Redaktion, Konzept und Gestaltung: Cornelia Faisst und Vera Kaps Universität Liechtenstein, Vaduz Illustrationen: Mostafa Youssef (Illustrator und Architekt aus Ägypten; 2010/11 war er Gaststudent an der Universität Liechtenstein) www.facebook.com/mostafayoussef89
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Aufs tägliche Leben übertragen Meist wird ein suffizienter Lebensstil als individuelle Entscheidung angesehen. Denn wer will schon vorgeben, wie viel für jeden einzelnen „genug“ ist? Doch ist die persönliche Entscheidungsfreiheit begrenzt, wenn die Rahmenbedingungen einen suffizienten Lebensstil erschweren. Das gilt für den Konsum, wenn für den Einzelnen nicht ersichtlich ist, welche Lebensmittel oder Güter nachhaltig produziert werden. Das gilt für den Verkehrsbereich, weil viele Städte autogerecht, aber wenig fahrradfreundlich sind und so der Umstieg vom Auto auf das
WER WILL SCHON VORGEBEN, WIE VIEL FÜR JEDEN EINZELNEN „GENUG“ IST?
Die „4 E‘s“ Das Wuppertal Institut arbeitet seit vielen Jahren – unter anderem – an dem Konzept der Suffizienz. Wolfgang Sachs hat 1993 dafür die „4 E’s“ entwickelt: Entrümpeln, Entschleunigen, Entkommerzialisieren und Entflechten. Entrümpeln heisst ganz allgemein „weniger“. Herausfinden, was tatsächlich benötigt wird und anderes aussortieren. Entschleunigen bezieht sich auf den Lebensrhythmus: In welcher Zeit muss ich eigentlich wieviel schaffen und tun? Entkom-
Text: Anja Bierwirth (Architektin und Umweltwissenschaftlerin am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie in der Forschungsgruppe „Energie-, Verkehrsund Klimapolitik“)
SUFFIZIENZ: VIELE GUTE GRÜNDE UND KONZEPTE
merzialisieren meint, Wohlstand nicht nur als finanzielle Grösse zu begreifen, sondern auch Zeitwohlstand, soziale Einbindung und andere Qualitäten zu berücksichtigen. Und Entflechten schliesslich heisst, sich von globalen Wirtschaftsbeziehungen unabhängig zu machen und regionale Produkte und Angebote zu unterstützen.
Kontakt: AL Magazine Institut für Architektur und Raumentwicklung Universität Liechtenstein 9490 Vaduz www.uni.li/al / al@uni.li www.facebook.com/architecture.unili Zum Wuppertal Institut Das Wuppertal Institut erforscht und entwickelt Leitbilder, Strategien und Instrumente für Übergänge zu einer nachhaltigen Entwicklung auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene. Literaturtip M. Linz (2015): Suffizienz als politische Praxis. Ein Katalog. Wuppertal Spezial 49. Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie. U. Schneidewind, A. Zahrnt (2014): Damit gutes Leben einfacher wird. Perspektiven einer Suffizienzpolitik. Oekom Verlag, München. W. Sachs (1993): Die vier E‘s: Merkposten für einen maß-vollen Wirtschaftsstil. In: Politische Ökologie 11 (33). München.
Fahrrad erschwert wird. Und das gilt im Gebäudebereich, wenn Neubauten mit tendenziell mehr Wohnfläche geplant werden und die Möglichkeit, sich Räume oder Einrichtungen zu teilen, nicht mitgedacht wird. An diesen und vielen weiteren Stellen wird deutlich, dass auch Suffizienz politisch gefördert werden muss, um die individuelle Entscheidung für einen entsprechenden Lebensstil überhaupt möglich zu machen.
EDITORIAL
Nachhaltigkeit, Suffizienz und Energieeffizienz sind uns wohl bekannte Plastikwörter: Sie drücken alles aus und gleichzeitig nichts.
In der 12. Ausgabe des AL Magazines begeben wir uns auf die Suche, nach Begriffen, die jene Werte widerspiegeln, ohne die es sich unsere heutige Gesellschaft nicht mehr leisten kann, zu leben. Doch ist es nicht der Verzicht, den wir in den Fokus rücken möchten, sondern der Gewinn! Wie bereichern wir unser Leben mit Hilfe besonderer Wohnformen, durch besondere Lebensstile oder in der Art und Weise, wie wir mit Lebensmitteln und deren Produktion umgehen?
