen würde irgendetwas zu Bruch gehen, wissen, dass es ihr größtes Pech wäre, wenn man die geistige Jugend plötzlich anfängt ernst zu nehmen. Denn man könnte plötzlich sehen, wie leer und hohl die Phrasen von nationaler Einheit und dem Schulterschluss der Anständigen doch sind.

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Christoph Fellner studiert Politikwissenschaft, ist ÖH-Urgestein und sagt nichts über den Fight Club.


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DIY-Plfasterstein Wir alle kennen diese Situation: Man geht zu einer Demo, protestiert ganz friedlich, eines führt zum anderen und plötzlich möchte man gerne einen Stein auf politische GegnerInnen, Schaufenster oder PolizistInnen werfen. Ausgerechnet dann ist weit und breit kein passender Stein in Sicht. Was tun? Wir haben die Lösung: Den praktischen DIY-Pflasterstein!

1. Die Linie waagerecht bis zu den Kreuzen einscheiden. 2. Zusammenfalten und die Seitenteile innen verkleben. 3. Fertig ist der Pflasterstein.


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Wie vermumme ich mich richtig? Die Regierung in unserem Land treibt allerhand verrückte Dinge, gegen die man auf die Straße gehen sollte. Dabei drohen allerdings von vielen Seiten Repressalien: Man kann von der Polizei grundlos verhaftet werden, Neonazis können einem auf dem Heimweg auflauern, man kann den Job verlieren, weil man erkannt wird oder muss beim nächsten Wochenendbesuch der Oma erklären, warum man mit Bengalo in der Hand von der Titelseite der Kronenzeitung lacht. Um sich davor zu schützen, sollte man sich bei Demos stets vermummen. Diese Punkte sollten dabei beachtet werden:

Weg mit auffälligen Sneakers, her mit schwarzen Schuhen!

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Ein billiger schwarzer Windbreaker über der Kleidung sorgt für Anonymität und verschwindet notfalls in Sekundenschnelle.

Das Gesicht sollte möglichst komplett bedeckt sein. Am besten verwendet man einen schwarzen Schlauchschal. Vorteil: Kann sich rasch in ein Armband oder ähnliches verwandeln, wenn es nötig ist. 4. Alternativ können auch schwarze T-Shirts als Kopfbedeckung genutzt werden. Vorteil: Sie fallen bei Polizeikontrollen nicht auf.

© JJagomagi/Wikipedia

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Du hast gedacht, Fischerhüte sind out und werden nur noch von Hustensaft Jünglingen getragen? Falsch – ein dunkler Fischerhut vor lästigen Drohnenbildern aus der Vogelperspektive! 6.

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Antifaschismus ist Handarbeit, und weil Hände empfindlich sind, empfiehlt es sich, schwarze Lederhandschuhe zu tragen.

Transpis tragen! Transparente sind nicht nur ein stimmschonender Weg, um politische Botschaften zu verbreiten, sondern bieten – ordentlich aneinandergeknüpft – auch wunderbar Deckung vor lästigen Kameras. 8.

Du leistest dir trotz aller Kapitalismuskritik doch gerne Markenprodukte? Dann solltest du die Logos unbedingt mit schwarzem Klebeband verdecken – um Mitdemonstrierende nicht zu provozieren und damit dich die Cops nicht so leicht identifizieren können.

© Ingolfson/Wikipedia

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uni & leben

ÖH UNI SALZBURG

1* – PFUI!

Keine zwei Tage ist es her, als die letzte Bewertung der ÖH Uni Salzburg auf Facebook eintrudelte. Mit einem geistreichen „Pfui“ und nur einem Stern bewertet Christian S. die Vertretungsarbeit an seiner Universität. Zumal Kritik und Feedback wichtig sind, ist er leider nicht sehr ins Detail gegangen, was ihn so stört. Was bewertet der Herr mit „Pfui“? Bewertet er die Vertretungsarbeit an seinem Fachbereich? Bewertet er einen Service der ÖH, mit dem er nicht zufrieden war? Bewertet er die Haltung seiner in die Gremien entsandten Kommiliton*innen? Bewertet er die Maturant*innenberatung oder war er vielleicht nicht zufrieden, weil sein Fahrtkostenantrag nicht fristgerecht bearbeitet wurde. Die ÖH nüchtern betrachtet von Alexander Schlair

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ie Möglichkeiten, was der enttäuschte Student anprangern möchte, sind endlos. Das „Pfui“ möchte ich in diesem Artikel zum Anlass nehmen, um zu zeigen, dass die ÖH Uni Salzburg keine Social Media Institution ist, sondern eine ehrenamtliche Organisation, die mehr tut, als auf Facebook zu streiten. First things first: Jeder Tag ist anders, aber im Grunde sind sie alle gleich. Vertretungsarbeit an der ÖH Uni Salzburg heißt in erster Linie Organisationsarbeit für 34 Studienvertretungen, 4 Fakultätsvertretungen und 1 Exekutivebene. Bevor ich gleich mit Fachchinesisch beginne, versuche ich, die ÖH Struktur so einfach wie möglich zu beschreiben.

„DIE ÖH IST EIN POLITISCHES SYSTEM.“ „Politik die wirkt. Service das hilft.“ heißt es so oft. Aber was hat Service mit Politik zu tun? Nun ist es so, dass sich Studierende einen Haufen Mitspracherechte erkämpft haben und an der Universität einiges zu sagen haben. Diese Vertretungsarbeit organisiert sich in ÖHs – den Österreichischen Hochschülerinnen und Hochschülerschaften. So weit, so klar.

Da diese Organisation wie ein Staat aufgebaut ist, lade ich in diesem Gedankenexperiment dazu ein, sich die Studienvertretungen wie Gemeinden vorzustellen, die Fakultätsvertretungen wie Bezirke und die Exekutive (wie sie oben genannt wurde) wie ein Land. Über den Ländern steht noch die Bundesregierung, gleichzusetzen (aber mit ganz anderer Kompetenzverteilung) mit der ÖH Bundesvertretung. Alle 2 Jahre gibt es Wahlen, Personenwahlen und Listenwahlen, Studierende wählen dabei Fraktionen (= ähnlich wie Parteien); lediglich die Studienvertretungen sind Personenwahlen – hier werden Mandatar*innen gewählt. Die gewählten Fraktionen/Parteien, die genug Stimmen haben, landen dann schlussendlich in der Universitätsvertretung (entspricht einem Parlament). In diesem Parlament finden sich dann Mehrheiten, die die Exekutive stellen. Diese Exekutive ist in Referate gegliedert, ganz nach dem Vorbild von Ministerien (z. B. Sozialreferat, Organisationsreferat, Wirtschaftsreferat etc.). Was wir bislang gelernt haben ist also: Die ÖH ist ein politisches System. Und egal wie positiv oder negativ behaftet der Begriff „Politik“ hier ist, es ist auch gut so. Oft denkt man bei „ÖH“ nur an die ÖH-Exekutivarbeit, aber alle Instanzen sind „ÖH“, angefangen von Studienvertretungen bis hin zur Bundesvertretung. Nun bin ich etwas abgeschweift, eigentlich geht es ja hier um die Vorsitzarbeit und den ÖH-Alltag. Aber es ist wichtig, die Struktur so ungefähr zu kennen, um zu wissen, worum es in der ÖH-Arbeit so geht.


UNI & LEBEN

Das Recht (HSG 2014) sagt: § 4. (1) Der Österreichischen Hochschülerinnen- und Hochschülerschaft obliegt die Vertretung der allgemeinen und studienbezogenen Interessen ihrer Mitglieder insbesondere gegenüber staatlichen Behörden und Einrichtungen sowie universitären Organen und Organen der Bildungseinrichtungen, soweit diese Interessen nicht ausschließlich eine Bildungseinrichtung betreffen.

„15.000 (FÜNFZEHNTAUSEND) ANFRAGEN VON STUDIERENDEN PRO JAHR“ Realpolitisch ist es so: Es geht um Organisation und Arbeit mit ehrenamtlichen Menschen. Knapp 200 Leute sind in Salzburg mit der ÖH verstrickt, alles 18-30-jährige Ehrenamtliche, von denen knapp 70 Prozent nie das Hochschülerinnen- und Hochschüler-

schaftsgesetz (2014) gelesen haben, geschweige denn sich an die gesetzlichen Vorgaben und Regeln halten (und das ist auch kein Vorwurf!). Vorsitzarbeit bedeutet also, für knapp 200 Ehrenamtliche Sorge zu tragen, es bedeutet, deren Engagement rechtlich richtig zu koordinieren und Feuerwehr zu spielen, wenn Dinge schief laufen. Dann müssten laufend Verträge abgeschlossen werden, Kooperationen eingehalten werden, hunderte Raumbuchungsanträge gestempelt werden und die Finanzen im Griff behalten werden. Ein Beispiel: Gerade habe ich mein E-Mail-Postfach geöffnet – seit gestern Abend sind 13 ungelesene Mails eingetrudelt: bisschen Spam, 1 Antrag für die Metro Karte, 1 Student beschwert sich und will angerufen werden, 1 Studentin hat Probleme bei der Anrechnung eines Toleranzsemesters für ihr Stipendium, einige Benachrichtigungen von der IT-Stelle der Universität und eine Studienvertretung bittet um Druck von Plakaten im Printcenter. Nachdem alle Geschäfte über den Vorsitz und das Wirtschaftsreferat laufen (wirklich alle!), sind noch ein paar Rechnungen gekommen. So viel aus dem Mailpostfach vorsitz@ oeh-salzburg.at.

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UNI & LEBEN

Dass die ÖH außerdem auf ehrenamtlicher Basis Stipendien-Verwaltungsarbeit leistet (Fahrtkostenzuschüsse, Kulturförderungen, Sozialstipendien, Kinderbetreuungszuschüsse etc.), bekommt auch wenig Aufmerksamkeit, zumal es wirklich stupide Verwaltungsarbeit ist. Ein ganzes Referat, das Organisationsreferat, kümmert sich um die Bestellungen für Studienvertretungen und ein fünfköpfiges Team steht 4 Tage die Woche von 9 bis 18 Uhr Rede und Antwort im Beratungszentrum, wo weit über 15.000 (fünfzehntausend) Anfragen von Studierenden pro Jahr beantwortet werden.

„DIE ÖH IST MEHR ALS SOCIAL MEDIA“ Viel beansprucht werden auch die kostenlosen Börsen (Flohmarkt, Wohnungsbörse usw.) sowie der gratis Plagiat-Scan. Montags wird außerdem kostenlose Rechtsberatung angeboten, falls sich der Vermieter blöd anstellt oder allgemein rechtliche Auskunft benötigt wird. Zweimal jährlich grasen wir alle Schulen ab und bieten vor Ort im Unterricht Maturant*innenberatung an, damit auch zukünftige Studierende wissen, was sie an der Uni erwartet. All das wird, gelenkt vom Vorsitz, ehrenamtlich gemacht – Pfui!


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Der Text klingt ja wie ein großes Mimimimi und das ist er auch ein bisschen. Aber es herrscht ein wirklich verzerrtes Bild, was ÖH-Arbeit (ich nenne es bewusst Arbeit) anbelangt. In unzähligen Online-Diskussionen werden allgemeinpolitische Dinge besprochen, die linke Haltung der Personen in der ÖH-Exekutive angegriffen, Einzelfälle geshitstormt (falls es dieses Wort überhaupt gibt) und das Engagement von hunderten Freiwilligen schlechtgeredet. Es hat sich eine sehr große Opposition gegen die herrschende „Regierung“ gebildet; die Schlammschlachten nach Außen sind damit vorprogrammiert. Aber es wäre schön, wenn die Studierenden hinter die Fassade schauen, das negative Image beiseite legen und nüchtern die Arbeit ihrer Vertretungsinstitution betrachten.

„DAMIT STUDENTISCHE INTERESSEN EIN SPRACHROHR AN DER UNIVERSITÄT HABEN.“ ÖH ist mehr als Social Media und die ÖH macht im Hintergrund verdammt viel. Dank der ÖH dürfen Studierende Curricula mitbestimmen, Entscheidungen über Professuren mitbestimmen und im Senat der Universität mitreden. Die ÖH macht aktiv Politik für Studierende, sei es bei Pressekonferenzen, unzähligen Arbeitskreisen oder in der eigenen Referatsarbeit. Und das ist nicht immer Pfui. Es gibt viele Entscheidungen, großteils politischer Natur, die man nicht gutheißen mag (ich erinnere an die Finanzierung von Bussen zum Akademikerball oder diversen politischen Initiativen). Aber das sind nur sehr kleine Teile der Arbeit, die die ÖH tagtäglich macht. Mir ist bewusst, dass man Unipolitik nicht sexy verkaufen kann und es sollte auch nicht der Anspruch sein, dass sich die ÖH Aktivist*innen damit profilieren, wie viel sie für die Studierenden tun. Aber wenn ich mit einem Statement diesen Text beenden darf, dann ist es dieses: Die ÖH ist mehr als politische Grabenkämpfe von selbsternannten Hobbypolitiker*innen. ÖH Arbeit ist Engagement, damit studentische Interessen ein Sprachrohr an der Universität haben.

Alexander Schlair studiert Kommunikationswissenschaft und ist Teil des Vorsitzteams der ÖH Uni Salzburg.


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UNI FÜR'S TÖTEN? Morden ist ein Bombengeschäft. Jährlich fließen weltweit über 1,5 Billionen – das sind 1.500 Milliarden – Euro in das Militär. Vom Geschäft mit dem Töten wollen auch Universitäten profitieren. Von Kay-Michael Dankl

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as europäische Paradebeispiel ist Deutschland. Kaum ein Land verdient mehr mit dem Export von Kriegsgerät. Die deutschen Universitäten schneiden ordentlich mit: Unsummen fließen in die Militärforschung, von der Entwicklung immer tödlicherer Drohnen über Raketen und Kampfflugzeuge bis hin zu militärischen Robotern. Forschen für die Luftwaffe Auch im neutralen Österreich forschen Universitäten für das Militär. Genaue Zahlen sind schwer zu bekommen. Die meisten Unis hüllen sich in Schweigen. Die Fachhochschulen rücken überhaupt keine Informationen raus. Es wurde aber aufgedeckt, dass allein das US-amerikanische Kriegsministerium zwischen 2009 und 2014 rund 8,8 Mio. Euro für Forschung in Österreich bezahlt. Beteiligt waren unter anderem die Akademie der Wissenschaften, die Uni Innsbruck, die Uni für Bodenkultur, die Uni Wien, die Med-Uni-Wien, die Technische Uni Wien. Wie die „Wiener Zeitung“ und das Radio NDR Info enthüllten, kam das meiste aus den Budgets der US-Luftwaffe. Die Projekte reichten von Quantenphysik bis hin zur Kryptografie, also dem Verschlüsseln und Ausforschen von Daten.

„AUCH DIE ATOMBOMBE WAR EINST GRUNDLAGENFORSCHUNG.“ Als Antwort auf Kritik wird oft betont, dass diese Projekte nur der Grundlagenforschung dienen, nicht unmittelbar der Waffenentwicklung. Kritiker*innen halten dem entgegen, dass eine Trennung zwischen Grundlagen- und Anwendungsforschung oft nicht möglich ist. Auch die Atombombe war einst Grundlagenforschung.

