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UNI:PRESS STUDIERENDENZEITUNG DER ÖSTERREICHISCHEN HOCHSCHÜLERiNNENSCHAFT SALZBURG — #685 Juni 2016 —

GRENZEN


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IMPRESSUM Medieninhaberin: Hochschülerinnen- und Hochschülerschaft an der Paris Lodron Universität Salzburg (ÖH Salzburg), Kaigasse 28, 5020 Salzburg, www.oeh-salzburg.at, sekretariat@oeh-salzburg.at / Herausgeber: HochschülerInnenschaft / Pressereferentin: Marie Schulz / Layout: Michael Seifert, Marie Schulz / Lektorat: Nina Wewerka & die Redaktion/ Anzeigen und Vertrieb: Marie Schulz Redaktion (Kontakt: presse@oeh-salzburg.at): Marie Schulz, Carolina Forstner, Claudia Kraml, Christoph Mödlhamer, Christoph Würflinger / AutorInnen in dieser Ausgabe: Ivana Ristic, Paul Oblasser, Tamara Geiblinger, Maximilian Wagner, Bildungspolitisches Referat, Carlos Reinelt, Werner Müller-Schell, Martina Winkler, Christina Schneider, Andreas Koch. Druckerei: Ferdinand Berger & Söhne Ges.m.b.H. / www.berger.at / Auflage: 6.000. Für Verbesserungsvorschläge und kritische Hinweise sind wir sehr dankbar. Die Auffassungen der AutorInnen der Beiträge und die der Redaktion müssen nicht übereinstimmen.


EDITORIAL

Marie Schulz

Carolina Forstner

Claudia Kraml

Christoph Mödlhamer

Christoph Würflinger

Liebe LeserIn Lorem ipsum dolor sit amet, consectetur, adipisci velit? Sed eiusmod tempor. Incidunt ut labore! - Wer sich nun fragt, was das hier um alles in der Welt soll, ob das noch immer relativ neue Pressereferat in seinem Büro etwa dem Konsum verbotener Substanzen frönt oder ihm schlicht und einfach die okkasionelle Frühlingswärme nicht gutgetan hat, dem sei gesagt: Beides wären grobe Irrtümer – denn wir tun nur unsere Pflicht. Und die besteht im Rahmen der vorliegenden Ausgabe nun einmal darin, Grenzen zu überschreiten, wenn nötig auch jene der Verständlichkeit und des allgemein anerkannten Aufbaus von Lektüreeinleitungen. Auf welche weiteren Hürden man im mehr oder weniger alltäglichen Leben stoßen kann, seien sie nun individueller, gesellschaftlicher, politischer, akademischer oder anderweitiger Natur, und vor allem, wie diese trennenden Elemente überwunden werden könnten, ist auf den folgenden 68 Seiten zu lesen. Die Sprengung von finanziellen Grenzen durch

ÖH-Förderungen, ein für die Nachwelt dokumentierter Besuch im Bordell, wichtige Informationen zur wohl größten Studienplanumstellung der Uni Salzburg, interkulturelle Freundschaft der ganz besonderen Art und eher erfolglose Aggressionsbewältigung in Kommentarform wären dabei nur eine kleine Auswahl der Themen, die euch in der frühsommerlichen Variante unseres Magazins erwarten. Für den Schwerpunkt verantwortlich ist zum letzten Mal unsere Chefredakteurin Marie Schulz, die anschließend zu neuen Herausforderungen aufbrechen wird, für die wir ihr schon mal vorsorglich gutes Gelingen wünschen. Unser liebes Publikum verweisen wir derweil auf die parallel zu den Eiskugeln dahinschmelzende Zeit bis Ferienbeginn – haltet durch, denn die Grenzen des Wissens sind da, um durchbrochen zu werden. In diesem Sinne: Auf ein freudiges Wiederlesen im Oktober! Eure Redaktion

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INHALT

in ha lt

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Grenzen: Wer hat Angst vorm toten Mann? Wir waren in der Körperwelten-Ausstellung Sind die Grenzen unseres Verstandes die Grenzen der Demokratie? Wohin wachsen wir? Ein Ausbilck auf die nächste ÖH-Ringvorlesung Mit einem Computerspiel Grenzen überwinden Die Bilanz eines Sommertages Carolina Forstner über das Wahlergebnis FACTUM Alles, was man über das Thema Grenze wissen muss Eine Grenze als Tor zur Welt Ein Reisebericht

UNI & LEBEN

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Neues aus dem Vorsitzbüro

Warum ich mir das alles antue Ein ÖH-Neuling über ihre Arbeit Sommeruni – Ein Pilotprojekt wird zum Überflieger Sommeruni? Sommerunsinn! Warum der Cluster Mitte scheiße ist Eine Kritik an den Plänen des Rektorats ÖH-Unterstützungen für Studierende So bekommt Ihr Geld von der ÖH Die Studienplan-Umstellung Die Revolution der Curricula?

Nachgehakt: Mülltrennung im Unipark Die Bildungsökonomisierung Konzept, Umsetzung und Versagen? VER/SUS Theologie als Wissenschaft?

Digitalisierung im Studium – Studium und Uni fit machen für das 21. Jahrhundert


INHALT

POLITIK & GESELLSCHAFT

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Nothing tastes as good as skinny feels Eine Essgestörte bricht Tabus Schlecht, schlechter, Geschlechter? Ivana Ristic über die Gender-Frage Generation NO Ein Kommentar gegen alles Wenn die Prostituierte neben dir auf den Boden spuckt Frohes Fußballfest und einen guten Rutsch! Ein Ausblick auf die Fußball WM 2022

„Im Prinzip ist es so, als würde man einen Freund mehr haben“ Wie man Flüchtlingen helfen kann

KULTUR & MENSCHEN

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Watschen, Unfälle und nackte Stars Sommerjobs bei den Salzburger Festspielen Kurt Willvonseder Eine Buchbesprechung Mittelstadtklima Eine Kurzgeschichte von Claudia Kraml Gedichte Eingereicht von Christina Schneider #TIFMYS Interview mit einer Instagrammerin

Zeitmaschine

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GRENZEN: WER HAT ANGST Kontrovers, mit Ekel behaftet oder einfach nur interessant: Bei Ausstellungen, bei denen das Innerste von Toten gezeigt wird, scheiden sich die Geister. Überschreitet man hier Grenzen oder geht es um künstlerische Freiheit? Von Marie Schulz

Ich betrete eine unscheinbare Halle, an der nur das Hinweisschild „Körper-Ausstellung“ darauf hinweist, dass ich hier richtig bin. Ein schwarzer Samtvorhang trennt mich von den Ausstellungsstücken, auf die ich so gespannt bin. Leichen. Echte tote Menschen werde ich gleich sehen. Noch bin ich zwiegespalten. Schließlich hört man von Menschen, die bereits in solchen Ausstellungen waren, meist recht Unterschiedliches. „Das geht gar nicht, gehäutete, tote Menschen beim Sex oder beim Pokerspielen auszustellen! Das würde doch mit Plastik-Attrappen genauso gut gehen, da geht’s nur um Sensationslust!“, meint ein Freund, der in Wien die Ausstellung „Körperwelten“ besucht hat. „Außerdem haben die angeblich mal Leichen ohne Einwilligung einfach verwendet!“, erzählt er mir weiter. Eine Freundin ist hier anderer Meinung: Sie war hellauf begeistert von ihrem Besuch in München: „Das war wirklich cool. Man hat verschiedene Erkrankungen wie Krebs mal aus der Nähe und im Körper anschauen können. Und Sportler, quasi in Action, waren auch ausgestellt. Also ich fand das wahnsinnig interessant zu sehen.“ Jetzt bin ich aber hier, um mir mein eigenes Bild zu machen. Ich lasse den schwarzen Vorhang hinter mir und trete in den Ausstellungssaal ein. Von 25. bis 29. Mai konnte man in der BauAkademie in Salzburg über 200 Leichenteile bestaunen. Das Ziel – so der Veranstalter – ist es, anatomisches Wissen an interessierte Besucher weiterzugeben. Was die ausgestellten Körper von denen aus den Biologie-Lehrbüchern unterscheidet: es handelt sich bei allen Ausstellungsstücken um echte konservierte, menschliche Körper, Organe und Moulagen. Diese werden in die unterschiedlichsten Posen gebracht, um den Besuchern einen Einblick in die menschliche Anatomie zu geben. Die Toten, die eine solche Ausstellung erst möglich machen, werden dabei von einem amerikanischen Hersteller für medizinische Präparate geliehen – und nach Ende der Ausstellung auch wieder zurückgegeben. Ausstellungsaal. Ich möchte mich gerne korrigieren: Ausstellungszimmer trifft es definitiv besser. Ich stehe in einem etwa 35 Quadratmeter großen Raum und frage mich irgendwie, ob das denn nun schon alles ist; schließlich war doch von 200 Exponaten die Rede. Ein Blick nach links verrät mir, wie diese Zahl zustande gekommen ist: In einer

Vitrine liegt ein Mann, von Kopf bis Fuß in etwa zwei Zentimeter große Tranchen geschnitten. Hier befinden sich also schon mal die ersten 50 Ausstellungsstücke. Die Darstellung von menschlichen Leichen hat eine lange Tradition. So hat Begründer, der Anatom Gunther von Hagens bereits vor 20 Jahren seine erste Ausstellung in Mannheim eröffnet. Weitere Ausstellungen folgten. In Mannheim wurden 800.000 BesucherInnen angelockt, bei der ersten Ausstellung in Wien waren es 550.000. Wegen des großen Erfolges wurde im Februar 2015 die erste Dauerausstellung in Berlin eröffnet. Diese wurde zuerst vom Bezirk Berlin Mitte untersagt, weil sie angeblich dem Berliner Totengesetz wiederspreche. Das wurde jedoch vom Berliner Veraltungsgericht dementiert – seit knapp anderthalb Jahren ist die Ausstellung nun eröffnet und gut besucht. Die Art der Konservierung der Leichen ist an ein kompliziertes, von Körperwelten-Begründer Gunther von Hagenss entwickeltes Verfahren gebunden. Hier werden die menschliche Gewebeflüssigkeit, das Fett und das Wasser vollständig durch Kunststoffe ersetzt. Je nach verwendetem Kunststoff sind die Präparate hart oder flexibel, transparent oder undurchsichtig. Laut Von Hagens sind die Präparate so bis zum mikroskopischen Bereich identisch mit ihrem Zustand vor der Konservierung – selbst mikroskopische Untersuchungen bleiben so weiterhin möglich. Um etwaige Reaktionen von Angehörigen von Spendern zu vermeiden, werden die Leichen anonymisiert, indem meistens die Gesichtshaut abgetrennt wird. Von Hagens beteuert immer wieder, die Identität und die Herkunft jedes seiner Exponate zu kennen und auszuwählen – und doch ist er schon mehr als einmal in Verruf geraten. So wurde ihm im Jahr 2004 vom Magazin Der Spiegel vorgeworfen, er hätte für eine seiner Ausstellungen chinesische Hinrichtungsopfer verwendet; außerdem soll er Leichen ausgestellt haben, deren Herkunft vollkommen unklar war. Nachgewiesen werden konnte Von Hagens nichts – er erwirkte 2004 sogar eine Unterlassungserklärung für den Spiegel. Die schlechte Nachrede blieb jedoch. Zurück ins Ausstellungszimmer: Nach erster Enttäuschung freue ich mich trotzdem über das Erlebnis und


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VORM TOTEN MANN?

gehe von Schaukasten zu Schaukasten. Füße, Hände, Geschlechtsteile, Föten, Babys, Haut und Organe sind ausgestellt und genau beschildert. Die letzten Reste des Biologieunterrichts aus der siebten Klasse fallen mir wieder ein; ich erinnere mich an Arterien und Knochennamen. Man kann sagen was man will, aber es ist doch sehr interessant, einen Menschen so von innen zu sehen. Spektakulär ist jedoch anders. Unpassend finde ich zumindest hier auch nichts – nur hätte ich mir vielleicht für meine 15 Euro Eintritt etwas mehr erwartet. Mehr wovon? Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich mehr Sensation, mehr Ausstellungsstücke, mehr Skandal. Dass sich die Exponate optisch kaum von den Plastik-Nachbauten im Biologie-Unterricht entscheiden, spricht aber wahrscheinlich eher für

die Nachbauten und nicht gegen die Ausstellung. Jeder in dieser Ausstellung zu sehende Mensch musste bei Lebzeiten eine Einwilligung unterschreiben, dass sein Körper nach dem Ableben der Ausbildung von Medizinern sowie der Aufklärung von Laien zur Verfügung stehen soll. Ob es trotz Einwilligung notwendig ist, Leichen beim Pokerspielen oder in Sex-Posen auszustellen, bleibt umstritten. Bei der Verwendung von Plastikmodellen würden wahrscheinlich wiederum die Besucherzahlen rapide sinken. Nach 15 Minuten habe ich alle Tafeln gelesen und alle Ausstellungsstücke begutachtet. Taktlos oder geschmacklos war die Körper-Ausstellung in Salzburg nicht – höchstens harmlos und enttäuschend.

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Sind die Grenzen unseres Verstandes die Grenzen der Demokratie? Wieso dürfen geistig Schwerbehinderte wählen? Wieso dürfen geistig Leichtbehinderte wählen? Wieso dürfen Dschungelcamp-ZuseherInnen wählen? Wieso dürfen KoWi-StudentInnen wählen? Wieso dürfen Frauen während ihrer Menstruation wählen? Und überhaupt, wieso darf ich eigentlich wählen? Eine längst unterfällige Fragerei von Carlos P. Reinelt.

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ährend meines Zivildienstes mit aggressiven Menschen mit Behinderung habe ich vieles erlebt. Vieles: Autisten, die Betreuerinnen zwischen die Beine griffen, einen Vater, der die behinderte Freundin seines Sohnes vergewaltigte, bis hin zu meinem Liebling Marko1, der mich jeden Morgen fragte: „Papa wo? Papa wo?“. Und wie ich mir immer neue Gebärden ausgedacht habe, um ihm klar zu machen, dass sein Papa leider nie wieder kommen wird. Aber eines der schlimmsten Dinge habe ich am 20.01.2013 erlebt. Der Tag, an dem über die Zukunft der Wehrpflicht in Österreich abgestimmt wurde. Maria2, die mich mehrmals ordentlich verprügelt hatte und einmal einen Mitbewohner abstechen wollte, war abgesehen von ihren Aggressionsstörungen ein liebes Mädchen. Von einer 30-Jährigen als „Mädchen“ zu schreiben, hat hier schon seine Berechtigung, war sie doch im Kopf nicht reifer als eine Vorschülerin. Nun gut, der langen Rede kurzer Sinn: Sie wurde von ihren Eltern abgeholt, die ihr davor in ein paar Übungsläufen gezeigt hatten, wo sie wie das Kreuzerl zu machen habe. Bevor das Anti-Peter-Singer-Komitee mir jetzt vorwirft, ich wolle den Menschen mit Behinderung das Wahlrecht absprechen, sei gesagt: Ja, will ich. Und allen anderen auch. Maria war nicht einmal dazu fähig, ihr Frühstück selbst auszuwählen, durfte aber über die Zukunft von Millionen

© clement127 via Foter.com

Menschen mitbestimmen. Natürlich könnte man das ihren Eltern ankreiden. Sagen, die hätten ihr Wahlrecht missbraucht. Aber: Diese wählten ja nur in Marias Sinne. Ohne Zivildiener müsste die Lebenshilfe ihre Pflegekräfte plötzlich bezahlen (Huch!). Den Eltern aufzubürden, sie sollen ihre Interessen zurückstecken und zugeben, ihre Tochter habe keine eigene ausgereifte Meinung, wäre naiv und realistisch unzumutbar. Dafür braucht es Gesetze. Gesetze, die sagen: Sorry Maria, du bist zu blöd zum Wählen. Lasst mich den Sachverhalt verdeutlichen. Mein kleiner Bruder Ruben ist zweieinhalb Jahre alt. Der kleine Blonde, sollte er nicht von einem Rottweiler in den Kopf gebissen werden oder Ähnliches, wird irgendwann kognitiv und intellektuell dazu in der Lage sein, politische Entscheidungen zu treffen. Heute nicht. Niemand würde heute dafür plädieren, ihm einen Wahlzettel in die Hand zu drücken. Jetzt lassen wir den Rottweiler aber doch mal tatsächlich von der Leine und ihn in Rubens Schädel beißen. Hier und da spritzt ein bisschen Blut und Hirn, man kennt das. Das hätte jetzt zwei Konsequenzen: Ich hätte einen Erbkonkurrenten weniger (Hurra!) und er könnte sich (vielleicht) geistig nicht mehr weiterentwickeln. Ruben würde im Kopf nie älter als zweieinhalb Jahre sein, aber irgendwann würde er wählen dürfen. Das stinkt doch. Wo wollen wir aber die Grenze ziehen? Wo sagen wir, der ist zu behindert, und die ist gerade so wenig behindert, dass sie


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noch wählen darf? Das wird schwer, das wird im Einzelfall vielleicht auch ungerecht sein und auf jeden Fall irgendwo willkürlich. Aber das ist die 16-Jahre-Grenze auch. Wie viele gebildete 14-Jährige gibt es denn, die politisch verantwortungsbewusster als so manch 50-jähriger Holzkopf sind? Ja, die Grenze ist manchmal unfair, dennoch brauchen wir sie. Aber überhaupt: Als ich letztens in Rauris in der Dorfdisko abgestiegen bin – okay, abgestürzt –, durfte ich die Bekanntschaft mit einem jungen Elektroniker-Lehrling machen. Auf Politik angesprochen, verriet er mir sofort seine Wahlentscheidung, und als ich ihn fragte, weshalb, kam ein „Deshalb“. Nach einem kurzen Gespräch fiel mir auf, er hatte sich offensichtlich nicht im Geringsten mit Politik beschäftigt, und bis auf die Gesichter auf den Plakaten mit ihren Zweizeilern kannte er absolut keine Inhalte der verschiedenen Kandidaten. Da habe ich mich dann schon gefragt: Was unterscheidet dich jetzt eigentlich von Maria und Ruben? Und wenn wir wirklich davon ausgehen, dass – wie im (alternativen) Mainstream gern behauptet wird – die meisten Menschen eh Deppen sind, wie können wir dann ernsthaft die Zukunft in unsere eigenen minderbemittelten Hände legen? Menschenmassen, die den Kardashians beim Kacken zugucken, entscheiden über Mindestlohn, Asyl, Krieg? Mas-

sen, die sich bewiesenermaßen von Werbung und allerlei ähnlichen Manipulationsmechanismen lenken lassen? Selbst an der Universität, wo man sich ja selbst gerne als Konglomerat der Kritisch-Wissenden sieht, kennen die Studierenden (und nicht selten auch die Lehrenden) kaum mehr von unserer politischen Landschaft als die Namen der SpitzenkandidatInnen der letzten Wahlen. Und natürlich ein Dutzend Phrasen, mit denen sie rechtfertigen, dass sie wählen, was sie eben wählen. Was unterscheidet die eigentlich von Maria, Ruben und Rauriser Dorfdiskogeher? Und überhaupt, was unterscheidet mich eigentlich von Maria, Ruben und Rauriser Dorfdiskogeher? Ja, eigentlich gar nicht so viel. Ich wähle, was ich eben wähle (natürlich dasselbe wie meine Eltern – sowie Maria) und habe ein Dutzend hoch drei Phrasen, mit denen ich rechtfertige, was ich wähle. Also wieso nicht gleich die Demokratie abschaffen? „Heil Hitler“ habe ich besoffen schon immer gerne durch die Straßen gebrüllt und diese Vierteltonarten, in denen man „Allahu Akbar“ singt, liegen meinen Stimmbändern auch ganz gut. Na, jetzt verliere ich mich schon wieder. Außerdem werde ich irgendwann Lehrer sein und wenn das der Elternverein in die Hände bekommt, kriege ich sicher massig Ärger. Also der versöhnliche Abschluss: Mit den Alternativen vor Augen, von der Monarchie bis zur Anarchie, scheint die Demokratie dann doch das Beste zu sein. Fuck.

© Bild: Manfred Werner

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Namen von der Redaktion geändert 1,2

Die Trackshittaz - mündige Wähler in Österreich.


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WOHIN WACHSEN WIR? Wachstum ist ein Prozess, den wir unser ganzes Leben lang aus den verschiedensten Perspektiven beobachten können. Die ÖH veranstaltet zu diesem Thema nächstes Semester eine Ringvorlesung. Ein Ausblick von Martina Winkler.

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achstum ist vielseitig. Wir erkennen Wachstum und Entwicklung an uns selbst, an unserer Familie, unseren Freunden, unserer Umwelt und schließlich in der Wirtschaft. Wachstum ist für uns ein stetiger Prozess, der zumeist positiv konnotiert ist, vor allem, wenn vom ökonomischen Kontext die Rede ist. Wirtschaft assoziiert man oft automatisch mit Wachstum. Aber kann Wirtschaft unendlich wachsen? In Zusammenhang mit solchen Angelegenheiten wird der Begriff Wachstum oft als Oxymoron eingesetzt, wenn von einem Minuswachstum und einem Bestreben hin zum sogenannten Nulldefizit gesprochen wird anstatt von einer Rezession oder gar einer Krise. Doch was passiert, wenn ein System am Ende des Wachstums angelangt ist? Oder: Kann Wachstum überhaupt ein Ende haben? Im kommenden Wintersemester 2016/17 wird vom Referat für Kultur, Gesellschaft und Menschenrechte der ÖH Salzburg wieder eine Ringvorlesung initiiert – dieses Mal unter dem Titel „Grenzen des Wachstums?“ Der Frage nach dem grenzenlosen Wachstum werden wir uns aus verschiedensten Perspektiven widmen, dabei die Faktoren berücksichtigend, die unsere Gesellschaft und unser Zusammenleben maßgeblich prägen. Diese Faktoren erschließen sich in erster Linie aus den Subsystemen Politik und Wirtschaft, (Neue) Medien sowie Natur und Umwelt. Dazu haben wir ExpertInnen aus den verschiedenen Disziplinen eingeladen. Gemäß dem Thema wollen wir und unsere Vortragenden ein Bewusstsein dafür schaffen, unter welchen politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen wir leben, wie diese von anderen Teilsystemen

wie etwa den Medien beeinflusst werden, in welchem Verhältnis wir zu unserer Umwelt stehen, wie sich unser gesellschaftliches Zusammenleben über die Jahre hinweg verändert hat und welche Ursachen diesem Wandel zugrunde liegen. Eine wichtige Rolle spielt auch die Zivilgesellschaft. Wie handlungsfähig sind wir in dem System, in dem wir leben und wie nehmen wir unsere Handlungsfähigkeit wahr? Welche Beziehungen pflegen wir zu Wirtschaft und Politik? Wie verantwortungsvoll gehen wir mit knappen Umweltgütern um? Wie hat sich das Verhältnis zwischen Umwelt und Mensch in den letzten Jahren verändert? Was passiert, wenn die natürlichen Ressourcen der Erde ausgeschöpft sind? Kann ein Wirtschaftssystem, das nur darauf ausgelegt ist, zu expandieren, (künstlich) am Leben erhalten werden? Gäbe es Alternativen? Die Fragen sind zahlreich, die man zu dieser Thematik stellen kann. Wir sind ständigen Veränderungen ausgesetzt: Seien es Veränderungen soziodemografischer Natur, wie etwa die Migrationskrise, die Europa seit nahezu einem Jahr auf die Probe stellt, oder Veränderungen klimatischer Natur, wie zum Beispiel die globale Erderwärmung. Wir hoffen, im Zuge unserer Ringvorlesung den Teilnehmenden zu vermitteln, wie sich unser gesellschaftliches Zusammenleben in den letzten Jahrzehnten verändert hat und stetig verändert und welche Faktoren verantwortlich für den sozialen, politischen und wirtschaftlichen Wandel sind. Schließlich versuchen wir, mehr oder weniger ernüchternde Antworten auf die oben gestellten Fragen zu finden.

Die Ringvorlesung findet im WS 2016/17 an der Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät im HS 380 immer am Donnerstag von 17-19 Uhr statt.


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Die Grenzen des Wachstums. Andreas Koch, Vortragender der Ring-Vorlesung, gibt einen Vorgeschmack auf einen der Inhalte der Ring-Vorlesung. Er ist am Fachbereich Geographie und Geologie tätig und arbeitet außerdem beim Zentrum für Ethik und Armutsforschung. Wer gilt in Österreich als arm, wer als reich? Wie viele Flüchtlinge und AsylwerberInnen kann Österreich aufnehmen? Will man Fragen wie diese beantworten, braucht es neben einem Raum- und Zeitbezug sowie einer inhaltlichen Definition und politischen Ideologie der verwendeten Begriffe auch einen Grenzwert. Grenzwerte lassen sich in dieser Hinsicht als Konvention verstehen, die auf gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen beruhen. Es sind soziale Konstruktionen, keine Naturkonstanten. Dies gilt für Obergrenzen der Aufnahme- oder Tragfähigkeit wie der Emissionsgrenzen zur Besteuerung von Fahrzeugen. Mit Grenzen und ihren Werten werden Urteile – also eine ganz anfängliche Teilung – getroffen, die durch die Setzung einer Unterscheidung zustande kommt: „Aller Anfang setzt eine Unterscheidung“ wie Konrad Paul Liessmann betont. Ihnen kommt somit eine notwendige, zugleich aber auch ambivalente Aufgabe zu. Denn mit der Setzung der Unterscheidung wird eine Dichotomie suggeriert, die scheinbar eindeutig zwischen arm und reich, aufnahmefähig und überlastet, gefahrlos und riskant zu trennen vermag. Dabei stellen wir uns die Grenze zumeist als klar fixierbare Linie vor, seltener als unscharfen Bereich. Diese Idee von Grenze hat jedoch in etlichen gesellschaftlichen Bereichen eine kritische Hinterfragung ihres Status Quo provoziert und mit dem Präfix „Trans“ ihren entsprechenden Ausdruck gefunden (wie zum Beispiel Transmigration, Transpersonalität, Transdisziplinarität). Globalisierung und technologischer Wandel haben zu einer Entgrenzung im körperlichen, zeitlichen und räumlichen Sinn geführt, und es mag kein Widerspruch sein, dass heute Begrenzung und Entgrenzung gleichermaßen als Verheißung zur Lösung gesellschaftlicher Probleme gesehen werden. Grenzenloses Wachstum als Paradigma der Moderne schien lange Zeit WachstumskritikerInnen eines Besseren zu belehren. Ob Geld und Vermögen, Wissen oder die Weltbevöl-

kerung – ihr Wachstum scheint unaufhaltsam. Und nicht nur das: Es wird auch zum großen Teil positiv beurteilt, wohingegen Schrumpfung mit Rückschritt gleichgesetzt wird. Der Akkumulationslogik des ökonomischen Kapitals folgend, wird das Matthäus-Prinzip (wer hat, dem wird gegeben) billigend verallgemeinert: wer bereits über Bildungsressourcen verfügt, tut sich leichter, weitere zu erwerben (kulturelles Kapital), wer bereits über gute Beziehungen verfügt, kann diese leichter erweitern (soziales Kapital), wie Hartmut Rosa kritisch anmerkt. Derartige positive Rückkopplungen des Wachstums zeigen sich auch in immer rascheren Innovationszyklen, die zu entsprechendem Konsumverhalten verleiten sollen. Die negativen Folgen dieser Entwicklungen liegen heute offen zutage. Soziale und ökonomische Ungleichheit haben trotz Wachstum weiter zugenommen (vernachlässigen wir hier einmal die vergleichsweise kurze Epoche der 1950er bis 1980er Jahre), Verteilungskonflikte werden aggressiver geführt, Zugangschancen restriktiver reglementiert (wer nicht hat, dem wird auch nicht gegeben). Es zeigt sich also deutlich, dass auch ein grenzenloses Wachstum nicht ohne Grenzen auskommt. Wie lassen sich aber, 30 Jahre nach Tschernobyl und fünf Jahre nach Fukushima, Grenzen im Wachstum verhandeln (um nur einen Zusammenhang zum vermeintlich grenzenlosen Wachstum, dem des Energiekonsums, herzustellen)? Verfügen ökologische und ethisch-normative Grenzsetzungen über ein rationales und emotionales Korrektiv, das die Verlockungen des Wachstums zu entzaubern hilft? Können Ideen der Suffizienz oder des bedingungslosen Grundeinkommens helfen, eine Debatte über die Grenzen des Wachstums voranzubringen? Diesen und weiteren Fragen geht die Ringvorlesung „Grenzen des Wachstums“ im kommenden Wintersemester nach.