Unsere Antwort ist ganz simpel: Einfach besser leben!
DIE ZÜRCHER KALKBREITE
Interview mit Pascal Müller (Geschäftsleitung Müller Sigrist Architekten, Projektumsetzung Kalkbreite) und Brigitte Lampert (Grafikerin Sunset Blvd, Atelier in der Kalkbreite)
Definition Suffizienz AL / Was bedeutet für Euch Suffizienz? PM / Für mich als entwerfender Architekt verkörpert der Begriff Suffizienz eigentlich das Mies‘sche Prinzip „Less is more“. Suffizienz ist für mich haupsächlich ein qualitativer Begriff: Es geht nicht nur um die Menge, sondern darum, was man mit einem gewissen Einsatz von Mitteln qualitativ erzielen kann. Wir sind natürlich auch gewissermassen gebrannt durch unser Projekt Kalkbreite. Wir mussten zuerst lernen, dass jeder etwas anderes unter Suffi-
man erstmal langsamer. Man gewinnt dafür aber Zeit und erlebt auf einmal Dinge, die man sonst nicht erlebt hätte. Das ist doch ein Gewinn.
WAS KANN MAN AUS DEM PRIVATEN AUSLAGERN UND DER GEMEINSCHAFT ZUR VERFÜGUNG STELLEN?
weit gehen und behaupten, dass die Kalkbreite die Stadt verändert hätte, allenfalls das Quartier ein wenig aufgewertet. BL / Ich schon! Die Kalbreite ist ein Vorreiter und hinterlässt bei allen einen Eindruck: der Aufgang
MAN KANN DIE KALKBREITE NICHT EINFACH VOM REISBRETT KOPIEREN. SIE MUSS IM BETRIEB SO GEWOLLT UND GELEBT WERDEN.
SUFFIZIENZ ZEIGT SICH ERST IN DER REALITÄT. MAN KANN SIE VORHER NICHT PLANEN.
wir machen, planen wir akribisch. Alles ist getaktet: Unsere Arbeit, unsere Tagesabläufe. Wir wollen immer effizienter werden. Und vielleicht ist Suffizienz genau das: eben nicht immer effizient zu sein. So ähnlich funktionieren
Strahlkraft Kalkbreite AL / Glaubt Ihr, dass die Kalkbreite den Züricher Kreis 4 verändern wird? PM / Man sieht, dass es möglich ist. Nicht nur, dass eine Gruppe von Quartiersbewohnern es schafft, sich gegen die Widerstände der Stadt und der Behörden zu wehren. Das hat Signalwirkung. Aber es steckt eben in den Anfängen und
Energie als wenn jeder sein eigenes Fächlein hätte. Alle diese Massnahmen betreffen die Planung natürlich immens. AL / Und der Verzicht auf privaten Aussenraum war keine ungewohnte Situation für die Bewohner? PM / Nein weniger. Man wohnt ja in der Kalkbreite, weil man diese Art des Zusammenwohnens gesucht hat, weil man neugierig war. Und wenn Du Deinen privaten Balkon willst, der nicht einsehbar ist, dann würdest Du gar nicht auf die Idee kommen, in die Kalkbreite zu ziehen. AL / Das heisst, die Bewohner haben sich schon vor dem Bau der Kalkbreite gefunden und nicht erst, als der Bau fertig war? PM / Teils ja. Die Erstbezieher waren schon ein Jahr vor der Fertigstellung der Kalkbreite in Form von öffentlichen Workshops involviert. Dort gab es die Möglichkeit, seine Ansichten einzubringen, und es haben sich sporadisch Gruppen gebildet, die angefangen haben, den Betrieb voraus zu denken. Dies mündete in den heutigen Gemeinrat, ein monatlich tagendes Forum wo jeder Vorschläge für Verbesserungen einbringen kann.