An vielen deutschen Hochschulen laufen Studierende Sturm gegen das Forschen für den Krieg. Sie kämpfen für sogenannte „Zivilklauseln“. Das sind Selbstverpflichtungen der Hochschulen, nicht mit Rüstungsfirmen zu kooperieren und keine kriegsdienliche Forschung zu betreiben. Als erste Hochschule führte die Uni Bremen 1986 eine Zivilklausel ein. Weitere 13 Unis sind dem bis heute gefolgt. Bis heute tobt an deutschen Hochschulen der Streit um Zivilklauseln.

„ÖSTERREICHISCHE WAFFEN ZERFETZEN KINDER“ Totenstille in Österreich In Österreich fehlt jede Debatte über Zivilklauseln. Die Sensibilität für vom Militär gesponserte Forschung ist kaum vorhanden. Das Interesse bei Lehrenden und Forschenden, Studierenden und Interessensvertretungen ist gering. Das passt zu Österreich im Großen. Im österreichischen Selbstbild wird ausgeblendet, dass österreichische Pistolen, Granaten, Munition und Sturmgewehre in alle Welt verkauft werden – und ständig in Kriegsgebieten auftauchen. Von Dschihadisten bis zum US-Militär werden sie geschätzt. Ob in Syrien, im Iran oder im Oman: Österreichische Waffen durchsieben Menschenkörper, zerfetzen Kinder und löschen ganze Familien aus. Es braucht Transparenz, welche Forschung an Unis von Rüstungsfirmen und mit Militär-Geldern finanziert wird – und eine breite, offene Debatte, wie Universitäten dem Frieden und nicht dem Krieg dienen können.


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Die Uni als Flasche – oder als Kraftwerk der Veränderung? Wir müssen uns fragen: Was darf die Wissenschaft? Ist das staatlich organisierte Morden in großem Stil „normal“? Wollen wir, dass es ebenso „normal“ ist wie Hochwasserschutz oder Meinungsumfragen? Ist es die Aufgabe einer Universität, die großen Plagen der Menschheit – Ausbeutung, Ausgrenzung, Krieg – zu verschärfen oder sie zu überwinden? Ist die Uni ein leeres Gefäß, das den zeitlichen Aufwand misst, den Studierende und Lehrende hineingießen, und diesen mit ECTS-Etiketten beklebt? Ist ein Bachelor nur ein Maßstab von exakt 4.500 Arbeitsstunden, die gleichermaßen der Aufklärung und Verbesserung des Lebens wie auch der Perfektionierung des Mordens dienen? Ist die Uni nur ein Ort, an dem Techniken einstudiert und angewandt werden, ohne Rücksicht auf Folgen, Ziele und Moral?

„STAATLICH ORGANISIERTES MORDEN IN GROSSEM STIL.“ Diese Fragen müssen wir heute diskutieren – in Bezug auf Kriegsforschung, aber auch die allgemeine Verantwortung der Universität. Welche Verantwortung hat die Wirtschaftswissenschaft in einer Welt, die täglich 25.000 Menschen zum Hungertod verdammt? Welche Verantwortung hat die Arbeitspsychologie, wenn für den Profit alles aus Menschen herausgepresst wird, die Arbeit immer stressiger wird und Menschen zu hunderttausenden ausbrennen? Und welche Verantwortung hat die Geschichte, die Soziologie und die Politikwissenschaft in einer Zeit, in der ganze Länder nach rechts wegrutschen, der „tägliche Einzelfall“ mit stramm erhobenem rechtem Arm grüßt und ein Land in eine kalte, rassistische Ellbogengesellschaft umgebaut wird?

Anspruch: „Die Universitäten sind [berufen, der wissenschaftlichen Forschung und Lehre, der Entwicklung und der Erschließung der Künste sowie der Lehre der Kunst zu dienen und hiedurch] auch verantwortlich zur Lösung der Probleme des Menschen sowie zur gedeihlichen Entwicklung der Gesellschaft und der natürlichen Umwelt beizutragen.“ (§ 1 des österreichischen Universitätsgesetz 2002)

„Bildung ist die schärfste Waffe, um die Welt zu verändern“, Nelson Mandela. Manche Unis sagen: „Rüstung ist die schärfste Waffe, um Gelder zu lukrieren.“

Realität:

Quelle: Wiener Zeitung

Kay-Michael Dankl (Jus und Politikwissenschaft) ist aktiv im Netzwerk Kritischer Studierender Salzburg und in den Studienvertretungen Politikwissenschaft und Doktorat KGW.


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DEBATTIEREN,

EINE NACKTE PRÜFUNG

ABFALLWIRTSCHAFTSRECHT

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tell dir vor, du bist die Regierung. Ihr stellt folgenden Antrag: Tierversuche sollen verboten werden. Dir wurde diese Meinung zugelost. Du hast jetzt mit 2 Kollegen 15 Minuten Zeit, eine Brandrede vorzubereiten zu diesem Thema. Danach wirst du diese Rede vor dir weitgehend unbekannten Leuten halten, die dich danach bewerten. Für manche klingt das wie ein Rollenspiel. Für die meisten jedoch klingt das ähnlich attraktiv wie die Vorstellung, nackt in der Öffentlichkeit eine mündliche Prüfung zum Abfallwirtschaftsrecht abzulegen. Schwer vorzustellen, aber es gibt Leute, die machen das als Hobby. Es gibt Weltmeisterschaften im Debattieren; bei der Oxford Debating Union schwingen Prominente Reden; die Harvard College Debating Union hat ein kolportiertes Budget von einer Million Dollar pro Jahr. Nach acht Jahren im Debattiersport glaube ich, dass es zwei Gründe gibt, warum sich Leute die nackte Prüfung im Hörsaal antun: Persönlichkeitsentwicklung und Spaß. Es macht Spaß, sich Argumente auszudenken und sie zu verkaufen. Es macht Spaß, mit anderen um die Lösung politischer Probleme zu rittern. Und es macht Spaß, andere zu überzeugen. Mir zumindest. Zugegebenermaßen, erst

Von Christian Ennsgraber

nach der Überwindung der Angst, die nie ganz verschwindet. Vielleicht ist es auch die Überwindung der Angst, die Spaß macht. Vielleicht ist unser Hirn auch dafür selegiert, Spaß zu haben, wenn wir streiten und Recht bekommen. Der andere Grund ist Persönlichkeitsentwicklung. Die meisten Charaktereigenschaften kann man verändern, ohne das zu bemerken. Beim Debattieren habe ich Schlagfertigkeit, Umgang mit Redeangst, Aufmerksamkeit und die Fähigkeit, zu argumentieren, trainiert. Ich finde, diese Dinge sind jedoch trivial im Vergleich zur Empathie und zum Antidogmatismus: Ich musste mich regelmäßig in verschiedene Gruppen hineinversetzen, um für ihre Sache zu streiten. Das Empathietraining passiert dabei unbewusst. Außerdem hat unser Team vernichtendes Feedback für meine Reden, Meinungen und Argumente bekommen. Diese Dinge anzunehmen hat meine Fähigkeit, eigene Standpunkte (und mich selbst) weniger ernstzunehmen, gefördert. Okay, das klingt jetzt wie ein Vorstellungsgespräch. Was ich sagen will: Eine nackte Prüfung Abfallwirtschaftsrecht, oft genug wiederholt, kann Spaß machen und euch verändern. Wir treffen uns in diesem Semester jeden Mittwoch um 19 Uhr im Seminarraum 2.133 im Unipark zum Debattieren.

Christian Ennsgraber leitet den Debattierclub Redesalz Salzburg.


DAS POLITISCHE

DER WISSENSCHAFT INTERDISZIPLINÄRE RINGVORLESUNG IM SOMMERSEMESTER 2018 DONNERSTAG 17:15-18:45 UHR HS 381, RUDOLFSKAI 08. März | Das Politische der Wissenschaft an der ökonomisierten Managementuniversität. Erfahrungen und Reflexionen eines Soziologen Max Preglau (Universität Innsbruck)

03. Mai | Politische Theologie – ein Diskurs zwischen Machtanspruch und Gesellschaftskritik Franz Gmainer-Pranzl (FB Systematische Theologie, Zentrum Theologie Interkulturell und Studium der Religionen)

15. März | Geschichtsforschung im Dienst des Nationalsozialismus? Karl Brandi (1868–1946) – zwischen Wissenschaft und Politik Arno Strohmeyer (FB Geschichte)

17. Mai | Gegen die Logik des Sachzwangs: „Wirtschaft“ als politische und gesellschaftliche Angelegenheit Stefanie Hürtgen (FB Geographie und Geologie)

22. März | Germanistik – Eine Wissenschaft mit (200jähriger) politischer Geschichte(n) Siegrid Schmidt (FB Germanistik) 12. April | Statistik – Gift oder Heilmittel für Gesellschaftund Wissenschaft? Georg Zimmermann (FB Mathematik, PMU Salzburg) 19. April | Bildung unter Ökonomisierungsdruck. Anmerkungen zu vermessenen Schulen und standardisierten SchülerInnen Nancy Andrianne (FB Erziehungswissenschaft,School of Education) 26. April | Universitäre Lehrer/innenbildung zwischen Wissenschaft, Profession und Politik Ulrike Greiner (School of Education)

24. Mai | Politik, Praxis, Wissenschaft: Spannungsfelder in der angewandten Sozialforschung und Sozioökonomie Andrea Schmidt (Gesundheit Österreich GmbH) 07. Juni | Das Politische an der Rechtswissenschaft Otto Lagodny (FB Strafrecht und Strafverfahrensrecht) 14. Juni | Das Politische der Wissenschaft nach Adorno – oder: Eine Kritik des gegenwärtigen Wissenschaftsbetriebs auf der Grundlage von Theorien der Frankfurter Schule Manfred Oberlechner (PH Salzburg) Dominik Gruber (FB Politikwissenschaft und Soziologie) 21. Juni | Die Dialektik der Demokratie Stephan Lessenich (LMU München) 28. Juni | Wissenschaft als Beruf Manfred Gabriel (FB Politikwissenschaft und Soziologie)

Vorbereitungsteam: Nancy Andrianne (FB Erziehungswissenschaft, School of Education) Manfred Gabriel (FB Politikwissenschaft und Soziologie) Franz Gmainer-Pranzl (Zentrum Theologie Interkulturell und Studium der Religionen)


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WER WAR EIGENTLICH

PARIS LODRON?

Paris Graf von Lodron (1586 - 1653) aus dem Adelsgeschlecht der Lodron war römisch-katholischer Erzbischof von Salzburg zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges (1618–1648). Während der Krieg das Heilige Römische Reich Deutscher Nation verwüstete und ein Drittel der Bevölkerung auslöschte, konnte Paris Lodron durch eine geschickte Politik Salzburg den Frieden bewahren. Er wird in Anerkennung dieser außerordentlichen Leistungen (gemeinsam mit Eberhard von Regensberg) als Vater des Vaterlandes (lat.: pater patriae) bezeichnet. Von Dr. Wikipedia


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chon als Elfjähriger begab er sich zum Studium der Theologie nach Trient, später auch nach Bologna. Seine Studien beendete er bei den Jesuiten in Ingolstadt im Jahr 1604. Er wurde Maria Saaler Propst (1611–1616) und im März 1614 zum Priester geweiht. Auf Wunsch von Erzbischof Markus Sittikus von Hohenems wurde Paris Lodron zum Dompropst und zum Präsidenten der erzbischöflichen Hofkammer und, am 13. November 1619, zum neuen Salzburger Erzbischof gewählt. Die Bischofsweihe empfing er am 23. Mai des folgenden Jahres. Paris Lodron ließ von seinem Baumeister Santino Solari modernste venezianische Befestigungen in Stadt und Land errichten. In der Stadt wurde dabei ein wehrhafter Gürtel von fünf großen Bastionen um die Neustadt gezogen, der sich von den Linzertoren über den Raum der Franz-Josef-Straße bis zum einstigen Mirabelltor und zum Kurgarten hinzog. In der Altstadt wurden die Felsen des Mönchsbergs rundum eskarpiert (aufgesteilt und geglättet) und so als natürliche Wehrmauern nutzbar gemacht. Die Müllner Schanze bildete dabei im Norden den Abschluss der linksufrigen Altstadt. Auch die Festung Hohensalzburg wurde der neuen Wehrtechnik entsprechend erheblich ausgebaut, wobei vor allem die Vorwerke (Nonnbergbasteine, Hasengrabenbastei, Katze) verstärkt wurden.

Er gründete am 1. September 1622 die Universität Salzburg, die heute als Paris-Lodron-Universität seinen Namen trägt. Am 17. Dezember 1625 bestätigte Papst Urban VIII. diese neue Hochschule. Der Landesfürst begann, das Itzlinger Moos zu entwässern und urbar zu machen. Anlass dazu dürfte vor allem die 1625 in Salzburg grassierende Pest gewesen sein, deren Ursprung man damals in den Nebeln des Moors vermutete. Trotz der militärischen und politischen Probleme seiner Zeit konnte Paris Lodron den Salzburger Dom fertigstellen und künstlerisch ausstatten lassen. Die Domweihe am 25. September 1628 war ein prunkvolles achttägiges Barockfest. Die Bautätigkeit Paris Lodrons in Salzburg ist durch das Familienwappen des Fürsten – ein Löwe mit Brezelschweif – dokumentiert, das vor allem auf Befestigungsmauern zu finden ist. Drei Kollegiatstifte wurden durch Paris von Lodron gegründet, 1618 bzw. 1621 in Laufen, 1633 in Tittmoning und 1631 das Schneeherrenstift bei der Domkirche Salzburg. Im Alter von 67 Jahren verstarb Paris Lodron an Wassersucht und Herzmuskelentartung. Als einziger Salzburger Fürst wurde Paris Lodron von Ludwig I. von Bayern in der Walhalla bei Regensburg aufgenommen. Zu seinen Ehren benannte die Stadt Salzburg die Paris-Lodron-Straße, wo sich die Mediathek Salzburg befand. Erzbischof Lodron wurde in der Krypta des Salzburger Doms beigesetzt.

STUDIENGEBÜHREN FÜR BERUFSTÄTIGE ABSCHAFFEN! Ab Herbst 2018 müssen auch berufstätige Studierende Studiengebühren bezahlen, wenn sie die Mindeststudiendauer (+ zwei Toleranzsemester) überschreiten. Bisher waren sie davon befreit. Die Universität Linz will nun die Möglichkeit nutzen, selbständig Erlassgründe festzusetzen und berufstätige Studierende von den Gebühren zu befreien; auch an der Uni Innsbruck ist eine solche Regelung im Gespräch. Unser Rektor Heinrich Schmidinger hält das nicht für notwendig.

SAG IHM DEINE MEINUNG! +43/662/8044-2000

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VERDRร NGTE ERINNERUNG?

SALZBURGS GEDENK- UND ERINNERUNGSKULTUR IM DISKURS 30. April 2018, 19 Uhr, Unipark Nonntal, Hรถrsaal E.004 Anna Bahr-Mildenburg



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UNI & LEBEN

ERDOGANS LANGER ARM IN SALZBURG? Was der türkische Angriffskrieg in Syrien mit einem Uni-Vortrag zu tun hat

Ein Vortrag des Politologen und Islamwissenschaftlers Thomas Schmidinger über die Situation in Nordsyrien war für das türkische Generalkonsulat Anlass, beim Rektorat der Uni Salzburg zu intervenieren. Kay-Michael Dankl über die kurdische Selbstverwaltung in Syrien und den von der EU unterstützten Angriffskrieg Erdogans.