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MIT EINEM COMPUTERSPIEL GRENZEN ÜBERWINDEN Ein Computerspiel erforscht die Ursachen von Flucht, die Verflechtungen zwischen Afrika und Europa und was Smartphones damit zu tun haben. Von Christoph Mödlhamer

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omputerspiele verherrlichen Gewalt und machen süchtig: Das sind mehr oder weniger fundierte Kritikpunkte, die oft in Diskussionen um Videospiele geäußert werden. Computerspiele können aber auch anders – beispielsweise ernste Themen vermitteln. Das dokumentarische Spiel From Darkness führt nach Ostafrika in einen Slum in Kenias Hauptstadt Nairobi, wo sich Geflüchtete aus dem Kongo befinden. Die Spielenden schlüpfen in die Rolle einer Mutter, die sich auf die Suche nach ihrer verschwundenen Tochter, einer Journalistin, begibt. In Rollenspielmanier erkundet man die Umgebung, tritt mit Leuten in Kontakt, recherchiert und hofft so, auf die richtige Spur zu kommen. Im Zuge dessen wird man mit einer Vielzahl an Lebensrealitäten der Bevölkerung konfrontiert: Flüchtlinge, Mitglieder von Hilfsorganisationen, ArbeiterInnen und andere schildern ihren Alltag und ihre Schicksale zwischen Verzweiflung und Hoffnung. Diese Vielzahl an Geschichten zeigt, dass es nicht „die eine“ Ursache für Flucht gibt und regt an, sich selbst Gedanken über Konflikt, Flucht und Ausbeutung zu machen.

Das Thema Flucht und Migration beschäftige die MacherInnen schon seit zehn Jahren, erzählt Tobias Hammerle, einer der Köpfe hinter dem Spiel. Während der Recherchen für andere Projekte entstand die Idee, ein Bild davon zu vermitteln, „wie afrikanische Länder selbst mit Flüchtlingen umgehen und um Punkte wie Ressourcenkriege, Fluchtursachen und das Phänomen der ‚urban refugees‘ zu thematisieren.“ Der Kampf um Ressourcen, wie etwa Seltene Erden, ist ein Grund für Vertreibung. Jene finden sich etwa in Computern und Smartphones wieder. In Europa besitzt nahezu jedeR ein Smartphone oder einen Laptop. Ein Problembewusstsein, woher die Stoffe kommen, wie sie abgebaut werden und was das für die Bevölkerung bedeutet, besteht hingegen kaum. Um diese Missstände zu thematisieren, wählten die MacherInnen bewusst einen Rohstoff, den ihr Medium benötigt und der die komplexe Verbindung zwischen Europa und dem Kongo als ein Abbaugebiet aufzeigt. Dafür waren intensive Recherchen notwendig: „Auf einer sechswöchigen Reise nach Kenia und Uganda haben wir 60 Interviews mit Flüchtlingen, NGO-, UNO-ArbeiterInnen und SlumbewohnerInnen geführt und auf 45 Stunden Videomaterial viele Erfahrungen gesammelt“, sagt Hammerle. Die Ergebnisse fanden direkt Einzug ins Spiel. Bei ihrer Recherche wurde das Team von der lokalen Bevölkerung positiv aufgenommen, denn „die InterviewpartnerInnen waren froh, dass sich überhaupt jemand für ihre teils erschütternden, aber auch Mut machenden Geschichten interessiert“, führt Hammerle aus.


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© Bild :Gold Extra

Kibera, ein Slum im Südwesten der kenianischen Hauptstadt Nairobi

Computerspiele und ernste Themen – ein Widerspruch? From Darkness ist mehr als ein Spiel. Es fällt in die Kategorie der Serious Games. Diese zeichnen sich durch ihren über den reinen Unterhaltungszweck konventioneller Spiele hinausgehenden Nutzen aus. Sie wollen Information vermitteln und Menschen bilden. Auch das Design von From Darkness unterscheidet sich von herkömmlichen Spielen. Tobias Hammerle bezeichnet es als eine interaktive Dokumentation – ein eigenes Genre, da „die Bezeichnung Computerspiel zwar nicht falsch wäre, aber falsche Erwartungen wecken könnte, wenn man es mit den komplexen Interaktionsmöglichkeiten in Adventures oder mit dem rasanten Gameplay von Arcade-Spielen vergleicht“. Beides gibt es hier nur eingeschränkt: Das spielerische Element steht im Hintergrund. „Die Interaktivität und das sich Hineinversetzen in die Orte in From Darkness, geben den SpielerInnen die Möglichkeit, das dokumentarische Material selbst zu erfahren, anstatt es sich einfach nur passiv anzusehen“. From Darkness lässt sich somit als Schnittstelle zwischen Dokumentation und Computerspiel begreifen. Spiele wie diese, die sich ernsten Themen annehmen, werden zusehends beliebter. Internationale Organisationen wie Greenpeace oder die UNO gaben bereits Serious Games in Auftrag. Der Clou liegt am direkten Erfahren ernster Themen in

Spielsituationen. Laut Hammerle führt das dazu, dass „man später, wenn man wieder etwas über diese Thematik in den Nachrichten hört, einen anderen Bezug dazu hat.“ Damit erhält man eine differenziertere Perspektive. Genau darum geht es den MacherInnen: Durch das Erfahren von Flucht, Gewalt und Ausbeutung aus Sicht der Betroffenen wird Empathie erzeugt und das Problembewusstsein gesteigert. Dafür bietet sich das Medium Computerspiel eindeutig an, denn „wenn etwas auf Millionen Menschen eine ungeheure Faszination ausübt, bietet das auch ein ungeheures Potential für positive Inhalte und das sollte doch auch genutzt werden“, meint Tobias Hammerle. Salzburger Kunstkollektiv lässt aufhorchen Geschaffen wurde From Darkness von der KünstlerInnengruppe gold extra, die sich bereits mit dem Spiel Frontiers einen Namen machte. Das 2012 fertiggestellte Frontiers beschäftigt sich ebenfalls mit Grenzen. Es thematisiert Migration in die „Festung Europa“ und erscheint im Angesicht der gegenwärtigen Flüchtlingssituation aktueller denn je. Im Spiel nimmt man abwechselnd die Rolle von afrikanischen Flüchtlingen und europäischen Grenzwachebeamten ein. Ziel der Flüchtlinge ist es, in die EU zu gelangen. Die Grenzpolizisten müssen sie daran hindern und verhaften. Im Spiel gibt es zwei Fluchtrouten:

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Die erste führt von Nordafrika über das Mittelmeer auf spanisches Gebiet. Die zweite führt vom Irak über die Türkei und weiter in die Ukraine zur slowakischen Grenze. Ziel beider Routen ist Rotterdam, von wo aus Flüchtlinge unbemerkt ein Schiff Richtung Großbritannien besteigen sollen. Genauso wie in der Realität können die Grenzwächter Waffen einsetzen, um die Flüchtenden zu stoppen. Waffengebrauch wird im Spiel durch Punkteabzug sanktioniert, denn es schadet dem Ansehen des Landes und schlägt sich im Human Rights Index nieder. Im Spielverlauf erhält man laufend Informationen von Non-Player Characters, also computergesteuerten Figuren, über die Schicksale der Flüchtlinge, ihre Motive, die Zustände in den Lagern und den Alltag der Grenzschützer. Technisch handelt es sich um eine Mo-

difikation des Multiplayer-Klassikers Half-Life 2: Frontiers wird im LAN oder online gespielt. Der Entwicklung des Spiels gingen ebenfalls intensive Recherchen in den betroffenen Gebieten voraus. Dazu bereisten die SchöpferInnen neuralgische Punkte, wie etwa die ukrainisch-slowakische Grenzregion oder die spanischen Exklaven Ceuta und Melilla, um sich ein Bild über die Zustände auf beiden Seiten zu verschaffen. Frontiers ist bereits als Half-Life 2-Mod spielbar – jedoch nur mehr im LAN bzw. Netzwerk, aufgrund mangelndem Steam-Support. From Darkness soll im Herbst 2016 erscheinen. Schon jetzt lädt eine Demoversion nach Ostafrika dazu ein, die Missstände der Ausbeutung, die damit einhergehende Gewalt sowie die Hoffnung und Träume der Bevölkerung zu erleben.

Links: www.goldextra.com/de/ from-darkness. Für Feedback und Betatest-Version: Email an tob.ham@goldextra.com www.frontiers-game.com Sole City: erstes dokumentarisches Casual Game für Smartphones, mit Beteiligung von gold extra


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DIE BILANZ EINES SOMMERTAGES Dieser Artikel kommt zu spät, um Wahlergebnisse zu kommentieren. Ich schreibe ihn dennoch und sitze aufgewühlt an meinem Laptop – nicht über die Bundespräsidentenwahl zermartere ich mir seit Stunden das Gehirn, die spielt nur eine Randmelodie. Meine Gedanken drehen sich um globale Themen. Ein wahres Orchester drängt sich in meinen Kopf immer lauter in den Vordergrund und muss nun einfach mal heraus. Eine Analyse von Carolina Forstner

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s liegt etwas in der Luft, und damit meine ich nicht das Sommer-, Sonne-, Freibad-Feeling, das bei 28 Grad Außentemperatur herrscht. Es ist Anspannung, Angst und Nervosität, denn schließlich ist heute der 22. Mai 2016, also der Entscheidungstag um den Einzug in die Hofburg. Dass es „arschknapp“ werden würde, wie der ORF-Moderator Tarek Leitner in der ersten Hochrechnung kommentierte, war mir, als ich den Unipark betrat, noch nicht klar. Auch hier stand alles im Zeichen des Wahltags: Auf den großen Projektionsleinwänden des Thomas-Bernhard-Hörsaales wurde ein Livestream der ORF-Sonderwahlsendung übertragen; ein nervöses Raunen ging durch den gefüllten Raum. Warum ich an einem Sonntag im Unipark war? Ein Public Talk mit dem Journalisten Karim El-Gawhary, der Präsidentin von Ärzte ohne Grenzen Margaretha Maleh und dem syrischen Arzt Mustafa Maalbawi, der aus seiner Heimat fliehen musste, hatte mein Interesse geweckt. Diskutiert wurde über das allgegenwärtige Thema Flucht, das nicht wenige WählerInnen an diesem hochsommerlichen Sonntag zu einer bewussten Kreuzchenvergabe im Wahllokal bewog. Der syrische Arzt Mustafa Maalbawi erzählte in einem Vortrag, wie er in seiner Heimat mit allen Mitteln versuchte, regimekritische Demonstrationsopfer medizinisch zu versorgen, um schließlich selbst zu erkennen, dass er fliehen muss, wenn er überleben möchte. Scheinbar emotionslos erzählt er von seiner Odyssee über das Mittelmeer und wie es sich anfühlt, in einem Fischerboot mit 200 Personen zu sitzen, das eigentlich für 50 Personen konzipiert ist. Er beschreibt auch, wie sie Salzwasser aus den tosenden Wellen des Mittelmeeres schöpften und dieses mit im Boot lagerndem Zucker irgendwie trinkbar gemacht haben. Er war einer von 27 Überlebenden des alten Fischkutters, der von den italienischen Küstenbehörden aus dem Mittelmeer gezogen wurde. Hinter uns ploppen auf dem Bildschirm die nächsten Ergebnisse der Hochrechnung auf, blaue und grüne Balken, die in die Höhe rasen. Der Livestream läuft ohne Ton, um den Vortrag nicht zu stören; den VeranstalterInnen des Abends ist aber klar, dass die Ergebnis-

se dieser Bundespräsidentenwahl für die Anwesenden zu wichtig sind, als dass man sie ausblenden könnte. El-Gawhary zitiert in seinem Vortrag den UN-Generalsekretär Ban Ki Moon: „Es ist eine Krise der Solidarität, nicht eine Krise der Zahl.“ Solidaridät, Empathie, emotionales Einfühlungsvermögen für Menschen in Notsituationen. Ein stummer H.C. Strache wettert über den Bildschirm; sein Auftreten wirkt tonlos fast noch bedrohlicher. Margaretha Maleh erzählt über kenianische Flüchtlingslager, die jenseits unseres medialen Berichterstattungsradars liegen. Asyl ist Menschenrecht. Hinter uns tauchen Bilder von jubelnden FPÖ-AnhängerInnen mit Österreich-Flaggen in den Händen auf; die Haus-und Hofband der Freiheitlichen, die John-Otti-Band, feiert geräuschlos ihren Norbert. „Hand hoch. Wer von Ihnen hat sich seinen Geburtsort ausgesucht?“, fragt Karim El-Gawhary in den Raum hinein. „Österreich!“, formen die Münder der tonlosen FahnenschwenkerInnen vor uns auf den Leinwänden. Wir-Gegen-Böse-Nazis versus kompromissbereite Volkspädagogik. „Ich habe Angst, dass diese Leute meinen Arbeitsplatz wegnehmen!“ hört man oft. Dieses Argument als Legitimationssatz und Endpunkt jeder Diskussion ist unhaltbar, weil ich nicht beweisen kann, dass mein Gegenüber keine Angst hat. „Warum heißt es eigentlich immer, man müsse alle Befürchtungen und Sorgen der Leute ernst nehmen?“, fragt der österreichische Autor Clemens Setz in einem Artikel der ZEIT Online. Mustafa Maalbawi hatte sieben Kollegen, mit denen er in Syrien zusammengearbeitet hat. Drei sind tot, vier sind nach Europa geflohen. Humanitäre und völkerrechtliche Verpflichtungen Europas auf der einen Seite, eifrige Grenzzaunbauer auf der anderen. „Ich glaube, Menschen, die aufgrund ihrer Angst wählen, wählen in Wahrheit nicht den Trost, sondern sie wählen ein Szenario, in dem ihre Angst bestehen bleiben darf. Sie haben ja bereits viel in sie investiert. Angst will überleben, um jeden Preis“, schreibt Setz. Sollen wir versuchen, Ängste, die rassistisch und demokratiefeindlich sind, verstehen zu wollen?

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GRENZEN

fac tum

Obergrenzen, staatliche Grenzen, geographische Grenzen, rechtliche Grenzen aber auch moralische und persönliche Grenzen. Der Mensch kennt viele Grenzen. Einige davon sind naturgegeben, das Gros der Grenzen jedoch ist ein menschliches Artefakt. Das Wort selbst, stammt aus dem Altpolnischen. Der ursprüngliche Begriff „granica“ bedeutete Rand eines Raumes und beschreibt eine Demarkationslinie bzw. Trennlinie. Die Bedeutung von “Grenzen” ist bis heute geblieben, sollen sie doch etwas abtrennen bzw. unterscheidbar machen. Hier einige mehr oder weniger interessante, kuriose und wichtige Fakten zum Thema Grenzen, zusammengestellt von der Redaktion.

Die Grenzen des Guten Geschmacks Wo liegt die Grenze zwischen flüssigem und hartgekochtem Frühstücksei. Hier die hard-facts: Das 3 ½-Minuten Ei: Flüssiges Eigelb und teils flüssiges Eiweiß. Das 5 -Minuten Ei: Weiches Eigelb und leicht weiches Eiweiß Das 7-Minuten Ei: Wachsweiches Eigelb und festes Eiweiß Das 9-Minuten Ei: Mittelhartes, cremiges Eigelb und festes Eiweiß Das 11-Minuten Ei: Festes, krümeliges Eigelb und festes Eiweiß Achtung: Je nach Größe der Eier können die Kochzeiten natürlich variieren! Eine schwammige Gesetzesregelung umgibt die Namensgebung für Kinder in Österreich. Laut Gesetz regeln die StandesbeamtInnen ob ein Vorname genehmigt wird oder nicht. Hierbei gilt es zu beachten, dass die gewählten Vornamen dem Geschlecht des Kindes nicht widersprechen, nicht als gebräuchliche Bezeichnung für einen Vornamen gelten, oder dem Wohl des Kindes abträglich sind. Der Fantasie der NamensgeberInnen sind also kaum Grenzen gesetzt. Hier unsere persönlichen Top 6 der mutigsten Vornamen Österreichs: Ben Hur Destiny Edelweiß Michelangelo Börni-Giovanni Solarfried (Atomfried wurde übrigens abgelehnt)

© Bild: Bernd Haynold CC-BY 2.5

Musiktipp: Edelweiss - Bring Me Edelweiss


GRENZEN

Historische Grenzen Grenzzäune sind keine Erfindung von Johanna Mikl-Leitner, nein, die Chinesen sind der österreichischen Politik um Äonen voraus. Hinsichtlich Volumen und Masse gilt die Chinesische Mauer als das größte Bauwerk der Welt. Sie ist eine historische Grenzbefestigung, die das chinesische Kaiserreich vor nomadischen Reitervölkern schützen sollte. Der Bau des massiven Mauerwerks wurde im 7. Jahrhundert v. Chr. begonnen. Sie erstreckt über 21.196,18 Kilometer und umfasst 43.721 Einzelobjekte und Standorte. Und nein: Man kann die Chinesische Mauer nicht mit bloßem Auge vom Weltraum aus betrachten. Die Distanz Erde–Mond beträgt etwa 380.000 km. Das Bauwerk vom Mond aus zu sehen, wäre unmöglich. Historische Grenzen leben oftmals in unseren Köpfen weiter. Nicht nur in unseren, sondern auch in denen von Tieren. So vermeidet es eine Rotwildart in Deutschland immer noch tunlichst, die Grenzlinien des ehemaligen Eisernen Vorhangs zu übertreten, die einst Westdeutschland von der Tschechoslowakei trennten. Und das, obwohl diese Grenze seit mehr als 25 Jahren nicht mehr existiert und Elektrozäune sowie schwer bewaffnete Grenzschützer längst verschwunden sind.

Rechtliche Grenzen Alkoholkonsumbestimmungen sind in Österreich Ländersache. Die einzelnen Bundesländer legen die Grenzen fest. Am liberalsten geht es im rot-blauen Burgenland zu: Hier darf ab dem vollendeten 16. Lebensjahr zu Spirituosen gegriffen werden, während in Rest-Österreich der Konsum von Wodka, Whiskey und Co. erst ab 18 vom Gesetzgeber erlaubt ist. Leichte alkoholische Getränke, wie Bier und Wein, dürfen österreichweit ab 16 Jahren konsumiert werden. Vor dem Gesetz ist Sex mit unter 14-Jährigen in Österreich verboten, außer der/die PartnerIn ist selbst unter 14. Mit einer Ausnahme: Ein/e PartnerIn ist 13 Jahre alt und der/ die andere darf dann, für einvernehmlichen sexuellen Kontakt maximal drei Jahre älter sein. Übrigens gilt diese Regelung für homosexuelle Menschen erst seit 2003, indem - angeregt durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, der die Ungleichbehandlung kritisiert - die Schutzaltergrenze für homosexuelle Männer von 18 auf ebenfalls 14 gesenkt wurde. Im Vatikanstaat liegt diese Schutzaltergrenze unabhängig von Geschlecht und sexueller Orientierung bei 18 Jahren - es sei denn, die sexuellen Handlungen werden im Rahmen einer Ehe vollzogen, versteht sich.

Geografische Grenzen

© Bild: Carolyn Cuskey by Flickr

Die amerikanisch-kanadische Grenze.

Die Firma Golden State Fence Company, die den Grenzzaun zwischen Mexiko und den USA gebaut hat, musste 2006 fünf Millionen US-Dollar Strafe zahlen. Grund dafür: Sie beschäftigten illegale Einwanderer aus Mexiko als Arbeitskräfte. Der Rechtsanwalt der Firma merkte an, dass dieser Fall zeige, dass vor allem Baufirmen ein funktionierendes Gastarbeiter-Programm benötigen. Die Grenze im Norden, zwischen den USA und Kanada ist die längste Grenze ohne militärische Bewachung der Welt. Sie ist 8.891 Kilometer lang und besteht aus einem zirka sechs Meter breiten, von Bäumen gerodeten Korridor. Die mit nur 85 Metern kürzeste Landgrenze verläuft zwischen Marokko und der spanischen Exklave Peñón de Vélez de la Gomera.

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GRENZEN

Eine Grenze als Tor zur Welt Ein schiefer Blick eines Beamten, ein Stempel im Pass. Wer reist, überwindet im Normalfall Grenzen. Doch es müssen nicht nur Visaaufkleber oder andere Marken in den Reisedokumenten sein, die ein Grenzübertritt mit sich bringt – in Erinnerung bleiben die neuen Erfahrungen. Von Werner Müller-Schell Bild: Werner Müller-Schell

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in kleines Grenzhäuschen mit einem wackelig zusammengezimmerten Holztisch. Mühsam erhebt sich der Grenzbeamte von seinem Schattenplatz neben der Hütte. Das Blättern im Reisepass dauert etwas, dann gibt es die Erlaubnis zur Ausreise. Das laute Geräusch eines Bürokratenstempels, Worte fallen nicht. Erst am Ende ringt sich der Polizist ein „Good Bye“ über die Lippen und deutet auf die nur wenige Meter von der kleinen Kontrollhütte entfernte Schranke. Deren Farbe ist abgewetzt; der hölzerne Schlagbaum mit den Metallscharnieren knarzt beim Öffnen. Die grimmige Mine des Grenzers zum Abschied verändert sich auch nicht, als sich dieser wieder zurück auf seinen Sitz im Schatten begibt, um sein Nickerchen an diesem ruhigen Sonntagnachmittag fortzusetzen. Dann beginnt die Reise: zu Fuß über die Victoria Falls Bridge – eine der beeindruckendsten Landesgrenzen der Welt. Die Victoriafälle sind ein breiter Wasserfall des Sambesi zwischen den Grenzstädten Victoria Falls in Simbabwe und Livingstone in Sambia. 1855 vom Engländer David Livingstone entdeckt, gehören sie seit 1989 zum Weltnaturerbe der UNESCO. Über 100 Meter weit stürzt der Wasserfall in die Tiefe; die Gischt ist schon von weitem als große weiße Wolke zu sehen – eines der überwältigendsten Naturschauspiele in Afrika. Zehntausende kommen jedes Jahr hierher. Die Victoria Falls Bridge gibt es seit 1905: ein metallener Rundbogen mit einer schmalen Straße und Eisenbahnschienen. Sie ist eine der wenigen Verbindungen

zwischen Sambia und Simbabwe – umso größer ihre Bedeutung für die in der Region verkehrenden Menschen. Grenzbeamte und Händler aus der Gegend, Einheimische und Reisende aus der ganzen Welt, hier kommen alle zusammen. „Taxi, Taxi“, ruft einer der Locals am Beginn der Brücke und überquert im gleichen Atemzug mit hastigen Schritten die schmale Straße. „I’m Chanda, I can make you a good price.“ Sein Bruder, erklärt Chanda schnell, besitzt ein Taxi, mit dem er Reisende regelmäßig von der Grenze ins etwa zehn Kilometer entfernte Livingstone bringt. Er wirbt auf der Brücke um die KlientInnen, der Bruder fährt – ein gängiges Geschäftsmodell in der vom Tourismus lebenden Region. „He is waiting behind the border, it’s not far away“, erklärt er und deutet auf die andere Uferseite. „Maybe five minutes“ seien es – „African time“, lacht er und beginnt den Spaziergang über die mächtige Metallbrücke mit dem üblichen Smalltalk. „What are you doing here, where are you from?“ Aus dem anfänglichen „I like German soccer, Schweinsteiger, Muller“ wird allerdings bald mehr: Chanda erzählt aus seinem Leben und von seinen Erfahrungen hier an der Grenze. Er berichtet vom Daily Life in Sambia, von den täglichen Problemen, von Benzinknappheit, Armut, aber auch von dem Glück, dank des nahen Naturwunders der Victoriafälle eine Arbeit zu haben, und der Hoffnung „that everything gets better soon“. Er humpelt, eine alte Verletzung, die er sich als Kind zugezogen hat.


GRENZEN

Grenzen schaffen Begegnungen „If you wanna take a picture, take your time“, sagt Chanda freundlich. Eine Grenze wie die Victoria Falls zu Fuß zu überqueren, erlebt man eben auch als Reisender nicht alle Tage. Er kennt das von seinen KlientInnen; für den Sambier sind die Wasserfälle das tägliche Brot: „Yes, it’s true. They help me to make a living“, sagt er und grüßt charmant die vereinzelt von der anderen Flussseite herüber kommenden PassantInnen: Einheimische mit – im Vergleich zu Simbabwe – in Sambia günstig erstandenen Waren, Reisende mit riesigen Backpacks. Letztere zumeist mit Selfiesticks, Smartphones und Kameras ausgerüstet. Eine Gruppe amerikanischer Backpacker fragt Chanda nach den Modalitäten an der Grenze in Simbabwe. Bereitwillig gibt er Auskunft. Er kennt sich hier aus. „I’m here everyday, everyday“, sagt er. Die Gespräche mit anderen Reisenden gehören zum Alltag. „I meet many people. People from everywhere around the world.“ Bei einem Fotostopp gibt er trotz des tosenden Wasserfallgeräusches eine kurze Erklärung über die Geschichte des Naturspektakels: „That’s my service“, grinst er. Etwa 50 Meter sei die Schlucht breit und 110 Meter tief. Der etwa ein Kilometer lange Fußmarsch liegt an der weiten Distanz zwischen den Grenzhäuschen von Simbabwe und Sambia. Ein Niemandsland, wie es an vielen Landesgrenzen dieser Welt vorkommt. Für den Taxihelfer ist das „no-man’s-land“ an den Victoriafällen allerdings nicht nur

ein weißer Fleck auf der Landkarte, sondern so etwas wie das Tor zur Welt: Interessiert lauscht er den Geschichten seiner KlientInnen und löchert sie mit Fragen. „I talk to so many people from different countries – sometimes it feels like I’ve been there already”, lacht er und zählt einige deutsche Städte auf, die man in Sambia nicht sofort kennen müsste. „Hannover, Nurnberg, Wurzburg.“ In Wahrheit war Chanda allerdings noch nie außerhalb von Sambia oder Simbabwe unterwegs. „It’s too expensive, way too expensive.“ Auf der anderen Flussseite angekommen, sucht er im Getümmel seinen Bruder. Zahlreiche Taxifahrer warten auf neue KlientInnen und werben mit entsprechenden Angeboten. Das Geschäft mit dem Tourismus blüht. Als er seinen Bruder gefunden hat, wird der bereits während des Fußwegs besiegelte Deal schnell bestätigt. Chanda wartet trotzdem, bis der Backpack im Kofferraum des Taxis verstaut ist – sein Business. „Good luck“, zwinkert er zum Abschied, ehe er wieder zurück in Richtung des Schlagbaumes auf der anderen Seite des Sambesi humpelt. Ein gutes Geschäft für ihn. „To make a living“, aber auch, um Neues aus der Welt zu erfahren. „Five minutes African time“, aus denen meist zehn bis fünfzehn werden. Gefüllt mit Geschichten aus Sambia und aller Welt. Vorbei an den mächtigen Wasserfällen, dem Naturwunder, das ihn täglich begleitet. Auf der Suche nach einem neuen Klienten für das Taxibusiness seines Bruders. Hier zwischen zwei kleinen Grenzhäuschen zwischen Sambia und Simbabwe.