Räume ohne Nutzungen Der Bauherr wollte beispielsweise Räume – sogenannte Boxen – haben, deren Nutzungen noch nicht definiert waren. Aber wie sollten wir Räume ohne Nutzung planen? Da kamen 1000 Fragen wie etwa zu Anschlüssen, Grösse, Belichtung. Die Genossenschaft sagte, es sei ihr egal: Wir sollten ihr etwas planen, was nicht viel koste, aber sie wusste noch nicht für was. Und jetzt im Betrieb ist das ein grosser Gewinn. Normalerweise ist im Wohnungsbau jeder Raum vermietet, jeder hat seinen Zweck. Es sind insgesamt vier Räume, die dem Bau Flexibilität geben: Man kann sie für allerlei Zwecke nutzen, und genauso wieder umnutzen. Ansonsten ist ja jeder Raum
man weiss nicht, ob man in vier bis fünf Jahren vielleicht andere Probleme hat. Und plötzlich ist Suffizienz nicht mehr das akuteste Thema. Ich würde nicht so
doch auch diese Boxen. Plötzlich bekommt die Gemeinschaft die Freiheit, Nutzungen zu planen, die sie selber definieren und beleben kann. BL / Gelebte Suffizienz zeigt sich erst in der Realität. Man kann sie vorher nicht planen. PM / Genau. So entstand etwa die Gruppe „leichter leben“. Ihre Mitglieder haben versucht im Alltag ihren Verbrauch zu messen und so suffizient zu leben. Es entstanden auch Begriffe wie „einfach besser leben“. Also indem ich einfach lebe, lebe ich besser. Oder „leichter leben“. Das bedeutet im übertragenden Sinn, den ökologischen Fussabdruck zu reduzieren.
Sitzungsräume. Anfangs dachte ich, es würde nie funktionieren, zu jedem Meeting in einen zumietbaren Raum zu laufen. Aber schon auf dem Weg kommen mir wieder andere Ideen oder ich treffe jemanden. Das zahlt sich aus, auch emotional! PM / Wir haben versucht, die Grundfläche der Wohnungen zu minimieren. Nicht jeder braucht zum Beispiel ein Bücherregal in seinem Wohnzimmer. Oft haben ja alle dieselben Bücher Zuhause rumstehen. Bei 80 Wohnungen fällt das ins Gewicht. Daher haben wir in der Kalkbreite eine Bibliothek geplant. BL / Das Bücherregal ist wirklich ein großes Thema: Wir haben in unserem Atelier so viel Fensterfläche, dass gar nicht jeder unserer 13 Mitarbeiter sein eigenes Bücherregal hätte haben können. Das war tatsächlich ein Schritt: dieses Loslassen. 20 Jahre lang hatte ich meine Bücher und von denen sollte ich mich jetzt trennen? Beziehungsweise meine Bücher mit denen der anderen vermischen? PM / Zudem planten wir die Wohnung ohne Arbeitszimmer. Dafür gibt es zumietbare Räume in der Kalkbreite, die jeder Bewohner je nach Lebenslage zumieten kann. Und ein extra Gästezimmer, was sowieso die meiste Zeit ungenutzt ist, wird durch die Pension in der Kalkbreite ersetzt. Diese wiederum hat keinen Frühstücksraum. Zum Frühstücken gehen die Nachtgäste einfach ins Café im Erdgeschoss, was sich natürlich auch in den Übernachtungskosten abbildet. Und schlussendlich natürlich auch der Verzicht auf einen privaten Aussenraum: Anstelle dass jeder seinen eigenen Balkon besitzt, gibt es grosszügige, gemeinschaftlich genutzte Aussenflächen. Aber auch im Kleinen haben wir redu-