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eit Jänner demonstrieren in Salzburg hunderte Menschen gegen den Angriffskrieg der Türkei gegen die Kurden in Nordsyrien. Die Region Afrin ist seit Jahrhunderten kurdisch geprägt. Im kriegsgeplagten Syrien war Afrin lange Zeit eine Oase des Friedens. Dort, wo die syrische Regierung sich zurückgezogen hatte, haben die Kurden ein Modell der Selbstverwaltung aufgebaut. Es beruht auf demokratischer Teilhabe aller Menschen, der Gleichberechtigung der Geschlechter und dem Miteinander über religiöse und ethnische Grenzen hinweg. Das Ziel ist eine Gesellschaft, in der die Produktion demokratisch organisiert wird, anstatt in den Händen einiger weniger zu liegen, und Herrschaft überwunden wird. Nicht nur das kurdische Streben nach Selbstbestimmung war der türkischen Regierung ein Dorn im Auge, sondern auch diese alternative Gesellschaftsordnung. Zwei Monate lang führte die Türkei mit Luftschlägen, Bombardements und einer Bodenoffensive einen rücksichtslosen Krieg gegen die Menschen in Afrin. Mit dabei waren tausende Dschihadisten, die teils zuvor für die Terror-Miliz “Islamischer Staat” (IS) kämpften und von der Türkei angeheuert wurden. Auf der Seite Afrins kämpfte die YPG, die sogenannten Kurdischen Selbstverteidigungseinheiten. Obwohl sie kaum über Kriegsgerät verfügen, ist es ihnen wochenlang gelungen, die zweitgrößte NATO-Armee abzuwehren. Erst Mitte März ist die eingeschlossene Stadt Afrin gefallen. Hunderttausende Menschen mussten fliehen. Mit den Dschihadisten kamen Plünderungen, Vergewaltigungen, Morde und Zwangsbekehrungen von religiösen Minderheiten. Die Jesiden, die der IS schon einmal auslöschen wollte, müssen erneut um ihr Leben fürchten. In den zurückgelassenen Häusern der Menschen von Afrin siedelt die Türkei jetzt Dschihadisten und arabischstämmige Flüchtlinge an. Eine klassische ethnische “Säuberung”.

Türkei: Abrutschen in die Diktatur Die außenpolitische Aggression findet ihr Spiegelbild in der türkischen Innenpolitik. Unter Erdogan wird die Türkei immer autoritärer. Spuren der Demokratie muss man mittlerweile mit der Lupe suchen. Zahllose Menschen werden inhaftiert, gekündigt und aus dem öffentlichen Leben gedrängt: Journalist*innen, Oppositions-Politiker*innen, politisch Aktive, Wissenschafter*innen, Studierende - schlichtweg alle, die Erdogans Regime und der regierenden Partei AKP nicht passen. Der falsche Arbeitgeber, die falsche Uni, ein Tweet, ein Facebook-Posting, eine Unterhaltung auf der Straße - all das reicht aus, um ins Visier der Behörden zu geraten. Die Medien sind regimetreu oder werden eingeschüchtert. Das Internet wird zensiert. Kritischen Geistern wird die Einreise verweigert.

„ABRUTSCHEN IN DIE DIKTATUR“ Dieses Abrutschen in eine Diktatur hat sich durch den Krieg gegen Afrin beschleunigt. Die Regierung überzieht das ganze Land mit nationalistischer, militaristischer Propaganda. Dabei müssen alle mitmachen: In Moscheen wird für den Sieg im Waffengang gebetet. In Schulen steht nationalistische Propaganda auf der Tagesordnung. Wer am Krieg zweifelt, gilt als Landesverräter. Erdogan-Merkel-Kurz Nicht nur in der Türkei werden Kritiker*innen vom türkischen Regime überwacht. Auch in Europa sammeln türkisch-nationalistische Gruppen, diplomatische Vertretungen und Einzelpersonen Informationen über unliebsame Kritiker*innen. Dabei geht es aber nicht um einen Konflikt zwischen Ländern, wie etwa der Türkei versus Österreich. Im Gegenteil: Die


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Gelebte Solidarität - hunderte gehen in Salzburg seit Jänner für Frieden in Afrin auf die Straße. Quelle: Demokratisches Gesellschaftszentrum der Kurden in Salzburg

europäischen Regierungen, von Angela Merkel bis Sebastian Kurz, haben den türkischen Angriffskrieg stillschweigend unterstützt. Weiterhin fließen Milliardenzahlungen an die Türkei, damit sie als Türsteher Europas Flüchtlinge mit Waffengewalt fernhält. Weiterhin rollen Panzer und anderes Kriegsgerät aus deutschen Fabriken in die Türkei, um noch mehr Menschen zu Flüchtlingen zu machen. Weiterhin unterdrückt die Polizei in Deutschland kurdische Vereine, Zeitungen und Proteste. In Köln wurden gleich ganze Demos für Solidarität mit Afrin verboten. Wer manche kurdische Symbole auf Facebook postet, kriegt Post von der Staatsanwaltschaft. Die österreichische Bundesregierung - stets bereit, gegen Muslime zu hetzen - hat kein Wort der Kritik über den Angriff auf Afrin verloren. Zwischen die europäischen Regierungen und dem türkischen Regime passt kein Blatt.

Studentin interveniert. Thomas Schmidinger veröffentlichte daraufhin eine klare, sachliche Stellungnahme, um diese Vorwürfe auszuräumen. Aus unerfindlichen Gründen intervenierte Mitte März sogar das türkische Generalkonsulat in Salzburg: Der diplomatische Vertreter ersuchte den Rektor der Universität Salzburg um ein Gespräch.

Erdogans Schergen in Salzburg Am 2. März lud die ÖH-Studienvertretung Politikwissenschaft zu einem Uni-Vortrag über die Lage in Afrin. Zu Gast war der Wiener Politologe und Islamwissenschafter Thomas Schmidinger. Auf Facebook schlug ein Zwischenfall nach dem eigentlichen Vortrag Wellen: Eine türkische Studentin, die beim Vortrag mitschrieb und ihn mutmaßlich aufnahm, wurde von einem kurdischen Teilnehmer mit dem Vorwurf konfrontiert, sie würde für türkische Behörden arbeiten, und verbal bedroht. Dank der Intervention des Vortragenden war die Causa rasch gelöst: Er stellte klar, dass jede*r bei seinen öffentlichen Vorträgen willkommen sei und mitschreiben dürfe. Der Teilnehmer entschuldigte sich, die Teilnehmerin nahm die Entschuldigung an und alle gingen ihre Wege. Bereits ein paar Tage nach dem Vortrag kursierten auf Facebook wilde Gerüchte über den kurzen Zwischenfall nach dem Vortrag. Türkische Nationalisten behaupten, die Aussage: “Ich schneide dir den Kopf ab!” wäre gefallen und niemand hätte zu Gunsten der

Die Grundlage dafür waren offenbar die Facebook-Gerüchte aus türkisch-nationalistischen Kreisen. Diese hätten bei einer kurzen Nachfrage beim Vortragenden oder den Veranstalter*innen leicht ausgeräumt werden können. Stattdessen entschied sich das Konsulat, die Uni-Leitung, die mit der Veranstaltung selbst nichts zu tun hatte, ins Spiel zu bringen. Im Gespräch wies der Generalkonsul die Uni darauf hin, man könne gar nicht “vorsichtig” genug sein. Offensichtlich sollen hier Erdogan-kritische Veranstaltungen auf Basis falscher Behauptungen angepatzt und die Uni unter Druck gesetzt werden. Das alles genau zu dem Zeitpunkt, als Erdogan einen grausamen Angriffskrieg führt und die Türkei immer tiefer in eine Diktatur hinunterzieht. Wir fragen uns: Hat das türkische Konsulat in Salzburg nichts Besseres zu tun?

„IN SALZBURG INTERVENIERT DAS TÜRKISCHE KONSULAT.“

Tipp: Der ÖH-Vortrag mit Thomas Schmidinger ist als Audio-Aufnahme bei der Radiofabrik Salzburg frei abrufbar: https://cba.fro.at/370957


politik & gesellschaft

POLITIK & GESELLSCHAFT

SALZBURGER LANDTAGSWAHL:

Wer darf zu Haslauer ins Bett?

Österreich ist im Umbruch: Die FPÖ lässt den Verfassungsschutz stürmen, die Regierung bläst zum Großangriff auf den Sozialstaat und Berufstätige, auf Studierende rollt eine Welle an Studiengebühren und Zugangsbeschränkungen zu. Aber die Salzburger Parteien tun so, als ginge sie das alles nichts an. Von Michaela Huber*

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ilde lächelt der Landeskaiser vom Plakat. Wer in Österreich einen Landeshauptmann stellt, feiert ihn im Wahlkampf als den Über-Vater ab. So auch in Salzburg. Die ÖVP inszeniert ihren Landeshauptmann und Spitzenkandidaten Wilfried Haslauer jr. als eine Art Familien-Patriarch, der Entscheidungen trifft (welche eigentlich?), den Leuten ein Ohr schenkt (zuhören kostet ja nichts) und so auftritt, als wäre er “für die Menschen da”. Ob das auch für jene gilt, die von der ÖVP bundesweit drangsaliert werden? Für die Studierenden, die Berufstätigen, die Arbeitslosen, die Migrant*innen und Geflüchteten, für die 95 Prozent, die keine Großvermögen erben und keine Milli-

onen in Steuersümpfen versenken? Die vielen Menschen, die täglich im Salzburger Verkehrsstau stecken? Die sich explodierende Mieten nicht mehr leisten können? Die zigtausenden Salzburger*innen, die in Armut leben und um das tägliche Durchkommen kämpfen müssen? All das ist für die ÖVP kein Thema. Sie plakatiert lieber, wie aufmerksam und nett ihr Spitzenkandidat nicht sei. Personenkult statt politischer Inhalte: Das hat schon bei Sebastian Kurz funktioniert, der vor der Wahl kein Wort darüber verlor, was er nach der Wahl an sozial- und wirtschaftspolitischen Einschnitten auspackte. Haslauer steht nach eigener Aussage zu hundert Prozent hinter Kurz und dessen Regierung mit Strache, Kickl & Co.

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Von Bianca Freismuth

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Die Salzburger ÖVP trägt die bundesweite Politik von Schwarz-Blau mit. Für die anderen Parteien wäre also mehr als genug Reibungsfläche vorhanden, um klare Standpunkte zu formulieren und dem schwarz-blauen Politik-Modell etwas entgegenzusetzen. Aber wie verhalten die sich? Einschläfernde Land-Idylle “Ich bin keine Politikerin.” Eine schräge Aussage für eine, die als Landeshauptmann-Stellvertreterin monatlich 15.000 Euro kassiert. Die Auflösung, die Grüne Politikerin Astrid Rössler sei vor allem ein Mensch, ist wohl das abgedroschenste Klischee, das Politiker*innen von sich geben können. Auch sonst versucht die Grüne Partei, bloß nicht mit Politik in Verbindung gebracht zu werden: Rössler in Gummi-Stiefeln, Rössler auf Traktor, Rössler mit Kühen. Dazu passend: Liegestühle mit der Aufschrift “politikfreie Zone”. Als befremdliche Steigerung plakatieren sie “Heimat beschützen”, mit Astrid Rössler und blonden Kindern in Tracht: Ein Plakat, das 1:1 von der FPÖ oder AfD stammen könnte. Das Motiv “Heimatschutz” ist seit jeher ein reaktionäres Bild der Rechten. Es weckt die Vorstellung einer idyllischen Gemeinschaft, die keine inneren Interessengegensätze oder Konflikte kennt. Sie muss aber vor einer diffusen Gefahr von außen “geschützt” werden. Das sind in den Köpfen der Betrachter*innen dann Muslime, Ausländer*innen oder Asylsuchende - sprich: alle, die von außen kommen und nicht in die Idylle passen. Da ist’s zum “Umweltschutz ist Heimatschutz” der neonazistischen NPD nicht mehr weit. So ein Plakat deutet den Heimat-Begriff nicht um, sondern ist ein fataler Rückfall

in die braune Blut-und-Boden-Ökologie der Umweltbewegung der 1980er. Bei so viel bemühter Heimat-Idylle bleibt leider kein Platz, um die dominante Partei in Salzburg, die seit 1945 regierende ÖVP, auch nur in einem Nebensatz zu kritisieren. Schließlich könnte das den umworbenen Koalitionspartner verstimmen. Einst traten die Grünen an, um die Mächtigen zu kritisieren und herauszufordern. Heute überwiegt der Wunsch, sich beim Hausherrn als das geringere Übel anzudienen und den warmen Platz am Kamin zu behalten. Die harmlos-konservative Anbiederung bringt eine einst kritische Stimme zum Verstummen, die es angesichts der politischen Lage in Österreich dringend bräuchte.

„UMWELTSCHUTZ IST HEIMATSCHUTZ“ Von den NEOS ist eine ernsthafte Kritik nicht zu erwarten. Sie - im Programm beinhart neoliberal - setzen auf flotte Sprüche und den Nimbus des Neuen. Während sie in Wien das Gesundheitswesen privatisieren wollen und Abkommen wie TTIP und CETA feiern, stellen sie sich in Salzburg nicht ganz so offensichtlich auf die Seite der Unternehmer und der Reichen. Sie fordern Transparenz, irgendwas mit Mut und einem diffusen Tatendrang. Das ist ebenso schwammig wie unkritisch gegenüber einer Politik, die jetzt schon den Markt und das Prinzip der Konkurrenz über alles stellt. Für einen Einzug in den Landtag wird es schon reichen.


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FPÖ-Kandidat mit Nazi-Verbindungen Nichts Neues im Westen: Das gilt auch für die FPÖ. Demonstrativ setzte FPÖ-Obfrau Svazek den Burschenschafter Reinhard Rebhandl in die Pressekonferenz, bei der sie im Februar die Kandidat*innen vorstellte. Kurz darauf wird öffentlich bekannt, wie tief Rebhandl im rechten Sumpf steckt. Ein Beispiel: Sein Vater war rechtskräftig verurteilter Neonazi. Zu seinem Tod hat Rebhandl einen Nachruf mitveröffentlicht, der in der Zeitschrift “Der Volkstreue” herausgegeben wird, die Verurteilung seines Vaters wegen Nazi-Wiederbetätigung als “politische Verfolgung” geißelt und den Leser*innen für die “Treue zum Volkstreuen” dankt.