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UNI & LEBEN

uni & leben

© Ludwig Seidl, privat

NEUES AUS DEM VORSITZBÜRO

Paul Oblasser (AG), Vorsitzender

Ivana Ristic (VSStÖ), 1.stv. Vorsitzende

Tamara Geiblinger, (AG), 2. stv. Vorsitzende

Etwas mehr als zwei Monate sind seit meiner Wahl zum Vorsitzenden der ÖH Salzburg bereits vergangen und es ist an der Zeit, einen ersten kleinen Rückblick auf meine Arbeit zu geben. Man hat, bevor man in die Position des Vorsitzenden gewählt wird, gewisse Vorstellungen davon, wie die zu erledigenden Arbeiten konkret aussehen werden. Diese Vorstellungen hat man, soviel kann ich bereits sagen, nur um nach kurzer Zeit festzustellen, dass sich die Realität von der Vorstellung erheblich unterscheidet. Die von mir erwartete aktive Projektarbeit ist bürokratischen Aufgaben, wie etwa der Bekanntgabe nach dem Medienkooperations- und -förderungs-Transparenzgesetz, der Freigabe sämtlicher Zahlungsausgänge, der Zeichnung aller Sozialstipendien, oder der Beantwortung zahlreicher E-Mail-Anfragen gewichen. Es bleibt jedoch festzuhalten, dass eine Sache zum Glück doch exakt so ist, wie ich es erwartet hatte: Die Tätigkeit als ÖH Vorsitzender macht trotz ab und zu stattfindender zehnstündiger Arbeitstage viel Spaß.

E-Mails an ProfessorInnen Es ist Donnerstagabend und ich kriege (erneut) eine lustige Frage gestellt: Wie schreibe ich eigentlich einer Professorin/ einem Professor? Hier die Lösung: 1. Betreffzeile nicht vergessen! Je konkreter sie ist, desto besser; ein leerer Betreff landet schnell im Papierkorb. 2. Die Anrede: Beim ersten Emailkontakt ist eine förmliche Anrede besser. Titel können weggelassen werden: Sehr geehrte Frau Professorin X/Sehr geehrter Herr Professor Y. Wenn der Professor / die Professorin mit Liebe Frau Y/Lieber Herr Z beginnt, darf man (sofern es sich richtig anfühlt) ebenso mit Liebe/r X/Y antworten. 3. Beim eigentlichen Text sollte man nicht vergessen, die Pronomen immer groß zu schreiben (Sie, Ihnen)! 4. Verabschiedung: Liebe Grüße bei dir unbekannten Professoren / Professorinnen ist unpassend. Viel besser ist es, Mit freundlichen Grüßen (OHNE abzukürzen, das heißt MfG) oder Mit besten Grüßen zu schreiben. 5. Diesen Text abfotografieren und beim nächsten E-Mail als Checkliste verwenden.

Zukunftsmusik. „Ein Flugzeug mit langer Startbahn hat sich in die Luft getraut.“ Schwer und stockend war der Start in die ÖH. Doch mittlerweile läuft es ganz schön rund bei uns. Neue Kooperationen wurden geschaffen, Projekte stehen in den Startlöchern und wir sind ein Team geworden. Ein Team ist man nicht sofort. Man lernt erst nach einiger Zeit sein Gegenüber genauer kennen, weiß, wie es „tickt“ und wie es reagiert. Ich freue mich besonders über die Kooperation mit dem Magistrat Salzburg. Gemeinsam werden wir für nächstes Semester interessante Veranstaltungen zu Themen wie Bildung, Kultur und Wissen planen. Übergreifendes und vernetzendes Arbeiten ist für mich ein besonders wichtiger und einflussreicher Aspekt. Man profitiert voneinander, kann unterschiedlichste Personengruppen erreichen und verschiedene Ideen zusammenwachsen lassen. Ich blicke dem nächsten Semester mit Freude, großen Erwartungen und Neugierde entgegen. Falls ihr Ideen, Wünsche oder Anregungen habt, die ihr unbedingt einbringen wollt, könnt ihr uns jederzeit über Email erreichen. „Ja – wir fliegen. Aber wir sind noch lange nicht am Ende!“


© Ludwig Seidl, privat

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WARUM ICH MIR DAS ALLES ANTUE ÖH-Mitarbeiterin Stefanie Hemetsberger erzählt von ihrer Arbeit im Bildungspolitischen Referat.

Verlass mal die Metaebene, veränder mal die Draufsicht. So sicher es auch scheint: Leben in Gedanken taugt nicht.“ Julia Engelmann hat es mit ihrem Slam wieder einmal geschafft: Ihre Worte haben mich dazu animiert, etwas zu verändern und eine Entscheidung zu treffen. Sie haben mich, wie schon so oft während meines Studentinnen-Daseins, dazu gebracht, mich von der ewigen Jammerei zu verabschieden, die so ein Studierendenleben mit sich zu bringen scheint. Und letztendlich habe ich eine blöde Angewohnheit abgelegt, die jedes Mal meine Gedankengänge zu durchdringen versuchte: das Aufregen. Und zwar über ein ständiges Nichtinformiertsein, wenn es irgendwelche Änderungen im Studium gibt. Oder über die Ungewissheit, weil niemand so wirklich weiß, was denn jetzt eigentlich genau geändert wird; außerdem ein Aufregen darüber, dass ich nie die Gelegenheit bekam, etwas daran zu ändern, und schlussendlich das Ärgernis über die Aufregung selbst. Um etwas Neues anfangen zu können, muss der Wille vorhanden sein, alte Gewohnheiten abzulegen. Wie toll, dass auch der große Beschluss eines Umbaus im Lehramtsstudium dazu geführt hat, alte Strukturen fallen zu lassen. Den Überblick aber haben die Wenigsten. Mehr Fachdidaktik und Praxis sollen eingebaut werden. Und das alles innerhalb einer gemeinsamen Lehramtsausbildung für die Sekundarstufe? Julia Engelmann lässt grüßen – sich aufzuregen, ohne genau zu wissen, worüber man sich denn nun aufregen soll, und die Ungewissheit waren mitunter Gründe, warum ich den Entschluss gefasst habe, in der ÖH mitzuarbeiten. Diese Arbeit hat sowohl ihre Vor- als auch ihre Nachteile, denn es stellt sich praktisch als Ding der Unmöglichkeit heraus, sich schnurstracks einen Überblick über Veränderungen zu schaffen. Das braucht Zeit. Und die hat man als Studierender nicht immer. Die tatkräftigen und fleißigen ÖH-Mitarbeitenden überrennen einen förmlich mit Aufträgen, was mir als Arbeitstier nichts weiter ausmacht. Es macht sogar richtig Freude, sich für etwas einzusetzen, das einen selbst – und so viele weitere im eigenen Bekanntenkreis – betrifft. Studierende auf den neuesten Stand der Dinge zu bringen und ihnen angesichts der bevorstehenden Studienplan- und Gesetzesänderungen einen Überblick zu verschaffen, ist eine wertvolle Angelegenheit. Nicht zuletzt auch deswegen, weil man sich selbst in einem Meer voll Fragen wiederfindet.

Bildungspolitisch etwas zu leisten und die Draufsicht zu verändern, sich mit dem Aufregen zwar schon zu beschäftigen, aber auch tatsächlich etwas verändern zu können – das macht für mich die ÖH-Arbeit aus. Natürlich braucht es Zeit, sich im Uni-Politik-Dschungel zurechtzufinden, aber ich bin froh darüber, den Schritt gewagt zu haben und mich für etwas zu engagieren. Mit den kleinen Parteikriegen unter den Studierenden, obwohl wir doch eh alle in einem Boot sitzen, habe ich ja zum Glück nichts am Hut. Deshalb ein Aufruf an alle sich aufregende Studierende, die auch etwas verändern wollen: It’s just uni politics, have courage and be kind.

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SOMMERUNI – EIN PILOTPROJEKT WIRD ZUM ÜBERFLIEGER Zeitdruck, ECTS-Mangel, überfüllte Lehrveranstaltungen, Nebenjob und vieles mehr scheinen den einst angenehmen, sonnigen Unialltag in den Schatten zu rücken. Es ist an der Zeit, über Initiativen nachzudenken. Eine mögliche Lösung für die Alltagsprobleme der Studierenden ist die SommerUni. Vom Bildungspolitischen Referat der ÖH Salzburg

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ie soll die zukünftige Hochschule aussehen? Wo und wie könnte das Lehrangebot ausgebaut und verbessert werden? Wären freiwillige Zusatzkurse in Form von Intensiveinheiten im Sommer eine Alternative? Viele österreichische Universitätsstandorte haben sich dieser Fragen angenommen und bereits intensiv an einer Lösung unserer Probleme gearbeitet. Ein Resultat ist das Projekt SommerUni. Allen voran gilt die ÖH Innsbruck als großes Vorbild für die Umsetzung dieses Projektes. Im Jahr 2011 gaben sie dem Konzept eine einmalige Chance und starteten im kleinen Rahmen an einer Fakultät mit Zusatzkursen während der Sommerpause. Die anfänglichen Zweifel, überhaupt InteressentInnen zu finden, die ihre Ferien freiwillig um eine oder zwei Wochen verkürzen, waren völlig umsonst. Schon im ersten Anlauf waren die Kurse bis auf den letzten Platz ausgebucht. Die positiven Rückmeldungen dienten zum Anlass, das Projekt weiter auszubauen. Für die Innsbrucker Studierenden ist das Angebot der SommerUni nicht mehr wegzudenken. Sukzessiv wurde das Zusatzangebot auf weitere Fakultäten ausgeweitet. Es wird von den Studierenden nach wie vor dankend angenommen. Viele können sich durch das Sommerangebot verlorene Zeit zurückholen, sich im Voraus einen Zeitpuffer schaffen oder fehlende ECTS-Punkte für Förderungen und Beihilfen einholen. Klingt ja alles schön und gut, aber wie funktioniert dieses Konzept und wäre es in Salzburg überhaupt umsetzbar? Um Klarheit zu schaffen, wurde bereits der erste Schritt getan. Ein erstes Vernetzungstreffen des Bildungspolitischen Referates mit Mitgliedern des Vorsitzteams der ÖH Innsbruck, die mit fünf Jahren Erfahrung schon Profis auf diesem Gebiet sind, fand im April 2016 statt. Sie gaben uns klar zu verstehen,


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© Foto: www.mariorubio.com/ Foter.com

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dass es alles andere als einfach ist, ein solches Großprojekt ins Leben zu rufen. Als größtes Problem dabei stellte sich die Finanzierung heraus. Die Notwendigkeit des Zusatzangebotes ist unumstritten und hätte im Zuge des Bologna-Systems schon längst von den Universitäten selbst in Angriff genommen werden sollen. Allerdings lassen die immer knapperen finanziellen Mittel ein Handeln nicht zu. Daran wollte die ÖH Innsbruck jedoch nicht scheitern. Sie entschied sich, die hohen Kosten als Serviceeinrichtung für Studierende in Kooperation mit den jeweiligen Studienvertretungen selbst zu tragen, um dort Verantwortung zu übernehmen, wo es die Universität nicht konnte. Natürlich wäre es Aufgabe der Uni, entsprechende Angebote auch im Sommer zu schaffen. Ein solches Zusatzangebot aus eigenen Mitteln zu schaffen, war es der ÖH Innsbruck aber wert. Wir wollen allerdings einen klaren Appell an die Universität Salzburg richten: Die SommerUni sollte langfristig in den Aufgabenbereich der Universität fallen, da solche Angebote nachgefragt werden und soziale Unterstützung geschaffen wird. Der ÖH-Beitrag kann keine Ausfinanzierung der Universitäten ersetzen und die ÖH muss sich auch weiter vielen anderen Bereichen widmen. Hier sollte aber ein klares Zeichen gesetzt werden, denn am Ende profitieren die Studierenden von ihrem ÖH-Beitrag in dieser Startphase auf dem direktesten Weg. Um Klarheit zu schaffen, wollen wir ebenso betonen, dass durch dieses Projekt, das wir initiieren möchten, keinerlei Lehrveranstaltungen während des Semesters gestrichen werden. Es soll ein reines Zusatzangebot werden. Die Chance, Studierenden einen fristgerechten Studienabschluss zu ermöglichen, müsste genützt werden, vor allem, da es sehr viele berufstätige Studierende und Alleinerziehende

gibt, die dann ihr Studium schneller und leichter an ihren Alltag anpassen können. Ein Großteil der Studierenden bezieht außerdem diverse Beihilfen. Voraussetzung dafür ist der Nachweis einer gewissen Anzahl an ECTS-Punkten. Wird dieser Nachweis nicht erbracht, müssen die Beihilfen zurückgezahlt werden. Mit einer SommerUni hätten Studierende die Möglichkeit, den Anforderungen ohne immensen Druck gerecht zu werden.

Die Vorteile der Sommer-Uni im Überblick: * Chance auf mehr ECTS-Punkte * Sicherung der Beihilfen

„Seit 2011 entwickelte sich die SommerUni unter mehreren ÖH-Vorsitzenden zu einem wahren Vorzeigeprojekt, von welchem wir uns sicher sind, dass es auch an anderen Standorten großen Anklang finden wird“, so Benjamin Walch (Vorsitzender der ÖH Innsbruck) Mit diesem positiven Input will sich auch die ÖH Salzburg des Projektes annehmen. Sie beschäftigt sich momentan mit der Ausarbeitung eines Konzepts. Es wird gerade die mögliche Umsetzung geprüft und Kontakt zu den zuständigen Stellen der Universität hergestellt. Auch wir sind der Meinung, dass alle Studierenden in Salzburg unabhängig von ihrer Ausgangslage die Gelegenheit haben sollten, ihr Studium sorglos und erfolgreich in Mindeststudiendauer abzuschließen. Unser Wunsch ist ein zusätzliches Studienangebot im Sommer, das an allen vier Fakultäten vorhanden sein soll. Nach Innsbrucker Vorbild möge das Großprojekt SommerUni auch in Salzburg einen Testlauf durchleben und sich von dort aus im besten Fall auf die weiteren Standorte ausbreiten. Wir setzen uns für EUCH und EURE INTERESSEN ein und wollen mit diesem Projekt auch in Salzburg die bestmöglichen Konditionen schaffen.

* Zusatzangebot bei überfüllten Lehrveranstaltungen * Faire Aufteilung des Lehrveranstaltungsangebots auf die vier Fakultäten * Zeitpuffer für Studierende * Mehr Möglichkeiten auf Wiederholung von Prüfungen * Fristgerechter Studienabschluss


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SOMMERUNI? SOMMERUNSINN!

Die Einführung einer Sommeruni ist eines der großen Projekte, die sich das (mittlerweile nicht mehr ganz so) neue Bildungspolitische Referat der Salzburger ÖH vorgenommen hat. Eine besonders gute Idee ist das allerdings nicht. Ein Kommentar von Christoph Würflinger

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ach den turbulenten Wochen des Übergangs hat die rot-schwarze Koalition also die Arbeit aufgenommen. Endlich Schluss mit sinnlosen ÖH-Ausflügen in die Gesellschaftspolitik, endlich mehr Zeit für die wirklich wichtigen Anliegen der Studierenden. Der Student (sic!) steht jetzt wieder im Mittelpunkt. Klarerweise will die Aktionsgemeinschaft nicht nur die Projekte der alten Exekutive weiterführen, sondern auch ihre eigenen Ideen umsetzen. Eine dieser Ideen – 2015 das große Hauptthema im Wahlkampf – ist die Einführung einer Sommeruni. Studierende sollen auch in den Sommermonaten die Möglichkeit haben, Kurse zu belegen, vorzuziehen oder nachzuholen. Damit soll eine Beschleunigung des Studiums ermöglicht werden. Das klingt zunächst einmal ganz verlockend. Kurs nicht geschafft? – Schau im Sommer nochmal vorbei! Kein Platz im Seminar? – Kein Problem, nächster Anlauf im Juli! Das Finanzamt wird ungemütlich? – Alles easy, Sommeruni!

Wer sich die Sache allerdings genauer anschaut, erkennt schnell, dass dieses Konzept Unfug ist. Ein zweistündiger externer Lehrauftrag kostet die Universität ca. 4.000 Euro. Wenn wir annehmen, dass jeder Fachbereich der Uni Salzburg im Rahmen der Sommeruni einen externen Lehrauftrag bekommt (sonst wär’s ja ungerecht), betragen die Kosten ungefähr 130.000 Euro. Das entspricht fast den jährlichen Kosten von zwei Professuren. Für einen Tropfen auf den heißen Stein ist das nicht gerade wenig, zumal Rektor Schmidinger letzten Herbst in einem an die Bediensteten der Universität gerichteten Schreiben zur Budgetsituation Folgendes festgestellt hat: „Es darf keine neuen, zusätzlichen Stellen geben, weil dies das Budget der Gesamtuniversität nicht verkraften würde.“ Für die Finanzierung der Sommeruni gibt es nun genau drei Möglichkeiten: (1) Der Vizerektor für Lehre bezahlt zusätzliche Lehraufträge (unwahrscheinlich), (2) die ÖH lässt Kohle springen (hoffentlich ebenso unwahrscheinlich) oder (3) Kurse werden ganz einfach vom normalen


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Sommeruni – Absturz vorprogrammiert. Unibetrieb in den Sommer verschoben (zumindest durchführbar). Dass die Universitäten unterfinanziert sind, ist kein Geheimnis, und solange der Rektor nicht irgendwo einen Goldschatz ausgräbt, wird es für eine ausreichende Anzahl an Lehraufträgen, die für eine Umsetzung der Sommeruni notwendig wären, kein Geld geben. Und selbst wenn, müsste man sich fragen, ob dieses Geld nicht sinnvoller in die Einrichtung neuer (oder der Beibehaltung bestehender) Professuren angelegt wäre. Ähnliches gilt für die ÖH: wenig Geld, viele Aufgaben. Doch selbst wenn die Universitätsvertretung wider Erwarten zu Reichtum käme: Wie wäre es zu rechtfertigen, dass die studentische Interessenvertretung anstelle der Universität für ein ausreichendes Lehrangebot sorgen muss? Das wäre so, als ob die Arbeiterkammer jedem Arbeitnehmer ein paar Cent auf den Lohn drauflegen würde, weil die Arbeitgeber zu wenig bezahlen – absurd! Für ein ausreichendes Angebot an Lehrveranstaltungen – und das steht hoffentlich außer Frage – hat allein die Universität zu sorgen. Es würde also letztendlich auf eine Verschiebung des Kursangebots vom regulären Vorlesungsbetrieb in die Sommerferien hinauslaufen. Das wäre kostenneutral, würde aber nicht viel bringen. Zusätzliche Plätze in Lehrveranstaltungen schafft man so jedenfalls nicht. Ob sie im Winter-, Sommer- oder „Ferien“-Semester keinen Platz bekommen, wird Studierenden ziemlich egal sein. Warteliste ist Warteliste. Treffen würde eine solche Umschichtung vor allem jene, die in den Sommermonaten arbeiten müssen, um ihr Studium finanzieren zu können (und das sind nicht gerade wenige). Während des Semesters weniger

Kurse und im Sommer wegen des Ferialjobs keine Zeit für die Sommeruni – für Menschen, die sich ihr Studium ohnehin nur schwer leisten können, würde sich der Abschluss weiter verzögern. Privilegierten Studierenden, die dank Papas Reichtum nicht auf Erwerbstätigkeit angewiesen sind, ist das natürlich egal; sie können sich bequem zurücklehnen und die Einführung einer Sommeruni fordern. Dann müssen sie wenigstens im Sommer nicht gemeinsam mit dem Pöbel im selben Hörsaal sitzen. Die neue ÖH-Exekutive wäre gut beraten, ihre Energien anderswo einzusetzen und sich nicht auf Sinnlos-Projekte wie die Sommeruni zu konzentrieren. An erster Stelle muss die Ausfinanzierung der Universitäten stehen, damit endlich genug Geld für Forschung und Lehre vorhanden ist. Um dieses Ziel zu erreichen, muss natürlich politischer Druck aufgebaut werden – nicht in Form von Stellungnahmen und Terminen im Ministerium, die sowieso kein Politiker ernst nimmt (das hat mittlerweile auch Rektor Schmidinger eingesehen), sondern durch Präsenz auf der Straße. Demonstrationen dürfen nicht „das letzte Mittel“ (© Aktionsgemeinschaft) sein. Dazu muss allerdings erst die vorherrschende Gleichgültigkeit gegenüber dem Zustand der Universitäten überwunden werden – bei Studierenden und Lehrenden gleichermaßen. Eine Demonstration mit ein paar hundert TeilnehmerInnen bringt nichts; eine Demo mit mehreren Tausend TeilnehmerInnen schon eher. Es muss für die Herrschaften in der Regierung wieder ungemütlicher werden. Das hat die ÖH-Exekutive zu schaffen, darauf sollte sie sich konzentrieren – nicht auf eine Überholspur für einige Wenige.


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Warum der Cluster Mitte scheiße ist. In der letzten Ausgabe der uni:press haben wir euch mit der Bebilderung des Cluster-Mitte-Artikels geschockt (oder belustigt, je nach geistiger Reife): Fäkalien überall. Das war jedoch nicht Wunsch des Verfassers des Artikels, sondern vielmehr eine hinterlistige Aktion unseres Redaktuer. Das ging wiederum dem Verfasser des Textes verständlicherweise ordentlich gegen den Strich. Hinter dieser – zugegebenermaßen – plumpen Aktion steckt aber nicht nur sein infantiles Verständnis von Humor, nein, unser Autor hat am neuen Lehramtsstudium tatsächlich allerhand zu kritisieren. Ein Kommentar von Christoph Würflinger

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as mit Cluster Mitte gemeint ist, war Thema des Artikels PädagogInnenbildung Neu: Die Universitäten und Pädagogischen Hochschulen in Linz und Salzburg bieten ab dem Wintersemester 2016/17 eine gemeinsame Lehramtsausbildung an. In Zukunft soll man sich aussuchen können, welchen Kurs man an welchem Standort machen möchte. Die Lehrbefugnis hat man am Ende nicht nur für AHS und BHS, sondern auch für die Neue Mittelschule. Außerdem kommen für die Salzburger Studierenden neue Unterrichtsfächer wie etwa Chemie hinzu. Auf den ersten Blick also paradiesische Zustände. Oder?

abhängig. Wird unsere Kritik zu laut, verspielen wir womöglich dieses Wohlwollen. Bei einem, maximal zwei studentischen VertreterInnen pro Arbeitsgruppe ist das Wort Mitsprache aber ohnehin eine Farce – de facto handelt es sich um eine Diktatur der Lehrenden, die uns notfalls einfach niederstimmen. Früher hätte man für solche Frechheiten das Rektorat gestürmt!

Studentische Mitbestimmung? Brauch’ ma ned! Als die ÖH-VertreterInnen 2013 an einer ersten Informationsveranstaltung über die geplante Reform des Lehramtsstudiums teilnahmen, staunten sie nicht schlecht: Alle anderen Gäste (ProfessorInnen, Mittelbau u.a.) waren bereits hervorragend informiert; von einer Einbindung der StudienvertreterInnen in den ganzen Prozess keine Rede. Erst nachdem diese öffentlich eingefordert wurde, gestand man den StudienvertreterInnen gnädigerweise einen Platz in den Arbeitsgruppen zu. Die in universitären Gremien übliche und gesetzlich vorgeschriebene Drittelparität, der zufolge je ein Drittel der Mitglieder eines Gremiums von Studierenden, Angehörigen des Mittelbaus bzw. ProfessorInnen gestellt wird, wird mit der neuen Cluster-Struktur geschickt umgangen – es gibt dafür nämlich keine gesetzliche Regelung. Dass wir Studierenden überhaupt wenigstens ein bisschen mitreden dürfen, ist – wie schon angesprochen – ein Gnadenakt. Wir sind vom Wohlwollen der Hochschulleitungen

Studiengebühren im Schafspelz Der Sinn der ganzen Angelegenheit ist nicht, die Qualität der Lehramtsausbildung zu verbessern; im Gegenteil, sie wird durch das zweifelhafte PH-Angebot in fachlicher Hinsicht eher sinken. Es geht wie immer einzig und allein um das liebe Geld – einsparen um jeden Preis! Wie das Ganze funktionieren wird, sei anhand eines fiktiven Beispiels gezeigt: An beiden Standorten wird im Fach X eine Lehrveranstaltung Einführung in Y in Form eines Proseminars angeboten. Nehmen wir nun an, dass dieses Proseminar am Standort Salzburg heillos überbucht ist, in Linz aber noch viele Plätze frei sind. Den Studierenden in Salzburg wird nun dank des Clusters die Möglichkeit gegeben, die Lehrveranstaltung in Linz zu absolvieren. So sehen die Optimisten im Rektorat und anderswo die Sache. Man kann sie aber auch realistischer sehen: Anstatt wie bisher Parallelkurse zu öffnen, wird man uns jetzt – dem Diktat des Spa-

Natürlich könnte man jetzt sagen: Solche Dinge interessieren maximal ein paar ÖH-Leute, die restlichen 16.000 Studierenden kümmern sich um solche Kleinigkeiten nicht. Aber halt, der echte Knaller kommt erst:


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Die Hinrichtung von Marie Antoinette

rens folgend, denn sonst würde man den Cluster ja nicht einführen – zum Pendeln zwingen. Der Zeitfaktor (drei Stunden Fahrzeit pro Kurs) würde uns Studierende zwar wegen der bereits jetzt übervollen Terminkalender vor große Planungsprobleme stellen; er wäre aber vernachlässigbar im Vergleich zu den Kosten, die uns entstehen werden: Bei einem Richtwert von 13 Lehrveranstaltungseinheiten pro Semester und einem Preis von ca. 30 Euro für einmal Linz und wieder zurück ergibt das fast 400 Euro an zusätzlichen Kosten – bei einer Lehrveranstaltung am anderen Standort. Muss man an zwei Tagen nach Linz fahren, zahlt man 800 Euro – in einem Semester! Für die rund zwei Drittel der Studierenden, die schon jetzt arbeiten müssen, um sich das Studium überhaupt leisten zu können und finanziell ohnehin permanent am Abgrund stehen, sind diese versteckten Studiengebühren eine Katastrophe. Doch hoch oben im Elfenbeinturm hat man wenig Gespür für die Wirklichkeit. Ein Vizerektor, der weit über 100.000 Euro jährlich verdient, schert sich um so profane Dinge wie Essen und Wohnen nicht. Sollen sie doch Kuchen essen! Ob sich der Cluster Mitte wegen der drohenden Abwanderung der (vor allem oberösterreichischen) Studierenden auch als strategischer Fehler der Uni Salzburg erweisen wird, bleibt abzuwarten. Der Rektor der JKU in Linz beabsichtigt den „Vollausbau“, und eines wissen wir ja: Wer einen mächtigen Landesfürsten auf seiner Seite hat, bekommt meistens auch, was er will. An den oben genannten Wahnsinnigkeiten sind die Hochschulleitungen, die das alles in vorauseilendem Gehorsam durchgeboxt

haben, aber nicht alleine schuld. Dahinter steckt wie so oft das chronische Finanzierungsproblem der österreichischen Universitäten. Seit Jahren gibt es den Beschluss der Regierung, zwei Prozent des BIP für die Hochschulen auszugeben; noch immer grundelt das Hochschulbudget bei etwa 1,3 Prozent herum. Das Rektorat sollte seine Kräfte gegen diesen Missstand einsetzen, nicht gegen die eigenen Studierenden. Abschließend bleiben viele Fragen offen. Die wichtigsten: Warum ist die ÖH nicht entschiedener gegen dieses Projekt aufgetreten? Warum ist noch immer kein Protest absehbar? Hat man sich etwa mit dem Rektorat arrangiert?