auf seine Funktion zugeschnitten. Eigentlich ist das eine Verschwendung, aber mit dem Effekt, dass es zum Gewinn wird. AL / Oder zur Freiheit? Alles was
in den gemeinschaftlichen Hof, die 28er WG, die Clusterwohnung. Es kann natürlich sein, dass die Prinzipien in Zukunft verwässern, aber gerade jetzt ist es ein klar gesetztes Zeichen. AL / Gibt es noch ähnliche Wohnprojekte in Zürich, die die Prinzipien der Kalkbreite verfolgen? PM / Klar, man ist unter den Architekten ja vernetzt und sucht den Austausch. Anfangs waren wir alle in Wien und haben uns die Sargfabrik angeschaut. In Zürich gibt es das Karthago und Kraftwerk oder das Mehr als Wohnen als sehr gute Beispiele. Wir haben immer versucht, von dem zu lernen, was es schon gab. Und so wird es in Zukunft auch weiter geschehen: Die Kalkbreite wird in den nächsten Wohnprojekten weiterentwickelt, verbessert, verdichtet. Wir hatten auch schon Anfragen, die Kalkbreite noch einmal zu planen. Aber das geht nicht: Man kann sie nicht einfach vom Reisbrett kopieren. Sie muss im Betrieb so gewollt und gelebt werden– auch von den Bauherren. Man kann sie nicht irgendwo hinstellen, eine Hausordnung aufstellen und glauben, dass sie dann funktioniert. Architektur kann man nicht 1:1 kopieren. AL / AL / Die Kalkbreite wurde ja auch absolut nach dem bottom-up Prinzip und nicht nach dem top-down Prinzip entwickelt. BL / Und das merkt man: Die Bewohner leben diese Prinzipien hier! Und sie leben sie nicht erst, seit die Kalkbreite steht: Sie haben sie schon vorher gelebt. AL / Meistens folgt Architektur ja einem bereits bestehenden Zeitgeist. PM / Erst kommt die Kunst, dann die Mode und dann erst die Architektur. Dafür ist sie die beständigste unter den Künsten und macht zum Glück nicht jede Saison mit.
ziert: Die Kühlschränke haben beispielsweise kein Eisfach, sondern die Bewohner teilen sich einen Kühlraum im Untergeschoss. Das verbraucht in der Masse weniger
AUF WIE WENIG FLÄCHE KÖNNEN WIR WOHNEN UND ARBEITEN?
Umsetzung im täglichen Leben AL / Wie setzt Ihr diese Definitionen in Eurem täglichen Leben und Arbeiten um? BL / Im Rahmen meiner Arbeit, überlege ich mir natürlich auch, was man drucken soll und was man digital vermitteln kann und trotzdem die gleiche Qualität erzielen kann. «Müssen 6000 Exemplare gedruckt werden oder nur 600, dafür sind sie gezielter eingesetzt?» Denn wer will schon auf diesen Stapeln von Papier sitzen? Langfristig zahlt sich das aus. AL / War dieser Verzicht auf Quantität, der sich schlussendlich
in Qualität auszahlen soll, auch eine Vision bei der Planung der Kalkbreite? PM / Eine der Zielsetzungen unserer Bauherrschaft, der Genossenschaft Kalkbreite, war es, die Suffizienz als Kriterium zu verwenden, also in Bezug zum Raum: Auf wie wenig Fläche können wir wohnen und arbeiten? Und wie können wir die Ideale der 2000 Watt Gesellschaft umsetzen? Wir haben festgestellt, dass der Genossenschaft die MINERGIE Kriterien oder der Effizienzpfad der SIA nicht ausgereicht haben. Daher wurde auch der Begriff der Suffizienz eingeführt, der ergänzte, was durch die vorhandenen Reglemente noch nicht genau definiert war.