„KEINE FPÖ-WÄHLERIN KANN NACH DER WAHL BEHAUPTEN, NICHTS GEWUSST ZU HABEN“ Wenig später tauchen Fotos auf, die die engen Kontakte Rebhandls zu den neofaschistischen “Identitären” und der deutschnationalen Burschenschaft “Gothia” belegen. Danach wird bekannt, dass Rebhandl 2010 als Obmann des Gollinger Turnvereins eine Fahne mit der Aufschrift

“Rasse-Reinheit” aufstellte. Dann zeigt ein Foto, wie Rebhandl mit Trompete bei einer Veranstaltung der Neonazi-Partei NDP des Rechts-Terroristen Norbert Burger auftrat - entgegen seiner bisherigen Aussagen, er habe mit der wegen Wiederbetätigung aufgelösten NDP nichts zu tun gehabt. Wie reagiert die FPÖ auf diese Enthüllungen? Sie streitet ab, gesteht zähneknirschend ein, was nicht mehr zu leugnen ist und belässt ihren stramm rechten Kandidaten auf der Landtagsliste. Kein FPÖ-Wähler kann nach der Wahl behaupten, nichts gewusst zu haben. Wo bleibt die Linke? Immer mehr Menschen erkennen, wie brutal die schwarz-blaue Politik sie betrifft. Für linke Kräfte und Parteien, die dem neoliberalen, rassistischen Konsens etwas entgegensetzen wollen, ein aufgelegter Elfmeter. Aber anstatt über den Sozialabbau, den 12-Stunden-Tag oder den steigenden Druck in der Arbeitswelt zu reden, stellt sich die Salzburger SPÖ in den Dienst der “armen” Unternehmen und fordert eine Europark-Erweiterung. Kein Wort verliert sie darüber, dass das den Konsum nur von kleinen Geschäften weg verlagert, aber nicht insgesamt mehr Arbeitsplätze schafft. Kein Wort über die schlechten Arbeitsverhältnisse im Handel. Oder wie Einkaufszentren auf der grünen Wiese noch mehr Verkehr


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verursachen. Sie wettert gegen die 380-KV-Leitung, die sie als Regierungspartei einst selbst auf Schiene brachte.

„SPÖ IM DIENST DER UNTERNEHMEN“ Die SPÖ betont, auch mit der FPÖ koalieren zu wollen, während die auf Bundesebene den Sozialstaat und die Demokratie zerschlägt. Sie schreibt “Sicherheit” auf ihre Plakate und fordert mehr Polizei - und macht sich damit zum Gehilfen der rechten Law-and-Order-Parteien. Sie befeuert die hysterische Sicherheits-Debatte in Österreich, die zwar keine Probleme löst, aber von der Politik und den Skandalen der Regierung ablenkt. Indem sie schon wieder auf die falschen Themen und Werte setzt, schaufelt die SPÖ ihr eigenes Grab. Selbst wenn es am Wahltag für einen Stimmengewinn reichen sollte und die erträumte Koalition mit der ÖVP zustande kommt: Der dringend nötige Kurswechsel in der Politik wird damit nicht gelingen.

Viel Raum links der Mitte Zwar versucht das linke Wahlbündnis KPÖ PLUS, den Raum links der Mitte zu füllen, indem es die Themen leistbares Wohnen und den öffentlichen Verkehr mit einer grundsätzlichen Kritik an der neoliberalen Politik verbindet. Mit wenig Geld und als neue Gruppierung ist der Einzug in den Landtag aber unwahrscheinlich. KPÖ PLUS spricht selbst davon, die Landtagswahl als Auftakt zur aussichtsreichen Gemeinderatswahl in der Stadt Salzburg Anfang 2019 zu sehen. Die Enttäuschung vor der Wahl Wer sich mit der Landtagswahl beschäftigt, entdeckt zusätzlich einige Kuriositäten: Die “Christenpartei”, die im Flachgau kandidiert. Sie wollen den “Islam bekämpfen” und Frauen das Recht auf körperliche Selbstbestimmung nehmen, indem sie Abtreibungen verbieten. Mit der FPS kandidiert eine zweite Freiheitliche Liste. Und mit der Liste Mayr noch eine konservative Liste. Wer eine bürgerlich-konservative Liste sucht, hat also eine breite Auswahl. Wer rund um die Wahl am 22. April eine Auseinandersetzung mit den wirklich zentralen Fragen unserer Zeit sucht, heruntergebrochen auf die Landespolitik, wird enttäuscht - und zwar schon vor der Wahl.

* Name von der Redaktion geändert.

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UND JÄHRLICH GRÜSST DER WELTFRAUENTAG NACHTRAG ZUM KAMPFTAG

Der erste internationale Weltfrauentag fand am 19. März 1911 in Dänemark, Deutschland, der Schweiz, USA und Österreich statt. Der 19. März sollte den revolutionären Charakter des Tages für Frauen unterstreichen, da das gewählte Datum an die Gefallenen der Märzrevolution in Berlin, vom 18. März 1848, erinnern soll. Mehr als eine Million Frauen gingen auf die Straße, um aktives und passives Wahlrecht einzufordern. Doch was bedeutet der Weltfrauentag im 21. Jahrhundert? Von Carolina Forstner

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arum es schließlich der 8. März wurde, ist strittig, verschiedene Daten, wie etwa ein Streik von Textilarbeiterinnen in New York 1857 oder der große Textilarbeiterinnenstreik in St. Petersburg 1917, der schließlich den Beginn der „Februarrevolution“ auslöste, kamen in Frage. Welches dieser Daten nun wirklich den 8. März

als Weltfrauentag festlegte, ist bis heute nicht feststellbar, jedoch stimmen diese beiden Erklärungen zur Herleitung des Datums darin überein, dass die Wurzeln des Internationalen Frauentags in der Tradition proletarischer Frauenkämpfe liegen und seit jeher als symbolisches Datum gelten: Ein Tag, an dem Frauen sich zusammenschließen und gemeinsam für ihre Rechte kämpfen.


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Sieht man sich auf den sozialen Netzwerken, Timelines und Tweets von Bekannten, PolitikerInnen, Unternehmen und allen, die gerne etwas zum Weltfrauentag sagen möchten, um, wird eines schnell deutlich: Klare Forderungen sucht man oft vergebens, Phrasendrescherei scheint an nicht vielen anderen Tagen so en vogue zu sein wie heute. Vor allem viele meiner Geschlechtsgenossinnen scheinen nicht ganz verstanden zu haben, dass der internationale Weltfrauentag nicht grundsätzlich dafür geschaffen wurde, um seine Frauenclique zu feiern, sich einen hinter die Binde zu kippen und sich als starke Frauen mit ganz viel Girlpower zu stilisieren. Shout-outs könnten, wenn sie schon sein müssen, nicht nur an die „starken“ weiblichen Geschöpfe adressiert werden, sondern an jene „schwachen“ Frauen, die hier gerne mal durch das Raster fallen, die, geschwächt von Diskriminierung und Gewalt, leiden, keine Stimme und keine Kraft haben, um zu kämpfen. Solche Frauen könnten etwa die Näherinnen der T-Shirts mit coolem feministischem Aufdruck sein, die wir uns so gerne als Statement überstreifen. Dass die Arbeitsbedingungen meist doch eher nicht so cool sind, vergisst man dann zwecks der Message gerne mal. Da sich, wie in der letzten uni:press berichtet, die türkis-blaue Bundesregierung fortschrittliche Frauenpolitik nicht auf die Fahne schreiben kann und mit rückwärtsgewandten, rassistischen Tönen im Regierungsprogramm tönt, überraschen inhaltslose Facebook-Postings der Regierung nicht wirklich - schließlich durchzog schon das Regierungsprogramm eine antifeministische Linie, die bewusst Politik für die weiße Frau des gehobenen Mittelstandes und „Abge-

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hängten“ einer Gesellschaft macht und etwa niedrigverdienende Alleinerziehende mit Sozialkürzungen straft. Den Besserverdienerinnen wird übrigens durch den „Familienbonus“ ein Anreiz zum zu Hause bleiben und Karriere auf Eis legen gegeben, mutige neue Wege der Frauenpolitik werden hier also beschritten. Eine kleine Erinnerung an Dinge die wir (als Gesellschaft) nicht nur am Weltfrauentag einfordern – diese Liste ist individuell natürlich erweiterbar: • Der Gender Pay Gap ist kein Mythos! • Und nach dem Gender Gap folgt - nicht zu vergessen - der Pension Gap: Altersarmut betrifft besonders Frauen, fast 40 Prozent. Ein eklatanter Wert, der durch die letzte Pensionsreform in Zukunft die Situation für Frauen noch mehr verschärfen wird. • Quotenregelungen in politischen Parteien. Vor kurzem wurden von der Bundesregierung übrigens zehn neue Stellen geschaffen – sogenannte Generalsekretäre, die ohne öffentliche Stellenausschreibung ihr Amt antraten, zehn Männer selbstverständlich. • Kostenübernahme von Schwangerschaftsabbrüchen durch die Krankenkassen. • Aufhebung der Luxusbesteuerung für Tampons, Binden etc. – eben alles, was man so gerne unter dem Begriff „Monatshygiene der Frau“ zusammenfasst. • Geschlechtergerechte Formulierungen als Norm. • Zeitgemäßer Sexualunterricht.

Carolina Forstner ist Pressereferentin, studiert Jüdische Kulturgeschichte, hasst Männer und findet Menstruationstassen geil.


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© BMI/ Gerd Pachauer

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Gaulleiter Kickl hoch zu Ross

KAVALLERIEATTACKEN ABWEHREN Was aktuell noch für Erheiterung sorgt, könnte bald gefährliche Realität werden: Innenminister Kickl will bei Protesten Polizeipferde einsetzen. Wer bei Demos gegen Studiengebühren, 12-Stunden-Tag und andere schwarzblaue Grausigkeiten nicht niedergetrampelt werden will, sollte wissen, wie man sich am besten gegen Kavallerieattacken zur Wehr setzt.

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Untergrund mit Seife einschmieren: Pferde tun sich auf Asphalt und Kopfsteinpflaster schwer, das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Ein bisschen nachhelfen und schon kommt es zu akrobatischen Einlagen.


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Murmeln ausstreuen: Diesen Trick kennen wir alle aus den Zeichentrickserien. Auf der Flucht vor dem Bösewicht empfiehlt es sich, immer einen Sack Murmeln dabeizuhaben. Während der wilden Verfolgungsjagd streut man diese einfach hinter sich aus und bringt das Pferd samt Reiter zu Fall.

Umschubsen: Angriffe der Reiterei sollte man bereits im Keim ersticken – wenn sie einmal galoppiert, ist es meist schon zu spät. Landkinder kennen einen einfachen Trick: Umschubsen wie Kühe – funktioniert garantiert auch bei Pferden!

4. Phalanx bilden: Braveheart macht es vor: Man geht ganz einfach auf den Mönchsberg, schneidet ein paar Bäume zurecht und schon hat man einen Speerwall, der nicht so einfach zu durchdringen ist.

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Maschinengewehre: Unsere Polizei ist auf die Anforderungen moderner Kriegführung nicht vorbereitet. Schon ein einfaches Maschinengewehr reicht aus, um die Exekutivkavallerie niederzumähen.

6. Erschrecken: Pferde haben einen ausgeprägten Fluchtinstinkt. Wenn man sich also von hinten anschleicht und dann laut „Buh!“ ruft, nehmen sie sofort Reißaus (funktioniert auch bei anderen Tieren, z.B. Bullen, Schweine).

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Kriegselefanten: Schon Hannibal wusste: Wer nicht niedergeritten werden will, muss selber niederreiten. Und wie reitet man Pferde am besten nieder? Richtig – mit größeren Pferden (Elefanten)!1

1 Die HistorikerInnen in der Redaktion bestätigen uns die Authentizität dieser Methode.


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Der Obersalzberg diente dem Nationalsozialismus als zweites Machtzentrum neben Berlin und erfüllte so für die NS-Führungsschicht wichtige Funktionen. Er war ein Ort, an dem Verbrechen akribisch geplant wurden, ein Ort der Selbstinszenierung und der Propaganda. Heute kann man dort die Dokumentation Obersalzberg besuchen, die 2016 rund 170.000 BesucherInnen zählte. Wir haben uns die Dauerausstellung genauer angesehen. Von Hannah Wahl

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er sich zu einem Besuch der Dokumentation Obersalzberg in Berchtesgaden entscheidet, wird nicht mehr viel vom einstigen Machtzentrum sehen. Zu gründlich waren die Bemühungen, endlich Gras über die Sache wachsen zu lassen. Stattdessen bietet der Obersalzberg heute eine Dauerausstellung in einer idyllischen Kulisse, von der auch Hitler begeistert war, als er 1923 den dort untergetauchten antisemitischen Schriftsteller Dietrich Eckhart besuchte. Nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler wurde der Obersalzberg in seinem Sinne umgestaltet: Zahlreiche Gebäude wurden erworben, abgerissen und ersetzt oder umgebaut. Hitler selbst kaufte für sich das Haus Wachenfeld, das er zur Luxusresidenz „Berghof“ umbauen ließ. Die alpenländliche Szenerie des Obersalzberges missbrauchte man zu Propagandazwecken: Zum einen wurde Hitler dort als vermeintliche Privatperson dargestellt – das noch relativ neue Medium der Fotografie brachte die Bilder unters Volk. Die Niederlassung Hitlers löste bald richtige Wallfahrten aus und viele Menschen hofften auf eine Möglichkeit, den “Volkskanzler” dort einmal aus nächster Nähe sehen zu können. Bald wurden die Pilgerfahrten jedoch eingedämmt und nur noch als streng organisierte Audienzen ge-

nehmigt. Der Obersalzberg wurde zum “Führersperrgebiet” ernannt, das man nur mit Sondergenehmigung betreten durfte. Zum anderen musste die Kulisse auch zur Inszenierung Hitlers als Staatsmann herhalten: Politische Persönlichkeiten wurden empfangen, Entscheidungen getroffen, Feldzüge geplant. Auch das “Berchtesgadener Abkommen” (1938) wurde Kurt Schuschnigg, Bundeskanzler des austrofaschistischen Österreichs, in Hitlers Residenz am Obersalzberg zur Unterschrift präsentiert. Es garantierte den Nationalsozialisten in Österreich massiven politischen Spielraum und ebnete den Weg zum „Anschluss“ einen Monat später. Zwei Wochen vor der Kapitulation des „Deutschen Reiches“ griffen britische Bomber den Obersalzberg an. Zu diesem Zeitpunkt war ein Großteil der NS-Elite bereits in der Umgebung untergetaucht, großteils in Berchtesgaden. Wie erfolgreich die NS-Propaganda auch auf die Befreier wirkte, ist daran erkennbar, dass der Oberbefehlshaber der alliierten Truppen den Marsch auf Berlin abbrach, um die mystische „Alpenfestung“ im Süden einzunehmen. Hitler verbrachte jedoch seine letzten Tage versteckt in einem Bunker der Berliner Reichskanzlei und nicht am Obersalzberg.