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ÖH-UNTERSTÜTZUNGEN FÜR STUDIERENDE Die ÖH Salzburg bietet verschiedene Unterstützungen an, um die finanzielle Lage der Studierenden zu verbessern. Einen Überblick über diese Beihilfen und nötige Informationen darüber, wie sie beantragt werden können, geben wir euch hier. Vom Sozialreferat der ÖH Salzburg

Fahrtkostenunterstützung Die Fahrtkostenunterstützung ist das bekannteste Angebot der ÖH Salzburg. Sie richtet sich an jene BesitzerInnen der StudentCARD, die keine Studienbeihilfe erhalten . Bei einem positiven Bescheid werden AntragstellerInnen 28 Euro refundiert, was in etwa 25 Prozent des Kaufpreises entspricht. Diese Unterstützung kann unter Sozialreferat auf der Webseite der ÖH Salzburg beantragt werden. Dort befindet sich ein Onlineformular. Folgende Nachweise müssen vorhanden sein, um den Antrag bearbeiten zu können: aktuelle StudentCARD Uni Salzburg Card oder Inskriptionsbestätigung negativer Bescheid der Studienbeihilfenbehörde (bei Österrei cherInnen) oder Nachweis der nicht-österreichischen Staats bürgerschaft Anträge können im Wintersemester ab dem 1. Oktober, im Sommersemester ab dem 1. Februar gestellt werden. Bescheide werden ausgestellt, solange das Budget reicht. Pro Person kann diese Beihilfe einmal pro Semester beantragt werden.

Sozialstipendium Sozialstipendien der ÖH Salzburg werden an Studierende vergeben, die sich in einer akuten finanziellen Notlage befinden und ihren Lebensunterhalt nicht mehr aus eigener Kraft bestreiten können. Es handelt sich dabei um eine einmalig ausbezahlte Unterstützung. Wie auch bei der Fahrtkostenunterstützung dürfen AntragstellerInnen keine Studienbeihilfe beziehen. Auch Personen, welche Stipendien von anderen Instititionen erhalten (z.B. AAI), können kein Sozialstipendium bekommen. Die Höhe des Sozialstipendiums ist variabel, üblicherweise liegt sie zwischen 50 und maximal 300 Euro. In extremen Fällen

können ausnahmsweise bis zu 600 Euro genehmigt werden. Für die Höhe sind mehrere Faktoren ausschlaggebend: Etwa, wie viel Geld den AntragstellerInnen monatlich zur Verfügung steht, oder ob sie unversorgte Geschwister haben. Für AntragstellerInnen, die selbst ein oder mehrere Kinder zu betreuen haben (die bis zu fünf Jahre alt sind), erhöht sich das Sozialstipendium um bis zu 150 Euro. Um die finanzielle Notlage eines Studierenden zu ermitteln, werden die Angaben auf den Formularen berücksichtigt. Zudem wird Folgendes benötigt: Nachweis eines aktiven Studiums (Uni Salzburg Card oder Inskriptionsbestätigung) Kontoauszüge der vergangenen drei Monate Nachweise über sämtliche Ausgaben (Versicherung, Wohnen, Handy-Kosten etc.) sind von Vorteil Kopie des Ausweises (oder der Geburtsurkunde) etwaiger Geschwister und/oder eigener Kinder AntragstellerInnen, welche die doppelten Studiengebühren (derzeit 726,72 Euro) zahlen müssen, können bei einem positiven Bescheid in der Serviceeinrichtung Studium (Kapitelgasse 4) die Teilrückerstattung beantragen. Dazu muss das Gutachten, das gemeinsam mit dem Bescheid verschickt wird, vorgezeigt und der betreffende Antrag ausgefüllt werden. Die Formulare sind auf der Webseite der ÖH unter Sozialreferat zu finden. Diese sollen ausgedruckt, ausgefüllt und entweder persönlich im ÖH Beratungszentrum (Unipark) oder im Sekretariat der ÖH Salzburg (Kaigasse 28) abgegeben oder postalisch an das Sozialreferat (Kaigasse 28, 5020 Salzburg) übermittelt oder per Mail an stipendien@oeh-salzburg.at gesendet werden. Die Fristen für die Antragstellung sind im Wintersemester der 28. Februar (29. Februar in Schaltjahren) und im Sommersemester der 31. Juli. Ausschlaggebend ist dabei das Datum auf dem Poststempel. Auch für diese Unterstützung gilt, dass sie einmal pro Semester in Anspruch genommen werden kann.


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Kinderbetreuungsunterstützung

Einige nützliche Hinweise

Kind und Studium unter einen Hut zu bringen, ist nicht immer leicht. Studierende mit Kind(ern) sind meist auf Kinderbetreuung durch Kindertagesstätten oder Tagesmütter/-väter angewiesen. Dies entlastet zwar, kostet aber auch. Daher bietet die ÖH Salzburg für studierende Eltern die sogenannte Kinderbetreuungsunterstützung an. Die Kosten, die durch die Betreuung des Kindes/der Kinder entstanden sind, werden durch Vorlage der Originalrechnungen bekannt gegeben. Wie viele Rechnungen geltend gemacht werden sollen, entscheiden die AntragstellerInnen selbst. Zu beachten ist, dass jede Rechnung nur einmal berücksichtigt werden kann. Das heißt also, dass eine Rechnung, welche im Wintersemester eingereicht wurde, im Sommersemester nicht erneut eingereicht werden kann. 50 Prozent der entstandenen Kosten werden refundiert, wobei pro Semester und Elternpaar/ Alleinerziehendem maximal 200 Euro ausgezahlt werden. Wird also beispielsweise eine Rechnung über 500 Euro eingereicht, werden nicht 250 Euro, sondern 200 Euro ausbezahlt. Der Onlineantrag befindet sich ebenfalls auf der ÖH-Webseite unter Sozialreferat und kann einfach ausgefüllt werden. Um die Beihilfe zu erhalten, muss mindestens ein Elternteil studieren.

Anspruch auf die Unterstützungen: Die ÖH Salzburg ist bemüht, möglichst vielen Studierenden eine der oben genannten Unterstützungen zu ermöglichen. Da das Budget jedoch begrenzt ist, müssen Anträge manchmal leider abgewiesen werden. Einen fixen Anspruch auf die Beihilfen gibt es somit nicht. Die Staatszugehörigkeit spielt bei der Vergabe und Höhe der Unterstützungen keine Rolle.

Heimfördertopf Diese Unterstützung ist dazu gedacht, das studentische Leben in den Studierendenwohnheimen Salzburgs zu fördern. Die Beihilfe kann prinzipiell von allen HeimbewohnerInnen, die eine Veranstaltung planen, beantragt werden. In Heimen, in denen eine Heimvertretung eingerichtet ist, übernehmen das üblicherweise die HeimsprecherInnen. Unterstützt werden Veranstaltungen, die Studierenden die Möglichkeit geben, einander kennenzulernen und sich im Studierendenheim einzuleben. Somit werden etwa Printartikel zur Bewerbung einer Veranstaltung und Kosten für Speisen und Getränke gefördert. Alkohol wird in der Regel nicht refundiert. Für diese ÖH-Unterstützung ist das Referat für Heime, Wohnen und Sport verantwortlich. Der Onlineantrag befindet sich auf der Webseite unter Referat für Heime, Wohnen und Sport. Unbedingt anzugeben sind: Name und Matrikelnummer der Antragstellerin/des Antragstellers (AntragstellerInnen müssen ein aktives Studium betreiben) Name des Heimes Beschreibung der Veranstaltung Pro Heim beträgt die Höhe der Heimförderung maximal 250 Euro pro Studienjahr.

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DIE STUDIENPLANUMSTELLUNG Die vielleicht größte Studienplanumstellung in der Geschichte der Universität Salzburg kommt im Oktober 2016. Von Maximilian Wagner

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nzwischen werden es wohl die meisten Studierenden in Salzburg mitbekommen haben, dass sich an der Uni viel bewegt, was Studienpläne betrifft. Nicht nur das ganz neue Lehramt Cluster Mitte startet, das die erste systematische Kooperation über Uni-Standorte und Hochschultypen hinweg ist. Auch die Fachstudien an der Uni Salzburg durchleben gerade einige Turbulenzen. Hintergrund ist, dass im Oktober 2016 so gut wie alle Studienpläne der gesamten Uni in einer neuen Studienplanversion starten. Insgesamt kann man das also als größte gleichzeitige Veränderung der Studienpläne seit der Bologna-Reform (der Umstellung von Diplomstudien auf BA-/MA-System) bezeichnen. Für fast alle Studiengänge gibt es dabei Übergangsfristen von zwei bis drei Jahren, in denen der aktuelle Studienplan zu Ende studiert werden kann. Aber neben der für manche vielleicht unangenehmen Deadline – was steckt eigentlich hinter dieser großen Umstellung? Zuerst einmal werden sich einige fragen, was denn ein Studienplan genau ist. Einfach ausgedrückt, legt ein Studienplan fest, welche Lehrveranstaltungen du in deinem Studium absolvieren musst, um deinen Abschluss zu bekommen. Er führt also alle relevanten Informationen

auf: Die einzelnen Kurse, wieviele ECTS (Arbeitsaufwand; 25 Realstunden je ECTS) und wieviele Semesterstunden (reale Kurszeit) ein Kurs hat (und auch haben muss), wie diese Kurse heißen und manchmal auch, in welcher Reihenfolge jene zu absolvieren sind. Gleichzeitig legt der Studienplan fest, wie viele Wahlfächer nachzuweisen sind, ob und in welchem Umfang eine BA/MA/Dr.-Arbeit zu verfassen ist und ob es noch Fachprüfungen oder BA/MA-Prüfungen gibt. Grob gesagt wird damit das Studium skizziert. Es dient sowohl dir als auch der Universität als rechtsverbindliches Dokument, auf das sich beide Seiten berufen können. Studienpläne und ihre Weiterentwicklung Studienpläne haben sich schon immer von Zeit zu Zeit geändert. Entweder, um neue Forschungs- und Lehrgebiete zu integrieren, die es früher nicht gab (z.B. IT-Aspekte), oder um Forschungs- und Lehrgebiete zu entfernen, die nicht mehr relevant sind. Studienpläne müssen natürlich auch angepasst werden, wenn es größere rechtliche Änderungen gab (z.B. im Prüfungsrecht, Universitätsgesetz oder bei der Bologna-Reform mit Umstellung von Diplom auf BA/MA). Studienpläne werden dabei von sogenannten Curricularkommissi-


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onen geschrieben, in denen fachkundige Personen der involvierten Fachbereiche und Studierende sitzen. Da diese Gruppen oft über lange Zeit ähnlich sind und sehr oft nur leichte Anpassungen gemacht werden, haben sich die Studienpläne an verschiedenen Fakultäten und Fachbereichen stark auseinanderentwickelt. Einige Beispiele: 1. ECTS-Gewichtung: Da ein BA-Studium immer 180 ECTS hat, also der Gesamtumfang vorgegeben war, man gleichzeitig aber eine neue Lehrveranstaltung integrieren wollte, ohne andere Lehrveranstaltungen zu sehr zu verändern, kam es dazu, dass man in 0,5 oder 0,25 ECTS Punkten gerechnet hat. An anderen Fachbereichen galt hingegen die strikte Regel, niemals weniger als 1 ECTS zu vergeben. 2. Lehrveranstaltungstypen: Während es zwar einige Klassiker der LV-Typen wie Vorlesung, Übung, Proseminar und Seminar gibt, schlichen sich mit der Zeit immer mehr Exoten ein. Curricularkommissionen konnten Kurstypen einfach erfinden. Von der integrierten Speziallehrveranstaltung bis zur Vorlesung mit Arbeitsgemeinschaft wollte man sich abheben; deshalb erfand man früher oftmals einen neuen Lehrveranstaltungstyp. Gleichzeitig wurden auch die Anwesenheitspflicht oder Prüfungsimmanenz bei diesen erfundenen Kurstypen (aber auch bei den etablierten) unterschiedlich gehandhabt. Es ergab sich folgendes Problem: Eine Vorlesung mit Übung an der NaWi konnte gänzlich anders sein als derselbe LV-Typ am Juridicum. Für Studierende, aber auch für Lehrende war das sehr verwirrend und mit vielen Problemen und Fragezeichen behaftet. 3. Regelungen zu Praktika, Auslandssemestern, etc.: Auch bei anderen Teilen gab es Wildwuchs, was und wie etwas geregelt war: Praktika wurden mithilfe von unterschiedlichsten Formulierungen und Zuständigkeiten geordnet. 4. Reihungskriterien: Wenn Kurse überfüllt waren, wurde früher oftmals nach Notenschnitt, Semesteralter oder anderen Kriterien auf unterschiedliche Weise gereiht. Die Gefahr, dadurch in eine elitäre Leistungsförderung und in Leistungsdruck zu verfallen, war gegeben.

Die neue Änderung 2016: Aus dieser Ausgangslage entstand bereits vor zwei Jahren ein Rahmencurriculum, welches einheitliche Vorgaben machte. Die Auflage war, dass bis 2016 diese Vorlage für die einzelnen Studienpläne auch umgesetzt werden müsse. Das sorgt nun für die größte Studienplanüberarbeitung seit Jahrzehnten. Das Rahmencurriculum gibt den groben Aufbau des Studienplans vor. Ab jetzt müssen genaue Semesterempfehlungen als Tabelle im Curriculum aufgeführt sein. Die Lehrveranstaltungstypen müssen aus einem Pool von vorgegebenen und genau definierten LVen hinsichtlich Anwesenheitspflicht, Prüfungsimmanenz und methodischer Ausrichtung übernommen werden.

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Das Rahmencurriculum ist also quasi ein Studienplan-Baukasten: Nicht alle Teile sind verpflichtend (in manchen Curricula gibt es keine Pflichtpraktika), aber wenn etwas vorkommt, müssen bestimmte Vorgaben, Mindestangaben und Auflagen eingehalten werden. Freie Wahlfächer werden z.B. bei Fach-BAs mit einem Mindestmaß vorgeschrieben. Fachbereiche können also nicht beliebig auf Kosten der freien Wahlfächer ECTS abzwacken, um mehr und mehr Inhalte unterzubringen. Gleichzeitig wurde über Modulbeschreibungen etwas gänzlich Neues eingeführt: Die Mindestinhalte von Lehrveranstaltungen und die zu vermittelnden Kompetenzen müssen vorher definiert werden. Dies dient auch den LV-Leitungen als Anhaltspunkt. So musste früher, wenn eine externe Lehrperson an einen Fachbereich kam, zuerst mit den KollegInnen abklären, was im Kurs gemacht wird. Das war zuvor nirgends definiert und führte, abhängig von der jeweiligen Lehrperson, oft zu stark unterschiedlichen Kursausprägungen. Nun kann sich eine neue LV-Leitung selbstständig ein Bild machen, was denn im Kurs vermittelt werden muss. Und was haben wir nun davon? Neben der offensichtlichen Tatsache, dass viele Studienpläne sich inhaltlich zum Teil ändern und die neuen Studienplanversionen ab Oktober starten, ist die Entwicklung insgesamt positiv, da es bei der Umstellung an den meisten Fachbereichen keine großen Nachteile für Studierende gibt. Endlich sind Studienpläne weitgehend auch für Studierende les- bzw. vergleichbar, die wenig Erfahrung mit diesen Themen haben. Es bestehen nun einheitlichere Regeln bei Lehrveranstaltungen: Beratung und Rechtssicherheit werden dadurch verbessert. Da das eine erste Revision ist, gibt es sicher Verbesserungspotenzial. Für viele Curricularkommissionen war diese zwingende Vorlage neu und ungewohnt. Viele alte Praktiken (beliebige Reihungskriterien bei Kursen, keine ECTS im Null-Komma-Bereich) mussten nun abgestellt und neue Lösungen gefunden werden. Insgesamt harmonisiert diese Neuregelung die Curricula in einem ersten Schritt merklich; gleichzeitig wurde ein Instrument geschaffen, das Auswirkungen auf die zukünftige Entwicklung der Uni und der angebotenen Studienpläne hat. “With great power comes great responsibility” – dies betrifft nicht zuletzt die zuständigen Studierenden im Senat, wo das Rahmencurriculum überarbeitet und beschlossen wird: Hier muss zukünftig noch stärker auf das Rahmencurriculum geachtet werden, da es breite Konsequenzen für alle Studienpläne der Uni hat – und sich StudierendenvertreterInnen in den einzelnen Curricularkommissionen auch gegen diese Vorgaben nicht wehren können. Am Ende bekommen Studienpläne ab 2016 einheitliche Grundregeln und Vorgaben, und die Lesbarkeit der Studienpläne wird erhöht. Viele werden es vielleicht als nervig oder als Belastung empfinden, dass neue Studienpläne kommen; und einige Studienpläne werden in der Umstellung vielleicht Probleme bereiten. Umso wichtiger ist es deshalb, dass viele den Hintergrund verstehen, weil alles miteinander zusammenhängt.


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NACHGEHAKT: MÜLLTRENNUNG IM UNIPARK Ein Update von Claudia Kraml.

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n der letzten Ausgabe der uni:press wurde über die universitären Missstände in puncto Mülltrennung berichtet, genauer gesagt über diesbezügliche Versäumnisse im erst 2011 eröffneten Unipark. Immerhin wäre zu erwarten, dass in modernen Gebäuden auch ebenso zeitgemäße Methoden Einzug halten, um einen nachhaltigen Umgang mit Ressourcen zu ermöglichen. Zwei Monate nach unserem Lokalaugenschein, der diese Annahme vorerst leider keineswegs bestätigte, haben wir nun wieder einen Streifzug durch die Uni unternommen. Und siehe da: Die Beschriftung von Abfallbehältnissen ist mittlerweile nicht mehr die lobenswerte Ausnahme, sondern auf den ersten Blick beinahe flächendeckend zur Regel geworden. Angesichts der Tatsache, dass sich noch vor kurzer Zeit auf den meisten Containern eben noch keine solchen Aufkleber mit genaueren Angaben zu ihrem gewünschten Inhalt befunden hatten, mag es durchaus erscheinen, als hätte die studentische Berichterstattung tatsächlich Früchte getragen. So ist es nun endlich möglich, den bisherigen reinen Idealismus von einer umweltbewussteren Lebensweise auch an diesem doch ziemlich häufig frequentierten Ort in die Tat umzusetzen. Nachhaltigkeit wirkt nicht mehr wie ein Vorrecht des PLUS Green Campus oder anderer Organisationen, die eben die notwendigen finanziellen Mittel besitzen, um sich um solche Belange zu kümmern. Vielmehr sind die Studierenden selbst eingeladen, aktiv zu einer im wahrsten Sinne des Wortes „sauberen“ Uni beizutragen. Sicherlich nicht nur die Autorin findet: Ein erfreulicher Schritt in die richtige Richtung! Doch noch ist nicht aller Tage Abend – das betrifft auch die Menge der möglichen Umweltmaßnahmen im Salzburger „Glaspalast“. Ungeachtet

der jüngsten positiven Entwicklung besteht nach wie vor großer Aufholbedarf, was dieses Thema anbelangt, und mit diesem ersten Schritt ist es längst nicht getan. Noch immer befindet sich etwa in den zahlreichen Büros nur jeweils ein Mülleimer für sämtliche Abfälle des alltäglichen Lebens. Diese Tatsache verführt dann schlussendlich doch wieder dazu, jenen nicht nur beispielsweise als reines Papierbehältnis zu verwenden und den Rest nach draußen in die dafür vorgesehenen Container zu tragen, sondern aus Zeitgründen gleich allen entstehenden Unrat hineinzuwerfen. Und selbst, wenn man im Grunde guten Willen zeigen und auch in diesem Kontext alles vorbildhaft trennen würde, könnte das nichts daran ändern, dass die vom Reinigungspersonal eingesammelten Säcke letztendlich doch wieder an ein und derselben Stelle landen. Hier wäre es nun eben auch wünschenswert, die Möglichkeit zu erhalten, bereits vor Ort für korrekte Mülltrennung zu sorgen. Immerhin betrifft die Angelegenheit nicht nur sämtliche Studierende ohne Arbeitsverhältnis zur Uni, sondern genauso StudienassistentInnen und natürlich auch die große Anzahl an Lehrenden, deren Arbeitsplatz im Unipark untergebracht ist. Und auch Lehrveranstaltungsräume verfügen derzeit noch nicht über die notwendige Infrastruktur zur Erfüllung dieses ökologischen Anspruchs. Es sollte hier nicht mit zweierlei Maß gemessen und nur im öffentlich zugänglichen Teil des Gebäudes ein Anreiz zu umweltbewussterem Handeln gesetzt werden, während diese Option hinter den bedruckten Glaswänden keine Beachtung findet. Die Einrichtung eines effizienteren, nachhaltigeren Trennsystems würde daher an diesen Örtlichkeiten ebenfalls sehr begrüßt werden. Wie sich dieser Fall nun in nächster Zeit auch immer weiterentwickeln mag – wir bleiben jedenfalls dran.


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(c) Carolin Aichhorn

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Die Bildungsökonomisierung Konzept, Umsetzung und Versagen?

Zehn Jahre nach der Einführung des Bachelor-/Master-Systems in Salzburg ist es an der Zeit, eine vorläufige Bilanz zu ziehen. Ein Kommentar von Christof Fellner über den Bologna-Prozess und die Einflussnahme der Wirtschaft auf unser Hochschulsystem.

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issen ist der Schlüssel zu wirtschaftlicher Entwicklung, so lautet wohl die gängige Vorstellung von vielen. Nicht nur im makroökonomischen Sinne, sondern auch im privaten. Doch stimmt das eigentlich, und wenn ja – woran sollten wir das erkennen können? Wissen bedeutet bekanntlich Macht. Entwicklung im Sinne einer ständigen Steigerung des Wohles, nicht nur im allgemeinen, sondern auch im individuellen Zusammenhang, darf als Menschenrecht verstanden werden. Wissen existiert aber nicht mehr nur als Selbstzweck, sondern wird anhand entsprechend wirtschaftlicher Zweckmäßigkeit produziert. Bedeutendster Meilenstein dieser Entwicklung ist die sogenannte Bologna-Reform, die zu Beginn des letzten Jahrzehnts verabschiedet wurde. Im Hinblick auf die Ökonomisierung der Bildung bedeutet das Feststellung konkret: Die Universitäten werden wie Firmen geführt. Das Rektorat wird zum Management und Bildung zu einem Angebot, wobei man sich für oder dagegen das man sich entscheiden kann. Es herrscht das Prinzip des freien Marktes: Angeboten wird, was am meisten nachgefragt und unterstützt wird. Das Mitspracherecht von VertreterInnen der verschiedenen Kurien – insbesondere der Studierenden – innerhalb der Universität wird wegen wirtschaftlicher Notwendigkeiten auf ein Minimum reduziert.