über die Ernährung. Viele kennen den Rhythmus der Natur nicht mehr. Jede Jahreszeit bringt ihre eigenen Gemüsesorten hervor. Aber heute ist in den Lebensmittelgeschäften immer alles vorrätig. AL / Lokale Produktion ist für Dich, Sacha, sicher ein wichtiges Thema? SS / Wir sind jetzt an dem Punkt, an dem wir mit der Gartenkooperative unser eigenes Biogemüse anbauen. Das ist unsere Art der Selbstermächtigung, der Unabhängigkeit und der Autonomie. AL / Dann ist für dich das Credo „einfach in der Gemeinschaft besser leben“ fast passender? SS / Ja, ich glaube, das passt sehr gut. Im Sinne der „solidarischen Landwirtschaft“ oder „community supported agriculture“ bauen wir unser Gemüse als Gruppe an und decken damit den
Definition Suffizienz AL / Was versteht Ihr unter dem Begriff „Suffizienz“? RN / Mir ist gerade das französische Wort „suffit“ in den Sinn gekommen. Es bedeutet, es „genügt“ und drückt das rechte Mass aus. Ich merke, dass das mein Thema ist – Entschleunigen, Entrümpeln und genügsam leben. Ich lebe von meinem kleinen Bauernhof, wo ich auch die Möglichkeiten habe, auf Feldern und Wiesen Kräuter zu sammeln. Alles was man zum Leben braucht, wächst um uns herum. AL / Einfach besser Leben mit Wildkräutern? RN / Genau, in ihnen sind viele Heilstoffe enthalten, die auch vorbeugend wirken. Vieles geht
Interview mit Renate Nipp (Naturkräuterspezialistin aus Schaan) und Sacha Schlegel (Gartenkooperative in Schaan)
LEBEN MIT DER NATUR
Aus privat, mach gemeinschaftlich PM / Zusätzlich haben wir uns intensiv damit beschäftigt, was man aus der Privatsphäre herauslösen und der Gemeinschaft zur Verfügung stellen kann. Anstelle alles neu herzustellen, sollen Gegenstände mehrmals verwendet und Räume unter den Bewohnern geteilt werden. BL / Das hat wahnsinnig schnell funktioniert, sobald wir im Mai 2014 in unser gemeinsames Büro „Sunset Blvd“ in der Kalkbreite eingezogen waren. Wir arbeiten dort völlig ohne eigene
NICHT JEDER BRAUCHT ZUM BEISPIEL EIN BÜCHERREGAL IN SEINEM WOHNZIMMER. OFT HABEN JA ALLE DIE SELBEN BÜCHER ZUHAUSE RUMSTEHEN, BEI 80 WOHNUNGEN FÄLLT DAS INS GEWICHT.
zienz versteht. Für mich gibt es drei Ebenen innerhalb des Begriffs: Erstens die gesellschaftlich übergeordnete Ebene, bei der es um die Nachhaltigkeit geht und darum, mit wie wenig man im Leben auskommt. Hier schwingt das Quantitative mit, nämlich der Verzicht und das Weglassen. Zweitens ergänzt die Suffizienz die Effizienz, indem sie den Bedarf wie beispielsweise in der Energiewende begrenzt. Und drittens wird der Begriff unterschiedlich benutzt. Je nach Branche hat man einen anderen Zugang zum Thema. Ein Maschinenhersteller versteht etwas anderes unter Suffizienz als etwa ein Grafiker oder ein Architekt. BL / Bevor ich mich aktiv mit den Facetten der Suffizienz beschäftigt habe, war das für mich einer dieser Plastikbegriffe. Der Umgang mit dem Begriff hat sich aus meinem Lebensstil ergeben: Der Verzicht. Brauche ich das wirklich oder braucht mein Kunde das wirklich? Und was bedeutet es, weniger zu brauchen? PM / Ich finde es wichtig, dass man nicht den Verzicht in den Vordergrund stellt, sondern das Qualitative: Nicht, dass man auf etwas verzichtet, sondern fast umgekehrt, was man dabei gewinnt! Wenn man beispielsweise aufs Flugzeug verzichtet, dann ist
DAS IST MEIN THEMA: ENTSCHLEUNIGEN, ENTRÜMPELN UND GENÜGSAM LEBEN.