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BESUCH AM OBERSALZBERG

Die Ausstellung Bei der Ausstellungskonzeption war das Zeitgeschichte Institut München-Berlin mit einer besonderen Problematik konfrontiert: Wie geht man mit einem NS-Täterort um? Laut dem ehemaligen Projektleiter und ehemaligem wissenschaftlichen Leiter Volker Dahm eignen sich Täterorte nicht als Orte des Gedenkens und Trauerns, weil ein konkreter Leitbezug fehle. Er sieht die zentrale Funktion der Dokumentation Obersalzberg daher in der historisch-politischen Bildung. Die Dauerausstellung der Dokumentation, wie sie Ende der 1990er Jahre konzipiert wurde, führt die BesucherInnen von oben nach unten: Vom schönen Schein des Nationalsozialismus hin zur Realität – dem Terror, den Tätern, den Opfern. Besonderer Magnet ist der Teil des zugänglich gemachten Bunkersystems. Viele BesucherInnen erwarten sich dort einen Blick auf die authentische Alpenfestung und werden dadurch zwangsläufig enttäuscht: Jeder Ort unterliegt dem Veränderungsprozess. Indoktrination? Die in den 1990er Jahren konzipierte Dauerausstellung beginnt mit dem sogenannten Prolog, der

laut eigenen Angaben die zentrale “Grundaussage” vermitteln soll. Auch das Didaktische Handbuch der Dokumentation, das Teil des Pädagogischen Koffers für LehrerInnen ist und den Klassenbesuch im Unterricht vorzubereiten hilft, empfiehlt die Auseinandersetzung mit dem Prolog. Daher haben wir uns diesen Prolog einmal genauer angesehen.

„HITLER ALS MESSIAS“ Er besteht aus einem Arrangement aus Bildern und einem Zitat. Im Zentrum sieht man den Ausschnitt einer nachträglich kolorierten Postkarte (um 1933) von K. Stauber mit dem Titel „Es lebe Deutschland“. Sie zeigt Adolf Hitler in imposanter Körperhaltung und SA-Uniform. Die Szenerie wird durch göttliche Strahlen erhellt und inszeniert Hitler als Messias, der das deutsche Volk rettet und aus der Krise führt. Im Kontrast dazu sind Bilder der historischen Realität des Nationalsozialismus angebracht.


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Im Eingangsbereich des Dokumentationszentrums Obersalzberg trifft man auf den sogenannten Prolog der Austellung, der den "Führer" in imposanter Haltung im Zentrum zeigt.

Neben der Kritik am “zusammengebastelten” Arrangement drängt sich vor allem das Zitat des deutschen “Demokratieforschers” Karl Dietrich Bracher auf: “Extreme politische Konzeptionen, die als ‚Endlösung’ für alle möglichen Probleme verheißen werden, dienen niemals humanen Zielen, sondern erniedrigen Menschen und ihre Werte zu bloßen Instrumenten eines destruktiven Machtwahns und eines barbarischen Regimes. Daß solche extremen Konzeptionen zum Scheitern verurteilt seien, woher sie kommen mögen, ist auch heute im Zeichen alter und neuer Extremismen die Hoffnung, die aus der Widerlegung und dem Untergang Hitlers gezogen werden kann.” Die Fragestellung im Didaktischen Handbuch dazu lautet: „Überlege, welche Aussage die Zusammenstellung haben könnte.“ Der Lösungshinweis laut Handbuch: „Politische Heilslehren führen beim Versuch ihrer Realisierung nicht in das versprochene Paradies auf Erden, sondern enden, im Gegenteil, in Zerstörung und Barbarei.“ Bei kritischer Betrachtung des Zitats von Bracher wird schnell deutlich: Der Inhalt dieser Aussage ist keineswegs ein objektives Faktum, sondern ideologisch gefärbt. Er impliziert, dass neben dem Faschismus auch andere politisch „extreme Konzeptionen“, die die Lösung „für alle möglichen Probleme“ bieten, in einem menschenverachtenden Unrechtssystem enden. Es verweist, und das macht der Einschub „woher sie kommen mögen“ deutlich, auch auf „Extremismen“ aus der gegensätzlichen politischen Richtung. Die Aussage Brachers ist dabei im Kontext des Kalten Krie-

ges zu sehen, der als Antwort des dominierenden Imperialismus auf das konkurrierende System des Realsozialismus militärisch und ideologisch zu Tage trat. „Kalter Krieg“ (ca. 1947-1991) Der sogenannte Kalte Krieg bezeichnet den Konflikt zwischen den Westmächten (USA, NATO-Staaten und andere) und den Staaten des Ostblocks (Sowjetunion und Verbündete). Nach dem Zweiten Weltkrieg entfachte sich, nachdem die Einflussgebiete nicht mehr klar geregelt waren, ein Systemwettstreit. Sowjetunion und USA versuchten, ihre ideologischen Machtsphären in der Welt zu sichern und zu erweitern. Die militärischen Handlungen fanden als Stellvertreterkriege, Befreiungskriege, Bürgerkriege und Grenzkriege in der ganzen Welt statt. Nach dem Verebben der großteils linken Sozialen Bewegungen und dem Zusammenbruch des Realsozialismus konnte dem tief verwurzelten Antikommunismus von Seiten der Linken immer weniger entgegengesetzt werden. Dieser blinde Antikommunismus, der dem Realsozialismus per se Machtwahn unterstellt, spie-


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Beide Fotos: © Krischan74/ Wikipedia

gelt sich in den beiden oben angeführten Zitaten wider. Das ideologische und ideologisierende Zitat verpflichtet nicht nur zu einem antitotalitären, sondern auch zu einem antikommunistischen Konsens. Gerade im Hinblick darauf, dass die Ausstellung laut Volker Dahm und Albert Feiber, Kurator der Dokumentation, eine Chance bietet, „nachwachsende Generationen von den Werten einer freiheitlichen und rechtsstaatlichen Ordnung zu überzeugen“, scheint es absurd und manipulativ, eine derartige Aussage wie die von Bracher als Faktum zu präsentieren. Geht man – wie viele ExpertInnen – davon aus, dass Bildungsarbeit die eigenständige Auseinandersetzung mit Geschichte und demokratisches Engagement fördern sollte, wirkt die Bevormundung besonders autoritär. Um Menschen, und besonders SchülerInnen, in diesem Sinne zu befähigen, gilt es, Aussagen wie die von Bracher nicht aus dem Kontext zu reißen und sie nicht als unumstritten zu präsentieren. Denkt man, dass die Auseinandersetzung mit einer derartigen historischen Kontroverse das Publikum überfordert, darf ein solches Zitat, auch im Sinne der angestrebten Objektivität, nicht verwendet werden. Unterstellt man den historischen ExpertInnen das Bewusstsein, dass SchülerInnen nicht das notwendige historische Handwerkszeug besitzen, um sich mit dem Zitat Brachers kritisch auseinanderzusetzen, wird eine klare politische Dimension sichtbar: Auch in einer Demokratie existieren verordnete Geschichtsbilder und Indoktrination. Der Kapitalismus wird als alternativloses System präsentiert, das nicht in Frage gestellt werden soll, da Systeme, die eine gerechte Gesellschaft und ein besseres Wirtschaftssystem in Aussicht stellen, in „Zerstörung und Barbarei“ enden würden.

Kritisches Geschichtsbewusstsein Lernorte, wie auch der Obersalzberg einer sein will, tragen eine große Verantwortung. Politische Bildung ist Teil eines Sozialisationsprozesses, der Menschen dazu bemächtigen kann, sich ein kritisches Geschichtsbewusstsein anzueignen: Dazu gehört auch der Mut, sich nicht nur belehren zu lassen (wie im oben genannten Fall) sondern auch Dinge zu hinterfragen. Besonders in einer Demokratie muss das kritische Geschichtsbewusstsein mündiger BürgerInnen ein zentrales Anliegen sein. Es bleibt zu hoffen, dass die Dauerausstellung am Obersalzberg – und das wäre längst überfällig gewesen – auch seine inhaltliche „Grundaussage“ für die laufende Neukonzeption überdenkt und verwirft. Der Obersalzberg als Ort der historisch-politischen Bildung könnte es sich stattdessen zur Aufgabe machen, Rechtsextremismus heute zu beleuchten. Gerade für SchülerInnen, die auch familiär keinen direkten Bezug mehr zur Zeit des Nationalsozialismus haben, ist es wichtig, herauszufinden, dass nationalsozialistisches Gedankengut auch heute noch präsent ist. Dabei würde sich die Thematisierung der deutschen NPD oder der österreichischen „Identitären“ bestens eignen. Obwohl die Organisationen von Politikwissenschaftlerinnen als rechtsextrem eingestuft werden, werden weder die Partei noch die angebliche „Bewegung“ verboten. Dabei kann auch die Frage auftauchen, warum solches Gedankengut in unserer Politik überhaupt noch Platz bekommt und ob eine Demokratie solche rechtsextremen Organisationen tolerieren muss. Auch eine Demokratie muss einer kritischen Auseinandersetzung standhalten, um legitim zu bleiben.

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Hannah Wahl studiert Geschichte, ist Vorsitzende der STV und als Journalistin tätig.


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MAL WIEDER MARX LESEN Die Empfehlung zum 200. Geburtstag des Begründers der wissenschaftlichen Weltanschauung kann nur lauten: Studiert seine Bücher! Darin sind gute Ideen, die aber nicht umsetzbar sind? Mitnichten. Schon die ersten sozialistischen Anläufe haben viel davon verwirklicht. Für einen erneuten Anlauf gilt es, aus den gemachten Erfahrungen zu lernen. Denn die Welt ist erkennbar. Und veränderbar. Von Stefan Klingersberger

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m 5. Mai jährt sich der Geburtstag des wichtigsten antikapitalistischen Theoretikers Karl Marx (1818-1883) zum 200. Mal. Seine bekanntesten Schriften, das „Kommunistische Manifest“ (1848 gemeinsam mit Friedrich Engels im Auftrag des Bunds der Kommunisten verfasst) sowie das „Kapital“ (der erste von drei Bänden erschien 1867) sind als Weltkulturerbe anerkannt. Auf ihn und sein Werk beriefen und berufen sich nach wie vor Befreiungsbewegungen auf der ganzen Welt. Am wirkmächtigsten war das in den sozialistischen Staaten rund um die Sowjetunion der Fall, mit der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution (deren 100. Jubiläum wir letztes Jahr gefeiert haben) als Fanal.

Nach wie vor hochaktuell Seine Gedanken sind heute so umstritten und zukunftsweisend wie eh und je. Zukunftsweisend – denn sie liefern die nach wie vor gültige Grundlage dafür, die kapitalistische Gesellschaft entlang der entscheidenden Linien richtig zu analysieren und davon abgeleitet die Bedingungen für die Überwindung des Kapitalismus angeben zu können. Marx‘ Werk ist ein Instrument zur revolutionären Umgestaltung der Welt. Umstritten – denn diejenigen, die vom Kapitalismus profitieren, haben ganz und gar kein Interesse an dessen Sturz. Sie versuchen daher mit allen Mitteln, ihn zu verhindern. Dazu gehören ganz zentral auch die Mittel der Ideologie. Marx dazu: „Die herrschenden Ideen einer Zeit waren stets nur die Ideen der herrschenden Klasse.“1

1 Marx/Engels: Das kommunistische Manifest, siehe: http://bit.ly/2FkCN9j


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Kein Wunder daher, dass sie stets aufs Neue das Werk von Karl Marx verdammen, verdrängen und verzerren. Auch die Universitäten spielen hier mit: Marx wird mitunter gar nicht gelehrt, so kann es – nicht zuletzt in Salzburg, wo die vernunftfeindliche „analytische Philosophie“ dominierend ist – vorkommen, dass man in einem kompletten Philosophie-Studium nichts von Marx hört, vom Bachelorstudium bis zum Doktorat. Oder aber es werden Versatzstücke aus dem Werk von Marx aus dem Kontext gerissen, verabsolutiert und so insgesamt in eine verzerrende Darstellung gebracht. Weitere Überlegungen über das Eingebettet-sein der Universitäten im Kampf zwischen Kapitalismus und Sozialismus finden sich in der Broschüre „Gemeinsam kämpfen!“.2 Grundlinien seines Denkens Marx war weder in erster Linie Philosoph noch in erster Linie Ökonom, wie es vor allem manche bürgerliche „Marxologen“ behaupten. Sondern in erster Linie war er politischer Revolutionär – darin besteht der konstante Kristallisationskeim seines gesamten Denkens. Ihm ging es um den „kategorischen Imperativ, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.“3 Von dieser revolutionären Grundhaltung ausgehend, hat Karl Marx gemeinsam mit seinem Freund und Kampfgefährten Friedrich Engels aber sehr wohl für die Philosophie, die Ökonomie, die Geschichtswissenschaften und die politische Theorie ganz wesentliche Umwälzungen gebracht. Letztlich für die Wissenschaft insgesamt – denn auf Basis seiner Überlegungen ist auch die Frage, was Wissenschaftlichkeit überhaupt bedeutet, neu zu fassen (nämlich dialektisch-materialistisch). Auf Ebene der Philosophie besteht der Kern der Neuerung im Denken des Verhältnisses zwischen Begriff und Wirklichkeit. Kurz vor Beginn des Wirkens von Marx hatte die vormalige Philosophie mit Hegel einen Abschluss gefunden: Hegel schuf den bis dato systematischsten philosophischen Entwurf, er brachte den Gesamtzusammenhang der Welt in eine in sich schlüssige begriffliche Einheit. Darauf aufbauend konnte Marx das Theorie-Praxis-Verhältnis neu denken. Neben einigen Schwächen im Detail war der Hauptmangel im Denken Hegels, dass er im Wesentlichen auf der Ebene des Begriffs blieb. Marx hingegen schlug den Bogen zur Wirklichkeit. Hegel wollte – inspiriert durch die Französische Revolution – die Welt revolutionieren, indem er die Gedankenwelt revolutionierte. Marx hingegen erkannte das unmittelbare aber theoriegeleitete Eingreifen in die Wirklichkeit

als ausschlaggebend – als in theoretischer wie praktischer Hinsicht entscheidend. So formulierte er in seiner berühmten Elften Feuerbach-These, die immer noch das Foyer der Humboldt-Universität zu Berlin ziert: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kömmt drauf an, sie zu verändern.“4 Das ist nun aber nicht so zu verstehen, als wäre die Philosophie aus Sicht von Marx zugunsten politischer Praxis überflüssig geworden. Nein, die Notwendigkeit einer kategorialen Erfassung der Welt, deren Selbstreflexion sowie die Orientierung der politischen Praxis an diesen Kategorien wird keineswegs hinfällig. Aber sie hat sich nach Marx bewusst und selbstbewusst in die politischen Auseinandersetzungen ihrer jeweiligen Zeit zu stellen, ihre Stellung darin zu reflektieren und für die fortschrittlichen Kräfte Partei zu ergreifen. Was dem historischen Fortschritt in Richtung des marxistischen kategorischen Imperativs5 dient, wird somit zum Relevanz- und Wahrheitskriterium philosophischer Spekulation. Ein platter Pragmatismus ist das allerdings nicht, wenn man begründet davon ausgeht, dass das Wahre und Gute im Ideal objektiv zusammenfallen. Und gegen verflachende Marx-Interpretationen ist festzuhalten: Auch ontologische Fragestellungen (also Fragen danach, was die Welt im Innersten zusammenhält) werden dadurch nicht obsolet, aber sie müssen den Bezug zur Praxis einbegreifen. Marx konstatierte die geschichtliche Bedingtheit aller gesellschaftlichen Verhältnisse und machte die grundlegende gesellschaftliche Ebene in der Ebene der Ökonomie aus – „erst kommt das Fressen, dann die Moral“.6 Er erforschte daher eingehend die Funktionsweise der kapitalistischen Ökonomie und legte mit dem „Kapital“ eine nach wie vor gültige Analyse vor. Er stellte fest, dass die bisherige Geschichte im Wesentlichen eine „Geschichte von Klassenkämpfen“7 zwischen ausbeutenden/unterdrückenden und ausgebeuteten/unterdrückten Klassen ist. Die im Kapitalismus ausgebeutete Arbeiterklasse hat dabei ein objektives Interesse am Sturz dieses Gesellschaftssystems und am Aufbau des Sozialismus. Marx‘ ökonomische Analysen ergeben, dass der Sozialismus die einzig mögliche Negation des Kapitalismus ist. Diese wissenschaftlichen und philosophischen Erkenntnisse gehören zusammen. All jenen, die Marx als Orientierungspunkt verstehen wollen, sei ins Stammbuch geschrieben: Seinem Werk wird man nur gerecht, wenn man es als Einheit in sich und auch in Einheit mit den Werken von Friedrich Engels und Wladimir Lenin, mit den Erfahrungen der Geschichte der internationalen Arbeiterbewegung sowie der bisherigen sozialistischen Staaten sowie mit den Aufgaben