Grundlage dieses Systems ist die Idee eines ökonomisch orientierten Menschen, des Homo oeconomicus. Dieser Mensch, so die Vorstellung, handle einzig und allein entsprechend einer Kosten-Nutzen-Analyse. Mehrere Optionen gleichzeitig können nicht gewählt werden, also müsse muss sich diese Person in einer Welt der begrenzten Ressourcen entscheiden. Staatliche Eingriffe in diese Entscheidungen sind im Wesentlichen unerwünscht. Ziel ist also, jene Studienfächer auszubauen, die für die Wirtschaft am interessantesten sind, da am meisten Nutzen für sie, aber auch für den Staat erwartet wird. Stark vereinfacht gesagt führt erfolgreiche Wirtschaft führt durch mehr Arbeitsplätze zu mehr Steuereinnahmen. Diese Fächer werden finanziell besser ausgestattet, von Firmen gefördert und mit Forschung beauftragt. Andere Fächer, deren Wissen nicht so leicht zu Geld gemacht werden kann, fallen durch den Rost – nämlich die sogenannten Orchideenfächer. Von den Studierenden wird erwartet, sich diesem System zur Verfügung zu stellen: Zum einen als KonsumentInnen des Lehrstoffes, zum anderen als ProduzentInnen von neuem oder auch verfeinertem Wissen. Steuerungsmaßnahmen sind Studiengebühren oder auch Studienplatzfinanzierungen in Verbindung mit Aufnahmeprüfungen. Sie sollen garantieren, dass nur eine relativ kleine Personengruppe überhaupt in der Lage ist, ihr sich Wissen anzueignen. So werden die Preise stabil und die spä-


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tere Konkurrenz möglichst klein gehalten. Die Währung dafür innerhalb der Universitäten sind zunächst die ECTS-Punkte; später wird es dann echtes Geld sein. Die Wissenschaft ist damit den Interessen der Wirtschaft angeglichen; und die Entwicklung derselben ist dann keineswegs mehr ausschließlich an zufällige Entdeckungen und die oder an unternehmerische Fähigkeiten einzelner Individuen gebunden. Soweit die Bestandsaufnahme. Für dieses System spricht zunächst die Einfachheit, mit der die Studierenden später in die Berufswelt einsteigen können. Man geht auf eine Hoch(Berufs-) schule, die dann Universität oder Fachhochschule genannt werden darf (die Bezeichnung ist selbstverständlich austauschbar), und nach einiger Zeit hat man die Möglichkeit, die ins Studium investierte Zeit in Form barer Münzen zurückzuerhalten. Doch nun zur Gegenseite. Die Fragen, die zu stellen sind, die wir uns stellen sollten, sind im Prinzip einfach. Der Wettbewerb wurde auf allen Ebenen, wissenschaftlichen wie nicht-wissenschaftlichen, institutionalisiert. Die Idee war, dass mit der Höhe des Bildungsabschlusses auch die Höhe des Einkommens steigt. Doch haben unsere Studien wirklich dazu geführt, dass wir in den Bereichen arbeiten, in

denen wir arbeiten wollten? Das möchte man meinen – ist aber nicht so. Ein Studium ist keine Garantie für einen adäquaten Arbeitsplatz. Im Gegenteil; vielmehr eher wird Vielseitigkeit, sowohl methodisch als auch geistig gedacht, vorausgesetzt. Vor allem im Kopf. Vielseitigkeit, die man aber schon im Studium hätte erwerben können, die aber nicht garantiert wird. Was nun ist die Lösung? Völlig freies Studium generale oder ein Mittelding zwischen freiem Studium und einigen wenigen Vorgaben im Studium? Es sollte uns allen um etwas Grundsätzliches gehen. Forschung um der Forschung willen ist das eigentliche Credo einer freien Wissenschaft. Forschung und Lehre sollten nicht vor den Karren nationaler Bedürfnisse gespannt werden. Wissen ist keine Ware auf Bestellschein! Ein Studium mit möglichst geringen Vorgaben ist wünschenswert; bei diesem können die Lehrenden die tatsächlichen Fähigkeiten der Studierenden wesentlich besser einschätzen und somit sinnvolleres Feedback erteilen als bei einem streng reglementierten Studium. Die mit dem Bologna-Prozess einhergehende Verschulung des Studiums und die Ausrichtung nach den Interessen der Wirtschaft sind jedenfalls abzulehnen.

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Es geht um nicht wenig: ewiges Leben, unendliche Höllenqualen oder Himmelsfreuden. Und da wäre noch dieser unsichtbare, alleswissende Mann da oben, der dich liebt und immer für dich da ist. Was unter Umständen gruselig klingt, spaltet die Lager: Mit ebenjener Eifrigkeit, wie sie die bravsten Schäfchen des Herrn an den Tag legen, wird von atheistischer Seite die Religion bekämpft. Wie sinnvoll ist die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Theologie an einer öffentlichen Universität?

ver sus

THEOLOGEN RAUS AUS DEN UNIS! Universitäten haben bekanntermaßen die Aufgabe, wissenschaftliche Forschung und Lehre zu betreiben. Objektivität, Überprüfbarkeit und Offenheit sind – neben anderen – wesentliche Werte in der Welt der Wissenschaft. Wie passt nun die sogenannte Theologie in dieses Konzept? Die Antwort ist recht einfach: Gar nicht. Von Samael Kölski

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n ihrem Selbstverständnis glaubt die Theologie, dass religiöser Glaube einen Zugang zur Wahrheit eröffne, der anderen Wissenschaften verschlossen sei; nur der messbare Teil der Wirklichkeit könne von ihnen erforscht werden, weshalb sie in eine größere, höhere Wahrheit eingebettet seien. Die Existenz eines Gottes, Gotteserfahrung u. ä. werden als nicht hinterfragbar postuliert; ohne entsprechende Glaubenserfahrung könne man die theologischeWissenschaft nicht betreiben. Aussagen über Gott, Heilsbotschaften für die Menschen und eine Eschatologie sind zentrale Themen der Theologie, die vorausgesetzt werden und nicht falsifizierbar sind. Keine Falsifizierbarkeit, keine Wissenschaft! Natürlich wird hier schnell der Einwand kommen, dass man sich mit Religion ja auch aus soziologischer Sicht beschäftigen könne; ebenso aus historischer, psychologischer oder literaturwissenschaftlicher Perspektive. Das stimmt und das kann man nicht nur, das muss man sogar. Aber für diese Themenfelder gibt es eigene Wissenschaftsbereiche, die genau das machen und dafür wegen ihrer Unvoreingenommenheit wesentlich besser geeignet sind als die theologischen Fakultäten, bei denen die Kirche ihre Finger im Spiel hat. Dass es in einem modernen westlichen Land im 21. Jahrhundert überhaupt noch staatlich finanzierte theologi-

sche Fakultäten gibt, ist ohnedies mehr als fragwürdig. Gerade in Zeiten universitärer Budgetknappheit ist es kaum zu rechtfertigen, dass eine Pseudowissenschaft wie die Theologie weiter finanziert wird – als würde man sich eine Fakultät für Homöopathie oder Astrologie leisten! Natürlich gibt es auch andere Fächer, die mit Wissenschaft nur am Rande zu tun haben (verdächtig sind da etwa die Rechtswissenschaften), aber bei der Theologie ist dieses Problem am offensichtlichsten. Gern ins Feld geführt wird auch das Argument Religionsunterricht, wonach man ReligionslehrerInnen lieber staatlich kontrolliert ausbilden solle als – und hier meint man meistens den islamischen Religionsunterricht – eine mögliche Radikalisierung zu riskieren. Auch dieses Argument ist Unfug, denn siehe oben: Wie ist es in einem modernen westlichen Land im 21. Jahrhundert überhaupt möglich, dass es in öffentlichen Schulen noch immer staatlich finanzierten Religionsunterricht gibt? Trennung von Kirche und Staat, anyone? Religion ist Privatsache. Wenn jemand an Feen und Geister glauben möchte, dann darf er das gerne machen, genauso wie jeder an Horoskope oder Globuli glauben darf. In einer aufgeklärten Gesellschaft sollte es aber außer Frage stehen, dass Voodoo-Fächer wie Theologie nichts an wissenschaftlichen Hochschulen zu suchen haben. Amen.


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UND JESUS SAGTE: „SCHEISSE“ Die Theologie ist an der Uni genauso relevant wie andere realitätsferne Wissenschaften (etwa BWL) findet, Belial Bilgiç ( Geschichte & Germanistik, 14. Semester)

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assen wir mal die positiven Errungenschaften – jenseits von Mord, Päderasterei und Hexenverbrennungen – zusammen: Wir sind eingebettet in eine jahrtausendealte Geschichte des Monotheismus, der zu seinen besten Zeiten Partei für die Unterdrückten dieser Erde ergriff und für Fortschritt sorgte. Mohammed, Jesus, Thomas Müntzer, … Die Liste der anständigen Widerständigen ließe sich beliebig fortsetzen, ganz abgesehen von den vielen Menschen (und vor allem Frauen), von denen die Geschichtsbücher schweigen. Diese Bewegungen befruchteten nicht nur die Kunst- und Kulturgeschichte, sondern sorgten auch für soziale(re) Gerechtigkeit und technische Innovationen. Hier ist der Islam als Paradebeispiel anzusehen: Ohne ihn wäre es etwa nicht nur fraglich, ob wir Aristoteles’ Schriften übersetzt vorliegen hätten, sondern auch höchst zweifelhaft, ob wir heute hochprozentigen Schnaps in unsere Birnen kippen könnten. Unsere Kultur baut auf monotheistischem Gedankengut auf; mit den Querverweisen in Literatur, Film und (Bau-)Kunst werden wir tagtäglich konfrontiert. Jede monotheistische Religion fußt nun auf ihrer jeweiligen Heiligen Schrift. Dabei sollten wir uns vor Augen halten, was diese religiösen Schriften sind: literarisch-psychologische Überlieferungen der Menschheit mit wenig Anspruch auf Historizität. Das sind wertvolle Zeugnisse, und ob wir diese in die Hände von Privatgelehrten oder in die Dienste des Staates, also in die des irdischen Allgemeinwohls, legen, ist nicht trivial! Großgewordene Institutionen neigen leider dazu, es sich bequem zu machen, den Fortschrittsgedanken aufzugeben und weltfremde FundamentalistInnen zu produzieren. Geschichten rund um die Erbsünde oder den Sündenfall sind viel mehrdeutiger und tiefschichtiger als eine reine Wort-für-Wort-Interpretation. Es braucht eine wissenschaftliche Exegese. Jesus sagte z.B. im Markusevangelium auch das Wort „Scheiße“. Davon jedoch schweigt die Übersetzung. Das ist neben einer

Beschäftigung mit den apokryphen Schriften ein Defizit; jene nehmen keinen oder wenig Raum im Lehrplan ein. Warum? Die katholische Kirche funkt hier an der Uni immer noch dazwischen. Dabei macht die Kirche nun, was sie halt so macht: Sie versucht an der Uni wie in der Gesellschaft ihre Macht zu erhalten und auszudehnen. Viele wenden sich zu Recht von ihr ab; es entstand ein leerer Kulturkatholizismus, während die Arbeit an sich selbst und an der Gemeinschaft verwässert wurde. Agiert die Kirche zeitgemäß? Hm. Exorzismen sind ein Verbrechen gegen die Menschheit, ein zölibatärer Mann soll Familien beraten, und hinsichtlich des Frauenbildes steht die katholische Kirche dem dritten Reich in Sachen Misogynie um nichts nach. Folglich bleibt nichts anderes übrig, als Kriterien für eine säkulare Theologie aufzustellen: Vollständige Trennung von Kirche und öffentlicher Universität, die zwar im Austausch miteinander stehen können, der Klerus sollte jedoch kein Mitspracherecht bei den Curricula haben. Eine Theologie dieser Art darf sich nicht auf die katholische Lehre allein berufen, sondern muss seine verschiedenen Ausprägungen, sowie das Judentum, den Islam und andere monotheistische Religionen, mit in seinen Kanon aufnehmen. Das wäre wichtig, weil derzeit evangelikale FundamentalistInnen an Fahrwasser aufnehmen. Und diese Do-it-yourself-Religionserneuerer sind das Pendant zur Katholischen Kirche: Sie fußen auf einem emotionalen Fundamentalismus, wohingegen die Kirche versucht, ihre Autorität verzweifelt über verstaubte Dogmen halbwegs rational zu rechtfertigen. Abschließend sei trotz aller Motzerei gesagt: Glaube ist wichtig. Um jetzt auch noch die NaturwissenschaftlerInnen zu verärgern: Wissenschaft ist letztendlich auch nichts anderes als Glaube. Allerdings ein fortschreitender Glaube, eine Annäherung an eine uns noch (unbekannte) Wirklichkeit. Wir können das ruhig auch Gott nennen.


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DIGITALISIERUNG IM STUDIUM – STUDIUM UND UNI FIT MACHEN FÜR DAS 21. JAHRHUNDERT Ein Kommentar von Maximilian Wagner

Irgendetwas stimmt nicht so ganz. Das habe ich bereits früh im Studium gemerkt. Irgendetwas passt nicht zusammen. Es begann mit der Erkenntnis, dass in Kursen die ganze Zeit Gruppenaufgaben verteilt werden, die Gruppe aber von Anfang sich selbst überlassen wird. In keinem Kurs lernt man etwas über Gruppendynamik, Gruppenführung oder Gruppenorganisation. Ja, wir haben inzwischen das Werkzeug für erfolgreiche Gruppenarbeit in die Hand bekommen: Über unsere Studierenden-Googleaccounts fällt das Dateienaustauschen leicht. Wie das aber im Detail funktioniert (z.B. einen Gruppenkalender erstellen), darüber schweigt die Uni. Bei Gruppenarbeiten wird man konstant und ständig ins kalte Wasser geworfen – gleichzeitig wird es als Allheilmittel in den Kursen inzwischen übermäßig verwendet, weil

in einer 20-minütigen Präsentation gleich vier Personen benotet werden können. Verschleiert wird diese methodische Überreizung mit den Schlagwörtern Berufskompetenz und Teamfähigkeit oder noch allgemeiner Soft Skills. Doch kein Beruf besteht aus andauernden Präsentationen und ungesteuerten Teams – ziemlich paradox. Neben den digitalen Google-Möglichkeiten gibt es das Blackboard, in dem digitale Kursinhalte zur Verfügung gestellt und Abgabemöglichkeiten für Arbeiten, Termine und Deadlines organisiert werden können. Mit schwankendem Erfolg – nicht alle Lehrenden wissen, wie man erfolgreich Begleitmaterialen und wirklich unterstützende digitale Kurse erstellt. Doch real werden die Gruppenarbeiten immer noch in persönlichen Treffen außerhalb des Kurses geplant und gemacht. Denn die Volldigitalisierung per


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Skype und Google kann nicht den persönlichen Kontakt ersetzen. Auch hier zeigt sich wieder, was nicht zusammenngeht: Wo sind denn die entsprechenden Gruppenarbeitsräume an der Uni? Die Bibliotheken zeigen sich karg. Abgesehen von modernen Scanmöglichkeiten und Computern erinnern die riesigen Regalreihen immer noch an die Universitätsbibliotheken des 19. Jahrhunderts. Emsiges Schweigen, Redeverbot – die Umgebung für akademische EinzelkämperInnen. Der Unipark verfügt über ganze zwei Gruppenarbeitsräume für die 22.000 Salzburger Studierenden – und das ist wohlgemerkt das neueste Gebäude der Uni Salzburg. Ansonsten gibt sich der Unipark abseits des Kurses unwirtlich. Auf den Gängen oder in der Eingangshalle sitzen die Studierenden und warten auf den nächsten Kurs, die Dachterrasse lädt im Sommer zum Herumsitzen ein – eine Arbeitsumgebung bietet nur der Kursraum selbst während des Kurses. An der NaWi wird täglich die Mensa nach dem Essen geöffnet, damit es überhaupt Gruppenarbeitsmöglichkeiten gibt. Dafür war und ist dieser Raum aber nicht ausgelegt. Hier stimmt also wirklich etwas nicht. Auch die Unispalten der Zeitungen haben längst thematisiert, wie sehr Studierende inzwischen von Gruppenaufgaben traumatisiert das Studium abschließen und wie wenig anwendbare digitale oder soziale Methoden sie am Ende parat haben. Digital Natives sind nicht herangereift, und auch keine wirklichen Teamplayer. Auch was die Verfügbarkeit digitalen Wissens angeht, besteht Nachholbedarf. Zwar gibt es Zugriff auf solche Archive von wissenschaftlichen Publikationsplattformen, aber eine wirkli-

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che Digitalisierung von Büchern und Wissen ist noch nicht eingekehrt. Längst könnte man E-Books von Lehrbüchern anbieten: Mit einem Mausklick ausleihen, durchschauen, und im Zweifel sofort mit einem Mausklick zurückgeben; schon hat die nächste Person Zugriff darauf. Stadtbüchereien benutzen solche Plattformen bereits, warum also nicht eine Universität? Und so kann ich mir nur wünschen • E-Books statt weitere analoge Kopien von ständig überarbeiteten Auflagen eines längst digital verfügbaren Lehrbuches zu kaufen • Gruppenarbeitsräume statt nur endlos große Bücherregal • Das Arbeiten mit digitalen Journals und E-Books auch in den Kursen • Das Vermitteln von Gruppenarbeits-Fertigkeiten in den Einführungskursen • Methodenvielfalt auch im Kurs – es gibt noch mehr als nur PowerPoint • Mehr Aufenthaltsmöglichkeiten an der Uni • Steckdosen in allen Räumen (auch in den älteren Hörsälen wie z.B. an der GesWi, NaWi oder am Juridicum) • Mehr Angebote auch außerhalb der Pflichtkurse – eine lebendige Uni als sozialer Drehpunkt Digitalisierung schafft nicht zwangsläufig eine Fernstudium-Uni. Aber sie sorgt dafür, dass Universität neu gedacht werden muss: weniger als Ort der lokal gebundenen Ressourcen, sondern vielmehr als sozialer Dreh- und Angelpunkt. Und dafür muss investiert, aufgerüstet und umgebaut werden. In einer digitalen Welt hat die Uni längst kein Monopol auf Wissen mehr – sie hat aber den Vorteil, Lernprozesse durch Lehrende zu unterstützen. Also leben wir genau das – denken wir unsere Uni doch bitte um.


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NOTHING TASTES AS GOOD AS SKINNY FEELS Diesen Ausspruch, den Kate Moss prägte und der oft leichtsinnig in den Raum geworfen wird, wirkt wie eine Verhöhnung eines körperlichen Zustandes, der im schlimmsten Fall mit dem eigenen Leben zu bezahlen ist. Kann man je von einer psychischen Krankheit geheilt werden? Und wie fühlt sich das Leben mit Anorexie an? Ein Erfahrungsbericht von Sophia Lang*

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eden Tag mit einem dumpfen Hungergefühl im Bauch aufwachen, in drei Schichten Pullover gehüllt, weil dein Körper sich nicht mehr erwärmen kann, das ist kein Wunder, wenn du ihn mit nichts anderem als Diätcola, ein paar Stückchen Obst und zuckerfreiem Kaugummi ernährst. Diätcola und Kaugummi –die einzig erlaubten „Nahrungsmittel“ auf deinem Speisezettel. Wenn du echtes Essen zu dir nimmst, dann nur solches, von dem du genau weißt, wie viele Kalorien darin lauern, schließlich willst du die Kontrolle über deinen Körper haben. Auf deinem gesamten Körper hat sich ein kleiner Haarwuchs, in Form von Flaum, gebildet. Er versucht sich mit allen Mitteln gegen das Verhungern zu schützen und fährt langsam alle seine Funktionen zurück. Deine Nägel werden brüchig, deine Haare fallen dir büschelweise aus, du bist lustlos, antrieblos, fühlst dich gefangen in einem dir so fremd

gewordenen Körper. Du hast jeden Bezug zur Außenwelt verloren, alles, einfach alles, ist mit großer psychischer und physischer Anstrengung verbunden. Anorexia nervosa, oder auch im Volksmund Magersucht genannt, ist langfristig die tödlichste aller psychischen Erkrankungen. Die Todesrate unter erkrankten Frauen zwischen 15 und 24 Jahren ist mehr als zwölfmal so hoch im Vergleich zu anderen Krankheiten. In Österreich leiden mindestens 2500 Mädchen an Magersucht.1 Eine von diesen 2500 schreibt diesen Erfahrungsbericht, wohlwissend, dass das gesellschaftliche Stigma Magersucht bei Angabe eines echten Namens, wie mit Leuchtstift auf meiner Stirn geschrieben, wohl immer an mir haften würde. Deswegen will ich anonym bleiben. Mein engstes Umfeld, meine Familie und Freunde, die mich in dieser Geschichte wiedererkennen, brauchen keine Bestä-

* Name von der Redaktion geändert. Quellen: 1 http://diepresse.com/home/ leben/gesundheit/743787/ Gefaehrliche-Magersucht_ Hohe-Sterblichkeitsrate http://diepresse.com/ home/leben/gesundheit/743787/Gefaehrliche-Magersucht_Hohe-Sterblichkeitsrate 2


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tigung, dass ich diesen Artikel geschrieben habe. Angefangen hatte alles als Teenie. „Typisch Pubertät eben, möchte man meinen“, „Wahrscheinlich hat sie sich mit Models aus Zeitschriften verglichen“, glauben andere per Ferndiagnose zu wissen, ohne jemals ein Wort mit mir gewechselt zu haben. Doch so einfach ist es nie und so einfach ist es bei keinem Mädchen, bei keiner Frau, bei keinem Buben und bei keinem Mann – ja auch Männer leiden unter Essstörungen, zwar sind 90 bis 96 Prozent der Essgestörten weiterhin Mädchen und junge Frauen, aber die Zahlen der männlichen Erkrankten steigen jährlich. In meinem Fall kann ich nicht sagen, wie und warum es begann.2 Ich war immer normalgewichtig und auch durchaus sportlich, aber auch wahnsinnig ehrgeizig, bis zur Perfektion – ein „Markenzeichen“, das wohl, ohne jetzt pauschalisierend klingen zu wollen, viele Magersüchtige in sich tragen. Dieser Drang nach Perfektion und verschiedene private Gründe wie ein Schulwechsel, die allesamt absolut nicht beunruhigend, sondern eher ein Zeichen von Veränderung waren, brachten meine Welt ins Kippen. Ich versuchte durch gezielte Kontrolle über mein Essverhalten und exzessive Sporteinheiten mein Leben in Einklang zu bringen. Das Heimtückische daran: Am Anfang kassiert man Komplimente über seine körperliche Veränderung; die antrainierten Muskeln und die Disziplin, eisern an Salat zu knabbern, während dein Gegenüber zur fettigen Pizza greift, motivieren, immer weiterzumachen, alles zu tun und nicht zu stoppen, denn das Ziel ist schließlich Perfektion. Es fühlte sich wie eine Achterbahnfahrt an, ein ständiges Auf und Ab der Gefühle. Ich empfand Frust, wenn die Waage trotz sportlichem Exzessverhalten ein halbes Kilo mehr anzeigte, und diebische Freude, wenn ein Rippchen mehr aus dem nur noch aus Haut bestehenden Körper zu sehen war. Rippen, die aus dem Brustkorb standen, und hervorblitzende Hüftknochen sah ich als Trophäen meines perversen Triumphes über meinen Körper. Die Achterbahnfahrt verwandelte sich mehr und mehr in ein Gruselkabinett. Nach einer enormen Hungerkur – ich verlor rund 20 Kilo in fünf Monaten – war ich ein Schatten meiner selbst: 36 Kilo waren mein Einlieferungsgewicht in eine Klinik für psychosomatische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen. Couragierte LehrerInnen und meine hilflosen Eltern hatten michdazu gebracht, mich einweisen zu lassen. Sie waren überfordert und verstanden meinen Wandel nicht, denn schließlich war ich doch immer so ein „einfaches“ Kind gewesen: Sehr gute Noten, nett, laut, extrovertiert, mit guten Freunden an meiner Seite. Es war fünf vor 12 und das soll keine dramatische Überhöhung zwecks

Leseanreiz sein, sondern bittere Realität: Ich war geschwächt und wurde mit hochkalorischen, ekelhaften Drinks aufgepäppelt. Fast ein halbes Jahr verbrachte ich mit meinen 15 Jahren in diesem Krankenhaus, täglich eingespannt in einen strikten Tagesplan, in dem Essen eine Hauptrolle spielte – und vor allem, dazu wieder fähig zu sein. Mein Körper hatte verlernt, ein Hungersignal auszusenden. Ich fühlte nichts mehr und war leer wie eine spindeldürre Marionette. Ein ganzes Team von Psycho-, Ergo-, Mal- und PhysiotherapeutInnen kümmerte sich neben einem, speziell ausgebildeten Ärzteteam um uns PatientInnen. Dieses halbe Jahr in der Klinik hat mich verändert und mich zu einem anderen Menschen gemacht. Vor der Diagnostizierung meiner Essstörung, als ich also noch im elterlichen Zuhause still und heimlich litt, hatte ich mich von Grund auf verändert: Ein echtes Lächeln huschte mir kaum mehr über die Lippen, mein Blick war glasig und teilnahmslos, eigentlich hatte ich mich und mein Leben innerlich schon aufgegeben. Ich wurde zur fähigen Lügnerin, eine Eigenschaft, die mir die Magersucht beibrachte, galt ich doch immer als wahnsinnig schlechte Lügnerin und wurde bei jeder kleinen Flunkerei sofort ertappt. Doch die Essstörung veränderte nicht nur meinen Körper, sondern auch mein Verhalten: Mit engelsgleicher Miene log ich meinen Eltern wie gedruckt ins Gesicht, ließ Essensreste hastig in bereitgelegte Taschentücher verschwinden und scheute nicht mal davor zurück, „überflüssiges“ Essen einfach aus dem Fenster zu werfen. Die Essstörung hatte mich seelisch und körperlich jeder Kraft beraubt; ständig war ich den Tränen nahe, gereizt und nicht mehr belastbar. Die Zeit im Krankenhaus war hart und eine Probe, die ich anfangs nicht zu überleben glaubte. Mir fehlte meine Familie, mir fehlten meine Freunde – ich musste mir ein halbes Jahr lang ein Zimmer mit Mitpatientinnen teilen. Privatsphäre war daher ein Fremdwort. Das Krankenhaus ungefragt und unbegleitet zu verlassen, war mir strengstens untersagt. Es war, das mag nun pathetisch klingen, der größte Kampf, den ich je in meinem Leben bestritten habe und den habe ich auch nur mit mir selbst ausgefochten, dem wahrscheinlich härtesten Gegner, den ich mir vorstellen kann. Per definitionem gelte ich als geheilt; ich halte mein Gewicht seit nunmehr drei Jahren relativ konstant. Nach meiner Entlassung hatte ich mit zwei Rückschlägen zu kämpfen, die ich aber dank der nie endenden Unterstützung meiner Eltern überstand. Tief im Innersten weiß ich aber, dass ich wohl nie wirklich geheilt werden kann, denn eine Heilung von einer Essstörung hat nicht nur mit hinzugewonnenen Kilos auf der Waage zu tun, sondern sie spielt sich vor allem

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im Kopf der Erkrankten ab. Jahrelang versuchte ich die Essstörung zu verdrängen, aber mittlerweile weiß ich, dass sie zu meiner Biografie gehört. Sie ist mein ganz persönliches „Erlebnis“, das mich ausmacht und mich zu der Frau gemacht hat, die ich heute bin. Ich will keine lebensbedrohliche Krankheit beschönigen, doch es ist nicht immer alles in Schwarz und Weiß, in Gut und Böse, oder in Hilfreich und Nutzlos unterteilbar. Nicht nur Anorexia nervosa selbst, sondern auch mein Klinikaufenthalt, durch den ich in Kontakt mit Jugendlichen verschiedener Erkrankungen gekommen bin, haben mich zu einem sensiblen und empathischen Menschen erzogen. Ich habe, so paradox es klingen mag, meinen Körper kennengelernt und ein neues Körperbewusstsein entwickelt. Es gibt zwar Tage, Wochen und Monate, in denen alles schwer fällt und der Schritt in die Essstörung wie der einfachere Weg aus einer schwierigen Situation erscheint. Gerade private Probleme, wie etwa Liebeskummer, verlangen meinem Körper und mir alles ab; in solchen Zeiten versuche ich, mein emotionales

Ungleichgewicht, die Ungewissheit der Zukunft und wie mein Leben ohne Person XY weitergehen soll, mit der strikten Kontrolle über meinen Körper zu beseitigen. Ich habe aber gelernt, dass Selbstkasteiung nicht der Weg ist, um sich selbst wieder zu lieben und wertzuschätzen. Das versuche ich mir jedes Mal einzubläuen, wenn mir mein Kopf zuflüstert: „Komm schon, halt durch! Iss weniger und treib noch mehr Sport!“ Bis jetzt habe ich dem widerstanden, doch ich weiß, wie schnell ich wieder in eine Abwärtsspirale hineingeraten kann und bin mir dessen auch bewusst. Klingt anstrengend, nicht? Ist es auch. Es ist ein täglicher Kampf mit einem kleinen Teufel auf der Schulter, der einem alles Wunderbare im Leben – das leckere Eis im Sommer, das Gläschen Wein mit Freunden und generell ein geregeltes Sozialleben – zunichte machen möchte, und zwar auf Kosten der eigenen Gesundheit und eines freien und unbesorgten Lebens. „Nothing tastes as good as skinny feels?“ Dass ich nicht lache, Kate!