Mitessen heisst mitarbeiten RN / Mein Mann und ich bauen viele Sorten Kürbis an, und da kommen immer wieder Personen, und die meinen, man hätte keine Arbeit mit Kürbissen. Man müsse sie nur pflanzen und wachsen würden sie von selbst.Irgendwann gehe man den fertigen Kürbis pflücken (lacht). Es ist alles Handarbeit. Ein einzelner Kürbis wächst von selbst auf dem Kompost, aber ein ganzes Feld braucht Pflege und Zuwendung. SS / Als wir gestartet haben, war uns klar, dass
Eine Vision für Liechtenstein AL / Was ist Eure Vision für Liechtenstein? RN / Wenn nur einer, der bei mir einen Kurs gemacht oder einen meiner Vortrag besucht hat, etwas aus dem gelernten macht, dann ist das für mich schon Erfolg genug. Ich denke schon länger über eine Art Werkstatt bei mir Zuhause nach. Man trifft sich einmal im Monat zu einem bestimmten Thema und tauscht sich zum Beispiel über Salben, Tinkturen usw. aus. Jeder bringt Kenntnisse mit und man teilt sein Wissen. SS / In Planken gibt es den Backverein „Eigenbrötle“. Eine Zukunftsidee ist, dass wir nach geeigneten Feldern suchen, in denen wir alte Getreidesorten wieder anbauen können. So könnten wir Gartenkooperative Genossenschaft, zusammen mit den Eigenbrötler unser eigenes Brot backen. AL / Gibt es solche Lernplattformen in Liechtenstein schon? SS / In meinem direkten Umfeld gibt es unter anderem die Symbiose Gemeinschaft, das KochKollektiv, MumAS, den Verein Neuraum mit dem Haus am Gleis oder die Alte Post, den Coworking Space, und in der Kunstszene gibt es weitere sehr aktive Menschen und Gruppen. Wir haben gemerkt, dass jeder seinen eigenen Verein hat. Mit der Zukunftswerkstatt haben wir angefangen, vereinsübergreifende Treffen zu organisieren. Daraus entstanden Gruppen und verschiedenste Projekte wurden entwickelt, unter anderem auch die Gartenkooperative. AL / Wie fing es bei Dir an, Renate? RN / Die Kräuterakademie war ausgeschrieben und ich hab mich sofort angemeldet, und war sofort infiziert mit dem Virus „Kräuter“ (lacht). Und es fasziniert mich nach wie vor. Ich denke man muss vieles einfach vorleben, so wird es sich weiterverbreiten. Man muss den Austausch nicht suchen, sondern er ergibt sich von selbst, wenn man ihn zulässt.
wöchentlichen Gemüsebedarf von aktuell 160 Personen in Liechtenstein/Werdenberg.
Buchtip Sacha Schlegel Konzeptwerk Neue Ökonomie e.V. [Hrsg.]: Zeitwohlstand, wie wir anders arbeiten, nachhaltig wirtschaften und besser leben. München: Oekom Verlag. 2013
WIR MACHEN ES EINFACH UND WOLLEN DABEI EINE GUTE ZEIT HABEN.
wir nur Pflanzen wollten, bei denen wir alle mithelfen müssen. Mittlerweile haben alle gemerkt, was es bedeutet, etwas selbst anzubauen, sprich was für ein Aufwand es ist, etwas selbst anzubauen. Wir schätzen das Gemüse dafür umso mehr. RN / Ein anderes Problem sind die Personen, die das Gemüse von den Feldern stehlen. Du musst Dich mit den Tieren herumschlagen, die Dir die Pflanzen weg fressen. Das ist okay. Aber das Stehlen, das regt mich auf. SS / Und mich regt auf, dass ein Drittel bis zur Hälfte aller produzierten Lebensmittel in westlichen Ländern weggeworfen werden. AL / Wie hat die Arbeit Euer tägliches Leben beeinflusst? Geht ihr mit Ressourcen heute anders um? SS / Wahrscheinlich schon. Einige machen sicher mit, weil sie wieder selbst im Garten das Gemüse pflanzen wollen. Wieder andere interessiert nur das Gemüse, die Gemeinschaft interessiert sie nicht. Auf der anderen Seite geht es uns schlicht und ergreifend um die Sache: Wir machen es einfach und wollen dabei eine gute Zeit haben. RN / Durch die Kräuter nehme ich die Natur noch viel bewusster war. Ich achte sie jetzt mehr als vorher. AL / Hat sich durch die Lebenseinstellung, die Ihr vertretet, auch etwas für Liechtenstein und der Region geändert? RN / Ich glaube, dass sich die Menschen grundsätzlich und nicht nur in Liechtenstein wieder vermehrt der Natur zuwenden und das Ursprüngliche und Idyllische suchen. Man muss nur in einer Buchhandlung schauen, wie viele Bücher es zu diesem Thema gibt. Es scheint ein Traum für viele zu sein und es ist ein Umdenken festzustellen. AL / Was glaubt ihr, woher kommt dieses Umdenken? RN / Die innere Zufriedenheit fehlt und so sind viele auf der Suche nach etwas Anderem. Wir könnten uns ja glücklich schätzen, denn wir sind hier verwöhnt. Und doch sind viele von uns nicht zufrieden.