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2 KSV Salzburg: Gemeinsam kämpfen!, siehe http://bit. ly/2qyAJPD 3 Marx: Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung, siehe: http://bit. ly/1E8A5bA 4 Marx: Thesen über Feuerbach, siehe http://bit. ly/2eJ3Eyr 5 Siehe oben. 6 Brecht: Ballade über die Frage „Wovon lebt der Mensch?“, siehe: http://bit. ly/2IfYxko 7 Marx/Engels: Das kommunistische Manifest, siehe: http://bit.ly/2FkCN9j


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der heutigen kommunistischen Bewegung versteht. Denn das alles ist eine Einheit: Der Marxismus-Leninismus, die wissenschaftliche Weltanschauung. Wenn man hingegen versucht, Marx als Steinbruch zu verwenden, von dem man eklektizistisch dies oder jenes übernehmen und anderes verwerfen kann, wenn man versucht, Marx gegen Engels oder Lenin auszuspielen oder wenn man der historischen und gegenwärtigen politischen Praxis der Arbeiterbewegung äußerlich gegenübertritt, so begeht man eine Abstraktion, die der Wirklichkeit nicht gerecht wird und die einen unweigerlich vom marxistischen Weg abbringt. Die Erben Marxens Aufgrund der weitverbreiteten antikommunistischen Propaganda sind manche verwundert, wenn beispielsweise die sozialistische DDR als das mit Abstand bessere Deutschland verstanden wird. Das müsste in einem gesonderten Aufsatz ausgeführt werden, an dieser Stelle nur ein paar Worte darüber. In der DDR gab es mehr soziale Sicherheit für alle BürgerInnen als es in der BRD heute gibt oder je gab. Die DDR war eine Friedensmacht, während die BRD munter imperialistische Kriege führt. Die viel-

beklagten Aktivitäten des aufgrund der imperialistischen Aggressionen nötig gewordenen MfS waren ein Klacks gegen das, was etwa der BND heute so betreibt. Und übrigens hatten die BürgerInnen der DDR neben mehr sozialer Sicherheit und Zukunftsperspektiven aufgrund des humaneren Zusammenlebens nachgewiesenermaßen auch ein erfüllenderes Liebes- und Sexleben, mehr Selbstbewusstsein und gleichzeitig weniger narzisstische Neigungen als die BRD-Bevölkerung.8 Die Systemauseinandersetzung zwischen Kapitalismus und Sozialismus hat mit der Konterrevolution in Osteuropa 1989-1991 aber keinesfalls geendet. Die Kräfte des Kapitals haben nur einen vorläufigen Sieg errungen. Sie tun nun so, als wäre der Kapitalismus für immer in Stein gemeißelt, doch das ist ganz und gar nicht der Fall. Tagtäglich stehen weltweit ArbeiterInnen, StudentInnen, Arbeitslose, RentnerInnen auf und kämpfen tapfer für ihre Rechte und Interessen. Jedoch sind diese Kämpfe kaum miteinander verknüpft und sehr oft mit Illusionen in die Reformierbarkeit des Kapitalismus getränkt. Ein „Kapitalismus mit menschlichem Antlitz“ ist aber ein Ding der Unmöglichkeit – Krieg, Armut, Arbeitslosigkeit, Elend,

8 Vergleiche zum Beispiel: Berliner Zeitung, http:// bit.ly/2G3VP3k und MDR, http://bit.ly/2u61dOq


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diese Erscheinungen folgen logisch aus den wesentlichen ökonomischen Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus. Diejenigen politischen AktivistInnen, die der Aufgabe nachkommen, die Kämpfe zu verknüpfen und Illusionen zu zerstören, nennen Marx und Engels in ihrem Manifest die KommunistInnen: „Die Kommunisten unterscheiden sich von den übrigen proletarischen Parteien nur dadurch, daß sie einerseits in den verschiedenen nationalen Kämpfen der Proletarier die gemeinsamen, von der Nationalität unabhängigen Interessen des gesamten Proletariats hervorheben und zur Geltung bringen, andrerseits dadurch, daß sie in den verschiedenen Entwicklungsstufen, welche der Kampf zwischen Proletariat und Bourgeoisie durchläuft, stets das Interesse der Gesamtbewegung vertreten. Die Kommunisten sind also praktisch der entschiedenste, immer weitertreibende Teil der Arbeiterparteien aller Länder; sie haben theoretisch vor der übrigen Masse des Proletariats die Einsicht in die Bedingungen, den Gang und die allgemeinen Resultate der proletarischen Bewegung voraus.“9 Die weltweite kommunistische Bewegung ist heute erst noch dabei, sich von der schweren Niederlage um 1990 herum zu erholen. Aber sie ist

dabei, sich zu erholen. Dies zeigt sich daran, dass die Klärung der dadurch aufgeworfenen weltanschaulichen Fragen immer sicherer voranschreitet. Es gibt noch viel Verwirrung, aber verglichen mit den letzten 25 Jahren seit der Konterrevolution ist das Schlimmste überwunden. Für immer mehr Kommunistinnen und Kommunisten zeichnen sich immer deutlicher die Umrisse einer kohärenten Gesamtanalyse der Schwächen und Fehler der bisherigen kommunistischen Bewegung und der von ihr geführten sozialistischen Länder ab. Eine eigenständige, also von der bürgerlichen und opportunistischen Ideologie unabhängige kommunistische Niederlagenanalyse ist wesentliche Voraussetzung für das Wiedererstarken der revolutionären Kräfte. Es ist die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE), die bisher am meisten in diese Richtung geleistet hat. Um sie herum gruppieren sich zunehmend auch kommunistische Parteien anderer Länder, die eine klare revolutionäre Strategie verfolgen wollen. Der Kampf geht weiter. Karl Marx bleibt dabei ein wesentlicher Bezugspunkt. Und der Sozialismus wird siegen.

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9 Marx/Engels: Das kommunistische Manifest, siehe: http://bit.ly/2FkCN9j


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KOPFTUCH

In der Kopftuch-Debatte melden sich vermehrt Hidschab-tragende Frauen zu Wort, welche die Bedeckung als feministisches, antikapitalistisches Statement individueller Freiheit sehen wollen. Dass diese Frauen, meist westlich sozialisiert und hoch gebildet, einer perfiden Manipulation der Willensfreiheit unterliegen und mit ihrer Rhetorik die Repression sogar verstärken, scheint ihnen nicht bewusst zu sein. Kommentar von Carlos P. Reinelt

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orweg: Es geht nicht um die ganzkörperverhüllte Frauen in arabischen Staaten. Niemand bestreitet, dass es Länder und Kulturkreise gibt, in denen Frauen gewaltvoll genötigt werden, gewisse Kleidervorschriften einzuhalten. Die eingangs erwähnten muslimischen Feministinnen würden dies niemals gutheißen. Und auch wenn man zu jenen Vorfällen weniger Stellungnahmen findet, würden sich die meisten auch mit Frauen wie Vida Movahed solidarisieren, welche auf einem öffentlichen Platz im Iran ihre Bedeckung abzog und dafür zu zwei Jahren Haft verurteilt wurde. Was uns hier interessiert sind Frauen, welche vorgeben, ohne Druck aus dem Elternhaus oder der Gesellschaft in der freien westlichen Welt ein Kopftuch tragen zu wollen.

Offene und verdeckte Autorität Um den Prozess dahinter zu verstehen, muss zuerst zwischen offener und versteckter Autorität unterschieden werden. Nehmen wir als Beispiel den unliebsamen Gang zur Kirche. In einer offenen autoritären Beziehung befiehlt der Vater dem unmotivierten Sohn („ob du willst oder nicht!“), mitzugehen. Der Wille des Sohns daheimzubleiben bleibt dabei unverändert, sein Handeln wird aber eingeschränkt, schließlich steht er vor einer psychologisch einfachen Frage: Widersetze ich mich und kassiere dafür eine Ohrfeige, oder gehe ich widerwillig mit? Anders sieht dies in einer verdeckt autoritären Beziehung aus. Niemals würde der Vater dem Sohn Gewalt androhen, selbst der Gedanke seinem Sohn


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vorzuschreiben, was er zu tun hat, scheint ihm widerspenstig. Also lässt er ihn wissen, dass er am Sonntagvormittag machen könne, was er wolle. Das Richtige sei aber, mitzugehen, zudem wäre er sehr traurig, wenn er nicht mitkomme. Diese Methode mag auf den ersten Blick viel liberaler und freundlicher wirken, reißt aber in Wirklichkeit viel tiefere Gräben auf. Der Vater will hier nicht nur das Handeln, sondern sogar den Willen des Jungen bestimmen, dieser soll nämlich nicht einfach mitgehen, sondern er soll es freiwillig tun. Das Kind steht dann vor dem gravierenden Konflikt: Soll ich meinem ursprünglichen Willen folgen, oder meinen Vater enttäuschen und das Falsche tun? Diese Form finden wir heut in vielen Lebensbereichen. Sei es in der elterlichen Erziehung, sei es in der Schulpädagogik, wo LehramtsstudentInnen eingetrichtert wird, dass sie den SchülerInnen nicht Stoff (ob sie es wollen oder nicht) beibringen sollen, mit der simplen Begründung, dass dies wichtiger Bestandteil einer humanistischen Bildung ist, sondern es wird verlangt, dass man den Schülern purzelbaumschlagend alles schmackhaft machen muss, sodass ihr Interesse geweckt und der Wille zum Lernen geformt wird. Selbst viele Chefs wollen keine „Chefs“ mehr sein, lieber nennen sie sich Koordinatoren, tauschen Witze mit ihren Angestellten und bewegen sich auf scheinbarer Augenhöhe. Gegen eine solche Autorität lässt sich nur schwer aufbegehren. Die Ketten selbst anlegen Da Herrschaft in unserer liberalen Gesellschaft nicht mehr offen durchgesetzt werden kann, wird sie in das Gewand der Freiheit gepackt. Schließlich könne der Sohn ja tun, was er will. Die neuen Formen der Versklavung werden in der pseudo-post-ideologischen Zeit dementsprechend als neue Formen der Freiheit verkauft. Und genauso verhält es sich mit den Frauen, welche freiwillig ein Kopftuch tragen. Neben isolierten muslimischen Parallelgesellschaften, in denen sich totalitäre Formen erhalten haben, haben sich weite Teil des Islams an die westliche Lebenswelt und deren Wertekorsett angeglichen. Es wäre heute unvorstellbar für eine emanzipierte Muslima sich vom Elternhaus vorschreiben zu lassen, wie sie sich zu kleiden habe. Vielmehr beschneidet sie sich selbst, konditioniert durch eine erfolgreiche verdeckt operierende Ideologie, wenn sie sich morgens aus freien Stücken einen Hidschab überzieht. Der Fremdzwang wird zum Selbstzwang. Schließlich geht der erwachsene Sohnemann auch heute noch freiwillig in die Kirche. Trugbild des Kopftuchs als feministisches Symbol Die Semantik des Hidschabs, wobei das Kopftuchgebot in der islamischen Welt selbst umstritten ist und aus dem Koran nur bedingt ableitbar, wird heute von femi-

nistischen Muslima gerne umgedeutet. Ähnlich wie Teile der Homosexuellencommunity die Beseitigung der negativen Konnotation des Wortes „gay“ anstreben, oder sich Teile der schwarzen Bevölkerung untereinander freundschaftlich „nigger“ nennt. Das Unterfangen der Muslima ist andererseits zum Scheitern verurteilt: Es gibt nichts Verwerfliches daran, eine bestimmte sexuelle Orientierung oder Hautfarbe zu haben und dementsprechend die Deutungshoheit der Begriffe den Aggressoren und Unterdrückern aus der Hand zu nehmen. Sie stellen sich damit direkt gegen jene. Sich einzubilden, man könne westlichen Sexismus mit unterdrückenden Symbolen einer anderen Kultur entgegenwirken, irrt gewaltig. Um einen unverschämten Vergleich anzubringen: Man stelle sich in die USA geflüchtete Juden und Jüdinnen vor, welche sich aufgrund religionsfeindlicher Tendenzen den sogenannten Judenstern der Nationalsozialisten auf die Brust klatschen, als Zeichen ihrer Freiheit und Selbstbestimmung. Wenn feministische Muslima behaupten, der Hidschab beschütze sie vor ungewollten Blicken der Männer, übernehmen sie die Rhetorik des Patriarchats. Wann immer ein Stammtischdepp nach sexuellen Belästigungsvorwürfen meint, die Frauen ziehen sich aber auch zu freizügig an, bekommt er von einer Feministin zurecht eine übergewischt. Die Verantwortung derartiges zu vermeiden liegt nicht bei der Frau und ihrer Kleidung, nackte Haut ist keine Einladung zum Grapschen oder ewigem Gaffen. Statt die Männer in Verantwortung zu ziehen und gegen deren Ansichten zu kämpfen, übernehmen sie deren Vorwürfe und Vorstellungen und hüllen sich duckmäuserisch ein. Die Scheinheiligkeit (oder sagen wir freundlicherweise der Widerspruch) des Arguments wird durch eine weitere Facette offensichtlich, wenn sexuelle Reize trotz Kopftuch (Make-up-Anleitungen mit Kopftuch genießen mehrere Millionen Views auf YouTube) ausgereizt werden. Sei es durch roten Lippenstift, welcher sexuelle Erregung simuliert, sei es durch hautenge Kleidung. Vom Opfer zum Mitschuldigem Gerne wird propagiert, dass man sich damit der Objektivierung der Frau durch Kapitalismus und Medien entgegenstellt. Tatsache ist aber, dass man damit weder etwas am Status Quo ändert, noch einen sinnvollen Gegenentwurf zum Umgang mit dem weiblichen Körper entwickelt. Ganz im Gegenteil wird wieder die patriarchalische Ordnung übernommen. Es liegt allerdings auf der Hand, dass es wesentlich angenehmer ist, sich einzureden, man stelle sich gegen Sexismus und für Selbstbestimmtheit, als zuzugeben, dass man ein indoktriniertes Opfer einer unterdrückenden Religion ist und die Repression somit nicht nur duldet, sondern die Unterdrückung als MittäterIn somit sogar weiterhin fördert.