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Schlecht, schlechter, Geschlechter? Meine Putzkraft leistet gute Arbeit. Die Unternehmer verlassen den Saal. Wer musste beim ersten Satz an eine Frau denken und beim zweiten an Männer? Wieso ist das so und was können wir dagegen tun? Ein Vorschlag von Ivana Ristic

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prache schafft Bewusstsein. Ein alter, lahmer Spruch. Die Beispielsätze sind ein Beweis dafür. Das hat bei dir nicht funktioniert? Das haben aber mehrere Studien bewiesen! Also: Das generische Maskulinum ist schlichtweg falsch. Es gibt nicht nur Menschen mit Penissen zwischen den Beinen, es gibt auch 3,5 Mrd. mit Vaginas. Und jedes Mal, wenn jemand Studenten sagt oder schreibt, verleugnet er die weibliche Hälfte. Weil aber Frauen tatsächlich existieren und man sie auch ansprechen möchte, sollten sie explizit genannt werden. Wer die Behauptung vertritt, Gendern sei unnötig, weil es das Lesen erschwere, dem kann eine Studie von deutschen Sprachwissenschaftlern und Sprachwissenschaftlerinnen als Gegenargument dienen: Braun et al. (2007) haben drei Gruppen jeweils verschiedene Versionen einer Packungsbeilage für ein Medikament lesen lassen. Die erste Beilage beinhaltete das „generische Maskulinum“ (z.B. Patient), die zweite geschlechtsneutrale Formen (Personen oder die Nennung von beiden Geschlechtern) und die dritte das Binnen-I (PatientInnen). In jeder Gruppe befanden sich gleich viele Frauen wie Männer. Erhoben wurde einerseits, wie gut der Inhalt beibehalten wurde, und andererseits, wie Probanden und Probandinnen den Text bewerteten. Das Ergebnis: Männer konnten sich etwas besser an den Inhalt erinnern als Frauen, wenn beide Geschlechter genannt wurden. Es galt der umgekehrte Fall beim Binnen-I und dem generischen Maskulinum. Bei der subjektiven Wahrnehmung trat das Gegenteil ein: Frauen fanden alle drei Texte lesbar und verständlich, wohingegen Männer die Fassung mit dem generischen Maskulinum am besten fanden. Anders gesagt: Geschlechtergerechte Sprache hat keinen Einfluss auf die Verständlichkeit von Texten, wohl aber auf die Bewertung. „Das war immer schon so“, ist das schwächste Argument, das man in Bezug auf das Gendern anführen kann. Würden wir es gelten lassen, würden wir noch immer mit Keulen bewaffnet in Höhlen sitzen und uns die Schädel einschlagen. Sprache diskriminiert Menschen mit Migrations-, aber auch mit Menstruationshintergrund. Allein die große © Argonne National Laboratory (flickr)

Auswahl an Schimpfwörtern für das weibliche Geschlecht aber zeigt, dass mit Sprache in eine Richtung diskriminiert wird. Frauen, die das Leben in vielen verschiedenen Betten genießen, bezeichnet man als Fotzen, Männer, die sich nicht zusammenreißen, werden vom Fußballtrainer als Ladies bezeichnet. Wie können wir also richtig sprechen, ohne jemanden zu diskriminieren und die Hälfte der Weltbevölkerung auszuschließen? Am besten sprechen wir gar nicht erst Deutsch. Im Russischen, Bosnischen, Serbischen und Kroatischen gibt es Formen für Männer und Frauen. Beide etwa heißt auf Kroatisch obadvojica, wenn es sich um zwei Männer handelt, obadvije, sobald es um zwei Frauen geht, und eine eigene grammatische Form obadvoje verdeutlicht, dass in einem Satz von einer Frau und einem Mann die Rede ist. Wer also nicht um die deutsche Sprache herumkommt, für den gibt es bestimmte Formen: Die Paarform: Studentinnen und Studenten Das Binnen-I: StudentInnen Das sogenannte Splitting mit dem Schrägstrich: Student/innen Diese drei Formen unterscheiden zwar zwischen Mann und Frau, wer aber im 21. Jahrhundert lebt, wird bemerkt haben, dass wir mehr als nur zwei Geschlechter haben: transsexuelle oder intersexuelle Personen. Diese würden durch die ersten drei Formen dennoch ausgeschlossen werden, deshalb gibt es noch folgende drei Möglichkeiten: Geschlechtsneutrale Bezeichnungen: Studierende Das Gender Gap (momentan beliebteste Form) gibt Platz für alle: Student_innen Der Gender-Star: Student*innen Daneben gibt es noch eine neue Erscheinung: das dynamische Gendern, das selbst in Feministen- und Feministinnenkreisen noch nicht Fuß gefasst hat. Beim dynamischen Gendern wird immer ein Abstand in Wörtern eingefügt, um die männliche Form nicht zu betonen: Stu_dentinnen oder Studentin_nen. Welche Form man auch immer für sich auswählt, es ist wichtig, dass eine konsequent in einem bestimmten Text beibehalten wird, weil ansonsten die Lesbarkeit beeinträchtigt ist.

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Wenn die Kritik keine Grenzen kennt. Ein sich selbst vernichtender Kommentar. Von Claudia Maria Kraml

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ier sollte nun eigentlich, den üblichen Konventionen folgend, eine möglichst tagesaktuelle Hinführung der Leserschaft zu der im Folgenden behandelten Angelegenheit stehen, samt subtiler Werbung für meine ganz persönliche Meinung zur Thematik. Aber wisst ihr was? Nicht mit mir! Ich hab keine Lust drauf, mir fällt bei diesem verregnet-düsteren Innenhofanblick aus dem Bürofenster ohnehin nichts ein – und wenn ich es mir so recht überlege, bin ich eigentlich auch dagegen. Bisher habe ich mich ja noch vorsichtig zurückgehalten, von wegen neuer Stelle, strenger Zensur und so weiter, bzw. meine inakzeptable, erzkonservative Haltung zu gendergerechter Sprache eben anonym unter die empörte Leserschaft gebracht. Irgendwann aber ist für jede einigermaßen von sich selbst überzeugte Person die Zeit gekommen, ihr wahres Gesicht zu zeigen, und dieser Punkt ist genau jetzt erreicht. (Wobei ich ganz ehrlich gesagt ja eigentlich nur irgendeinen Grund brauche, um den unheimlichen Frust wegen meines Ex-Freunds rauszulassen, der zugleich auch mein Arbeitskollege ist, aber nur noch schriftlich mit mir kommuniziert, seit ihn meine singende Verwandtschaft vor anderthalb Jahren in die Flucht geschlagen hat. Aber das muss ja nun wirklich niemand wissen – also diese Stelle in der Endversion unbedingt streichen, bitte danke, CK.) [Hoppala. Anm. d. Redaktion] Immerhin schwimmen nur tote Fische mit dem Strom, und ich glaube nicht mal an mein eigenes Sternzeichen. Zu allem Ja und Amen sagen, das ist es, was die heutige Gesellschaft von uns fordert, auf den Knien will sie uns sehen, für jeden noch so klei-

nen Schritt um Erlaubnis flehend. In sämtlichen Aspekten unseres alltäglichen Lebens wird uns fremder Wille aufgezwungen – man denke nur an diverse neue Curricula, die natürlich nicht allen Ernstes zum Wohl der Studierenden verändert wurden. Oder generell an all die Leute, die ganz grundsätzlich annehmen, man würde sich einfach mit allem einverstanden erklären, kein Wort des Aufbegehrens verlautbaren lassen und stillschweigend hinnehmen, was die Ehre einer ganzen Generation verletzt. Hier geht es schließlich gar nicht um irgendein bestimmtes Nischenthema oder Orchideenstudium, nein, die Sache ist viel größer, globaler, betrifft uns alle und das nicht erst seit gestern. Denn wir sind schlussendlich diejenigen, die entscheiden, ob das alles immer so weitergehen muss! Wenn man schon kleine Unstimmigkeiten nicht beheben kann – wie etwa das ratlose Gesicht dieses nervigen Erstsemestrigen, der den genauen Verlauf seines Studiums erfahren wollte, obwohl ihm schon mehrere Personen klar gemacht hatten, dass dieses einfach nur scheiße ist –, dann wendet man sich eben den großen zu. Nichts Geringeres als Gesellschaftskritik ist unsere Liga. Wir polemisieren mit Gottes-Karikaturen und Fäkalsprache und... Penissen, genau, das wirkt auch immer ganz provokant. Auffallen um jeden Preis, das ist die Devise. Wer ist sich schon meiner Existenz bewusst, solange ich nicht anecke, meine Mitmenschen irritiere, mit Skandalen um mich werfe? Iudico ergo sum. Zufriedenheit ist Stillstand, das Aneinanderreihen vernünftiger Argu-


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mente mehr als ein Schritt zurück. Bloßes Beschreiben von bereits vorhandenen Regeln und Abläufen, etwa aus dem Pflichtgefühl der hilfreichen Erklärung heraus, kommt purer Zeitverschwendung gleich. Entscheidungen müssen angefochten werden, kein Wort von „oben“ darf ohne unser Echo in Form von Kritik am System bleiben! Und wer kümmert sich schon um den Konstruktivitätsgrad solcher Äußerungen, sofern diese vor allem eines verdeutlichen – nämlich, dass wir uns einfach nicht länger von irgendwelchen willkürlichen Vorschriften unterdrücken lassen? Nicht jeder kommt allerdings auch mit den Konsequenzen zurecht, die solche Äußerungen nach sich ziehen, und das muss ja auch nicht sein, Charaktere sind eben verschieden. Möchte man nun trotz einer eher geringeren Belastungstoleranz oder auch schlicht und einfach, weil man keinen Ärger möchte, trotzdem endlich mal so richtig seinen Protest gegen die Diktatur von oben loswerden, gibt es natürlich auch dafür Mittel und Wege. Beispielsweise den, die Provokation anderen Leuten in die Schuhe zu schieben, und zwar möglichst klugen und gewissenhaften Menschen (damit es auch einigermaßen glaubwürdig klingt) und möglichst so, dass die Manipulation niemand wirklich mitbekommt. Und sollte das, entgegen aller Erwartung, doch mal passieren, dann war das Ganze natürlich nur ein harmloser Scherz, ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Diese Masche zieht eigentlich immer. Demnach zeigt sich: Kritik kennt keine Grenzen, zumindest nicht die negative Version davon, die hier – wie die geneigte Leserschaft sicherlich längst bemerkt hat – im Mittelpunkt steht. Konstruktive Beiträge, die zu einer Verbesserung der kritisierten Umstände führen wollen, sind ja auch ganz nett, aber leider nicht mehr als das. Nach außen hin mag ihr Resultat zwar wie ein Fortschritt wirken, der aus dem Wechsel von höflicher, auf Änderungsvorschlägen verweisender Beanstandung und einer oft sogar einsichtigen Reaktion darauf besteht. Doch bei eingehenderem Betrachten kommt man schnell zu dem Schluss, dass dadurch eigentlich nichts gewonnen ist: Weder emotionale Erleichterung durch das zügellose Benützen von Kraftausdrücken, noch die einzigartige Überhöhung der eigenen Person angesichts

all der kollektiven Entrüstung, die einem plötzlich zuteil wird. Menschen merken sich negative Erlebnisse nun einmal besser als erfreuliche, genau diese Tatsache sollte man sich zunutze machen. Welche Form von Aufmerksamkeit könnte also dauerhafter sein als jene, die aufgrund von eklatanten, gegen alles und jeden gerichteten Äußerungen entsteht? Nun könnte man einwerfen, dass bei all der grundsätzlich skeptischen Haltung irgendwann auch gewisse logische Probleme entstehen könnten, was ihr eigentliches Ziel betrifft oder genauer gesagt jenes, über das sie so gern hinausschießt. Denn wenn immer alles kritisiert werde, so heißt es, würde man letztendlich auch nicht umhinkommen, irgendetwas am eigenen Handeln auszusetzen zu haben. Und schlussendlich eben auch an der Kritik, womit man sich diese selbst zerstört. Aber wer sagt eigentlich, dass man stets ganz brav und gehorsam den Gesetzen der Logik folgen sollte? Manche Leuten mögen ja meinen, dass man sich inhaltlich nicht widersprechen sollte – aber mal ehrlich: Wenn wir uns schon über alles hinwegsetzen, dann auch konsequent. Und so lehnen wir es auch vehement ab, wegen unserer Ablehnung abgelehnt zu werden, und sind weiterhin schon aus Prinzip dagegen. Ohne Polemik kommt man heutzutage wahrlich nicht mehr weit, das spiegelt sich sogar im Lehrveranstaltungsprogramm der Uni wider. Und ich verspreche euch: So cool, in und angesagt wie sie wird die Vernunft garantiert niemals sein! So – und wer sagt jetzt eigentlich, dass ich diesen Kommentar nun mit einem gefälligen, das Ganze noch mal zusammenfassenden und relativierenden Absatz beenden sollte? Wenn ihr tatsächlich glaubt, ich würde mich solchen normativen Diktaten beugen, dann habt ihr euch gewaltig getäuscht. Da mache ich als standhafte Journalistin nicht länger mit! Ihr könnt versuchen, was ihr wollt, aber nicht mit mir!! Keinen Tag länger!! Die Würfel sind gefallen!! Sturz dem System!!! (Und nein, ich habe mich noch immer nicht abgeregt. Besagter Ex-Freund trifft sich nämlich außerdem mit einer Freundin von mir und glaubt allen Ernstes, ich wüsste von nichts, dabei steht’s ja sogar in der Unizeitung geschrieben. Es besteht also noch Potenzial für mindestens zehn hasserfüllte Polemiken.)

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WENN DIE PROSTITUIERTE NEBEN DIR AUF DEN BODEN SPUCKT Ich bin sehr gerne eine Frau. Trotzdem wäre ich es in dieser einen Nacht lieber nicht gewesen. Dafür musste ich nur an einem Türsteher vorbei. Von Sabine Feldmaurer

Lass uns doch noch auf ein Bier ins Puff gehen!“ Ein schlauer Mensch hat einmal gesagt, dass nach zwei Uhr morgens meistens nichts Gutes mehr passiert. Um knapp drei Uhr morgens nach ein, zwei, drei, vier Bier war die Idee geboren. „Ja, hier ist es eh fad“, lallt Jan1. Ich überlege kurz und frage dann „Sagt mal, nehmt ihr mich mit? Ich wüsste echt gern, wie es da drin so ist“. Wollte ich wirklich. Unbedingt. Man kann mir nämlich fünfmal erklären, dass die Herdplatte heiß ist – ich werde sie trotzdem anfassen. So haben Freudenhäuser, die ja eigentlich nur für Männer bestimmt sind, schon immer eine große Faszination auf mich ausgeübt. Nennt es Sensationsgeilheit oder anders – ich wollte schon immer wissen, wie es ist, in einem solchen Etablissement ein Bier zu trinken. Zurück in die Bar: Drei Augenpaare schauen mich belustigt und verdutzt an. Jan vergisst sogar, seine Zigarette anzuzünden, die er schon seit gefühlt fünf Minuten im Mund hat. „Naja, das können wir schon machen, wir müssen halt schauen, wie wir dich da reinbekommen“ sagt er, und deutet auf mein recht knappes Kleid. „Ach, das mach‘ma schon“, ist Max optimistisch. Wir zahlen unsere Rechnung und machen uns auf den Weg zum nächsten Freudenhaus. Während meine drei besten Freunde am Weg witzeln,

FPÖ-Wahlplakate umtreten und sich gegenseitig in Büsche werfen, gehen mir tausende Gedanken durch den Kopf. Ich bin ziemlich still, nervös, und neugierig auf das, was ich gleich zu Gesicht bekommen werde. „Ich bin gespannt, ob sie dich da reinlassen. Normalerweise haben Frauen keinen Zutritt. Du könntest schließlich die Ehefrau von irgendwem da drinnen sein“, sagt Jonas, offensichtlich noch am nüchternsten von uns allen. Wir denken uns also eine Geschichte aus. Ich bin ab jetzt die Freundin von Jonas, die bisexuell ist und Bock auf ein kostspieliges Abenteuer zu dritt hat2. Als Jonas verschmitzt meine Hand nimmt und mich „Schatzi“ nennt, wird mir ein bisschen übel. Mein Herz klopft, wir drücken die Klingel, die uns die Tür in eine unbekannte Welt öffnen soll. In der Stadt Salzburg gibt es 13 Bordelle. Genaue Zahlen rund um die dort beschäftigten Sexualarbeiterinnen sind schwer zu bekommen – Zahlen von 2007 vermuten etwa 500 Prostituierte in Salzburg. Im Jahr 2011 waren nur vier Prozent der Prostituierten aus Österreich; der überwiegende Teil stammt aus dem Ausland – vorwiegend aus den ehemaligen Ostblockländern. Sexarbeit zählt außerdem zu den wenigen Tätigkeiten, die AsylwerberInnen legal ausüben dürfen3.

Quellen & Hinweise: 1 Alle Namen von der Redaktion geändert (wer gibt schon zu, dass er im Puff war) Wir waren wirklich sehr betrunken. Und ehrlich: was Besseres ist uns wirklich nicht eingefallen. Seid froh, dass ich die Geschichte noch so lückenfrei erzählen kann. 2

https://www.bmbf.gv.at/ frauen/prostitution/prostitution_02_26160.pdf ?4dz 3


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Du kommst hier nicht rein Ein Mann ganz in schwarz gekleidet steht mir gegenüber, mustert mich von Kopf bis Fuß und runzelt die Stirn. Er schüttelt den Kopf. „Nein, sorry Leute. Ihr könnt gern rein, aber das Mädel muss draußen bleiben.“ Ich fluche innerlich, setze aber mein coolstes Gesicht auf und sage: „Ach komm, heut ist doch nicht viel los. Du freust dich doch sicher auch über etwas Umsatz4.“ Der Türsteher überlegt kurz und lässt uns eintreten. „Aber nur auf ein Bier“, fügt er hinzu. Unsere Story hat er uns offensichtlich nicht geglaubt – umso erfreulicher, dass ich trotzdem nicht die Tür vor der Nase zugeknallt bekomme. Ich versuche, mich nicht zu offensichtlich zu freuen, gleichzeitig wird mir mit jedem Schritt Richtung Bar flauer im Magen. Nur vier Mädels wären heute im Dienst, deswegen sei es auch eine absolute Ausnahme, dass ich reingekommen bin, erklärt mir der Türsteher, der sich auch als Barkeeper entpuppt. Ich verkrieche mich in den dunkelsten Winkel, nippe an meinem zwölf Euro teuren Bier und beobachte. An der Bar sitzen etwa zehn Männer, die allesamt unerwartet jung und weitaus weniger abstoßend aussehen, als das Vorurteil vorgaukelt. Sie unterhalten sich mit drei ziemlich betrunken wirkenden Frauen; Depeche Mode dröhnt aus den Boxen, es wird getrunken und gelacht. Kurz vergesse ich, wo ich bin und entspanne mich – bis eine Sexarbeiterin an mir vorbeigeht, mich anfunkelt und demonstrativ vor mir auf den Boden spuckt. Auch die anderen Gäste sind offensichtlich von meiner Präsenz irritiert. Ich trinke einen extragroßen Schluck aus meinem Bier und versuche mein Selbstbewusstsein wiederzufinden, während sich meine Jungs köstlich über meine Unsicherheit amüsieren. Der Barkeeper, der sich offensichtlich Sorgen über meinen psychischen Zustand macht, lehnt sich über die Bar und fragt mich, ob alles in Ordnung sei. Ich nicke und wir kommen ins Gespräch. So erfahre ich, dass eigentlich gar nicht der Konkurrenzkampf beziehungsweise der Freundinnen-Faktor der Grund sind, warum Frauen nicht ins Bordell dürfen – sondern vielmehr eine Bestimmung des Landessicherheitsgesetzes Salzburg. So muss jede Prostituierte, die in einem Freudenhaus arbeitet, dort auch gemeldet sein. Bei einer potentiellen Kontrolle ist bei weiblichen Gästen für den Kontrolleur nicht ersichtlich, ob der vermeintliche Gast vielleicht einfach nur nicht gemeldet ist und somit schwarz arbeitet. Hier drohen hohe Strafen. Auch sonst gibt es für Bordelle in Salzburg hohe Auflagen – zum Beispiel bei der Auswahl des Standortes: Im Umkreis von 300 Metern rund um das Freudenhaus darf etwa keine Schule, kein Kindergarten, kein Kinderspielplatz, keine Sportstätte, kein Gebäude für religiöse Zwecke, kein Amtsgebäude, kein Alten- und Pflegeheim und auch keine Kaserne liegen5. Meine Blase meldet sich. Ich würde mich jedoch lieber

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von einem Bus anfahren lassen, als durch das gesamte Lokal bis zur Toilette zu laufen. Max, Jonas und Jan bestellen sich noch ein Bier (an denen die Frauen übrigens auch mitverdienen) und ich zwicke die Pobacken zusammen. Sie spielen ihre Rolle perfekt Der Barkeeper wendet sich wieder von uns ab und ich blicke in die Runde. Nur an den sehr knappen Outfits der Frauen lässt sich erahnen, dass sie wohl nicht nur zum Biertrinken hier sind. Auf einmal geht alles sehr schnell: Zwei ältere Männer in Anzügen kommen an die Bar, sprechen zwei Mädchen an, greifen ihnen an den Hintern. Für eine Millisekunde meine ich, Abneigung in den Gesichtern der Frauen zu erkennen – danach spielen sie ihre Rolle perfekt. Der Preis wird verhandelt, die Praktiken und Stellungen werden im Vorhinein abgesprochen; es wird per Kreditkarte im Voraus bezahlt und das Bier wird geext. Danach führen die Sexarbeiterinnen ihre Kunden mit Handtüchern bewaffnet auf die Zimmer. „Gleichzeitig sind die Mädels hier aber auch Kellnerinnen“, erzählt mir Max, der das emsige Treiben am Tresen ebenso beobachtet hat. „Wenn ein Gast während seiner Zeit auf dem Zimmer Durst bekommt, werfen sich die Mädels einfach ein Handtuch über und gehen hinter die Bar“, erzählt er. Gefühlte drei Liter befinden sich inzwischen in meiner Blase, ich muss mich wohl oder übel erleichtern – Bus hin oder her. So schnell wie möglich husche ich durch den Raum auf die Toilette. Keiner Spuckt, keiner funkelt mich an – perfektes Timing. Am Rückweg versuche ich nicht mehr so zu laufen, als wäre ich eine Kleptomanin mit vollen Taschen. Ich gehe fast schon selbstbewusst in Richtung Sitzplatz, als ich auf einmal eine Hand auf meinem Hintern spüre. Ich fahre herum, will dem Herren eigentlich ordentlich die Meinung geigen – weiß aber zum ersten Mal in meinem Leben nicht, ob das gerade angebracht ist. Die Reaktion auf mein relativ freundliches „Ich bin hier auch nur Gast“, ist jedoch fast schon entschädigend: Die Farbe weicht ihm augenblicklich aus dem Gesicht und so etwas wie „Oh! Äh, Entschuldigung“ und irgendwas mit „eh gut“ und „Emanzipation“ kommt aus seinem Mund. Ich grinse in mich hinein und begebe mich zu meinem Sitzplatz. Ich bin müde. Eine halbe Stunde später verlasse ich mit gemischten Gefühlen das Bordell. Schön war es nicht wirklich, als Frau in einem von Männern dominierten Etablissement zu sein. Schön war es auch nicht, den Frauen bei ihrer Arbeit zuzuschauen. Interessant war es aber auf jeden Fall. Was mir der Abend im Freudenhaus gebracht hat? Erfahrung und eine Geschichte, die ich erzählen kann sowie die Einsicht, dass ich in diesem Leben sicher nicht noch mal in ein Bordell gehen werde.6

Quellen & Hinweise: 4 So ist es in meiner Erinnerung. Kann aber auch sein, dass ich einfach irgendwas Unverständliches gebrabbelt habe. https://www.stadt-salzburg.at/pdf/ris__salzburger_landessicherheitsgesetz_-_s-lsg_lg.pdf 5

Der Diskussion über Ethik und Moral stelle ich mich heute ganz bewusst nicht. Das würde erstens den Rahmen sprengen und zweitens: über was sollte ich dann in der nächsten UP-Ausgabe schreiben? 6


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FROHES FUSSBALLFEST UND EINEN GUTEN RUTSCH INS NEUE JAHR! Der Wüstenstaat Katar hat sich ehrgeizige Ziele für die Zukunft gesetzt. Mit dem Vorsatz, einer der modernsten Staaten der Welt zu werden, wird Katar 2022 Austragungsort der Fußball-Weltmeisterschaft sein. Ein Bericht von Julius Falkenbach

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chon die Vergabe des Turniers an Katar war von mehrfachen, schweren Korruptionsvorwürfen begleitet. Zudem wurden des Öfteren Stimmen laut, die eine Austragung der WM in Katar aufgrund der mangelnden Fußballtradition für unpassend hielten. Auch die bisherigen Vorbereitungen und Bauarbeiten für die WM sind fragwürdig. Die Arbeitsbedingungen von tausenden GastarbeiterInnen werden stark kritisiert. Die weitreichenden Bautätigkeiten haben bereits mehrere Todesopfer gefordert. Hinzu kommt, dass eine Austragung der Weltmeisterschaft wegen der klimatischen Bedingungen nur im Winter möglich sein wird. Bereits 2010 wurden Exekutivmitglieder des Weltfußballverbandes Fédération Internationale de Football Association (FIFA) wegen Korruptionsverdachts vorläufig suspendiert – ihnen wurde vorge-

worfen, ihre Stimmen für die Vergabe der WM verkauft zu haben. Im selben Jahr kamen noch weitere Bestechungsvorwürfe gegen Exekutivmitglieder der FIFA an die Öffentlichkeit; kurze Zeit später wurde die WM an Katar vergeben. 2014 verstärkten sich die Vorwürfe durch die Aufdeckungsarbeit der britischen Zeitung Sunday Times. Auch die parlamentarische Versammlung des Europarates hatte aufgrund der massiven Korruptionsvorwürfe ein neues Verfahren zur Vergabe der Weltmeisterschaft gefordert. Die FIFA wies den Beschluss des Europarates zurück; es wurde kein neues Verfahren oder eine Neuvergabe des Weltmeisterschaftsstandortes diskutiert. Der Weltfußballverein erhoffte sich weitreichende soziale Fortschritte durch die Ausrichtung der WM in Katar. Im Jahr 2013 wurde der mediale Fokus der Bericht-


erstattung auf die Ausbeutung der ArbeiterInnen auf den Baustellen in Katar gelegt. Amnesty International berichtete damals, dass vor allem die nepalesischen GastarbeiterInnen unter den Bedingungen vor Ort leiden würden. Es gebe bereits mehrere Todesfälle, die auf Herzversagen und Arbeitsunfälle zurückzuführen seien. Auch wird darauf hingewiesen, dass innerhalb von zwei Jahren mehr als 450 InderInnen auf den Baustellen ums Leben gekommen seien und Angestellte ihre ArbeiterInnen misshandelten. Die Löhne seien so schlecht, dass ArbeiterInnen betteln müssten, um sich Nahrungsmittel leisten zu können. Es sei gängige Praxis, die Pässe der GastarbeiterInnen einzubehalten, um den Arbeitsplatzwechsel im Land und eine Ausreise zu erschweren. Dem Bericht der Menschenrechtsorganisation zu Folge behalten die ArbeitgeberInnen die Löhne bis zu sieben Monate ein. Bei Beschwerden der ArbeiterInnen würde diesen damit gedroht, ohne Auszahlung ihres Lohnes des Landes verwiesen zu werden. Amnesty International warf nach Aufdeckung dieser Missstände der FIFA vor, bei der Verhinderung der Menschenrechtsverstöße völlig zu versagen und hielt sie dazu an, sofort etwas gegen die Situation der ArbeiterInnen zu unternehmen, um nicht mitverantwortlich für die Austragung der Weltmeisterschaft auf dem Rücken tausender ausgebeuteter ArbeitsmigrantInnen zu sein. Besonders kritische Stimmen betrach-