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ALLE GEGEN ALLE

GEGEN ALLE

„Alles in uns brennt“ dröhnte es am 02. März 2018 von der Bühne der Rockhouse Bar. Auf ebendieser Bühne stand das Rap-Duo grim104 und Testo, zusammen bekannt als Zugezogen Maskulin. Nicht erst seit ihrem ersten großen Album bilden die beiden Rapper einen Gegenpol zur restlichen Deutschrap-Szene - ihre Anti-Haltung, musikalische Positionierung und Attitüde geschmiedet in der harten Schule von Marcus Staiger, seines Zeichens Berliner Rap-Urgestein, Gründer des Royal Bunker und Ziehvater von K.I.Z. – und einer der wenigen, die ihre Meinung, ob musikalisch oder auch politisch, immer lauthals kundtun. Und das hat er den beiden von Anfang an mit in die Wiege gelegt. Von Carolina Forstner und Michael Seifert


KULTUR & MENSCHEN

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Es ist 12 Uhr, du kaufst dir Supreme/ Soll noch einer sagen, Rapper haben nichts zu erzählen. Ein Uhr, jeder deiner Trottel-Fans kauft's auch/ Zwei Uhr - Supreme schon wieder out.1

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ennengelernt haben die beiden sich als Praktikanten bei der Plattform „rap.de“, deren Chefredakteur damals eben Marcus Staiger war. Dass in den beiden Talent schlummert hat er schnell erkannt, 2010 erschien die erste EP der Band unter dem Namen Zugezogen Maskulin, gefolgt vom Free-Album „Kauf nicht bei Zugezogenen“ 2011 – der Band-Name als klare Persiflage an die legendäre Konstellation Westberlin Maskulin, zeigt gleichermaßen die sarkastische Ader aber auch ihre Liebe zu Rap. 2015 folgte das erste richtige Album beim Label Buback, 2018 bilden sie mit Kollegen wie der Antilopen Gang die Speerspitze der linken Rap-Welt. Im Oktober 2017 war es dann soweit und das heiß erwartete Zweitlings-Werk der beiden wurde uns um die Ohren gefeuert. Auf Beats von Silkersoft, der schon auf „Alles brennt“ maßgeblich am Sound beteiligt war, aber auch schon für Casper und Videospiel-Soundtracks produziert hat, brettern die beiden mit ihrer charakteristischen Vortragweise über 12 Tracks, schlagen persönliche Klänge an und machen das, worauf sie sich nach dem Label-Debüt eingeschworen haben. Bloß nicht noch einmal das Selbe. Im Zuge der Tour zum Album, verschlug es die beiden unter anderem auch nach Salzburg ins Rockhouse. Mit hohen Erwartungen an grim104 und Testo sind wir gekommen, schließlich dröhnt uns seit Wochen das neue Album in den Ohren. Und es ist gut, verdammt gut. Es lässt einen Hip-Hop hören der wütend ist und um sich schlägt, ohne dabei die alteingesessenen Klischees des „Hip-Hops“ a la 187 Straßenbande und Konsorten herauszuholen, ohne sich verschreibungspflichtigen Hustensaft in ihr Sprite zu kippen (Lean, für alle Hip-Hop-Aficionados da draußen) und ohne sich von Kopf bis Fuß in den heißesten Designerscheiß zu werfen.

grim104 und Testo haben uns nicht enttäuscht. Gemeinsam mit ihrem DJ - und begnadetem Violinisten - versprühten sie, neben Sekt aus goldenen Waffen, auch eine Energie, die innerhalb der Deutschrap-Szene ihresgleichen sucht. Das vorwiegend junge Publikum verließ die Location sichtlich zufrieden und auch unsere hohen Erwartungen wurden mehr als erfüllt. Zugezogen Maskulin patzen nicht nur die eigene Zunft an, sondern eigentlich uns alle irgendwie – eine Anklage an unsere Gesellschaft, an unsere Generation, die scharfsinnig und aggressiv gesamtgesellschaftliche Phänomene seziert. Online-Journalismus der uns gern mit Listicals abspeist ohne auf Inhalte zu setzen, Social Media Abgründe, wo es ganz nach dem kapitalistischen Ideal darum geht die eigene Person zu vermarkten – „Diktatur der Followers“2, Rechtsruck und Fremdenhass, Kritik am „Hipstertum“, Dorfherkunft und Großstadt-Wahlheimat Berlin. Gepaart mit der Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit als heranwachsender Rap-Fan der 2000er-Jahre, detailliert geschilderten Erfahrungs-Berichten des Marihuana-Konsums, Guccibäuchen und nicht zuletzt dem Tod höchstpersönlich, der seine Bahnen als erschöpfte und überarbeitete Person durch unsere „Gute-Laune-Gesellschaft“ zieht. Ein Konzert voller Inhalte, die die Rockhouse Bar ausfüllten, bis obenhin.

1 Steffi Graf: https://genius. com/12667521 2 Alle gegen Alle: https://genius.com/Zugezogen-maskulin-alle-gegen-alle-lyrics


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KULTUR & MENSCHEN

DER URSPRUNG DER LIEBE

Eigentlich dürfte ich Liv Strömquist nicht so toll finden, denn schließlich hat sie mir mit ihrem neuesten Comic „Der Ursprung der Liebe“ wichtige Stunden, die ich eigentlich mit Seminararbeiten und ähnlichem verbringen sollte, gestohlen. Aber wo ein Eigentlich, da meist ein Aber - so auch hier. Von Carolina Forstner

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or kurzem saß ich vor einem Kurs schon im Seminarraum und las wie gebannt Seite um Seite im Buch der Politikwissenschaftlerin und wichtigen Stimme des schwedischen Feminismus. Ein Kollege drehte sich um und fragte freundlich, aber sichtlich erstaunt, ob ich denn Comics lesen würde. Ich bejahte, klärte ihn kurz über den Inhalt auf und sobald mir das Wort Feminismus über die Lippen kam, sah ich ein kurzes Zusammenzucken in seinem Gesicht. Er fragte weiter: „Okay… aber da geht’s jetzt nicht um so Gender-Dings, oder?“ Kennt ihr Personen, die immer und überall eine schnittige und pointierte Antwort parat haben und ihr Gegenüber schneller entwaffnen können, als Lucky Luke seine Waffe zieht? Ich gehöre eindeutig nicht zu diesem eloquenten Menschenschlag. Sichtlich baff brachte ich nur ein: „Ähm...doch, also nicht direkt, aber…“ hervor. Der Kollege drehte mir nach kurzem

Gespräch gleich wieder den Rücken zu, schließlich ist das Binnen-I ein Teufel, Gender-Dings, sowieso. Weibliche Selbstbestimmung, Sexualität und Beziehungen umkreisen das Comic-Sachbuch Strömquists. Neben einem gut recherchierten Werk, das vor wissenschaftlichen Quellen und zitierten Studien schier überquillt, schafft es die Autorin mit Leichtigkeit, den Bogen zu popkulturellen Inhalten zu spannen – beginnt nicht schon auf den ersten Seiten eine Reise von der chinesischen „Viererbande“ der Kulturrevolution zu einem anderen Quartett – Tim Allen, Jerry Seinfeld, Ray Romano und Charlie Sheen, ihres Zeichens die vier bestbezahltesten Fernseh-Comedians der letzten Jahre. Über diese berühmten TV-Männer und deren Verhältnis zu Frauen (wer sich ein bisschen in der Fernseh- und Sitcomlandschaft auskennt, weiß, hier haben die Frauen an der Seite der Männer eigentlich nur die Funktion, sie mit ihren Zuneigungsbekundungen zu nerven) gerät Strömberg schnell


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zu den Wurzeln: Warum sich so viele Menschen in diesen Beziehungsdarstellungen wiedererkennen und gibt dem/der geneigten LeserIn gleich auf den ersten Seiten Nachdenkstoff mit. Über das eigene Großwerden in „heteronormativen Familiensystemen“, in denen die meisten Kinder aufwachsen und über die Geschlechterrollen, die die eigenen Eltern vielleicht in der Kindheit einnahmen. Auf wenigen Seiten seziert Strömberg ihre erste These heraus: Durch die unterschiedlichen, stereotypen Erziehungsansätze für Mädchen und Buben entwickeln beide Geschlechter unterbewusste Strategien, um sich in einer Welt zurecht zu finden, die Mädchen lernt, sich über ihre Beziehung zu Männern zu definieren und, plattes Beispiel, Männern untersagt, tiefe emotionale Bindungen einzugehen. Beide Geschlechter werden in Formen gepresst, die zufälligerweise „männlich“ und „weiblich“ als Aufschrift tragen. Ein Grund, warum wir mit den patriarchalen Strukturen in Two and a Half Men weniger Probleme haben, denn wir haben es ja schlichtweg nicht anders „gelernt“. Strömberg erzählt ein kleines Stück Kulturgeschichte, beginnt bei nordischen Göttern und endet bei Britney Spears. Klingt nicht wirklich gehaltvoll, oder? Aber genau solche popkulturellen Referenzen finden wir „Millenials“ doch so geil. Wer jedoch denkt, dass Liv Strömberg hier plump Promigeschichten und feministische Maximen aneinanderreiht, irrt: Natürlich ist es kein wissenschaftliches Pamphlet über Geschlechterbeziehungen, aber der Comic mit dem Cover, auf dem die Köpfe von Charlie Sheen, Prince Charles und Diana in Seerosen abgebildet sind, will das auch gar nicht. Der Ursprung der Liebe folgt Strömquists Erstling Der Ursprung der Welt, einem Comic über die Kulturgeschichte des weiblichen Geschlechtsorgans und der Menstruation. Das Buch erhielt euphorische Rezensionen. Eine Zeichnung einer Eisläuferin, bei der man, oh Schreck, oh Schreck, Menstruationsblut zwischen ihren Beinen entdeckt, sorgte anscheinend für Irritationen in einer Gesellschaft, in der Menstruationsblut, so hat es uns die Werbeindustrie gelernt, blau zu sein scheint, ein wohl sehr tief eingebranntes Tabuthema ist: Das Bild der Eisläuferin, das Teil einer Wanderausstellung war, wurde in jeder Ausstellungsstadt zum Beschwerdethema und das blutbefleckte Höschen sogar übermalt. In Der Ursprung der Liebe, das bereits 2010 erschien und jetzt aus dem Schwedischen übersetzt wurde, wird zwar nicht mit männlichen und weiblichen Geschlechtsorganen und Körperflüssigkeiten „geschockt“, aber Liv Strömquist schafft es doch, ihre LeserInnen zu desillusionieren – und zwar über

nichts anderes als die schon im Titel behandelte Liebe. Das ist an manchen Stellen nicht ganz so lustig und für VerteidigerInnen der romantischen Liebe nicht gerade leichte Kost, schließlich zeigt uns Strömquist in nur zwei Bildern auf, wie absurd „unsere“ heterosexuellen Beziehungskonzepte, in denen wir leben, sind. Sie arbeitet in einem Kapitel des Buches heraus, dass wir in unseren Paar-Beziehungen doch eigentlich immer nur stark ritualisierte Sozialkonstrukte reproduzieren – seien es Kosenamen oder Händchenhalten, alles um in der Außenwelt zu zeigen: Ja, wir sind ein Paar! Unser „Beziehungsverhalten“ bezeichnet Strömquist (beziehungsweise WissenschaftlerInnen, die sie in ihrem Werk als Quellen aufführt) als eine Art „Mini-Religion“, die in ihrer kleinen Solidargemeinschaft sozial erwünschte Rituale vollzieht. Harte Brocken für alle RomantikerInnen da draußen. Warum verzehren sich Frauen nach der Bestätigung männlicher Zuneigung und werden mit emotionaler Kälte abgestraft? Warum stehen Zweierbeziehungen anno 2018 nur unter dem Stern exklusiver sexueller Treue? Das ist nur ein Bruchteil der Fragen, die Strömquist in ihrem Sammelsurium aus schwarzweißen Bildergeschichten und wissenschaftlichen Theorien beantwortet. Liv Strömquists Comic regt zum Nachdenken an und lässt LeserInnen nicht nur lernen, sondern auch lachen und versprüht am Ende sogar einen Funken Hoffnung für alle geschundenen Herzen da draußen. Auf meiner Leseliste steht, nachdem ich Der Ursprung der Liebe an einem Nachmittag verschlungen habe, Strömquists bereits erwähntes Erstlingswerk Der Ursprung der Welt. Meine männliche Kommilitonenschaft soll gewarnt sein: Hier geht es nicht nur um Gender-Dings, sondern auch um das Unaussprechliche: Menstruationsblut.

Buch erhältlich beim avant-verlag.

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KULTUR & MENSCHEN

DER ULTIMATIVE UNI:PRESS

BEISLTEST FORTGEHEN ABSEITS DES (STUDENTISCHEN) MAINSTREAMS TEIL 4 - ITZLING Rudolfskai, Gstättengasse, Bergstraße oder Imbergstraße – das sind die Topadressen des Salzburger Nachtlebens. Topadressen? Wirklich? Wir haben uns schick gemacht und für euch Lokale abseits des studentischen Nachtlebens getestet, damit ihr ein Refugium findet, wenn euch die Segabar zu fad wird.

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tzling liegt im Norden der Stadt und wird im Westen von der Salzach, im Norden von den Abhängen des Plainberges und der Autobahn und im Osten durch die Gleise der Westbahn begrenzt. Im Süden bilden die August-Gruber-Straße und die Erzherzog-Eugen-Straße die Grenze zur Elisabeth-Vorstadt. Die ca. 9.000 EinwohnerInnen machen Itzling zu einem mittelgroßen Stadtteil Salzburgs. Das einstige Dorf entstand aus einem kleinen Weiler an der unbedeutenden Straßenverbindung zwischen Salzburg und Bergheim; erste Bauerngüter konnten erst nach der Trockenlegung des Itzlinger Mooses unter Fürsterzbischof Paris Lodron entstehen. An Bedeutung gewann Itzling erst mit dem Wandel zum Arbeiter- und Eisenbahnerort durch den Bau der Westbahn (1860). Heute dominieren in Itzling Wohnbauten; entlang der Gleise der Lokalbahn befindet sich außerdem ein pulsierendes Gewerbegebiet.

„BEI JEDER STATION EIN GLASERL EXTRA“ Zugegeben, von einem Stadtteil wie Itzling mit seinen sehr guten Voraussetzungen hätten wir uns eigentlich eine größere Beislszene erwartet. Vor allem die Beislarmut der Itzlinger Hauptstraße enttäuscht; offenbar erschweren zahlreiche AnrainerInnenbeschwerden den Betrieb solcher Etablissements. Die schlechte Vorbereitung des Beisltestorganisators tat

das Übrige. Der routinierte Beisltester macht aber – der ÖH-Serviceorientierung verpflichtet – aus der Not eine Tugend und trinkt einfach bei jeder Station ein Glaserl extra. Die (inoffiziellen, nicht von allen beachteten) Spezialregeln lauteten also diesmal: 2 Bier und 2 Schnaps pro Trinkanstalt, danach wird weitergesucht. Stammcafe Freundlicherweise wird man im Stammcafe in der Itzlinger Hauptstraße schon außen – mittels Schild an der Tür – darauf hingewiesen, dass hier auf Nichtraucherschutz kein besonders großer Wert gelegt wird. Weniger freundlich: Man fühlt sich beim Betreten wie ein Polizei-Sonderkommando, das eine Wohnungstür aufbrechen muss, weil die Tür klemmt. Vom Besitzer wird man dafür umso enthusiastischer empfangen – er unterbricht dafür sogar sein Gespräch mit den zahlreichen Stammgästen, die dem Namen des Lokals alle Ehre machen. Von selbigen gibt es eine etwa 1x1 Meter große Fotocollage, die an prominenter Stelle an der Wand platziert ist. Umrahmt wird sie von unzähligen Schildern bekannter Brauereien und Spirituosenproduzenten – Highlight ist dabei das Bildnis einer jungen Dame mit dem Spruch „Ich trinke Jägermeister, weil mein Dealer zur Zeit im Knast sitzt.“ Ob es sich bei besagtem Dealer um den Drangla am vermeintlichen Einarmigen Banditen (der sich später als ordinärer Münzwechsler – wohl für die Dartscheibe – herausstellte) handelte, konnten wir nicht verifizieren. Zu abgelenkt waren wir von der romantischen Atmosphäre, für die das Licht einer Kerze gemeinsam mit der ruhigen Radiomusik im Hintergrund sorgte.


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Beim Gang zu den Toiletten (beengt, dafür hygienisch einwandfrei) fällt der Blick auf einen Nebenraum, in dem man durch dichten Nebel vier sportliche junge Herren (vermutlich) beim Dartspiel erkennen kann. Gelegentliche Soundeffekte bestätigen diese Annahme. Im Hauptraum sorgen Deckenventilatoren dafür, dass niemand am Zigarettenrauch erstickt.

„ICH TRINKE JÄGERMEISTER, WEIL MEIN DEALER ZUR ZEIT IM KNAST SITZT.“ Für Unterhaltung sorgt neben dem Radio und dem Playboy-Magazin am Tisch auch der Besitzer. Beim Begleichen der Rechnung (6,10 für ein Bier und einen Schnaps) weist er uns auf unser Glück

hin, am letzten Tag vor seinem wohlverdienten Urlaub gekommen zu sein: Er gönnt sich zwei Wochen in Sri Lanka. Cafe Sympatico Ähnlich wie das Stammcafe trägt auch das Cafe Sympatico in der Kirchenstraße seinen Namen völlig zu Recht. Die (inoffizielle?) Auszeichnung als „Salzburg’s Superwirtin 2009“ würden wir 9 Jahre später bedenkenlos wieder verleihen. Ob auch die Oscar-Statue aus diesem Grund hinter der Bar steht, wissen wir nicht – vorstellbar ist es auf jeden Fall. Bier und Schnaps kommen prompt und schmecken hervorragend. Die Mutigen in der Beisltestgruppe verköstigen den an der Tafel angepriesenen Kürbiskernlikör – Fazit: Empfehlenswert! Der Rest bleibt beim Klassiker (Obstler).

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KULTUR & MENSCHEN

Das Publikum ist durchwegs über 50, lediglich die Geburtstagsfeier im abgetrennten RaucherInnenbereich verzeichnet ein paar jüngere Semester. Eine Vitrine bietet eine große Auswahl an verschiedenen Tortenstücken; wer dort nicht fündig wird, kann auch die Speisekarte durchforsten (Vorsicht beim Croissant: „kann kontaminiert sein“!) oder eines der gefärbten Ostereier am Tisch probieren.

SALZBURG’S SUPERWIRTIN 2009 Der Weg zum Abort führt durch den Raucherbereich und damit an der Geburtstagsgesellschaft vorbei, die – wie sich herausstellt – keineswegs feindselig gesinnt ist. Weil wegen empfindlicher NachbarInnen um 22

Uhr Schluss sein muss, begleichen wir unsere Rechnung (€ 3,50 für ein Bier, € 2,30 für einen Schnaps). Mit Empfehlungen für die nächsten Stationen tut sich die Wirtin schwer – Itzling ist ein schlechtes Pflaster für Beisltouren. Cafe Martina Pub Das Highlight des Abends finden wir erst nach längerem Suchen. Ein vorausgeschickter zweiköpfiger Erkundungstrupp bestätigt uns schließlich den Beislfund: Cafe Martina Pub in der Erzherzog-Eugen-Straße. Beim Betreten des Lokals müssen wir feststellen, dass die Vorhut bereits eifrigst mit der Stammbelegschaft fraternisiert – Skepsis gegenüber Neuankömmlingen gibt es hier nicht. Vielleicht liegt das auch daran, dass sich das Café erst seit Anfang des Jahres in Martinas Händen befindet. Der äußerst sympathische Wirt – gleichzeitig DJ – versorgt uns mit Bier (€ 3,60), hervorragendem Weichselschnaps (€ 3,00) und jeder Menge italienischer Pop-Hits. Später kommen Klassiker wie Daddy Cool, Born 2 Be Alive, Lambada und YMCA dazu.


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Das Damenklo bietet so viel Platz, „man kann darin quasi Walzer tanzen!“ Weniger Platz, dafür ein anderes Faszinosum birgt das Herren-WC: Zwei eingerahmte Unterhosen an der Wand.

FASZINOSUM EINGERAHMTE UNTERHOSE Der Wirt erzählt uns später, dass es sich um den Gewinn bei einem Dartspiel handelt – und weil es sich bei Spielschulden bekanntermaßen um Ehrenschulden handelt, wurden die Unterhosen seinerzeit an Ort und Stelle ausgezogen und übergeben. Erwähnenswert ist auch der Top-Musikservice: Sobald man das Café einmal übernommen hat, wird jeder Mu-

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sikwunsch erfüllt. Wie durch Zauberei – ganz ohne Nachfragen – werden auf einmal Lieder gespielt, über die man sich nur wenige Minuten zuvor unterhalten hat. Angesichts dieser magischen Momente (und wegen des hervorragenden Weichsel-Schnapses) fällt es uns äußerst schwer, das Lokal um 3 Uhr zu verlassen. Itzling mag anderen Stadtteilen in puncto Beisl-Quantität vielleicht hinterherhinken; was die Qualität der getesteten Lokale betrifft, rangiert es aber ganz oben. Wie immer erheben wir keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Über Anregungen und Geheimtipps für kommende Kontrolltouren freut sich die Redaktion außerordentlich (presse@oeh-salzburg.at). Prost!

Disclaimer: Der Test wurde in unserer Freizeit durchgeführt, dadurch keine Studierendeninteressenvertretungsarbeit vernachlässigt. Es wurden keine ÖH-Mittel aufgewendet. Es gab keinerlei finanzielle Zuwendungen seitens der Beisl-InhaberInnen.


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WIE GEHT EIGENTLICH STERBEN?

Nichts ist umsonst. Auch sterben nicht. Aber keine Sorge – damit du weißt, auf was du dich einlässt, hat die uni:press einen kleinen Sterberatgeber für dich parat. Von Hannah Wahl

W

Wir fühlen uns unsterblich. Wir denken nicht ans Altern, bis wir plötzlich in den Uni-Kursen Gesprächsthemen mit SeniorstudentInnen finden. Die harten Partynächte sind auch am abklingen, und wir bevorzugen es, unsere Prüfungen ausgeschlafen und gut vorbereitet zu absolvieren. Dann entdeckt man die erste Falte auf der Stirn, die man gekonnt als Symptom des langjährigen Studiums ausmacht. Trotzdem haben wir immer noch unser ganzes Leben vor uns, und so vergisst man lieber schnell, dass es ein unbekanntes Ablaufdatum hat. Dieser Text soll nicht einfach sagen: Carpe diem oder memento mori. Sondern: Sei gut vorbereitet. Natürlich kann man unbedacht den Löffel abgeben. Gerade als AtheistIn ist es einem doch egal was ist, wenn man nicht mehr ist. Das dachte ich bislang jedenfalls. Mit einiger Vorbereitung kann man der Familie jedoch einiges Ersparen.

1. Der Zeitpunkt Möglichst nicht vor Weihnachten sterben: Immerhin stört das den alljährlichen Kitsch, und das fröhliche Bescheren wird auch nicht in gewohnter Stimmung stattfinden. Außerdem entscheiden sich viel zu viele Menschen, Weihnachten lieber nicht mehr zu erleben, weswegen etliche Stunden vergehen können, bis ein Amtsarzt kommt, um den Tod festzustellen. Erst danach kann das Bestattungsunternehmen informiert werden. Auch wenn diese versichern, die genaue Adresse schon zu haben, geh auf Nummer sicher, um einen möglichst reibungslosen Ablauf zu ermöglichen, und wiederhole die Adresse samt Stockwerk. 2. Der Ort Versuche möglichst nicht im exotischen Ausland zu versterben – denn das bringt haufenweise Bürokratie und Kosten für deine Familie mit sich. Solltest du dennoch im Ausland versterben, wird zuerst die österreichische Vertretungsbehörde informiert, die sich um die Verständigung deiner Angehörigen kümmert. Es folgt die Überführung des Leichnams, die die Zusammenarbeit des Bestattungsunternehmens im Ausland mit dem in Österreich erfordert. Je exotischer das Land, desto schwieriger könnte dieses Unterfangen


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werden. Wenn du eine Reiseversicherung abgeschlossen hast, wird’s billiger für die Angehörigen, denn die inkludiert normalerweise auch die letzte Reise - die Leichnamsüberführung. Immerhin spart man sich in diesem (Todes-) Fall die Anzeige beim Standesamt und kann sich gleich auf die Ausstellung eines mehrsprachigen Leichenpasses und die Bestattungsorganisation im Zielland konzentrieren. 3. Die Vorsorge Um deinen Liebsten möglichst viel abzunehmen, empfiehlt es sich schriftlich und unmissverständlich festzuhalten, was man will und was man nicht will. Die Bestattungsunternehmen müssen deinem Willen über die präferierte Bestattungsart nachkommen. Ist dein Wille nicht klar erkennbar, geht die Entscheidungsgewalt – in der genannten Reihenfolge – zu Ehepartnern oder eingetragenen Partnern, zu den großjährigen Kindern, den Eltern und den Geschwistern über. Neben der Bestattungsverfügung, in der deine Wünsche rechtlich bindend festgehalten werden können, regelt eine Sterbegeldversicherung auch das Finanzielle. Ganz praktisch kann man die Zahlung der monatlichen Raten per Einzug vom Konto abbuchen lassen. Im Todesfall wird die eingezahlte Summe dann für deine Bestattung wieder ausgezahlt. 4. Die Organisation Die traditionelle Erdbestattung ist in Österreich immer noch sehr beliebt, und das, obwohl diese Variante relativ kostenintensiv ist. Für einen Sarg, der je nach Verabschiedung ca. 30-60 Min. zu sehen ist, kann man auch mehrere tausend Euro hinblättern. Die Kosten sind vom Material abhängig, von Kiefer bis Mahagony ist die Auswahl groß. Die mittlerweile populärste Bestattungsform ist die Feuerbestattung, die bereits 1934 in Österreich der Erdbestattung gleichgestellt wurde. Gleichzeitig bietet die Einäscherung auch die Möglichkeit, sich bewusst von der christlichen Tradition abzugrenzen – die die Feuerbestattung aufgrund ihres Glaubens an die Auferstehung lange Zeit ablehnte. Zwar hat die römisch-katholische Kirche diese Art der Bestattung 1964 schließlich doch erlaubt, trotzdem will sie es doch lieber sich selbst (oder Gott?) überlassen sehen, wer wann ins (Fege-)feuer kommt. Nach der Einäscherung werden die Überreste in eine Aschekapsel gefüllt, die wiederum für die Bestattung in eine ansehnliche Bestattungsurne eingesetzt wird. Wer einen Kamin besitzt, kann die Urne stilecht auf den Sims stellen lassen. Das ist jedoch nur mit etwas Papierkram möglich, da in vielen Bestattungsgesetzen in Österreich der „Friedhofszwang“ herrscht - gleichzeitig kann die Urne aber an frei gewählten Orten beigesetzt werden. Bestattungsunternehmen bieten

dazu rechtliche Auskünfte auf Anfrage an. Prinzipiell ist die Feuerbestattung aber günstiger als eine Erdbestattung, da man sich dadurch meist die Kosten für einen Grabstein sowie die laufenden Friedhofskosten spart. Für alle Hippies und Naturverbundenen bietet die Baumbestattung eine Möglichkeit, sich ohne viel Bürokratie auf ungeweihter Erde bestatten zu lassen. Auch hier entfallen Folgekosten – bestattet wird eine kompostierbare Urne. Die Überreste privat auszustreuen ist in Österreich illegal – angeblich wurde aber ein solcher Fall noch nie exekutiert. Daneben gibt es auch noch die Möglichkeit einer Weltraumbestattung, Diamantenbestattung oder Seebestattung. 5. Der liebe Gott Willst du verhindern, dass bei deiner Beerdigung mehr über Gottes Gnade geredet wird als über dich, sollte man klarstellen, dass kein Geistlicher die Veranstaltung instrumentalisieren darf. Auch wenn du dir insgeheim wünscht, dass ein naher Verwandter eine kleine Ansprache auf dich hält – verzichte, oder vermittle ihnen glaubwürdig Wahlfreiheit. Es ist schon schwer genug, eine Beerdigung mitzuerleben ohne große Reden schwingen zu müssen. Stattdessen kann das auch ein/e GrabrednerIn übernehmen. Da manche jedoch auf der esoterischen Seite daheim sind, gilt es auch hier, die undiskutierbaren Erwartungen zu transportieren. All das passiert am besten bei einem gemeinsamen Gespräch, bei dem über das Leben des/ der Verstorbenen erzählt wird und das die Grundlage der Grabrede darstellt. Zudem kann die Abschiedsfeier auch komplett ohne deinen verstorbenen Körper geschmissen werden. Durch eine Erklärung kann man seine Leiche den anatomischen Instituten österreichischer Universität spendieren, die dann für die Bestattung zuständig sind. In Salzburg gibt es für die Überreste der KörperspenderInnen eine eigene Grabstätte am Kommunalfriedhof. Werde selbst aktiv! Du findest das alles super spannend und willst selber Menschen unter die Erde bringen? Es ist noch nicht zu spät, dein Studium abzubrechen und zum Bestattungsunternehmer umzuschulen, denn prinzipiell brauchst du weder bestimmte Vorkenntnisse noch eine bestimmte Ausbildung. Das notwendige Handwerkszeug wird durch den Betrieb oder Weiterbildungen vermittelt. Der Ausbildungsweg ist aber vergleichsweise schnell beschritten. Nach dem zweijährigen Berufsjubiläum darfst du dich selbstständig machen, wozu neben dem Praxisnachweis auch die Befähigungsprüfung ansteht. Der Arbeitsmarkttrend ist laut AMS übrigens – oh Wunder – gleichbleibend. Für dich gibt es also immer was zu tun.

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zeit masch ine Interessantes, Kurioses und Schockierendes in alten Zeitungen, entdeckt und ausgegraben von Christoph Würflinger

GEWALT IM HÖRSAAL

Auch in den Hörsälen unserer ehrwürdigen Universität ist Gewalt ein Thema – meistens nur als Gegenstand der Forschung, manchmal aber auch praktisch angewandt. Bestes Beispiel: Der Auftritt eines russischen Pseudo-Wissenschaftlers im Haus für Gesellschaftswissenschaften am Rudolfskai anno 2001:


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