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ten die Situation der ArbeiterInnen als eine Form moderner Sklaverei. Die FIFA zeigt sich angesichts der Kritiken nur wenig einsichtig. „Man verlasse sich darauf, dass sich die katarischen WM-Organisatoren der Probleme annehmen würden“, ließ der Weltfußballverband verlautbaren. Kritik von Seiten der Fußball-Prominenz kam vor allem hinsichtlich der mangelnden Fußballtradition des Landes. Der deutsche Bundestrainer Joachim Löw bezeichnete den Austragungsort als „eine im Moment unglaublich mutige Entscheidung.“ Auch von anderen Fußballgrößen wurde die Entscheidung für Katar negativ beurteilt. So bezeichnet Louis van Gaal den Zuschlag für den Wüstenstaat als „unglaublich“. Der frühere DFB-Präsident Theo Zwanziger verlangte die Entziehung der Austragungsrechte für Katar. Es darf durchaus befürchtet werden, dass mangels einer tieferen kulturellen Verankerung des Sports das Aufkommen einer Fußballstimmung erschwert werden könnte, schließlich verfügt Katar über keine nennenswerte nationale Fußball-Liga und hat auch noch nie bei einer Fußball-Weltmeisterschaft teilgenommen. Im Zuge der Vorbereitungen war auch der Bau von neuen Hotels geplant, um die notwendige Anzahl von Zimmern für die BesucherInnen zur Verfügung zu stellen. Aufgrund der sinkenden Ölpreise wurden die


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Projekte aber verschoben oder gänzlich abgebrochen. Um die Vorgaben der FIFA zu erfüllen, sind nun Beduinenzelte in der Wüste geplant. Ein weiteres offensichtliches Problem bei der Austragung der Weltmeisterschaft in Katar stellen die klimatischen Bedingungen dar. Eine Durchführung der Spiele im Sommer wäre ohne vollständig temperierte Stadien nicht möglich. Die hohen Temperaturen während der Sommermonate machen eine sportliche Betätigung undenkbar. Deshalb herrschte zunächst Unklarheit bezüglich des Zeitraums der Austragung. 2015 gab die FIFA bekannt, eine Durchführung im November und Dezember, als „tragfähigste Lösung für die Austragung zu erachten.“ Das Finale des Turniers wird somit am 4. Advent stattfinden. Es können sich also die ZuschauerInnen hierzulande auf ein wo-

möglich verschneites Fußballfest freuen. Zu Streitigkeiten aufgrund der Durchführung der Weltmeisterschaft im Winter kam es auch mit den europäischen Profiligen wegen des internationalen Spielkalenders. Zusammenfassend lässt sich nur wenig Positives über die Austragung der Weltmeisterschaft in Katar berichten. Die Korruptionsvorwürfe sind angesichts zuverlässiger Quellen nicht von der Hand zu weisen. Die Entscheidung der FIFA, die Austragung an Katar zu übergeben, erscheint schon aufgrund der klimatischen und kulturellen Bedingungen fragwürdig. Die Berichte über die Missstände der ArbeiterInnen und die Planungsdefizite machen die Situation nur noch kritischer. Schlussendlich darf man gespannt sein, wie sich die Dinge entwickeln werden. Es gilt, Vorbereitungen zu überdenken und die Situation der ArbeiterInnen umgehend zu verbessern.


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„Im Prinzip ist es so, als würde man einen Freund mehr haben“ „Abdi, hierhin, positionier dich!“, dröhnt es über den Fußballplatz. Der Trainer der Mannschaft ist mit vollem Einsatz Teil des Spiels. Bibbernd sitzen wir auf den Tribünen am Rande des Spielfelds. Wir, das sind Leonie und ich. Abdi, eigentlich Abdullah, ist ein unbegleiteter, minderjähriger Flüchtling aus Afghanistan, der nun seit rund eineinhalb Jahren versucht, in Österreich Fuß zu fassen. Ich habe mit Leonie gesprochen und 90 Minuten auf Zuschauerrängen mitgefiebert. Von Stefanie Baumann*

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eonie hilft, und das schon seit Beginn der medial als solche betitelten „Flüchtlingskrise“: Sie klebte bunte Federn auf Papierkrönchen und spielte stundenlang mit geflohenen Kindern auf dem nasskalten Boden der Bahnhofstiefgarage, die im Herbst als vorübergehendes Lager für durchreisende Flüchtlinge umfunktioniert wurde. Sie half mehrmals ehrenamtlich in der Betreuung von Schutzsuchenden. Leonie ist nun noch einen Schritt weiter gegangen und hat sich für ein Buddyprojekt der Kinder-und Jugendanwaltschaft verpflichtet. Leonie interessierte sich schon seit längerem für ein Praktikum bei der Kinder- und Jugendanwaltschaft, kurz kija. Im Rahmen des open heart-Projekts der kija ist sie nun Buddy und Patin des 14-Jährigen Abdullah. Im Bundesland Salzburg leben aktuell 275 minderjährige Flüchtlinge, die ohne ihre Familien nach Österreich gekommen sind. Durch das Absolvieren einer Ausbildung sollten die TeilnehmerInnen des Weiterbildungsseminars auf die verantwortungsvolle Aufgaben als MentorInnen und Ansprechpersonen für junge Flüchtlingevorbereitet werden. An sechs Abenden wurde den ange-

henden MentorInnen praxisnah das Handwerkzeug zum Buddy-Dasein vermittelt, vom Wissen über das Asylrecht für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge bis hin zur Traumabewältigung. Eine dichte Wolkenfront braut sich über unseren Köpfen zusammen. Wir knöpfen unsere Jacken zu und kramen nach mitgebrachten Mützen. Erste Regentropfen prasseln geräuschvoll auf das Wellblechdach der Tribüne. Der Trainer der Mannschaft lässt sich von solchen Wetterkapriolen jedoch nicht stören und kommentiert jeden Spielzug mit frenetischen Zwischenrufen. Die Spieler, unter ihnen auch Abdullah, der gerade eingewechselt wurde, trotzen ebenfalls den heftigen Regengüssen. Seine Mannschaft ist klar im Vorteil und schießt ein Tor nach dem anderen. Nach dem Ende der Ausbildung begannen die Mitarbeiter der Kinder- und Jugendanwaltschaft nach einem geeigneten „Partner“ für Leonie zu suchen. Im Prozess dieser Suche werden sowohl mit der/ dem MentorIn als auch dem Flüchtling Gespräche geführt, um so Hobbies und Gemeinsamkeiten zwischen Flüchtlingen und freiwilligen MentorInnen

* Alle Namen von der Redaktion geändert. Quellen 1 http://www.kija-sbg.at/ home/projekte/uebersicht/ artikel/open-heart.html


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auszuloten. Nach etwa einem Monat wurde Leonie nach der Abgleichung ihrer Interessen und Hobbys dem 14-Jährigen Abdullah vermittelt. „Mir war wichtig, dass ich mich auf mein Gegenüber verlassen kann und wir auch gemeinsame Interessen teilen. Ich koche zum Beispiel gerne und würde das noch viel lieber mit jemand anderem tun“, sagt Leonie. Das erste Treffen mit Abdullah fand im Rahmen eines Kennenlernnachmittages in der Kinder- und Jungendanwaltschaft statt. „Ich traf ihn gemeinsam mit meinem Freund Moritz und zwei Betreuerinnen der kija. Keiner von uns Dreien wusste, was wirklich auf uns zukommen würde und mein Freund Moritz hat eine kritische Haltung zur Flüchtlingsthematik. Da ich Abdullah zu diesem Zeitpunkt ja auch noch nie persönlich gesehen hatte und gar nicht wusste worauf und vor allem auf wen ich mich da einlasse, hatte ich gewisse Bedenken“ meint Leonie. Doch sie wurde eines Besseren belehrt: Als es zur

Unterzeichnung einer Vereinbarung kam, die sozusagen die Erwartungen von Abdullah und Leonie an die Patenschaft in einem Vertrag bindet, unterzeichnete auch Moritz spontan das Übereinkommen und setzte mit seinem Namenszug ein klares Zeichen, dass er die Patenschaft seiner Freundin unterstützt. „Für meinen Freund war das Gespräch eine positive Überraschung, er fand Abdi von Anhieb an sympathisch.“ Und nun sitzen wir hier neben einer Handvoll Eltern, die ihren Kindern zusehen, und feuern Abdullah an. Nach Spielende stapft er über den regennassen Rasen des Spielfeldes zu uns. „7:0 habt ihr gewonnen, oder?“, frage ich ihn. Schüchtern blickt er zu Boden und antwortet: „Ich denke ja, hab nicht mitgezählt.“ Der brüllende Trainer, der wohl nicht nur mit einem lauten Sprechorgan, sondern auch mit einem ziemlich guten Gehörsinn gesegnet ist, hört bei unserer Unterhaltung offenbar mit und ruft uns zu: „7:0, 6:0,


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Kinder- und Jugendanwaltschaft Salzburg mit dem Buddyprojekt open heart: http://www.kija-sbg.at/home/projekte/uebersicht/ artikel/open-heart.html Die Diakonie bietet unter dem Projekt Elongó Salzburg ebenfalls ein Buddyprojekt an, weitere Infos hier: https://fluechtlingsdienst.diakonie.at/einrichtung/ salzburg-integrationshaus/projekt-elongo-salzburg ehrlich gesagt hab ich auch keine Ahnung, aber sie haben allesamt ihr Bestes gegeben – und das ist es schließlich, was zählt.“ Auf die Frage, warum sich jedermann/frau engagieren kann und welche Vorteile solchen Buddyprojekte innewohnen, meint Leonie: „Gerade das Buddy-Projekt gibt einem bei relativ kleinem Zeitaufwand – ich treffe mich mit Abdi circa einmal die Woche – wahnsinnig viel zurück. Wer von uns kann nicht ein paar Stunden erübrigen? Meiner Meinung nach ist es im Prinzip so, als würde man einen Freund mehr haben.“ Auch du möchtest dich engagieren, beispielsweise mit Sachspenden helfen oder auch deine freie Zeit mit anderen teilen? Hier findest du einige Informationen zu verschiedenen Projekten in Salzburg:

Caritas Salzburg: von Sachspenden über Mitarbeit in Flüchtlinghäusern bietet die Caritas ein breites Angebot für freiwillige HelferInnen https://www.caritas-salzburg.at/spenden-helfen/ angebote-fuer-freiwillige/ ÖH Buddy System: Die ÖH bietet Stadtspaziergänge, ein Sprachencafé und ein Buddy-System für inskribierte, außerordentliche StudentInnen. Mehr Informationen zum Programm der ÖH Salzburg: https://morebystudents.wordpress.com/ueber-uns/ Das Land Salzburg bietet auf einer übersichtlich gestalteten Website eine Freiwilligenbörse für die Flüchtlingshilfe in Salzburg an: https://salzburg.volunteerlife.xyz/de/fluechtlinge

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kultur & menschen

WATSCHEN, UNFÄLLE UND NACKTE STARS SOMMERJOBS BEI DEN SALZBURGER FESTSPIELEN

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ie Salzburger Festspiele gelten als das wichtigste Spektakel der klassischen Musik und der darstellenden Kunst. In der Bevölkerung stoßen Jedermann und Co. dabei auf geteilte Beachtung. Für Kunstinteressierte sind die Festspiele das Tollste der Welt, da sie sich durch hochkarätige Aufführungen auszeichnen und sich die kulturelle Crème de la Crème sowie A- bis Z-Promis ein Stelldichein geben. Es wird gestaunt, gelauscht und geklatscht. An weniger Kunstaffinen zieht das Ganze währenddessen mehr oder weniger bewusst vorüber – denn sie meiden Plätze und Lokale, wo die Gefahr besteht, in den Festspieltrubel zu geraten. Es wird ausgewichen und sich darüber beschwert, dass für die Dauer der Festspiele, Straßenbaustellen und übrige, wenig gustiöse Zustände („Schandflecke“) verschwinden, damit sich die Festspielgäste daran nicht stören. Ein ambivalentes Verhältnis also. Doch egal, was man von den Festspielen hält, bleiben sie auf jeden Fall ein erheblicher Wirtschaftsfaktor: Hotellerie, Gastronomie, Handel und Tourismus profitieren immens. So bringen die Festspiele nicht nur Geld und Leute nach Salzburg, sondern schaffen zusätzlich Jobs, nämlich 200 Ganzjahresarbeitsplätze sowie 3600 Sommerjobs.1 Letztere sind gerade unter Studierenden heiß begehrt. Das hat

sich die uni:press zum Anlass genommen, um mit sechs StudentInnen über ihre Erfahrungen als Ferialjobber bei den Festspielen zu sprechen und verschiedenste Tätigkeiten vorzustellen. Die Pädagogikstudentin Lisa* arbeitete in der KünstlerInnengarderobe. Sie kümmerte sich mit ihren KollegInnen um die Kleidung der KünstlerInnen, überprüfte diese und half beim An- und Ausziehen. Lisa besuchte eine Modeschule und kam durch Schulkolleginnen zu diesem Job, von dem sie anfangs nicht wusste, dass er überhaupt existiert. Er gefällt ihr, vor allem die Einblicke hinter die Kulissen, der Kontakt mit den KünstlerInnen und die Feiern mit den KollegInnen. Sie hofft, während ihrer Studienzeit noch öfter dort zu arbeiten. Empfehlen kann Lisa den Job Leuten, die ebenfalls eine Ausbildung im Modebereich haben, flexibel und stressresistent sind. „Denn man erfährt immer erst am Abend des Vortages, wie man am nächsten Tag arbeiten muss“, wie Lisa erklärt. „Man gewöhnt sich aber relativ schnell daran und genießt die seltenen freien Tage.“ Auch Kurioses hat sie zu berichten: „Es gibt Tage, da geht einfach alles schief. Beispielsweise verschwinden Kleidungsstücke in den unendlichen Weiten des Festspielhauses – da muss man dann flexibel sein und sich schnellstmöglich um Ersatz bemühen.“

© Metro Centric - Flickr.com

Ganz Salzburg steht im Sommer im Zeichen der Festspiele. Als Sommerjobber tauchen auch viele Studierende in diese Welt ein. Von Christoph Mödlhamer

Quellen 1 http://www.salzburgerfestspiele.at/Portals/0/D%20 Studie%202011.pdf * Namen von der Redaktion geändert


KULTUR & MENSCHEN KULTUR UND MENSCHEN

Robin* studiert Spanisch und Biologie und hat als Statist gearbeitet. Er mimte einen Soldaten in einer Oper, wobei viele Proben nötig waren. „Aber“, so erzählt er, „die Proben werden immer konkreter: Es beginnt auf der Probebühne, dann geht’s auf die richtige Bühne und später kommen noch die Kostüme hinzu.“ Den Ablauf beschreibt er so: „Dreißig Minuten vor dem Auftritt muss man in die Maske, dann kommt die Kostümierung, danach der Auftritt und in den besten Fällen darf man an der Applausordnung teilnehmen.“ Er war bereits früher als Statist tätig, und für ihn ist es besonders wichtig, dass „der Drive innerhalb des Teams“ stimmt. Robin erklärt: „Je kleiner das Team, desto angenehmer. So ergeben sich nämlich Gelegenheiten, sich besser kennenzulernen. Bei großen Teams beschränkt sich der Kontakt auf oberflächliche Begegnungen in der Umkleide.“ Weiters: „Du kannst das nur machen, wenn du völlig flexibel bist. Oft rufen sie dich 24 Stunden vorher an und es heißt ‚ab dafür!‘“, sagt er. „Das Beste an diesem Job ist, wenn du von bestimmten Musikpassagen emotional berührt wirst“, schwärmt Robin. Für Studierende bietet sich die Statisterie an, denn in den Pausen ist unter anderem die Lektüre von Uni-Texten möglich. Angesprochen auf das prägendste Erlebnis, hält sich Robin relativ bedeckt und meint nur: „Ich habe mich verliebt.“

Als Chauffeur in der Audi-Flotte arbeitete Sanchez Domingo*, der Marketing studiert. Seine Aufgabe war es, Gäste abzuholen, sie zu den Aufführungen zu bringen und sie anschließend wieder heimzufahren. Die Arbeit und die 380 PS starken Limousinen gefielen ihm, und er konnte interessante und spendable Menschen kennenlernen. Das Arbeiten am Abend bzw. am Wochenende und das Bereitstehen auf Abruf waren allerdings anstrengend. FahrerInnen mit wenig Erfahrung – wie Sanchez – bekommen kaum Fahrten zugeteilt, vor allem „wenn man sich nicht bei den OrganisatorInnen einschleimt.“ Da die KollegInnen erfahrener waren, tat er sich als „Neuer“ schwer, Anschluss zu finden. „Außerdem“, sagt Sanchez, „üben diesen Job auch sehr viele Salzburger Schnöselkinder aus, mit denen die Zusammenarbeit nicht so viel Spaß macht.“ Er selbst blieb unfallfrei, doch weniger Glück hatte einer seiner Kollegen, wie sich Sanchez erinnert: „Das Ärgste war eindeutig der Moment, als ein Taxifahrer die Tür eines Audi-Chauffeurs weggeschossen hat, die dieser gerade öffnen wollte – 25 000 Euro Schaden.“

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Max*, der Filmschnitt studiert, war als Hausmeister tätig. Sein Aufgabengebiet war sehr breitgefächert und reichte vom Aufräumen bis zum Vorbereiten der Säle. Die Zeit dazwischen nutzte er „im Dienste der Prokrastination zum Kartenspielen mit den Kollegen.“ Ansonsten galt es zu erledigen, was gerade anfiel. Seine Hauptmotivation war das Gehalt und die Aussicht, tiefere Einblicke in den Betrieb zu bekommen: „Anfangs dachte ich, dass die Festspiele etwas Besonderes sind. Ich fand es interessant, den ganzen Apparat kennenzulernen.“ Es bestanden auch Parallelen zur Filmwelt, und sogar als Musikfan kam er auf seine Kosten: „Ich finde musikalische Menschen unglaublich faszinierend und bewarb mich im Grunde für die Stelle, um zu sehen, wie Theater und Musik gemacht werden.“ „Außerdem“, sagt Max, „gab es tolle Interaktionen mit schönen Putz- und Rezeptionsmädels. Ich habe immer gehofft, dass ich etwas zu ihnen bringen muss, damit ich ‚Hi‘ sagen kann.“ Dagegen störte es ihn anfangs, einen Blaumann anzuziehen, und einige seiner Arbeiten kamen ihm fragwürdig vor. Zum Beispiel musste er mit einem Schraubenzieher das Moos zwischen den Pflastersteinen herauskratzen. „Da fragte ich mich schon, ob das ernsthaft Arbeit sein soll, oder nur Beschäftigungstherapie.“ Die Kollegen waren alle nett, jedoch „gab es einen Antagonisten, der war einfach ein Arschloch. Mit ihm kam es immer wieder zu Reibereien.“ Max und er harmonierten einfach nicht, „allerdings hatte es dieser 50-jährige Miesepeter aber auch nicht leicht.“ Weiters schildert er: „Das Ganze gipfelte dann bei der inoffiziellen Abschlussfeier der Hausmeister in einer Bar darin, dass mir besagter Typ eine Watsche gegeben hat.“

Sabrina*, die Medizin studiert und Kathi* (Erziehungswissenschaft) arbeiteten als Reinigungskräfte. Ihre Aufgaben umfassten das Putzen von Aufführungssälen, Klos, Böden und Fenstern sowie das Polieren von Klavieren. Sabrina musste in der Kollegienkirche auch Heiligenstatuen abstauben. „Ich erhoffe mir dadurch bis heute ein bisschen ‚Credit‘ von Oben“ sagt sie. Gefallen hat es beiden, wobei Sabrina betont, dass sie es nur des Geldes wegen getan hat. Sie empfand die Reinigungsarbeiten teilweise als sinnlos, da oft gereinigt wurde, was ohnehin sauber war. Dass viele StudentInnen dort arbeiteten, tat dem Arbeitsklima gut, und es gab auch einige Partys. So konnte man, wie Kathi betont, schnell neue Leute kennenlernen. Wichtig war für beide der Blick hinter die Kulissen: Es gefiel ihnen, das Flair der Festspiele mitzuerleben, zu sehen, was hinter einer Aufführung steckt und leichter an Probenkarten zu kommen. Den frühen Arbeitsbeginn und die Sechstagewoche empfanden sie als weniger angenehm. Prägende Ereignisse gab es für die beiden auch: „Ich fand es witzig, während der Pausen in voller Putzmontur mit dem Putzkarren, in dem dreckiges Wasser herumschwappt, zwischen den fein herausgeputzten Damen und Herren der Schickeria aufzuräumen, die Champagner schlürften und Lachsbrötchen aßen“, sagt Sabrina. Kathi nennt gleich drei zentrale Erlebnisse: „Einmal ist mir Ben Becker nackt am Gang entgegengekommen. Ich bin rot angelaufen und er sagte nur ‚Nur keine falsche Bescheidenheit, meine Liebe!‘ Außerdem musste ich bei der Don Giovanni-Aufführung die Bühne wischen und wurde dabei live auf Servus TV übertragen. Und: Am Korridor kam auch einmal Angela Merkel an mir vorbei, umringt von zehn Bodyguards.“

Hinweis *Namen von der Redaktion geändert


KULTUR KULTUR&&MENSCHEN MENSCHEN

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ür große Empörung sorgte die Entscheidung der Universität Salzburg, das Ehrendoktorat des berühmten Verhaltensforschers Konrad Lorenz zu widerrufen. Es gibt aber auch zahlreiche weitere Fälle, in denen die dunkle Vergangenheit lange Zeit ignoriert wurde. Robert Obermair hat sich in seiner Diplomarbeit mit einem von ihnen beschäftigt. Wenn man es wagt, nationale Identifikationsfiguren wie Konrad Lorenz anzupatzen, wird schnell der Vorwurf laut, man sei ein Nestbeschmutzer und solle erst selbst einmal etwas leisten. Mit der Aufarbeitung des Nationalsozialismus nimmt man es in Österreich eben

auch heute noch nicht so genau – ganz in der Tradition des nachkriegszeitlichen Schweigens. Ehemalige (?) NationalsozialistInnen konnten unbehelligt weiterwerken, ohne jemals für ihre Taten gerade stehen zu müssen. Kritisiert man heute diesen Umgang mit NS-VerbrecherInnen, darf man sich im schlimmsten Fall auf einen analogen Shitstorm gefasst machen. Da werden wütende LeserInnenbriefe an die Kronenzeitung geschrieben, Mitgliedschaften im Alumni-Club zurückgelegt und den Verantwortlichen die geistige Eignung für ihr Amt abgesprochen – kurz: Die Volksseele kocht.

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Hinweis Robert Obermair: Kurt Willvonseder. Vom SS-Ahnenerbe zum Salzburger Museum Carolino Augusteum, erschienen 2016 im Otto Müller Verlag. ISBN 978-37013-1225-2, 22€.


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Robert Obermair, Absolvent des Fachbereichs Geschichte und mittlerweile Assistent an der PH Salzburg, hatte das Glück, sich nicht mit einer Ikone wie Lorenz befassen zu müssen; er widmete sich in seiner Arbeit dem ehemaligen Direktor des Salzburger Museum Carolino Augusteum (heute: Salzburg Museum), Kurt Willvonseder. Der Pranger blieb ihm erspart. In sieben Kapiteln schildert Obermair ausführlich den Lebensweg Willvonseders, der einer deutschnational gesinnten Salzburger Familie entstammte. Seine Studienzeit im Wien der 20er- und 30er-Jahre, in der er über Umwege zur Urgeschichte gelangte, beschreibt Obermair als prägende Periode; die Universität Wien galt damals als Zentrum des Antisemitismus und Deutschnationalismus. In der Zeit des Nationalsozialismus gelang ihm – nicht zuletzt wegen bester Kontakte zu führenden Wissenschaftlern – ein rasanter Aufstieg. Im Auftrag der SS-Wissenschaftsorganisation Das Ahnenerbe, ähnlich wie die Konkurrenzorganisation Amt Rosenberg eine wissenschaftlich eher zweifelhafte Institution, führte er unter anderem Grabungen in besetzten Gebieten durch. Auch im Lagerkomplex Mauthausen-Gusen war Willvonseder tätig. Nach Kriegsende konnte er seine wissenschaftliche

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Tätigkeit wieder aufnehmen und wurde schließlich sogar zum Direktor des Salzburger Museum Carolino Augusteum bestellt. An der 1963 wieder gegründeten Universität Salzburg übernahm er außerdem Lehraufträge zur Urgeschichte Österreichs. Obermairs Werk ist als durchaus gelungene Auseinandersetzung mit dem ehemaligen SS-Mann Willvonseder zu sehen. Der Methodik-Teil, der in der publizierten Fassung gänzlich ausgespart wird, ist in der Diplomarbeit zwar eher dünn gehalten, und auch eine Bewertung der wissenschaftlichen Leistungen Willvonseders wäre dringend notwendig gewesen. Dass außerdem die Kritik an der Beteiligung Willvonseders an den Verbrechen des Nationalsozialismus viel zu milde ausfällt, äußert sich unter anderem darin, dass der Chefredakteur der Salzburger Kronenzeitung, der nur wenige Wochen zuvor gegen das Senatsurteil über Konrad Lorenz gewettert hatte, mehrmals sein Wohlwollen kundgetan hat. Lobenswert ist aber die intensive Auseinandersetzung mit den Quellen, die bei Diplomarbeiten Seltenheitswert hat. Letztendlich bleibt zu sagen: Obermair hat es geschafft, das Thema so aufzubereiten, dass auch ein Lesemuffel und zeitgeschichtlicher Laie wie ich es gerne gelesen hat.

Hinweis Gelesen und rezensiert wurde das Buch von UP-Redakteur Christoph Würflinger.


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Mittelstadtklima von Claudia Maria Kraml

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n einem großteils bewölkten Dienstag von nicht näher geklärter Bedeutsamkeit sprengte ich den Rahmen. In jener Zeit standen die Dinge nun einmal so, dass allgemeine Resignation vorherrschte, mitunter gar diffuser Weltschmerz, umherschleichende Alltagsverweigerung und viel leisere Anklänge von frisch gesäter Heiterkeit, als man es vielleicht für möglich gehalten hätte. Für die war es ganz einfach nicht der richtige Zeitpunkt und auch nicht die Stimmung, denn allmählich wurden mir sämtliche Ausbrüche grenzenloser Wissbegier immer unbegreiflicher. Am Anfang des Sommers hatte mich das drängende Bedürfnis ereilt, sang- und klanglos die Stadt zu verlassen, ob nun für immer oder nur für die Illusion davon. Doch dann waren die Kreisbewegungen des Zeigers diesen vagen Fluchtplänen zuvorgekommen, und die unbegrenzten Möglichkeiten vergingen in dienstbeflissener Tastaturbenützung. Ich kam von hier nicht mehr los, das musste ich einsehen, und sollte es heutzutage auch nicht mehr an finanziellen Mitteln fehlen, so lag der Mangel nun an anderer Stelle. Der Grund war verloren, aber Anpacken und Weitermachen, das wurde auch weiterhin als Leitprinzip betrachtet. Irgendein Unterpunkt einschlägiger Verträge hatte mich nun auch in diesen graugetünchten Konferenzraum gelockt, wo sich die Plastikpflanzen mit den Ausstiegsgerüchten um die Wette rankten. Vielleicht

hatte ich mich auch selbst eingeladen, natürlich eher unabsichtlich, aber im Nachhinein kann man ohnehin nie von konkreter Schuld sprechen. Es war ein langer, schier endloser Tisch, an dessen Ende der Firmenvorstand thronte, und durch die Oberlichter blickte man auf kahle Strauchstümpfe. Was an sich noch nicht völlig den Tatsachen entsprach, denn immerhin wurden sie noch von sporadischem Rotlaub umfangen, aber auch dieser Verlust war unabwendbar. Während kühle Luftzüge an der Hoffnung nach Beständigkeit rüttelten, rannten die Phrasen im Leerlauf um die Wette. Wer nicht gekommen war, würde das vielleicht sehr bald noch tun, jedenfalls hielt ich Ausschau, soweit meine Sehkraft übers düstere Linoleum reichte. Ich war bemüht, den Hauptinhalten gelegentlich Fußnoten anzufügen, schon aus dem Wissen um ihre ruffördernde Wirkung im erlesenen Zirkel heraus. Ein falsch verstandenes Wort (aus welchem Anlass würde man hier schon Französisch sprechen?) brachte die Erinnerung mit sich, dass ich solche Tage früher eigentlich geliebt hatte: Weitläufig in ihrer Aussicht über das Gewesene und nun gen Jahresende hin verengt, getrieben von Windböen am Unwetterhimmel. Kurzlebig, doch unvergesslich, wenn nur aus der richtigen Perspektive besehen. Genau so eben, wie man das Leben nur ohne erlittenen Verlust kannte, ohne die Ahnung von in die Jahre gekommenen Neubauten, Sparmaßnahmen und etappenweiser Verfremdung.


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Die Dinge standen nämlich auch so, dass ich ständig auf der Suche war, im unabänderlichen Jetzt und Hier immer ein bisschen mit den Geistern der Vergangenheit verwoben. Ein mehr oder weniger angenehmer Nebeneffekt dessen bestand nun darin, inmitten eines diskreten Kreises über die Variationen der Zukunft zu debattieren. Zustimmend wippte ich also zu atmosphärischem Rauschen, lotete die Interdependenzen aus und fühlte mich dabei nur ein ganz kleines bisschen einsam. Ähnlich erging es draußen wohl der weißen Dohle, die den dahinflatternden Ahornblättern mit gleichgültigem Adlerblick folgte. Als sich die ersten von ihnen der schwachen Leichtigkeit hingegeben hatten, war das noch mit heftigen Flügelschlägen quittiert worden, doch Gewohnheit verstumpft den Geist, dort und auch auf der eigenen Seite. Hier umso mehr. Ich wiederum war so etwas wie übermüdet, die Konzentration verbraucht von einer nur allzu kurzen Nacht im Büro, in der ich angestrengt versucht hatte, dringliche Angelegenheiten abzuschließen und Ordnung zu schaffen. Alles in einer Art und Weise, die mir in realistischeren Dimensionen niemals gelingen mochte, denn sobald die weisesten Augen durch einen hindurchzublicken schienen, befand man sich wohl in jeder Hinsicht auf verlorenem Posten. Ein Blick in die Reihen verhieß auch hier nur Störfaktoren, die allerdings keineswegs an die Oberfläche gelangen würden, zu hoch war die Belastungstoleranz. Wer kommen hätte können, war noch immer nicht da und würde es dabei wohl auch belassen, eine weitere Planetendrehung vollzog sich ohne konkreten Lösungsansatz. Doch auch Stillstand musste diskutiert werden, zersprochen und verkannt, im besten Fall auch so kleingeredet, dass die zusammengefaltete Hülle neben sämtlichen weiteren Stauchungsrelikten Platz hatte. Wir hätten alles anders machen können, die Welt zu einem besseren Platz, ganz klein beginnen und große Pläne haben, doch dann ist uns leider was dazwischen gekommen, und irgendwann war es zu spät. Macht nichts, Akte zu, fremdes Blatt her, the show must go on. Meistens wollte es das Gegenüber aber gar nicht so genau wissen, lächelte kurzsichtig über verräterische Krähenfüßchen hinweg und ging in wahnhafter Beruhigung seiner eigenen ideellen Wege. Gezeichnet waren nur die, die mehr erkannten, ob sie es nun wollten oder nicht, und womöglich zählte auch ich dazu. In diesem Fall trieb mir der Fluch des weiten Blickes Schauer über den Rücken, die im Fiebertraum durcheilte Vorstadtgassen ebenso umfassten wie verzweiflungsnahe Frühlingsdämmerungen, deren Schönheit in orientierungsloser Sinnsuche unterging. All das war kein Hirngespinst eines schwarzmalerischen Individuums unter uns, sondern kollektives Gut der Verschwiegenheit. Und nicht nur andere mochten viel reden und nichts sagen. Ich und meine nächsten Firmenkollegen, der Anzugträger zu meiner Rechten und die Schmuckliebhaberin zwei Plätze weiter, wir alle waren Vertraute mit fremden Zielen. Sie glaubten, mich zu kennen, und ich sie, doch niemand von

ihnen ahnte etwas von den verschlungenen Pfaden, die mich in diese hohen Ränge geführt hatten. Womöglich waren meine unzähligen Überstunden gar dem Schuldgefühl zuzuschreiben, nichts über diverse Verhältnisse der dritten Art verlautbart zu haben, heimliche Opportunistin zu sein und auf zwei Festen zu tanzen, wenn man schon die hier eher unpassende Hochzeit außer Acht ließ. Auch, wenn der förmlich Gekleidete nicht müde wurde zu betonen, dass wir unsere Produkte nur dann erfolgreich verkaufen würden, wenn wir jeglicher Unterscheidung zwischen Dienstleister und Kunde eine Absage erteilten. Ich verspürte das spontane Bedürfnis, mir dies für die philosophische Betrachtung von Hierarchieverdrehungen zunutze zu machen und im Anschluss vielleicht auch noch ein überfälliges Geständnis loszuwerden, gleich hier an Ort und Stelle. Doch die Luft wurde von Zahlen und Fakten durchsprengt. Da klopfte es plötzlich, Knöchel gegen gläserne Kälte, und mein Atem stockte kurz, denn man kann sich nicht immer auf alles gefasst machen. Zwei Personen traten ein, eine Dame und ein Herr, einer vertrauter als die andere. Während ich im Geiste erstarrte, schritten sie zielstrebig an ihre Plätze, deren Namensschilder zu allem Überfluss benachbart waren und eine merkwürdige Analogie bildeten. Im selben Moment, in dem mir im Gesicht der Frau meine eigenen Augen entgegenlächelten und einen fahlen Abglanz dessen zeigten, was hätte sein können, schlug etwas gegen die Fensterscheibe. Ein Bergahornblatt, vielleicht sogar das letzte auf den Sträuchern verbliebene, trotz aller Risse so gut wie makellos. Wie geschaffen für ein erstes Symbol des Neubeginns, verborgen zwischen den kunstvollen Initialen eines seit Jahrhunderten vergilbenden Buches. Und dann stand ich auf und zugleich neben mir, sah die langsamen Bewegungen meiner Lippen, selbst das winzigste Zittern des Zweifels, das meine Knie in seiner festen Gewalt hatte. Das Blut pochte durch meine Adern, als lägen all die Durststrecken, die ich in meinem Kopf bestritten hatte, tatsächlich hinter mir. Genau darum ging es hier ja auch, it’s all in your mind, und daher ließ ich nun zumindest meine eigene Maske fallen, in der Hoffnung, irgendjemand möge es mir irgendwann nachtun, und flüsterte in die klirrend zerberstende Stille hinein: „Angst hatte ich. Angst, so wie alle anderen hier, die sich um Himmels willen keine Blöße geben wollen, lieber am eigenen Schweigen zugrundegehen als ein einziges Mal ihre Bedürfnisse in den Raum zu stellen. Dabei hat im Grund doch jeder seine Leichen im Keller, ich beispielsweise habe mich hier eingeschlichen, um meine eigene verquere Geschichte zu erforschen, und bin unterdessen zur Expertin für Programmiersprache geworden. Und du, den ich keine Sekunde länger nicht ansehen kann, weil du so viel mehr verdient hast, wirst mir nie wieder aus dem Sinn gehen. Bewahre es meinetwegen für später auf, um das Protokoll nicht zu missachten, auch wenn ich ein solches für völlig überzogen halte, doch eines sollst du wissen: Ich liebe dich.“


KULTUR & MENSCHEN

Der 1.zige

Von Christina Schneider

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er Einzige, der mich erträgt und mich trägt, wenn ich mal wieder am Boden bin. Gibst meinem Leben Sinn und hältst mich fest, immer wenn meine Welt zu zerbrechen droht; und zur Not kämpfst du für mich weiter; schiebst meine Wolken und hältst meine Leiter und du bist es – der Eine, der mich erträgt; mich auf Händen trägt, aber dennoch nicht zerdrückt. Von null auf 100 und wieder zurück. Reich mir die Hand und gib mir ein Stück deiner Welt. Ich brauch nicht dein Geld – Papier hab ich genug; aber du – du tust mir gut und darum reich mir die Hand und gib mir ein Stück deiner Welt weil sie hält – selbst wenn meine in tausend kleine Stücke zerfällt und mein Herz nicht mehr weiß, ob es noch schlägt oder die Stille sich schon langsam über meinen Atem legt...

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LASS MICH FLIEGEN Von Christina Schneider

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as bleibt, wenn sich keine Verbundenheit mehr zeigt; wenn man einfach so verweilt und bis in die Ewigkeit schweigt über alles das, was bleibt. Ließen alles liegen und stehn ohne je voneinander zu gehn. Unsere Welt hat nie aufgehört sich zu drehn. Du wirst sehn: Irgendwann werd ich wieder – und sei’s dir noch so zuwider – durch deine Träume und Gedanken gehn und sie mit Gefühl versehn. Halt meinen Kopf – unter Wasser! Halt mich fest und lass mich jetzt gehn! Ich hoffe, du weißt es jetzt besser; wir werden uns wieder einmal sehn. Halt mich fest; Lass mich träumen! Du gehst mir unter die Haut. Wir werden so vieles versäumen, aber ich hab zu lang gewartet – zu lang auf Illusionen gebaut.


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Neunter_dritter_2008/2016 Von Christina Schneider

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ch lausche in mein Innerstes, doch deine Stimme ist verstummt. Kram in meinen Gedanken nach alten Bildern rum. Hab gehofft, dass der Zeitpunkt niemals kommt, an dem unsere Klänge verfliegen; die Erinnerungen dem Verblassen erliegen; unsere Ketten der Verbundenheit der Zeit sich biegen. Acht lange Jahre sind es nun, die ich ohne dich schon ging; werde nie woanders gehen, als da, wo ich mit dir gegangen bin. Du hast gesagt „Vermiss mich nicht – Ich werde euch nicht fehlen“. Du hast wohl absolut keinen Plan, wie sehr die Erinnerungen mich quälen. Jeder ist seines Glückes Schmied – Ach, ist das wirklich so? Kunstschmied meiner Kupferrose – Mein Glücksschmied, der bist du. Du hast so viel aus mir gemacht: Mich inspiriert – mich stark gemacht. Hast mich verzaubert, mich verhext. Dafür dank ich dir in diesem Text. Und manchmal, wenn ich zu traurig bin und nicht glauben kann an des Lebens Sinn, dann denk ich dran, dass ich jemanden hab, der mich beschützt und mich bewacht; und manchmal – mitten in der Nacht – besuch ich dich im Träumeland und plötzlich ist klar: Es war nie weg, das uns verbindende Band.

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#TIFMYS

EIN AUSFLUG IN DIE SALZBURGER INSTAGRAM-SZENE Anna arbeitet in einer Salzburger Werbeagentur und ist leidenschaftliche Hobbyfotografin. Anderen, wie auch unserer Redakteurin, ist sie auch unter dem Namen tifmys auf der Fotoplattform Instagram ein Begriff. Carolina Forstner hat sich mit Anna zum Kaffeetrinken getroffen und über den Boom der App, ihren Instagram-Feed und über die Erkenntnis, dass Instagram vielleicht helfen kann, vermeintliche Grenzen im Denken zu beseitigen, gesprochen.

uni:press: Wie wurde dein Instagram-Account ins Leben gerufen? Anna: Ich habe Fotos hochgeladen und Outfitbilder gemacht, um sie meiner Schwester, die damals im Ausland war, zu schicken. Mein Instagram-Name tifmys ist eine Abkürzung für: „This is for my sister“. Anfangs habe ich das Prinzip der App nicht wirklich verstanden und wahllos Fotos hochgeladen. Mittlerweile habe ich mir eine ganz ansehnliche Zahl an FollowerInnen aufgebaut. uni:press: Was ist die Faszination an Instagram? Wie kannst du dir den Hype um die App erklären? Anna: Was mir am Anfang sehr gefallen hatte, war, dass es – anders als Facebook – keinem Algorithmus folgte, also keiner Reihenfolge, in der dir Bilder deiner AbonnentInnen gezeigt werden. Facebook hat nun genau diese Funktion vor ein paar Monaten geändert. Davor konnte man auch als kleiner Account, der gute, krea-

tive Bilder auf die Plattform stellt, eine beträchtliche FollowerInnenanzahl aufbauen und so auch gegen große Accounts bestehen. Es bleibt spannend, ob die App dadurch an Faszination verliert und zum Facebook-Abklatsch wird. uni:press: Wie ist es eigentlich um die Instagram-Gemeinde in Salzburg bestellt? Anna: Dadurch, dass Instagram bis jetzt eigentlich immer nur mein Hobby neben Arbeit und Studium war, habe ich jetzt keinen großen Instagram-Bekanntenkreis. Ich kenne natürlich die Mädels, die regelmäßig die sogenannten Instawalks veranstalten, die sind aber vor allen Dingen Foodbloggerinnen. Richtige Lifestyle- und ModebloggerInnen aus Salzburg fallen mir jetzt auf Anhieb gar nicht ein. Natürlich betreiben viele Hobbyprofile und die Szene wächst auch, aber ich denke, dass die Instagram-Gemeinde in Salzburg doch sehr überschaubar ist.


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uni:press: Wie bereitest du dich auf einen Instagram-Post vor? Woher nimmst du deine Inspiration und deine Ideen? Anna: Was mich von einigen BloggerInnen unterscheidet, ist, dass die Fotos, die ich poste, spontan entstehen. Die Outfits, die ich zeige, trage ich auch wirklich in der Arbeit oder im Alltag. Ich weiß von einigen BloggerInnen, die wirkliche Shootingtage einlegen und dann mit mehreren Outfits die besten Locations abklappern, während bei mir mein Freund die Fotos schießt. Zwar sind die Bilder dadurch vielleicht nicht so extravagant, aber sie zeigen eben mein Tagesoutfit. Selbstverständlich entwickelt man ein Auge dafür, was zusammenpasst, oder wie ein Feed am besten aufgebaut wird und welche Fotos in einer Reihenfolge gut wirken, aber es ist wirklich kein großer Plan dahinter. Es kommt ganz darauf an, welche Fotos bei einem Shooting entstehen, das entweder fünf oder zehn Minuten dauert und vor oder nach der Arbeit stattfindet. uni:press: Große Instagram-Accounts bekommen ja häufig alle möglichen Dinge, von Taschen zu Make-up und Haushaltsgegenständen gesponsert. Erhältst du auch solche Produkte und wenn ja: Kennzeichnest du sie dann als Solche? Anna: Ja, ich bekomme auch manchmal Produkte zugeschickt, aber das passiert so selten, dass ich solche Zusendungen eigentlich nicht kennzeichne, wobei ich schon ein Fan von Transparenz bei gesponserten Artikeln bin. Bei mir kommt sowas vielleicht einbis zweimal im Monat vor. Meine Klamotten, meine Schuhe und andere Dinge kaufe ich immer selbst. Es kommen aber durchaus manchmal Firmen auf mich zu und schreiben mir, dass mein Style zu ihnen passt und sie mir gerne etwas zuschicken würden. Ich mache das wirklich gerne, wenn mir die Sachen gefallen und meinem Typ entsprechen. Bei manchen Dingen jedoch, wie zum Beispiel Make-up-Produkten, winke ich dankend ab, da ich wohl nicht das richtige Testimonial dafür wäre. Ich setze nicht nur in der Mode, sondern auch in Sachen Make-up auf einen einfachen, unkomplizierten Look und bin selten stark geschminkt. Wenn mich ein Artikel überzeugt und er mir gefällt, nehme ich ihn natürlich gerne entgegen. Ich muss aber noch hinzufügen, dass, wenn ich wirklich einen Blog betreiben würde, ich gesponserte Artikel kennzeichnen würde. Ich finde, dass man seinen LeserInnen die Transparenz schuldig ist und schließ-

lich bekommt man für Blogposts von den Unternehmen Geld. BloggerInnen mit vielen FollowerInnen bewegen sich natürlich in einer anderen Liga als ich mit meinem Instagram-Account. uni:press: Apropos Blog: Kannst du dir vorstellen Instagram, oder einen Blog hauptberuflich zu betreiben? Anna: Also die Idee einen Blog einzurichten, besteht schon lange und ich kann mir auch durchaus vorstellen, einen zu betreiben, allerdings nicht hauptberuflich. Ich wüsste nicht, ob es mir gefallen würde, mich selbst so in den Mittelpunkt zu stellen. Als BloggerIn führt aber kein Weg daran vorbei, dich bis zu einem gewissen Punkt zu öffnen und private Informationen preiszugeben, um für deine FollowerInnen interessant zu bleiben. Mein Instagram-Account ist sehr bildlastig. Er beinhaltet wenig Text und ich beschränke Informationen über mein Privatleben aufs Nötigste. Genau deswegen weiß ich nicht, ob ich der Typ für einen großangelegten Blog wäre. uni:press: Wie kann ich mir deinen Instagram-Account vorstellen, ohne ihn jetzt gesehen zu haben? Was ist dir wichtig und was bildest du ab? Anna: Ganz wichtig ist mir, dass meine Fotos echt sind, also dass ich mich nicht in Posen werfe, oder mich in Situationen zeige, die ganz untypisch für mich sind. Ich zeige Alltagsfotos. Natürlich stellt man aber auch Ansprüche an die Qualität der Fotos. Ich bin zum Beispiel auf Spiegelreflexkamera-Fotos umgestiegen. Ansonsten ist mir auch wichtig zu zeigen, dass ein cooler Look nicht immer durch einen ausgeflippten Muster-Mix entsteht, sondern auch durch einfache, schlichte und zurückhaltende Outfits zusammengestellt werden kann. Was mir auch am Herzen liegt, ist die Vermittlung von nachhaltigem Kleidungsstil: Ich habe mir eine Garderobe mit Lieblingsstücken aufgebaut, die ich oft trage. Ich habe meine zehn Lieblingsjeans und fünf T-Shirts, die man immer wieder an mir sehen wird, also nicht wie manch andere/r, der/die jeden Tag ein neues Outfit trägt. Ich bin mit Sicherheit nicht das beste Beispiel für Nachhaltigkeit und mache gerne Trends mit, aber ich versuche in Kleidungsstücke zu investieren, die mir vielleicht auch noch in 30 Jahren gefallen könnten. Ich will meinen FollowerInnen zeigen, dass schon wenige Basics ausreichen, um sich einen tollen Look zu bauen.

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uni:press: Warum soll man dir nun als tifmys auf Instagram folgen? Anna: Ich finde, man soll mir gar nicht folgen. Man möchte mir folgen, wenn man sich für meine Fotos interessiert – also wer sich an Mode und den schönen Dingen des Lebens erfreuen kann. uni:press: Instagram vermittelt ja schon eine Art „Fitness-Lifestyle-Mode“-Idealbild, dass gerade Frauen anspricht. Beeinflusst dich diese Thematik? Anna: Ich glaube, es braucht nicht eine App wie Instagram, um dir diese Idealbilder zu vermitteln. Es versuchen doch Medien aller Art, einem ein bestimmtes Schönheitsbild zu diktieren. Dennoch, du hast schon Recht: Instagram zeigt nur die schönen Seiten und auch ich versuche mich natürlich in einem guten Licht zu präsentieren. Ich denke aber, dass das Aufnehmen von solchen Schönheitsdiktaten immer auch viel mit der eigenen Persönlichkeit zu tun hat. Es wird immer jemanden geben, der dünner, schöner, klüger und erfolgreicher ist als man selbst. Ich denke, es ist generell eine wichtige Lektion im Leben zu lernen: Wer bin ich? Wo positioniere ich mich? In diesen Fragen kann dich, meiner Meinung nach, Instagram nicht mehr verwirren als 100 andere Dinge, die dir ein gesellschaftlich akzeptiertes Idealbild vorgaukeln wollen. Es gibt ja nicht nur die Fitness-Lifestyle-Mo-

de-Accounts, sondern auch solche, die zum Beispiel bewusst Frauen mit weiblicherer Figur in Szene setzen und dem Fitnesshype abschwören und somit auch eine große Community aufbauen. uni:press: Unser Magazin hat das Überthema Grenzen, deswegen wollte ich dich noch fragen: Was verstehst du unter Grenzen? Anna: Um ehrlich zu sein, habe ich mich in meinem Leben eigentlich noch nie mit Grenzen auseinandergesetzt, weil ich eigentlich nicht in ihnen denke, also ich versuche es zumindest zu vermeiden. Vor kurzem hab ich einen Artikel über sogenannten Low Waste-Lifestyle gelesen, in dem man versucht, so wenig Verpackungsmüll wie möglich zu produzieren. Genau bei solchen Beispielen lösen sich Grenzen im Kopf. Man kommt ins Grübeln: Ist es wirklich so normal, jede Woche mit einem Riesenmüllsack aus der Wohnung zu gehen? Ich glaube, wenn man stetig über den eigenen Tellerrand schaut und andere Lebenswelten in seine eigene lässt, sieht man, dass sich so viele Grenzen aufheben lassen – das Müllbeispiel nur als ganz banales hergenommen. Um solche irrtümlichen Grenzen zu lösen, kann auch Instagram ein hilfreiches Medium sein, da es ja total entgrenzt. Ich kann zum Beispiel Orte und Lebensstile von Menschen auf der ganzen Welt vermittelt bekommen und so meinen Horizont erweitern, oder mir auch einfach Inspiration holen.


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zeit masch ine

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Interessantes, Kurioses und Schockierendes in alten uni:press-Ausgaben, entdeckt und ausgegraben von Christoph Würflinger

BERLIN DIE MAUER IST GEFALLEN, DIE GRENZEN NICHT Hunderte schwarze Vögel umkreisen krächzend das Brandenburger Tor. Irgendwo verliert sich der ehemalige Todesstreifen im diffusen Licht. Der Himmel über Berlin versinkt im November-Grau. Ein paar Meter weiter verkaufen Koreaner, Türken, Deutsche DDR-Ramsch und die Reste der Mauer. „Da kiekste, wa, hätt‘ ich mir och nich jedacht, mi eenmal als echter Russe verkleiden zu können.“ Der Finger drückt auf den Auslöser der Kamera. Erinnerungsphotos? Vor einem Jahr feierten Tausende den Sturz der Mauer – die Wende oder eine Revolutionsfarce? Die 40 Jahre kommunistische Diktatur sind nicht nicht vom Tisch zu kehren. Es prallen Welten aufeinander. Das Bildungswesen der DDR förderte weder die Eigenverantwortlichkeit noch die innere Motivation. Die Untertanenmentalität wurde gezüchtet und reichte in alle sozialen Schichten. Die Folgeschäden des System [!] sitzen tief in den Menschen, die eine Werteordnung verloren haben. Deutschland ist heute durch eine imaginäre Mauer gespalten. Berlin erweist sich hierfür immer noch als Paradebeispiel. […] Im Inneren der Stadt brodelt ein enormes Aggressionspotential, wie die letzten Ausschreitungen der Wohnungsbesetzer im Friedrichshain (Berlin-Mitte) bewiesen haben. Man

liefert sich Straßenschlachten und schürt den glühenden Hofen mit Haß. Die Ossis kämpfen auch mit steigendem Rechtsextremismus und mit zunehmender Arbeitslosigkeit. Ostberliner verdienen in der Regel zwei Drittel weniger als die Kollegen im Westen. „Hier bei uns steht jeder vor der Arbeitslosigkeit“, erzählt ein Taxler im Trabi. Damit wächst die soziale Unzufriedenheit. Helmut Kohl steht aber paradoxerweise immer noch hoch immer [!] im Kurs. Der Westen übernimmt in allen Belangen die Vormundschaft. „Früher hatten wir nichts zu sagen, das hat sich bis heute nicht geändert“, stellt der Mann an der Ecke fest. Das November-Wetter spiegelt die Stimmung der Gemüter wider. Menschen gehen durch die Straßen und heben sich vom Grau der traurigen Fassaden fast nicht mehr ab. Berlin, den 18. November 1990. Was kommt jetzt? Viel Geld und Massenimporte aus dem Westen. Damit verdeckt man aber nur die marode Fassade der verdammt ernüchternden Realität des reichen Bruders. Die Chance wird wieder einmal verabsäumt, sich die eigenen Fehler einzugestehen. Der Schritt weiter wäre nicht die einseitige, sondern die gemeinsame Veränderung. Ist denken heute nicht mehr modern? Unipress 68 (Dezember 1990)


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